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Jennifer Kresitschnig | Sabrina Pohle
Auf der Suche nach demAuf der Suche nach demgeheimnisvollengeheimnisvollen
DrachenDrachenLilly und Nikolas in Kärnten
Biber & Butzemann
Jennifer Kresitschnig | Sabrina Pohle
Auf der Suche nach demAuf der Suche nach demgeheimnisvollen Drachengeheimnisvollen Drachen
Lilly und Nikolas in Kärnten
Biber & Butzemann
Besuchen Sie uns im Internet unter www.biber-butzemann.de
© Kinderbuch-Verlag Biber & Butzemann Geschwister-Scholl-Str. 715566 SchöneicheDeutschland
1. Auflage, Juni 2012
Alle Rechte vorbehalten. Die vollständige oder auszugsweise Speicherung,Vervielfältigung oder Übertragung dieses Werkes, ob elektronisch, mechanisch,durch Fotokopie oder Aufzeichnung, ist ohne vorherige Genehmigungdes Verlags urheberrechtlich untersagt.
Text: Jennifer KresitschnigIllustrationen: Sabrina PohleSkizzen: Juriaan MandersLayout und Satz: Andrea Jäke/Sten Fischer (www.sten-foto.de)Lektorat: Steffi Bieber-GeskeKorrektorat: Peggy BüttnerDruck und Bindearbeiten: Powerdruck Druck- & VerlagsgesmbH,Ebreichsdorf, Österreich
ISBN: 978-3-942428-03-3
Für meine Töchter,die die Achse meiner Welt bilden,
und meinen Mann,der mein Fels in jeder Brandung ist.
JK
In Memoriam Wilhelm „Duke“ Jezek
04
1.
Alte Freunde
„Schau mal, das sind Adrienne und Dianne. Auf diesem Foto ist
Dianne noch ein Baby und Adrienne ist gerade mal zwei Jahre
alt. Sind die beiden nicht süß?“, fragte Mama mit einem Lächeln
im Gesicht. Nikolas runzelte die Stirn. Was sollte an zwei kleinen
Mädchen denn so besonders sein? Lilly dagegen betrachtete das
Bild interessiert. „Und wie alt sind Adrienne und Dianne jetzt?“,
wollte sie wissen. Mama strich ihr über die blonden Haare und
antwortete: „Dianne ist jetzt zweieinhalb und Adrienne vier Jah-
re alt. Sie sind beide noch nicht so groß wie du.“
Mama zeigte auf ein anderes Foto, auf dem eine schlanke Frau
und ein großer Mann zu sehen waren, jeder mit einem der Mäd-
chen im Arm. „Das sind ihre
Eltern, Julia und Ben. Papa
und ich sind schon sehr lan-
ge mit ihnen befreundet.
Sie leben in Kärnten, das
ist in Österreich. Und
in zwei Wochen wer-
den wir sie besuchen.“
„Was sollen wir denn
in Österreich?“, knurrte Nikolas. „Und noch dazu bei einer Fami-
lie mit zwei kleinen Mädchen! Mir reicht schon Lilly und die ist
immerhin meine Schwester. Das wird bestimmt total langweilig.
Den ganzen Tag das Geplapper und Gekicher und überall Kitty-
Katzen!“
Lilly dagegen machte vor Freude einen Luftsprung. „Ja! Dann
bin ich die Große und kann endlich mal bestimmen, was wir
spielen. Ich mag Adrienne und Dianne jetzt schon!“ Nikolas
machte ein missmutiges Gesicht. „Glaub mir, es wird bestimmt
nicht langweilig in Österreich“, sagte Papa und zwinkerte Nikolas
geheimnisvoll zu. „Wir gehen dort nämlich auf Drachenjagd!“
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06
2.
Österreich und die Mädchen
Zwei Wochen lang hatten Lilly und Nikolas ihre Eltern mit Fragen
gelöchert, aber sie hatten nichts weiter über die angekündig-
te Drachenjagd in Erfahrung bringen können. Papa und Mama
hatten einfach nichts verraten. Jetzt sollte es endlich losgehen.
Auf der Fahrt zum Berliner Flughafen erzählte Papa den Kindern
ein wenig von Österreich. „Dort gibt es wirklich alles – Berge,
Wäl der, Wiesen und viele Seen.“ „Und alberne kleine Mädchen“,
dachte Nikolas, aber er sagte nichts. „Vor allem in Kärnten“, fuhr
Papa fort. „Ihr werdet sehen, es ist ein tolles Land. Und wir ha-
ben auch eine Mission zu erfüllen, wie ihr wisst. Es gibt dort
immer noch einen Drachen, den müssen wir finden!“
„Und besiegen?“, fragte Nikolas, der plötzlich gar nicht mehr
schlecht gelaunt war. Aufgeregt zappelte er auf seinem Sitz hin
und her. „Gibt es wirklich noch einen Drachen in Österreich?
Einen echten?“ „Du bist ja schon ganz Feuer und Flamme“, lachte
Papa.
Auf dem Flughafen wollte Mama noch ein bisschen bummeln
gehen. Sie schnupperte gerade an dem Parfüm, das sie auf ihr
Handgelenk gesprüht hatte, als Nikolas verwirrt an ihrer Bluse
zupfte: „Du, da hinten steht ein Mädchen. Das starrt mich die
ganze Zeit an. Was will die denn von mir?“ Und tatsächlich: In
einer Ecke des Geschäfts stand ein etwa neunjähriges Mädchen
mit langen schwarzen Locken, das mit ihren großen braunen
Augen Nikolas fixierte. „Na, die findet dich eben süß“, meinte
Mama schmunzelnd.
Lilly kicherte. Nikolas riss entsetzt die Augen auf und lief aus
dem Geschäft zu Papa, der vor dem Eingang einen Postkarten-
ständer begutachtete. „Na das fängt ja gut an“, murrte Nikolas
und drückte sich hinter Papas Rücken zwischen die Wand und
eine Wühlkiste.
