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Juristische Reihe TENEA/ Bd. 109 ARMIN ROCKINGER Die rechtlichen und politischen Reformen in der Türkei auf dem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Union unter Berücksichtigung der Machtkonstellationen im Nahen Osten 109 Armin Rockinger Rechtliche und politische Reformen Türkei – EU Juristische Reihe TENEA/

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Juristische Reihe TENEA/ Bd. 109

ARMIN ROCKINGER

Die rechtlichen und politischen Reformen in der Türkei auf dem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Unionunter Berücksichtigung der Machtkonstellationenim Nahen Osten

ISBN 3-86504-161-2 34 €

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Spätestens mit dem 03.10.2005 und damit dem Beginn der Beitritts-verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei,ist der bereits seit 1959 verfolgte Integrationsprozess der Türkei wie-der einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden. Gerade die seit2001 vorgenommenen türkischen Rechtsänderungen in Verfassungund sonstiger Rechtsetzung gaben der EU Anlass dafür, den seit 1999offiziell anerkannten Beitrittskandidatenstatus der Türkischen Repu-blik nicht nur zu bekräftigen, sondern mit ihr den Weg zur Vollmit-gliedschaft zu vollziehen.

Dem stehen hingegen durchaus kräftige rechtliche, politische undökonomische Argumente entgegen mit der Folge, dass die Beitritts-fähigkeit der Türkei in der rechtspolitischen Diskussion nach wie vorsehr umstritten ist. Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischenund ökonomischen Veränderungen in der nahöstlichen Region wer-den in dieser Arbeit daher die europäisch-türkischen Beziehungen indiesem Kontext europarechtlich untersucht. Dabei achtet der Autornicht nur auf eine rechtliche Bewertung des Integrationsprozesses,sondern auch auf die bilateralen Interessenlagen unter Berücksichti-gung der Geopolitik im Sinne der »Osterweiterung« der EU.

UmschlagJuraweltRockinger 02.03.2006 12:57 Uhr Seite 1

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Juristische Reihe TENEA/ Bd. 109

TENEA

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Tenea (‘η Τενεα), Dorf im Gebiet von Korinthan einem der Wege in die → Argolis, etwas s. desh. Chiliomodi. Sehr geringe Reste. Kult des Apol-lon Teneates. T. galt im Alt. sprichwörtl. als glück-lich, wohl wegen der Kleinheit […]Aus: K. Ziegler, W. Sontheimer u. H. Gärtner(eds.): Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike.Bd. 5, Sp. 585. München (Deutscher Taschen-buch Verlag), 1979.

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ARMIN ROCKINGER

Die rechtlichen und politischen Reformen in der Türkeiauf dem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft

in der Europäischen Union unter Berücksichtigungder Machtkonstellationen im Nahen Osten

BRISTOL BERLIN

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Armin Rockinger

Die rechtlichen und politischen Reformen in der Türkeiauf dem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Union unter Berücksichtigungder Machtkonstellationen im Nahen Osten

(Juristische Reihe TENEA/www.jurawelt.com; Bd. 109)

Zugleich Freie Universität BerlinDissertation 2005

(Originaltitel: »Die politischen Reformen in der Türkeiauf dem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Union unter Berücksichtigungder Machtkonstellationen im Nahen Osten«)

© TENEA Verlag Ltd., Bristol, Niederlassung DeutschlandBerlin 2006

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.Digitaldruck und Bindung:DDZ GmbH · 12103 Berlin

TENEA-Graphik: Walter Raabe, BerlinPrinted in Germany 2006

ISBN 3-86504-161-2

Gedruckt auf holzfreiem, säurefreiem,alterungsbeständigem Papier

D 188

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Meiner Familie

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VORWORT

Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2005 von der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Es ist mir ein Anliegen, mich an dieser Stelle bei allen zu bedanken, die mich bei der Anfertigung der Dissertation mit besten Ratschlägen und Anregungen unterstützt haben. Mein besonderer und ehrwürdiger Dank gilt dabei meinem Doktorvater Herrn Priv. – Doz. Dr. Dr. Ümit Yazicioğlu, der mich intensiv und umfassend betreute und mir stets nützliche sowie wertvolle Hilfestellungen gab. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Prof. Dr. Peter Grottian, Prof. Dr. Fritz Vilmar und Prof. Dr. Helgard Kramer. Besonderen Dank schulde ich meiner Familie, meinem Freund und Kollegen Dr. Gernot Brammer sowie Herrn Dr. Christoph Schmid für seine Unterstützung und Mühe bei der Korrektur des Manuskripts. Armin Rockinger

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V

INHALTSVERZEICHNIS

Inhaltsverzeichnis.............................................................................................................. V

Abkürzungsverzeichnis..................................................................................................... X

Literaturverzeichnis.........................................................................................................237

KAPITEL 1: Prolog.............................................................................................. 1 KAPITEL 2: Die Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union im Kontext türkischer Verfassungsgeschichte…………............ 10

2.1 Historische Entwicklung der bilateralen Beziehungen.................... 10

2.2 Die Bewerbung der Türkei um eine Vollmitgliedschaft………….. 12

2.3 Die Zollunion als ökonomische Integrationsvorstufe.....…………. 13

2.4 Der türkische EU-Erweiterungsprozess ab 1995….……......…….. 14

2.5 Staatsrechtliche Grundentscheidungen in der türkischen

Verfassungs- und Rechtsordnung seit 1923.................…………… 18

2.6 Die Kopenhagener Kriterien von 1993 als manifester Integrations-

maßstab zur Einleitung politischer Reformen................................. 23

KAPITEL 3: Der Assoziationsprozess zwischen der Europäischen Union und der Türkei bis zur Errichtung der Zollunion…………….. 27

3.1 Westeuropäische Adaption als Staatszielbestimmung der Türkei... 27

3.2 Interessenkalküle der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft........ 30

3.3 Das Assoziationsabkommen vom 12. September 1963................... 32

3.4 Ratifizierung des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970

in die Übergangsphase zur Zollunion…………………………….. 35

3.5 Der weitere Assoziationsverlauf bis zur Errichtung der Zollunion. 37

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VI

3.6 Errichtung der Zollunion zwischen der Türkei

und der Europäischen Union............................................................ 43

3.7 Bewertung des europäischen Integrationsansatzes.......................... 48

KAPITEL 4: Die rechtspolitischen Reformprozesse in der Türkei.................. 52

4.1 Militärstrukturen vor dem Hintergrund kemalistischer

Staatsideologie……………………………………………………. 52

4.2 Deinstitutionalisierung des Nationalen Sicherheitsrates.................. 56

4.3 Determination der politischen Willensbildung im türkischen

Parteiensystem………………………………………………….… 59

4.4 Schutz der Menschenrechte als gemeinschaftsrechtliche

Eingriffslegitimation für eine Integration........................................ 67

4.4.1 Die Todesstrafe als Strafmonopol des Staates................................. 68

4.4.2 Folter und Polizeigewahrsam als Mittel der Strafverfolgung.......... 69

4.4.3 Meinungsfreiheit als rechtsstaatliche Bestandsgarantie................... 72

4.4.4 Defizite innerstaatlicher Geschlechtergleichstellung....................... 75

4.4.5 Völkerrechtlicher Minderheitenschutz............................................. 81

4.4.6 Reformismus in der Kurdenfrage..................................................... 84

4.4.7 Akzeptanz multilateraler Menschenrechtsabkommen und

Institutionen..................................................................................... 89

4.4.8 Zusammenfassende Feststellungen zur Menschenrechtslage.......... 93

KAPITEL 5: Die Beitrittsverhandlungen auf Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union............................................................ 97

5.1 Bericht der EU-Kommission vom 6. Oktober 2004

als Entscheidungsgrundlage............................................................. 97

5.2 Politische Bewertung einer EU-Mitgliedschaft der Türkei............. 99

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VII

KAPITEL 6: Zwischenergebnis………………………………………………... 103

KAPITEL 7: Die historische Entwicklung der Geopolitik des Nahen Ostens........................................................................... 113

7.1 Entstehung westlicher Mandatsgebiete im Nahen Osten

nach dem Niedergang des Osmanischen Reichs.............................. 114

7.2 Geopolitischer Strukturwandel in der Ära

zwischen den beiden Weltkriegen.................................................... 117

7.3 Der Nahe Osten als Frontregion

im Kalten Krieg (1945-1991)........................................................... 121

KAPITEL 8: Politökonomische Bedeutung des Nahen Ostens im Kontext neu strukturierter Machtkonstellationen nach dem Kalten Krieg....................................................................................125

8.1 „Die Neue Weltordnung“ – Machtpolitischer Strukturwandel

in der Region……………….......................................................... 129

8.2 Die Akteure der Nahostpolitik und ihr Machtpotenzial................... 131

8.3 Die Nahostpolitik der USA und ihre Auswirkungen

auf die zwischenstaatlichen Kräfteverhältnisse in der Region......... 133

8.3.1 Außenhandelspolitischer Ansatz...................................................... 133

8.3.2 Sicherheitspolitische Strategie…………......................................... 137

8.3.3 Militärische Interventionspolitik………………………………..… 138

KAPITEL 9: Richtlinienwandel türkischer Nahostpolitik......................... 143

9.1 Türkische außenpolitische Grundsatzentscheidungen

nach 1990…………………............................................................. 145

9.1.1 Expansion außenpolitischer Einflussbereiche……………….......... 147

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VIII

9.1.2 Westadaptierte Nahostpolitik nach Turgut Özal.............................. 151

9.2 Parameterverschiebung in der Kurdenpolitik ..................................154

9.3 Außenbeziehungen zu Irak und Syrien............................................ 156

9.4 Türkisch-israelische Annäherung als

nahöstliches Konfliktpotenzial………………………………......... 160

9.5 Wasserpolitik als wachsendes Problem des Nahen Ostens.............. 165

9.6 Positionierung der Türkei im „Greater Middle East Project“

der USA ……………………………............................................... 168

KAPITEL 10: Der türkisch-kurdische Konflikt vor dem Hintergrund der EU-Integration......................................................................... 175

10.1 Die Lösungsrelevanz als Integrationsprämisse................................ 175

10.2 Die Perzeptionen des Konflikts........................................................ 177

10.2.1 Historische Einordnung.................................................................... 179

10.2.1.1 Friedensabkommen von Sèvres und Lausanne.................... 179

10.2.1.2 Kemalismus und türkisches Staatsverständnis..................... 180

10.2.2 Gesellschaftsstrukturen unter Berücksichtigung kurdischer

Identitätswahrnehmung.................................................................... 183

10.2.3 Türkische Staatspolitik gegen die kurdische Minderheit................. 186

10.2.4 Die Rolle des türkischen Militärs..................................................... 189

10.2.5 Die PKK........................................................................................... 191

10.2.6 Die transnationale Dimension des Kurdenkonflikts........................ 193

10.3 Konfliktwahrnehmung im europäischen Integrationsprozess.......... 195

10.3.1 Historischer Abriss der Beziehungen............................................... 196

10.3.2 Die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien im Kontext der

Kurdenfrage..................................................................................... 199

10.4 Fazit.................................................................................................. 203

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IX

KAPITEL 11: Die Europäisierung der Zypernfrage........................................... 205

11.1 Politische Ursachen des „Interkommunalen Konflikts“

auf Zypern........................................................................................ 207

11.2 Internationalisierung des Zypernkonflikts....................................... 210

11.3 Der Annan-Plan als zentraler Lösungsansatz der UN...................... 213

11.4 Die Positionen zum Annan-Plan bis März 2003.............................. 216

11.4.1 Die Position der TRNZ-Regierung zum Annan-Plan...................... 216

11.4.2 Die Position der griechisch-zypriotischen Regierung zum

Annan-Plan....................................................................................... 217

11.5 Wandlung und Hoffnung für Nordzypern ab März 2003.................218

11.6 Ablehnung und Skepsis der griechischen Zyprier........................... 220

11.7 Ergebnis........................................................................................... 223

KAPITEL 12: Zusammenfassung und Schlussfolgerungen................................ 226

12.1 Schlussfolgerungen…………………………………….................. 226

12.2 Ausblick…………………………………………………............... 233

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X

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AKP Adalet ve Kalkinma Partisi/ Gerechtigkeits- und

Entwicklungspartei

AOC Alcopor Owens Corning Holding

ARAMCO Saudi Arabian Oil Company

ANAP Anavatan Partisi/ Mutterlandspartei

BP British Petroleum

BSEC Black Sea Economic Cooperation

BTC Baku-Tiflis-Ceyhan Pipeline Project

BTE Baku-Tiflis-Erzurum Pipeline Project

CHP Cumhuriyetci Halk Partisi/ Republikanische Volkspartei

DEP Demokratik Emekci Partisi/ Demokratische Arbeiterpartei

DP Demokratische Partei

DSP Demokratik Sol Parti/ Demokratische Linkspartei

DYP Dogru Yol Partisi/ Partei des Rechten Weges

EG Europäische Gemeinschaft(en)

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

ESVP Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik

EU Europäische Union

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

GAP Güneydogu Anadolu Projesi- Südostanatolienprojekt

IEA Internationale Energieagentur

IPC Iraq Petroleum Company

IRCICA Zentrum für Islamische Geschichte, Kunst und Kultur

ISAF International Security Assistance Force

Kongra-Gel Volkskongress Kurdistans

MHP Milli Hareket Partisi/ Nationalistische Aktionspartei

NATO North Atlantic Treaty Organisation

NGO non governmental organisation

OIC Organization of Islamic Conference

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XI

OPC Operation Provide Comfort (Multinationale Überwachungs-

mission im Nordirak)

OPEC Organization of Petroleum Exporting Countries

OSZE Organisation für Stabilität und Zusammenarbeit in Europa

NRO Nicht- Regierungs- Organisation

NSR Nationaler Sicherheitsrat

PKK Partiye Karkeren Kurdistan/ Arbeiterpartei Kurdistans

PLO Palästinensische Befreiungsorganisation

RCO Regional Cooperation Organization

RP Refah Partisi- Wohlfahrtspartei

RTÜK Radyo Televizyon Üst Kurulu/Oberster Funk- und

Fernsehrat

SECI South Eastern European Cooperation Initative

SEEB South Eastern Europe Brigade

SEECP South Eastern Europe Cooperation Process

SHP Sosyaldemokrat Halk Partisi/ Sozialdemokratische Volkspartei

TIPH Temporary International Presence Al-Khalil

TR Türkei

TRT Türk Radyo Televizyonu/ Türkische Funk- und Fernsehanstalt

TÜRK. StGB Türkisches Strafgesetzbuch

UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion)

UN United Nations

USA Vereinigte Staaten von Amerika

USD US-Dollar

Soweit Abkürzungen nicht aufgeführt oder besonders erläutert sind, wird verwiesen auf

Hildebert Kirchner / Cornelie Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Auflage

2003

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1

„Die rechtlichen und politischen Reformen in der Türkei auf dem Weg zu

einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Union unter Berücksichtigung der Machtkonstellationen im Nahen Osten“

KAPITEL 1: Prolog

„Die Union steht allen europäischen Staaten offen, die ihre Werte achten und sich verpflichten, sie gemeinsam zu fördern.“1 „Allein diejenigen, die jetzt auf einen Beitritt der Türkei drängen, sind Gegner der Europäischen Union.“2

Die Bedingungen für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind in dieser

Bestimmung und ähnlichen Formulierungen in früheren Verträgen enthalten, beginnend mit

dem Vertrag von Rom aus dem Jahr 1957. Ein Staat muss demnach als Prämisse für die

Zugehörigkeit zu dieser multilateralen Vereinigung „europäisch“ sein. Er hat sich den in Art.

2 des Verfassungsvertrages aufgezählten Werten zu verpflichten, nämlich der „Achtung der

Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der

Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“

Darüber hinaus hat der Europäische Rat 1993 in Kopenhagen konkrete Kriterien aufgestellt,

die politische und institutionelle Aspekte betreffen, ebenso wie die Wirtschaft und Mitglied-

schaftsverpflichtungen, einschließlich der Ziele einer politischen, wirtschaftlichen und

Währungsunion.3

Mit dem Beschluss des Europäischen Rates von Kopenhagen vom 13. Dezember 2002 ist das

Thema des Türkeibeitritts zur Europäischen Union einer breiteren Öffentlichkeit bewusst

geworden und zugleich in die europäische Debatte geraten.4 Damals war beschlossen worden,

1 Art. 1 Abs. 2 des Vertrages über eine Verfassung für Europa. 2 Valéry Giscard d’Estaing, Präsident des EU-Verfassungskonvents und ehemaliger französischer Staats-präsident in der Süddeutschen Zeitung vom 09.11.2002 3 Zapf, Uta: Perspektiven des EU-Beitritts der Türkei, in: Südosteuropa Mitteilungen (München), 41 (2001) 4, S. 344; ausführlich dazu: Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 252 ff. 4 Die Politik der EU-Mitgliedsstaaten gegenüber der Türkei war durch eine starke Ambivalenz gekennzeichnet:

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2

dass am 17. Dezember 2004 Verhandlungen mit der Türkei über den Beitritt zur Europäischen

Union aufgenommen werden, sofern sie bis dahin die politischen Kriterien von Kopenhagen

erfüllt.5 So hat der Europäische Rat am 16./17. Dezember 2004 wiederum entschieden, am 3.

Oktober 2005 Verhandlungen über den Beitritt der Türkei zu eröffnen. Der Beitritt der Türkei

ist innerhalb der EU sehr umstritten, nicht zuletzt wegen der unternommenen Interventions-

versuche Österreichs durch seine Außenministerin Dr. Ursula Plassnik kurz vor dem 3.

Oktober 2005; ihm werden lange Verhandlungen vorausgehen, die vermutlich nicht vor 2014

abgeschlossen sein werden.

Der Europäische Rat hat aufgrund des Berichts und der Empfehlung der Kommission

festgestellt, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen für die Eröffnung von

Beitrittsverhandlungen hinreichend6 erfüllt, sofern sie weitere reformorientierte und den

Maßstäben der EU entsprechende spezifische Gesetze in Kraft setzt. So wurde die

Kommission aufgefordert, dem Rat einen Vorschlag für einen konkreten Verhandlungs-

rahmen mit der Türkei zu unterbreiten.7

So stellt sich die Frage: Ist die Türkei ein europäisches Land?

Die Antwort auf diese komplexe Frage hängt bedingungsgemäß von verschiedensten Faktoren

ab: von Geographie, Kultur und Geschichte, von der Eigendefinition der Türkei selbst und

ihrer Anerkennung durch die anderen europäischen Länder, gleichsam auch von völker-

rechtlichen Gesichtspunkten. Doch steht unstreitig fest, dass eine Orientierung an Europa kein

neues Phänomen in der Türkei und ihrer Politik ist. Wie im Folgenden historisch näher

erläutert wird, gab es schon im Osmanischen Reich und besonders seit der Gründung der

Türkischen Republik Reformbewegungen, die eine klare Westanbindung zum Ziel hatten.8

zum einen durch das Bewusstsein, dass die Türkei ein bedeutender sicherheitspolitischer Partner ist, den es dauerhaft durch eine EU-Beitrittsperspektive politisch sowie wirtschaftlich einzubinden gilt. Zum anderen spielen aber Befürchtungen und kulturelle Vorurteile in Teilen der Bevölkerung und der Regierungen eine erhebliche Rolle, die einem türkischen EU-Beitritt skeptisch gegenüberstehen. 5 vgl.:http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/aktuelles/e_raete/kopenhagen_html 6 „Hinreichend“ bezieht sich dabei auf die Grundlage für die Entscheidung zur Aufnahme der Verhandlungen und wurde zugleich mit der Forderung weitreichender weiterer Reformen verbunden. 7 vgl.:http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/tuerkei_html 8 Der unter der Führung von Mustafa Kemal Atatürk 1923 gegründete türkische Staat orientierte sich einseitig an Europa. Mit radikalen Reformen im gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereich führte Atatürk die Türkei auf den Weg nach Europa. Anstatt des Islam als tragende Ideologie, setzte Atatürk das Nationalbewusstsein an dessen Stelle als zentrales Element der Reformmaßnahmen; ausführlich dazu: Yesilyurt

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3

Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches wurde das Territorium der Türkei so weit

reduziert, dass sich heute nur noch 3% auf dem europäischen Kontinent befinden.9 Allerdings

schließt dieses Gebiet 11% der türkischen Bevölkerung sowie Istanbul mit ein10, die

wirtschaftliche und kulturelle Hauptstadt der Türkei.11 Die Türkei liegt auf der Trennlinie

zwischen Europa und Asien. Ihr völkerrechtliches Staatsgebiet ist Teil beider Kontinente.

Während Europas Grenzen im Norden, Westen und Süden unbestritten sind, bleiben jene im

Süden und Südosten unklar und werden - je nach Gesichtspunkt – unterschiedlich festgelegt.

Es ist allzu offenkundig, dass eine Antwort auf die Frage des „Europäischen“ im Sinne des

Art. 1 Abs. 2 des Verfassungsvertrages nicht allein aufgrund der geographischen Lage

gegeben werden kann. Am Ende des Verhandlungsweges müssen die Mitgliedstaaten der EU

darüber entscheiden, ob die Aufnahme der Türkei und damit das Überschreiten der

geographischen Grenzen Europas die Europäische Union überfordert oder nicht und ob die

politischen Zielsetzungen erreicht wurden.

Unter historischen Gesichtspunkten können jedenfalls Anhaltspunkte für eine an Europa und

deren Mächten orientierte und teilweise auch auf Zusammenarbeit gerichtete Politik

festgestellt werden: Die Türken kamen im 11. Jahrhundert aus Mittelasien nach Anatolien und

errichteten allmählich das Osmanische Reich bis zur Eroberung Konstantinopels im Jahre

1453.12 Sie wurden nicht nur Erben von Byzanz und des oströmischen Reiches, sondern auch

der reichen griechisch-lateinischen und jüdisch-christlichen Kulturen in Anatolien.

Namen wie Herodot von Halikarnass, der „Vater der Geschichte“, Aesop, der La Fontaine zu

seinen Fabeln inspirierte, der Heilige Nikolaus, Bischof von Myra, sowie Krösus, der reichste

Zuhal: Die Türkei und die Europäische Union, Chancen und Grenzen der Integration, Osnabrück, Der Andere Verlag, 2000, S. 21 9 vgl. Akkaya, Cigdem: EU-Türkei-Beziehungen und die Rolle der Türkei als besonderer Faktor für die Außenbeziehungen der EU zu Zentralasien und zum Nahen Osten, ZfT-Aktuell Nr. 72, Zentrum für Türkeistudien - Institut der Universität Essen, 10/1999, S. 7 10 Die Türkei hat etwa 68,9 Millionen Einwohner (2005); dies entspricht einer Bevölkerungsdichte von 89 Einwohnern je Quadratkilometer. Die am dichtesten besiedelten Gebiete sind der Großraum Istanbul und die Küstenregionen. Die mittlere Lebenserwartung der Bevölkerung liegt bei 72,1 Jahren (2005). Die jährliche Bevölkerungszunahme beträgt rund 1,13 Prozent im Jahr (2005), ausführlich dazu vgl. Microsoft ® Encarta ® Enzyklopädie 2005 oder http://www.welt-in-zahlen.de/laenderinformation.phtml?country=215 11 vgl. Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, S. 224 12 vgl. Palmer, Alan: Verfall und Untergang des Osmanischen Reiches, München 1992, S. 80 ff.

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4

Mann seiner Zeit, sind nur einige von vielen bekannten historischen Persönlichkeiten, die mit

dieser Region verbunden sind. Die Orte Troja, Pergamon, Ephesus und der 5166 m hohe Berg

Ararat, an dem vermutlich Noahs Arche zerschellte, liegen auf dem heutigen Staatsgebiet der

Türkei. Der Heilige Petrus predigte zur christlichen Gemeinde in Antioch13. Tarsus war der

Geburtsort des Heiligen Paulus, der seine erste Missionsreise nach Anatolien machte. Er

verbreitete das Christentum damit über die Grenzen des Judaismus hinaus und schuf die

Grundlagen einer weltverbreiteten Religion. All dies zeugt davon, dass die Region, die heute

das Kernland der Türkei bildet, eine der Wiegen der europäischen Zivilisation war.

Während eines Großteils seiner Geschichte spielte das Osmanische Reich auch eine wichtige

Rolle in der europäischen Politik. Wie die meisten europäischen Mächte agierte es oft als

Eroberer, manchmal in enger Zusammenarbeit mit bedeutenden europäischen Ländern wie

Frankreich. Zu anderen Zeiten war das Reich eine Zufluchtsstätte für Europas Unterdrückte

und Verfolgte, wie im Jahr 1492, als Tausende von jüdischen Flüchtlingen aus Spanien in

Anatolien Schutz suchten und fanden. Das Osmanische Reich war so sehr Teil der

europäischen Geschichte, dass beispielsweise seine Vertreter 1856 am Ende des Krimkrieges

eingeladen wurden, um gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien, Österreich, Preußen,

Russland und Sardinien über die (Neu-)Ordnung Europas mit zu entscheiden. Diese

Anerkennung als europäische Macht fiel auch mit dem Bemühen fortschrittlicher Sultane

zusammen, ihr Reich westlichen Einflüssen zu öffnen, um dadurch seinen drohenden Abstieg

aufzuhalten.14

Die stark von Frankreich inspirierten Reformen führten zur Abschaffung typisch osmanischer

Institutionen wie der Modernisierung der Armee, einer Zentralisierung der Staatsgewalt, der

Schaffung eines Postdienstes und einer osmanischen Bank, die zum ersten Mal Papiergeld

druckte. Es mag kein Zufall sein, dass die Reformen nach der Niederlage Frankreichs im

Krieg gegen Preußen 1871 langsam im Sande verliefen und der islamische Charakter des

Reiches wieder verstärkt wurde. Die Zeit der Reformen hatte das Reich dennoch tiefgehend

verändert, auch wenn nicht alle angestrebten Ziele erreicht wurden.

13 Antioch ist der historische Name der heutigen Stadt Antakya im Süden der Türkei 14 vgl. Palmer, Alan: Verfall und Untergang des Osmanischen Reiches, München, 1992, S. 47

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5

In den darauf folgenden Jahren war es wiederum der Einfluss Europas, insbesondere von

Frankreich und England, welcher die Bewegung der „Jung-Ottomanen“ dazu inspirierte, eine

verfassungsmäßige Regierung vorzuschlagen. In dieser Zeit entstand die Idee einer Nation,

was die Loyalitäten spaltete, die traditionell dem Sultan alleine gehört hatten. Mit einer

energischen Reaktion des Herrschers konfrontiert, zogen sich die Jung-Ottomanen schließlich

vom politischen Schauplatz zurück und bildeten zum ersten Mal eine Art liberaler Oppo-

sition.15

Ihr Ideal der Freiheit überlebte und wurde von den „Jungtürken“ aufgegriffen, die sich mit der

Unterstützung der westlich orientierten Offizierselite für den Weg der Revolution ent-

schlossen. Auch sie - wie andere politische Bewegungen dieser Zeit - waren beeinflusst von

den europäischen Schulen der Philosophie und Soziologie. Die Jungtürken gaben den Anstoß

für das Entstehen einer nationalen türkischen Identität, verbunden mit einer konsequenten

Verankerung im Westen, die sie als unentbehrlich für das Überleben der Türkei ansahen.16

Dies war das konzeptuelle Fundament der Reformen, die von Mustafa Kemal Atatürk nach

dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und dem erfolgreichen Kampf für nationale

Unabhängigkeit in Angriff genommen wurden. Atatürk wollte sein Land zu einem modernen

und zivilisierten Land machen. Für ihn und die reformistischen Türken hieß Zivilisation

soviel wie „westliche“ Zivilisation.17

Die durchaus tief greifenden Reformen Atatürks führten zur Abschaffung des Sultanats und

des Kalifats, den Verzicht auf die Scharia, die Annahme eines neuen Zivilgesetzbuches (nach

dem Modell der Schweiz), den Austausch des arabischen gegen das lateinische Alphabet, die

Entfernung von Wörtern arabischen oder persischen Ursprungs aus dem Wort- und Schrift-

gebrauch, den Übergang vom Mond- zum Sonnenkalender, das Ersetzen des Freitags durch

den Sonntag als Ruhetag und das Gewähren politischer Rechte für Frauen. Diese Maßnahmen

sollten nicht dahingehend missverstanden werden, dass damit die vollständige Eliminierung

des Islam und islamischer Werte aus der türkischen Gesellschaft beabsichtigt gewesen wäre.

