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Individualisierung im Unterricht – das pädagogische Thema der
Epoche?
Herbert AltrichterJohannes Kepler Universität Linz
Individualisierung und Differenzierung des Unterrichts ist das „Thema der Epoche“ Mats Ekholm
Individualisierung im Unterricht – das pädagogische Thema der Epoche?
1. Heterogenität im Unterricht
2. Produktives Umgehen mit Heterogenität
3. Befunde der Schul- und Unterrichtsforschung
4. Voraussetzungen und Bedingungen für den produktiven Umgang mit Heterogenität
Schülerprofile einer KlasseSchüler-Profile einer heterogenen HS-Klasse
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MATKOMP – Grundkompetenzen in Mathematik -Aufbau des Testverfahrens
Zahlen-verständnis,Rechnen und
Statistik(ZRS)
Größen,Maße und
Verhältnisse(GMV)
Algebra undFunktionen
(ALF)
Raumvor-stellung und
Grund-tatsachen der
Geometrie(RGE)
Gesamtwert
44 Aufgaben aus TIMSS
Modellbilden (MOD)
Interpretieren (INT)
Operieren (OPR)
Zwei Schüler mit "Genügend"
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zrs gmv alf rge mod opr int ges
Schüler 2 Schüler 13
„Heterogenität“ = „Verschiedenartigkeit“
= „Abwesenheit von Gleichartigkeit“?
„Homogenität“ = „Abwesenheit von Vielfalt“?
Jahrgangsklasse
• Alter als „plausibles … Differenzierungskriterium für die Einrichtung schulischer Lehrveranstal-tungen“, durch das Stoffpensen, Lernen und Bewertungsverfahren synchronisiert werden sollen“
• ökonomische Bewältigung der Massenbildung• Gesellschaftspolitisches Symbol für „Gleichheit
aller Schüler“ Vorbedingung für das „Leistungsprinzip “
weitere Strategien zur Reduzierung der Komplexität
• Schulformen / Schultypen• Selektionswesen mit Prüfung, Aufstieg und
Sitzenbleiben• Verschiedene Differenzierungsmaßnahmen
Werden Schulklassen durch diese Maßnahmen „homogen“?
• Friedrich Herbart: „Verschiedenheit der Köpfe“ • Ernst Christian Trapp: Pädagogik der „Mittelköpfe“ • Hirnforschung: zwischen dem Lern- und dem Entwicklungsalter
kann ein Unterschied von bis zu vier Entwicklungsjahren liegen • Die besten deutschen HauptschülerInnen erreichen mittleres
gymnasiales Niveau, schwächere GymnasiastInnen wären auch in vielen Hauptschulen nur Mittelmaß (vgl. Artelt et al. 2001, 121)
• Österreich: relativ große Überschneidungen in Intelligenztests zwischen AHS-Unterstufe und dritter Leistungsgruppe der HS (Eder 2001, 156)
„System jagt Fiktion. Die homogene Lerngruppe“ (Tillmann (2004)
Dimensionen der Unterschiedlichkeit• Erfahrungshintergrund – nach ihrer sozialen, kulturellen,
nationalen Identität, Erziehungsstile der Eltern etc. • Kenntnisse und Vorerfahrungen, Leseverhalten,
Fernsehkonsum ... • allgemeine Fähigkeiten und Begabungen –
Konzentrationsvermögen, abstraktes und logisches Denken, künstlerische Fähigkeiten, sportliche Eigenschaften etc.
• Persönlichkeitsmerkmale, wie Schüchternheit, Offenheit, unterschiedliche Lerntypen etc.
• Arbeitshaltung – Durchhaltevermögen, zielgerichtetes Arbeiten, Ehrgeiz, Langsamkeit, Entmutigung, Unsicherheit etc.
• Arbeitstechniken im Umgang mit angebotenen Lernmaterialien • Motivation und Einstellung zu bestimmten Unterrichtsfächern • Arbeits- und Lerntempo, Ausdauer, Lernorganisation• Leistungen
Gründe für das aktuelle bildungspolitische Interesse
PISA-ErgebnisseGlobalisierter Wettbewerb:
gesellschaftliche Potentiale bestmöglich fördern (Finnland: zwischen den Ohren …)
Abb. 1: Prognose der 15jährigen in Oberösterreich (vgl. AKOÖ et al. 2005)
6.0006.500
7.0007.500
8.0008.500
9.0009.500
10.000
Männer
Frauen
Gründe für das aktuelle bildungspolitische Interesse
PISA-ErgebnisseGlobalisierter Wettbewerb:
gesellschaftliche Potentiale bestmöglich fördern (Finnland: zwischen den Ohren …)
Lehrplan verlangt IndividualisierungBessere Verfügbarkeit von
Unterrichtsmaterialien„neue“ (konstruktivistische) LerntheorienIndividualisierung in der Gesellschaft
Individualisierung im Unterricht – das pädagogische Thema der Epoche?