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08
Der Flug nach Klagenfurt, der Landeshauptstadt Kärntens, war
kurz. Nikolas und Lilly hatten das Gefühl, dass sie gerade erst ge-
startet waren, da landeten sie auch schon wieder. Nachdem sie
all ihre Koffer beisammen hatten, trotteten sie im Gänsemarsch
zum Parkplatz. Dort wartete schon Mamas Freundin Julia auf
sie. „Schön, dass ihr da seid! Wie war denn euer Flug?“, fragte
Julia und umarmte zuerst Mama und dann Papa herzlich. Dann
streckte sie Nikolas und Lilly die Hand entgegen und stellte sich
vor. Lilly zappelte und sah suchend in die Runde: „Wo sind denn
Adrienne und Dianne?“ „Die warten bei ihrem Papa im Auto.“
Auf dem Parkplatz standen zwei Autos, in einem saß ein
großer, dunkelhaariger Mann und winkte ihnen freundlich zu.
Auf den Rücksitzen sah man undeutlich zwei kleine Köpfe, die
neugierig aus den Fenstern blickten. Julia führte Mama, Lilly und
Nikolas zu dem zweiten Auto. Dort warteten zwei Kindersitze
auf die Geschwister. Papa nahm im ersten Wagen auf dem Bei-
fahrersitz neben Ben Platz.
Nachdem die Koffer verstaut und alle angeschnallt waren,
fuhren sie los. Nach zwanzig Minuten hielten sie vor einem
hübschen kleinen Haus mit einem schönen Garten am Rand
von St. Veit an der Glan. Dort stiegen sie aus. Die Erwachsenen
plauderten miteinander. Mama schob Lilly und Nikolas ins Haus,
während Papa mit Ben die Koffer auslud. Erst als alle durch den
Flur ins Wohnzimmer gegangen waren und sich hingesetzt hat-
ten, wurde es mit einem Mal still. Die Kinder betrachteten ein-
ander verschämt. Adrienne war mit ihren dunkelbraunen Haaren
und Augen einen Kopf größer als die grünäugige, strohblonde
Dianne.
Ben bemerkte das Unbehagen der Kinder und bot ihnen erst
einmal Saft an. Dann zeigte er Nikolas und Lilly das Zimmer, in
dem sie schlafen sollten. „Ich habe eine schlechte Nachricht für
euch“, meinte Ben verschmitzt zu Nikolas und Lilly. „Wir haben
leider nicht genug Kinderbetten. Deshalb haben wir euch hier ein
Matratzenlager aufgebaut, mit dem ihr vorliebnehmen müsst.“
„Schlechte Nachricht?!“, jauchzte Nikolas. „Das ist eine tolle Nach-
richt!“ Er hüpfte lachend von einer Matratze zur anderen, ge folgt
von drei vor Freude quietschenden Mädchen. Alle vier pur zelten
wild durch die Gegend, warfen mit Kissen nacheinander und
krabbelten über und unter den Decken hintereinander her. Der
Bann war gebrochen.
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3.
Kärntnerisch
Am nächsten Morgen verstanden die Eltern ihr eigenes Wort
nicht mehr, weil die Kinder so ausgelassen miteinander plau-
derten. „Mogst du ah a Häfale Kakao, Lilly?“, fragte die kleine
Dianne. Lilly blickte erstaunt zu Mama. Mama lächelte und er-
klärte ihr: „In Österreich spricht man ein bisschen anders als bei
uns zu Hause. Adrienne und Dianne sprechen Kärntnerisch. Ein
Häferl ist eine Tasse. Im Kärntner Dialekt verwendet man oft die
Endung ‚-ale’, das verniedlicht das Wort. Häfale bedeutet also
so viel wie ‚Tässchen’. Sie hat dich gefragt, ob du auch eine klei -
ne Tasse Kakao möchtest.“ „Ja, gerne“, gab Lilly artig zurück.
„Sagt man dann auf Kärntnerisch zum ‚Häschen’ ‚Hasale’?“,
wollte Nikolas wissen, dessen Blick zufällig auf Adriennes Stoff-
hasen gefallen war. „Ja, das hast du ganz richtig verstanden“,
antwortete Julia. „Und zum ‚Mäuschen’ sagen wir ‚Mausale’ und
zum ‚Vögelchen’ ‚Vogale’.“
„Dann hätte ich gerne ein Brotale mit Käse zum Frühstück“,
formulierte Nikolas nach kurzem Nachdenken stolz. „Ein Bröt-
chen mit Käse – kommt sofort“, antwortete Julia lachend. Und
schon bald verputzten die Kinder gut gelaunt ihr Frühstück. Als
das letzte Stück in Nikolas Mund verschwunden war, meinte er:
„So, und jetzt jagen wir das Drachale!“
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12
4.
Unter Affen
In den beiden Autos – den Zweitwagen hatten Julia und Ben
samt der Kindersitze von Freunden geliehen – fuhren sie Rich-
tung Villach. Mama, Nikolas und Lilly saßen wieder bei Julia im
Auto, während Papa bei Ben, Adrienne und Dianne mitfuhr. Ihr
erster Ausflug in Kärnten sollte sie auf den Affenberg nahe der
Burgruine Landskron führen. Der Berg hieß so, weil dort tatsäch-
lich rund 150 Affen lebten. Die possierlichen Tiere liefen in dem
Areal frei herum, keine Käfige oder Glasscheiben trennten sie
von den Besuchern.
Sie kamen genau zur ersten Führung um 9.30 Uhr an. Um die-
se Zeit war noch wenig los und sie hofften, die Affen ganz aus
der Nähe bewundern zu können. Während der 50-minütigen
Führung erzählte ihnen eine freundliche Tierpflegerin alles über
das Leben und das Verhalten der Japanmakaken – so hieß diese
Affenart.
Die Tierpflegerin bat sie, den Affen nicht zu lange in die Augen
zu sehen, weil sich die Tiere davon provoziert fühlen würden.
Außerdem sollten sie auf ihre Sachen aufpassen, da einige be-
sonders freche Äffchen gerne Decken, Trinkflaschen oder auch
Sonnenbrillen aus Rucksäcken oder Kinderwagen stibitzten.
Nikolas und Lilly beobachteten fasziniert, wie die Tiere immer
wieder ganz nahe an sie herankamen oder sich in halsbrecheri-
schen Sprung- und Kletteraktionen in den Baumwipfeln tum-
melten. Einige Affen planschten in den zwei Teichen, sie spielten
im Wasser wie Kinder. Nikolas beobachtete sie ein bisschen
neidisch, denn mittlerweile war es recht warm geworden und er
wäre auch gerne in das kühle Nass gesprungen.