Atatürks Ziel war es lediglich, die politischen Funktionen des Islam und die Macht der

15 ausführlich dazu vgl. Axt, Heinz-Jürgen: Selbstbewusstere Türkei: Worauf sich die EU einstellen muss, in: Internationale Politik 57, Bielefeld 2002 16 ebd. 17 Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, S. 73

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religiösen Institutionen in der türkischen Gesetzgebung und Justiz zu beenden und die

Religion zu einer Angelegenheit des persönlichen Gewissens zu machen, womit er erfolgreich

durchdrang. Mit seinen Reformen begann sich die Türkei zu einem modernen und säkularen

Staat zu entwickeln.

In dieser Arbeit werden in den Kapiteln 2 bis 6 die EU-Integrationsprozesse analysiert sowie

die rechtlichen und politischen Reformen der Türkei im Hinblick auf eine EU-Vollmit-

gliedschaft untersucht und dabei der Frage nachgegangen, ob unter rechtlichen und

politischen Gesichtspunkten von einer Beitrittsreife der Türkei ausgegangen werden kann.

Das 2. Kapitel spiegelt neben einem vorgeschalteten historischen Abriss der europäisch-

türkischen Beziehungen die Verfassungsgeschichte der Türkei sowie die maßgebenden

Kopenhagener Kriterien als europäisch deklarierte Grundlage für eine mögliche Mitglied-

schaft wider.

Im 3. Kapitel wird die Assoziation zwischen der EU und der Türkei bis zur Errichtung der

Zollunion untersucht.18 Es widmet sich neben den jeweiligen politischen und wirt-

schaftlichen Interessenlagen von EU und Türkei der Untersuchung der maßgeblichen Rechts-

grundlagen für eine völkerrechtliche Verbindung wie das Ankara-Abkommen von 1963 sowie

das Zusatzprotokoll von 1970. Darüber hinaus wird die nachfolgende Entwicklung auf der

Basis dieser Abkommen beleuchtet mit einer perspektivischen Aussicht, ob eine Mitglied-

schaft durch die vorgeschaltete Zollunion als Basis des zunächst rein ökonomischen Integra-

tionsansatzes erfolgversprechend ist.

Das 4. Kapitel beschäftigt sich mit den demokratischen und rechtsstaatlich wichtigsten

rechtspolitischen Reformen in der Türkei zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien.

Beginnend mit der Analyse vom verfassungsgemäß institutionalisierten Nationalen

Sicherheitsrat werden das Parteiensystem der Türkei und religiöse Einflussmöglichkeiten

behandelt. Es widmet sich weiterhin den angegangenen Reformen der Türkei in Bezug auf

18 In der Agenda 2000 gab die Europäische Kommission eine Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei seit Beginn der Zollunion ab. Die Zollunion funktioniere zufriedenstellend und biete eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU. Die Wirtschaft in der Türkei ist in den letzten zehn Jahren stark gewachsen. Die Zollunion hat gezeigt, dass die türkische Wirtschaft der wettbewerblichen Herausforderung des Freihandels gewachsen ist. Allerdings ist die makroökonomische Instabilität in den Augen der EU nach wie vor sehr problematisch.

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Menschenrechte und Minderheitenschutz, wobei der Reformismus in der Kurdenfrage

besonders beleuchtet wird, wie auch denen auf innerstaatlicher Gesetzgebungsebene wie der

Todesstrafe, Polizeigewahrsam, Folter, Geschlechtergleichstellung und der Meinungsfreiheit.

Ziel ist es, der rechtspolitischen Frage nachzugehen, was diese Reformen in Bezug auf die

Vergangenheit der Türkei bedeuten und inwieweit sie ausreichend sind, um längerfristig die

Forderungen der EU für eine Mitgliedschaft zu erfüllen.

Im 5. Kapitel wird die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen analysiert. Untersucht wird

dabei insbesondere die Bewertung der Reformen durch die Europäische Kommission sowie

die politische Bedeutung der Entscheidung über die Aufnahme von Verhandlungen am

03.10.2005 im Hinblick auf einen türkischen EU-Beitritt. Das 6. Kapitel stellt diesbezüglich

für den ersten Teil der Arbeit ein Zwischenergebnis dar.

Im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 7 bis 12) werden nach einem historischen Abriss der

Geopolitik die politischen Machtkonstellationen im Nahen Osten während des Kalten Krieges

und insbesondere in der Ära nach dem Kalten Krieg und gleichsam die Rolle und Bedeutung

der Türkei innerhalb dieser Machtverhältnisse untersucht. Die Arbeit erweitert damit ihre

Untersuchung vom rein bilateralen Aspekt der EU-Türkei-Beziehungen hin zur inter-

nationalen und weltpolitischen Relevanz der türkischen Politstrategie und ihrer EU-

Aufnahmefähigkeit. Kann die Türkei im Nahen Osten tatsächlich als „A reluctant neighbour“

(“Ein träger, unwilliger Nachbar”) definiert werden?19, wie es im Programm einer vom „US

Institute of Peace“ im Juni 1994 in Washington D.C. organisierten Konferenz geschah?

Im Kontext einer durch die Türkei seit Jahrzehnten angestrebten EU-Integration wird

analysiert, worin die Nahostpolitik der Türkei, die seit 1990 im Kaukasus, im Nahen Osten

und in Zentralasien wichtige wirtschaftliche und politische Beziehungen geknüpft hat, besteht

und in welchem Maße sie ihre Nahostpolitik umsetzen kann. Zugleich wird geklärt, inwieweit

sich die praktizierte Politik im Zusammenhang mit der besonders innerstaatlich wie inter-

national problematisierten Kurdenfrage und des Zypernkonflikts20 auf die Westanbindung an

die Europäische Union auswirkt.

19 Barkey, Henry J. (Hrsg.): Reluctant Neighbor: Turkey's Role in the Middle East; US Institute of Peace Press, Washington 1996, S. 112 20 Gerade die aktuelle türkische Zypernpolitik und die gegenwärtigen politischen Terroranschläge von vermeintlich kurdischen Extremisten stellen die türkische Integrationspolitik insgesamt auf den europäischen Prüfstand.

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Im 7. Kapitel werden die Hintergründe der Entstehung der nahöstlichen Geopolitik dargestellt

und untersucht. Die osmanische Ära, die neuen politischen Gebilde, die während und nach

dem 1. Weltkrieg entstanden sind, sowie die Schatten, welche die Machtkonstellationen des

Kalten Krieges auf den Nahen Osten warfen, werden hinsichtlich ihrer politischen Bedeutung

historisch eingeordnet und beschrieben.

Das 8. Kapitel ist der Geopolitik des Nahen Ostens mit dem Zerfall der Sowjetunion nach

dem Kalten Krieg, ihren maßgeblichen Akteuren und Machtpotenzialen sowie dem Platz

gewidmet, den die Türkei in diesem Machtgefüge einnimmt. Dabei kommt den Beziehungen

der Türkei zu den verschiedenen Akteuren im Nahen Osten eine besondere Bedeutung zu. Im

selben Abschnitt werden die Hauptspannungsfelder untersucht, die die Politik im Nahen

Osten bestimmen, gleichsam die Frontbildung entlang diesen Spannungsfeldern. Somit wird

die regionale Politik des Nahen Ostens in ihrer ganzen Tragweite analysiert.

Das 9. Kapitel behandelt spezifiziert die ökonomischen und politischen Entwicklungen im

Nahen Osten nach 1990 mit Blick auf ihre Auswirkungen auf die türkische Außenpolitik. Die

veränderte geopolitische Bedeutung der Türkei nach 1990, ihre Eigenschaften, das veränderte

weltpolitische Klima, die Zäsur des 11. September 2001, die Besetzung des Irak durch die

Koalitionskräfte unter der Leitung der USA, das Szenario eines Kurdenstaates im Nordirak

sowie das Projekt des „Größeren Nahen Ostens“ (Greater Middle East Project) der USA

bilden die Schwerpunkte dieser Analyse. In diesem Abschnitt werden auch die allgemeinen

Parameter des türkischen Außenministeriums für ihre nahöstliche Politik dargestellt, vor

allem wie sie sich in der Ära des verstorbenen Minister- und späteren Staatspräsidenten

Turgut Özal entwickelte. Die Beziehungen zum Irak und zu Syrien sowie die türkisch-

israelische Annäherung und ihre Problemfelder werden ebenso untersucht wie die

Entwicklungen nach dem 2. Golfkrieg, um den veränderten Strukturwandel türkischer

Außenpolitik in dieser Region in erschöpfender Weise darlegen zu können.

Im 10. Kapitel folgt eine intensive politische Analyse des bestehenden türkisch-kurdischen

Konflikts. Vor dem Hintergrund und der Darstellung der historischen Entwicklung des

Konflikts und deren Ursachen wird konkretisierend die Rolle sowie die ändernden Hand-

lungsweisen der maßgeblichen Träger des Prozesses, namentlich das türkische Militär und die

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PKK, beleuchtet. In einem weitreichenderen Kontext schließt die Analyse ebenso die

Begutachtung der internationalen und vor allem „europäisierenden“ Tragweite des

Kurdenkonflikts mit ein. Damit soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit dieser

Konflikt bzw. dessen Lösung eine Beeinflussung europäischer Integrations- und auch

Außenpolitik darstellt.

Das 11. Kapitel widmet sich der für eine EU-Integration nicht wegzudenkenden Lösung des

Zypernkonflikts zwischen der Türkei und Griechenland. Dabei wird neben den bilateralen

politischen Ursachen und der internationalen Tragweite des Konflikts vor allem auf den

derzeit – die weltpolitische Diskussion prägenden - vorherrschenden Lösungsansatz des

„Annan-Plans“ Bezug genommen. Nach einer Darstellung der vom UN-Sicherheitsrat in

seinen wesentlichen Bestimmungen präferierten Konfliktlösung werden die gegensätzlichen

Positionen der Konfliktparteien und deren Wandel analysiert. Dabei wird der Frage

nachgegangen, welche Rolle hier der Europäischen Union zukommt und in welchem

Zusammenhang der Konflikt mit einer türkischen EU-Mitgliedschaft steht.

Das Schlusskapitel (Kapitel 12) fasst die Ergebnisse der Arbeit in beiden Teilen zusammen,

wodurch rechtliche und politische Schlussfolgerungen getroffen werden können, die sich auf

den geamten (weiteren) Prozess der EU-Vollmitgliedschaft der Türkei, ihre Beitrittsreife

sowie ihre Stellung und Rolle aufgrund der geänderten geostrategischen Verhältnisse im

Nahen Osten beziehen. Die Würdigung der bestehenden Sachverhalte und Ergebnisse

erstreckt sich dabei auf die zentralen Punkte der „Europäisierung“ unter gleichzeitiger

Berücksichtigung der neu hervorgerufenen aktiven nahostpolitischen Rolle der Türkei mit

einer Bewertung und einem Ausblick dahingehend, ob dadurch bisher formulierte europäische

Standpunkte den aktuellen politischen Gegebenheiten standhalten können.

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KAPITEL 2: Die Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union im Kontext türkischer Verfassungsgeschichte

2.1 Historische Entwicklung der bilateralen Beziehungen

Kurz nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1958, dem

Vorläufer der heutigen Europäischen Union21, nahm die Türkei22, die seit 1949 Mitglied des

Europarats und seit 1952 Mitglied der NATO23 ist, eine enge Zusammenarbeit mit der

Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf.24

Am 31. Juli 1959, zwei Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge, stellte die Türkei

einen Antrag auf Assoziierung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.25 Neben dem

außen- und sicherheitspolitischen Aspekt hatte die Türkei beachtliche wirtschaftliche sowie

politische Interessen, dem Assoziationsabkommen beizutreten. Die nachfolgenden Verhand-

lungen führten aufgrund des Militärputsches im Jahre 1960 jedoch erst am 12. September

1963 unter dem türkischen Ministerpräsidenten Đsmet Đnönü zur Unterzeichnung des

21 Der EU gehören 25 Staaten mit einer Gesamtfläche von rund vier Millionen Quadratkilometern und einer Gesamtbevölkerung von etwa 450 Millionen Menschen an: die zwölf Gründerstaaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien sowie seit dem 1. Januar 1995 Finnland, Österreich und Schweden und seit dem 1. Mai 2004 Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakische Republik, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. 22 Dembinski, Matthias: Bedingt handlungsfähig?: Eine Studie zur Türkeipolitik der Europäischen Union, in: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2001, II, S. 47 – (HSFK-Report 5/2001); die lange Geschichte des auf Vollmitgliedschaft der Türkei in der heutigen Europäischen Union zielenden Prozesses begann – vor nunmehr über 45 Jahren – mit dem Antrag der Türkei auf assoziierte Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 20. September 1959 23 NATO (engl.): North Atlantic Treaty Organization: Nordatlantikpakt, politisches und militärisches Bündnis von europäischen und nordamerikanischen Staaten mit Sitz in Brüssel (Belgien). Seit 2004 gehören 26 Staaten der NATO an; vgl. Leggewie, Claus (Hrsg.): Die Türkei und Europa. Die Positionen; Frankfurt a.M. 2004, S. 326 24 Die Türkei begehrt nun seit über 46 Jahren, westlich in `Europa` mit anderen Nationen gleichgestellt integriert zu werden. Im Gegensatz zu osteuropäischen Beitrittskandidaten der EU ist die Türkei schon seit 1952 fester Bestandteil des transatlantischen Militärbündnisses, der NATO. 25 Die Grundintention der Türkei war und ist das handfeste politische Motiv der Westorientierung des Landes. Daher reagiert die türkische Politik bis heute recht empfindlich, wenn es um scheinbare oder tatsächliche Abweisungen von Seiten der westeuropäischen Regierungen und Medien geht.

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Assoziierungsvertrages, der bis heute die Grundlage der Beziehungen zwischen der Türkei

und der Europäischen Union bildet.26

Diese als „Abkommen von Ankara“27 bekannt gewordene Assoziierungsvereinbarung sah in

erster Linie die schrittweise Errichtung einer Zollunion28 vor, die die beiden Parteien in

Wirtschafts- und Handelsangelegenheiten einander näher bringen sollte. Zudem wurde bereits

als Fernziel ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft ins Auge gefasst. In dem

Vertrag heißt es: „Sobald das Funktionieren des Abkommens es in Aussicht zu nehmen

gestattet, daß die Türkei die Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der

Gemeinschaft vollständig übernimmt, werden die Vertragsparteien die Möglichkeit eines

Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft prüfen.“29

Die Dynamik der europäischen Wirtschafts- und Integrationspolitik konnte die Türkei als

Anrainerstaat zu Europa und als ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Asien und Europa

nicht unberührt lassen.

Ein am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnetes Zusatzprotokoll zum Abkommen von

Ankara regelte die Einzelheiten für die Etablierung der Zollunion. Demnach sollte die

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bei Inkrafttreten des Protokolls im Januar 1973 Zölle

und mengenmäßige Beschränkungen für Einfuhren aus der Türkei – mit einigen Ausnahmen –

abschaffen. Ferner sah das Protokoll vor, innerhalb der darauffolgenden 12 bis 22 Jahre

zwischen den Parteien Freizügigkeit im Personenverkehr herbeizuführen.30

26 vgl. Bacia, Horst: Vier Jahrzehnte nur leere Versprechen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2004, Nr. 294, S. 6 27 Türkische Botschaft Berlin: Die Türkei auf dem Weg in die EU - Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union, www.tcberlinbe.de/de/eu/geschichte.htm; seit dieser Unterzeichnung erlangte die Türkei den Status eines lediglich potenziellen Beitrittskandidaten der Europäischen Gemeinschaft. Die Türkei wertete dieses Ankara-Abkommen als ersten Schritt auf dem Weg zu einer Vollmitgliedschaft in der EWG 28 Der Beitritt der Türkei zur europäischen Zollunion und deren Inkrafttreten am 31.12.1995 stellen nur eine logische Konsequenz der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der Vergangenheit dar 29 Bacia, Horst, a.a.O., S. 6 30 vgl. Türkische Botschaft Berlin, a.a.O.

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2.2 Die Bewerbung der Türkei um eine Vollmitgliedschaft

Zu Beginn des Jahres 1980 gelang es Turgut Özal, dem damaligen Regierungschef und

späteren Staatspräsidenten, die Türkei durch Verlagerung der Schwerpunkte in der Wirt-

schaftspolitik mit eingehenden Reformen wirtschaftlich zu liberalisieren. Aufgrund dieser

Veränderungen sowie der Wahlen im Jahre 1983 begannen die seit dem Putsch von 1971, der

Intervention auf Zypern im Jahre 1974 und der dritten, diesmal besonders gründlichen und

durchgreifenden Machtübernahme durch den türkischen Generalstab am 12. September

198031 praktisch zum Stillstand gekommenen Beziehungen zwischen der Türkei und der

Gemeinschaft, sich allmählich zu normalisieren.

Vor dem Hintergrund der Wiederbelebung des Assoziierungsprozesses durch den

Assoziierungsrat Türkei-EWG im September 1986 sowie auf der Grundlage von Art. 237 des

EWG-Vertrages, welches jedem europäischen Land das Recht zubilligt, sich um eine

Mitgliedschaft zu bewerben, beantragte die Türkei unter der Regierung Özal am 14. April

1987 die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft.32 Die Kommission der

Europäischen Gemeinschaft brauchte indessen 32 Monate, bis sie am 18. Dezember 1989 zu

dem Urteil kam, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen „nicht zweckmäßig”33 sei,

weil zunächst die Einheitliche Akte und der Binnenmarkt verwirklicht werden müssten.

Außerdem sprächen die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Türkei, die

„negativen Folgen”34 ihres Streits mit Griechenland und die Lage auf Zypern gegen eine

Mitgliedschaft. Zugleich bekundete die Kommission aber ein „fundamentales Interesse”35 an

der Unterstützung der politischen und wirtschaftlichen Modernisierung der Türkei, „ohne

deren Mitgliedsfähigkeit in der Gemeinschaft in Zweifel zu ziehen”36.

31 Das Verhältnis zwischen der Türkei und der EWG kam durch den Militärputsch 1980 zum Erliegen. Zwar entschieden sich die EG-Außenminister, die Kooperation mit der Türkei nicht vollständig aufzulösen, doch erst mit der 1983 an die Macht gelangten Zivilregierung tauten die Beziehungen langsam wieder auf. Insbesondere nach den Kommunalwahlen von 1984 setzten sich die meisten politischen und wirtschaftlichen Gruppierungen in der Türkei für eine Intensivierung der Beziehungen ein 32 vgl. www.euractiv.com/Article?_lang=DE&tcmuri=tcm:31-130598-16&type=LinksDossier 33 Bacia, Horst, a.a.O., S. 6 34 Die von der Kommission angegebenen Gründe für die Ablehnung waren sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Art; vgl. Bacia, Horst, a.a.O., S. 6 35 Bacia, Horst, a.a.O., S. 6 36 Bacia, Horst, a.a.O., S. 6

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Eine ebenfalls 1987 eingegangene Bewerbung Marokkos war umgehend mit der Begründung

abgewiesen worden, dass Marokko kein europäisches Land sei.37 Obwohl die Bewerbung der

Türkei nicht das für sie gewünschte Ziel erreichte, führte sie zu einer Wiederbelebung der

Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft. Auf beiden Seiten

wurden die Bemühungen zur Herausbildung einer Beziehung verstärkt, und die Maßnahmen

für die Realisierung einer Zollunion innerhalb des Zeitplans wurden wieder aufgenommen.

2.3 Die Zollunion als ökonomische Integrationsvorstufe

Die im Jahre 1994 aufgenommenen Gespräche für die Fertigstellung der Zollunion fanden

ihren Abschluss auf dem Treffen des Assoziationsrates Türkei-EU am 06. März 1995. Der

Assoziationsrat, der sich aus den Außenministern der damals fünfzehn Länder der

Europäischen Union und dem Außenminister der Türkei zusammensetzte, verabschiedete den

Beschluss über die Durchführung der Zollunion38 zwischen der Türkei und der Europäischen

Union für Industriewaren und landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte zum 31. Dezember

1995.

Mit dem Inkrafttreten der Zollunion schaffte die Türkei sämtliche Zölle und Abgaben gleicher

Wirkung auf Einfuhren von Industriegütern aus der Europäischen Union ab. Ferner glich sie

ihre Zölle und Abgaben gleicher Wirkung auf die Einfuhr von Industriewaren aus

Drittländern den für Drittlandswaren geltenden zollrechtlichen Bestimmungen der

Europäischen Union an. Seitdem übernimmt die Türkei zunehmend die allgemeine Handels-

politik der Europäischen Union sowie die Präferenzabkommen mit bestimmten Drittländern.

Darüber hinaus wurde die Kooperation zwischen der Türkei und der Europäischen Union in

denjenigen Bereichen intensiviert, die nicht von der Zollunion abgedeckt waren. Dazu

37 vgl. Türkische Botschaft Berlin, a.a.O. 38 Aus türkischer Sicht war die Ratifizierung ein politischer Sieg und zugleich eine offizielle Anbindung an Europa. Aus dem europäischen Blickwinkel wurde die Ratifizierung im Hinblick auf die menschenrechtliche Situation und die neugewählte türkische Regierung mit Skepsis betrachtet. Von Bedeutung ist die Zollunion insbesondere innerhalb des deutsch-türkischen Handels- und Wirtschaftsverkehrs. Zur Bewältigung des angestrebten gemeinsamen Wirtschaftsraums zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und der Türkei wurde der größte Teil der Zölle aufgehoben. Gleichzeitig wurde die Vereinbarung eines gemeinsamen Zolltarifs gegenüber Drittstaaten getroffen.

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gehörten unter anderem industrielle Zusammenarbeit, transeuropäische Netzwerke, Energie,

Transport, Telekommunikation, Landwirtschaft, Umwelt, Wissenschaft, Verbraucherschutz,

Kultur sowie rechtliche und innenpolitische Angelegenheiten.39

2.4 Der türkische EU-Erweiterungsprozess ab 1995

Nimmt man das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland wörtlich, so waren mit der

Zollunion alle Versprechungen des Assoziierungsabkommens zwischen der Türkei und der

Europäischen Union abgegolten. Denn „Ziel dieser früheren Abkommen war jeweils eine

Zollunion mit der EU, die mit der Türkei durch ein Zollunionsabkommen 1995 erreicht

wurde“40. Seit dem bestätigen die europäischen Staats- und Regierungschefs gegenüber der

Türkei jedoch immer wieder, dass ihrer Mitgliedschaft grundsätzlich nichts im Wege stehe

und nichts gegen ihren Beitritt spreche, wenn sie die am 22. Juni 1993 vom Europäischen Rat

von Kopenhagen aufgestellten politischen und wirtschaftlichen Kriterien erfülle.41 Auf dem

Gipfel von Luxemburg im Dezember 1997 lehnten es die EU-Regierungschefs allerdings ab,

der Türkei den Status eines offiziellen Beitrittskandidatenlandes zu gewähren. Gleichzeitig

wurde aber „bekräftigt, dass die Türkei für einen Beitritt zur Europäischen Union in Frage

kommt“42.

Auf dem europäischen Gipfeltreffen in Köln vom 3. bis 4. Juni 1999 ergriff die deutsche

Präsidentschaft unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, der im Vergleich zur Bundes-

regierung unter Helmut Kohl eine positivere Linie im Hinblick auf die Beitrittsbestrebungen

der Türkei zu vertreten scheint, eine neue Initiative, um die Anerkennung der türkischen

Kandidatur sicherzustellen. So veröffentlichte die Europäische Kommission am 13. Oktober

1999 einen Bericht, in dem vorgeschlagen wurde, die Türkei als EU-Kandidat in Betracht zu

ziehen. Im Dezember 1999 schließlich erkannte der Europäische Rat von Helsinki der Türkei

offiziell den Status als Beitrittskandidat zu und beschloss, dass sie „ein beitrittswilliges Land

39 vgl. Türkische Botschaft Berlin, a.a.O. 40 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html 41 vgl. http://europa.eu.int/abc/12lessons/index3_de.htm 42 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html

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[sei], das auf der Grundlage derselben Kriterien, die auch für die übrigen beitrittswilligen

Länder gelten, Mitglied der Union werden“43 solle.

Als Folge dieses Beschlusses verabschiedete die türkische Regierung im März 2001 das

Nationale Programm für die Übernahme von Gesetzen der Europäischen Union. Im

September desselben Jahres nahm das türkische Parlament über 30 Änderungsvorschläge zur

Verfassung an, um die politischen Kriterien von Kopenhagen für die EU-Mitgliedschaft zu

erfüllen. Im August 2002 beschloss es umfassende Reformen, um die Menschenrechts-

kriterien der Europäischen Union zu erfüllen, so dass der Europäische Rat von Kopenhagen

am 13. Dezember 2002 auf Grundlage eines Berichts und einer Empfehlung der Kommission

folgende Entscheidung traf: „Entscheidet der Europäische Rat im Dezember 2004 auf der

Grundlage eines Berichtes und einer Empfehlung der Kommission, dass die Türkei die

politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt44, so wird die Europäische Union die Beitritts-

verhandlungen mit der Türkei unverzüglich eröffnen.“45

Unterdessen einigten sich die Regierungschefs der Europäischen Union darauf, die

Zusammenarbeit innerhalb der Zollunion auszudehnen und zu vertiefen und die finanzielle

Hilfe für die Türkei zur Vorbereitung auf den Beitritt aufzustocken. Im Mai 2002 verständigte

sich der EU-Ministerrat auf die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der

Beitrittspartnerschaft mit der Türkei.46

Am 16./17. Dezember 2004 beschloss der Europäische Rat schließlich, die Verhandlungen

über den Beitritt der Türkei zu eröffnen. In seiner Erklärung begrüßte er „die entscheidenden

Fortschritte, die die Türkei in ihrem weit reichenden Reformprozess erzielt“47 habe.

Gleichzeitig erwarte er aber, dass „die Türkei diesen Reformprozess weiterverfolgen wird“.48

43 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html 44 Die türkische Regierung erklärte im Vorfeld des Beschlusses des Europäischen Rates über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, dass die Türkei ihre Verpflichtungen im Hinblick auf die Einlösung der Kopenhagener

Kriterien erfüllt habe. Seitdem hat sie sich kategorisch geweigert, "neue Forderungen" zuzulassen. 45 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html 46 vgl. www.euractiv.com/Article?_lang=DE&tcmuri=tcm:31-130598-16&type=LinksDossier 47 www.euractiv.com/Article?_lang=DE&tcmuri=tcm:31-130598-16&type=LinksDossier 48 www.euractiv.com/Article?_lang=DE&tcmuri=tcm:31-130598-16&type=LinksDossier

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Mit der Festlegung des 3. Oktober 2005 für den Verhandlungsbeginn wurde schlussendlich

der Forderung der türkischen Regierung nachgekommen, welche angesichts des auf dem

Gipfel in Kopenhagen eingegangenen Versprechens, die Verhandlungen mit der Türkei ohne

Verzug zu eröffnen, sobald diese die erforderlichen Reformen durchgeführt habe, ein

konkretes Datum für die Einleitung der Beitrittsverhandlungen beansprucht hatte.

Gemäß der Entscheidung des Europäischen Rates arbeitete die Europäische Kommission

einen Verhandlungsrahmen aus, den sie am 29. Juni 2005 vorstellte. Demnach wird der

Verhandlungsrahmen auf den folgenden Elementen basieren: Das gemeinsame Ziel der

Verhandlungen sei der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, jedoch könne „ihr

Ergebnis nicht von vornherein garantiert werden“.49 Sollte es sich am Ende der Verhand-

lungen herausstellen, dass die Türkei nicht in der Lage sei, alle mit einer Mitgliedschaft

verbundenen Verpflichtungen einzuhalten, müssten die Mitgliedsstaaten der Europäischen

Union nichtsdestoweniger gewährleisten, dass die Türkei „durch eine möglichst starke

Bindung vollständig in den europäischen Strukturen verankert wird“.50

Die Beitrittsverhandlungen sollen im Rahmen einer Regierungskonferenz, an der die Türkei

und sämtliche EU-Mitgliedsstaaten teilnehmen, durchgeführt werden. Die verschiedenen

politischen Bereiche – „Verhandlungs-Materie“51 – sollen in 35 Kapitel unterteilt werden, und

alle Entscheidungen sind einstimmig durch den Rat zu treffen. Die Europäische Union kann

erwägen, ob sie lange Übergangszeiten, Ausnahmeregelungen, spezifische Vereinbarungen

oder dauerhafte Schutzklauseln in ihre Vorschläge für die einzelnen Verhandlungsrahmen für

Bereiche wie den freien Personenverkehr, Strukturpolitik und Agrarpolitik aufnehmen will.

