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Jörn Böhme, Christian Sterzing KLEINE GESCHICHTE DES ISRAELISCH- PALÄSTINENSISCHEN KONFLIKTS 8. überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Auflage © Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts.

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Jörn Böhme, Christian Sterzing

KLEINE GESCHICHTE DES ISRAELISCH- PALÄSTINENSISCHEN KONFLIKTS8. überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Auflage

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9 783734 405839

ISBN 978-3-7344-0583-9

Wird der israelisch-palästinensische Konflikt zu einer unend-lichen Geschichte? Sind die Ansprüche von Israelis und Palästinensern unvereinbar? Ist die seit Jahren international geforderte Zwei-Staaten-Regelung noch machbar? Alle Verhandlungen der letzten Jahre blieben bislang erfolglos. Die Spaltung Palästinas, ein politischer Rechtsruck in Israel und der völkerrechtswidrige Siedlungsausbau sowie Krisen und Kriege in arabischen Staaten rücken für viele einen Frieden in immer weitere Ferne. Welche Chancen hat 50 Jahre nach dem Beginn der israelischen Besatzung palästi-nensischer Gebiete eine friedliche Konfliktregelung? Die Kenntnis der kollektiven Narrative sowie der Hoffnungen und Ängste von Palästinensern und Israelis ist Voraussetzung für eine realistische Beurteilung und für erfolgreiche Be mü-hungen um eine Konfliktregelung.Dieses Buch bietet einen kurzen, leicht lesbaren und trotz-dem multiperspektivischen Überblick über die komplexe Geschichte des Konflikts und die mühsamen Versuche, eine faire und dauerhafte Regelung zu erreichen. Die Kernpunkte kontroverser Debatten werden knapp geschildert. Karten, eine Chronologie und Literatur- und Medienempfehlungen runden die Darstellung ab, die als erste Orientierung in die-sem lang andauernden Konflikt geeignet ist.

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Kleine Geschichte des israelisch-palästinensischen

Konflikts

Jörn Böhme, Christian Sterzing

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Kleine Geschichte des israelisch-palästinensischen

Konflikts

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© WOCHENSCHAU Verlag, Dr. Kurt Debus GmbH Frankfurt/M., 8., überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Auflage 2018

www.wochenschau-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmi-gung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Syste-me verarbeitet werden.

Titelbild: Amit Shabi/laifGesamtherstellung: Wochenschau VerlagGedruckt auf chlorfrei gebleichtem PapierISBN 978-3-7344-0583-9 (Buch)E-Book ISBN 978-3-7344-0585-3 (EPUB)ISBN 978-3-7344-0584-6 (PDF)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhalt

Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Zur Vorgeschichte des Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Die Entstehung des Zionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Englands Politik im Nahen Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Jüdische Besiedlung Palästinas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Arabischer Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Juden und Araber unter dem britischen Mandat . . . . . . . . . 21Gründungsphase des Staates Israel (1947/48) . . . . . . . . . . . 26Flucht und Vertreibung – die „Nakba“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 28Der neue Staat Israel entsteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30Die Sinai-Aktion (1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31„Sechs-Tage-Krieg“ und „Naksa“ (1967) . . . . . . . . . . . . . . . 32Die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO) . . . . . . . . 36Der Oktober-Krieg (1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Das Abkommen von Camp David (1978) . . . . . . . . . . . . . . 43Der erste Libanon-Krieg (1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Die erste Intifada (1987 – 1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Der zweite Golfkrieg (1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Internationale Friedenskonferenz in Madrid (1991) . . . . . . . 53Der Durchbruch in Oslo (1993) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Das Interimsabkommen (Oslo II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Die Ermordung Jitzchak Rabins (1995) . . . . . . . . . . . . . . . . 62Die erste Regierung Netanjahu (1996 – 1999) . . . . . . . . . . . 63Die Regierung Barak (1999 – 2001) und die Verhandlungen in Camp David . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Die Al-Aksa-Intifada (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72Neuwahlen in Israel (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Eskalation der Gewalt (2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77Die „Roadmap for Peace“ (2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80Die „Trennungsmauer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Neue Friedensinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Unilateraler Rückzug aus dem Gazastreifen (2005) . . . . . . . 90Palästinensischer Neuanfang? (2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