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Adrienne, die den Affenberg schon einige Male besucht hatte,
verwies stolz auf die Affen, die sie bereits kannte. Für Nikolas
sahen alle Affen mehr oder weniger gleich aus, aber Lilly ent-
deckte sofort an einigen besondere Merkmale. „Der kleine Affe
dort heißt Magdalena.“ Adrienne zeigte auf ein kleines Maka-
kenäffchen in ihrer unmittelbaren Nähe. „Sie hat einen dunklen
Fleck auf der Nase, so erkennt man sie ganz leicht. Sie ist zwei
Jahre alt, fast genauso alt wie du, Dianne. Du bist ja auch so ein
kleines freches Äffchen.“ Adrienne stupste ihre kleine Schwester
liebevoll an.
„Und der dicke Affe da hinten, das ist Alexander, der Chef der
Gruppe. Der bekommt immer zuerst die Bananen. Erst wenn er
genug hat, dürfen die anderen fressen“, erklärte Adrienne. „Na,
da haben wir es ja gut“, meinte Nikolas lachend, „Papa teilt seine
Bananen wenigstens immer mit uns.“
Gegen Mittag fuhren die beiden Familien wieder nach St. Veit.
Julia zauberte rasch etwas Leckeres zu essen und alle ruhten sich
ein wenig aus. Mama, Papa und Julia suchten sich mit ihren kalten
Getränken einen schattigen Platz im Garten. Nikolas, Lilly und
Adrienne spielten unter einem alten Apfelbaum Domino. Die
kleine Dianne kuschelte sich drinnen mit ihrem Stofffrosch Frogi
im Arm zu ihrem Papa auf die Couch, um ein wenig zu schlafen.
Sie lehnte ihr Köpfchen an Bens Schulter, wie sie es schon als
Baby immer gemacht hatte. „Du bist eine richtige Schmuse-
maus“, flüsterte Ben und strich ihr sanft über den Rücken.
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5.
Alles wieder gut
Am Nachmittag fuhren sie alle an den nahe gelegenen Urbaner
See zum Baden. Die Kofferräume der beiden Autos waren voll-
gestopft mit Taschen und Sandspielzeug. „Mit vier Kindern zum
Schwimmen gehen, das ist eine richtige Expedition“, schnaufte
Mama, die gemeinsam mit Julia alles zusammengepackt hatte.
Als sie am See angekommen waren und sich einen schönen
Platz unter den schattigen Bäumen auf dem weitläufigen Gelän -
de ausgesucht hatten, verschwand Ben von den Kindern unbe-
merkt in Richtung Umkleidekabinen. Dort befand sich eine au to-
matische Luftpumpe, mit der man Luftmatratzen oder aufblas -
bare Tie re aufpumpen konnte. Adrienne stieß einen Freuden-
schrei aus, als er mit einem riesigen bunten Drachen zurückkam.
„Euer Papa hat mir ja gesagt, dass ihr hier in Österreich auf Dra-
chenjagd seid“, sagte Ben zu Nikolas und Lilly.
Nikolas verzog schmollend das Gesicht.
„Das ist aber kein echter“, murrte er. Doch
als sich Adrienne den Wasserspielzeug-
dra chen schnappte und damit von Lilly
und Dianne unter Jubelrufen gefolgt
zum See stürmte, huschte auch über sein
Gesicht ein Lächeln und er lief den Mädchen so schnell er konn-
te hin terher. Die Kinder tobten im Wasser herum, spritzten sich
gegenseitig nass und hüpften abwechselnd auf den Drachen.
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Plötzlich schrie Dianne auf. Sie hatte sich an einem Stein im
seichten Wasser gestoßen und kam nun weinend mit einem blu-
tenden großen Zeh zu Julia und Ben gehumpelt. Adrienne, Lilly
und Nikolas begleiteten sie und redeten tröstend auf sie ein. Ju-
lia nahm Diannes kleinen Fuß in die Hand, führte ihn zum Mund,
spitzte die Lippen und machte lustige Schmatzgeräusche. „I gib
dir a Bussale drauf, donn is glei wieda guat“, sagte sie zärtlich.
„Was heißt denn das jetzt wieder?“, fragte Nikoals verwun-
dert. Ben lachte. „,Bussi‘ sagen wir in Österreich für ,Küsschen‘.“
„Ah ja. Und auf Kärntnerisch heißt es dann natürlich ,Bussale‘“,
murmelte Nikolas. Er schien sich über Diannes kleinen Unfall fast
noch mehr erschrocken zu haben als sie selbst. Plötzlich beugte
er sich über Dianne und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich
geb dir auch ein Bussale, damit es wieder gut wird.“ Alle sahen
Nikolas verblüfft an. „Naja, ich mag die Kleine eben“, sagte er
betont cool. Und nachdem Diannes Zeh mit einem pinkfarbe-
nen Pflaster verarztet worden war, stürzten sich die vier Kinder
wieder ins Wasser, als wäre nichts gewesen.
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6.
Zwerge, Ritter und eine böse Nachbarin
Der erste Urlaubstag war vergangen wie im Flug. Nach dem
Schwimmen und einem schnellen Abendessen waren die Kinder
in ihre Betten beziehungsweise auf ihre Matratzen geplumpst
und im Handumdrehen eingeschlafen. Am zweiten Tag wollten
sie ins Gurktal fahren. „Was wollen wir denn da?“, fragte Nikolas
und runzelte die Stirn. Papa erklärte: „Dort gibt es einen Park
mit Zwergen. Die gehören ja normalerweise in die Märchenwelt
– genau wie Drachen. Wenn es dort also Zwerge gibt, finden wir
vielleicht auch unseren Drachen.“
Als sie nach dem Frühstück gerade in die Autos steigen woll-
ten, kam aus dem Nachbarhaus eine grimmig blickende Frau.
„Sie könnten auch mal wieder ihren Rasen mähen“, knurrte sie
zu ihnen herüber. „Das Zeug wuchert ja schon bis in meinen Gar-
ten. Und letzten Mittwoch hatten sie am Abend so laute Musik,
dass ich nicht einschlafen konnte. Das nächste Mal rufe ich die
Polizei.“
„Aber Frau Presser“, sagte Julia geduldig, „wir waren doch letz-
ten Mittwochabend gar nicht zu Hause, wir waren bei Freunden
zum Essen eingeladen. Und das Gras in unserem Garten ist doch
noch gar nicht hoch.“ Frau Presser murmelte etwas Unverständ-
liches, schlurfte zurück in ihr Haus und schlug die Tür zu. „Das
ist Frau Presser, unsere Nachbarin, sie ist ein richtiger Drache“,
seufzte Julia und stieg in den Wagen. Nikolas und Lilly sahen sich
vielsagend an.