Die Beitrittsverhandlungen können – „im Falle schwerwiegender und anhaltender

Verletzungen der Werte, auf die sich die Union gründet, namentlich Freiheit, Demokratie,

Wahrung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit“52 –

ausgesetzt werden. Hierzu wäre eine Initiative der Kommission oder eine Empfehlung von

einem Drittel der Mitgliedsstaaten nötig. Die endgültige Entscheidung würde jedoch vom Rat

49 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html 50 www.euractiv.com/Article?_lang=DE&tcmuri=tcm:31-130598-16&type=LinksDossier 51 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html 52 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html

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mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Das Europäische Parlament würde lediglich

unterrichtet werden.

Im Rahmen eines Kompromisses, auf den sich der Europäische Rat im Dezember 2004

einigte, muss die Türkei vor dem 3. Oktober 2005 ein Zusatzprotokoll des Abkommens von

Ankara unterzeichnen. Die auf dessen Grundlage begründete Zollunion muss nun auf die zehn

neuen Mitgliedsstaaten ausgeweitet werden.53 „Um die Unumkehrbarkeit der politischen

Reformen und ihre vollständige und tatsächliche Durchführung, insbesondere hinsichtlich der

uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte, sicherzustellen, wird die Europäische

Kommission dem Rat jährlich berichten. Termin für den nächsten Bericht, verbunden mit dem

Entwurf für die überarbeitete Beitrittspartnerschaft, ist voraussichtlich der November 2005,

also nach Eröffnung der Verhandlungen. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik

Deutschland rechnet mit langen und schwierigen Verhandlungen und hält einen Zeitrahmen

von 10 bis 15 Jahren für realistisch.“54 Mit den offiziellen Beitrittsverhandlungen ab 3.

Oktober 2005 beginnt eine entscheidende Ära der wechselseitigen Zusammenführung.55

Beim ersten in Richtung `Europa` gehenden politisch maßgeblichen Schritt, nämlich der

Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

(EWG) am 12. September 1963, machte Walter Hallstein (CDU), der damalige Präsident der

EWG-Kommission, in seiner Rede die Bedeutung dieses ersten Vertrages mit der Türkei

deutlich: „Und eines Tages soll der letzte Schritt vollzogen werden: Die Türkei soll

vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein. Dieser Wunsch und die Tatsache, dass wir in

ihm mit unseren türkischen Freunden einig sind, sind der stärkste Ausdruck unserer

Gemeinsamkeit.“ 56 Zu der heute noch heftig umstrittenen Frage, ob die Türkei überhaupt ein

europäisches Land sei, fand Walter Hallstein in seiner Rede anlässlich der Unterzeichnung

des Ankara Vertrages deutliche Worte: „Wir sind heute Zeuge eines Ereignisses von großer

politischer Bedeutung. Die Türkei gehört zu Europa. Das ist der tiefste Sinn dieses Vorgangs: 53 vgl. www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html 54 www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/erweiterung_html 55 Die wirtschaftliche Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union für ein so großes Land wie die Türkei mit einer schnell wachsenden Bevölkerung und beachtlichen politischen und wirtschaftlichen Problemen ist fraglich und umstritten. Österreich hat sich deshalb am 03.10.2005 dahin gehend durchgesetzt, dass die Aufnahme-fähigkeit der EU zum Entscheidungskriterium am Ende des Verhandlungsweges zu machen ist. 56 zit. nach: Kyaw, Dietrich von: Nach dem Gipfel von Kopenhagen – wo sind die Grenzen Europas? Vortrag des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei der EU a.D. anlässlich eines Roundtable der Konrad-Adenauer-Stiftung am 18. März 2003 in Brüssel

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Er ist, in denkbar zeitgemäßer Form, die Bestätigung einer Wahrheit, die mehr ist als ein

abgekürzter Ausdruck einer geographischen Aussage oder einer geschichtlichen Feststellung,

die für einige Jahrhunderte Geltung hat..“57

2.5 Staatsrechtliche Grundentscheidungen in der türkischen Verfassungs- und

Rechtsordnung seit 1923

Der mehrfach geltend gemachte Anspruch der Türkei, aus dem Stadium des Beitritts-

kandidaten herauszugelangen und vollberechtigtes Mitglied der EU zu werden, macht es

erforderlich, die Entwicklung der souveränitätsbegründenden Rechtsgrundlagen, nämlich die

Verfassungen der Türkei, im staatlichen Selbstverständnis sowie das innerstaatliche Recht zu

betrachten und vor allem ihre wesentlichen Änderungen in Bezug auf eine EU-Integration zu

untersuchen:

Eine erste republikanische Verfassung nach europäischem Muster verabschiedete die Türkei

im Jahr 1923, mit der zugleich die letzten Institutionen islamischen Rechts fielen. Es erfolgte

eine fundamentale Umwälzung der türkischen Verfassungs- und Rechtsordnung, in welcher

alle im islamischen Recht begründeten Strukturen aufgelöst wurden. Aus der Schweiz wurden

das Zivilgesetzbuch, das Konkurs- und Zwangsvollstreckungsrecht sowie das Handelsrecht

übernommen. Die Strafprozessordnung ging auf Deutschland und das Strafgesetzbuch auf

Italien zurück. Das ohnehin bereits an französischen Vorbildern orientierte öffentliche

Verwaltungsrecht wurde mit zahlreichen Gesetzen modernisiert. Festzuhalten ist damit, dass

schon zu diesem Zeitpunkt das Zivilrecht wie auch das öffentliche Recht seine Ursprünge in

westlichen europäischen Staaten fand, die sich selbst wiederum an römischem Recht

orientierten. Dadurch etablierte sich eine nach westlichen Maßstäben moderne, wirtschaftlich

und politisch aufstrebende Türkei.

Das von der „Republikanischen Volkspartei“ von Mustafa Kemal Atatürk beherrschte

politische System fand im Jahr 1946 erstmals seinen Weg zur Mehrparteiendemokratie.

57 Kyaw, Dietrich von: Nach dem Gipfel von Kopenhagen – wo sind die Grenzen Europas?, Brüssel 2003, S. 43

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Nachdem sich unter diesen neuen politischen Bedingungen bei den Wahlen 1950 die

„Demokratische Partei“ durchsetzte, war die Türkei bereits als einer der ersten Staaten den

1946 gegründeten Vereinten Nationen und 1949 dem Europarat beigetreten. Während bei der

Gründung der Montan-Union 1951 noch die späteren Gründerstaaten der EWG unter sich

blieben, ratifizierte die Türkei 1954 die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und

trat der NATO bei. Schon anlässlich der Errichtung der EWG am 1.1.1958 meldete die Türkei

ihren Anspruch an, eines Tages ebenfalls dazuzugehören. Wegen des ersten großen Eingriffs

des türkischen Militärs in die Politik stürzte 1960 die Regierung von Adnan Menderes

(Demokratische Partei) über ihre Versuche, die Opposition auszuschalten. Der Putsch,

unterstützt von wichtigen Teilen einer reformistischen akademischen Elite, bedeutete das

Ende der ersten republikanischen Verfassung, die somit immerhin 36 Jahre überdauert hatte.

Als die Türkei 1963 das Assoziationsabkommen mit der EWG ratifizierte, war nicht lange

zuvor die Verfassung von 1961 in Kraft getreten. Diese kann grundsätzlich vor allem im

Hinblick auf den Schutz der Grundrechte und rechtsstaatliche wie auch demokratische

Garantien als die fortschrittlichste aller türkischen Verfassungen - bis auf die jetzige

reformierte Verfassung - bezeichnet werden. Verfassungsrechtlich versuchte man darin durch

ein Zweikammer-System (Nationalversammlung und Senat), die Gefahr einer „Diktatur der

Mehrheit“ zu bannen. Die Unabhängigkeit der Justiz wurde verfassungsrechtlich abgesichert,

ein umfangreicher Grundrechtskatalog sollte ein Höchstmaß an individueller Freiheit

garantieren. Das Präsidium für Religionsangelegenheiten, das in erster Linie der politischen

und sozialen Kanalisierung des Islam als Religion der Bevölkerungsmehrheit dienen sollte,

wurde in die Verfassung ebenso aufgenommen wie der Nationale Sicherheitsrat, der die

Regierung in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit beraten sollte und sich später zu einer

maßgeblichen Institution der türkischen Verfassungspraxis entwickelte. Neu war zudem das

Verfassungsgericht, womit die Türkei den Vorbildern Deutschlands und Italiens folgte, wo

sich die Verfassungsgerichte als effektive Instrumente zum Schutz vor politischen Angriffen

auf das bestehende System einer freiheitlichen Grundordnung entwickelt hatten.

Das Jahr 1971 markierte einen erneuten Rückschlag in Richtung EU-Integration, als das

türkische Militär wie schon elf Jahre zuvor putschte58. Damit folgten in rechtlicher Hinsicht

58 Wobei der Rücktritt von Ministerpräsident Demirel erzwungen wurde und eine überparteiliche Regierung

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tief greifende Änderungen der Verfassung, die viele liberale Grundrechte wieder relativierten,

die Staatsmacht stärkte und die Institution der so genannten Staatssicherheitsgerichte

einführten, welche allerdings infolge einer Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts

auf dem Papier stehen blieben und keine weiteren juristischen oder politischen Auswirkungen

erzielten.

1973 kehrte die Türkei wieder zur politischen `Normalität` zurück, ohne allerdings zur Ruhe

zu kommen.59 Soeben war das Zusatzprotokoll mit der EG in Kraft getreten, als sich die

politische Situation mit dem griechischen Putsch am 15. Juli 1974 und dem anschließenden

Einmarsch der türkischen Truppen auf Zypern radikal änderte. Wechselnde Koalitions-

regierungen erwiesen sich als politisch unfähig, das System zu stabilisieren. Bürger-

kriegsähnliche Zustände und ein Patt zwischen den beiden Parlamentskammern, die sich in

der Gesetzgebung mit ihren unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen gegenseitig blockierten,

führten zum Putsch am 12. September 1980.

Auch in diesem Fall versuchten die politischen Kräfte im Land, möglichst schnell zu

demokratischen Verhältnissen zurückzukehren. Schon im November 1982 wurde eine neue

türkische Verfassung60 verabschiedet, die sich juristisch in weiten Teilen an der Verfassung

aus dem Jahr 1961 orientierte, im politischen System jedoch einer starken staatlichen

Autorität den Vorrang gab. Der damit verbundene erneute Rückschlag im Hinblick auf die

Akzeptanz der türkischen Verfassungsordnung durch die EG und ihre Mitgliedsstaaten war

deshalb nur schwer wieder aufzuholen. Die Türkei erkannte völkerrechtlich erst 1987 die

Rechtsprechung der EG und 1990 diejenige des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-

rechte (EGMR) an. Ferner trat sie den Konventionen der Vereinten Nationen und des

Europarats gegen die Folter bei.

unter Nihat Erim eingesetzt wurde. 59 Wechselnde Koalitionsregierungen zwischen der Gerechtigkeitspartei unter Demirel und der Republi-kanischen Volkspartei unter Bülent Ecevit destabilisierten das politische System der Türkei. Süleyman Demirel wurde nach dem Tod von Turgut Özal 1993 zum neuen Staatspräsidenten der Türkei gewählt. 60 Diese Verfassung wurde in einem Referendum mit über 90% der abgegebenen Stimmen und einer Wahlbeteiligung von ebenfalls über 90% angenommen. Grund für die hohe Wahlbeteiligung war die Wahlpflicht, die mit Androhung einer Geldstrafe geahndet wurde. Die hohe Zustimmung zur Verfassung resultierte nach Meinung eines führenden sozialdemokratischen Politikers, Abdulbaki Yazicioglu, Alt- Bürgermeister von Tekman, aus Angst vor bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, wie sie vor dem Militärputsch bestanden, und aus Furcht vor Repressalien bei oppositionellem Verhalten.

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An dieser Stelle scheint daher eine nähere Erläuterung der türkischen Verfassung von 1982

angebracht, da diese Verfassung bis zu den neuesten Verfassungsänderungen - im Rahmen

der Reformen - für die Staatsstrukturen der Türkei maßgeblichen Einfluss hatte:

Bereits die Präambel in der Verfassung von 1982 spiegelt eine starke ideologische

Orientierung an den kemalistischen Prinzipien wider. Wie 1961 enthält auch diese Verfassung

einen sehr umfangreichen Teil über die Grundrechte, wobei zwischen Freiheitsrechten,

sozialen und wirtschaftlichen Rechten sowie politischen Teilhaberechten differenziert wird.

Das Parlament bestand jetzt aus einer einzigen Kammer. Ihm gegenüber war der Ministerrat

verantwortlich, der seinesgleichen vom Präsidenten der Republik ernannt wurde. Dem

Präsidenten wurde eine Fülle von Befugnissen zuteil, darunter auch diejenige der Ernennung

der Verfassungsrichter. Dies ermöglichte ihm eine durchaus nennenswerte Einflussnahme auf

die Judikatur, ohne dass es jedoch schon gerechtfertigt wäre, von einem autoritären

Präsidialsystem zu sprechen.

Die Justiz war verfassungsrechtlich unabhängig; rechtsstaatliche Prinzipien wurden vielseitig

und ausführlich geregelt. Ein abgestuftes System verschiedener denkbarer Kategorien von

Notstandsfällen waren in dieser Verfassung ebenso verankert wie Vorschriften, die eine auf

marktwirtschaftlichen Grundsätzen basierende und mit bestimmten staatlichen Aufsichts-

elementen versehene Wirtschaftsordnung erkennen lassen.61

Das Bekenntnis zu einer EU-Mitgliedschaft erforderte für alle Beitrittskandidaten eine

Anpassung und gegebenenfalls Kompromisse auf der Verfassungsebene, um die Politik der

EU rechtlich konsequent umsetzen zu können. Dies bedeutete auch, dass die

Verfassungsordnung des jeweiligen Landes so aufzubereiten ist, dass der Beitritt auch

verfassungsrechtlich ohne Hindernisse verlaufen kann. Die Anforderungen der EU an die

Voraussetzungen für einen Beitritt der Türkei sind in verschiedenen Dokumenten festgelegt

worden, unter anderem in dem Ministerratsbeschluss der EU vom 08.03.2001. Allerdings

hatten die „Kopenhagener Kriterien“ von 1993 bisher in der Praxis das maßgebliche Gewicht.

Sie verliehen den europäischen Interessen, unter welchen Bedingungen die EU überhaupt

bereit ist, eine Erweiterung bzw. Integration anderer Staaten vorzunehmen, den entscheiden- 61 vgl. Heper, Metin; Evin, Ahmet: State, Democracy and the Military - Turkey in the 1980s, Berlin, New York 1988, S. 47-53

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den Ausdruck. Hiernach ist der Beitrittskandidat gehalten, stabile Institutionen zur

Gewährleistung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und des Schutzes von

Minderheiten zu schaffen sowie eine funktionstüchtige Marktwirtschaft zu installieren, die

sich im Wettbewerb innerhalb der EU behaupten kann. Als drittes Kriterium wird gefordert,

dass der Beitrittskandidat die Fähigkeit nachweist, dass er seine Verpflichtungen als Mitglied

übernehmen kann, insbesondere in Bezug auf die Ziele der politischen, wirtschaftlichen und

monetären Einheit.

Hieraus wird deutlich, dass der „acquis communautaire“ nicht nur in wirtschaftlicher und

wirtschaftsrechtlicher, sondern auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht in die türkische

Rechtsordnung einzubeziehen ist. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, Einzelheiten aus

dem oben genannten Ministerratsbeschluss aufzuführen. Um diesen in seinen Inhalten jedoch

gerecht zu werden, verabschiedete die Türkei am 19.03.2001 das so genannte „Nationale

Programm“. Dieses Programm zeigt ausführlich den Stand der Übernahme des acquis

communautaire62 und die noch verbleibenden Aufgaben der Türkei für eine bedingungs-

gemäße Mitgliedschaft. Es enthält Vorschläge für 90 neue Gesetze und 89 Gesetzes-

änderungen mit kurz- und mittelfristigen Prioritäten zur Umsetzung. Dazu gehören neben

„Großprojekten“ wie einem neuen Zivilgesetzbuch und dem soeben verabschiedeten

Strafgesetzbuch auch Änderungen im Bereich der politischen Parteien, der Anti-

terrorgesetzgebung, der Justiz und vielen anderen mehr.

Der erste Schritt zu grundlegenden neuen Änderungen der türkischen Verfassung fand im

Spätherbst 2001 statt. Mit diesem Schritt zeichnete sich eine Abkehr von jenem

Verfassungssystem ab, das nach dem Militärregime in der Übergangszeit zwischen 1980 und

1983 entwickelt worden war. Nicht zu vergessen ist indessen die fundamentale

Verfassungsänderung von 1995, ohne die das Inkrafttreten der Zollunion nicht möglich

gewesen wäre und welche insbesondere den Gewerkschaften mehr Freiheiten zugestanden

hatte.63 Eine ausführliche Analyse der seit dem Jahr 2001 wichtigsten und fundamental von

der EU geforderten rechtspolitischen Änderungen, die ihre Grundlage in der türkischen

Rechtsordnung auf dem Weg zur Europäischen Union gefunden haben, folgt in Kapitel 4

62 Acquis communautaire: gemeinschaftlicher Besitzstand der Europäischen Union 63 Eine detaillierte Bewertung der Verfassungsänderung vom Juli 1995 liefert Rumpf, Christian: Die Verfassungsänderung vom Juli 1995, hrsg. v. d. Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Ebenhausen 1995

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dieser Arbeit. Zuvor aber sollen die Kopenhagener Kriterien, die letztendlich den

Reformprozess mobilisiert haben, näher beleuchtet werden.

2.6 Die Kopenhagener Kriterien von 1993 als manifester Integrationsmaßstab

zur Einleitung politischer Reformen

Die Kopenhagener Kriterien gehen zurück auf die Tagung des Europäischen Rates in

Kopenhagen vom 21. und 22. Juni 1993, wo die Beitrittskriterien für eine Mitgliedschaft in

der Europäischen Union festgelegt und im Dezember 1995 erneut bestätigt wurden. Für die

Kandidaten stellen sie den fundamentalen Integrationsmaßstab – spezifiziert durch

nachfolgende Berichte und Grundsatzdekrete der EU - dar, an welchem sie sich messen lassen

müssen. Sie umfassen sowohl juristische, politische als auch wirtschaftliche Bedingungen, die

an drei zentralen Punkten für den potenziellen Mitgliedsstaat festzumachen sind:

� Der Beitrittskandidat hat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische

und rechtsstaatliche Ordnung vorzuweisen und außerdem die Menschenrechte zu

wahren sowie den Schutz von Minderheiten zu gewährleisten. Diese Kriterien

beziehen sich auf die politische Ordnung eines Staates und erfordern bei Bedarf

politische Reformen. Sie müssen jedenfalls vor Beginn von Beitrittsverhandlungen

erfüllt sein. Diese politischen Kriterien haben in der Türkei zur Einleitung der

Reformen geführt und sind somit Bezugspunkt dieser Arbeit.

� Der Beitrittskandidat muss im Besitz einer funktionsfähigen Marktwirtschaft sein

sowie die Fähigkeit besitzen, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU standzu-

halten.64

� Der Beitrittskandidat unterliegt der Pflicht, die aus der Mitgliedschaft erwachsenden

Verpflichtungen bzw. das gesamte Recht der EU (sog. „Acquis communautaire“ oder

„Acquis-Kriterium“) zu übernehmen.

64 vgl. Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäischen Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 189

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Zusammengefasst bedeutet dies die Verfolgung des Zieles einer politischen Union sowie die

Realisierung einer Wirtschafts- und Währungsunion. Es ist jedoch wichtig zu bemerken, dass

diese wirtschaftlichen Kriterien und die Übernahme des „Acquis communautaire“ erst zum

Zeitpunkt des Beitritts erfüllt sein müssen, während die politischen Kriterien schon vor

Beginn der Verhandlungen verwirklicht sein müssen.

Des Weiteren wird noch dahingehend differenziert, dass ein Beitritt nur dann erfolgen darf,

wenn zu erwarten ist, dass der Beitritt nicht zu deutlichen Defiziten im EU-Integrations-

prozess führt. Damit waren nach außen für jedes beitrittswillige Land, wie eben auch für die

Türkei, die Aufnahmebedingungen vorgegeben worden.

Die EU-Kommission legte dem Europäischen Rat am 4. März 1998 ihre Mitteilung über eine

Europäische Strategie für die Türkei vor. Zentrale Themen der Vorlage waren die

Rechtsangleichung und die Übernahme des Besitzstandes der Gemeinschaft im Rahmen der

Heranführungsstrategie. Im November 1998 wurde sodann der “Regelmäßige Bericht der

Kommission über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt” veröffentlicht,65 was

von da an jährlich erfolgen sollte. Die Kommission stellte dabei “gewisse Anomalien in der

Funktionsweise der öffentlichen Hand, das Anhalten der Menschenrechtsverletzungen und

wichtige Mängel in der Behandlung der Minderheiten” fest. Das Fehlen einer zivilen

Kontrolle über die Armee sei beunruhigend.66 Die Türkei weise aber weitgehend die

Merkmale einer Marktwirtschaft durch weit entwickelte Rechts- und Verwaltungsvorschriften

und –strukturen auf, so dass ihr ein großes Wachstumspotenzial und eine hohe

Anpassungsfähigkeit im Rahmen der Zollunion zuerkannt wurde. Sie habe bewiesen, die

meisten in dem Zollunionsbeschluss vorgesehenen Rechtsvorschriften fristgerecht zu

verabschieden und durchzuführen. Innerhalb der von der Europäischen Strategie aufgezeigten

Bereiche habe die Türkei bereits mit der Annäherung an das Gemeinschaftsrecht begonnen.67

Auf dem EU-Gipfel von Helsinki vom 10./11. Dezember 1999 wurde der Türkei der offizielle

Kandidatenstatus zuerkannt. Damit wurde die Türkei formell in die Runde der anderen zwölf

Beitrittskandidaten aufgenommen. Für die Türkei gelten die gleichen Bedingungen zur

65 vgl. http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report_11_98/pdf/de/turkey_de.pdf 66 Regelmäßiger Bericht der Kommission über die Fortschritte der Türkei, 1998, S. 63 67 ebd. S. 63-64

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Aufnahme von Verhandlungen wie für die anderen Beitrittskandi-daten, nämlich die

Erfüllung der politischen Kriterien des Europäischen Rates von Kopenhagen vom Juni 1993.

Dieser Beschluss ist für die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei als Wendepunkt zu

sehen, da die Türkei bis dahin formal aus dem Erweiterungsprozess ausgeschlossen war. Zwar

blieb sie das einzige Land der insgesamt 13 Kandidaten, das nicht zur Aufnahme von

Beitrittsverhandlungen eingeladen wurde, dennoch fühlte sich die Türkei mit ihrem Ziel, EU-

Vollmitglied zu werden, bekräftigt und bestätigt. Das nächste Etappenziel auf diesem Weg ist

die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.68

Zugleich wurden auf der Ratssitzung weitere Maßnahmen beschlossen, um den Beitritt zu

fördern, insbesondere Konzeption und Verabschiedung einer Beitrittspartnerschaft, die

Schaffung von Überwachungsmechanismen, die es der EU ermöglichen sollen, die Einhaltung

der türkischen Verpflichtungen aus der Beitrittspartnerschaft zu kontrollieren (u.a. der

jährliche Fortschrittsbericht der EU-Kommission, welcher aber bereits seit 1998 vorgelegt

wird), Finanzhilfen für die Türkei sowie die Schaffung von Beitrittsmöglichkeiten an

Gemeinschaftsprogrammen der EU.69

Am 8. März 2001 bestätigte der Europarat diesen Beschluss und formulierte konkrete

„Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft für die

Türkische Republik“, was die erste Beitrittspartnerschaft bedeutete.70 Im Rahmen einer

Heranführungsstrategie wurde der Türkei ein konkreter Reformkatalog mit kurz- und

mittelfristigen Prioritäten/Zielen vorgelegt, den sie auf ihrem Weg zur EU zu erfüllen hätte,

was allerings kritisch betrachtet werden muss.

Es ist nicht klar erkennbar, ob auch die mittelfristigen Ziele schon bei Beginn der

Beitrittsverhandlungen erreicht sein müssen. Gleichsam mangelt es an konkreten Auflagen

gegenüber der Türkischen Republik zur Ratifizierung bestimmter Konventionen des

Europarates.71 Unmittelbar nach dem Ratsbeschluss erarbeitete die Türkei im Frühjahr 2001

68 vgl. Yazicioglu, Ümit: Die Türkeipolitik der Europäischen Union, Der Andere Verlag, Osnabrück 2004, S. 41 69 Cremer, Jan: Die Europoäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 6 70 Beschluss des Rates (2001/235/EG) vom 08.03.2001, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L85/13 vom 24.03.2001 71 vgl. Kramer, Heinz: Die Türkei und die Kopenhagener Kriterien, SWP-Studie, Berlin 2002, S. 9 ff.

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das sog. „Nationale Programm“. Damit wurden umfassende Reformen und Prozesse in Gang

gesetzt mit dem Ziel der Angleichung an das EU-Recht und die Europäische Werte-

gemeinschaft. Die EU-Kommission wertete dieses Dokument als großen Fortschritt in den

beiderseitigen Beziehungen.

Mit Spannung wurden sodann die Ergebnisse der vorgezogenen Parlamentswahlen in der

Türkei Anfang November 2002 erwartet. Als Sieger ging die Gerechtigkeits- und

Entwicklungspartei (AKP) unter der Führung von Recep Tayyip Erdogan hervor. Trotz

einiger anfänglicher Befürchtungen seitens der EU setzt sich Erdogan für einen schnellen EU-

Beitritt der Türkei ein.72

Auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember 2002 hatten die EU-Regierungschefs

letztlich auf der Grundlage der Kopenhagener Kriterien von 1993 sowie den nachträglichen

Regelmäßigen Berichten und Empfehlungen der Kommission beschlossen, Ende 2004 erneut

über die Beitrittsreife der Türkei zu entscheiden. In dem am 6. Oktober 2004 veröffentlichten

Fortschrittsbericht der Kommission, in welchem die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen

empfohlen wird, kommt diese zu dem Schluss, dass die Türkei die politischen Kriterien von

Kopenhagen im gesetzgeberischen Bereich weitgehend erfüllt hat, während bezüglich der

Umsetzung in die Praxis nach wie vor gravierende Mängel konstatiert werden.73

Gleichwohl kam es in der Sitzung des Europäischen Rats vom 16./17. Dezember 2004 zu der

Entscheidung, am 3. Oktober 2005 mit den Beitrittsverhandlungen zu beginnen.74 Da die

vollständige Überprüfung der grundlegenden Gesetzbücher (Strafgesetzbuch, Pressegesetz,

Vereinsgesetz, Parteiengesetz) ein langwieriger gesetzgeberischer Prozess war, der Jahre hätte

benötigen können, zog es die Türkei vor, die für eine Mitgliedschaft festgestellten Unzuläng-

lichkeiten gegenüber den politischen Kriterien so schnell wie möglich durch sog.

„Harmonisierungspakete“75 zu beseitigen. Die Revision der Gesetze ist ein fortlaufender

Prozess, der während der laufenden Beitrittsverhandlungen andauern wird.

72 Obwohl in der Türkei seit Jahrzehnten eine regelrechte Europäisierung angestrebt wird, haben die häufigen Regierungswechsel und die damit verbundenen Veränderungen die Erfüllung der Kriterien erschwert. 73 vgl. Cremer, Jan: Die Europoäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 8 74 http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/vertiefung/tuerkei_html 75 Im Laufe des Reformprozesses wurde „Harmonisierungspaket“ der Referenzbegriff für einen Gesetzes-entwurf, der aus einer Sammlung von Änderungen zu verschiedenen Gesetzen besteht. In einem solchen Harmonisierungspaket sind Änderungen für jeweils mehr als ein Gesetzbuch oder Gesetz zusammengefasst, die im Parlament in einer einzigen Abstimmung angenommen oder verworfen werden können.

