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Institute for Classical Studies, part of the Institute for Philosophy, Czech Academy of Sciences in Prague Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I Author(s): MARTIN POKORNÝ Source: Listy filologické / Folia philologica, Vol. 120, No. 1/2 (1997), pp. 11-33 Published by: Institute for Classical Studies, part of the Institute for Philosophy, Czech Academy of Sciences in Prague Stable URL: http://www.jstor.org/stable/23467069 . Accessed: 14/06/2014 20:17 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Institute for Classical Studies, part of the Institute for Philosophy, Czech Academy of Sciences in Prague is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Listy filologické / Folia philologica. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.78.109.54 on Sat, 14 Jun 2014 20:17:45 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I

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Institute for Classical Studies, part of the Institute for Philosophy, Czech Academyof Sciences in Prague

Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte IAuthor(s): MARTIN POKORNÝSource: Listy filologické / Folia philologica, Vol. 120, No. 1/2 (1997), pp. 11-33Published by: Institute for Classical Studies, part of the Institute for Philosophy, Czech Academy ofSciences in PragueStable URL: http://www.jstor.org/stable/23467069 .

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Listy filologické CXX, 1997, 1-2, pp. 11-33

Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I*

MARTIN POKORNÝ (Praha)

...ένός ριπή Ilias VIII, 355

Vorwort

Motto: ".Der Uber gang von einem Denker z.u einem anderen beruht auf ei

ner inneren Dynamik der Werke und der Probleme. Die Bewegung, die die

Geschichte der Philosophie in Gang setzt, ist weder ein Fortschritt noch ein

Fall, sondern die standige Anstrengung, Probleme zu losen, die immer wie

der anders gestellt werden, die einander weichen in einem gegenseitigen Verhaltnis der Erweiterung und der Verscharfung."

Rémi Brague

Die Leitfrage, die unsere folgende Untersuchung bestimmt, wurde bei Aristoteles formuliert: τί έστι то ένί είναι. Welcher ontologische Modus ist

* leh mochte hier besonders herzlich Herrn Professor Stanislav Sousedík von der

Karlsuniversitát Prag fiir die Einfuhrung in das mittelalterliche Denken, wie auch fur

seine stándige Unterstiitzung danken. Nur dank seines Rates und seiner Hilfe hatte

sich fur mich die Móglichkeit erschlossen, zwei Semester am Thomas-Institut in Koln

arbeiten zu kónnen. Mein Dank gilt Herrn Professor Jan A. Aertsen, Direktor des

Thoraas-Instituts, der mich so freundlich empfangen und auf vielfache Weise meine

Arbeit gefórdert hat. Neben sachlichen Konsultationen mochte ich besonders den

Zugang zu dem Manuskript seines neuen Buches und die Besorgung der modernen

Edition des Scotischen Metaphysikkommentars hervorheben. SchlieBlich mochte ich

meine Dankbarkeit Herrn PD Dr. Andreas Speer und Herrn Frank Hentschel, die die

sprachliche Korrekturen durchgefiihrt haben, wie auch allen Kollegen aus dem Tho

mas-Institut gegeniiber betonen. Nur ihr von Anfang an freundlicher Zugang hat mir

personlich ermóglicht, mein Studium mit Erfolg fortzusetzen.

Diese Arbeit ist meinem Lehrer Petr Rezek gewidmet.

Kóln, August 1995 ^ ρ

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MARTIN POKORNÝ

mit dem Eins-Sein verbunden? In dem griechischen Ausdruck ist es noch

eindeutig, da6 man nicht nach εκαστον, sondern nach εν fragt, daB die Fra

ge nicht lautet: "Warum sich diese zwei Dinge nicht in nur eins vermi schen ?", sondern "Warum dies eine Ding nicht zwei oder mehr ist?" Auf der einen Seite steht somit Singularitát, auf der anderen Einheitlichkeit, Ein fachheit. Einheitlichkeit im allgemeinsten Sinne wurde dann wieder in der Scholastik unter dem Namen unum transcendens aufgegriffen. Eben diese

Auffassung wird zum Orientierungspunkt unserer Textauswahl. Die Pro

blematik der Transzendentalien hat ihre beiden Gipfel bei Thomas von

Aquin und Johannes Duns Scotus erreicht, wobei vor allem dank Thomas

das transzendentale Eine als urspriinglich aristotelischer Begriff angesehen wurde. In der nachkantischen Philosophie wurde die transzendentale Einheit meistens im Sinne der Einheit der Apperzeption begriffen und unsere onto

logische Fragestellung wurde zuriickgestellt; jedoch findet sich noch ein

wichtiger Ansatz bei Frege, auch wenn sein Interesse auf das streng mathe

matische Eine gerichtet ist. Unser Unternehmen ím Ganzen verstehen wir erstens als das Betrachten

eines Moments innerhalb verschiedener metaphysischen Zusammenhánge. Eine derartige abgegrenzte Betrachtung ist sicher oft einseitig und partikular; desto mehr kann sie aber in dieser ausgewahlten Hinsicht uber unsere Den

ker aussagen. Das zweite Interesse ist historisch: Die gegenseitigen Verhált

nisse werden sich als viel komplexer erweisen, als eingewurzelte deskriptive Schémata oftmals suggerieren. SchlieBlich bilden die einleitende Betrach

tung mehrerer aristotelischen Passagen, sowie das abschlieBende Resumee

der epochalen Leistung Freges, eine - hoffentlich - anregende Fragekon

stellation mit Bezug auf die heutige hermeneutische Lage der beiden ande

ren genannten Autoren.

AuBerdem haben wir selbstandige Leitfáden innerhalb eines jeden Kapi tels. Diese Fragestellungen, wie auch der methodische Zugang, miissen sich

je aus den Texten und aus dem gegebenen Stand der Kommentierung er

geben und sind deshalb in jedem Fall von unterschiedlicher Beschaffenheit. Unsere Kenntnisse sind nicht breit genug, eine gute Einleitung schreiben

zu konnen. Die folgende Arbeit gehort zur sekundáren Literatur im engeren Sinne und setzt als solche die Bekanntschaft mit den zugrundeliegenden Passagen aus Aristoteles' Metaphysik Δ, 2 und I, 1, Thomas' Kommentar zu diesen Texten und der ersten Quaestio aus Scotus' De principio indivi duationis immer voraus. Die Grundlage des vierten Kapitels, námlich die zweite Quaestio aus dem Metaphysikkommentar des Johannes Duns Scotus, braucht nicht im voraus studiert zu werden; gleichwohl ist es auch hier er

wiinscht, daB der Text dem Leser, wenn erforderlich, zur Verfugung steht. Hilfe bei einfacheren Fragen hinsichtlich des Verstándnisses und der Orien

tierung im allgemeineren Rahmen lafit sich auf mehrere Weisen erhalten; wir

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

konnen die entsprechenden Kapitel bei Oeing-Hanhoff (bes. das dritte Ka

pitel) und Gilson (bes. S. 461-469) empfehlen.' Fíir Aristoteles geniigt jede gute annotierte Úbersetzung.

I. Aristoteles

Der EinfluB der spateren, vorzuglich der mittelalterlichen Kommentato ren ist der entscheidende Grund, warum die These, daB das и η um als trans

zendentales Prádikat gesetzt wird, gewohnlicherweise im vierten und zehn ten Buch der Metaphysik des Aristoteles aufgefunden wird. Eine derartige Charakterisierung der Passagen, die von uns zu untersuchen sind, laBt aber

die wesentlich veránderte Situation der textuellen Grundlage au Ber Betracht,

wie auch den wichtigen Genre-Unterschied zwischen dem mittelalterlichen, vorzuglich philosophischen und dem modernen, vorzuglich philologischen Kommentar; oftmals werden so die traditionellen Auffassungen noch heut

zutage ohne Reflexion in die Interpretation projiziert.2 Nur zu einem kleinen Teil will deshalb unsere nachfolgende Lektiire ein positives Verstandnis anbieten; fiir die Beurteilung der so iiberaus reichen spateren Exegese ist es ebenso wichtig zu sehen, wie weit der aristotelische Text von dem traditio nell vorausgesetzten Bild - námlich ein bewuBt einheitlich komponiertes Werk zu sein - entfernt ist.

Die Zahl der kleineren Beobachtungen, die wir vorlegen wollen, hat zwei

Zentralpunkte. Im Hintergrund des vierten Buches sehen wir den EinfluB des

spateren Platon und seines Bemiihens, eine Reduktion εν-άόριστος δυάς durchzufiihren. Andererseits nehmen wir im zehnten Buch als Schlusselwort

den Begriff der άναλογία wahr, der vor Aristoteles nicht philosophisch be

1 Ludger Oeing-Hanhoff, Ens et unum convertuntur, Stellung und Gehalt des

Grundsatzes in der Philosophie des hl. Thomas von Aquin, Beitráge zur Geschichte

der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Bd. XXXVII, H. 3, Miinster 1953.