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Die Fahrt ins Gurktal war kurzweilig. Allen gefiel die Kärntner
Landschaft gut und im Vorbeifahren entdeckten die Kinder Kühe
und Pferde. Mama wollte gerade etwas sagen, als sie in Gurk an-
kamen und schon die ersten Zwergenfiguren sahen, die den Weg
zum Zwergenpark wiesen.
Auf den ersten Blick wirkte der Park wie ein monströses Gar-
tenzwergeland, aber bei näherer Betrachtung fiel den Kindern
auf, wie lustig und unterschiedlich die Zwergenfiguren aus Stein
waren. Es gab Zwerge mit Musikinstrumenten, Zwerge in Bade-
hosen und mit Sonnenbrillen oder Zwerge als Schäfer. Natür-
lich fehlte auch nicht Schneewittchen mit ihren sieben kleinen
Freunden. Es gab sogar einen Superman-Zwerg und eine Zwer-
genfrau in Unterwäsche.
Die beiden Familien machten Fotos an einer bunten Tafel mit
Löchern für die Gesichter zum Durchstecken. Die Fotos sahen
dann so aus, als seien sie selbst alle Zwerge. Nikolas, der ja schon
lesen konnte, entzifferte stolz die vielen witzigen Spruchbänder,
die einige der Zwerge trugen.
„Übrigens wollte ich euch noch erzählen …“, sagte Mama, als
Adrienne rief: „Dürfen wir mit dem Zug fahren, bitte?!“ Also
fuh ren sie alle eine Runde mit der Bimmelbahn durchs Gelände
und ließen sich dabei ein Eis schmecken. Zum Abschluss kauften
Mama und Papa für die drei Mädchen kleine Keramikzwerge, die
die Kinder in einer hübschen Laube bemalen konnten.
Nikolas fand das zuerst zu langweilig, doch dann sah er, wie
viel Spaß die Mädchen hatten. Also bat er seine Eltern doch,
ihm etwas Geld zu geben, damit er sich auch einen Zwerg holen
konnte. Schließlich saßen alle vier Kinder auf einer Holzbank in
der Laube und malten um die Wette. Besonders begeistert bei
der Sache war die kleine Dianne, die auf ihren Keramikzwerg
mindestens fünf Farbschichten auftrug. Anfangs malte sie ihren
Zwerg rosa an, dann lila und zum Schluss wurde er grün und gelb
mit roten Flecken.
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Als alle Zwerge getrocknet waren, machten sich die beiden
Familien auf den Weg nach Hochosterwitz – eine der berühm-
testen Ritterburgen Österreichs und ein historisches Wahrzei-
chen Kärntens. Als sie aus dem Auto stiegen, überlegten die Er-
wachsenen, ob man mit der Standseilbahn hinauffahren oder zu
Fuß den Burgberg erklimmen sollte. Julia hatte Bedenken, ob die
kleine Dianne den Weg schaffen würde, aber dann wollten doch
alle lieber hinaufgehen, um sich in Ruhe die 14 Tore anzusehen,
die die Festung einst so sicher gemacht hatten.
Dianne überraschte alle, denn sie lief wie ein Wiesel als Erste
voraus und die Anderen hatten Mühe mit ihr Schritt zu halten.
Oben angekommen, ließen sie sich erst einmal ein gutes Mit-
tagessen im Burgrestaurant schmecken. Dann besichtigten sie
gemütlich die Rüstkammer und die Waffensammlung. Nikolas
kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Zu gerne hätte er
in der Zeit der Ritter gelebt – mit ihren glänzenden Rüstungen
und ihren blanken Schwertern.
Mama wollte ihm und Lilly etwas sagen, aber Nikolas plap-
perte pausenlos, wie mutig und heldenhaft er als Ritter gewesen
wäre und welche Abenteuer er erlebt hätte, dass sie gar nicht
zu Wort kam und es schließlich aufgab. Nachdem die Kinder im
Burghof eine Zeit lang Fangen gespielt hatten und es den Mäd-
chen langsam langweilig wurde, von „Ritter Nikolas“ aus irgend-
welchen Gefahren gerettet zu werden, machten sie sich an den
Abstieg und fuhren zurück nach St. Veit.
Im Haus angekommen holte Julia Wasserfarben hervor und
Lilly und Adrienne malten bunte Zwerge aufs Papier. Dianne trug
lieber noch eine Farbschicht auf ihren Keramikzwerg auf – jetzt
war er wieder rosa mit schwarzen Füßen. Nikolas malte natürlich
einen Ritter in voller Rüstung und mit einem riesigen Schwert.
Dann brachte Ben eine DVD mit den Schlümpfen und die Kinder
durften sich vor dem Abendessen noch eine Folge ansehen.
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Beim Essen wirkte Nikolas ganz geknickt. Er war traurig, weil
sie zwar mittlerweile Affen, Zwerge und Ritter gesehen, aber im-
mer noch nicht den Drachen gefunden hatten. Vor dem Schla-
fengehen nahm Mama ihn in den Arm und winkte auch Lilly zu
sich. „Ich muss euch jetzt endlich die Geschichte vom Basilisken
erzählen, ich versuche es ja schon den ganzen Tag.“
„Was ist denn ein Basilisk?“, fragte Lilly neugierig. „Ein Basilisk
ist eine Art böser Drache. Im Jahr 1212 lebte ein solches Untier
in einem Brunnen in der Schönlaterngasse in Wien. Der Basilisk
soll angeblich aus dem Ei eines Hahnes geschlüpft und von
einer Kröte ausgebrütet worden sein, deshalb sieht er aus wie
eine Mischung aus Hahn und Kröte. Er stinkt schrecklich und ist
furchtbar hässlich. Wer ihn ansieht, muss sterben. Man kann ihn
weder mit dem Schwert noch mit Feuer töten.“
Nikolas blickte Mama skeptisch an. Irgendetwas an der Ge-
schichte kam ihm nicht ganz richtig vor. Trotzdem fragte er
nach einigem Zögern: „Und wie kann man den Basilisken dann
besiegen?“ „Das geht nur, indem man
ihm einen Spiegel vorhält. Dann
erschrickt er bei seinem eigenen
Anblick so sehr, dass er platzt.“
Nikolas prustete: „Das sollten wir
auch bei dieser schrecklichen
Frau Presser versuchen.“ Mama
versuchte, sich das Lachen zu
verkneifen und meinte: „In der Schönlaterngasse in Wien erin-
nert heute noch ein Mauerrelief an den Basilisken. Und wisst ihr
was? Morgen fahren wir zu Julias Vater nach Wien.“
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7.