1. Heterogenität im Unterricht
2. Produktives Umgehen mit Heterogenität
3. Befunde der Schul- und Unterrichtsforschung
4. Voraussetzungen und Bedingungen für den produktiven Umgang mit Heterogenität
Wie produktiv mit der Heterogenität der SchülerInnen umgehen? (Weinert 1997)
• Ignorieren der Lern- und Leistungsunterschiede (passive Reaktionsform)– Orientierung am Durchschnitt
• Anpassung der SchülerInnen an die Anforderungen des Unterrichts (substitutive Reaktionsform)– organisatorischen Maßnahmen (Zurückstellung vom
Anfangsunterricht, Klassenwiederholung, äußere Differenzierung)
– psychologische Trainingsprogramme für systematische Intelligenzförderung, Gedächtnisschulung, Lernenlernen, Motivationssteigerung
Wie produktiv mit der Heterogenität der SchülerInnen umgehen? (Weinert 1997)
• Anpassung des Unterrichts an die lernrelevanten Unterschiede zwischen den SchülerInnen (aktive Reaktionsform)– adaptiver Unterricht
• Gezielte Förderung der einzelnen Schüler Innen durch adaptive Gestaltung des Unterrichts (pro aktive Reaktionsform)– Lernmöglichkeiten frühzeitig diagnostizieren – optimistisch interpretieren – differenzielle Lernziele
• Basiscurriculum mit fundamentalen Lernzielen für alle • Aufbaucurriculum für unterschiedliche Lernvoraussetzungen und
verschiedene Interessensrichtungen – adaptiver Lehrstil (mit betonter Individualisierung) – genügend nachhelfende (remediale) Instruktion zur
Realisierung der basalen Lernziele
Begriff: Differenzierung
• Allgemein: Bildung von Lerngruppen innerhalb der Organisationsstruktur des Schulsystems – bezogen auf unterschiedliche Kriterien
Differenzierung
Äußere Differenzierung
Innere Differenzierung
längerfristige Zuweisungzu verschiedenen Lerngruppen
temporäre Differenzierung innerhalb einer
Klasse oder Lerngruppe
Differenzierung
Äußere Differenzierung
• Schultypen• Jahrgangsklasse• Leistungsgruppen• „Profilklassen“• „Wahlkurse“
Innere Differenzierung
• durch didaktische Maßnahmen
Begriff: Individualisierung
• Individualisierung ≠ Einzelarbeit• Konsequentes Denken von den
Lernwegen des/r SchülerIn aus: Der Heterogenität der Schülerinnen durch unterschiedliche Lernwege gerecht werden, um sie bestmöglich zu fördern
Förderplan
Grundbausteine individualisierten Unterrichts
Lerndiagnosendifferenzierte und individualisierte Lernaufgaben
Unterschiedliche Ziele: Fundamen-tum – Additum
Lernberatung und Instruktion
Rückmeldung für SchülerInnen
eingebettet in flexible Unterrichtsformen
Materialien und Räume
PassendeLeistungs-feststellung und -beurteilung
ökonomisches System zur Dokumentation von Lernstand, Fördermaß-nahmen und Diagnosen
Lehrer-Einstel-lung – respekt-volle Beziehung
Lerndiagnosendifferenzierte und individualisierte Lernaufgaben
Unterschiedliche Ziele: Fundamen-tum – Additum
Lernberatung und Instruktion
Rückmeldung für SchülerInnen
eingebettet in flexible Unterrichtsformen
Materialien und Räume
PassendeLeistungs-feststellung und -beurteilung
ökonomisches System zur Dokumentation von Lernstand, Fördermaß-nahmen und Diagnosen
Lehrer-Einstel-lung – respekt-volle Beziehung
Schülerfähigkeiten und ‑bereitschaften für indiv. Lernen
Lehrer-kompetenzen
Individualisierung im Unterricht – das pädagogische Thema der Epoche?
1. Heterogenität im Unterricht
2. Produktives Umgehen mit Heterogenität
3. Befunde der Schul- und Unterrichtsforschung
4. Voraussetzungen und Bedingungen für den produktiven Umgang mit Heterogenität
Wie häufig kommt I/D in österreichischen Schulen vor?