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KAPITEL 3: Der Assoziationsprozess zwischen der Europäischen Union und der Türkei bis zur Errichtung der Zollunion

Die Türkei ist nun seit über 30 Jahren assoziiertes Mitglied der EU und die überwiegende

Anzahl der Türken verbinden eine Vielzahl von Hoffnungen mit einem möglichen Beitritt,

wobei sie weitläufig die Errichtung einer Zollunion als ersten Schritt betrachten. Zwar wurden

von der Europäischen Kommission Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei aufgenommen,

doch erscheint die künftige Auswirkung der Zollunion auf die Volkswirtschaft der Türkei

derzeit noch intransparent. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob unter den diktierten

Bedingungen der EU und denen des Freihandels innerhalb des Integrationsgebietes mit einer

positiven wirtschaftlichen Entwicklung im Sinne der Türkei gerechnet werden kann oder ob

die bestehenden Probleme sich nur noch verschärfen, und zwar ungeachtet der politischen

Frage, ob die Menschenrechtslage wie auch der weitere „Demokratisierungsprozess“ eine EU-

Annäherung erfährt.

Dieses Kapitel der Arbeit widmet sich nun dem Assoziationsprozess bis zur avisierten

Vorstufe zur Mitgliedschaft, nämlich der Zollunion zwischen der Europäischen Union und der

Türkei. Nach der Darlegung des weiteren Weges der Assoziation zwischen der Türkei und der

Gemeinschaft wird der Vertrag über die Zollunion in seinen Grundlagen dargestellt und der

Frage nachgegangen, wie der eingeschlagene europäisch-türkische Weg bilateral vereinbar ist

und ob er geeignet ist, das beiderseitig erklärte Ziel der Vollintegration zu verwirklichen.

3.1 Westeuropäische Adaption als Staatszielbestimmung der Türkei

Zunächst ist der Frage nachzugehen, auf welchen Ursachen eine Westausrichtung der Türkei

beruht und von welchen politischen Motiven sie dabei geleitet wird.

Die Türkei ist derzeit die einzige pluralistische säkulare Gesellschaft in der muslimischen

Welt. Verglichen mit anderen islamischen Ländern ist sie die für westliche Maßstäbe

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progressivste. Sie hat der Entwicklung ihrer Beziehungen mit anderen europäischen Staaten

stets eine große Bedeutung beigemessen. Die türkische Kultur hinterließ im Laufe der

Geschichte einen nachhaltigen Einfluss auf einen großen Teil Ost- und Südeuropas.

Im 19. Jahrhundert begann die Türkei bereits, die wirtschaftlichen, politischen und sozialen

Strukturen des Landes zu „westernisieren“. Nach dem 1. Weltkrieg und der Verkündung der

Republik im Jahre 1923 wurde Westeuropa als Vorzeigemodell für die neuen weltlichen

Strukturen genommen. Dieser wichtige Wendepunkt der türkischen Orientierung nach Europa

wurde von Mustafa Kemal Atatürk eingeleitet und verfolgte zwei Staatsziele: die Errichtung

eines souveränen, unabhängigen türkischen Staates auf dem türkischen Kerngebiet und die

Modernisierung dieses Staates.76 Daher kam es noch während des Unabhängigkeitskrieges

1919 zum Bruch mit dem Sultan und zur Abschaffung des Sultanats. 1924 wurde auch das

Kalifat abgeschafft. Somit versuchte Atatürk, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit zu

realisieren und die Türkei dem arabisch-asiatischen Einfluss auf Kultur und Tradition zu

entziehen, um sie zu einem modernen westlichen Staat zu machen. Seine Reformen stellten

eine konsequente und umfassende Ausrichtung nach Europa dar77 und bezweckten die

Annäherung an den kulturellen, industriellen und wirtschaftlichen Stand der europäischen

Staaten. Mit Mustafa Kemal Atatürk wurden die ersten Steine in das Gebäude der „adaption

of life along European lines“ eingefügt und auch nach seinem Tod im Jahr 1938 wird heute

noch versucht, Resistenz und Stabilität in diesen Komplex zu integrieren.

Die Türkei gehört zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen und ist Mitglied der

NATO, des Europarates und der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und

Entwicklung sowie ein assoziiertes Mitglied der Westeuropäischen Union. Diese Bündnisse

verhalfen der Türkei zu einer weitest gehenden Westausrichtung. Während des Kalten

Krieges entschied sie sich für die westliche Allianz und unterstützte mit ihren Mitteln

nachhaltig die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen der westlichen Welt.

Bei der Verteidigung des europäischen Kontinents hat die Türkei in dieser Hinsicht eine

wichtige Rolle gespielt, die sie heute in anderen Zusammenhängen noch weiterhin spielt. Die

76 vgl. Peters, Richard: Die Geschichte der Türken, Stuttgart 1961, S. 135; zur Westorientierung der Türkei in den Ideen Atatürks siehe die umfassende Analyse von Gönlübal, Mehmet: Atatürk´s Foreign Policy: Goals and Principles, in: Feyzioglu, Turhan (Hrsg.): Atatürk´s Way, Istanbul 1982, S. 255-302 77 vgl. Rüstow, A. Dankwart: Kemalism, in: Grothusen, Klaus Detlev (Hrsg.): Südosteuropa-Handbuch, Band IV: Türkei, Göttingen 1985, S. 237-248

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wichtigsten Grundsätze der türkischen Außenpolitik konvergieren mit denen der europäischen

Partner der Türkei. Aus diesem Grund nahm die Türkei im Jahr 1959 eine enge Zusammen-

arbeit mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dem rechtlichen Vorläufer der

EU, auf.

Der ökonomische Staatsentschluss der Türkei, eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen

Grundlagen in der Ausrichtung an den EU-Binnenmarkt zu suchen, ist deshalb bereits

grundlegend in der laizistischen Politik Atatürks zu erkennen. Es ist daher im Selbstver-

ständnis der Türkei politökonomisch nur folgerichtig, dass sie die enge Zusammenarbeit mit

Westeuropa im politischen Bereich mit einer Kooperation im Wirtschaftsbereich abzurunden

versucht, sei es auch mit diversen Nachteilen verbunden. Es darf nämlich dadurch nicht

verkannt werden, dass mit dieser Grundentscheidung gleichfalls auch die Weichen dafür

gestellt sind, dass die türkische Wirtschaft von den Konjunkturen der Ökonomie der

Gemeinschaft wesentlich bestimmt wird.

Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Gründe, die die Türkei veranlassten, den

EWG-Assoziationsantrag zu stellen, auf politischer, sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher

Ebene liegen.78 Eines der gewichtigsten Motive für den Antrag war insbesondere das

„Streben der Türkei, durch die Zugehörigkeit zur Familie der westeuropäischen Demokratien

und Industrienationen, den Status der Türkei als moderne, westliche Gesellschaft zu

bestätigen und bestätigt zu bekommen“.79 Dieses politisch-psychologische Motiv macht die

türkische Politik bis heute noch empfindlich gegenüber tatsächlichen oder scheinbaren

Abweisungen seitens der westeuropäischen Regierungen oder Medien. Vor allem aber die

ökonomischen Tiefpunkte, die Mitte der 50er Jahre als Ergebnis der neu eingeführten freien

Wirtschaftspolitik der Demokratischen Partei auftraten, waren ein weiterer Grund für den

Antrag auf Assoziierung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Diese Wirtschafts-

politik bekräftigte die Türkei mit Krediten aus den USA und internationalen Finanzinstituten,

was in eine zunehmende ökonomische Abhängigkeit der Türkei von westlichen Krediten und

78 Die Türkei wiederum hatte neben dem sicherheitspolitischen Aspekt wirtschaftliche sowie politische Interessen, dem Assoziationsabkommen beizutreten. Auf der wirtschaftlichen Ebene erhoffte sich die Türkei mit der Assoziierung verbesserte Handelsbeziehungen zum EWG-Markt, Finanzhilfen, eine Minderung der Arbeitslosigkeit und einen allgemeinen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei. 79 zit. nach Kramer, Heinz: Der türkische EG-Beitrittsantrag und der „griechische Faktor“, in: Gumpel, Werner (Hrsg.): Die Türkei und die Europäische Gemeinschaft, Südosteuropa Aktuell Heft 3, München 1988, S. 22

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zu einer fatalen Kumulation ihrer Schulden führte. Die Regierung sah sich im Jahre 1958

gezwungen, ein Stabilisierungsprogramm des IWF zu adaptieren, welches jedoch die

Bevölkerung mit einer Abwertung und einem Inflationsbekämpfungsprogramm trotzdem

unzufrieden stellte. In diesem schwierigen Klima benötigte die Demokratische Partei eine

politische Alternative zu der bisweilen sehr engen Bindung an die USA, um die eigene

politische Inkompetenz zu decken und gleichzeitig neue wie nicht ausgeschöpfte Quellen für

Kredite und Hilfen zu schaffen. In der Assoziierung mit der EWG erhoffte sich die Demokr-

tische Partei deshalb eine Verbesserung ihrer politischen Stellung, gleichwohl zudem die

ökonomischen Interessen des Landes als vordergründig betrachtet werden müssen.

3.2 Interessenkalküle der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

Spiegelbildlich ist zu klären, welche maßgeblichen Intentionen in dem Jahrzehnte

andauernden Integrationsprozess durch die Europäische Union, respektive die Europäische

Wirtschaftsgemeinschaft, verfolgt wurden und werden.

Die Basis für die Zustimmung der EWG zum Assoziationsantrag der Türkei war vornehmlich

von sicherheitspolitischen Erwägungen geprägt. Dadurch, dass die Türkei in ihrer

geostrategischen Lage eine Brückenfunktion zwischen Orient und Okzident einnimmt und

gleichzeitig als Bindeglied zweier Kontinente dient, wurde sie seit ihrer Mitgliedschaft in der

NATO als unabdingbarer Partner des Westens vernommen. Die Türkei wurde als

Südostpfeiler der NATO gegen den real praktizierten Ost-Kommunismus eingesetzt. Sie

fungierte wie eine Art Riegel gegen einen möglichen Vorstoß der Sowjetunion nach Süden

und als Knautschzone für einen möglichen Übergriff auf Europa. Die Assoziation der

Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollte eine wichtige Ergänzung der türkischen

Anbindung an die NATO ermöglichen. Außerdem konnte nur die Einbeziehung der Türkei in

das westliche System ihre mögliche Kooperation mit den Ostblockstaaten verhindern.80

80 vgl. Kramer, Heinz: Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei. Baden-Baden, Nomos-Verlag, 1988, S. 24 ff.

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Ein weiterer Grund für die positive Entscheidung Westeuropas stellt der Zeitpunkt der

Anträge dar. Sowohl der griechische als auch der türkische Antrag kamen zu einer Zeit, in der

sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in ihrer Aufbauphase befand und mit der

Rivalität der EFTA (European Free Trade Association) rang. Assoziationsbeziehungen

bedeuteten internationale Anerkennung der Gemeinschaft und waren somit eine Frage des

Prestige.81

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei wurden und werden von den meisten EG-

Ländern vor allem als Mittel der Anbindung der Türkei an den Westen verstanden. Sie

beruhen weniger auf wirtschaftlichem Kalkül als politischen Interessen, die sich vornehmlich

aus der geostrategischen Lage der Türkei erklären.82 Auf wirtschaftlicher Ebene wurden die

Erschließung des expandierenden türkischen Marktes und die sich ergebenden neuen

Investitionsmöglichkeiten als vorteilhafte, aber nicht sehr relevante Faktoren angesehen.83

Diese gewichtende Auffassung mag durchaus umstritten sein, zumal nicht vergessen werden

darf, dass durch eine ökonomische Intergration der Türkei nicht nur erheblich neue

Geschäftsfelder mit Anbindung an den nahöstlichen und asiatischen Raum eröffnet werden,

sondern zugleich eine gewisse politische Hegemonie auf dem europäischen Kontinent

geschaffen wird. Im wirtschaftlich-globalen Konkurrenzkampf steigert die Gemeinschaft

damit entscheidend ihren Einflussbereich.

Mit der Eingliederung der Türkei in das westeuropäische Bündnissystem wollte die

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auch zeigen, dass sie kein „Christenclub“, sondern

offen und sensibel gegenüber anderen Staaten war. Aus diesen Gründen bot die Europäische

Wirtschaftsgemeinschaft auch der Türkei die ausdrückliche Perspektive der Mitgliedschaft an,

wobei, wie schon oben erwähnt, in ihren Beziehungen zur Türkei überwiegend die sicher-

heitspolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen dominierten.

81 a.a.O, S. 25 82 Kramer, Heinz: Für und Wider einer türkischen EG-Mitgliedschaft, in: Integration 10 (1987) 4, S. 152 83 hierzu Bozkurt, Mahmut: Die Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union, Europäische Hoch-schulschriften: Reihe 31, Politikwissenschaft, Band 282, Frankfurt am Main 1995, S. 11

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3.3 Das Assoziationsabkommen vom 12. September 1963

Die Verhandlungen über das türkische EWG-Assoziierungsabkommen begannen am 28.

September 1959 und endeten nach zehn mehrtägigen Runden am 25. Juni 1963.84 Die

Schwierigkeiten und Verzögerungen, die dabei auftraten und den Assoziationsprozess

schleppend werden ließen, beruhten auf mehreren Gründen: Zum einen befürchteten die

Europäer eine Einfuhrflut türkischer landwirtschaftlicher Produkte in den EWG-Raum,

woraus sich Nachteile für die französischen und italienischen mediterranen Erzeuger

entwickeln könnten;85 zum anderen bestanden Bedenken gegenüber der Bewältigung der

Pflichten einer Assoziierung aufgrund der wirtschaftlichen Rückständigkeit der Türkei.86

Ein weiterer Grund für das mühsame Vorankommen der beiden Parteien war die

Niederschlagung der Regierung der Demokratischen Partei unter Ministerpräsident Adnan

Menderes mit der ersten türkischen Militärintervention vom 27. Mai 1960, die die

parlamentarische Arbeit für 18 Monate stilllegte. Mit der Übernahme der Macht deklarierte

das Militärregime die Weiterführung der türkischen Europapolitik und übte nach dem

Abschluss des Assoziationsvertrages mit Griechenland87 vom 9. Juli 1961 enormen Druck auf

die Gremien aus. In weiteren Verhandlungen fanden die Vertragsparteien schließlich eine

Einigung dahingehend, dass zwischen der Türkei und der Europäischen Wirtschafts-

gemeinschaft stufenweise eine Zollunion eingeführt werden sollte. Zuvor kam es zu einer

zivilen Regierung der Republikanischen Volkspartei unter Ismet Inönü aus den Parlaments-

wahlen vom 14. Oktober 1961. Mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens

zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei am 12. September 1963

in Ankara übernahmen beide Vertragspartner wichtige außenpolitische Verantwortung.

84 Erste Runde: 28.- 30. September 1959, Zweite Runde: 02.- 04. Dezember 1959; Dritte Runde: 07.- 09. Januar 1960; Vierte Runde: 14.- 21. Oktober 1960; Fünfte Runde: 19.-22. Juni 1962; Sechste Runde: 08.- 12. Oktober 1962; Siebente Runde: 14.- 24. Januar 1963; Achte Runde: Weiterführung der Siebenten Runde; Neunte Runde: 23. - 24. April 1963; Zehnte und letzte Runde: 16. Mai - 25. Juni 1963. 85 vgl. Kramer, Heinz: Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei. Baden-Baden, Nomos-Verlag, 1988, S. 33 86 vgl. Eski, Hasan: Wirtschaftliche Probleme der Assoziierung der Türkei an die Europäische Wirt-schaftsgemeinschaft, Diss., Köln 1977, S. 77 87 zum Assoziationsvertrag mit Griechenland siehe: Europäische Gemeinschaften (Hrsg.), Sammlung der von den Europäischen Gemeinschaften geschlossenen Übereinkünfte, Band 3: Bilaterale Abkommen EWG- Europa 1958-1975, Luxemburg 1978, S. 391-434

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Für die Türkei bedeutete dies nun, dieselben Anpassungsleistungen zu erbringen wie die

EWG-Staaten untereinander. Doch da die wirtschaftliche Öffnung nach außen für die Türkei

ungleich schwieriger war als für die Staaten der EWG, waren auch die zukünftigen

Anforderungen für Ankara höher als für die EWG-Partner.88 Mit dieser Unterzeichnung

wurde die Türkei nicht nur politisch, sondern auch geographisch als „europäisch“ anerkannt.

Bemerkenswert ist auch, dass kein Mitglied der EWG Ein-wände aufgrund der Römischen

Verträge von 1957 erhob, in denen ausdrücklich bestimmt worden war, dass nur europäische

Länder Mitglied der EWG werden könnten.

Hierzu äußerte Walter Hallstein (CDU), der Präsident der Kommission: „Turkey is part of

Europe. That is really the ultimate meaning of what we are doing today. It confirms in

incomparably topical form a truth which is more than the summary expression of a

geographical concept or of a historical fact that holds good for several centuries. Turkey is

part of Europe: and here we think first and fore most of the stupendous personality of Atatürk

whose work meets us at every turn in this country, and of the radical way in which he recast

every aspect of life in Turkey along European lines. Turkey is part of Europe: today this

means that Turkey is establishing a constitutional relationship with the European Community.

Like the Community itself, that relationship is imbued with the concept of evolution”.89

Mit dieser Äußerung machte der damalige Präsident der Kommission deutlich, dass

diesbezügliche politische Spekulationen und Überlegungen nicht gerechtfertigt wären, und die

Frage, ob die Türkei eigentlich ein europäisches Land sei, war damit politisch positiv

entschieden.

Rechtlich betrachtet stellt das Ankara-Abkommen ein Gerüst juristisch nicht sanktionierbarer

Absichtserklärungen dar, das im Laufe des Prozesses regelmäßig ergänzt, vertieft und

spezifiziert wurde. Es trat zum 1. Dezember 1964 in Kraft und beinhaltete in den Artikeln 2 –

5 insgesamt drei Phasen der gegenseitigen Annäherung:

88 siehe Kramer, Heinz: Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei; Nomos-Verlag, Baden-Baden 1988, S. 40 89 siehe Váli, Ferenc A.: Bridge Across The Bosporus, The Foreign Policy of Turkey, Baltimore, London 1971, S. 371

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Eine so genannte Vorbereitungsphase (Art. 3), gefolgt von der Übergangsphase (Art. 4), die in

die sog. Endphase (Art. 5) überführen sollte. Die Vorbereitungsphase war zeitlich bis 1973

vorgesehen und diente der Förderung der türkischen Wirtschaft, die so auf die in weiteren

Phasen zu erfüllenden Verpflichtungen vorbereitet werden sollte.

Vertraglich festgelegt, sollten in den Kernbereichen folgende Ziele in dieser Vorberei-

tungsphase erreicht werden:

� die Schaffung „immer engerer Bande“ zwischen dem türkischen Volk und den

Völkern der EWG (Präambel),

� die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen und die Förderung der wirt-

schaftlichen und sozialen Entwicklung der Türkei (Art. 2),

� Zollpräferenzen für türkische landwirtschaftliche Exportprodukte (Tabak, Rosinen,

getrocknete Feigen und Haselnüsse),

� die Abschaffung aller Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen,

� die Anpassung an den Gemeinsamen Zolltarif (GZT) (Art. 11),

� die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit für Personen, Dienstleistungen und

Kapital (Art. 12 bis 14 und Art. 20) sowie

� ein Kredit der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 175 Mio. US-Dollar.

Diese Vorbereitungsphase endete Ende 1972 ohne nennenswerte feststellbare Kompli-

kationen. Die beiden für die Türkei wichtigsten Aspekte dieses Abkommens waren die

Bestätigung eines europäischen Staates und das Manifest von Bedingungen für ihre

zukünftige Mitgliedschaft.90 Unglücklicherweise erweckte dieses Assoziationsabkommen in

der Türkei „hohe politische Erwartungen und (...) übertriebene Hoffnung“.91

90 vgl. Cankorel, Bilge: Turkey - EC Relations, in: Gumpel, Werner (Hrsg.): Europa und die Türkei in den Neunziger Jahren, Südosteuropa Aktuell 11, München 1991, S. 39-41 91 siehe Kramer, Heinz: Die Assoziationsabkommen der EU: Die Türkei und Mittelosteuropa in einem Boot?, Friedrich-Ebert-Stiftung, Reihe Eurokolleg 3 (1995), S. 4

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3.4 Ratifizierung des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 in die Über-

gangsphase zur Zollunion

Bereits im Mai 1967 drängte der damalige Ministerpräsident Süleyman Demirel auf den

Beginn der Verhandlungen für den Eintritt in die - dem Ankara-Abkommen von 1963

entstammende - Übergangsphase. Gründe für dieses Begehren lagen vornehmlich auf

politischer und sozioökonomischer Ebene. Die Regierung rechnete mit größeren Kon-

zessionen von der EWG, wenn sie dem Beitritt Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und

Norwegens zuvorkommen würde. Außerdem könnten noch mehr Arbeitnehmer in die EWG

entsandt werden, um die innerstaatliche Arbeitslosigkeit zu kompensieren und um einen Teil

des türkischen Außenhandelsdefizits mit den Überweisungen der türkischen Arbeitnehmer

auszugleichen. Ein zusätzlicher Grund war die Aussicht auf die Verbesserung der

unzureichenden Konzessionen für Agrarprodukte, auf den Export von Industrieprodukten und

auf die Sicherung höherer Kredite.92 Wegen des erklärten türkischen Ziels der Anbindung an

den Westen und der Bemühungen einer gleichgewichtigen Behandlung der Türkei und

Griechenland entschied sich der Assoziationsrat am 9. Dezember 1968 vorzeitig dazu, die

Verhandlungen über den Einstieg in die Übergangsphase aufzunehmen.

Zwar traten dabei aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausgangspunkte und Zielsetzungen

sowie der nicht stetig gegebenen inneren Harmonie der beiden Verhandlungspartner kleinere

Schwierigkeiten auf, wie bereits oben dargestellt wurde. Trotzdem wurde nach langwierigen

Verhandlungen am 23. November 1970 das so genannte Zusatzprotokoll unterzeichnet. Die

Ratifizierung des Zusatzprotokolls zog sich wegen des Memorandums vom 12. März 1971

hin, mit dem das türkische Militär den Rücktritt von Ministerpräsident Demirel erzwang,

nachdem die zunehmende Polarisierung der äußersten Rechten und der äußersten Linken zur

offenen Gewaltanwendung zwischen diesen Gruppierungen in der Türkei geführt hatte.93 Das

Zusatzprotokoll konnte wegen dieser Umstände erst am 1. Januar 1973 in Kraft treten.

92 vgl. Ilkin, Selim: A Short History of Turkey´s Association with the European Community, in: Evin, Ahmet; Denton, Geoffrey: Turkey und the European Community, Opladen 1990, S. 40 93 zur Militärintervention vom 12. März 1971 siehe Kazancigil, Ali: Die Türkei zwischen Demokratie und Militärherrschaft, in: Europa-Archiv, Folge 14/ 1972, S. 501-510

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Mit seiner Ratifizierung begann jedoch die für die Türkei mehrheitlich und lang ersehnte

Übergangsphase, die 12 bis 22 Jahre dauern und mit der Einführung der Zollunion als so

genannte Endphase enden sollte. Im Kern beinhaltete das Zusatzprotokoll den stufenweisen

Abbau der gegenseitigen Zölle, wobei folgende Ziele anvisiert wurden:

� die schrittweise Errichtung einer Zollunion zum 01.Januar 1995,

� die Annäherung der türkischen und gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik (Art. 4 und

5 des Assoziierungsabkommens),

� Bestimmungen für die Herstellung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 12)

sowie

� die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien

Dienstleistungsverkehrs (Art. 13 und 14).

Diese weitest gehend auf die Ökonomie beschränkte Übergangsphase ermöglichte es damit

der Türkei, mit ihren Industriewaren - ausgenommen Textilprodukte und Erdölerzeugnisse -

in den gemeinschaftlichen Binnenmarkt einzusteigen und diese auf dem EWG-Markt feil-

zubieten, ohne zollähnliche Steuern oder Abgaben leisten zu müssen und zugleich mengen-

mäßig nicht eingeschränkt zu werden (Art. 9 und 24 ff. des Zusatzprotokolls). Die Art. 36 - 42

des Zusatzprotokolls normierten die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer in der

Gemeinschaft zwischen dem zwölften (01. Dezember 1976) und dem zweiundzwanzigsten

(01. Dezember 1986) Jahr. Art. 60 des Zusatzprotokolls berechtigte beide Vertragspartner

dazu, im Falle besonderer wirtschaftlicher Schwierigkeiten die notwendigen Schutzmaß-

nahmen zu treffen.

Weiterer Bestandteil des Protokolls waren Finanzhilfen der EWG zugunsten der Türkei, mit

denen sie auf die bevorstehende Konkurrenz im Güterverkehr vorbereitet werden sollte. Die

türkischen Verpflichtungen hingegen waren die Senkung der Zölle für Industriewaren aus der

Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einerseits, so dass jene nach 12 bzw. 22 Jahren

gänzlich zollfrei werden sollten. Andererseits sollte die stufenweise Anpassung ihrer Zoll-

tarife an den gemeinsamen EWG-Außenzoll, auch gegenüber Drittländern, verwirklicht

werden.

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Im Ergebnis waren damit zum einen die rechtspolitischen Grundlagen für einen vergrößerten

Wirtschaftsraum der EWG geschaffen worden, zum anderen auch die vermeintliche Chance

der Türkei, ihre Westanbindung ebenso ökonomisch zu intensivieren, um ihre erklärten Ziele

zu erreichen.

3.5 Der weitere Assoziationsverlauf bis zur Errichtung der Zollunion

Die Folgeprozesse in den europäisch-türkischen Bemühungen im Rahmen der Übergangs-

phase erwiesen sich als durchwachsen. Im weiteren Verlauf der 70er Jahre verschlechterten

sich die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei erneut.

Hierfür waren sowohl internationale Ereignisse als auch die innertürkische Entwicklung

ausschlaggebend. Selbst nach der Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie im Jahre 1973

konnten die gesellschaftlichen und politischen Unruhen in der Türkei nicht beseitigt werden.

Es kam zu rasch wechselnden Koalitionsregierungen, weil in den Wahlen der 70er Jahre keine

ausreichenden Mehrheiten für eine Alleinregierung erreicht werden konnten. Die Regierungen

waren auf Koalitionen mit der extremen Rechten (Nationalistische Aktionspartei unter

Alparslan Türkes) oder der extremen Religiösen (Nationale Heilspartei unter Necmettin

Erbakan) angewiesen, die die Regierungen zu Zugeständnissen zwangen und die Realisierung

beschlossener Programme erschwerten bzw. gänzlich verhinderten.94

Darüber hinaus litt die türkische Republik an einem zunehmenden Handelsbilanzdefizit

gegenüber der EG. Dies war den Teilassoziierungsabkommen mit Marokko und Tunesien

(1969), den Assoziierungsabkommen mit Malta (1971) und Zypern (1973), den Abkommen

mit AKP-Staaten (Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks), den Handelsverträgen mit

Spanien und Israel (1970) sowie den Handelsverträgen mit Ägypten und Libanon (1972) zu

verdanken.95 Auch der Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks im Jahre 1973 hatte

negative Auswirkungen für die Türkei. Die Europäische Gemeinschaft unterzeichnete neue

94 siehe hierzu Bozkurt, Mahmut: Die Beziehung der Türkei zur Europäischen Union, Frankfurt am Main: Europäischer Verlag der Wissenschaften, 1995, S. 55 ff. 95 zu den Arten und Formen der EG-Assoziierungen siehe ausführlich Can, Haci: Das Assoziationsverhältnis zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei, Peter Lang, 2002, zugl.: Heidelberg Univ. Diss. 2002, S. 45 ff.

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Vereinbarungen mit Vergünstigungen für die Beitrittsländer.96 Infolge der Ölkrise 1973 setzte

in Westeuropa zudem eine konjunkturelle Abschwungphase ein, die das Importwachstum

beendete und zur Zunahme der Arbeitslosigkeit führte. Am bundesrepublikanischen Beispiel

orientierend, reagierten die meisten EG-Staaten mit einem Anwerbestopp und einer

restriktiven Migrationspolitik. Dies bedeutete für die Türkei, dass viele türkische Migranten

in ihre Heimat rückgeführt wurden, die türkische Arbeitslosenrate anstieg und die Über-

weisungen der in der EG tätigen türkischen Arbeitnehmer, die zur Verminderung des

türkischen Zahlungsbilanzdefizits und zur Schaffung von Devisenreserven diente, ausblieben.