Immer wieder nach Schönbrunn
Am nächsten Morgen klingelte der Wecker sehr früh. Die Eltern
hatten schon am Abend diverse Taschen und Rucksäcke in beide
Autos geladen, sodass sie gleich nach dem Aufstehen losfahren
konnten. Die Kinder waren noch so müde, dass sie im Auto wei-
terdösten. Auf halber Strecke genehmigten sich die beiden Fa-
milien ein ausgiebiges Frühstück an einer Raststation, dann düste
der Zwei-Wagen-Konvoi weiter.
Nach insgesamt dreieinhalb Stunden erreichten sie Wien. Als
sie endlich Parkplätze in der Gasse gefunden hatten, in der Julias
Vater wohnte, mussten noch in beide Autos Parkscheine gelegt
werden, dann fuhren sie mit dem Fahrstuhl in die schöne Alt-
bauwohnung im fünften Stock.
Julias Vater, Opa Willi, begrüßte alle freundlich, servierte ih-
nen Apfelschorle und gab den Kindern etwas zu naschen. Nach
einer kurzen Verschnaufpause machten sie sich schon wieder auf
den Weg. Sie fuhren mit der U-Bahn-Linie U4 nach Schönbrunn.
„Schönbrunn hat zwei Haltestellen“, erklärte Opa Willi, „eine
für den Tiergarten und eine für das Schloss und den herrlichen
Schlosspark. Was wollt ihr zuerst sehen?“ „Den Tiergarten!“, war
die einstimmige Antwort der Kinder.
Schönbrunn war ein riesiger Zoo mit unglaublich vielen Tie-
ren. Die Kinder konnten sich gar nicht satt sehen und die Er-
wachsenen wussten bald nicht mehr, wohin sie zuerst gehen
soll ten, weil ständig eines der Kinder auf einem der vielen Weg-
weiser eine Tiergattung entdeckte, die es unbedingt und sofort
ansehen wollte. Nach zwei Stunden waren aber alle etwas er-
schöpft und so schlenderten die beiden Familien zum herrlichen
Schlossgarten.
Plötzlich standen sie vor dem atemberaubenden Schloss
Schönbrunn, in dem einst der Kaiser und die Kaiserin von Öster-
reich gewohnt hatten. Mama und Papa machten viele Fotos,
doch schließlich wurde den Kindern das Posieren und Lächeln zu
langweilig und Hunger hatten sie auch. Zum Glück meinte Opa
Willi gerade in diesem Moment: „Ich möchte euch jetzt gerne
zum Mittagessen ins Café Dommayer einladen. Das ist ganz in
der Nähe und ein sehr berühmtes Altwiener Kaffeehaus. Wien
ist ja bekannt für seine wunderbaren Kaffeehäuser.“
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Lilly und Nikolas fanden das Kaffeehaus toll. Es war wirklich
wun derschön mit seinen riesigen Kronleuchtern, den gemütli-
chen Sesseln und den prächtigen Vorhängen.
Sie aßen Wiener Würstchen mit Brötchen und erfuhren von
Opa Willi, dass man dazu in Wien „Frankfurter mit Semmeln“
sagt. Aber eigentlich waren die Würstchen nur die Vorspeise,
denn im Dommayer gab es herrliche Kuchen, Torten und Kon-
fekt. Es fiel den Kindern so schwer, sich zu entscheiden, dass
Julia und Ben einfach viele verschiedene Leckereien bestellten,
von denen jeder kosten durfte. Dann ließen es sich alle tüchtig
schmecken.
Nach dem Mittagessen spazierten sie zum Technischen Mu-
seum. Das war genau das Richtige für Nikolas. Globen, Lokomoti-
ven, Autos oder alte Filmkameras – hier gab es einfach alles, was
sein Herz begehrte. Die Mitmach-Objekte im „MINI“ machten
auch den Mädchen Spaß. Die Kinder konnten aus Spielsteinen
ein Haus bauen, einen Oldtimer reparieren, Alltagsgegenstände
als Musikinstrumente benutzen und sogar in ein echtes Feuer-
wehrauto klettern.
Aufgedreht und erschöpft zugleich fuhren sie am Abend mit
der U-Bahn zurück zur Wohnung von Opa Willi, in der zum Glück
genug Platz war, dass alle dort übernachten konnten. Opa Willi
zeig te Lilly und Nikolas die ausgezogene Couch, auf der sie es
sich nachts bequem machen sollten, und nach einem schnellen
Abendessen fielen alle in ihre Betten.
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Am nächsten Morgen kamen die Kinder fast nicht aus den Fe-
dern, so kaputt waren sie noch vom Vortag. Aber als Mama rief:
„Der Basilisk ruft!“, waren alle plötzlich hellwach. Sie frühstück-
ten, zogen sich an und machten sich auf den Weg in die Wiener
Innenstadt. Dann fuhren sie mit der Straßenbahn eine Runde
um den Ring. Opa Willi erklärte: „Hier war im Mittelalter die
Stadtmauer Wiens und Kaiser Franz Josef hat im 19. Jahrhundert
wundervolle Prachtbauten in den Stilrichtungen verschiedener
Zeitalter errichten lassen.“ Während der Fahrt bewunderten sie
die Oper, die Hofburg, zwei Museen, das Rathaus, das Burg-
theater und die Universität.
Lilly fand die alten Gebäude so schön, dass sie gleich noch
eine Runde mit der „Bim“, wie die Wiener ihre Straßenbahn nen-
nen, fahren wollte. Aber dann stieg sie doch mit den Anderen
aus, denn Mama hatte ein Eis versprochen. Gemütlich bummel-
ten sie durch die schmucken Innenstadtgässchen Wiens zum
berühmten Stephansdom, dem wichtigsten Wahrzeichen der
Stadt.
Als sie später in der Schönlaterngasse ankamen und das Mau-
errelief des Basilisken betrachteten, fand Lilly, dass er gar nicht
wie ein Drache, sondern eher wie
ein Wurm mit Hühnerkopf aus-
sah. Sie war sich mit Nikolas einig,
dass das leider nicht der gesuch-
te Drache sein konnte. Trotzdem
beschloss Nikolas, in Zukunft lieber immer einen Spiegel in der
Tasche zu haben – nur für den Fall, dass ihm mal ein hässlicher
Drache begegnen sollte, den man nicht mit dem Schwert besie-
gen kann.