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Friedenspolitischer Neuanfang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Parteipolitische Umwälzungen in Israel (2006) . . . . . . . . . . 94Palästinensischer Tsunami (2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95Krieg im Gazastreifen und im Libanon (2006) . . . . . . . . . . . 98Die Spaltung Palästinas (2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Kriege im Gazastreifen (2008/09, 2012, 2014) . . . . . . . . . . . 104Rechtsruck in Israel (2008 – 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Palästina in der UN (2011 – 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117Arabische Aufstände (2011 – 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119Der palästinensische Versöhnungsprozess (2011 – 2017) . . . 122Stillstand im Friedensprozess (2007 – 2017) . . . . . . . . . . . . . 128Bedrohung durch das iranische Atomprogramm? . . . . . . . . . 138Boykott gegen Israel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140Ein schwieriges Dreiecksverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144Zwei Staaten für zwei Völker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167Literatur- und Medienempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Kartenverzeichnis

Karte 1: Palästina unter britischer Mandatsherrschaft . . . . . 22Karte 2: Teilungsplan der Peel-Kommission (Peel-Plan),

1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Karte 3: UN-Teilungsplan und Waffenstillstandslinien . . . . 29Karte 4: Israel und besetzte Gebiete, 1967 . . . . . . . . . . . . . . 33Karte 5: Zonenaufteilung der Westbank . . . . . . . . . . . . . . . 60Karte 6: Israelische Friedensvorschläge von Camp David,

2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Karte 7: Siedlungen und Trennungsmauer . . . . . . . . . . . . . . 85Karte 8: Genfer Initiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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Zur Einführung

Mit dieser kurz gefassten Geschichte des israelisch-palästinen-sischen Konflikts können und sollen die zahlreichen Publikati-onen zu diesem Thema nicht ersetzt werden . Vielmehr ist dieses Buch ausschließlich dazu gedacht, eine übersichtliche Darstel-lung an die Hand zu geben, mit der vor allem wichtige Wende-punkte und Entwicklungslinien hervorgehoben werden sollen . Die Hoffnung der Autoren ist es, dass diejenigen, die sich mit Hilfe dieses schmalen Bandes eine erste Schneise in die Fülle der Daten und Meinungen schlagen, angeregt werden, tiefer zu bohren und sich anderen Auffassungen auszusetzen . Anregun-gen dazu mögen die Leserinnen und Leser den Literatur- und Medienempfehlungen am Schluss des Buches entnehmen .

Gerade für den Konflikt um Israel/Palästina gilt, dass his-torische Darstellungen sehr häufig der Legitimation politischer Ansprüche dienten . Damit wird Geschichts- und Erinnerungs-politik betrieben . Geschichtsschreibung ist eben nicht nur eine Aneinanderreihung von historischen Daten und Fakten, son-dern die Selektion und Interpretation von Ereignissen der Ver-gangenheit zum Zwecke der Schaffung eines kollektiven Narra-tivs . Die dahinter verborgene – zunächst völlig legitime – Inten-tion ist eine pädagogische und politische, geht es doch darum, aus „der“ Geschichte zu lernen . „Geschichte“ als kollektive Er-innerung ist somit immer ein Produkt spezifischer, von Interes-sen geleiteter Geschichtsschreibung, die der erzieherischen Prä-gung von Menschen und legitimatorischen Grundlegung poli-tischer Ansprüche dient . Dies gilt auch und gerade für Israel und Palästina . Nicht selten jedoch führt die Aktualität des Kon-flikts zur Geschichtsklitterung, zur Mythenbildung, zu „Halb-wahrheiten“ . Wir haben uns bemüht, mit diesem Buch eine Darstellung vorzulegen, die beide Seiten, wenn sie ihnen auch nicht gerecht werden kann, so doch einigermaßen fair darstellt . Mit der Berücksichtigung der beiden nationalen Narrative ha-ben wir einen multiperspektivischen Ansatz gewählt, da wir der

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Überzeugung sind, dass eine „objektive“ Darstellung angesichts der Aktualität des Konflikts kaum möglich ist . Nur die Kennt-nis und das Verständnis der kollektiven Traumata und Narrati-ve beider Konfliktparteien können Wege zu einer friedlichen Konfliktregelung eröffnen .