Als weiterer Aspekt trug der Eintritt der EG in die Freihandelszone mit den Staaten der EFTA

(damals: Island, Lichtenstein, Norwegen, Schweiz, Portugal, Österreich, Finnland und

Schweden) ab dem 01. Juli 1977 der defizitären Handelsbilanz der Türkei gegenüber der

Europäischen Gemeinschaft bei. Die 70er Jahre waren für die Türkei folglich Jahre der

Desillusionierung, denn „Turkey`s Western friends were perceived as being slow to provide

aid in the hour of economic need“ 97.

Nachdem die Türkei 1973 und 1976 die ersten beiden Zollsenkungen von je 10 %

rechtswirksam erfüllte, konnte sie aufgrund der oben dargelegten Gründe die für den 1. Januar

1978 geplante Zollsenkung hingegen nicht realisieren. Sie bat um die Stilllegung des

türkischen Zollabbaus auf dem derzeitigen Stand und um Kredite in Höhe von 4 Milliarden

US-Dollar. Sie berief sich hierbei auf die Schutzklausel des Art. 60 des Assoziierungs-

abkommens.98

Eine kurzzeitige Verbesserung der Beziehungen zur EG verbuchte die neue Minderheiten-

regierung unter der Gerechtigkeitspartei (DYP = Dogru-Yol-Partisi) von Süleyman Demirel,

als sie mit dem Stabilisierungsprogramm vom 24. Januar 1980 eine wirtschaftliche Öffnung

der Türkei nach außen einleitete. Zudem schienen die weltpolitischen Instabilitäten nach der

sowjetischen Invasion in Afghanistan und der islamischen Revolution im Iran eine Vertiefung

96 hierzu Bourguignon, Roswitha, in: Evin, Ahmet; Denton, Geoffrey (Hrsg): Turkey and the European Community, Opladen, 1990, S. 55 ff. 97 so Penrose, Trevor: Is Turkish Membership Economically Feasible? in: Rüstow, Dankwart A.; Penrose, Trevor: Turkey and the Community, The Mediterranean Challenge, Sussex European Paper No. 10, Sussex 1981, S. 64 98 siehe Eralp, Atila: Turkey und the European Community in the changing post-war international system, in: Balkir, Canan; Williams, Allan M: Turkey and Europe, London, New York 1993, S. 29 f.

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der türkischen Beziehungen zum Westen notwendig zu machen. Doch einmal mehr scheiterte

die Integration der Türkei an der eigenen innenpolitischen Lage. Es kam am 12. September

1980 zur dritten und bisher letzten Militärintervention; eine Reaktion auf die politischen und

sozialen Spannungen sowie auf die verstärkte Reislamisierungstendenz,99 die zu einem

bürgerkriegsähnlichen Zustand eskaliert war. Dieser Putsch sollte die europäisch-türkischen

Beziehungen für ungewisse Zeit stilllegen und in ungeahntem Maße verkomplizieren.

Erst am 6. November 1983 normalisierte sich der Ausnahmezustand der Türkei und es

konnten die ersten Parlamentswahlen stattfinden. Als Sieger ging die Mutterlandspartei

(ANAP = Anavatan Partisi) unter Turgut Özal hervor. Die neue Regierung unter Özal

bemühte sich um die Wiederbelebung der Beziehungen zur EG, woraufhin die westlichen

Führungen zunächst abwartende Stellungen einnahmen.100

Im Europäischen Parlament wurde erst einmal die Entsendung einer Delegation in die Türkei

beschlossen, die die dortige Menschenrechtslage erkunden und berichten sollte. Auf den

zugeleiteten Balfe-Bericht101 vom 01. Oktober 1985 folgte eine „für das türkische Volk

unbegreifbare, ja feindselige Haltung“102 der EG. Für die zweite Hälfte der 80er Jahre war

eine weiterführende Normalisierungsbestrebung der Beziehungen zur EG, angesichts

zahlreicher anderer Probleme neben der Frage der Menschenrechte kein leichtes Unterfangen

für die Türkei. Hierzu zählten mit der Wiederaufnahme der finanziellen Hilfen und der

Freizügigkeitsfrage auch die Quoten der türkischen Textilexporte in die EG,103 die bis zum

Ende der 80er Jahre keine Lösung brachten. Mit dem Zusammenbruch der ehemaligen

99 Nur sechs Tage vor der Militärintervention fand am 06. September 1980 in Konya eine der bis dahin größten islamischen Demonstrationen mit der Forderung nach der Beendigung der Republik und der Einführung der Scharia statt; siehe hierzu Kramer, Heinz:, Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei; Nomos-Verlag, Baden-Baden 1988, S. 248; Adanir Fikret bewertet diese Militärintervention als „den Tiefpunkt der Entwicklung der Demokratie in der Türkei seit 1945“; Adanir, Fikret: Geschichte der Republik Türkei, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1995, S. 106; zur Militärintervention siehe genauer: Hottinger, Arnold: Die Türkei unter der Herrschaft der Militärs, in: Europa- Archiv, Folge 7/1982 100 zum Verhalten der EG siehe Eralp, Atila: Turkey und the European Community in the changing post-war international system, in: Balkir, Canan; Williams, Allan M: Turkey and Europe, London, New York 1993, S. 32 101 Richard Balfe war Abgeordneter der britischen Labour-Partei und wurde im Namen des politischen Ausschusses am 25. Januar 1985 zum Berichterstatter über die Situation der Menschenrechte in der Türkei ernannt. 102 zitiert nach Kramer, Heinz: Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei; Nomos-Verlag, Baden-Baden 1988, S. 110 103 vgl. Eralp, Atila: Turkey und the European Community in the changing post-war international system, in: Balkir, Canan; Williams, Allan M: Turkey and Europe, London, New York 1993, S. 33 und Özkale, Lerzan: International Competitiveness of Turkey and the Problem of EC Entry, Istanbul 1992, S. 31

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Sowjetunion im Jahre 1991 und dem Ende des Ost-West-Konfliktes „drohte die Türkei in der

außenpolitischen Bedeutungslosigkeit zu versinken.“104 Da sich dramatische Änderungen im

Osten Europas bereits in den Jahren 1989 und 1990 anbahnten, ersuchte die damalige

Regierung unter Turgut Özal neue Wirtschaftskooperationen zu schaffen, zumal auch die

Ablehnung des türkischen Beitrittsantrages von 1987 bekannt gegeben worden war.

Mit der Gründung der BSEC - Black Sea Economic Cooperation Zone (Schwarzmeer-

wirtschafts- und Kooperationszone) im Dezember 1990 bezweckte die Türkei weniger die

Errichtung einer politischen Union wie im Falle der Europäischen Union, sondern vielmehr

die Beweisführung der Kompetenz einer Übernahme von Führungsposition innerhalb eines

internationalen Zusammenschlusses. Auch hofften die Türken mit ihren Bestrebungen

hiermit, auf längere Sicht ihre Chancen auf eine EU-Mitgliedschaft zu verbessern,105 weil sie

auf der einen Seite ihre Vulnerabilität und ihre Abhängigkeit von der EU reduzierten106 und

auf der anderen Seite eine Diversifizierung ihres Außen-handels illustrierten.

Eine Art Führungsrolle und Modellfunktion wollte die Türkei auch im Jahre 1991 nach den

Unabhängigkeitserklärungen der Turkrepubliken - Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan,

Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan -,107 mit denen sie sich sprachlich, kulturell und

religiös verbunden sah, übernehmen. Die Türkei sah ihre Rolle in der zentralasiatischen

Region als „duty and responsibility, as well as an opportunity and a matter of interest.“108

Das Hauptaugenmerk richtete sich dem „Export des Kemalismus“109 in die Turkrepubliken -

Laizismus, Verwestlichung und Errichtung von politischen Systemen auf der Grundlage von

Demokratie und Pluralismus. Sie machten hierbei deutlich, dass kein pantürkischer oder

panislamischer Expansionismus angestrebt werde, sondern vielmehr für die Bewahrung des

104 so Krech, Hans: Die Türkei auf dem Weg zur Regionalmacht im Nahen Osten und in Mittelasien, in: Zeitschrift für Türkeistudien, 5(1992)2, S. 241 105 siehe Brown, Bess; Fuller, Elizabeth: Die Türkei und die Muslimischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion, Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.); Interne Studien Nr. 84/1994 Sankt Augustin 1994, S.16 106 siehe hierzu Gumpel, Werner: An der Nahtstelle von Europa und Asien. Die Mittlerrolle der türkischen Regionalmacht, in: Internationale Politik 1/ 1998, S. 18 107 Aserbaidschan liegt im Kaukasus, die anderen Turkrepubliken liegen in Zentralasien, wobei Tadschikistan eine mehrheitlich persische Bevölkerung hat 108 zit. nach Ataöv, Türkkaya: Turkey, the CIS and Eastern Europe, in: Balkir, Canan; Williams, Allan M. (Hrsg.): Turkey and Europe, London, New York 1993, S. 198 109 zit. nach Steinbach, Udo: Die modellpolitische Konkurrenz zwischen der Türkei und dem Iran um die Zukunft der islamischen Welt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 7/ 1992, S. 826

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Status quo eingetreten würde.110 Dieser enthusiastische Einsatz für die Turkrepubliken sollte

dem Westen demonstrieren, wie europäisch die Türkei in politischen, wirtschaftlichen und

kulturellen Kontakten agieren könne. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs verzichtete die Türkei

auf eine aktive Politik in der nah- und mittelöstlichen Region.111

Im 2. Golfkrieg bekam sie aber die Möglichkeit, ihre mit dem Ende des Ost-West-Konflikts

verringerte strategische Bedeutung wiederzuerlangen. Mit ihrem Eintreten für die

Golfkriegsallianz, in Form der Ermöglichung des Angriffs auf den Irak über türkischem

Boden, hatte sie dem Westen ihre Verlässlichkeit unter Beweis gestellt, obwohl sie mit dieser

Entscheidung gegen ihren wichtigsten Wirtschaftspartner Verluste in Höhe von über 35

Milliarden US-Dollar erlitten.112

Mit diesem unpragmatischen Verhalten wollte die Türkei Spontaneität und Flexibilität in der

Diversifizierung ihrer außenpolitischen Orientierung zeigen, nachdem sie jahrelang eine

politische Neutralität und Äquidistanz für die Nahostpolitik anstrebte. Die einzige Ausnahme

stellte die Gründung der ECO - Economic Cooperativ Organisation - mit dem Iran und

Pakistan im Jahre 1985 dar, die die RCD - Regional Cooperation for Development - ablöste

und eine regionale Zusammenarbeit im wirtschaftlichen und sozialen Bereich bezweckte. Das

türkische Außenministerium betonte, die ECO „serves as an instrument for development of

economic, social and technical cooperation among the member states. (...) Turkey assesses

Economic Cooperation Organisation as a Reliable platform for the multilateral cooperation

among the member states, as an active and comprehensive network for more widespread

communication and as a strong touchstone for the economic stability”.113

Heute umfasst die ECO neben den Gründungsmitgliedern Türkei, Iran und Pakistan noch

Usbekistan, Aserbaidschan, Kirgistan, Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan und Nord-

zypern. Das reibungslose Funktionieren der ECO ermutigte den damaligen Minister-

präsidenten Necmettin Erbakan im Juni 1997 zur Gründung der Developing-8-States (D-8-

110 siehe Ataöv, Türkkaya, in: Balkir, Canan; Williams, Allan M. a.a.O., S. 198 und S. 215 111 zum Verhältnis der Türkei zum Nahen und Mittleren Osten siehe: Bakis, Mehmet Ata: Türkische Nahostpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein Beitrag zur türkischen Außenpolitik (1945-1991), Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1993, S. 27 112 hierzu z.B. Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 187-193

113 zitiert aus der Website des türkischen Außenministeriums im Internet: http://www.mfa.gov.tr/ GRUPF/ eco.htm

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Staaten) mit dem Ziel der Erschließung von Marktlücken und der Erweiterung der sektoralen

Produktions- und Exportstruktur der Volkswirtschaft der Türkei.

Zwar wurden die D-8-Staaten den Industriestaaten G-7 entgegengesetzt, bedeutete jedoch

keineswegs eine Neuorientierung in der Außenpolitik Ankaras.

Dies spiegelt sich im Beitrittsantrag auf Mitgliedschaft in der Westeuropäischen Union

parallel zum Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft wider. Sein

Begehren bekräftigte das türkische Außenministerium:

„1. If European Nations require arrangements in security and defence matters, it is a choice

that Turkey would only respect. On the other hand, such an approach should not be an

alternative to NATO (...) What Turkey would urge is that the idea of European Security and

Defence Identity (ESDI) should not be contemplated solely on the logic of integration and

institution-building, but as a genuine and realistic response to the strategic facts and

requirements of an uncertain security environment.

2. We believe that security is indivisible. (...) Turkey has at the highest levels confirmed its

readiness to support ESDI in operational as well as technical terms. (...)

6. (...) Our membership to WEU is in line with the logic of the ‚European Pillar (of NATO)‘,

and should also be viewed in the perspective of our relations with EU which is also aimed at

full membership and which has entered a new phase with the Customs Union.“ Da aber die

Türkei kein EU-Mitglied war und heute immer noch nicht ist, konnte sie damals nur als

assoziiertes Mitglied in die WEU aufgenommen werden, weswegen sich die Türkei auch

weiterhin verschiedenen Gemeinschaften und Blöcken zuwendet und gute Beziehungen zu

diesen aufbaut und weiterentwickelt, obwohl ihr ganz bewusst ist, dass weder der Nahe und

Mittlere Osten, noch die Turkrepubliken, noch die Schwarzmeerregion, noch die anderen

genannten Optionen eine realistische Alternative zum langfristig erklärten Ziel, nämlich dem

Beitritt in die Europäische Union darstellen.

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43

3.6 Errichtung der Zollunion zwischen der Türkei und der Europäischen

Union

Als am 30. September 1991 der Assoziationsrat EG - Türkei in Brüssel zusammentraf,

betonte der niederländische Außenminister und Ratspräsident Hans van den Broek, dass die

Achtung der Menschenrechte die Basis der Beziehungen der Gemeinschaft zu anderen Staaten

bildeten. Doch in den folgenden zwei Jahren gab es außer einer demonstrativen Tätigkeit wie

der vorläufigen Schließung des berüchtigten Gefängnisses von Eskisehir kaum Verbesse-

rungen in der Demokratisierung der Türkei. Aber die neue weltpolitische Lage im Nahen und

Mittleren Osten, in Zentralasien und auf dem Balkan erhöhte nach Ansicht der Gemein-

schaftsgremien die strategische Bedeutung der Türkei und erforderte nach ihrer Einschätzung

eine Einbindung in die zukünftige europäische Architektur. Deshalb tagte der Europäische

Assoziationsrat am 08. November 1993 abermals in Brüssel mit dem zentralen Thema der

geplanten Zollunion. Man beschloss ein Arbeitsprogramm für die Verwirklichung der

Zollunion bis 1995.

Die nächste Sitzung des Assoziationsrates fand am 19. Dezember 1994 statt, bei welcher der

Vertrag über die Zollunion laut Zusatzprotokoll hätte unterzeichnet werden sollen, so dass

diese am 01. Januar 1995 hätte beginnen können. Aufgrund des griechi-schen Vetos wurde

die Entscheidung indessen auf die kommende Sitzung am 06. März 1995 verschoben. Die

EU-Kommission teilte mit, „dass die meisten Verhandlungspunkte hinsichtlich der Errichtung

einer Zollunion zwischen der Gemeinschaft und der Türkei geregelt seien, insbesondere die

Fragen in Zusammenhang mit dem freien Verkehr gewerblicher Waren und den nichttarifären

Handelshemmnissen.“

Die Türkei akzeptiere den gemeinschaftlichen Besitzstand. Außerdem wolle sie sich den

Gemeinschaftsregeln über den Wettbewerb und das geistige Eigentum, den Handel und das

System allgemeiner Präferenzen, insbesondere im Textilbereich, halten. Wegen des

griechischen Widerstandes konnte der Assoziationsrat jedoch zu keiner endgültigen Einigung

über die Zollunion gelangen. Am 16. Februar 1995 stellte das Europäische Parlament fest,

dass „in Anbetracht der ernsten Menschenrechtslage in der Türkei eine Zollunion zwischen

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diesem Land und der EU gegenwärtig nicht ins Auge gefasst werden kann“. Es konstatierte

also nicht Probleme wirtschaftlicher Art, sondern diejenigen in der Rechtsangleichung an

Gemeinschaftsrecht. Das Parlament ersuchte daher die türkische große Nationalversammlung

und die türkische Regierung, „eine grundlegende Verfassungsreform einzuleiten, um die

Achtung der Demokratie und der Menschenrechte besser zu gewährleisten.“ Das Parlament

forderte die Kommission auf, ihm Berichte über die laufenden Verfassungsänderungen in der

Türkei vorzulegen, „damit es auf der Grundlage dieser Berichte zu dem geplanten Abkommen

über die Zollunion Stellung nehmen kann.“114

Dieses in türkischen Regierungskreisen empfundene erneute Diktat der EU führte zu

diplomatischen Missstimmungen. Gleichwohl stimmte das Europäische Parlament noch im

gleichen Jahr, nämlich am 13. Dezember 1995, mit einer kurz zuvor nicht für möglich

gehaltenen Mehrheit von 343 Ja-Stimmen gegen 149 Nein-Stimmen bei 36 Enthaltungen dem

Abkommen zur Errichtung einer Zollunion nach dem 01. Januar 1996 zwischen der EU und

der Türkei zu.115

Die Rechtsgrundlagen der Zollunion zwischen der EU und der Türkei stellen das

Assoziationsabkommen vom 12. September 1963 sowie das Zusatzprotokoll vom 23.11.1970

dar, welches am 01.01.1973 in Kraft trat.116 Ziele des Assoziationsabkommens sind einerseits

die „Wahrung von Frieden und Freiheit“117 und andererseits „eine beständige und ausgewo-

gene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehung zwischen den Vertragsparteien

unter voller Berücksichtigung der Notwendigkeit zu fördern, das hierbei der beschleunigte

Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstandes und der

Lebensbedingungen des Türkischen Volkes gewährleistet werden“118.

Für die Zollunion regelte das Zusatzprotokoll die maßgeblichen präzisierenden Einzelheiten.

Die Europäische Gemeinschaft verpflichtete sich darin, alle Zölle und Abgaben gleicher

114 zu den Forderungen siehe: European Commission: Interim Report concerning the reform process, the human rights situation and the consolidation of democracy in Turkey, Brussels, 05 July 1995 115 zur Abstimmung über die Zollunion: Europäisches Parlament: Info Memo 208: EU/ Turkey Customs Union; Info Memo 208, Strasbourg, 13th December 1995 116 vgl. Amtsblatt der EG Amtsbl., Nr. 217, 29.12.1964, sowie Amtsbl., Nr. L293/1, 29.12.1972 117 Präambel des Ankara-Abkommens 118 Art. 2 Abs. 1 des Ankara-Abkommens

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Wirkung auf Einfuhren von Industrieprodukten aus der Türkei sofort abzuschaffen (vgl.

Kapitel 3.4). Dies tat sie bereits 1971.119

Es ist allerdings festzustellen, dass die EG von Anfang an verschiedene Ausnahme-

regelungen nutzte.120 Insbesondere im Textilsektor führte sie Quoten ein bzw. reduzierte nur

sehr langsam die Abgaben, da die Produzenten in der EG „we are feeling the pinch of third-

world competition“121 aufgrund der Wettbewerbsfähigkeit der türkischen Firmen. In der

Regel wurde der Marktzugang für die türkischen Textil- und Bekleidungsproduzenten seit

1982 über so genannte Selbstbeschränkungsabkommen geregelt, die zwischen der

Vereinigung der Türkischen Textil- und Bekleidungsexporteure (ITKIB) und der

Europäischen Kommission ausgehandelt wurden.122

Seit dem 1. Januar 1987 hat die EU die Zölle auf sämtliche Industrie- und verarbeiteten

Agrarprodukte aus der Türkei abgeschafft. Für die Türkei wurden eine schrittweise

Beseitigung der Zölle bis zum Ende der Übergangszeit sowie die Übernahme des

gemeinsamen Zolltarifs innerhalb von 22 Jahren festgelegt. Für Gütereinfuhren aus der

Gemeinschaft in die Türkei wurde ein Zeitplan für Zollsenkungen erstellt: Güter, die auf der

sogenannten 12-Jahres-Liste aufgeführt waren, wurden als durchschnittlich schutzbedürftig

angesehen und umfassten u.a. Düngemittel, Gummiwaren, Produkte der elektronischen

Industrie und Metallwaren. Für diese Güter wurde der zollfreie Warenverkehr in die Türkei

bis zum Januar 1985 geplant.

119 vgl. GATT, Trade Policy Review, 1994 120 vgl, Hale, William: Turkish Foreign Policy: 1774-2000/ Turkish Industry, London 1990, Cass. 2000, S. 156 121 ebd. 122 vgl. GATT, Trade Policy Review, 1994

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Die 22-Jahres-Liste betraf die eher als protektionsbedürftig angesehenen Güter wie:

� Zucker und Zuckerwaren

� Kakao- und Kakaozubereitungen

� Backwaren

� Lebensmittelzubereitungen

� Tabak und verarbeitete Tabakersatzstoffe

� Chemische und pharmazeutische Erzeugnisse

� Leder- und Pelzwaren

� Seidengarne und –gewebe

� Bekleidung und Bekleidungszubehör

� Verschiedene Waren aus Eisen und Stahl, Kautschuk, Kupfer, Nickel und Aluminium

� Verschiedene Waren aus unedlen Metallen

� Elektrische Maschinen, Geräte und elektrotechnische Waren

� Schienenfahrzeuge, Zugmaschinen, Kraftwagen, Wasserzeuge

� Optische, photographische und kinematographische Geräte

� Medizinische und chirurgische Instrumente

� Möbel

� Spielzeuge, Unterhaltungsartikel

Wie ersichtlich ist, umfasst diese Liste fast alle relevanten türkischen Industriezweige. Für

diese Güter wurde damals Zollfreiheit innerhalb der Zollunion und Übernahme des

gemeinsamen Zolltarifs bis 1995 vorgesehen. Für die erforderlichen schrittweisen

Zollsenkungen wurde ein Zeitplan aufgestellt. Die Türkei machte auch deutlich, dass sie sich

anstrengen würde, diesen im Zusatzprotokoll von 1970 vorgesehenen Zeitplan einzuhalten.123

Dieser Zeitplan erwies sich allerdings schon in den späten 70er Jahren als Makulatur, da die

Türkei nicht in der Lage war, sich an die entsprechenden Zollsenkungen zu halten. Teilweise

wurde das Abkommen ausgesetzt bzw. es wurden sogar neue Abgaben eingeführt. In den 70er

Jahren kam es nur zu zwei Zollsenkungen von jeweils 10% (vgl. 3.5). Im Jahr 1978 forderte

die damalige Regierung ein fünfjähriges Moratorium der Zollanpassung.124

123 siehe Bulletin der EG 11-1992, Ziffer 1.4.1.26 124 vgl. Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 403-406

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Bis in die späten 80er Jahre stagnierte diese Situation. Erst mit dem türkischen Beitrittsantrag

von 1987 kam es zu schrittweisen Zollsenkungen sowohl der EG gegenüber als auch in Bezug

auf Anpassungen an den EG-Außenzoll. In den frühen 90er Jahren wurden dafür besondere

Anstrengungen in Bezug auf eine schnelle Anpassung vorgenommen, da die Zollunion zur

Mitte des Jahrzehnts unbedingt verwirklicht werden sollte. Zum 1. Januar 1993 wurden die

für die EU geltenden Zollbestimmungen auf Importe aus EFTA-Ländern (Österreich,

Schweiz, Schweden, Finnland, Norwegen, Island und Lichtenstein) ausgeweitet.125

Nicht zuletzt sind die deutlichen Zollreduktionen in den 90er Jahren eine Folge des immer

stärker werdenden innenpolitischen Drucks durch eine äußerst angespannte binnen-

wirtschaftliche Situation mit enormen Inflationsraten und der Verarmung weiter Bevölke-

rungsschichten sowie immer heftiger werdenden Konfrontationen mit der antiwestlichen RP

(Refah-Partisi = Wohlfahrts-Partei). In diesem Sinne kann man das Festhalten an dem

Abkommen und sein Vorantreiben von Seiten der damaligen konservativen Regierungspartei

DYP (Dogru-Yol-Partisi = Partei des Rechten Weges) als politische Überlebensstrategie

bezeichnen, wenn auch die ökonomischen Voraussetzungen für eine Zollunion nicht die

besten sind. Zur damaligen Zeit bildeten RP und DYP eine Koalition unter Ministerpräsident

Erbakan (RP).

Neben den Bestimmungen über den freien Verkehr von Industriegütern enthielt das

Assoziationsabkommen auch Vereinbarungen über die schrittweise Herstellung der

Freizügigkeit von Arbeitskräften (Art. 36 - 40), über die Beseitigung von Beschränkungen bei

der Niederlassungsfreiheit und des Dienstleistungsverkehrs (Art. 41 – 42) sowie zur Erleich-

terung des freien Kapitalverkehrs (Art. 50 – 52). Weiterhin waren Bestimmungen über die

Angleichung der Steuersysteme, des Wettbewerbsrechts und auch anderer Rechtsbereiche

enthalten.

125 vgl. GATT, Trade Policy Review, 1994

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3.7 Bewertung des europäischen Integrationsansatzes

Rückblickend kann festgestellt werden, dass die Bestimmungen des Assoziationsabkommens

für die Vorbereitung der Türkei auf eine engere Integration in die EU nicht geeignet waren.126

Die Doppelstrategie von Handelspräferenzen und finanzieller Hilfe beeindruckt zwar auf den

ersten Blick, doch angesichts der enormen Disparitäten zwischen den Vertragspartnern zeigen

sich die Unzulänglichkeiten des eingeschlagenen Weges: Was die Zollbefreiung für

industrielle Produkte anging, hatte die Türkei nur eine äußerst geringe Basis, um diese auch

ausreichend zu nutzen.

Im Ergebnis war der europäische Nutzen bislang größer als für die Türkei. Die türkische

Regierung sieht in ihrer verfolgten Politik, nämlich der Schaffung einer wettbewerbsfähigen

Wirtschaft (auch zur Erholung des Staatshaushalts), keine Alternativen, da bei einem

Ausschluss aus dem sich erweiternden Binnenmarkt den inländischen Industriebetrieben

jegliche Chance auf Verbesserung ihrer Wirtschaft verwehrt bliebe.

Dazu kam, dass die EU auch anderen Entwicklungsländern Präferenzen eingeräumt hatte. Ein

besonderer Aspekt kommt auch der Reaktion der EU auf Exporterfolge der türkischen

Produzenten zu: „Even when Turkey did succeed in developing its export to the Community,

the EC´s response in some cases was to bring in measures to restrain them, as with

introduction of import quotas an restrictions in 1977 (especially on cotton yarn and T-

Shirts)“. 127

Die Türkei hat den größten Teil des Anpassungszeitraums im europäischen Sinn nicht

genutzt, um sich auf die weitere Integration vorzubereiten. Dies zeigt sich besonders daran,

dass die Türkei noch in den 70er Jahren eine Importsubstitutionsstrategie verfolgte, obwohl

insbesondere durch das Assoziationsabkommen die Außenöffnung die notwendige Strategie

gewesen wäre. Erst ab 1980 zeigte sich eine Umorientierung, doch kann diese nicht darüber

hinwegtäuschen, dass von einer wirklichen Vorbereitung auf den Wettbewerb innerhalb der

EU keine Rede sein kann, da die heimische Industrie weiterhin hoch protektioniert war.

126 vgl. Hine, R.: Turkey and the EC, 1995, S. 65 127 Hine, R.: Turkey and the EC, 1995, S. 144

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Das Abkommen selbst enthält zudem nicht das Versprechen einer Aufnahme der Türkei in die

EU, lediglich die Prüfung der Möglichkeit eines Beitritts, „sobald das Funktionieren des

Abkommens es in Aussicht zu nehmen gestattet, dass die Türkei die Verpflichtungen aus dem

Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft vollständig übernimmt“.128 Diese vage Absichts-

erklärung wird allerdings von Seiten der Türkei als Beitrittsversprechen verstanden, so dass

die Zollunion als Zwischenstufe angesehen wird. Den fehlenden und dennoch erwarteten

Ertrag für die Türkei aus der Zollunion leitet sie politisch aber auch an dieser bisherigen

Nichtanerkennung als Vollmitglied ab.