Sie holten sich in einer Bäckerei unterwegs eine Kleinigkeit
zu essen und fuhren mit der U-Bahn zum Praterstern. Schon
als sie die Rolltreppe hochfuhren, blitzte eine weitere bekann-
te Sehenswürdigkeit Wiens zwischen den Bäumen hervor: das
Riesenrad. Um den umliegenden Vergnügungspark machten die
Erwachsenen wohlweislich einen Bogen, da sie wussten, dass
die Kinder traurig wären, wenn sie nicht alle Attraktionen dort
– von Geisterbahn bis Ringelspiel – ausprobieren durften. Aber
dafür fehlte dieses Mal leider die Zeit.
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34
Schließlich machten sich alle auf den Weg zurück zur Woh-
nung von Opa Willi. „Jetzt haben wir noch etwas ganz Beson-
deres mit euch vor“, sagte Papa mit einem Augenzwinkern. „Wir
kehren zu unserem gestrigen Ausgangspunkt zurück.“ Opa Willi
schmunzelte. „Wir fahren noch einmal nach Schönbrunn.“ In der
Wohnung angekommen, zogen sich Mama und Papa um und
legten auch für Nikolas und Lilly schöne Sachen zurecht. Auch
Adrienne wurde hübsch angezogen und Julia schlüpfte in ein
elegantes Sommerkleid.
Dianne blieb mit ihrem Papa und ihrem Opa in der Wohnung.
Sie war noch etwas zu klein für das kommende Ereignis, aber sie
war gar nicht traurig, dass sie nicht mit konnte. So hatte sie ihren
Papa und ihren Opa einmal ganz für sich alleine und sie wusste
genau, dass ihr die beiden jeden Wunsch erfüllen würden.
Herausgeputzt fuhren die Anderen zu sechst zum Marionet-
tentheater Schloss Schönbrunn. Opa Willi hatte schon vor eini -
gen Wochen als Überraschung für die Gastfamilie aus Deutsch-
land Karten für die „Kinderzauberflöte“ besorgt. Mozarts Zau -
ber flöte – die Geschichte kannten Nikolas und Lilly.
Aber das zauberhafte Geschehen, das
sie nun erwartete, überwältigte die
Kin der völlig. Sie waren ganz ver-
sunken in die Welt der Königin der
Nacht, von Papageno und Papagena,
Tamino und Pamina.
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Auch auf dem Weg zurück in die Wohnung waren die Kinder
ganz ruhig, blickten verträumt vor sich hin und kuschelten sich
schon bald in ihre Decken. Lilly hatte noch ein Lied auf den Lip-
pen: „Papapapa…geno…“ Dann fielen ihr die Augen zu.
36
8.
Die Blumenstadt
Die Kinder waren traurig, als sie sich am nächsten Tag schon
wieder von Opa Willi verabschieden mussten. „Es gibt in Wien
ja noch so viel zu sehen, aber das machen wir einfach bei eurem
nächsten Besuch“, sagte dieser freundlich. Dann fuhren sie wie-
der in Richtung Kärnten.
Gegen Mittag kamen sie in St. Veit an. Sie waren alle etwas
erschöpft von den aufregenden letzten Tagen und der Fahrt
zurück. Deshalb wollten sie den heutigen Tag etwas ruhiger
verbringen. Ben kochte zum Mittagessen Spanakopita, einen
griechischen Spinatstrudel. Er und Julia hatten früher einmal ein
paar Jahre in Griechenland gelebt, noch bevor Adrienne und
Dianne geboren waren. Obwohl Nikolas sonst kein Freund von
Spinat war, schmeckte ihm der Spanakopita von Ben so gut, dass
er noch ein extra großes Stück verlangte.
Am Nachmittag machten die beiden Familien dann einen ge-
mütlichen Spaziergang durch St. Veit. Sie schlenderten durch die
Gässchen der Altstadt, aßen ein Stück Torte in einem der netten
Kaffeehäuser und die Kinder spielten auf den beiden Spiel-
plätzen auf dem Hauptplatz. Dort gab es große, wunderschön
gestaltete Blumenbeete, denn St. Veit war auch als Blumenstadt
bekannt. Lilly, Adrienne und Dianne bewunderten ausgiebig die
hübschen Blumen, schnupperten an ihnen und Dianne streichel-
te verzückt die Blüten. Natürlich machten sie sich dabei ein biss-
chen schmutzig, aber das störte die Erwachsenen nicht.
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Nach einer guten Stunde fuhren sie wieder zurück zum Haus.
Als sie ausstiegen, stand Frau Presser gerade im Garten und warf
ihnen giftige Blicke zu. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment
Feuer spucken. „Na, Ihre Kinder sehen ja wieder aus wie die Fer-
kel!“, rief sie über den Zaun herüber. Julia erwiderte freundlich:
„Das ist eben so mit kleinen Kindern, die machen sich auch mal
schmutzig.“ Lilly blickte Julia fragend an. „Weißt du, Frau Presser
hat keine eigenen Kinder oder Enkelkinder, deshalb versteht sie
das wohl nicht“, meinte Julia lächelnd. „Wie traurig, sie ist also
ganz alleine“, flüsterte Lilly nachdenklich.
Bis zum Abendessen packten Mama und Papa schon ein biss-
chen die Koffer. Übermorgen mussten sie wieder nach Hause
fahren und morgen hatten sie wieder einiges vor, da würde dafür
keine Zeit bleiben. Nikolas half seinen Eltern und entschied mit,
was sie morgen noch brauchen würden und deshalb noch nicht
einpacken durften. Lilly setzte sich an den Wohnzimmertisch
und malte. Sie war ganz vertieft in das Bild, das sie auf das Papier
zauberte – eine bunte Szene aus der Zauberflöte, mit Papageno
und Papagena drauf. Man konnte sehen, dass sie sich besonders
große Mühe gab. Als das Bild fertig war, legte sie es vorsichtig
auf die Kommode und bat alle nachdrücklich, es dort bis mor-
gen liegen zu lassen.