Die folgende Darstellung ist ebenso wenig voraussetzungs-los wie irgendeine andere . Deshalb wollen wir die unserer Dar-stellung zugrundeliegende Haltung deutlich machen: Wir ha-ben in den letzten Jahrzehnten im Vorstand des Deutsch-Isra-elischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten (diAk) mitgearbeitet . Seit seiner Gründung 1977 beschäftigt sich der Arbeitskreis mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Millionen Juden von Deut-schen ermordet wurden, und dass viele der heutigen Staatsbür-ger Israels Entkommene oder Nachkommen von Opfern dieses Massenmordes sind . Dass die damals Entkommenen in ihrer übergroßen Mehrheit verständlicherweise keine Perspektive mehr für ein Leben in Europa sahen, sondern ihr Leben frei von der Bedrohung und Bevormundung durch die sie umgebenden, antisemitisch eingestellten Gesellschaften gestalten wollten, ist das wesentliche Motiv dafür, dass der diAk für das Recht des Staates Israel auf gesicherte Existenz eintritt . Dass dies im Fall des Staates Israel eigens betont werden muss, erklärt sich aus der Fortexistenz antisemitischer Einstellungen, die den Staat Israel ebenso ablehnen wie islamistische und dschihadistische Kräfte und iranische Regierungen . Nach unserer Überzeugung ist Frie-den mit den Nachbarn Voraussetzung für die gesicherte Exis-tenz Israels . Voraussetzung für einen Frieden im Nahen Osten ist aber, dass das Streben der palästinensischen Araber nach na-tionaler Selbstbestimmung verwirklicht wird . Daraus folgt für die Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts:• WirnehmenzurKenntnis,dasszweiVölkerAnspruchauf

dasselbe Land erheben . Im Konflikt um Israel/Palästina steht nicht Recht gegen Unrecht, sondern Anspruch gegen Anspruch .

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• DadieExklusivitätderjeweiligenAnsprüchezurNegationkonkurrierender Ansprüche führt, ist im Bewusstsein der Bevölkerungen eine gerechte Teilung des Landes im Grun-de unmöglich . Der Verzicht auf die Exklusivität jeglicher Ansprüche ist somit Kern aller Friedensbemühungen .

• DeshalbsehenwirindemmühsamenVersuch,diebeidenkonkurrierenden Ansprüche miteinander zu vermitteln, die einzige Alternative zu einem endlosen Kriegszustand . Al-lenfalls durch einen solchen Vermittlungsversuch könnte das subjektive Empfinden, Rechte aufzugeben bzw . Un-recht zu erfahren, in so erträglichen Grenzen gehalten wer-den, dass gewaltförmige Versuche, das Unrecht zu korrigie-ren, aufgegeben werden .

• DarausresultiertdieUnmöglichkeit,dieseKonfrontationalleine von außen zu „lösen“ . Allerdings zeigen Jahrzehnte erfolgloser Verhandlungen, dass die Konfliktparteien bei der zivilen Konfliktbearbeitung auch der Unterstützung ex-terner Akteure bedürfen .

• EinefriedlicheRegelungdiesesasymmetrischenKonfliktswird nur dauerhaft sein können, wenn sie menschen- und völkerrechtliche Normen berücksichtigt .

Jede Konfliktregelung, die den Anspruch erhebt, fair und dau-erhaft zu sein, fordert für viele Menschen in der israelischen wie der palästinensischen Gesellschaft eine Relativierung der aus dem nationalen Selbstverständnis abgeleiteten Ansprüche . Das historische Mandatsgebiet Palästina ist für beide Völker Hei-mat, die Verbindung zum ganzen Land ist jeweils tief in der kol-lektiven Erinnerung beider Völker verwurzelt . Nur wer diese Dimension des Konflikts für die jüdisch-israelische und die pa-lästinensisch-arabische Bevölkerung begreift, versteht, dass es nicht nur um irgendwelche Grenzen oder Gebietsansprüche, nicht nur um die Okkupation eines schmalen Landstrichs im Nahen Osten und auch nicht „nur“ um die notwendige Beendi-gung der andauernden Menschenrechtsverletzungen durch eine Besatzungsmacht geht .

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Wir freuen uns, hiermit die achte Auflage der „Kleinen Ge-schichte“ vorlegen zu können . Wir haben die Entwicklungen der letzten Jahre nachgezeichnet, wichtige Diskurse zum Ver-ständnis aktueller, politischer Kontroversen skizziert, die Chro-nologie ergänzt und die Literatur- und Medienempfehlungen aktualisiert . Gleichzeitig wurde der bisherige Text wiederum gekürzt, um den begrenzten Umfang einer „kleinen“ Geschich-te nicht zu sprengen .