PISA 2003 (Haider/Schreiner 2003, 299): „ich bekam vom Lehrer speziell für mich angepasste Aufgaben oder Übungen“
• 72 % nie oder fast nie in Mathematik-Stunden erlebt • 4 % in jeder M-Stunde• 8 % in den meisten M-Stunden• 17 % in einigen M-Stunden
• Im internationalen Vergleich: Österreich gehört zu den Ländern, in denen Schüler am wenigsten Unterstützung durch die Lehrkraft im Mathematikunterricht, ähnlich im Deutschunterricht berichten (Schwantner et al. 2006, 309f)
Wie häufig kommt I/D in österreichischen Schulen vor?
• Individualisierung und Ergebnisorientierung gehen in HS und AHS mit zunehmender Schullaufbahn massiv zurück (Eder 2007, 125)
zwischen 1994 und 2005 : • „In beiden Schultypen deutliche Zunahme an
Leistungsdruck, eine Zunahme bei der Störneigung der Schüler/innen sowie einen Rückgang an Mitsprachemöglichkeiten und Schülerbeteiligung.“ (Eder 2007, 111)
Wie häufig kommt I/D in österreichischen Schulen vor?
48 % Hauptschulen mit Leistungsgruppen
54 % AHS
69 % Hauptschulen ohne Leistungsgruppen
96 % Hauptschulen mit mehr als einer Lehrperson (Mayr 2001)
Effekte von Individualisierung und Differenzierung im Unterricht?
• individualisierte Unterstützungsstrukturen entweder im Unterricht selbst oder ergänzend zum Unterricht = Charakteristikum besonders erfolgreicher Bildungssysteme (z.B. Arbeits-gruppe internationale Vergleichstudie 2003)
Effekte von Individualisierung und Differenzierung im Unterricht?
• überfachliche Ziele:– Klima in Klassen mit offenem Lernen war „signifikant und
erheblich günstiger“ – SchülerInnen erlebten mehr schülerzentrierter Unterricht,
weniger Sozial- und Leistungsdruck– weniger Schulmüdigkeit, Schulangst, psychovegetative
Beschwerden, Nicht-Auskennen im Unterricht und erlebte Ablehnung durch Lehrkräfte
– Umgang mit Schwierigkeiten: eher Problemlösungen durch Reflexion und Kommunikation statt emotional-aggressive Reaktionen
• fachliche Ziele:– TIMSS-Leistungstests: keine Unterschiede im Gesamtwert,
in einigen Teilbereichen leichte Vorteile für die SchülerInnen (vgl. Eder 1999).
Effekte von Individualisierung und Differenzierung im Unterricht?
• „begrenzt heterogen zusammengesetzte Klassen bei ausreichender Nutzung innerer Differenzierungsmöglichkeiten (gelegentliche Bildung homogener Lerngruppen bei bestimmten Aufgabenstellungen) bieten viele soziale, pädagogische und didaktische Vorteile“ (Helmke/Weinert 1997, 93)
Unterschiedliche Effekte auf unterschiedliche Schülergruppen
• Vergrößerung der Leistungsunterschiede zwischen SchülerInnen Basisziele, „Additum“ Schülerkompetenzen für Individualisierung
• Zusammenhang zwischen Schülereinstellungen und
Unterrichtsformen, z.B. „(Un-)Gewissheitsorientierung“• Bezugsgruppeneffekte: „sozialer Vergleich ist in
heterogenen Gruppen einen Belastungsfaktor für leistungsschwächere Schüler(innen) (insbesondere beim Selbstbild)“ (Tillmann/Wischer 2006)
Charakteristika erfolgreichen Lehrerhandelns?
• Einstellung von Lehrpersonen: Heterogenität ist nicht Belastung, sondern „als Bereicherung … und als Chance für gegenseitige Lernanregungen“
• Diagnose- und Methodenkompetenz
Individualisierung im Unterricht – das pädagogische Thema der Epoche?
1. Heterogenität im Unterricht
2. Produktives Umgehen mit Heterogenität
3. Befunde der Schul- und Unterrichtsforschung
4. Voraussetzungen und Bedingungen für den produktiven Umgang mit Heterogenität
Welche Bedingungen sehen LehrerInnen als entscheidend für I/D-Unterricht?
• LehrerInnen von Notwendigkeit der Differenzierung überzeugt (vgl. Roeder 1997, 241f)
• Klage über Belastungen - Bevorzugung „vielfältiger kleinerer, unspektakulärer Formen des Eingehens auf die individuelle Eigenart der SchülerInnen“ (Mayr 2001)
Welche Rahmenbedingungen fordern bzw. fördern innere Differenzierung?