Der im April 1987 gestellte Beitrittsantrag der Türkei wurde von der EG 1989 „auf Eis

gelegt“.129

Für die Ablehnung sprachen nach Ansicht der Kommission verschiedene Gründe:

1. Gemäß der Einheitlichen Akte sollte zunächst 1992 der Europäische Binnenmarkt

verwirklicht werden. Beitrittsverhandlungen mit neuen Mitgliedern sollten frühestens

1993 aufgenommen werden.

2. Die ökonomischen Probleme der Türkei wurden als zu groß erachtet, als dass sie

mittelfristig die Anpassungsschwierigkeiten eines Beitritts hätte meistern können. Im

Einzelnen sah die Kommission Handlungsbedarf wegen der großen strukturellen

Disparitäten zwischen der EG und der Türkei im industriellen und agrarwirt-

schaftlichen Bereich, makroökonomischer Instabilitäten, eines zu hohen Protektions-

niveaus der Industrie und eines zu niedrigen Sozialstandards in der Türkei. „As long

as these disparities continue to exist, there will be reason to fear that Turkey would

experience serious difficulties in taking on the obligations resulting from the

Community´s economic and social policies.“ 130

3. Nach Ansicht der Kommission hätte der Beitritt der Türkei zum damaligen Zeitpunkt

auch für die EG erhebliche finanzielle Belastungen bedeutet. Weiterhin wurde ein

Zustrom an türkischen Arbeitskräften auf den bereits angespannten europäischen

Arbeitsmarkt befürchtet.

128 Art. 28 des Assoziationsabkommens 129 Yazicioglu, Ümit, a.a.O, S. 19 130 Commission of the EC, Commission opinion, 1989, S. 6

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Der Türkei wurde deshalb empfohlen, zunächst einmal in die Zollunion einzutreten, und dann

zu einem unbestimmten Zeitpunkt wieder Beitrittsverhandlungen aufzunehmen.

Dies birgt aufgrund der hohen Erwartungen der Türkei bezüglich einer Mitgliedschaft für das

Verhältnis der beiden Partner erhebliche Probleme.

Es wurde deutlich an den großen Erfolgen der islamisch-fundamentalistischen Refah-Partei

im Jahre 1996, die ihren Erfolg zum Teil aus den Misserfolgen der westlich orientierten

Wirtschaftspolitik von ANAP und DYP bezog. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen

Lage, zusammen mit vagen Aussagen über eine zukünftige Mitgliedschaft, könnte wieder

einmal das soziale und politische Klima im Lande zugunsten der Islamisten verändern, die

eine Abkehr vom Westen verfolgen. Das wiederum dürfte nicht im eigentlichen Interesse der

EU sein. Aber es wird eine offensichtliche Doppelmoral der EU erkennbar, wenn sie trotz der

bekannten Verletzung von Menschenrechten und demokratischer Rechte durch Militär-

diktaturen, insbesondere in Fernost, keine Bedenken haben, enge Beziehungen mit der Türkei

einzugehen. “This makes us think that the Community needs to provide herself all kind of

pretexts to reject the Turkish demand for access“.131 „Auch die Gemeinschaft kennt in ihren

Außenbeziehungen, ebenso wie Staaten, keine Freunde, sondern nur Interessen“.132

Mit Eingehung der Zollunion, verbunden mit der präsenten Nichtanerkennung als voll-

wertiges Beitrittsland, hat die Türkei einen Souveränitätsverlust erlitten.

Kramer sieht darin eine doppelte Benachteiligung: „Die herrschende Praxis der

Assoziationsbeziehungen benachteiligt die Partnerländer in zweifacher Weise: Restriktive

Handelspraktiken der EU schränken ihren Machtzugang bei Industriewaren und landwirt-

schaftlichen Produkten ein und versagen ihnen so mögliche hohe Exporterlöse. Der fehlende

Zugang zu den EU-Strukturfonds sowie die relativ geringen Finanzhilfen im Rahmen der

Assoziation belassen die Hauptlast des sich aus Freihandel und Zollunion ergebenden

wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandels auf den Schultern der Assoziierten.“133

131 Özkale, Lerzan: International Competitiveness of Turkey and the Problem of EC Entry, Istanbul, 1992, S. 33 132 Kramer, Heinz: Der türkische EG-Beitrittsantrag, und der „griechische Faktor“, in: Gumpel Werner (Hrsg.): Die Türkei und die Europäische Gemeinschaft; Südosteuropa Aktuell Heft 3, München 1988, S. 141 133 Kramer, Heinz: Die Assoziierungsabkommen der EU - Die Türkei und Mittelosteuropa in einem Boot?, Eurokolleg, 1995, S. 32 ff.

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Festgehalten werden kann, dass die seitens der Gemeinschaft vorerst geforderten wirtschaft-

lichen Kraftakte, die Heranführungsstrategie und Anpassungserfordernisse im Rahmen der

Zollunion und ihrer praktischen Ausgestaltung bis heute nicht die gewünschten Ergebnisse

erzielten. Die weiter vorausgesetzten rechtspolitischen Reformen, auf welche in Kapitel 4

eingegangen wird, haben den Integrationsprozess zusätzlich erschwert. Der europäische

Integrationsansatz, der von der Türkei nach wie vor vehement verfolgt wird, ist deshalb

ökonomisch und politisch als sehr zweifelhaft zu beurteilen.

Abrundend lautet meine These: Die Türkei krankt noch heute an einer Vielzahl ungelöster

Probleme wie der hohen Inflationsrate, dem Handelsbilanzdefizit und einer enormen

Verschuldung, deren Abbau durch die Zollunion keineswegs gefördert wurde. Solange die

Türkei ihre Politik der EU-Integration weiterverfolgt, sind weitere Anpassungen vorzu-

nehmen, denen bisher keine politische Kompensation seitens der EU gegenübersteht.

Zusätzlich sind die europäischen Forderungen im politischen Bereich in Bezug auf die

Menschenrechts- und Minderheitensituation gleichsam vorgegeben, die sich selbst durch das

Funktionieren der Zollunion nicht verbessern, sondern verschärfen werden.

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KAPITEL 4: Die rechtspolitischen Reformprozesse in der Türkei

Die Kopenhagener Kriterien von 1993 waren bisherige Grundlage dafür, die in Aussicht

gestellte Aufnahme als Mitgliedsstaat in die Europäische Union nicht stattfinden zu lassen,

sondern vielmehr eine beiderseitige Annäherung über die Zollunion zu vollziehen, was in

Kapitel 3 dargestellt wurde. Die Türkei kann neben dem Status der Beitrittsperspektive über

die offizielle Anerkennung als Beitrittskandidat nur hinaus, wenn sie europäisch definierte

nationalökonomische sowie politische Grundlagen herstellt, die gemäß aktueller Beschluss-

lage eine für sie vollberechtigende EU-Erweiterung erlauben kann. Es ist daher insbesondere

zu prüfen, in wie weit die Türkei die Übernahme des Gemeinschaftsrechts innerstaatlich

verwirklicht und welche rechtspolitischen Reformprozesse sie in Gang gesetzt hat, was im

Nachfolgenden analysiert wird.

4.1 Militärstrukturen vor dem Hintergrund kemalistischer Staatsideologie

Einen zentralen Punkt im Vergleich zu den rechtlichen und politischen Gegebenheiten der

EU-Mitgliedsstaaten stellt in der Türkei die Rolle des Militärs dar. Das türkische Militär, das

sich in seinem Selbstverständnis als Hüter der von Mustafa Kemal Atatürk geschaffenen

Republik und ihrer Grundsätze sieht, beanspruchte seit 1960 in allen für die nationale

Sicherheit relevanten innen- und außenpolitischen Fragen ein Mitentscheidungs- und

Handlungsrecht. Deutlichster Ausdruck waren die drei Militärputsche von 1960, 1971 und

1980.

Ihren politischen Einfluss übte die Militärführung stets vor allem über den Nationalen

Sicherheitsrat (NSR) aus, der 1961 neu als verfassungsgebundenes Organ geschaffen wurde.

Er spielte vor allem in den 90er Jahren eine zunehmend wichtige Rolle, als sich die Türkei

nach allgemein geteilter Ansicht im Kampf gegen eine doppelte sicherheitspolitische

Herausforderung sah: den kurdischen Separatismus der PKK einerseits und das Anwachsen

des antilaizistischen politischen Islam andererseits. In beiden Zusammenhängen bestimmte

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das Militär über den NSR die Leitlinien der Politik.134 Dieser Anspruch des Militärs wird von

einer Mehrheit der Bevölkerung als legitim angesehen. Gleichzeitig haben die Wähler immer

wieder deutlich gemacht, dass sie sich ihre Entscheidung nicht vom Militär diktieren lassen

wollen und nicht bereit sind, eine uneingeschränkte Militärherrschaft zu akzeptieren. So

haben sie zum Beispiel nach den durchaus auch von öffentlicher Zustimmung getragenen

Putschen von 1960 und 1980 mit Süleyman Demirel bzw. Turgut Özal jeweils Politiker

gewählt, die nicht gerade als Favoriten der Militärführung angesehen werden konnten. Eine

dauerhafte Militärherrschaft hat im Übrigen auch die Militärführung der Türkei zu keinem

Zeitpunkt angestrebt. Ihr ist der effektive Einfluss auf politische Entscheidungen allemal

wichtiger als die Übernahme von Regierungsfunktionen.

Die Akzeptanz des Militärs als eines selbständigen und legitimen politischen Akteurs im

System der Republik geht einerseits auf die Gründung der modernen Türkei zurück, hat aber

andererseits darüber hinausgehende historische Wurzeln. Das osmanische Erbe der Republik

macht sich in der türkischen Politik nämlich weniger im Wirken der islamischen Religion

bemerkbar, sondern im Fortdauern einer bestimmten Staatstradition, die im imperialen

Charakter dieses Reiches begründet war.135 In dieser Tradition wird der Staat als ein

eigenständiges Organ angesehen, das Gesellschaft und Politik vor- und übergeordnet ist. Er ist

als Legitimation politischer Existenz omnipotent und unangreifbar.136 Dafür erfüllt er

gegenüber den Untertanen/Bürgern die umfassende Aufgabe der Daseinssicherung. An ihn

richten sich letzten Endes die Erwartungen und Ansprüche der Untertanen/Bürger. In der

politisch-gesellschaftlichen Realität spiegelt sich dieses Staatsverständnis in dem Begriff

„devlet baba“ (Vater Staat). Im Osmanischen Staat verkörperte der Sultan mit seinem Hof

diese Idee vom Staat, in der kemalistischen Republik wird sie durch den Staatsapparat, d.h.

die Spitzen der Verwaltung, der Justiz und des Militärs, verkörpert. In jedem Fall ist dieses

Staatsverständnis vordemokratisch und autoritär, denn in ihm ist der Staat nicht ein

Instrument der Politik, sondern die Politik steht im Dienste des Staates - eine Idee, die im

134 Spanik, Stefan Werner D.: Die Türkei und die Europäische Union: Machtstrukturen im Wandel?, in: Österreichische militärische Zeitschrift (Wien), 40 (Mai-Juni 2002) 3, S. 308-312 135 vgl. ausführlich dazu Heper, Metin: The State Tradition in Turkey, Walkington 1985 136 so bemerkt der frühere Istanbuler Korrespondent der New York Times: „Devlet is an omnipotent entity that stands above every citizen and every institution. Loyalty to it is held to be every Turk’s most fundamental obligation, and questioning it is considered treasonous.”; Kinzer, Stephan: „Crescent and Star. Turkey between TwoWorlds”, New York, 2001, S. 26 f.

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Übrigen den nicht-republikanischen Teilen der Staatenwelt Europas bis zum Beginn des 20.

Jahrhunderts auch nicht fremd war.

Konkret hat das in der Republik Türkei dazu geführt, dass bestimmte Bereiche der Politik als

„Staatspolitik“ angesehen werden, die in ihrer konkreten Gestaltung dem Wirken politischer

Akteure weitgehend entzogen und staatlichen Apparaten anvertraut sind. Das gilt

hauptsächlich für Fragen der Sicherheit der Republik und ihrer dafür notwendigen Außen-

und Sicherheitspolitik. Diese Felder sind im öffentlichen Bewusstsein in erster Linie nicht

eine Domäne demokratisch legitimierter politischer Akteure – und damit eine öffentliche

Angelegenheit - sondern Aufgaben des Militärs und der Bürokraten des Außen-

ministeriums.137

Die Forderung der EU nach einer Zivilisierung der Rolle des türkischen Militärs ist vor dem

Hintergrund dieses Staatsverständnisses zu sehen, das nur langsam an Wirkung verliert. Doch

kann die weitere Eingrenzung des politischen Einflusses der Militärführung durch die

Regierung und das Parlament gefördert werden, indem alle öffentlichen Repräsentationen des

Militärs jenseits seines eigentlichen Aufgabenbereichs beseitigt werden, wie zum Beispiel die

Vertretung im Hochschulrat oder im Medienrat.138

Nunmehr wurden die türkischen Militärvertreter im Zuge der von der EU geforderten

Reformen gesetzlich ihrer Aufgaben im Hohen Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK) sowie dem

Hohen Bildungsrat (YÖK), dem Aufsichtsgremium über das Hochschulwesen, entbunden.

In politischer Hinsicht wiegt die Einschränkung der Rolle des Militärs besonders schwer,

erfolgt damit doch ein Eingriff in ein Strukturelement des türkischen Staatsverständnisses.

Das Militär sieht sich traditionell nicht nur als Garant der äußeren Sicherheit, sondern

gleichermaßen als Hüter kemalistischer Grundsätze der Republik. Hierunter versteht die

Militärführung vor allem die Erhaltung des Staatsgebietes, sowie die Einheit der türkischen

Nation und des Volkes und die laizistische Ordnung des Staates. In diesen Funktionen wurde

137 Spanik, Stefan Werner D.: Die Türkei und die Europäische Union: Machtstrukturen im Wandel?, in: Österreichische militärische Zeitschrift (Wien), 40 (Mai-Juni 2002) S. 3 138 Der formelle Einfluss des Militärs auf das Justizwesen ist schon im Jahr 2000 mit der Abberufung aller militärischen Mitglieder aus den Kammern der Staatssicherheitsgerichte während des Prozesses gegen den PKK-Führer Abdullah Öcalan beendet worden.

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und wird das türkische Militär von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und der

politischen Öffentlichkeit akzeptiert. Diesem Machtverständnis soll mit den Reformmaß-

nahmen, die im Folgenden näher dargestellt werden, ein Ende bereitet werden.

Im Juli 2003 wurden Reformen mit Bezug auf die Stellung des türkischen Militärs von der

gegenwärtigen AKP-Regierung im Zuge der Vorbereitung auf einen türkischen EU-Beitritt

mit großer Mehrheit durch das Parlament gebracht. Diese Reformen waren Bestandteil des 7.

Harmonisierungspakets.

Das 7. Harmonisierungspaket, das am 7. August 2003 in Kraft trat, hat durch eine Reihe von

Änderungen des Strafgesetzbuches, des Antiterrorgesetzes, der Strafprozessordnung, des

Gesetzes über die Errichtung und die Prozessordnung von Militärgerichten, und des Gesetzes

über den Nationalen Sicherheitsrat sowie das Generalsekretariat des Nationalen Sicherheits-

rates wichtige Änderungen in den Beziehungen zwischen Zivilisten und dem Militär und der

Funktionsweise der Exekutive vorgenommen. Dabei wurden auch Änderungen in der

sachlichen Zuständigkeit der Gerichte vorgenommen. Wenn Zivilisten in Friedenszeiten

Straftaten begehen, indem sie beispielsweise Soldaten zur Meuterei und zum Ungehorsam

anstiften, öffentlich vom Militärdienst abraten und zur Unterwerfung der nationalen

Wehrkraft auffordern, werden sie in Zukunft nicht mehr, wie das vorher der Fall war, vor

Militärgerichte gestellt.139 Die sachliche Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit erfuhr damit

eine erste spürbare Einschränkung.

Unter Berücksichtigung dieser im bisherigen politischen Selbstverständnis grundlegenden

Gesetzesänderung ist festzustellen, dass mit diesen Schritten ein weitreichender Einstieg in

eine Zivilisierung der türkischen Demokratie getan wurde, der bei konsequenter Fortführung

zu einer tatsächlichen „Europäisierung“ des zivil-militärischen Verhältnisses in der Türkei

führen kann. Dazu sind weitere Maßnahmen nötig, die zu einer stärkeren Bindung des

Militärs an den Vorrang der gewählten zivilen Politiker führen und das nach wie vor

gegebene starke Eigenleben des Generalstabs und seiner nachgeordneten Dienststellen

beenden. Voraussetzung dafür ist ein grundlegendes Umdenken in der politischen

Öffentlichkeit und bei einem großen Teil der gewählten Politiker, die nach wie vor dazu 139 Die Gesetzesänderungen und Reformen sind umfassend nachzulesen in: „Politische Reformen in der Türkei“, hrsg. v. d. Türkischen Botschaft in Berlin, 2004, S. 14-43

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tendieren, die Haltung der Militärführung zu nicht sicherheitsbezogenen politischen

Problemen für relevant zu erachten bzw. den weiten Sicherheitsbegriff der Militärführung zu

akzeptieren. Die juristisch vollzogene Einschränkung der Macht des türkischen Militärs steht

aber gerade in engem Zusammenhang mit den Reformen, die den Nationalen Sicherheitsrat

betreffen. Nachfolgend wird deshalb auf die diesbezüglichen Änderungen eingegangen.

4.2 Deinstitutionalisierung des Nationalen Sicherheitsrats

Die Reform des Nationalen Sicherheitsrates sieht eine eindeutige Begrenzung seines

Einflusses auf eine beratende Rolle ebenso vor wie die künftige Führung des NSR durch

einen Angehörigen der zivilen Bürokratie und die Verkleinerung seines Sekretariats. Die

radikalsten Reformen des 35 Punkte umfassenden Paketes betreffen ohne Zweifel den

Nationalen Sicherheitsrat und den Generalsekretär dieses Gremiums. Es tagt unter dem

Vorsitz des Staatspräsidenten und ist des Weiteren mit dem Generalstabschef und den Führern

der einzelnen Waffengattungen sowie von Vertretern von Schlüsselministerien besetzt. Die

inhaltliche Auseinandersetzung besteht in sicherheits- und innenpolitischen Aspekten, sofern

das Militär sicherheitsrelevante Fragen berührt sieht. Die Funktionen und die Zuständigkeit

dieses bisher äußerst starken und mächtigen Gremiums wurden stark beschnitten. Die EU-

Harmonisierungskommission des türkischen Parlaments wies in ihrem Vorbericht zu den

Verfassungsänderungen darauf hin, dass in keinem anderen EU-Mitgliedstaat und den EU-

Kandidatenländern ein Nationaler Sicherheitsrat mit so weit reichenden Kompetenzen wie in

der Türkei existiere. Dies sei auch immer ein Hauptkritikpunkt der Europäer gewesen,

weshalb man sich zu einer grundlegenden Neuregelung des Nationalen Sicherheitsrates ent-

schlossen habe.140

Durch zwei Gesetzesänderungen hat der Nationale Sicherheitsrat künftig de facto nur noch

eine beratende Funktion in Bezug auf Aspekte der nationalen Sicherheitspolitik erhalten. Die

Koordination zwischen Nationalem Sicherheitsrat und dem Ministerpräsidenten kann einem

stellvertretenden Ministerpräsidenten überantwortet werden. Bisher sprach der Nationale

140 vgl. ebd.

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Sicherheitsrat Empfehlungen in allen politischen Bereichen aus. Man formulierte hier bisher

nationale Ziele, bestimmte geeignete Maßnahmen hinsichtlich der Wahrung der nationalen

Integrität und traf als Hüter der verfassungsrechtlichen Ordnung viele Entscheidungen, die

auch von der Politik befolgt wurden.141

Im Rahmen des 7. Harmonisierungspakets sind folgende maßgeblichen Gesetzesänderungen

im Gesetzbuch zum Nationalen Sicherheitsrat vorgenommen worden. Mit Art. 4 ist eine

grundlegende Revision der Aufgaben und Kompetenzen des Nationalen Sicherheitsrats

eingeleitet worden. Des Weiteren wurde in Art. 5 festgelegt, dass der Nationale Sicherheitsrat

nur noch regelmäßig alle zwei Monate zusammentrifft und nun auch auf Vorschlag des

Ministerpräsidenten einberufen oder direkt zu einem Treffen beim Präsidenten gerufen

werden kann. Schließlich wurde mit der Abschaffung der Art. 9 und 14, welche die

exekutiven Befugnisse dieser Einrichtung sicherten, der Nationale Sicherheitsrat auf ein rein

beratendes Gremium mit keinerlei exekutiven Befugnissen reduziert. Dadurch wird der

direkte Einfluss des Militärs auf die Politik entscheidend begrenzt, sofern die Reform

vollständig und effektiv umgesetzt wird.

Dem Generalsekretär wurden bisher förmlich exekutive Befugnisse zuteil, da er die

Empfehlungen des NSR eigenständig weiterverfolgen konnte und berechtigt war, “nationale

Sicherheitsermittlungen” durchzuführen. Mit den gesetzlichen Änderungen im Juli 2003

(Gesetz Nr. 4963) wurden die Kompetenzen des Generalsekretärs auf reine Zuarbeit und die

Festsetzung der Tagesordnung des NSR reduziert. Der Generalsekretär des NSR, bisher ein

vom Militär bestimmter Vier-Sterne-General, wurde im August 2004 auch erstmals durch

einen zivilen Beamten und damit Zivilisten ersetzt. Die Zivilisierung des Nationalen

Sicherheitsrates vollzog sich damit nicht nur in funktionell inhaltlicher Hinsicht, sondern auch

personell, da auch das Ernennungsverfahren für den Generalsekretär geändert wurde. Nun

wird auf Vorschlag des Ministerpräsidenten und mit Genehmigung des Staatspräsidenten

dieser Posten besetzt. Dies kann nach wie vor auch ein Offizier sein, dazu wäre dann

zusätzlich ein positiver Bescheid des Generalstabschefs nötig. Dieses Zugeständnis der

Regierung an das Militär bedeutet jedoch nicht unbedingt eine Aushöhlung der Reform. Es ist

141 vgl. ebd.

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eine realistische Einschätzung der Regierung, weil eine solch grundlegende Reform nicht

abrupt durchzuführen ist.142

Auch hier wird sich erst in der Zukunft zeigen, ob wichtige Entscheidungen des Parlaments

auch eins zu eins umgesetzt oder die Reformvorhaben nicht durch interpretationsabhängige

Formulierungen oder Verschleppungstaktik aufgeweicht werden.143 Das Reformpaket wurde

nach nur einer Woche Bedenkzeit von Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer unterzeichnet und

mit dem Erscheinen im Türkischen Amtsblatt rechtskräftig. Die Bedenken einiger politischer

Beobachter, der Staatspräsident könnte sein Veto einlegen, waren also unbegründet. Die

indirekte Einflussnahme des Militärs, sei es durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit,

sei es durch ein Wirken hinter den Kulissen, wird schwerer zu begrenzen sein.

Die Unterstellung des Generalstabs und des Nationalen Sicherheitsrats unter eine effektive

zivile und politische Führung und Kontrolle, sei es durch den Ministerpräsidenten oder den

Verteidigungsminister, muss längerfristig das Ziel weiterer Reformbemühungen sein. Dazu

gehört dann auch, dass das öffentliche Auftreten von hohen Militärs durch von zivilen

politischen Instanzen ergehende Weisungen geregelt wird. Mit den oben erklärten Reformen

und der Stärkung des parlamentarischen Einflusses auf die Gestaltung des Verteidigungs-

haushaltes durch den Rechnungshof sind Schritte in diese Richtung gemacht worden. Diese

waren von grundlegender Bedeutung, um das zuvor vorhandene Defizit an liberaler

Demokratie in der Türkei zu beseitigen.

142 ebd. 143 In fast pathetischer Weise feierten die türkischen Medien die Verabschiedung des sog. 7. EU-An-passungspaketes durch das türkische Parlament vom 31.07.2003. Tatsächlich müssen die Reformen, insbesondere zum Nationalen Sicherheitsrat, als weitere radikale Schritte und Meilensteine der Türkei auf dem Weg zur EU betrachtet werden. Klar ist aber auch, dass in jedem Fall die Ausführungen, praktischen Anwendungen und Umsetzungen abzuwarten sind, bevor man abschließend über die Bedeutung dieser Reformen urteilen kann.

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4.3 Determination der politischen Willensbildung im türkischen Parteien-

system

Ein anderer institutioneller Faktor, der die Entwicklung einer liberalen Demokratie nach

westlichen Maßstäben in der Türkei hemmt, ist der Zustand des Parteiwesens. Man kann die

These vertreten, dass es in der Türkei seit Mitte der 90er Jahre im Wesentlichen Protest-

wahlen gegeben hat, aber nicht Entscheidungen der Wähler zwischen alternativen pro-

grammatischen Angeboten.144

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die kurzlebigen Regierungen in der Türkei in

den 90er Jahren gegeben werden, ohne dabei ins Detail zu gehen, da dieser Überblick nur

dazu dienen soll, den oben angesprochenen Mangel an alternativen programmatischen

Angeboten zu verdeutlichen.

1991 wurde die von Mesut Yilmaz geführte Mutterlandspartei (ANAP) für den zunehmenden

Autoritätsverfall Turgut Özals, seines Vorgängers als Partei- und Regierungschef, damit

bestraft, dass die Rivalen in der rechten und linken Mitte des politischen Spektrums, die Partei

des Rechten Weges (DYP) unter Führung des langjährigen Politikers Süleyman Demirel und

die Sozialdemokratische Volkspartei (SHP) unter Führung von Erdal Inönü, eine Koalition

bildeten.

Nach dem Übergang der Parteiführung in der DYP auf die politisch bis dahin kaum in

Erscheinung getretene Wirtschaftsprofessorin Tansu Ciller, die unter Staatspräsident

Süleyman Demirel das Amt der Ministerpräsidentin inne gehabt hatte, kam es infolge des

wirtschaftlichen Abstiegs und der von ihr begünstigten Korruption bei den Wahlen von 1995

zu einem erneuten Vertrauensentzug der Wähler gegenüber den Regierenden. Die mittlerweile

offenkundig gewordene Verquickung hoher politischer und bürokratischer Kreise mit dem

organisierten Verbrechen kam als verstärkender Faktor hinzu, sodass sich die Wähler in einer

deutlichen Mehrheit für die proislamische Wohlfahrtspartei (RP) unter Führung von

Necmettin Erbakan entschieden.145 Dessen mit öffentlicher Billigung des Militärs

144 Einen guten Überblick über die parteipolitische Entwicklung der 90er Jahre in der Türkei geben Sayari, Sabri; Esmer, Yilmaz (Hrsg.): Politics, Parties, and Elections in Turkey, Boulder/London, 2002, S. 22-37 145 vgl. Kramer, Heinz: Die türkischen Wahlen vom 24.12.1995, in: KAS Auslandsinformationen, 2/1996, S. 3-26

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erzwungener Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten im Juni 1997 eröffnete der ANAP

unter Yilmaz nochmals die Chance, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Doch konnte er

diese nicht nutzen, weil er weder in der Innen- noch in der Wirtschaftspolitik eine klare Linie

zeigte. Zudem musste er sich immer wieder mit Korruptionsvorwürfen aus den Reihen seiner

Gegner herumschlagen und versagte bei seinem Versuch, die Türkei in die Europäische Union

zu bringen.

Somit entschied sich der Wähler im April 1999 unter dem Eindruck des im Februar

verhafteten Abdullah Öcalan, dem Führer der kurdischen Separatistenorganisation PKK, für

eine nationalistische Wende: Die national-sozialistische Demokratische Linkspartei (DSP) des

seit Mitte der 70er Jahre in der türkischen Linken dominanten Bülent Ecevit errang vor der

Nationalistischen Aktionspartei (MHP) von Devlet Bahceli die Mehrheit der Stimmen und

bildete zusammen mit dieser eine Koalition, in die auch die ANAP unter Yilmaz eintrat.146

Diese Koalition der Gegensätze konnte sich erstaunlich lange an der Macht halten und

überstand sogar eine schwere Wirtschaftskrise im Herbst 2000. Ihr Erfolg war allerdings

ebenso sehr ein Ergebnis der Unfähigkeit ihrer Gegner, eine überzeugende Opposition zu

organisieren, wie der eigenen politischen Bemühungen. Sie scheiterte letztlich im Sommer

2002 an den unüberbrückbaren internen Differenzen über die „richtige“ EU-Politik der Türkei

und an der politischen Inflexibilität von Ministerpräsident Bülent Ecevit. Damit hatte sich im

Laufe eines Jahrzehnts keine der politischen Parteien zu einer grundlegenden Reform und

politischen Neubesinnung in der Lage gezeigt.