An ihrem letzten Urlaubstag fuhren Mama, Papa, Nikolas und
Lilly mit Julia, Ben und den beiden Mädchen nach Klagenfurt. Sie
bummelten durch die Innenstadt und kauften ein paar Anden-
ken. Als sie um eine Ecke auf den Neuen Platz bogen, entfuhr
Nikolas ein lauter Schrei des Entzückens. „Da ist er! Da ist er! Da
ist der Drache!“
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9.
Besiegt
Und wirklich: Mitten auf dem Platz stand ein Brunnen mit einem
eindrucksvollen Steindrachen. „Das ist der Drache, den wir ge-
sucht haben, nicht wahr, Papa?“, rief Nikolas aufgeregt. „Ja, das
ist er. Das ist der berühmte Lindwurm, das Wahrzeichen von Kla-
genfurt. Die Stadt wurde der Sage nach hier errichtet, nachdem
mutige Männer den Lindwurm erschlagen hatten.“
Auch wenn es nun doch kein echter Drache war, gegen den
„Ritter Nikolas“ kämpfen konnte, war er begeistert. Nikolas be-
stand darauf, selbst ganz viele Erinnerungsfotos vom Lindwurm
zu machen und hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das ande-
re. „Wir haben den Drachen gefunden! Wir haben den Drachen
gefunden!“, rief er atemlos und überglücklich.
Den Rest des Tages verbrachten die beiden Familien am Wör-
thersee. Sie breiteten ihre Badetücher auf der Wiese im herrli-
chen Strandbad aus und genossen den Blick über den wunder-
schönen See und die umliegenden Berge. Die Kinder tobten im
Was ser, aßen Pommes frites und Eis und spielten Fangen.
Bevor sie zurück nach St. Veit fuhren, besuchten sie noch das
direkt am See gelegene Minimundus. In dem Freizeitpark gab
es Miniaturmodelle von berühmten Bauwerken aus der ganzen
Welt. Die Kinder liefen fasziniert vom Eiffelturm zum Ramses-
Tem pel Abu Simbel und vom indischen Taj Mahal zum Par-
thenon, dem berühmten Wahrzeichen der Akropolis in Athen.
Adrienne zeigte auf das Riesenrad und sagte: „Das haben wir
doch vorgestern in groß gesehen, gell?“
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Die Kinder probierten gerade den Spielplatz von Minimundus
aus, als Nikolas wie erstarrt auf dem Klettergerüst innehielt. Auf
der anderen Seite des Gerüsts stand das schwarzhaarige Mäd-
chen, das ihn am Berliner Flughafen angestarrt hatte. Er wollte
schon zu Papa laufen, als das Mädchen ihn anlächelte und sagte:
„Hallo, dich kenn ich doch?!“ Nachdem Nikolas ein leises „Ja …“
gemurmelt hatte, fragte das Mädchen: „Möchtest du mitkom-
men zum Reptilienzoo? Der ist hier gleich um die Ecke. Da gibt es
Schlangen und Leguane und eine Riesenschildkröte. Mein Papa
ist der Direktor dort.“
Nikolas verlor sofort jede Scheu, nickte begeistert und lief
zu seinen Eltern, um sie um Erlaubnis zu bitten. Die Erwachse-
nen und die anderen Kinder fanden die Idee toll, also gingen sie
alle zusammen mit Kyra – so hieß das schwarzhaarige Mädchen
– zum Reptilienzoo Happ, der wirklich ganz in der Nähe lag. Kyra
zeigte ihnen alle Tiere. Sie erzählte Nikolas auch, dass sie vor
einer Woche zusammen mit ihrem Papa in Deutschland war, um
zwei neue Schlangen für den Zoo zu kaufen, deshalb war sie am
Berliner Flughafen gewesen.
Als sie vor dem Freilandgehege standen, meinte Kyra: „Das da
vorne auf dem Baum ist ein grüner Leguan. Ich habe ihn Dragon
genannt, weil er wie ein Drache aussieht. Er ist hier mein Lieb-
lingstier.“ Papa nickte Nikolas zu: „Jetzt haben wir doch noch
ei nen echten Drachen entdeckt, nicht wahr?“ Nikolas strahlte
über das ganze Gesicht. Nachdem die Kinder sich von Kyra ver-
abschiedet hatten, machten sie sich auf die Rückfahrt. Lilly und
Nikolas waren sehr still im Auto, wussten sie doch, dass sie mor-
gen früh wieder nach Hause fliegen würden. Beide fanden, dass
der Urlaub in Österreich eigentlich viel zu kurz gewesen war.
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Vor dem Haus stiegen alle aus den Autos und Julia öffnete
die Eingangstür. Lilly flitzte an ihr vorbei ins Haus. Wieder stand
auch Frau Presser im Garten und schimpfte irgendetwas über
den Zaun. Da kam Lilly aus dem Haus gerannt und hielt ihre
Zeichnung von gestern in der Hand. Ohne zu zögern, lief sie auf
den Gartenzaun zu und hielt Frau Presser das Bild hin. „Das habe
ich gestern für Sie gemalt. Sie haben ja selbst kein Enkelkind,
deshalb habe ich mir gedacht, Sie möchten vielleicht einmal ein
schönes Bild von mir haben. Wenn es Ihnen gefällt, dann schicke
ich Ihnen gerne hin und wieder mal eines mit der Post.“
Frau Pressers Miene sah aus wie eingefroren, fast so, als wäre
ihr das Feuer, das sie gerade speien wollte, im Halse stecken
geblieben. Plötzlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und
sie flüsterte Lilly zu: „Ja, das wäre wirklich lieb von dir. Darüber
würde ich mich sehr freuen.“
Als alle ins Haus gegangen waren, umarmte Mama Lilly und
sagte: „Das war aber eine richtig tolle Idee von dir mit dem Bild
für Frau Presser.“ Lilly meinte: „Ich glaube, sie ist nur so böse, weil
sie sich einsam fühlt.“ Adrienne und Dianne versprachen sofort,
in Zukunft für Frau Presser auch Bilder zu malen, damit sie sich
öfter mal freuen konnte. Und Papa meinte lächelnd: „Nikolas
hat heute zwei Drachen gefunden – einen aus Stein und einen
lebendigen, aber Lilly hat einen Drachen besiegt!“ Das fanden
die Anderen auch und alle waren ganz stolz auf Lilly.