Etienne Gilson, Johannes Duns Scotus, Einfiihrung in die Grundgedanken seiner

Lehre, Diisseldorf 1959 (franzosisches Originál: Jean Duns Scot - Introduction a ses

positions fondamentales, Études de philosophie médiévale XLII, Paris 1952). 2

Vgl. Pierre Aubenque, Zur Entstehung der Pseudo-aristotelischer Lehre von der

Analogie des Seins, in: Jiirgen Wiesner (Hrsg.), Aristoteles: Werk und Wirkung, Paul

Moraux gewidmet, Bd. II: Kommentierung, (Jberlieferung, Nachleben, Berlin - New

York 1987 (S. 233-248), S. 233: "Im 19. Jh. hat man den hermeneutischen Begriff des Νeuplatonismus gepragt, um die Entwicklung oder sogar die Wende z.u markie

ren, die ab dem 3. Jh. n.Chr. innerhalb der Platonischen Tradition [...] eingetreten ist. Man spricht aber nicht von Neu-aristotelismus, als ob sich die Interpreten von

einer hinreichenden Einheit der aristotelischen Schule stets uberzeugt hatten."

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MARTIN POKORNÝ

nutzt wurde, noch in der spáteren Tradition eine entsprechende Wirkung

ausgeiibt hat. Der wahrscheinlich einfluBreichste Passus findet sich im zweiten Kapi

tel der Metaphysik Γ. Der Absatz, der fiir uns jetzt wichtig ist, beginnt 1003b 22 und geht bis 1004a 1. Lesen wir die ersten Zeilen:

Wenn dann das Seiende und das Eine dasselbe und eine Nátur sind

dank [der Tatsache, daBJ sie nacheinander folgen aufdie Weise eines

Prinzips und einer Ursache, aber nicht so wie Dinge, die durch einen

Begriff erklart werden (hatten xvir sie in demselben Sinne genommen,

machte das keinen Unterschied: es ist eher giinstiger)..?

Die Probleme dieses Arguments beginnen schon auf der textologischen Ebene. Wie Jáger in seiner Ausgabe bemerkt, zerbricht die ganze Passage den Zusammenhang des Textes, was schon Alexander aus Aphrodisias ge sehen hatte; einige Editoren (Schwengler, Christ) vermuten deshalb, daB die ser Abschnitt spater hinzugefugt wurde.4 Auf diese Anmutung werden wir

noch einmal zur Sprache kommen.

Das Seiende und das Eine sind als eine Nátur charakterisiert. Was soli das heiBen? Eine erste Hilfe mag ftir uns das "philosophische Lexikon" des Ari

stoteles, Metaphysik A, sein. Es ist nicht uninteressant, auf das Nacheinander

zu achten, in dem die ersten Schlagworte auftreten: άρχή, αίτιον, στοι

χεΐον, φύσις. Das einzige Wort, das in unserem Satz fehlt, ist στοιχεΐον; auch damit wird aber das Eine charakterisiert werden, namlich in 1052b 2-16. Im groben Umři β kčnnten wir sagen, daB der Zusammenhang dieser

Begriffe in einem Akzent auf Bewegung und Zuriickfiihrung liegt. Das be

státigt sich gewissermaBen durch die aristotelische Definition der φύσις: ή πρώτη φύσις και κυρίως λεγομένη εστίν ή ούσία ή των εχόντων άρχήν κινήσεως έν αύτοΐς η αύτά: "Die erste und im hochsten Sinne ausgesagte

Bedeutung der φύσις ist: das Wesen, das, als solches, in sich das Prinzip der

Bewegung hat."5 Als eine antizipatorische Hypothese konnen wir die Aus

3 Hier endet die Parenthese nach W. D. Ross (Aristotle's Metaphysics. A Revised

Text witli Introduction and Commentaiy [2 Bánde], Oxford 1924 [19584]) und Wer

ner Jáger (Aristotelis Metaphysica, recognovit brevique adnotatione critica instru

xit W. J., Oxford, Oxford Classical Texts 1957). Karl Bárthlein verschiebt sie bis

zu 1003b 33 (Die Transzendentalienlehre der alten Ontologie, I. Teil: Die Transzen dentalienlehre im Corpus Aristotelicum, Berlin 1972, S. 174, bes. Anm. 63).

4 Jáger, ibid., S. 60. Vgl. Christopher Kirwan, Aristotle, Metaphysics Books Γ, Δ

and E, translated with Notes, Oxford, Clarendon Aristotle Series 19932, S. 82. 5 1015a 14-15. Ich brauche nicht zu behaupten, daB die Bedeutung des Ausdrucks

an dieser Stelle vollig der Definition entspricht; das wtirde eine Auslegung des gan zen Kapitels erfordern, die hier nicht am Platz ist. Unsere Absicht besteht lediglich

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

drucksweise so resiimieren, daB beide, Seiendes und Eins, eine positive En titat, die eine initiatorische Rolle in einer - noch unbestimmten - Bewegung spielt, sein zu scheinen miissen.

Die zweite Charakteristik besteht darin, daB sie nacheinander folgen in

der Weise wie Prinzip und Ursache. Diese Bestimmung wird sehr wenig kommentiert, doch ist sie in der Tat im hohen MaBe enigmatisch. Soli das

Prinzip die Ursache der Ursache (und wessen Ursache ist dann diese?) sein? Der Satz rniiBte vielleicht so verstanden werden, daB beide - Seiendes wie auch Eines - Prinzip und Ursache sind, und zwar je des anderen. So eine

Behauptung ist sicher nicht leicht zu verstehen. Sind uns vielleicht noch an dere Moglichkeiten der Lektiire erschlossen?

Eine Altemative findet sich bei Tricot. Das Zeitwort άκολουθεΐν darf man als "begleiten" iibersetzen.6 Das gibt dem Satz einen guten Sinn; es ist dann aber notwendig vorauszusetzen, daB Prinzip und Ursache dieselbe Ex

tension haben.7 Aristoteles sagt zwar in seiner Exposition des Begriffes der

άρχή klar, daB alle Ursachen Prinzipien sind,8 deutet aber in keiner Weise

an, daB es seiner Meinung nach auch umgekehrt gilt - was in dem gegebe nen Kontext ziemlich nattirlich ware. Die Auffassung Tricots stimmt nicht mit z.B. der Interpretation Brockers iiberein, fiir den αίτιον einen engeren

Begriff bildet.9 Wir vermissen daher dringend einige Argumente fiir diese

Meinung; bei Tricot finden wir sie nicht. Aber auch wenn wir diese Hypothese als nchtig annáhmen - lost es die

Lage wirklich? Es ist wahr, daB άρχή und αίτιον von Aristoteles oft zusam

men benutzt werden,10 und eine Stelle konnte im Sinne der gesuchten zwei

darin, die wichtigste semantische Momente herauszugeben. Einzige Gegenalternative aus a 15-17 ist ή ϋλη, welche man gewaltsam und akontextuell als fregesche Bedeu

tung auslegen miiBte. αί γενέσεις και τό φύεσθαι zeigen beide wieder in unserer

Richtung. Vgl. Bonitz, Index und LSJ φύσις IV 1. 6 Cf. J. Tricot, Aristote: La Métaphysique, nouvelle édition entierement refondu

e, avec commentaire [2 Bánde], Paris 1962, Bd. 1, S. 7, Anm. 1: "άκολουθεΐν, obéir,

correspondre a, ětre corrélatif a, accompagner Cf. Bonitz 42: "par le verbe

άκολουθεΐν [...] Ar. denotat praedicari aliquem notionem de altera, ita ut hac po

sita, illa etiam ponenda sit 7

Tricot, Bd. 1, S. 179, Anm. 3: "Le principe est cause, et la cause, principe 8 πάντα γαρ χα αίτια άρχαί, Met. Δ, 1013a 17. 9 Walter Brócker (siehe Aristoteles, Frankfurt 19875, S. 52) konstruiert αίτιον

als τό πρώτον δθεν και εστίν και γίγνεται και γιγνώσκεται; vgl. Met. 1013a

18-19. Vgl. Kirwan (siehe Anm. 4), S. 123: "[F]rom the fact that every cause is an

origin it does not follow that the two words apply to the same things, and in fact no

thing under 'cause' in Δ 2 corresponds with e.g. the secotid sense of origin." 10 Siehe Bonitz, Index 112a 50-55, b 4-5.

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MARTIN POKORNÝ

ten Implikation gedeutet werden.11 Gleichzeitig ist es aber offensichtlich

nicht moglich, die beiden Begriffe durch wesentlich verschiedene Bestim

mungen zu erkláren; sie haben begrifflich sicherlich viel gemeinsam. End lich: άρχή oder αιτών als bloBe Privationen oder Negationen zu verstehen,

ist widersinnig. In einem solchen Falle sind uns alle die Auswege, die spater Averroes, Thomas und andere fiir die begriffliche Beziehung zwischen Ei nem und Seiendem anbieten werden, verschlossen, und die Bedeutung ist noch viel weniger klar als bei der ersten Alternative.

SchlieBlich besagt die dritte Charakteristik, daB Seiendes und Eines nicht durch eine einzige Leistung des Begreifens (ένι λόγφ) erklárt (δηλοΰν) wer den konnen. Die náchste Zeilen sollen ein Beweis dessen enthalten; leider

bieten die Manuskripte mehrere verschiedene Versionen an:

Es ist doch dasselbe [zu sagen] ein Mensch <und Mensch> und seiender Mensch <und Mensch>, und durch die Verdoppelung in der

Aussage sagt (δηλοΐ) man nichts unterschiedliches (ετερον) aus, [wie z.B. in den Folgenden:] [MSS Versionen:]

[a] ein seiender Mensch.

[b] es ist (= es gibt) ein Mensch und Mensch und seiender Mensch.

[c] der Mensch ist einer und der Mensch ist.

[d] Mensch und Mensch und ein Mensch.

[e] Mensch und seiender Mensch und ein Mensch.

[f] Mensch ist Mensch und es ist (= es gibt) Mensch.