Konsequenterweise errang daher bei den Wahlen am 3. November 2002 der frühere Istanbuler

Oberbürgermeister Recep Tayyip Erdogan mit der von ihm erst im August 2001 aus dem

Nachlass der vom Verfassungsgericht verbotenen pro-islamischen Tugendpartei (Fazilet

Partisi) gegründeten Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) einen überzeugenden

Wahlsieg. Es sind nur zwei der 18 angetretenen Parteien in der Großen Nationalversammlung

vertreten, nämlich die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkinma Partisi,

AKP) und die Republikanische Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi, CHP). Die AKP erhielt

über ein Drittel der Stimmen und 363 Sitze. Ferner wurden 9 unabhängige Abgeordnete

146ausführlich dazu Lange, Jörg: Die Türkei hat gewählt. Ergebnisse, Hintergründe und Perspektiven, Istanbul 1999

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gewählt. So groß war der Unmut der Wähler über die etablierten Parteien und Politiker, dass

sie diese mit Hilfe der 10-Prozent-Klausel vollständig aus dem Parlament verbannten.147

Seitdem arbeitet Erdogan konsequent darauf hin, seine AKP vom Ruch des Islamismus zu

befreien und dauerhaft als führende Kraft der politischen Mitte zu etablieren. Dabei kommt

ihm bisher nicht nur sein eigenes taktisches Geschick zugute, sondern auch die Unfähigkeit

aller oppositionellen Parteien, aus der verheerenden Wahlniederlage konstruktive Konse-

quenzen zu ziehen. Sowohl auf der rechten wie auf der linken politischen Mitte sind keine

Bemühungen um einen überzeugenden Neuanfang zu erkennen. Erdogans größeres Problem

sind zur Zeit nicht die politischen Gegner, sondern es ist das weitgehend ungebrochene

Misstrauen der kemalistischen Kräfte im Militär, in der Verwaltung, den Medien und den

Hochschulen.148 Die desolate Lage der meisten türkischen Parteien ist das Ergebnis eines

schon länger andauernden Prozesses, der mit den Schlagworten Fragmentierung, Polari-

sierung, Entinstitutionalisierung und Vertrauensverlust gekennzeichnet werden kann.149

Als eine Konsequenz der verschiedenen Militärputsche kam es, vor allem in Folge der damit

verbundenen Parteiverbote, zu einer fortschreitenden Zersplitterung des ursprünglich recht

soliden türkischen Zweiparteiensystems – sowohl durch die Entstehung konkurrierender

Parteien in den Ideologien der rechten und linken Mitte als auch durch das Aufkommen neuer

Parteien mit ideologischen Inhalten religiöser, ethnischer oder nationalistisch-chauvinistischer

Tendenz. Die verschiedenen Änderungen des türkischen Wahlrechts, mit dem die jeweils

herrschenden Parteien ihre Regierungsmacht absichern wollten, trugen ebenfalls zur

Fragmentierung und Polarisierung bei. Immer mehr Parteien, die sich häufig weniger durch

programmatische Unterschiede als mehr durch persönliche Rivalitäten ihrer Führungsfiguren

auszeichneten, konkurrierten um die Wählergunst. Hierzu trug die zunehmende Wandlung der

Parteien von Mitgliederorganisationen zu Führerorganisationen bei. Bezeichnenderweise

nutzt keine der bei den letzten Wahlen ins politische Abseits beförderten Parteien diese Lage

zu einer grundlegenden Organisationsreform mit der Schaffung stärkerer demokratischer

147 Seufert, Günter: Laizismus in der Türkei - Trennung von Staat und Religion?, in: Südosteuropa Mitteilungen (München) , 44 (2004) 1, S. 16-29 148 vgl. zur AKP: Seufert, Günter: Die neuen pro-islamischen Parteien in der Türkei, Berlin, 2002, (SWP-Studie 6/2002), S. 3-9 149 vgl. dazu Özbudun, Ergün: Die Parteien und das Parteiensystem in der Türkei, in: KAS Auslandsinfor-mationen 5/02, S. 46-62

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Strukturen und zu einer Schärfung des politischen Profils. Sie konzentrieren ihr Bemühen

darauf, eine neue überzeugende Führungsfigur für die Spitze der Partei zu finden - bisher

ohne großen Erfolg.150

Bei der Bewertung dieses determinierten Zustands in der türkischen Parteienlandschaft

kommt beispielsweise Heinz Kramer zu folgender Schlussfolgerung: „Unter diesen

Bedingungen spielt Parteimitgliedschaft keine besondere Rolle mehr. Sie ist kaum mehr als

eine grundlegende Sympathieerklärung für die Partei und ihre jeweilige Führung oder aber

Ausdruck kühler Nutzenkalküle, die das Hauptmotiv für den häufig zu beobachtenden Partei-

und/oder Fraktionswechsel aktiver Politiker bilden. Nicht das Bemühen um überzeugende

politische Positionen steht im Vordergrund, sondern der Kampf um die Gunst des

Vorsitzenden.“ 151

Auch stellt Kramer fest, dass sich dementsprechend die Einbindung der Parteien in die

Bevölkerung gelockert hat und die Parteiidentifikation der Wähler konstant zurückgeht. Das

gilt auch in einem erheblichen Maß für die Regierungspartei AKP, deren Führung nach außen

das Bild der „anderen“, einer „neuen“ Partei verbreiten möchte. Der Verlauf ihres ersten

Parteitages im Herbst 2003 war in dieser Hinsicht genau so ernüchternd wie die darauf

folgenden Vorbereitungen für die Kommunalwahlen im März 2004: Erdogan wurde als

unantastbare Führungsperson präsentiert, die Diskussionen politischer Fragen wurden

konsequent vermieden, und die endgültigen Kandidatenlisten für die wesentlichen

Bürgermeisterposten wurden erst nach der Rückkehr des Ministerpräsidenten von einer USA-

Reise Ende Januar 2004 festgelegt.152 Die immer noch hohen Zustimmungsraten in der

Bevölkerung dürfen - so Kramer - nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies neben der

Wirkung seines erheblichen Charismas auch Ausdruck der fehlenden personellen,

organisatorischen und inhaltlichen Alternativen im politischen Spektrum der Türkei sei.

Zusammenfassend ist zum türkischen Parteiensystem festzuhalten, dass es durchaus Defizite

aufweist und Reformen benötigt, um eine langfristige institutionelle Grundlage für eine

stabile Demokratie bilden zu können. Die Türkei teilt dieses Problem allerdings mit

150 ebd. 151 Kramer, Heinz: Demokratieverständnis und Demokratisierungsprozesse in der Türkei“, in: Südosteuropa Mitteilungen, Nr. 1, 44. Jhrg., 2004 , S. 10 152 vgl. ebd., S.11

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zahlreichen anderen europäischen Staaten, nicht zuletzt mit einer Reihe mittel- und

osteuropäischer Beitrittskandidaten.

Diese Schwäche des Parteiensystems ist unter anderem die Folge der zunehmenden

Medialisierung der Politik, wodurch klassische Politikinstrumente wie die Parteien an

Einfluss und Bedeutung verlieren. In dieser Hinsicht folgt auch die Entwicklung des

türkischen Parteiensystems modernen europäischen Trends und weniger irgendwelchen

islamischen Wurzeln oder Einflüssen.153

Die Wahlen im November 2002 wurden von Mitgliedern des Europäischen Parlaments und -

in einigen Provinzen - von der parlamentarischen Versammlung des Europarates beobachtet.

Vertreter der OSZE, welche die Türkei vom 29. Oktober bis zum 4. November 2002

besuchten, vertraten die Auffassung, dass der Ablauf der Wahlen den internationalen

Standards entsprach und dass erhebliche Verfassungsreformen und Rechtsreformen in den

letzten Jahren den gesamten Rechtsrahmen für die Wahlen weiter verbessert haben, was

positiv zu bemerken ist.154

Wenn auch die genannten Defizite in der türkischen Parteienlandschaft gegenwärtig bleiben,

sollen dennoch an dieser Stelle die im Rahmen der Harmonisierungspakete vollzogenen

Änderungen des Parteiengesetzbuchs nicht unerwähnt bleiben. Parteienverbote gab es in der

Türkei sehr oft. Unberührt von den Entwicklungen in anderen Europaratsländern, in denen

mit Parteiverboten mit größter Zurückhaltung umgegangen wird, hat die Strenge des

türkischen Parteienverbotsverfahrens dazu geführt, dass die Vielfalt der Parteienlandschaft

erhebliche Einschränkungen erfahren hat. Dies hatte eine Reihe von Urteilen des EGMR

(Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) zur Folge, die - bis auf eine Ausnahme im

Falle der Wohlfahrtspartei - die Ergebnisse der Parteiverbotsverfahren als Verstöße der Türkei

gegen die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) feststellten. Der türkische

Verfassungsgeber hat hierauf durch Änderung des Art. 69 der Verfassung reagiert.

153 vgl. ebd. 154 vgl. Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, Brüssel 2003, in: http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report2003/tu_de.pdf

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Der Verfassungsgeber hat zunächst versucht, den in der Verfassung verwendeten Begriff

„Brennpunkt der Aktivitäten“ zu definieren. Denn eine Partei konnte schon seit 1995 nur dann

verboten werden, wenn sich in der Partei ein „Brennpunkt verfassungswidriger Aktivitäten“

gebildet hatte. Jedoch war bis dahin juristisch nicht klargestellt worden, was unter

„Brennpunkt“ zu verstehen war. Wörtlich heißt es in der türkischen Verfassung in Art. 69

Abs. 6 jetzt: „Eine politische Partei wird zum Brennpunkt solcher Aktivitäten, wenn

entsprechende Taten von Parteimitgliedern in großem Umfang begangen werden und dies

vom Großen Kongress oder dem Vorsitzenden oder von Entscheidungs- und

Verwaltungsorganen der Parteizentrale oder der Hauptversammlung oder der Führung der

Parlamentsfraktion stillschweigend oder ausdrücklich gebilligt oder solche Taten von den

genannten Parteiorganen selbst bewusst und gewollt begangen werden.“ 155

Im 2. Harmonisierungspaket wurden im Parteiengesetzbuch die Art. 101 und 102 neu

eingefügt. Gemäß dieser Artikel soll Parteien, denen Gesetzeswidrigkeiten vorgeworfen

werden, als Alternative zu einem Verbot der Partei, künftig nur die staatliche Hilfe (ganz oder

teilweise) entzogen werden. Außerdem ist mit dem Art. 98 des Parteiengesetzbuchs festgelegt

worden, dass bei der Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Schließung einer Partei

nunmehr eine Mehrheit von 3/5 notwendig ist. Vorher war eine einfache Mehrheit

ausreichend.

Das Recht auf Wahlen wurde nur geringfügig geändert. Immerhin ist verurteilten Straftätern,

die wegen Fahrlässigkeitsdelikten verurteilt wurden, der Weg zur Wahlurne eröffnet worden.

Es bleiben jedoch weiterhin nicht nur sonstige Straftäter, sondern bezeichnenderweise auch

Soldaten von der Ausübung des aktiven Wahlrechts ausgeschlossen.

Unklar bleibt auch das Schicksal der landesweiten 10-Prozent-Hürde, die auf gesetzlicher

Ebene den Zugang kleiner und regionaler Parteien zum Parlament verhindern soll. Der

Verfassungsgeber ist dabei geblieben, dazu keine neuen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu

formulieren. Hin und wieder wird diskutiert, diese Hürde herabzusetzen.

Eine grundlegende Reform, etwa durch eine entsprechende Änderung des Parteiengesetzes

und/oder des Wahlrechts, scheitert jedoch daran, dass die aktuellen Machthaber, die ihre 155 zit. aus Rumpf, Christian: Die türkische Verfassungsentwicklung auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft, in: Zippel, Wulfdiether (Hrsg.): Spezifika einer Südost-Erweiterung der EU, Baden-Baden 2003, S. 110

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jetzige Position ja teilweise gerade diesen Systemschwächen verdanken, wenig Interesse

zeigen, die Basis ihrer Macht zu gefährden. Diskussionen über Änderungen wurden und

werden daher in der Regel bei der Opposition und in wissenschaftlich-intellektuellen Kreisen

geführt, kaum aber unter denen, die über die reale Möglichkeit zu Veränderungen verfügen.

Am 3. November 2002 fanden in der Türkei – vgl. oben - vorgezogene Parlamentswahlen

statt. Hieraus ging die AKP mit einem klaren Sieg hervor. Die religiös-konservativ orientierte

Partei errang 34,27 % der gültigen Stimmen, damit zog sie mit 363 von insgesamt 550

Abgeordneten ins Parlament. Beeinflusst hat das Wahlverhalten das geänderte Profil dieser

Partei. Sie schaffte es weitgehend, sich von dem Image einer islamistischen Partei zu lösen.

Erdogan konnte dieses Image umso leichter aufrechterhalten, weil er sorgfältig darauf achtete,

seinen politischen Widersachern im Lager der kemalistischen Hardliner keine Angriffspunkte

in Sachen „Islamisierung“ zu bieten. Dennoch liegt hier nach wie vor die wesentliche

innenpolitische Schwachstelle für eine anhaltende Konsolidierung der AKP-Machtposition.

Immer noch gibt es, auch bis weit in die Kreise liberaler Intellektueller und Meinungsführer

hinein, die Sorge, in der AKP könnte irgendwann die islamistische Herkunft vieler ihrer

Führungspersonen durchbrechen und der Marsch in eine „islamische Republik Türkei“

beginnen, nach dem mit Hilfe der „Europäisierungspolitik“ wesentliche innenpolitische

Hindernisse und Widerstandskreise aus dem Weg geräumt wurden. Nur langsam wächst die

Bereitschaft, Erdogan und seiner politischen Mannschaft ihre Absage an den politischen

Gebrauch der Religion und ihr Bekenntnis zu den Werten einer konservativen europäischen

Politikorientierung zu glauben.156

Ende Juni 2003 hatte die Haushaltskommission des Parlaments der so genannten

Religionsbehörde 15.000 neue Stellen zugeteilt. Die Opposition beschuldigte die Regierung

daraufhin, sie betreibe die Unterwanderung der Bürokratie mit religiösen Kadern und

beabsichtige einen Bruch des Laizismus. Es lässt sich die Frage stellen, warum der personelle

Ausbau eines staatlichen Amtes die Grundlagen des nach seiner Verfassung konsequent

laizistischen Staates ins Wanken bringen sollte. Warum leistet sich der laizistische Staat eine

Institution, deren Stärkung seinen Umsturz einleiten könnte? Und ist es umgekehrt so, dass

156 Doch hat die AKP ihre Position in den Kommunalwahlen vom 28. März 2004 deutlich festigen können, als sie landesweit 41,6 Prozent der Stimmen erhielt

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der laizistische Staat umso sicherer ist, je kleiner, schwächer und unbedeutender das

Präsidium für Religionsangelegenheiten ist?

Die Religionsbehörde ist seit 1961 in der Verfassung verankert. Seit 1971 sind ihre

Mitarbeiter Staatsbeamte. Ihre Existenz ist zusätzlich durch das Parteiengesetz rechtlich

abgesichert, das den politischen Parteien verbietet, ihre Abschaffung zu fordern. Heute ist die

Religionsbehörde eine der größten und reichsten Behörden im Lande. Sollten die neuen

Stellen besetzt werden, wäre die Behörde mit dann etwa 100.000 Mitarbeitern die fünftgrößte

Institution. Ihr Budget ist höher als das von fünf kleineren Ministerien zusammen und wird

nur von den Haushalten des Verteidigungs- und des Innenministeriums übertroffen.157 Diese

privilegierte Stellung der Behörde im Staatsgefüge ist sicherlich nicht das Werk der heutigen

Regierungspartei. Das zu Beginn der Republik gelegte Fundament der Behörde wurde in den

darauf folgenden Jahren stetig ausgebaut, und es fällt auf, dass jede Machtergreifung der

Militärs zu einer Festigung des Status der Religionsbehörde führte: so 1961, 1971 und 1982.

Gerade die Militärs, die sich als Garanten des Laizismus in der Türkei verstehen, haben sich

um die verstärkte rechtliche Absicherung der Behörde bemüht.

Zur Aufgabe dieses Präsidiums für Religionsangelegenheiten heißt es in Art. 136 der

türkischen Verfassung, es sei in seiner Arbeit „dem Laizismus verpflichtet“ und habe im

Geiste „nationaler Solidarität und nationalen Zusammenwachsens“ zu wirken. Mit dem

Vorwurf konfrontiert, über die Zuteilung neuer Stellen den politischen Islam zu fördern,

rechtfertigte sich der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Ali Sahin wie folgt: Er sagte,

man müsse verhindern, dass nichtstaatliche Kreise den Islam zur politischen Mobilisierung

gegen den Staat nutzen könnten. „Die Stärkung der Religionsbehörde dient der Sicherung des

laizistischen Regimes“, meinte Sahin und stellte sich damit in einen klassischen Diskurs der

Republik. Nach dieser Logik bietet nur eine zentral formulierte und durchgesetzte einheitliche

Version des Islam Schutz vor ihrer Instrumentalisierung durch Fundamentalisten. In einer

freien Auseinandersetzung würden sich, so die Befürchtung, gemäßigte Töne nicht

durchsetzen können.158

157 vgl. Bozkurt, Askim: Demokratisierung in der Türkei: Entwicklungen seit dem Rat von Helsinki 1999, Duisburg 2002, S. 34 158 ebd.

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4.4 Schutz der Menschenrechte als gemeinschaftsrechtliche

Eingriffslegitimation für eine Integration

Die aus der Naturrechtslehre entstammenden Menschenrechte, die ihre ersten Mani-

festierungen bereits im Jahr 1215 in der Magna Charta Libertatum erfuhren (später in der

Petition of Rights 1628, dem Habeas-Corpus-Act 1679, der Bill of Rights 1689, der Virginia

Bill of Rights von 1776 sowie im Bill of Rights-Amendment zur US-amerikanischen

Verfassung von 1776), sind allgemein die dem Individuum zustehenden Rechte auf Schutz

vor Eingriffen des Staates, die dem einzelnen erhalten bleiben müssen und die nicht durch den

Staat beschränkt werden können. Sie bestehen insbesondere aus dem Recht auf Leben,

Freiheit und Sicherheit, Achtung des Privat- und Familienlebens, Verbot der Folter, Sklaverei

und Zwangsarbeit, Gleichheit vor dem Gesetz und Gleichberechtigung, Religions- und

Gewissensfreiheit, Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, Versammlungs- und Vereini-

gungsfreiheit sowie Freizügigkeit und dgl.159

Sie sind „unveräußerliche Rechte“ und wurden im Laufe der Zeitgeschichte als staatliche

Gewährungen anerkannt. Außer einer verfassungsrechtlichen Sicherung in der jeweiligen

Nation sind völkerrechtlich vereinbarte Garantien der Menschenrechte vorhanden. Die

Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete hierzu am 10.12.1948 eine

Deklaration der Menschenrechte. Wegen der Gegenstimmen der USA und der Sowjetunion

konnte diese hingegen keine rechtliche Verbindlichkeit entfalten. Dagegen haben die

Europarats-Staaten mit Ausnahme Frankreichs am 04.11.1950 die Europäische Konvention

zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unter-zeichnet und überwiegend in das

innerstaatliche Recht übernommen. Zur Durchsetzung dieser Vorschriften wurde ein

Europäischer Gerichtshof zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten eingerichtet,

bei dem Bürgern gegen ihren eigenen Staat wegen Menschenrechtsverletzung ein Klagerecht

eingeräumt wurde.160

159 Ein umfassender Überblick ist nachzulesen unter http://www.staatsvertraege.de/emrk.htm 160 vgl. ebd.

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Seit Beginn der Beitrittsbemühungen und insbesondere in den letzten Jahren sind die Themen

Menschenrechte und Minderheitenschutz in der politischen Diskussion, die über einen EU-

Beitritt der Türkei geführt wurden, immer von besonderer Brisanz und Bedeutung gewesen.

Auch in der Medienberichterstattung ist in dieser Debatte den Verstößen gegen die

Menschenrechte in der Türkei der größte Raum gegeben worden.

Die Europäische Union legte deren Achtung und Wahrung als Grundvoraussetzung für einen

Beitritt fest. Das Dokument über die Beitrittspartnerschaft des Europäischen Rates vom

08.03.2001, auf welches die türkische Regierung mit seinem „Nationalen Programm“

reagierte, legte im Bereich der Menschenrechte kurz- und mittelfristige Ziele fest, die von der

Türkei zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien verwirklicht werden müssen. Sie sind

gekennzeichnet in einer dem Gemeinschaftsrecht angepassten rechtlichen Verbesserung von

Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, der Abschaffung der Todesstrafe sowie

Maßnahmen zur Bekämpfung der Folter. Darüber hinaus sind alle rechtlichen Hindernisse für

den Gebrauch anderer Muttersprachen türkischer Staatsbürger in Rundfunk und Fernsehen zu

beseitigen sowie Schulungen von Vollzugsbeamten, Richtern und Staatsanwälten über

menschenrechtliche Prinzipien durchzuführen.161 Aufgrund dessen sind die Entwicklungen in

diesem Bereich besonders wichtig für den weiteren Prozess der Beitrittsverhandlungen. Zu

klären ist daher, welche konkreten spezialgesetzlichen Reformen und innerstaatliche

Rechtsänderungen die Türkei vorgenommen hat, um den europäischen Vorgaben im Hinblick

auf den Schutz und die Wahrung der Menschenrechte gerecht zu werden.

4.4.1 Die Todesstrafe als Strafmonopol des Staates

Um eine grundlegende Forderung der Europäischen Union zu erfüllen, hat die Türkei in

seinem Strafrechtssystem schrittweise die bisher national verankerte Todesstrafe abgeschafft.

Zunächst erging im August 2002 mit dem 3. Harmonisierungspaket (Gesetz Nr. 4771) eine

Abschaffung der Todesstrafe außerhalb von Kriegszeiten oder Zeiten unmittelbarer

161 vgl. Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 9

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Kriegsgefahr, entsprechend dem 6. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechts-

konvention.162 Die vollständige Abschaffung der Todesstrafe folgte im Januar 2004 mit der

Unterzeichnung des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK. Alle verbleibenden nationalen Verweise

auf die Todesstrafe wurden im Rahmen der Verfassungsänderungen vom Mai 2004 aus dem

türkischen Recht entfernt. Dieser Reformschritt führte unter anderem dazu, dass die

Todesstrafe163 des PKK-Führers Abdullah Öcalan in lebenslange Haft umgewandelt wurde.

Auch in weiteren Punkten wurde das Rechtssystem an europäische Standards angenähert, die

im Nachfolgenden untersucht werden. Die Regierung unter Ministerpräsident Erdogan hat

sich zu einer „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Fällen von systematischer Folter

verpflichtet.164 Die Neuordnung des Gefängnissystems wurde fortgesetzt und Häftlingen

werden umfangreichere Rechte zugestanden. Zahlreiche Einschränkungen in Bezug auf

Meinungs-freiheit wurden auch aufgehoben, wie im Kapitel 4.4.3 näher erläutert wird.

4.4.2 Folter und Polizeigewahrsam als Mittel der Strafverfolgung

Gerade im Bereich des staatlichen Umgangs mit seinen Bürgern zur Durchsetzung seines

Strafanspruchs war die Türkei stets in der politischen Diskussion geblieben. Die nachhaltigen

Zielsetzungen der EU zur Bekämpfung der Folter und den rechtsstaatlichen Bedingungen des

Polizeigewahrsams sind daher im Hinblick auf ihre Umsetzung zu untersuchen.

� Strafrecht:

Ein entscheidender rechtlicher Schritt der Türkei in Bezug auf die Folter ist darin zu

erkennen, dass das neue Strafgesetzbuch mit in Kraft Treten am 01.04.2005 den Begriff der

Folter in seiner Legaldefinition erheblich ausweitete. Gemäß Art. 94 Abs. 1 Türk. StGB ist

Folter eine „Behandlung, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, körperliche oder

162 Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 10 163 Die Todesstrafe war seit 1984 nicht mehr vollstreckt worden. 164 Der oben erwähnte Slogan hat die Reformpolitik in Bezug auf die Abschaffung der Folter erheblich geprägt. Als Ergebnis dieser Politik hat sich die Zahl der Folterfälle erheblich vermindert.

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seelische Schmerzen verursacht, die Wahrnehmungsfähigkeit oder die Ausübung des freien

Willens beeinträchtigt und eine Entwürdigung beinhaltet.“165

Zugleich wurde die Strafandrohung auf mindestens drei bis zu zwölf Jahren Haft erhöht.

Strafschärfende Merkmale wie Folter an Kindern, körperlich oder geistig Behinderten,

schwangeren Frauen sowie durch sexuelle Misshandlung erhöhen das zu erkennende

Strafmaß auf mindestens 8 bis 15 Jahre Haft, während bei Gesundheitsschäden oder gar

Tötung unter Folter lebenslange Haft vorgesehen ist.166 Damit wurden die Rechtsgrundlagen

an europäische Mindeststandards angeglichen, was allerdings nicht die Frage beantwortet, in

wie weit dadurch im Zusammenhang mit den Exekutivorganen eine effiziente strafrechtliche

Verfolgung nach diesen neuen Maßstäben verwirklicht wird.

� Strafprozessrecht und Strafverfolgung:

Bereits mit der Verfassungsänderung vom Oktober 2001 begann die Türkei, die Folter durch

Verabschiedung diverser nationaler Gesetze zu bekämpfen.

Die Polizeihaft wurde nun auf höchstens 48 Stunden verkürzt. Eine Änderung des

Militärstrafrechts und des Gesetzes über die Errichtung und das Gerichtsverfahren an

Militärgerichten wurde zum Zweck der Angleichung an die Verfassungsänderungen von 2001

am 22. Januar 2004 vom Parlament angenommen und trat am 29. Januar 2004 in Kraft.

Konnten bisher Personen, die gemeinschaftlicher Straftaten verdächtigt wurden, ohne

richterlichen Beschluss für 7 Tage in Polizeigewahrsam genommen werden, so wurde jetzt die

Gewahrsamsdauer in Gebieten unter dem Ausnahmezustand auf 4 Tage reduziert.167 So soll

gewährleistet werden, dass der Beschuldigte oder Gefangene von seinen Rechten Gebrauch

machen kann. Um die Haftbedingungen in Regionen unter einem Ausnahmezustand zu

verbessern und um sicherzustellen, dass die Gesundheit des Verhafteten oder Gefangenen

unangetastet bleibt, muss jedes Mal, wenn dieser aus dem oder in das Gefängnis oder eine

165 Art. 94 Abs. 1 Türk.StGB, Nr. 5237 166 vgl. Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 11 167 Bericht über den Antrag der Türkei auf Aufnahme in die Europäische Union (KOM(2002) 700-C5-0104/2003-2000/2014(COS)), Berichterstatter: Arie M. Oostlander. Europäisches Parlament, Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik – Brüssel 2003, S. 21 (Sitzungsdokumente / Europäisches Parlament)

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Haftanstalt kommt, ein ärztliches Attest ausgefertigt werden. Ergebnisse, die durch illegale

Verhörmethoden erzielt wurden, sollen nicht als Beweismittel anerkannt werden.168

Eine Änderung des Art. 107 der Strafprozessordnung sieht außerdem vor, dass „ein

Verwandter oder eine Person, die vom Verhafteten bestimmt wurde, über die Haft und jede

Entscheidung über die Ausweitung der Haft nach Anordnung durch den Richter informiert

werden soll. Das 1. Harmonisierungspaket, das am 19. Februar 2002 in Kraft trat (Gesetz Nr.

4744), verfügte weiter eine Reihe von Änderungen des Strafgesetzbuches, des

Antiterrorgesetzes, des Gesetzes über die Errichtung und die Verfahren an Staatssicherheits-

gerichten und der Strafprozessordnung in Zusammenhang mit der Ausweitung der

Meinungsfreiheit, der Verringerung der Gewahrsamsdauer und der Schutzbestimmungen für

Strafgefangene.169

Soll der Polizeigewahrsam verlängert werden, muss der Verdächtigte einem Richter

vorgeführt werden, der eine Verlängerung bis zu maximal 10 Tagen verfügen kann.