Oktober 2017 Jörn Böhme und Christian Sterzing

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Zur Vorgeschichte des Konflikts

Um das Jahr 1000 v . Chr . etablierten die Vorfahren der heutigen Juden, die Israeliten, mit der Monarchie König Davids ihre Herrschaft über Kanaan, wie der Landstrich zwischen Mittel-meer im Westen und arabischer Wüste im Osten, Libanon-Ge-birge und Hermon im Norden und Negev-Wüste im Süden da-mals genannt wurde . (Der Name „Land Israel“ [eretz jisrael] setzte sich jüdischerseits in der Epoche des 2 . Tempels [587 v . bis 70 n . Chr .] durch . Der Name „Palästina“ wurde ihm 135 n . Chr . von den römischen Besatzern gegeben .)

Nach einer wechselvollen Geschichte von staatlicher Selbst-ständigkeit, politischer Abhängigkeit und Streben nach Selbst-bestimmung wurden die Juden nach der Niederschlagung ihres letzten Aufstands im Jahre 135 n . Chr . zum Großteil zur Emi-gration aus der Provinz Judäa gezwungen; das Betreten der Stadt Jerusalem war ihnen verboten . Gleichwohl bildeten sie in Galiläa, auf dem Golan und östlich des Jordan nach wie vor die Mehrheitsbevölkerung . Erst die Verschärfung der Repression, seitdem das Christentum zur Staatsreligion geworden war, führ-te dazu, dass das geistige Zentrum des Judentums sich nach Mesopotamien verlagerte und die jüdische Bevölkerung im Lande zur Minderheit wurde . Die in alle Welt zerstreuten Ju-den allerdings hielten die Erinnerung an die historische Heimat fest und gaben die religiöse Hoffnung auf Rückführung in das Land der Väter am Ende der Tage niemals auf .

Im Jahr 638 wurde Palästina von den Arabern erobert . Die bis dahin mehrheitlich christlich-hellenistische Bevölkerung wurde in wenigen Jahrzehnten bis auf kleine Minderheiten – darunter auch Juden – religiös islamisiert und kulturell arabi-siert . Diese Prägung behielten die Bewohner auch unter der Herrschaft der Türken (1516 – 1918) bei .

Wie in der übrigen islamischen Welt seit dem 7 . Jh . auch, lebten Christen und Juden in Palästina im 19 . Jh . im Status von Dhimmis, d . h . Angehörigen der besonders geschützten, aber nur

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mit eingeschränkten Rechten ausgestatteten „Gemeinschaften des Buches“ (der Bibel) . Keine der drei Religionsgruppen hätte sich eine andere Konstruktion ihres Zusammenlebens vorstellen können; die Idee, sich nach europäischem Vorbild entlang der Grenzen von „Nationen“ voneinander abzusetzen, lag gänzlich fern . Der Konflikt zwischen den arabischen und den jüdischen Bewohnern Palästinas, der spätestens mit der Gründung des Staates Israel immer wieder auch die Dimension eines Konflikts zwischen dem jüdischen Gemeinwesen und seinen arabischen Nachbarstaaten annahm, nahm seinen Ausgang denn auch in Europa .

Die Entstehung des Zionismus

Zwei Faktoren haben das Entstehen des modernen Zionismus entscheidend geprägt:• derfortdauerndeAntisemitismusinMittel-undOsteuropa

und• dasAnwachsendeseuropäischenNationalismus.Während die jüdischen Gemeinden in Osteuropa am Ende des 19 . Jahrhunderts noch immer in Ghettos lebten, vollzog sich in Mitteleuropa eine zunehmende Befreiung (Emanzipation) der Juden von dem Status einer unterdrückten und diskriminierten Volksgruppe . Die Eingliederung der Juden geschah allerdings häufig um den Preis der weitgehenden Aufgabe ihrer religiösen und kulturellen Identität und durch Anpassung an die politi-schen und gesellschaftlichen Umstände des jeweiligen Landes (Assimilation) . So sahen sich viele Juden damals vor die Alter-native gestellt,• entwederihrjüdischesSelbstverständnisalsVolks-undRe-

ligionsgemeinschaft zu bewahren, dafür aber gesellschaft-lich benachteiligt und unterdrückt zu werden

• odersichkulturellumeinerunsicherenGleichberechtigungwillen anzupassen, ohne allerdings vor immer wieder auf-

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keimenden antisemitischen Gefühlen und Aktionen sicher sein zu können .