(Es ist doch klar, dají sie sich weder im Entstehen noch im Vergehe/г

trennen.)

Die Glaubwiirdigkeit der Mčglichkeiten ist unterschiedlich und ihre

Beurteilung hángt je von der Interpretation ab. Wie aber Ross bemerkt, heiRt der nachste Satz ομοίως δέ και έπι του ένός (ahnlich ist es mít dem Eine), so da6 sich unser Passus mit dem Seienden bescháftigen soli. Dann, wie Ross sagt, "попе of the recorded readings is satisfactory" und eine neue Konstruktion wird notig.12 Ross schlágt "ein Mensch und ein seiender Mensch" vor,13 bei Jager heiBl es "Mensch ist einer und seiender Mensch ist

einer".14

11 δήλον δτι έτερον άρχή και στοιχεΐον- αίτια δ' άμφω, Met. Λ, 1070b 23-24.

12 Ross (siehe Anm. 3), Bd. I, S. 258. 13

Akzeptiert von Hugh Tredennick (Aristotle: The Metaphysics [2 Bandě], Lon

don - Cambridge (MA), Loeb Classical Library 1933, 1935).

14 Moglicherweise auch: "es gibt einen Menschen und es gibt einen seienden

Menschen."

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

So oder so, das Argument bleibt eher naiv. Erstens, was fiir eine Identitát

solíte hier bewiesen sein? Man hat uns schon vorher gesagt, daB Eines und Seiendes begrifflich verschieden sind; dann ist es aber wohl ungeeignet, ein semantisches Argument anzufiihren. Die abschlieBende Bemerkung zeigt wieder nichts mehr als empirisch beobachtetes Mitdasein, Koinzidenz; so etwas μία φύσις zu nennen, ist ziemlich stark und steht im Kontrast mit den

Topiken, wo Aristoteles streng unterscheidet zwischen τό τί ήν είναι, der

Essenz, und den ϊδια, den eigentiimlichen Eigenschaften, die zwar "konver tibel" sind, aber nicht die Essenz erklaren.15 Dazu kommt noch, daB der Ver fasser der Topik aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Frege zu lesen brauch te, um die Wichtigkeit des jeweiligen Satzkontextes zu erkennen. "Dies kann nur Mensch machen" bedeutet nicht dasselbe als "Dies kann nur ein Mensch

machen",16

Soviel zu der Argumentation; springen wir jetzt zu dem vorgelegten SchluB:

...so dafi wie viele Arten des Einen es gibt, soviele auch des Seien den, in Bezug aufdie die Washeit in gattungsweise derselben Wis

senschaft studiert wird (ich meine z.B. in Bezug aufdas Selbe und das Áhnliche und die anderen dieser Art).

Erstens ist es merkwiirdig, daB man aus den Arten des Einen auf die Ar ten des Seienden und nicht umgekehrt schlieBen soli.17 Zweitens aber sind

das Selbe, das Áhnliche usw. eindeutig klassifiziert als Arten des Seienden

(die aus dieser Deduktion herauskommen sollen). Das stimmt nicht mit dem zehnten Buch und ist in jedem Fall schwierig auszudeuten.

Was folgt, bezieht sich nicht mehr direkt auf die Problematik der Trans zendentalien.18 Wie oben erwahnt, halten wir es fiir unwahrscheinlich, daB

unsere Passage noch vor den Topiken, d.h. grundsatzlich vor der Begriin

dung des Lykeions verfaBt wurde. Jede vermutete spatere Redaktion des

15 ίδιον δ' έστίν δ μή δηλοΐ μεν τό τί ήν είναι, μόνω δ' υπάρχει και άντικατη γορεΐται τοΰ πράγματος, 102a 18-19, vgl. 103b 9-10.

16 Barthlein (siehe Anm. 3, S. 175) lóst die Schwierigkeit, indem er άνθρωπος als "die Bestimmtheit 'Mensch'" iibersetzt; dann aber mu β in 1003b 29-30 ein plotz liches Wechsel der Referenz vorliegen, was zu unwahrscheinlich ist.

17 Ungeachtet der Tatsache, daB, der klassischen Auffassung nach, man hier von

Gattungen sprechen solíte. Bárthlein (ibid., S. 179) iibersetzt so, als ginge die De

duktion vom Seienden zum Einen, im Griechischen ist es aber eindeutig umgekehrt. 18 Es bleibt problematisch, wohin unserer Text innerhalb des Kapitels gehórt.

Ross verschiebt 1004a 2-9 vor 1003b 19-36. Was in unserem Zusammenhang noch

wichtig ist: er folgt Natorp und streicht και τό εν in 1004a 5 (anwesendes in allen

MSS); Jager akzeptiert das.

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MARTIN POKORNÝ

Kapitels ist dann, meiner Meinung nach, nicht Aristoteles zuzuschreiben; in

einem solchen Falle wáren Korrekturen der Ungenauigkeiten zu erwarten.19

Und auf einen friihen Ursprung weist auch der vorletzte Satz des Textes hin:

σχεδόν δέ πάντα ανάγεται τάναντία είς την άρχήν ταύτη ν: "alle Gegen satze sind - so diirfen wir sagen - auf dieses Prinzip zuriickzufiihren."

Solch eine Bemiihung um letzte Reduktion auf εν-άόριστος δυάς ist nicht dem reifen aristotelischen Denken eigen - ganz zu schweigen von dem, was man normalerweise Aristotelismus nennt. Es ist eher zu verbinden mit

dem spáteren Platon, wie wir ihn aus dem Sophistes oder dem Philebos ken

nen, wje auch mit seiner sogenannten ungeschriebenen Lehre, so wie sie

bekanntlich vor allem von Gaiser und Krámer vertreten wird.20

Elders beschártigt sich in seinem Kommentar zum zehnten Buch mít die

sem Problém in extenso21 und beweist auf interessante und uberzeugende

Weise, daB man anhand dieses Motivs in der Entwicklung des Aristoteles einen wichtigen Bruch feststellen kann, der in der Absage an absolute Re

duktion, wie sie angedeutet wurde, besteht und in der Zugrundelegung der radikalen Áquivozitát des Seins, die ihren Ausdruck in der Kategorienlehre finden solíte.22 Es ist wichtig, daB in Γ 1-2 Aristoteles offensichtlich immer

19 Vgl. z.В. 1054a 16-17: das Argument lautet da, daB "X ist ein X" immer wahr

ist. Dagegen ist nichts einzuwenden. 20

Opus classicum ist Platons Ungeschriebene Lehre von Gaiser. Solche Auffas

sung hat wichtige epistemologische Konsequenzen: sie bedeutet, daB die Bemtihung, eine Wissenschaft iiber to 6v fj ov zu schópfen, eine begleitende Charakteristik die

ser reduktiven Tendenz ist, die mit der spateren Akademie zusammenhángt und die

der reife Aristoteles verlaBt. Siehe bes. Leo Elders, Aristote et 1'objet de la méta

physique, in: Revue Philosophique de Louvain 60 (1962), S. 165-183; vgl. z.B.

Met. Δ, 1016b 20-21. Siehe auch Г, 1005a 11-13: der Sinn des Ausdrucks ϋπόθεσις

entspricht dort dem Gebrauch Platons in dem Hohlgleichnis (Rep. 510b - 51 ld), nicht

der klassisch aristotelischen Bedeutung aus den Zweiten Analytiken.

Betrachtung dieser Art stimmt mit dem Worte des Hauptwerkes Aubenques (Le Probléme de l'Etre chez Aristote, Paris 1962; siehe bes. Introduction, La Science sans

Nom, S. 19-68) nicht zusammen, die Differenz geht aber nicht tief. Die interessan

teste Frage in diesem Zusammenhang ist, inwiefern die ontologische Motivation bei

Aristoteles explizit war. 21

Elders, Aristotle's Theory ofthe One, Assen 1960, S. 1-57. 22

Vgl. dazu Aubenque, Le Probléme, S. 207, Anm. 2: "[L]a découverte si radi

calement antiplatonicienne de Vhomonymie de Větre semble bien caractéristique de

la premiére période ďAristote et Γ on peut dire que toute son oeuvre métaphysique п'аига ďautre but que ďatténuer les conséquences de cette premiére qffirmation."

Vgl. auch Met. I, 1053b 22-24: οΰτε τό εν γένος ενδέχεται είναι δια τάς αύ

τάς αιτίας δι' ασπερ οΰδε τό δν ούδέ την οϋσίαν. Ich habe bisher keine zufrieden

stellende Ausdeutung dieser Stelle gesehen. (Fiir den einzigen Versuch siehe Tricot

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

nocn die Idee der absoluten Keduktion vertntt. Der schon zitierte urundsatz

von 1003b 36 - 1004a 1 wird 1004b 27-34 wiederholt auf eine Art und Wei se, die ganz eindeutig ist. Die Subordination der Bewegung und Ruhe unter

das Eine und die Zahl ist mit aller Wahrscheinlichkeit eine kritische Ankniip fung an Platons Sophistes. Daneben mochte ich noch darauf aufmerksam machen, daB die αριθμοί ή γραμμαί ή πυρ in 1004b 6 unmiBverstándlich auf die Pythagoreer und auf Heraklit hinweisen sollen; ihren parallelen Ver suchen um eine ěv-άόριστος δυάς Reduktion (wie Aristoteles ihre Lehre versteht) stellt er sich entgegen und will zeigen, daB seine Dyas - εν και πλήθος - allgemeiner ist. 1005a 2 sagt ohne groBere Weigerung, daB Eines und Vielheit Gattungen sind.