• Heterogene Lerngruppen• Zweitlehrersystem • Gruppengröße? • Schülerkompetenzen für I/D:
– aktive Rolle als Lernende– selbständig mit komplexeren Texten zu arbeiten– „partnerschaftlich und diszipliniert zusammenarbeiten“
• Positive Lehrer-Einstellung zur Lerngruppe • Vorhandensein diagnostischer Bewertung und
gezielter Hilfen • Verfügbarkeit differenzierten und
schüleraktivierenden Lernmaterials (inkl. Nutzung neuer Medien)
schulische Faktoren
• assessment for learning – (u.a. formative Lerndiagnose, Förderung von Peer- und Self-
Assessment, Setzen persönlicher Lernziele)• curriculum entitlement and choice
– (u.a. Schaffen von Wahlmöglichkeiten für Schüler, Materialentwicklung)
• a student centred approach to school organisation – (u.a. stärkerer Fokus des Personals auf Lehren/ Lernen,
dazu passende Organisation des Schultags und der Schularchitektur, schuleinheitliche disziplinarische Regeln)
• strong partnership beyond the school – (u.a. Elternarbeit, Netzwerke, Kooperation mit
außerschulischen Einrichtungen und Firmen)
Zielkomplexe
(1) Anerkennung je individueller Besonderheit als Anspruch und Menschenrecht
(2) Fachliche Leistungen
(3) methodische, soziale und Selbstkompetenzen
(4) Gesundheit und Belastung von SchülerInnen und LehrerInnen
Wie können LehrerInnen
unter realistischen Bedingungen machbar
produktiv mit der Heterogenität von SchülerInnen umgehen?
Danke
Gegenargumente
• Aufwendig• Störung sozialen Lernens• führt zu einer Differenzierung zwischen Schwachen
und Starken (‚größere Schere‘)
MachbarkeitUnterstützende MaterialienUnterstützende RahmenbedingungenUnterstützende KollegInnen, Eltern
Was hat noch zum Interesse an Individualisierung und Differenzierung beigetragen …
„neue“ (konstruktivistische) Lerntheorien
(1) Lernen ist eine Aktivität der Lernenden
(2) "Situiert und anhand authentischer Probleme lernen
(3) In multiplen Kontexten lernen
(4) Unter multiplen Perspektiven lernen
(5) In sozialen Kontexten lernen
(6) Lehren – derart anregende und förderliche Lernumgebung aufbauen
Strategien
• Lerndiagnose aktuelle Stärken oder Defizite in spezifischen Teilbereichen
• Festhalten: Dokumentation des Lernstandes, „Förderplan“
• Differenzierte und individualisierte Lernhilfen• Differenzierte und individualisierte Lernaufgaben
– Angebote für das Üben, Wiederholen und Anwenden für Schüler/innen, die Lerndefizite beheben müssen
– Fundamentum – Additum: Zusatzaufgaben, interessante Anwendungen und Übertragungen für Schüler/innen, die in der Erarbeitung im Durchschnittstempo unterfordert sind und bei Gefahr, dass Motivation und Aufmerksamkeit schwinden
– Bearbeitung von Teilthemen nach eigener Wahl, Interesse und nach eigenem Plan, selbstständige Themenfindung und –bearbeitung im projektorientierten Lernen.
Wie?
Differenzierung nach Quantität bzw. Lerntempo: • Stoffumfang • Anzahl der Übungsbeispiele, die zur Festigung nötig sindDifferenzierung nach Qualität bzw. Leistungsvermögen • Schwierigkeitsgrad und Komplexität • Übungsangebot für unterschiedliche Lernzugänge hinsichtlich
Lerntypen • unterschiedliche Anforderungen an Lernerprodukte, z.B.:
Plakate, Referate, Projektzeitungen, • Grad der SelbständigkeitDifferenzierung nach Interesse • Differenzierung nach Interesse - WahlDifferenzierung in unterschiedlichen Sozialformen • Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit
Grundbausteine individualisierten Unterrichts
• Lerndiagnosen• differenzierte und individualisierte Lernaufgaben• Unterschiedliche Ziele: Fundamentum – Additum• Lernberatung und Instruktion durch Lehrperson• eingebettet in flexible Unterrichtsformen• Inhaltsreiche und ermutigende Rückmeldung für SchülerInnen• Eine Form der Leistungsdokumentation und -beurteilung, die
dem allen nicht widerspricht• ein ökonomisches System zur Dokumentation von Lernstand,
Fördermaßnahmen und Diagnose („Förderplan“)• Materialien und Räumlichkeiten• Schülerfähigkeiten und ‑bereitschaften für individualisiertes
Lernen• „optimistische Lehrereinstellung“• Lehrerkompetenzen