Der jüdische Journalist Theodor Herzl, der als Begründer des modernen Zionismus gilt, sah in dieser verhängnisvollen Alter-native von Aufgabe oder Bewahrung der jüdischen Identität keinen befriedigenden Ausweg aus dem Dilemma der Juden . Anlässlich der Dreyfus-Affäre in Frankreich erlebte er, dass auch die Assimilation von Juden in Westeuropa nicht zum Ver-schwinden des Antisemitismus führte . Herzl interpretierte den Antisemitismus als einen ewigen Zug der menschlichen Natur .

In seinem 1896 erschienenen Buch „Der Judenstaat“ skiz-zierte er die seiner Meinung nach einzige Lösung der jüdischen Frage: die Errichtung eines eigenständigen jüdischen Staates . Die Tragödie des jüdischen Volkes bestehe darin, ohne eigenen Staat als Fremdkörper unter feindlichen Völkern leben zu müs-sen . Nur die Gründung eines eigenen Staates könne eine Ver-wirklichung des jüdischen Selbstverständnisses ermöglichen und bewahre die leidgeprüften Juden vor den furchtbaren Fol-gen des Antisemitismus .

1897 kam es auf Herzls Initiative zum Ersten Zionistischen Kongress in Basel . Hier wurde mit dem „Land der Vorväter“ – Palästina  – die geografische Stoßrichtung dieser Bewegung festgelegt . Die nationalen Vorstellungen Herzls wurden so mit dem religiösen Erbe verbunden, was die politische Wirksamkeit dieser Bewegung entscheidend verstärken sollte . Geschichte ge-macht hat das Basler Programm, das auf diesem Kongress ver-abschiedet wurde und bis zur Gründung des Staates Israel Grundlage zionistischer Politik sein sollte .

Deutlich wurde damals auch schon die Strategie dieser Be-wegung:• DurchdiplomatischeBemühungenerhoffteman,dieUn-

terstützung der zionistischen Bestrebungen bei den dama-ligen Großmächten zu erreichen .

• DiejüdischeKolonisierungPalästinassolltevorangetriebenwerden .

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„Für ein Volk ohne Land ein Land ohne Volk“ wurde zum zio-nistischen Leitmotiv . Die Geburt des modernen politischen Zionis mus löste Zustimmung jedoch nur bei einem kleinen Teil der Juden aus . Angesichts der 2 .000-jährigen Verfolgung und Unterdrückung des jüdischen Volkes hielten viele Juden Herzls Interpretation des Antisemitismus für völlig losgelöst von den sozialen und politischen Verhältnissen der jeweiligen Epoche . Sie wollten die Hoffnung auf eine gleichberechtigte Integration in den jeweiligen Staat nicht aufgeben .

Die zionistischen Führer versuchten zunächst auf diploma-tischem Weg, die Großmächte für ihre Ziele zu gewinnen, in-dem sie diesen die Errichtung einer „jüdischen Heimstätte“ in Palästina schmackhaft zu machen versuchten . Doch weder der türkische Sultan und der deutsche Kaiser noch die englische Regierung und der russische Zar ließen sich überzeugen .

Englands Politik im Nahen Osten

Erst der Erste Weltkrieg weckte bei den Engländern ein akutes Interesse an dieser Region, galt es doch, im Krieg gegen Deutschland und das Osmanische Großreich Verbündete zu finden und langfristig die Interessen Englands im Nahen Osten zu sichern . Aus diesen Gründen versprach England 1917 in der sogenannten Balfour-Deklaration die Unterstützung der jüdi-schen Bemühungen um die Errichtung einer nationalen Heim-stätte in Palästina .

In der Form eines privaten Briefes des englischen Außen-ministers an den Führer der britischen Zionisten stellt diese De-klaration nur eine „Sympathieerklärung“ dar . Ihre politische Be-deutung gewann sie dadurch, dass dieser Brief vom Außenmi-nister unterschrieben und vom englischen Kabinett ausdrück-lich gebilligt wurde . Für die zionistische Bewegung bedeutete diese Deklaration einen großen diplomatischen Erfolg, mit dem sie ihrem Ziel ein beträchtliches Stück näher gerückt war .