Die Lage sieht ahnlich fiirMet. I, 3-6.23 1055a 32 scheint wieder das Eine

generisch aufzufassen; 1055b 27-28 tut das eindeutig. Zweitens dann, 1054a 29-32 wiederholt die Subordination des Identischen, des Áhnlichen und des

[siehe Anm. 6], Bd. II, S. 538, Anm. 2.) Eine Móglichkeit ist, meiner Meinung nach, in Met. I, 10 zu finden: das Vergehende und das Unvergehende unterscheidet sich ge nerisch (bes. 1059a 10). Dieses Kapitel ist getrennt vom Reste des Buches (vgl. Elders, Aristotle's Theory, S. 190). Die Hypothese Elders, daB dieser Text friih ist

(S. 185-193 passim), braucht nicht bestritten zu werden. Wir konnen es verstehen als

Zeugnis tiber die priraare Motivation, die dann zu der Lehre Uber Áquivozitát des Seins fuhren solíte. Vgl. wieder Aubenque, Kap. Ontologie et théologie ou 1'idée de la philosophie, S. 305-411.

23 Wir íibernehmen hier die Teilung Elders, siehe Aristotle's Theory, S. 111 und 154. Kapiteln 7-9 formen wieder ein Ganzes; das zehnte Kapitel ist, wie wir schon bemerkt hatten, unabhangig.

Kleinere zeitliche Briiche und spatere Redaktionen sind zahlreich, siehe Elders

passim. Ein wichtiges Kriterium ist die Charakterisierung der στέρησις. Die Lage ist besonders unklar im vierten Kapitel: Nach 1055a 33, sowie 1055b 18, ist στέρησις als έναντίωσις zu klassifizieren, nach 1055b 3-4 ist es aber άντίφασίς τις. Das for

dert die Meinung Elders, daB 1055a 38 - b 11 eine spatere Interpolation darstellt

(ibid., S. 122). Stets aber bleibt 1055b 8-9, wo στέρησις und άντίφασις teilweise ge

geneinander gestellt sind. So ist es auch im siebten Kapitel des Buches (1057a 33-36). In Met. Γ 6, 101 lb 19 ist στέρησις definitorisch vorgestellt als άπόφασις άπό τίνος

ώρισμένου γένους, ahnlich Met. Δ, 1022b 32-33. Elders argumentiert anhand Phys. 192a 14 (siehe S. 49), daB die "kontrare" Auffassung die altere ist. Elders Lektiire ist

aber sehr fragbar. Die Privation wird in diesem Text offensichtlich passim kontrar

verstanden.

ÍJbrigens, die Stellung der Phys. A ist leider wieder unklar. Wir finden da wieder

die Prinzipien der absoluten Reduktion und die generische Auffassung des Seienden

(189a 13-14, b 25-27). Weiter ist hier die Móglichkeit gestattet, daB etwas numerisch

eins, aber spezifisch zwei ist (190a 15-16, 190b 23-24, dagegen vgl. z.B. Met. Γ, 1016b 35-36). Drittens, 184b 10-14 verbindet Definition mit diairetischer Tatigkeit

19

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Page 11: Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I

MARTIN POKORNÝ

Gleichen unter das Eine und der entsprechenden Gegensátze unter das Vie

le, die schon in Γ 2 durchgefiihrt wurde. Gleichzeitig ist das Áhnliche usw. aller Wahrscheinlichkeit nach mit den εϊδη in 1003b 21 zu identifizieren. Mochten wir solche Aussagen in den Rahmen etwa des Organons einreihen, begegnen wir groBen Problemen. Die ganze Situation vereinfacht sich sehr, wenn dieses Konzept im Kontext der platonischen διαίρεσις betrachtet

wird.24

Andererseits fmden wir in 11-2 ein unterschiedliches und sehr interessan

tes Modell.25 Doch auch hier begegnen wir ja beim ausfuhrlichen Durch

gehen vielen verwirrenden Angaben. Am Anfang teilt Aristoteles das Eine in vier Klassen und stellt fest, daB

sie eine Charakteristik gemeinsam haben: námlich, daB sie alle so oder so un

geteilt (αδιαίρετα) sind - entweder in Bewegung, oder im Denken (νόημα), d.h. im Begriff (λόγος).

1052b 1-15 legt eine Unterscheidung vor, die zweifellos ftirs Verstánd nis des Textes wesentlich wichtig ist; diese Distinktion ruft aber eigentlich mehr Fragen auf als jener Abschnitt, den sie zu erkláren helfen solíte. Eine

positive Ausnutzung wird allerdings nur bei einigen der dargestellten Pro bleme mčglich sein.

Aristoteles beginnt mit drei Fragestellungen, die nicht zusammenge mischt werden diirfen: 1. ποια τε εν λέγεται - wie sehen die Dinge aus, denen wir das Pradikat

"Eine" zuschreiben? 2. τί έστι τό ένν είναι - was ist die Seinsart des Einen, welche ist seine

Wesensbestimmung? 3. τίς αϋτοΰ (sc. του ενός) λόγος - was ist der Begriff, oder die Definition,

des Einen?

auf Art und Weise, die in der Zeit nach Anal. post. 91b 35-36 nicht moglich zu sein

scheint.

In den Topiken unterscheidet Aristoteles inmitten der αντικείμενα klar vier dis

tinkte Klassen: τά πρός τι, έναντία, στέρησις και έξις, αντιφάσεις {Top. 109b

17sqq., 113b 15sqq., 135b 7sqq.). Fiir die ganze Problematik der Gegensatze vgl. Elders, ibid., S. 37-57.

24 Vgl. Anal. pr. 46b 2 ή δέ διαίρεσις τουναντίον βοΰλεται und Anm. 23.

25 1053a 14 - b 8 ist problematisch. Zeilen a 14-24 benutzen die erste Person Plu

rál und erwáhnen die Unterscheidung zwei Halbtonen, die von Aristoteles' Schtiler

Aristoxenos stammt. Zeilen a 24-30 sprechen unpersónlich und resiimieren gut den

ersten Teil des Kapitels. Zeilen a 31 - b 3 sind im Gebrauch der ersten Person Plurál sehr emphatisch. Der SchluB scheint wieder, in guter Beziehung zum Rest des Tex tes zu stehen. Fiir ausfíihrlichen Kommentar s. Elders, ibid., S. 75-79.

Vgl. 1053a 19-20 mit Platons Pol. 262 a - 263 b; vgl. auch Phdr. 265 d - 266 a.

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Page 12: Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I

IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

Generell sieht man die letzten zwei Fragen als zusammengehorig an; die

gemeinte Unterscheidung ist dann die zwischen Ding und Essenz, Kon

krétum und Abstraktum, Extension und Intension.26 Dann aber ist es sehr

schwierig, den Sinn des nachsten Satzes einzusehen:

Γ) as 'Eine' wird einerseits ausgesagt in so vielen Bedeutungen, und jedeš [von denen]27 wird eines sein, bei dem sich irgendeine die ser Charakteristikenfindet; andererseits, 'Eines-zu-Sein' wird einmal eine von diesen sein, ein anderes Mal eine andere <von diesen>, die

auch naher dem Worte steht, wahrend jene der Wirkung.

Es ist klar, daB wie die "Bedeutung" (mit Frege zu sprechen), so auch der Sinn hier als áquivok zu fassen ist. Die Struktur ist, per litteram, doch trinár: auf der einen Stufe befinden sich die - qualitativ bestimmten - Dinge; auf der anderen τό ένί είναι, "die Essenz", und hier sind wieder zwei Pole zu unterscheiden: das Wort (δνομα) und die Wirkung (δύναμις).

Diese zwei Termini zu iibersetzen oder nur auch zu erklaren, stellt hier

ein groBes Problém dar. δνομα bedeutet an dieser Stelle sicher nicht "blo Bes" Wort, gleichweise δύναμις meint hier nicht Potenz, Moglichkeit.28 Der

folgende Satz deutet eher an, daB δύναμις gewissermaBen mit πράγμα

gleichzustellen ist. Diese Termini zu verstehen, miissen wir das folgende Beispiel einbeziehen:

Dus Feuer existiert namlich einerseits als Element, [...]29 anderer

seits nicht als solches. Es ist doch nicht dasselbe, 'Feuer-zu-Sein' und

'Element-zu-Sein', sondern ein Element ist das Feuer als ein Ding

und Nátur, das Wort bedeutet dann, dafi ihm dies zufallt: dafi etwas aus diesem als primar Inharierendem ist. So ist es auch betrejfend der

Ursache und des Einen und aller solchen.

Wir mussen im Gedáchtnis behalten, daB das, was hier betrachtet wird,

nicht "Feuer" ist, sondern "Element";30 dann aber suchen wir, da "das Wort"

26 In dieser Reihe: Elders, ibid., S. 68-69; Albert Schwegler, Die Metaphysik des

Aristoteles (4 Bánde), Frankfurt 1960 (Nachdruck der urspriinglichen Ausgabe), Bd.