Als Lilly und Nikolas sich abends in ihr Matratzenlager ku-
schelten, meinte Nikolas traurig: „Du, Mama, es war wirklich
schön hier bei den Mädchen. Meinst du, wir können sie wieder
einmal besuchen?“ Mama lächelte und umarmte ihren Sohn:
„Bestimmt! Aber nächstes Jahr kommen zuerst einmal Julia, Ben,
Adrienne und Dianne zu uns, einverstanden?“ „Oh, ja!“, riefen
Lilly und Nikolas wie aus einem Munde. Sie freuten sich schon
riesig darauf, den Mädchen Berlin und die Umgebung zu zeigen.
Dann gaben Lilly und Nikolas ihrer Mama noch ein „Gute-Nacht-
Bussale“ und schon bald fielen ihnen die Augen zu. Nikolas
träumte davon, mit Kyra auf einem Drachen über Österreich zu
fliegen und Lilly sah in ihrem Traum Frau Presser, wie sie in ihrem
Garten mit fünf Zwergen Tee trank und lächelte.
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Außerdem bei Biber & Butzemann
Steffi Bieber-Geske | Stephan Pohl
Abenteuer auf RügenLilly, Nikolas und die Piraten
Biber & Butzemann
„Abenteuer auf Rügen –Lilly, Nikolas und die Piraten“
Ein bisschen enttäuscht sind die Ge-schwister Lilly und Nikolas schon,dass die Ostsee im Juni noch zu kalt zum Baden ist. Glücklicherweise
haben Mama und Papa jede Menge Ideen, was man auf Rügen so alles er-le ben kann – auch, wenn es mal reg-
net. Und wenn die Sonne scheint, toben Lilly und Nikolas am Strand, bauen Burgen
und graben nach vergessenen Piratenschätzen. Schließlich soll einst der Seeräuber Klaus Störte-beker hier auf Kaperfahrt gewesen sein. Die Kin-der ahnen nicht, dass sie dem berühmten Frei-beuter noch vor dem Ende der Ferien persönlich gegenüberstehen werden ...
Eine aufregende Feriengeschichte für Kinder ab fünf Jahren.
„Die Reise des Wasserballs –Lilly und Nikolas am Mittelmeer“
Lilly und Nikolas sind schrecklich aufgeregt: Sie flie-gen mit Mama und Papa in den Urlaub ans Mittel-meer. Schon das Packen und die Reise mit dem Flug-zeug sind ein echtes Abenteuer. Aber der schöne ers te Urlaubstag wird verdorben, als der Wasserball der Kinder von den Wellen davongetragen wird. Lilly und Nikolas sind untröstlich. Doch dann erzählt ih -nen Papa von den Abenteuern, die der Ball auf sei-ner Reise übers Meer erlebt ...
Eine zauberhafte Feriengeschichte für Kinder ab drei Jahren.
Steffi Bieber-Geske | Sabrina Pohle
Die Reise des WasserballsLilly und Nikolas am Mittelmeer
Biber & Butzemann
Steffi Bieber-Geske | Stephan Pohl
Schatzsuche aufSchatzsuche aufHiddenseeHiddensee
Lilly, Nikolas und das Gold des Meeres
Biber & Butzemann
„Schatzsuche auf Hiddensee –Lilly, Nikolas und das Gold desMeeres“
Nikolas freut sich riesig auf seine ersten Schulfe-rien: Die verbringt die Familie nämlich auf der Insel Hiddensee. Dort entdecken Nikolas und Lilly nicht nur einen tollen Leuchtturm, sondern besuchen auch das Puppentheater, fahren mit der Pferde-kutsche und lernen, wie man Sanddorn erntet. Am schöns ten ist es jedoch am Strand. Nach einem Sturm gehen die Kinder auf Schatzsuche – und wer-den fündig. Doch der Urlaub hält noch mehr Über-raschungen für die Geschwister bereit …
Eine spannende Feriengeschichte für Kinder ab vier Jahren.
Erlebe ab 2013, wie Lilly und Nikolas auf der Insel Usedom das Rätsel um die versunkene Stadt Vineta lösen und wie sie im Harz einer echten Hexe begegnen.
Weitere Abenteuer von Lilly und Nikolas in Vorbereitung.
Mehr von Jennifer Kresitschnig lesen Sie ab Dezember 2012bei Biber & Butzemann:
„Anne von Rien – Das große Turnier“
Ein magisches Mittelalter-Abenteuer für Kinder ab acht Jahren. (ISBN: 978-3-942428-04-0)
Die Autorin
Dr. Jennifer Kresitschnig, geboren 1976 in Niederösterreich, stu dier te Geschichte und Deutsche Philologie an der Universität Wien, unter-rich tete einige Jahre am Goethe Zentrum auf Kreta und spezialisierte sich schließlich wieder in Wien auf den Deutschunterricht mit Migran-tIn nen. Seit 2010 lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern im wun derschönen Kärnten und lehrt an der Universität Klagenfurt im Be reich Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache.
Die Illustratorin
Sabrina Pohle, Jahrgang 1984, entdeckte in ihrer frühen Jugend ihr In-teresse am Zeichnen, aus dem sich über die Jahre eine Leidenschaftfür Illustration und sequenzielle Kunst entwickelte. Sie experimen-tierte zunächst viel mit traditionellen Maltechniken und Materialien wie Aquarell, Kohle und Pastellkreiden. Seit einiger Zeit nutzt Sabrina Pohle auch digitale Medien, um ihre Werke zu erstellen. Die studierte Japanologin arbeitet als freiberufliche Illustratorin in Hamburg. „Die Reise des Wasserballs“ ist ihr erstes Kinderbuch.
www.biber-butzemann.de
Lilly freut sich riesig, als Mama und Papa ihr vom bevorstehenden Urlaub bei
Freun den in Österreich erzählen. In Kärnten warten nicht nur Berge und Seen
auf sie, sondern auch die Schwestern Adrienne und Dianne, die fast so alt wie
Lilly sind. Nikolas dagegen ist anfangs wenig begeistert bei dem Gedanken an
Mädchengekicher und Puppenküchenspiele. Doch dann erzählt ihm Papa, dass
es in Österreich einen Drachen gibt, den sie finden und vielleicht sogar besiegen
müssen. Da ist plötzlich auch Nikolas ganz Feuer und Flamme. Die Drachensuche
führt die Kinder nicht nur durch Kärnten, sondern auch nach Wien.
Eine spannende Feriengeschichte für Kinder ab vier Jahren.
8,95 € (D)9,20 € (A)
ISBN 978-3-942428-03-3