„Balfour-Erklärung“ 1917

„Ministerium des Äußeren 2. November 1917

Mein lieber Lord Rothschild,zu meiner Genugtuung übermittle ich Ihnen namens S.M. Regierung die fol-gende Sympathieerklärung für die jüdisch-internationalen Bestrebungen, die vom Kabinett geprüft und gebilligt worden ist.Seiner Majestät Regierung betrachtet die Schaffung einer nationalen Heim-stätte in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größ-ten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei klar verstanden wird, dass nichts getan werden soll, was die bürger-lichen und religiösen Rechte und die politische Stellung nichtjüdischer Ge-meinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung der Juden in irgendeinem anderen Land beeinträchtigen könnte. Ich bitte Sie, diese Erklärung zur Kenntnis der zionistischen Föderation zu bringen.

(gez.) James Balfour“

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Die vagen Formulierungen in Balfours Brief dokumentieren den Kompromisscharakter dieser Erklärung, denn England hat-te vorher schon durch den britischen Hochkommissar in Ägyp-ten McMahon den Arabern in dem so genannten McMahon-Brief ein unabhängiges arabisches Reich versprochen, um sie für den gemeinsamen Kampf gegen die türkische Kolonialherr-schaft zu gewinnen . Diese sehr unbestimmten Zusicherungen der Engländer weckten bei den Arabern große Hoffnungen auf nationale Unabhängigkeit .

Das diplomatische Doppelspiel Englands wurde vollends 1917 deutlich, als nach dem Sturz des Zaren die neue russische Regierung ein zwischen Frankreich und England schon 1916

„Für ein Volk ohne Land ein Land ohne Volk“ wurde zum zio-nistischen Leitmotiv . Die Geburt des modernen politischen Zionis mus löste Zustimmung jedoch nur bei einem kleinen Teil der Juden aus . Angesichts der 2 .000-jährigen Verfolgung und Unterdrückung des jüdischen Volkes hielten viele Juden Herzls Interpretation des Antisemitismus für völlig losgelöst von den sozialen und politischen Verhältnissen der jeweiligen Epoche . Sie wollten die Hoffnung auf eine gleichberechtigte Integration in den jeweiligen Staat nicht aufgeben .

Die zionistischen Führer versuchten zunächst auf diploma-tischem Weg, die Großmächte für ihre Ziele zu gewinnen, in-dem sie diesen die Errichtung einer „jüdischen Heimstätte“ in Palästina schmackhaft zu machen versuchten . Doch weder der türkische Sultan und der deutsche Kaiser noch die englische Regierung und der russische Zar ließen sich überzeugen .

Englands Politik im Nahen Osten

Erst der Erste Weltkrieg weckte bei den Engländern ein akutes Interesse an dieser Region, galt es doch, im Krieg gegen Deutschland und das Osmanische Großreich Verbündete zu finden und langfristig die Interessen Englands im Nahen Osten zu sichern . Aus diesen Gründen versprach England 1917 in der sogenannten Balfour-Deklaration die Unterstützung der jüdi-schen Bemühungen um die Errichtung einer nationalen Heim-stätte in Palästina .

In der Form eines privaten Briefes des englischen Außen-ministers an den Führer der britischen Zionisten stellt diese De-klaration nur eine „Sympathieerklärung“ dar . Ihre politische Be-deutung gewann sie dadurch, dass dieser Brief vom Außenmi-nister unterschrieben und vom englischen Kabinett ausdrück-lich gebilligt wurde . Für die zionistische Bewegung bedeutete diese Deklaration einen großen diplomatischen Erfolg, mit dem sie ihrem Ziel ein beträchtliches Stück näher gerückt war .

„Balfour-Erklärung“ 1917

„Ministerium des Äußeren 2. November 1917

Mein lieber Lord Rothschild,zu meiner Genugtuung übermittle ich Ihnen namens S.M. Regierung die fol-gende Sympathieerklärung für die jüdisch-internationalen Bestrebungen, die vom Kabinett geprüft und gebilligt worden ist.Seiner Majestät Regierung betrachtet die Schaffung einer nationalen Heim-stätte in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größ-ten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei klar verstanden wird, dass nichts getan werden soll, was die bürger-lichen und religiösen Rechte und die politische Stellung nichtjüdischer Ge-meinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung der Juden in irgendeinem anderen Land beeinträchtigen könnte. Ich bitte Sie, diese Erklärung zur Kenntnis der zionistischen Föderation zu bringen.