4, S. 190; Tricot (siehe Anm. 6), Bd. II, S. 529, und Ross (siehe Anm. 3), Bd. 2,

5. 282. Dieser Alternative ist auch Bárthlein geneigt (S. 326) und Jáger deutet sie

mít der Interpunktion an (S. 195). 27 Bonitz und Jáger halten τούτων fiir unecht. 28 Contra Alexander, Schwegler und Tricot; siehe Ross, ibid., Bd. II, S. 282. 29 Die Problematik der Parenthese wíirde uns hier zu weit fiihren. Ich bin nicht

sicher, ob Phys. 205a 1-5 hier relevant sein konnte. 30 Die Betrachtung soli fiir εν, αίτιον und στοιχεΐον gelten. In b 7-8, nach einer

Diskussion des Einen, sind στοιχεΐον und αίτιον erwahnt; im Resiimee in b 15 dann

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Page 13: Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I

MARTIN POKORNÝ

(ονομα) in b 13 offensichtlich zum Element hinweisen muB, eine (mindes tens) duále Unterscheidung erfolglos. Eine allgemein iiberzeugende Aus

legung zu versuchen, ist, scheint es, vergeblich; der Text ist mit aller Wahr scheinlichkeit verdorben.31 Wir konnen aber zumindest ein Paar wichtiger Momente verdeutlichen, die nicht in den Kommentaren zu finden sind, und anhand der festgestellten Motive einen móglichen Zugang skizzieren.

In der Auffassung des Feuers laBt sich bei Aristoteles eine Entwicklung folgen. Noch in den Topiken ist Feuer der feinste Korper.32 Vermutlich spa ter kommt er aber zu der Neigung, daB es spezifische Behandlung verdient,

und in dem Corpus finden wir mehrere interessante Bemerkungen zu dieser

Frage. Das Wort Feuer unterliegt nach Aristoteles einer besonderen Homo

nymie,33 und das mag auch der Grund dafiir sein, daB es manchmal in der

Liste der Elemente fehlt.34 Fíir uns ist hier neben De gen. an. 736b 35, wo

πυρ als δύναμις bezeichnet wird, die wichtigste Stelle Meteor. 379a 16, wonach die anderen drei Elemente fiirs Feuer die Materie bilden.35 Das Feuer hat keine eigene Gestalt; es formt sich immer je nach der Nátur des Unter

liegenden.36 Die andere relevante Stelle findet sich in Met. Λ:

Ubrigens, wie konnte alles dieselben Elemente haben ? Keines der

Elemente - z.B. В oder A - капп namlich dasselbe sein wie das, was

aus den Elementen zusammengesetzt ist — z.B. BA (noch kann irgend einer der Denkinhalte ein Element sein, wie z.B. das Eine oder das

Seiende; diese namlich gehoren auch jedem der Zusammengesetz

řewj.37

Das Eine kann nicht in "die Einen" in der Weise der Materie eintreten, dann námlich diirfte das Ganze wohl nicht in vollem Sinne den Namen des Teiles tragen. Die Losung muB einen mehr flexibilen, "formalen" Weg fin den. Dieser Weg heiBt schon hier αναλογία.38 Aber kehren wir uns wieder zu unserem "elementaren" Beispiel zuriick.

αϊτιον und εν. Es folgt, daB b 9-14 iiber στοιχείο v ist. - So contra Elders, ibid., S. 69. Die anderen Kommentatoren lassen die Lage meistens unklar.

31 Vgl. Karl Bárthlein, Rezension an Elders (Aristotle's Theory), in: Archiv fiir

Geschichte der Philosophie 47 (1965), S. 206-216, siehe S. 210. 32 Siehe Bonitz, Index 661b 45-46. 33 Meteor. 340b 23, und siehe Meteor. 341b 21 und De gen. et corr. 330b 25-30. 34 De gen. an. 761b 11-12, Phys. 212b 21. 35

γή και ΰδωρ και άήρ [...] ΰλη τω πυρί έστι, vgl. De gen. et corr. 335a 17. 36 Siehe De gen. an. 761b 18-20. 37 1070b 4-8. 38 Siehe 1070b 17-19, 1071a 24-27.

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Page 14: Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I

IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

Es ist zu beachten, daB die beiden Parallelbegriffe - Element und Ursache - konstituieren sich, qua solche, offensichtlich nur in Interaktion. Sie wei

sen auch beide auf mogliche Wege der Erkenntnis hin: Element zu διαί

ρεσις, Ursache zu έπιστήμη. Ziehen wir jetzt noch die folgende Definition der Einheit hinzu:

Deshalb, 'Eines-zu-Sein' ist 'Ungeteiltes-zu-Sein', [...] im hóch sten Sinne dann 'Erstes-Mafi-in-jeder-Gattung-zu-Sein', und im herrlichsten Sinne 'Erstes-Mafi-in-der-Gattung-der-Quantitat-zu Sein'.39

Ich denke, daB das πρώτον μέτρον eine Allusion an πρώτον ένυπάρχον sein muB; der Gedankengang hat auch offensichtlich eine steigende Ten denz. Im Gegensatz zur traditionellen Ansicht verstehen wir also μέτρον als

die "essentielle" Bestimmung und άδιαίρετον als Eigenschaft, im besten Falle als ί'διον ("simul semper omnia").40 Wir sind deshalb geneigt, άδιαί

ρετον neben πράγμα τι και φύσις (b 12) zu stellen; άδιαίρετον driickt ei nen sachlichen, pragmatischen Aspekt aus. Andererseits ist μέτρον - im an

gedeuteten Sinne - eine formale Bestimmung. Das akzentuierte γιγνώσκειν in dem ganzen folgenden Absatz zeigt, daB das Eine - so wie Element und

Ursache - vorzuglich eine epistemische Rolle spielt. Die erste Stelle ist dann in der Definition fiirs quantitative Eine behalten.

Wir bekommen keine Spur vom transzendentalen, iiberkategorialen Ei

nen.41 Der Begriff (oder wohl: d i e Begriffe) des Einen ist/sind hier analo

39 1052b 15-19. Wir haben den mittleren Teil ausgelassen aus zweien Griinden:

erstens, seine Úbersetzung setzt interpretatorische Entscheidungen, die wir jetzt nicht

zu machen brauchen, voraus (vgl. Elders, ibid., S. 70-71); zweitens, die Authentizitat

dieser Zeilen ist verdáchtig (siehe Bárthlein, Die Transzendentalienlehre [siehe Anm. 3], S. 326-27, Anm. 228).

40 Расе R. E. Houser (Thomas Aquinas on Transcendental Unity: Scholastic and

Aristotelian Predecessors, Toronto. 1980 [Dissertation im Typoscript]), der das

Verhaltnis εν - μέτρον als eine Beziehung zwischen Essenz und (abgeleiteter) Eigen

schaft auszudeuten versucht (z.B. S. 72). Áhnlich Jan A. Aertsen (Medieval Philo

sophy and the Transcendentals: The Case of Thomas Aquinas, Leiden 1996, S. 206). Die Wiederholung in 1053b 4-6 ist eindeutig; vgl. auch Met. Δ, 1016b 17-19.

41 Wenn man von Transzendenz oder Transkategorialitat etwa bei Platon oder

Kant spricht, dann ist normalerweise ein exklusives Verhaltnis zum Bereich des Ka

tegorialen gemeint; das ist hier nicht der Fall. Im mittelalterlichen Kontext sind die

Transzendentalien immer in allen den Kategorien. Doch ist der Standpunkt von

AuBen, vgl. Anm. 45, und man kann von dem transzendentalem Einen problemlos reden ohne Bezug auf die Partikularitat der einzelnen Kategorien. Derselben Mei

nung ist Oeing-Hanhoff: "Diese Nametl werden 'transzendenť genannt, weil sie [...]

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Page 15: Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I

MARTIN POKORNÝ

gisch, aber nicht im Sinne der Thomistischen Schule,42 sondern im urspriing lichen Sinne der griechischen αναλογία, einer Gleichheit der Proportion zwischen zwei Paaren.43 Am Anfang steht die "metrische" Beziehung im

Bereich des Quantitativen; durch Vergleich mit Beziehungen in anderen Gebieten ist der Begriff "iibergangen" (έλήλυθεν, b 19-20). Der ganze Ge

dankengang hált sich ausschlieBlich im kategorialen Bereich; dank der struk turellen Analogie gilt er aber dennoch fiir eine jede Kategorie - fiir die Ka

tegorien i n s g e s a m t . Solch ein Begriff láBt sich dann mit vollem Recht auch transzendental nennen;44 es ist aber "hindurchgehende", nicht

"von AuBen" umfassende Transzendenz.45

Wir haben gute Griinde zu vermuten, daB das analogische Modell ein wesentliches Motiv des reifen aristotelischen Systems bildet. Es erweist sich als die beste Weise, die kategoriale Disparitát zu iiberbriicken, weil τό

άνάλογον in allen Kategorien ist,46 ohne die Selbstandigkeit der Kategorien zu beriihren. Es ermčglicht weiter, von Naturdingen zu Artefakten fort

alle Art- und Gattungsbegriffe iibersteigen [...]" (siehe Anm. 1, S. 115). Bei Aristo

teles, mochten wir betonen, gibt es kein transzendentales Eines als solches - oder nur

nominal: es ist eine Bezeichnung fiir eine Gruppe der Begriffe, deren Beziehungen zu den Kategorien eine Struktur der αναλογία bilden. Es iiberschreitet jede Gattung in dem Sinne, daB es in eine andere Gattung iibergeht.

42 Der aristotelische Hintergrund der mittelalterlichen Analogienlehre ist der Aus

druck προς εν λέγεσθαι, die Unterschiede sind aber tiefgreifend; vgl. Thomas, ISent.

dist. XIX, q. 5, a. 2, erstes Antwort. Vgl. Pierre Aubenque, Zur Entstehung... (siehe Anm. 2).

43 Siehe Poet. 1457 16-18, Met. Δ, 1016b 32-35, De an. 431a 22-29, EN 1131a

30-33. In EN 1096b 27-28 stehen προς εν λέγεσθαι und κατ' άναλογίαν λέγεσθαι zueinander im Kontrast.

Die Krone des Konigs und die Krone als Wahrung werden προς εν ausgesagt; das

Erste ist die Ursache des Zweiten. Die Krone des Konigs und die Krone eines Baums

werden κατ' άναλογίαν ausgesagt; das Verháltnis des Ersten zum Zweiten ist ahn

lich dem Verháltnis des Dritten zum Vierten. 44 Dieser Punkt wird zu unserem Leitfaden bei der Thomas-Lekttire. 45

Vgl. Anm. 41. So gegen Bárthlein, Die Transzendentalienlehre, S. 342-44, der

in 1054a 13 einen Bruch zu erweisen sucht.

Aertsen (S. 206) will auch das "circuit" des Thomas als "runs through" iiber

setzen, die Konnotationen des lateinischen Termins sind aber klar eher im Sinne "um

kreisen", "umgreifen"; vgl. 2Sent. dist. XXXIV, q. 1, a. 2, erstes Antwort: "[G\enus

[communiter] dicatur omne id quod sua communitate multa ambit et continet, et sic

bonům et malum dicatur genem omnium contrariorum [...]." "Communiter" steht

hier im Kontrast mit "proprie". 46 έν έκάστη γαρ τοΰ δντος κατηγορία έστί τό άνάλογον, Met. Ν, 1093b

18-19.

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Page 16: Impetus des Einen: Beitrag zur Begriffsgeschichte I

IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

zuschreiten.47 Es fiihrt uns zur Erkenntnis der ΰλη48 und ist hochst wichtig fiirs Verstandnis der Struktur der ganzen ontologischen Analyse.49 Das

Gleiche, urspriinglich είδος του ένός, ist auch άνάλογον.50 SchlieBlich scheint es, daB Aristoteles geneigt war, in dieser Weise auch das Gute auf

zufassen.51

Die Verwandtschaft der αναλογία bedeutet also eine Gleichheit des λό

γος im Sinne einer Proportion,52 eines Verháltnisses, und ist deshalb - dank

der Vielheit der moglichen Perspektiven - sehr flexibel und geeignet zum

philosophischen Gebrauch. Andererseits ist die Pradikation προς εν pragma tischer Nátur, und zugrunde liegt ihr nicht Gleichheit, sondern Ableitung. In der analogischen Struktur ist das erste Glied primus inter paria\ die προς εν Struktur bleibt immer klar zentriert zu einem Punkt. Einen mathematischen

Ausdruck zu verwenden: Analogie ist Einheit einer Funktion; προς εν ist Einheit eines Arguments.

II. Thomas

In dem vorangehenden Kapitel haben wir relativ ausfuhrlich gezeigt, daB die iiberlieferten aristotelischen Texte zur Frage des Einen verschiedene

47 Siehe Met. Η, 1043a 2-5. 48

Phys. 191a 8. 49 Met. Λ, 1070b 17-19. 50 Anal. post. 76a 38-40. 51 Siehe EN 1096b 28-29; vgl. 1131a 29 εστίν αρα τό δίκαιον άνάλογόν τι. Ge

rade in den ethischen Schriften begegnet Aristoteles der Pluralitát des Seins (d.h. die

Pluralitat der Seinswissenschaften) sehr scharf, siehe EN 1096a 23-34, ЕЕ 1217b 25 - 1218a 1.

Es bleibt fůr uns eine Frage, warum dann das analogische Modell in Met. Z nicht

angegriffen worden ist, obgleich es scheint, daB es in 1030a 27 -b 13 wohl am Platz

ware. Der Absatz stellt aber auch nach traditioneller Interpretation viele Schwierig keiten dar. Wie námlich der letzte Satz angibt, das Problém ist nicht, ob "Weifies"

(die 'WeiBheit'?), sondern ob "weisser Mensch" eine Definition hat, so daB die Pas

sage nicht anhand des abgeleiteten Seins der Akzidenten auszudeuten ist. (Fiir einen

móglichen, doch nicht ganz iiberzeugenden Ansatz siehe die ÍJbersetzung von Erwin

Sonderegger, Aristoteles, Metaphysik Z 1-12, Bern - Stuttgart

- Wien 1993, S. 249.) Ich ware deshalb geneigt, τό ποιόν im ganzen Passus im Sinne eines qualitativ be

stimmten Dinges zu betrachten. In der Definition solcher Entitát muB sich die Defi

nition des Dinges simpliciter wiederholen, wie es auch bei der προς εν Beziehung ist.

Ich bekenne aber, daB die Stelle, wie auch die ganze ίμάτιον Passage, mir keines

wegs klar ist. 52

'Proportio' im scholastischen Latein bedeutet nicht unsere Proportion, siehe

Aubenque, Zur Entstehung... (siehe Anm. 2), S. 235.

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MARTIN POKORNÝ

Phasen der denkerischen Entwicklung und damit unterschiedliche Auffas

sungen darstellen, zwischen den ziemlich starke Spannung herrscht. In be

zug auf Thomas miissen wir aber auch die anderen Einflusse, die in der Zwischenzeit entstanden sind und die fiir sein Denken eine entscheidende Rolle spielen, kurz vorstellen.

Der beriihmteste Tractatus de uno ist selbstverstándlich das Poem Περι

φύσεως des Parmenides. Die eleatische Einsicht hat einen hervorragenden, prázis durchgefiihrten und Interpretationen stimulierenden Ausdruck im Parmenides des Platon gefunden. Dieses Werk hat dann im Neuplatonismus an erster Stelle Proklos aufgenommen. In unserem Zusammenhang ist es

interessant, daB seine Interpretation des Dialogs auch im Rahmen einer γέ

νεσις των άντικειμένων stattfindet,53 wie auch daB in seinem Werk die viel leicht erste Formulierung der spáteren Argumentation aus nugatio vorliegt.54 Das Eine ist bei Proklos als transzendent (έξηρημένον) in sehr stárkem Sin ne aufgefaBt: es iiberschreitet auch das Seiende.55 Die Linie Parmenides-Pla

ton-Plotinos-Proklos findet dann ihren ersten groBen christlichen Vertreter

in Dionysios Areopagita, der das Eine als einen der gottlichen Namen setzt.56 Der dialektische ProzeB der negativen Theologie, wie noch spater von Jo hannes Eriugena beschrieben,57 mitklingt wohl standig in der Antwort des

Thomas auf die Frage An in divinis numerus sit.

Damit kommen wir schon zur anderen wichtigen Entwicklung, namlich

zum Hervortreten des Christentums. Die Frage der Trinitat, oder - genauer

- der Mannigfaltigkeit in Gott, stand freilich fiir die Dogmatik an einer der ersten Stellen. Nachdem sie Petrus Lombardus in seinen Liber Sententiarum

aufnahm und die Lektiire der Sentenzen dann noch zu einer der Bedingungen der akademischen Tátigkeit wurde, war ein Anwachsen der Aktivitat auf

diesem Felde wohl zu erwarten.

Noch von anderer Seite her kam die Kritik, die Averroes in diesem Punkt

gegen Avicenna geiibt hat. Avicenna untersucht, grob gesagt, sehr aus fiihrlich unsere ersten Begriffe, und daB das Eine in diesem Kontext eine

53 [...] περί τοΰ τρόπου διορίζομαι των αποφάσεων, ώς οΰκ εΐσί στερητικαί

των υποκειμένων άλλα γεννητικαι των οίον αντικειμένων. Theol. plat. II 10, 63

8-10 (zitiert nach Budé). 54 ού γαρ ταϋτόν εν τε [και] εν ειπείν και τήν ούσίαν εν· άλλα τό μεν οϋπω

λόγος, τό δέ ήδη λόγος. Theol. plat. II 2, 21 11-13. 55 Theol. plat. II 2. Vgl. z.В. II 6, 43 8-9 τό δέ εν απάντων όμοΰ τελέως έξήρη

ται; II 10, 63 18. Vgl. Plotin, Εηη. V, 5, 6, llsqq. 56 De div. пот. XIII. 57

Vgl. z.В. Periphys. I, 459D 1-4 Migne: "Essentia ergo dicitur Deus, sed pro

pria essentia поп est, cui opponitur nihil; hyperousios igitur est, id est, super essentialis."

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

gewichtige Rolle spielen muB, ist offensichtlich. Zu Avicenna selbst werden wir uns zuriickwenden, wenn wir zu Scotus gelangen, der seine Lehre wie

der aufgreift und in Schutz nimmt. An dieser Stelle braucht man nur an

zufiihren, daB die Auffassung Avicennas von Averroes im dritten Buch sei

ner Metaphysik stark attackiert wird und der Hauptpunkt der Kritik ist, daB Avicenna das numerale und transzendentale Eine, die streng zu unterschei

den sind, vermischt. Zum SchluB dieses Vorwortes sei eine Tatsache erwáhnt, die normaler

weise miBbeachtet wird. Wir haben gesehen, daB die aristotelischen Betrach

tungen immer vom Vergleich des Einen und des Seienden ihren Ausgang nehmen, und es wird gleich klarer, daB die scholastische Fragestellung be treffend des transzendentalen Einen stándig im Kontakt mit der Problematik Essenz-Existenz war. Dann ist es aber wichtig zu wissen, daB der klassischen

griechischen Philosophie, mithin selbstverstándlich auch Aristoteles, kein

Begriff der Existenz zur Verfugung stand.58 Charles Kahn analysiert im grie chischen είναι drei semantische Momente: den der Wirklichkeit im Sinne

wahr-(gesagt)-zu-sein ("veridical"), der Dauerhaftigkeit ("durative") und des Da-Seins ("locative")· Vom so verstandenen oder aus diesem entwickel

ten Sein zu sagen, es werde von Substanzen und Akzidenzien in Rahmen der

προς εν Struktur mitgeteilt, ist aber wohl etwas sehr Unterschiedliches, als

diese Struktur auf abstrakt aufgefasster Existenz anzuwenden.