(gez.) James Balfour“

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abgeschlossenes Geheimabkommen veröffentlichte . Briten und Franzosen hatten in diesem nach den beiden Unterhändlern be-nannten Sykes-Picot-Abkommen das nach der Zerschlagung des Osmanischen Großreiches den Arabern zu überlassende Gebiet in eine französische und eine englische Einflusssphäre geteilt, womit die Unabhängigkeit einer souveränen arabischen Nation zunächst unmöglich gemacht worden war . Die Englän-der hatten weder die Zionisten und Araber über dieses Abkom-men informiert, noch wussten die Franzosen von den im Mc-Mahon-Brief gemachten Versprechungen .

Der Oberste Rat der Alliierten übertrug auf seiner Konfe-renz in San Remo (1920) Großbritannien das Mandat für Pa-lästina . Die Balfour-Deklaration wurde durch den Völkerbund 1922 zum Bestandteil des britischen Mandatsvertrages über Palästi na erklärt, sodass England weiterhin verpflichtet war, die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina zu fördern . Nur wenige erkannten damals, dass durch diese Deklaration den Juden ein Staatsgebiet versprochen wurde, ohne dass man die dort lebenden Araber nach ihrer Meinung gefragt hatte .

Die Araber waren die eigentlichen Benachteiligten dieser Abkommen . Mit ihrer Unterstützung war es den Engländern und Franzosen zwar gelungen, 1918 das Osmanische Reich zu besiegen und aus dem Nahen Osten zu vertreiben . Doch der Zusammenschluss der Araber in einem gemeinsamen Staat war verhindert worden; die türkische Kolonialherrschaft war prak-tisch durch die englische und französische ersetzt worden .

Die Versprechungen, die Großbritannien dem Scherifen von Mekka gemacht hatte, wurden dadurch abgegolten, dass 1921 sein Sohn Feisal zum König des Irak und sein Sohn Ab-dallah zum Emir von Transjordanien gemacht wurde . Er selber wurde von Ibn Saud aus der arabischen Halbinsel vertrieben . Der irakische Zweig der Dynastie ging in der Revolution Ge-neral Kassems 1958 unter; die Palästina-Politik des jordani-schen Königshauses war bis zum offiziellen Verzicht König Husseins (des Enkels Abdallahs) 1988 auf die Westbank von

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dem Bemühen bestimmt, soviel wie möglich vom alten Traum des großarabischen Reiches zu retten .

Jüdische Besiedlung Palästinas

Lange Zeit blieb der Zionismus im Judentum eine Minder-heitsbewegung . Das im Vergleich mit den westlichen Staaten zurückgebliebene Palästina mit seinen harten klimatischen Be-dingungen übte nur wenig Anziehungskraft aus . Bis 1929 ver-ließen fast vier Millionen vornehmlich aus Osteuropa stam-mende Juden ihre Heimat, von denen die meisten (ca . drei Mil-lionen) nach Nord- und Südamerika auswanderten . Die Flucht vor dem sich teilweise in blutigen Pogromen entladenden Anti-semitismus und dem qualvollen Ghettoleben veranlasste sie zu dem Versuch, sich in westlichen Staaten als assimilierte Juden eine menschenwürdige Existenz aufzubauen . Nur 120 .000 bis 150 .000 Juden fuhren nach Palästina . Erst nachdem in den 30er Jahren die Verfolgung der Juden in Deutschland immer grausa-mere Züge annahm und zudem viele Staaten die jüdische Ein-wanderung drastisch beschränkten, stieg die Zahl jüdischer Siedler in Palästina sprunghaft an .

Schon die wenigen Siedler, die am Anfang des Jahrhun-derts das Heilige Land zu ihrer „alten neuen Heimat“ erkoren hatten, begannen zielstrebig, ein jüdisches Gemeinwesen aufzu-bauen . Diese Pionier-Generation (ca . 100 .000 bis 1923) war weniger von religiösen als von sozialistisch-zionistischen Vor-stellungen geprägt . Nicht die „religiöse Erlösung“, sondern die „soziale und nationale Wiedergeburt“ des jüdischen Volkes stand für sie im Vordergrund . Die in der Diaspora (Zerstreu-ung) zerstörten sozialen Strukturen des jüdischen Volkes soll-ten erneuert werden: Körperliche Arbeit und die Bebauung des Bodens erschienen als entscheidende Voraussetzung für den Aufbau einer lebensfähigen Gemeinschaft . Nicht Ausbeutung

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und Unterdrückung, sondern gemeinsame Lebens- und Ar-beitsformen sollten die Grundlage einer neuen egalitären Ge-sellschaft sein .