Alle diese Tatsachen darf man wohl nicht vergessen, wenn die innerli

chen Spannungen der Losung des Thomas zu beurteilen sind. Zu unserer

Methode ist zu bemerken, daB die systematische Auslegung, wie auch die

Darstellung des historischen Hintergrunds, schon geniigend in den Studien

Oeing-Hanhoffs und Housers59 geleistet sind. Wir setzen diese Arbeiten vo

raus und verstehen unsere selektive Lektiire nur als ihre Erganzung.

* * *

58 Neben Kahn (The Greek Verb 'To Be' and the Concept ofBeing, in: Founda

tions of Language II [1966], S. 245-265, tschechische Úbersetzung: Řecké sloveso

'být' a pojem bytí, in: Mýtus, epos, logos, hrsg. Petr Rezek, PomFil 2, Praha 1991),

vgl. hier auch Suzanne Mansion, Le Jugement ďExistence chez Aristote, Louvain

1946, S. 242-244. 59 Ludger Oeing-Hanhoff, Ens et unum convertuntur, Stellung und Gehalt des

Grundsatzes in der Philosophie des hl. Thomas von Aquin (siehe Anm. 1); Rollen

Edward Houser, Thomas Aquinas on Transcendental Unity: Scholastic and Aristo

telian Predecessors (siehe Anm. 40). Houser bietet eine gute Einsicht in die textuel

len Grundlagen und Quellen der Thomanischen Einheitslehre, vorziiglich die arabi

schen, an. Allgemein ist seine Arbeit eher eine historisch-deskriptive als eine syste

matisch-interpretative.

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MARTIN POKORNÝ

Der Hauptmotiv der Thomistischen Auffassung ist die Unterscheidung zwischen unum quod convertit cum ente und unum quod est principium nu

meri, mit anderen Worten unum transcendens und unum in determinato ge ne re. Wie schon erwáhnt, diese Distinktion ist der Kritik, die Averroes an Avicenna geiibt hatte, entnommen. Fíirs Verstándnis beider Begriffe ist es freilich wesentlich zu wissen, wo die Grenzlinie verláuft. Wir werden spáter sehen, daB in den Texten mindestens zwei verschiedene Modelle vorzulie

gen scheinen. Jetzt beginnen wir mit dem, was Thomas zu den gerade ge forschten Passagen aus Aristoteles zu sagen hat.

In seinem Kommentar zum vierten Buch erwahnt Thomas alle die Grund

sátze, die seine Standardlosung bilden soli. Unum und ens sind real iden tisch, aber begrifflich unterschieden; das Eine bezeichnet eine Struktur (ordo) des Seienden zusammen mit dem Seienden selbst; ganz genau, unum

ist ens indivisum; und deshalb bedeutet das Eine kein Akzidenz, sondern immer die Wesenheit (substantia) in einer gewissen Hinsicht.60

Im náchsten Absatz61 kommt aber eine wichtige Reformulierung zu: das

Eine ist nichts Hinzugefiigtes (nihil additum). Das Argument per regressum lautet, daB die beiden Teile - das, was eins ist, und das Eine selbst - wieder durch etwas Drittes vereinigt werden miiBten, und so fort in infinitum. Dies

setzt voraus, daí.'> alles additum ein Akzidenz ist, was allgemeiner heiBt, daB

das Verháltnis zwischen beiden Konstituenten sich nicht rein innerlich auf fassen láBt. So aber braucht es nicht zu sein; ziehen wir nur die Lehre des

Thomas von actus essendi ein.

Anhand der Boethianischen Distinktion zwischen esse und quod est un

terscheidet Thomas bekanntlich zwischen essentia und actus essendi.62 Der

Akt des Seins fiigt zwar keinen quidditativen Inhalt hinzu, doch ist der Un terschied zwischen beiden Komponenten real, und actus essendi bezeichnet

nicht das Zusammengesetzte (das bekanntlich substantia heiBt), sondern nur den Moment, der fiirs Sein des Ganzen verantwortlich ist. Thomas geht so

gar so weit, zu sagen, daB esse - wohl nur in gewissem Sinne, doch aber -

ein Akzidenz ist.63

60 Siehe In Met. IV, lectio II, bes. nn. 553-54. 61

Ibid., n. 555. 62 Fiir die Exposition der Lehre und Hinweise zu Texten siehe Wippel (Essence

and Existence, in: The Cambridge History of Later Medieval Philosophy from the

Rediscovery of Aristotle to the Disintegration of Scholasticism 1100-1600, hrsg. Norman Kretzmann, Anthony Kenny und Jan Pinborg, Cambridge 1982, Кар. VI, 19, S. 385-410), S. 394-396.

63 Quodl. II, q. 2, a. 1: "[E].we quodpertinet ad quaestionem 'an esť est accidens

[...]. [...] [E]ííe est accidens, поп quasi per accidens se habens, sed quasi actualitas

cuiuslibet substantiae [...]."

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

Es scheint nahezuliegen, entweder nach demselben Modell auch das Eine

aufzufassen, oder den Einwand per regressum auch in diese Richtung zu

lenken. Die Frage drangt sich noch starker auf, da in unserem Text der an

gefuhrte Lehrpunkt auch ausgelegt wird:

Esse enim rei quamvis sit aliud ab eius essentia, поп tamen est in

telligendum quod sit aliquod superadditum ad modům accidentis, sed

quasi constituitur per principia essentiae.64

Der Kontrast ist dann aber leider ausgefiihrt nur mit unum principium numeri. Doch gibt uns Thomas wichtige Unterlagen:

Si enim unum [sc. determinatum ad speciále genus entis] est pro prium et per se accidens entis, oportet quod ex principiis causetur

entis in quantum ens, sicut quodlibet accidens proprium ex principiis sui subiecti.65

Es wáre nur konsequent, die unitas specifica als per principia essentiae,

unitas numerica als per principia entis [= substantiae] konstituiert zu ver

stehen. Es ist fiirwahr moglich, Charakteristiken der Einheit im Sinne desper se accidens, des Propriums bei Thomas zu finden,66 gleichzeitig aber stellt

sich unser Text dagegen, solche Bestimmung ohne weiteres als giiltig anzu nehmen.67 Die Frage ist wesentlich, um bestimmen zu kónnen, welcher Typ von Prádikation in Aussagen wie unum est ens indivisibile begegnet. Die tra ditionelle Definition per genus proximum et differentiam specificam soli es nicht sein.68 Hátten wir uns andererseits die postulierte identitas in re zum

Leitfaden genommen, dann wáre es bloRe uneigenliche Pradikation, wie z.B.

in "Dieses WeiBe ist gebildet". Obrigens heiBt es, daB in dem Significatum des Einen das Seiende beinhaltet ist. Es liegt wieder nahé, vom Proprium zu

reden, das aber gleichzeitig kein Proprium sein kann, vom Akzidenz, das keine positive Eigenschaft ist. Der Kontrast zwischen per accidens und actu

64 In Met. IV, lectio II, n. 558. 65

Ibid., n. 559. 66

Vgl. SGent. I, L, 5: "Per se autem accidentia entis, in quantum est ens, sunt

unum et multa 67 ".Dicebat autem [Avicenna] quod hoc unum [quod est principium numeri] con

vertitur cum ente, поп quia significat ipsam rei substantiam vel entis, sed quia signi

ficat accidens quod inhaeret omni enti, sicut risibile quod convertitur cum homine."

In Met. IV, lectio II, n. 557. 68 In Met. III, lectio VIII, n. 433. Die aristotelische Grundlage ist Met. B, 998b 14

- 999a 1, Top. 144a 36 - b 11. Vgl. aber In Met. IV, lectio II, n. 563: "[0]mnes par tes habent pro genere unum et ens."

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MARTIN POKORNÝ

alitas kann uns zwar wohl helfen,69 die Intention des Thomas mindestens im

Falle des Seins zu verstehen, streng genommen miissen wir aber antworten,

daB die Beziehung Potenz-Akt zwischen jeder Substanz und ihren Akziden zien besteht; zweitens dann finden wir kein Zeichen dafiir, daB auch ordo als actualitas zu verstehen ist. Wir vermissen so dringlich eine genaue Er

klárung. Das Einzelne, was uns Thomas - nicht nur hier, sondern allgemein - gibt, ist der Akzent auf den negativen Charakter der indivisibilitas\ allein auch diese Aussage ist instabil, als das Eine einen Zwischenfall zwischen

Negation und Privation bildet.70

Wenden wir uns jetzt zum Kommentar zum zehnten Buch. Thomas be

stimmt hier náher seinen Begriff des unum principium numeri. Der Zusam

menhang des numeralen Einen und der Kategorie der Quantitát wird hier auf sehr strenge Weise postuliert: das Wort des Aristoteles, daB das Eine in quo libet genere sit, wird ausschlieBlich im quantitativen Rahmen interpretiert.71 Der Begriff der mensura ist hier exclusiv an dies quantitative unum an

gebunden. Spater im Text finden wir zwar auch das Eine in anderen Kate

gorien erwáhnt,72 der ganze Passus scheint aber nur eine Paraphrase des

aristotelischen Textes zu sein, ohne eigenes Durchdenken; gleichzeitig ist auch nicht die theologische Problematik der Trinitat anwesend.