Die Siedler kauften Boden von arabischen Großgrundbe-sitzern und errichteten jüdische Siedlungen und Betriebe . Die widrigen Umstände in diesem wüstenartigen und versumpften Land erforderten gemeinsame Anstrengungen . Allein war man zum Scheitern verurteilt . So entstand eine ganze Reihe von ge-nossenschaftlichen Siedlungsformen, von denen der Kibbuz die wichtigste werden sollte . In ihm gab es bei Aufgabe des Privat-eigentums absolute Gleichheit und kollektive Lebens- und Ar-beitsformen .

Die wirtschaftliche und landwirtschaftliche Erschließung des Landes sowie der organisatorische Aufbau der jüdischen Gemeinschaft machten schnelle Fortschritte . Eine Reihe von Organisationen und Institutionen, zum Beispiel der Jüdische Nationalfonds, der die Landkäufe und die Finanzierung der Kolonialisierung koordinierte, und die Jewish Agency, wurden gegründet . Diese entwickelte sich zu einer Art Regierung der jüdischen Gemeinschaft in Palästina und zum entscheidenden Gremium des Zionismus überhaupt .

Die englische Mandatsmacht gewährte der jüdischen Ge-meinschaft eine weitgehende Selbstverwaltung . Die Wahrneh-mung der kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Interessen der jüdischen Bevölkerung übertrug sie der Jewish Agency . Diese Autonomie ermöglichte die Bildung von vor-staatlichen Strukturen .

Die rapide Entwicklung war vor allem russischen Einwan-derern zu verdanken, die bis in die 20er Jahre hinein den größ-ten Anteil unter den Siedlern stellten . Sehr vereinfacht lassen sich diese Pioniere als tatendurstige, abenteuerlustige, zielstrebi-ge, vom Ideal der nationalen und sozialen Wiedergeburt ge-prägte Zionisten beschreiben, die dem osteuropäischen Proleta-riat entstammten und deren Kolonialisierungsarbeit entschei-dend durch Spenden von wohlhabenden Juden in den USA und

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Westeuropa gefördert wurde . Die nächste Generation von Ein-wanderern unterschied sich sehr von diesen Pionieren . Nicht der Zionismus, sondern bittere Notwendigkeit führte sie nach Palästina . Für das Anwachsen der Einwanderung in den 30er Jahren waren drei Faktoren verantwortlich:• Die Beschränkung der amerikanischen Einwanderungs-

quoten versperrte vielen Juden den Weg in die USA .• TrotzderweltweitenWirtschaftskriseherrschteinPalästi-

na relativer Wohlstand .• Amzahlreichstenkamenjedochinden30erJahrendieJu-

den aus Mitteleuropa, die vor den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten flohen .

Mit diesen Einwanderungswellen (von 1924 bis 1948 ca . 450 .000) kamen vornehmlich mitteleuropäische Intellektuelle und Kauf-leute, Handwerker und Techniker, die im Gegensatz zu den ar-men osteuropäischen Einwanderern oft eigenes Kapital mit-bringen konnten . Diesen Flüchtlingen waren die Vorstellungen von nationaler und sozialer Wiedergeburt nicht so wichtig wie das nackte Überleben und der Aufbau einer neuen privaten Existenz . Sie wollten nicht das Land bebauen, sie zog es in die Städte .

Arabischer Nationalismus

Nach Jahrhunderten kolonialer Unterdrückung entstanden um die Jahrhundertwende im Nahen Osten die Anfänge eines ara-bischen Nationalismus . Er entwickelte sich vor allem in Geg-nerschaft zum türkischen Nationalismus des Osmanischen Rei-ches, später in Opposition zur zionistischen Siedlungspolitik und zur Vorherrschaft der britischen Kolonialmacht . Die Er-richtung der britischen Mandatsherrschaft nach dem Ersten Weltkrieg bedeutete für diese noch schwachen nationalen Kräf-te ein „europäisches Diktat und koloniale Amputation“ .

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