Gehen wir deshalb zu systematischen Werken des Thomas uber, wo uns,

meiner Meinung nach, an einigen Stellen die aristotelische, analogische Struktur wieder begegnet. In seinem Kommentar zu den Sentenzen73 befafit

Thomas von Anfang an das numerale Eine offensichtlich breiter als in dem

Metaphysikkommentar. Schon an der ersten Stelle, wo das numerale Eine erwahnt wird, geschieht

dies ohne Verbindung zur Quantitat:

69 Siehe Anm. 63. 70 Siehe Oeing-Hanhoff, ibid., S. 127. - Áhnliches Problém entsteht fiir die Be

ziehung zwischen Prinzip und Ursache, siehe In Met. IV, lectio II, n. 548: "Quaedam enim sunt unum quae consequuntur se adinvicem convertibiliter sicut principium et

causa", und V, lectio I, n. 760: "His etiam modis et causae dicuntur quaedam princi

pia." 71 In Met. X, lectio II, n. 1939: "unum in aliis speciebus quantitatis"; n. 1940:

"mensura cuiuslibet generis quantitatisn. 1944: "in omnibus aliis generíbus quan

titatis"·, n. 1958: "Nobis autem cognoscentibus et mensurantibus [...] cognoscimus

quanti sumus in quantitate corporali per mensuram cubitalem applicatam nobis."

Vgl. In Met. IV, lectio II, n. 559: "Unde unum quod determinatus ad speciále genus

entis, scilicet ad genus quantitatis discretae [...]". 72 In Met. X, lectio III, n. 1967-1973. 73 ISent. dist. XXIV, q. 1.

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

[l]llud quo mensuratur omnia quae sunt alicuius generis, est unum

illius generis. Sed Deus est primům quo mensuratur omneš substan

tiae [...]. Ergo videtur quod sit unum in genere substantiae.14

Dies videtur ist dann im Text bestátigt:

Unde patet quod illud in quo nulla est compositio partium [...] šumme et vere unum est. Et inde est quod sua unitas [sc. Dei] estprin

cipium omnis unitatis et mensura omnis rei. [...] [I]llud quod est sim

plicissimum, est mensura in quolibet genere,1S

Das numerale Eine ist so bewuBt angenommen als Begriff, der in allen

Kategorien vorkommen kann; solche Termini werden aber doch Transzen

dentalien genannt. Dies Eine ist íiberdies in die praedicatio divina zugelas sen. Und das gilt ungeachtet dessen, was wir ein wenig spáter lesen werden:

Loquendo autem de uno quod est principium numeri, поп potest transumi in divinam praedicationem quantum ad genus suum quod est quantitas, sed quantum ad differentiam suam quae ad perfec tionem pertinet, sicut indivisibilitas et prima ratio mensurandi vel

aliquid huiusmodi.16

Da wir schon erfahren haben, daB es MaBstabe in allen Gattungen gibt (und aus dem Kontext klar ist, daB es wirklich um die Kategorien geht), diir fen wir wohl fragen, in welchem Sinne dann quantitas unius genus est. Da

ferner in den nicht-quantitativen Kategorien das Eine offensichtlich ebenso

nur ad differentiam suam pradiziert werden kann, diirfen wir schlieBen, daB die untersuchte praedicatio divina in keiner eminenten Weise verlauft - min

destens nicht aus den angegebenen Griinden.

Wenn jetzt die beiden Einheiten in allen Kategorien vorkommen und beide durch Ungeteiltheit charakterisiert werden konnen, miissen wir fragen, wie sie sich zueinander verhalten, besonders weil Thomas in der vorletzten

zitierten Passage von der "transzendentalen" auf die "numerale" Ungeteilt heit zu schlieBen scheint. Unsere Zweifel wachsen insofern weiterhin, als sich in demselben Zusammenhang auch Thomas' Kritik der Auffassung sei nes Lehrers, des Albertus Magnus, findet.77 Houser vermutet, daB die Moti vation der Kritik im scharfen Unterscheiden der beiden Einheiten liegt;78 wir haben aber gesehen, daB gerade in diesem Text die Distinktion eher unkla rer ist als sonst.

74 Ibid., а. 1, zweites contra.

75 Ibid., Corpus ad fin.

76 Ibid., erste Antwort.

77 Ibid., a. 3, Corpus.

78 S. 244-245.

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MARTIN POKORNÝ

Die Suché nach dem cui bono taucht viel starker auf, da die Kritik be

achtenswert schwach ist. Das Kernargument lautet, daB privatio поп est nisi

in animci. Nicht nur daB so etwas nicht notwendig ist,79 sondern es scheint

stark zweifelhaft, ob eine solche Position iiberhaupt haltbar ist. Da Privation einer der Konstituenten der Bewegung ist, wiirden wir so wohl deduktiv zu einer pseudo-berkeleyischen Auffassung kommen, und das ist nur eine der vielen unglaubwurdigen Konsequenzen.80 Wenn wir dann das angegebene Resiimee betrachten, so sehen wir, daB Thomas den Hauptpunkt der Analy se Alberts weggelassen hat, námlich die verschiedenen Perspekti v e η , in denen das Eine verstanden werden kann.81

Der Sentenzkommentar stellt vermutlich eine Zwischenposition dar.

Wenn wir uns jetzt den spateren Werken zuwenden, namlich der Summa

theologiae und der Schrift De potentia, so stellen wir fest, daB wir dort einer

seits betreffend der Moglichkeit, daB das numerale Eine in der praedicatio * divina gestattet wáre, in keinem Zweifel gelassen werden; andererseits aber

heiBt es hier, daB die Geteiltheit, die im transzendentalen Einen negiert wird, durch eine Entgegengesetztheit der Formen entsteht und daB das transzen

dentale Eine zu einer transzendentalen Zahl fiihrt.82 Wir sehen also eine re

ziproke Bewegung zu dem, was in dem Sentenzkommentar stattgefunden hat: hier ist es nicht das numerale Eine, das transzendental wird, sondern das

transzendentale Eine wird umgekehrt zu einem principium numeri. Die dis

tinctio formalis darf wahrscheinlich als eine Annaherung an Alberts forma terminans angesehen werden; in jedem Fall aber fehlt dann Reaktion auf die

Feststellung Alberts, daB in divinis keine distinctio formalis besteht. SchlieB

79 Vgl. Houser, ibid., S. 7.

80 Dann wáre z.B. die Blindheit nur in der Seele. Zu den theologischen Konse

quenzen vgl. z.B. 2Sent. dist. XXXIV, q. 2. 81

Albertus, lSent. dist. XXIV, a. 1, solutio. 82 De pot. q. 9, a. 7, Corpus #7: "Est autem quaedam divisio quae omnino genus

quantitatis excedit, quae scilicet est per aliquam oppositionem formalem, quae nul

lam quantitatem concernit. Unde oportet quod multitudo hanc divisionem conse

quens, et unum quod hanc divisionem privát, sint maioris communitatis et ambitus

quam genus quantitatis." STh. q. 30, a. 3: ".Alia est divisio formalis, quae fit per op

positas vel diversas formas: et hanc divisionem sequitur multitudo quae поп est in

aliquo genere, sed est de transcendentibus, secundum quod ens dividitur per unum et

multa." "Nos autem dicimus quod termini numerales, secundum quod veniunt inprae dicationem divinam, поп sumuntur a numero qui est species quantitatis; [...] sed su

muntur a multitudine secundum quod est transcendens." Vgl. Oeing-Hanhoff, ibid., S. 134. Die Idee des numerus transcendens muB ziemlich spát sein, vgl. z.B. auch

Quodl. X, q. 1, a. 1, Corpus. Fíir Datierungen siehe Lexikon ftir Theologie und Kir

che, hrsg. Josef Hofer und Karl Rahner, Freiburg 19652, Bd. X, col. 121-122.

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IMPETUS DES EINEN: BEITRAG ZUR BEGRIFFSGESCHICHTE

lich tritt dann hier ein hermeneutischer Punkt ein: hatten vielleicht Avicenna - oder andere kritisierte Verfasser - nicht uber die transzendentale Zahl ge

sprochen? Im allgemeinen sind wir geneigt, das Grundproblem im EinfluB des

Averroes zu sehen. Der Kommentator, den Thomas vermutlich als legitimen Deuter des Aristoteles sah, drangt Thomas, explicite an der Distinktion unum transcendens - unum principium numeri immer streng festzuhalten; wenn

sich aber dann die anderen Einfliisse, vornehmlich Albertus und Aristoteles

per se, zum Wort melden, entstehen oft Diskrepanzen. Die ganze Entwick

lung der Einheitslehre scheint uns so durch eine Oszilation zwischen einem fiihrenden Grundsatz und einer subtilen Suché nach erschlossenen Moglich keiten charakterisiert zu sein. Bei Duns Scotus konnen wir dann verfolgen, wie die Lage nach Verlassen des Grundsatzes aussieht.

(Fortsetzung folgt)

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