Außerdem muss dem Verdächtigten auch im Polizeigewahrsam voller Zugang zu seinem

Rechtsanwalt gewährt werden. Dabei ist indessen kritisch anzumerken, dass das Recht auf

angemessene Verteidigung und sofortigen Anwaltszugang in der Praxis oft unterlaufen wird.

Mit dem 4. Harmonisierungspaket (Gesetz Nr. 4778) vom 11.01.2003 wurde der Anwalts-

zugang nur unter Einschränkungen zugelassen. In der Regel aus politischen Gründen

festgenommene Personen, die in die Zuständigkeit der Staatssicherheitsgerichte fielen, waren

davon nämlich ausgenommen.170 Zwar endete diese Beschränkung im Juli 2003, eine

Rechtsgrundlage dahingehend, dass der Rechtsanwalt ein Anwesenheitsrecht während der

Vernehmung selbst hat, fehlt aber bis heute.171

Das türkische Justizministerium gab am 20. Oktober 2003 ein Rundschreiben heraus, in

welchem es alle Staatsanwälte anwies, die Untersuchungen in Bezug auf den Verdacht von

Folter und grober Misshandlung selbst durchzuführen und die Untersuchung dieser Fälle als

168 ebd. 169 Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 14; Art. 82 Türk. StGB, Nr. 5237 170 vgl. Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 10 f. 171 vgl. ebd.

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dringend zu betrachten, die ohne Verzögerung mit Vorrang behandelt werden. Das Gesetz

über Festnahme, Haft und Vernehmung wurde am 3. Januar 2004 mit Blick auf die weitere

Stärkung des Schutzes vor Folter und grober Misshandlung geändert. Die Änderung zielt des

Weiteren darauf ab, das Gesetz in Einklang mit den europäischen Normen zu bringen und

Probleme auszuschließen, die aus der Umsetzung erwachsen könnten.

Zahlreiche Änderungen sollen die Kontrolle in Bezug auf Folter und Misshandlung

verstärken. Art. 2 des Gesetzes über die Strafverfolgung von Beamten und Angestellten des

öffentlichen Dienstes wurde geändert, um das Verwaltungsgenehmigungsverfahren für die

Strafverfolgung von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes aufgrund von

Vorwürfen der Folter und Misshandlung abzuschaffen. Bisher konnten im Falle von im

Dienst begangenen Straftaten staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren nur eingeleitet

werden, wenn der jeweils zuständige Dienstvorgesetzte seine Zustimmung erteilte. Mit dem

im Januar 2003 in Kraft getretenen Gesetz Nr. 4778 werden nunmehr Anklagen wegen Folter

und Misshandlungen ausdrücklich ausgenommen.172

Die Änderung des Art. 245 Türk. StGB sieht vor, dass Urteile bezüglich Folter und

Misshandlung nicht in Geldstrafen oder andere Maßnahmen umgewandelt oder außer Kraft

gesetzt werden können. Art. 316 der Strafprozessordnung wurde geändert, um das Recht auf

Verteidigung zu stärken und sicherzustellen, dass die schriftliche Stellungnahme des

Generalstaatsanwaltes des Kassationsgerichtes den Beamten oder Angestellten, die der Folter

verdächtigt werden oder seinem Anwalt zur Kenntnis gebracht wird.173

4.4.3 Meinungsfreiheit als rechtsstaatliche Bestandsgarantie

Die Beitrittspartnerschaft sieht als kurzfristige Priorität vor, entsprechend Art. 10 der

Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) das Recht auf Meinungsfreiheit zu stärken

und die Situation von gewaltfreien politischen Gefangenen zu verbessern. Vorab ist zu

172 vgl. ebd., S. 11 173 vgl. Bericht über den Antrag der Türkei auf Aufnahme in die Europäische Union (KOM(2002) 700-C5-0104/2003-2000/2014(COS)), Berichterstatter: Arie M. Oostlander. Europäisches Parlament, Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik – Brüssel 2003, S. 21 (Sitzungsdokumente / Europäisches Parlament)

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konstatieren, dass die bisher normierten Gesetzesschranken zur Meinungsfreiheit zwar eine

enorme Liberalisierung erfahren haben, andererseits aber eine europarechtskonforme

Angleichung nicht erfolgte, wie es beispielsweise im Grundgesetz der BRD verankert ist.

Danach unterliegt das Grundrecht der Meinungsfreiheit den sog. Schranken-Schranken, also

der Kollisionsprüfung mit anderen Grundrechten des Grundgesetzes.

Dennoch sollen die grundlegenden Rechtsänderungen untersucht werden, die der Erfüllung

der europäischen Kriterien dienen sollen:

Der in der Rechtspraxis häufig angewandte Art. 159 Türk. StGB stellte in seiner

Strafandrohung Haftstrafen von 1 bis 6 Jahren in Aussicht, wenn „das Türkentum, die

Republik, die Große Nationalversammlung, das moralische Wesen der Regierung, die

Ministerien, das Militär und die Sicherheitskräfte des Staates oder das moralische Wesen der

Richterschaft“ beleidigt, herabgesetzt oder verspottet werden.174 Dieser Tatbestand war

deshalb wegen Beleidigung von Sicherheitskräften leicht erfüllt, wenn man Polizeikräfte der

Durchführung diverser Folterpraktiken bezichtigte; ein staatliches Instrument, unliebsame und

kritische Meinungsäußerungen von Bürgern strafrechtlich zu sanktionieren.

Die Regierung reagierte hier im 2. Harmonisierungspaket vom Februar 2002 (Gesetz Nr.

4744) mit einer Reduzierung der Obergrenze des Strafmaßes von 1 bis 3 Jahre, nicht jedoch

mit einer engeren und klareren Definition des Tatbestandes. Erst mit dem 3. Harmo-

nisierungspaket vom August 2002 (Gesetz Nr. 4771) folgte ein inhaltlicher Kurswechsel

dergestalt, dass bloße Kritik, die die Grenzen der Beleidigung nicht überschreite, straffrei

sei.175 Zuletzt wurde mit dem 7. Harmonisierungspaket vom Juli 2003 (Gesetz Nr. 4963) die

Mindeststrafe von einem Jahr auf 6 Monate gesenkt.176

Eine zweite Änderung zum Strafgesetzbuch schaffte in Art. 312 Türk. StGB die Geldstrafen

ab, die für das Rühmen einer strafbaren Handlung, den Aufruf zum Gesetzesverstoß oder das

Anstacheln von Feindschaft und Hass aufgrund von Gesellschaftsschicht, Rasse, Religion,

oder regionaler Herkunft festgelegt wurden. Diese Änderung beschränkt die Strafbarkeit auf

Äußerungen oder Aktivitäten, die geeignet sind, die „öffentliche Ordnung“ zu gefährden.177

174 zit. nach Yilmaz, Mesut: Die Türkei und EU, Berlin 2004 , S. 48-57 175 vgl. Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 12 176 vgl. ebd. 177 vgl. ebd.

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Die überfällige Abschaffung des berüchtigten Art. 8 des Antiterrorgesetzes (ATG) bezüglich

„Propaganda gegen die unteilbare Einheit des Staates und der Nation“ erfolgte im 6.

Reformpaket (Gesetz Nr. 4928) im Juni 2003, was am 19.07.2003 in Kraft trat. Selbst

Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer und die Militärführung, die sich gegen die Streichung

dieses Artikels aussprachen, konnten die Abschaffung nicht verhindern. Sezer sah diese

Streichung in Bezug auf die unteilbare Einheit des Staatsgebietes und Staatsvolkes als

bedenklich an und schlug stattdessen eine engere Fassung von Art. 8 vor, damit kein

Widerspruch zu Art. 10 der EMRK entstehe. Die Regierung bekräftigte aber, dass durch die

Streichung dieser Vorschrift keine Gesetzeslücke entstehen wird, da der Sache nach dieses

Delikt gemäß Art. 312 Türk. StGB („Volksverhetzung, Gefährdung der öffentlichen

Ordnung“) und Art. 196 Türk. StGB (Unterstützung und Begünstigung terroristischer Organi-

sationen“) weiterhin geahndet werden könne.

In der Tat wurden in den letzten Jahren Prozesse gegen Meinungsäußerungen zur

Kurdenfrage überwiegend nicht nach Art. 8 ATG, sondern nach Art. 312 Türk. StGB

geführt.178 Mit dem 7. Reformpaket (Gesetz Nr. 4963) wurde in Art. 169 Türk. StGB die

Bestimmung gestrichen, wonach „Handlungen, die die Machenschaften terroristischer

Organisationen in irgendeiner Weise erleichtern“, strafbar sind. Art. 7 ATG wurde in der

Weise eingeschränkt, dass seine Anwendung auf bloße Meinungsäußerung bei korrekter

Anwendung ausgeschlossen sein dürfte.179 Der Art. 7 ATG wurde geändert, um den Rahmen

zu beschränken, in dem Propaganda als strafbares Vergehen verfolgt werden kann, wobei dies

im Sinn von „Propaganda, die zu Terrorismus ermutigt“ neu definiert wurde. 180 Schließlich

ist zu betonen, dass das Parteiengesetz jegliche Propaganda gegen die unteilbare Einheit von

Staatsvolk und Staatsgebiet verbietet und dass auch Parteien verboten werden, wenn sie eine

solche Propaganda in ihr Programm aufnehmen.

178 vgl. EU-Kommissionsbericht 2004, Brüssel, S. 53 179 vgl. Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 12 180 Yilmaz, Mesut: Die Türkei und EU, Berlin 2004, S. 33

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4.4.4 Defizite innerstaatlicher Geschlechtergleichstellung

Mit der Ausrufung der Türkischen Republik durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahre 1923

wurden elementare Änderungen in der Rechtsordnung vorgenommen. Mit der Einführung des

Türkischen Zivilgesetzbuchs im Jahre 1926 wurde auch die formale zivilrechtliche

Gleichstellung der Frau vollzogen, sowie im Jahre 1934 das Wahlrecht für Frauen und ihre

Wählbarkeit festgeschrieben.181

� Staatliche Trennung vom islamischen Recht:

Im Zusammenhang mit der wichtigsten Änderung, der Einführung des Laizismus, kam es zu

einer umfassenden Rezeption europäischer Rechtsordnungen, wodurch der bis dahin

untrennbaren Verschmelzung zwischen staatlichem, wirtschaftlichem und religiösem Handeln

Einhalt geboten wurde. Entsprechend diesem säkularen Gedanken wurde als besonders

einschneidende Veränderung die Geltung der Scharia abgeschafft. Die bis dahin primär

islamisch geprägte und wenig wirtschaftlich denkende Gesellschaft wurde nunmehr mit

marktwirtschaftlichen und säkularen Grundsätzen konfrontiert. Diese Reform und die auf ihr

beruhenden grundlegenden Änderungen von Gesellschaft und Politik fanden allerdings ganz

ohne eine Form von humanistischer Aufklärung statt, wie sie im 18. Jahrhundert in Europa

stattgefunden hatte. Die Reformen wurden in erster Linie von der dünnen Oberschicht von

Offizieren getragen, während das Leben und das Denken der bis dahin nur als „Untertanen“

existierenden Bevölkerung nach wie vor durch alte Traditionen geprägt war.182

� Familienrecht:

Das Problem der möglichst schnellen „Europäisierung“ durch die Übernahme fremden Rechts

und des damit einhergehenden Aufeinandertreffens verschiedener (Rechts-) Kulturen wird

insbesondere im Bereich des Familien-, Scheidungs- und Kindschaftsrechts deutlich, das

teilweise auch heute noch stark traditionell geprägt ist. Denn gerade in diesem immer wieder

181 vgl. Ögüt, Pelin: Die Beitrittsoption zur Europäischen Union, Baden-Baden 2003, S. 49 182 ebd., S. 77

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als ein Beispiel für die Gleichberechtigung der Frau in der Türkischen Republik

herangezogenen Bereich zeigt sich die Diskrepanz zwischen dem rechtlichen und dem

faktischen Wirken von Gesetzen.

Wo die Menschen noch stark in den alten Traditionen verwurzelt sind, insbesondere in den

dörflichen Regionen der ost- und südostanatolischen Gebiete, gilt zwar die gleiche

Rechtsordnung wie im gesamten Staatsgebiet der Türkischen Republik, welche Bigamie

verbietet und die Eheschließung durch einen offiziellen Staatsbeamten vorschreibt. Trotzdem

existieren insbesondere bei der Landbevölkerung nach wie vor viele Partnerschaften, die

entweder auch oder sogar ausschließlich vor dem Imam geschlossen werden. Entsprechend

der islamischen Tradition hat der Mann danach das Recht, sich noch weitere Frauen zu

nehmen. Auf diese Weise wird das aus der Schweiz übernommene Familienrecht der

türkischen Rechtsordnung unterlaufen.183 Denn eine ausschließlich durch den Imam bestätigte

Ehe wird offiziell nicht anerkannt und fällt somit grundsätzlich nicht in den Geltungsbereich

des türkischen Familien- und Scheidungsrechts.

Der staatliche Umgang mit dem faktischen Einfluss islamischer Tradition und Sitte in

speziellen Regionen ist ein Stück weit als unsystematisch zu bezeichnen. Von ihren

Grundprinzipien her ignoriert die türkische Rechtsordnung größtenteils das Vorhandensein

einer „islamischen Subkultur“ und geht nur von offiziell standesamtlich beurkundeten Ehen

aus. Nur diese können auch den Schutz des Gesetzes und aus diesem bestehende Ansprüche

gerichtlich durchsetzen. Einen Schutz der „islamisch geschiedenen“ Frau kennt die

Rechtsordnung nur dann, wenn Kinder aus der Vereinigung hervorgegangen sind. Die

Tradition der Imam-Ehe prägt jedoch, wenn auch eine nicht unbedeutende Zahl von

Bürgerinnen und Bürgern davon betroffen sind, nicht den Großteil des Landes.

Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach eine gleichberechtigte Teilung

der während der Ehe erworbener Güter besteht (unter der Voraussetzung einer besonderen

Erklärung bei nach Januar 2002 geschlossenen Ehen), wurden nur in sehr begrenztem Umfang

angewandt. Mit der Verfassungsänderung vom Oktober 2001 (Gesetz Nr. 4709) wurde als

Ergänzung zu Art. 41 die Gleichberechtigung der Ehepartner in der Familie festgelegt und mit

183 ebd.

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der Verfassungsänderung vom Mai 2004 (Gesetz Nr. 5170) die Verpflichtung des Staates, für

die praktische Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter zu sorgen, Art. 10 der

Verfassung.184

Die Praxis lehrt indessen noch das Bestehen diesbezüglicher Defizite. In gewählten Gremien

und in der Regierung sind Frauen nach wie vor wenig vertreten. Von den 550

Parlamentsabgeordneten sind 24 Frauen. Um zu gewährleisten, dass Frauen in der

Gesellschaft eine gleichberechtigte Stellung einnehmen, werden nachhaltige Anstrengungen

in der praktischen Umsetzung erforder-lich sein.

� Strafrecht und Gewaltschutz:

Ebenso verbesserte das neu verabschiedete Strafrecht (Gesetz Nr. 5237) den Schutz der

Frauen vor Gewalt. Viele Frauen sehen sich im Familienkreis verschiedenen Formen

physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Darunter fallen sexueller Missbrauch,

erzwungene und häufig frühe Eheschließungen, inoffizielle religiöse Eheschließungen,

Polygamie, Menschenhandel und „Ehrenmorde“. Sexuelle Gewalt ist nun rechtsdogma-tisch

nicht mehr unter `Verbrechen gegen die öffentliche Sitte und Ordnung und die Familie` zu

finden, sondern unter der Rubrik `Verletzung der sexuellen Unverletzlichkeit`, womit der

Schutzzweck der Frau als Individuum hervorgehoben wird.185

Der Rechtsbegriff der Vergewaltigung wurde in seiner Legaldefinition ausgeweitet. Das alte

Recht begrenzte die Strafbarkeit auf eine „vaginale Vergewaltigung mit männlichen

Geschlechtsorganen in den Körper“. Art. 102 des Türkischen StGB (Gesetz Nr. 5237)

normiert nun eine Strafbarkeit analog internationaler Konventionen mit der „Einführung eines

Organs oder eines Gegenstandes in den Körper“. Gleichsam wurden andere Formen

sexueller Übergriffe oder Belästigungen erstmals unter Strafe gestellt.186 Vergewaltigung in

der Ehe kann zu gerichtlichen Ermittlungen führen und strafrechtlich verfolgt werden, wenn

184 Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 14 185 vgl. ebd. 186 vgl. ebd.; Art. 102 Türk. StGB, Nr. 5237

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das Opfer klagt. Die Möglichkeit der Straffreiheit des Täters für den Fall der Heirat des

Opfers wurde abgeschafft.

In der Türkei als „Jungfräulichkeitstests“ bezeichnete genitale Untersuchungen bedürfen

nach Art. 287 Türk. StGB prozessual einer richterlichen Anordnung.187 Entgegen den

Forderungen von Frauenorganisationen ist die Einwilligung der Frau, an der der Test

durchgeführt wird, aber immer noch nicht erforderlich.188

Auch bei den Tötungsdelikten (insbesondere Mord) wurden strafschärfende Tatbe-

standsmerkmale in Art. 82 des Türkischen StGB aufgenommen, wenn es sich um sog.

„Ehrenmorde“, also Angriffe auf das Leben, welche durch „Tradition und Brauchtum“

motiviert sind, handelt. Das Vorliegen dieser Merkmale führt in seiner Rechtsfolge zu

schwerer lebenslanger Haft.189 In Bezug darauf wurde im Rahmen des 6. Harmo-

nisierungspakets das Türkische Strafgesetzbuch geändert, um Bedenken in Bezug auf

„Ehrenmorde“ auszuräumen. Art. 462 Türk. StGB, der für so genannte „Ehrenmorde“

verringerte Strafen vorsah, wurde abgeschafft.

Eine rechtspraktische Umsetzung dieser Normen ist bereits feststellbar: Im März 2004

verurteilte ein Richter einen Angeklagten wegen eines „Ehrenmordes“ in Sanilurfa zu einer

lebenslangen Haftstrafe und die beteiligten Familienmitglieder erhielten gleichsam lange

Gefängnisstrafen. Im Februar 2004 wies die staatliche Religionsbehörde Imams und Prediger

an, während der Freitagsgebete „Ehrenmorde“ zu verurteilen. Zuvor hatte diese im Januar

2004 die Anweisung erteilt, keine inoffiziellen Ehen ohne vorherige Zivilehe zu schließen.

Ferner versucht die Religionsbehörde, die Rolle der Frauen im Islam aktiv zu fördern und

ernennt Frauen als Muftis. Darüber hinaus wird die Innengestaltung der Moscheen geändert,

um die Teilnahme der Frauen an religiösen Zeremonien zu erleichtern.

Das Türkische StGB sieht nun auch eine leichte Verschärfung des Strafmaßes für Polygamie

und die Nichteintragung religiös geschlossener Ehen vor. Das Familienschutzgesetz aus dem

187 vgl. ebd.; Art. 287 Türk. StGB, Nr. 5237 188 vgl. Yilmaz, Mesut: Die Türkei und EU, 2002, S. 85 ff. 189 Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 14; Art. 82 Türk. StGB, Nr. 5237

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Jahr 1998 hat lediglich eine juristisch begrenzte Reichweite und wurde nicht angemessen

umgesetzt. Klagen von Frauen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt gehen die

Sicherheitskräfte häufig nicht nach. Frauenorganisationen haben die Notwendigkeit

hervorgehoben, für Frauen Unterkünfte und Beratungszentren einzurichten, da die derzeitige

Bereitstellung durch den Staat für unzureichend erachtet wird (derzeit gibt es nur 9 Zentren).

Das im Juli 2004 vom Parlament verabschiedete Gemeindegesetz fordert, dass Gemeinden

mit über 50 000 Einwohnern Frauen- und Kinderunterkünfte bereitstellen.

� Staatsangehörigkeitsrecht:

Mit den Reformen änderte sich auf der Verfassungsebene auch das Staatsangehörigkeitsrecht

im Sinne einer Gleichstellung von Mann und Frau. „Jeder, den mit dem türkischen Staat das

Band der Staatsangehörigkeit verbindet, ist Türke“.190 Diesem ersten Absatz des Art. 66

folgte früher der Absatz 2, wonach Kinder aus gemischtnationalen Ehen unmittelbar die

türkische Staatsangehörigkeit erhielten, wenn der Vater Türke war. Für die Kinder aus

gemischtnationalen Ehen mit einer türkischen Mutter galt das jedoch nur, wenn es gesetzlich

bestimmt war. Dieser offenkundige Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz wurde jetzt auf

Verfassungsebene bereinigt, nachdem Art. 1 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes dies

ohnehin bereits im Jahre 1981 getan hatte. Bei gemischtnationalen Ehen genügt in jedem

Falle die türkische Staatsangehörigkeit eines Elternteils, auch dem Abkömmling die türkische

Staatsangehörigkeit zuzusprechen.

� Arbeitsrecht:

Im neuen Beschäftigungsgesetz vom Mai 2003 wird in Beschäftigungsfragen der Grundsatz

der Gleichbehandlung zwischen Personen unabhängig von deren Geschlecht, Rasse und

ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung anerkannt. Festzustellen ist hingegen,

dass das effektive Verbot von Diskriminierung am Arbeitsplatz durch die Rechtsvorschriften

noch nicht garantiert wird und es weiterer Fortschritte bedarf, um die Gleichstellung der

Geschlechter zu fördern, wie sie im EU-Recht festgelegt und in den Art. 1 und 20 der

Europäischen Sozialcharta niedergelegt ist. Im Juli 2004 wurde eine Verordnung erlassen, mit

190 Ögüt, Pelin: Die Beitrittsoption zur Europäischen Union, Baden-Baden 2003

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der der Mutterschaftsurlaub für Staatsbedienstete (in Einklang mit dem Beschäftigungsgesetz

von 2003) auf 16 Wochen verlängert wird. Die Türkei hat jedoch Art. 8 der Europäischen

Sozialcharta über das Recht weiblicher Arbeitnehmer auf Mutterschutz noch nicht

übernommen.

� Öffentliches Recht:

Im Januar 2004 veröffentlichte das Amt des Premierministers ein Rundschreiben, um

sicherzustellen, dass die Gleichbehandlung der Geschlechter bei der Einstellung in den

öffentlichen Dienst gewährleistet ist. Die Verabschiedung der Rechtsvorschriften für die

Gewährleistung des tatsächlichen Verbots von Diskriminierung am Arbeitsplatz jedoch ist bis

heute nur begrenzt vorangekommen.

Dass Frauen weiterhin diskriminierenden Praktiken unterworfen bleiben, hängt weitgehend an

ihrer mangelnden Bildung und an der hohen Analphabetenrate.191 In einigen Provinzen im

Südosten besuchen angeblich 62 % der Mädchen die Primarstufe und 50% die Sekundarstufe.

Die in einigen Teilen der Südosttürkei weit verbreitete Gewohnheit, Mädchen nicht offiziell

zu melden, verschärft diese Lage. Darüber hinaus werde die Diskriminierung durch das in

Schulbüchern vermittelte Frauenbild verstärkt, so die Bewertung im aktuellen EU-

Kommissionsbericht.

Konstatiert werden muss weiterhin, dass nach wie vor kein Gesetz über die Einrichtung des

Generaldirektorats für die Stellung und Probleme der Frauen verabschiedet worden ist, das

seit knapp zehn Jahren erwartet wird. Folglich wird die Funktionsweise dieser Dienststelle

erheblich behindert, die beispielsweise nicht in der Lage ist, ständige Mitarbeiter einzustellen

oder an internationalen Aktivitäten teilzunehmen.

191 19 % der Frauen in der Türkei sind Analphabeten und im Südosten liegt diese Zahl erheblich höher; Quelle: EU-Kommissionsbericht 2004

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81

4.4.5 Völkerrechtlicher Minderheitenschutz

Im Januar 2003 wurde es dem Hohen Kommissar der OSZE für nationale Minderheiten

erstmals gestattet, die Türkei zu besuchen, um einen Dialog über die nationalen Minderheiten

einzuleiten. Die Minderheiten sahen sich bisweilen gewissen diskriminierenden Praktiken

seitens der Behörden ausgesetzt. So wurde beklagt, dass der Inhalt, der vom Staat

herausgegebenen Geschichtsschulbücher Feindseligkeiten gegen Minderheitengruppen

schüre. Daraufhin veröffentlichte das Bildungsministerium im April 2003 ein Rundschreiben,

mit dem Schulen verpflichtet wurden, Vorträge und Aufsatzwettbewerbe über interpretierte

historische Ereignisse im Zusammenhang mit Armeniern, Pontusgriechen und Assyrern zu

organisieren. Den Berichten von Beobachtern der Europäischen Kommission zufolge werden

in den Geschichtsbüchern für das Schuljahr 2003-2004 die Minderheiten immer noch als

vertrauensunwürdig, verräterisch und staatsschädlich dargestellt. Die Behörden haben jedoch

begonnen, die Schulbücher auf diskriminierenden Sprachgebrauch hin zu prüfen. Im März

2004 wurde eine Verordnung erlassen, in der es heißt, dass Schulbücher keine

Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht, Sprache, Volksgruppen-

zugehörigkeit oder Weltanschauung enthalten sollen. Religiöse Minderheiten, die gewöhnlich

nicht mit dem Vertrag von Lausanne in Verbindung gebracht werden (also andere als Juden,

Armenier und Griechen), wie zum Beispiel Assyrer, dürfen immer noch keine eigenständigen

Schulen eröffnen.

Das 3. Harmonisierungspaket vom August 2002 (Gesetz Nr. 4771) brachte eine Lockerung in

der restriktiven Politik des türkischen Staates gegenüber Minderheiten. Radio- und

Fernsehsendern wurde die Erlaubnis erteilt, Sendungen in „Sprachen und Dialekte, die von

türkischen Staatsbürgern traditionell in ihrem täglichen Leben gesprochen werden“

auszustrahlen. Diese Sprachen dürfen seitdem in privaten Sprachkursen unterrichtet werden,

obwohl festzuhalten ist, dass diese legislativen Öffnungen erheblichen Einschränkungen

unterliegen, was näher unter Kapitel 4.4.6 behandelt wird.192 Die mit den neuen

Bestimmungen verbundene offizielle Anerkennung der Existenz von Minderheitensprachen

192 vgl. Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 12 f.

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stellt zwar für türkische Verhältnisse einen Tabubruch dar, eine zufrieden stellende Ge-

währung kultureller Minderheitenrechte jedoch nicht.193

Im Januar 2004 löste die Regierung den 1962 per Geheimdekret geschaffenen

„Nachgeordneten Ausschuss für Minderheiten“ auf, dessen Aufgabe die Sicherheits-

überwachung der Minderheiten war. Zur Lösung der Probleme nichtmuslimischer

Minderheiten wurde als neue Institution ein „Bewertungsgremium für Minderheitenfragen“

eingerichtet. Dem Gremium gehören Vertreter des Innen-, des Bildungs- und des Außen-

ministeriums sowie des für die Generaldirektion für das Stiftungswesen zuständigen

Staatsministeriums an. Die Abteilung für Minderheiten in der Sicherheitsdirektion des

Innenministeriums ist jedoch nach wie vor für die Beziehungen zu den Minderheiten

zuständig. Die Minderheiten sind in feststellbarer Weise weiterhin gewissen

diskriminierenden Praktiken ausgesetzt. Dem EU-Kommissionsbericht 2004 zufolge stoßen

Angehörige von Minderheiten auf Schwierigkeiten beim Zugang zu hohen Verwaltungs- und

Militärposten.194

Der Dialog mit den Behörden über die Frage der doppelten Verwaltungsspitze in jüdischen,

griechischen und armenischen Schulen195 dauert an. Im Mai 2004 entschied das

Bildungsministerium, dass auch Kinder, deren Mütter der Minderheit angehören, diese

Schulen besuchen dürfen; zuvor war dies nur denen gestattet, deren Vater der Minderheit

angehörte. Allerdings wird die Erklärung der Eltern über ihre Minderheitenzugehörigkeit vom

Bildungsministerium geprüft.

Die griechische Volksgruppe hatte Probleme bei der Genehmigung neuen Lehrmaterials und

der Anerkennung im Ausland ausgebildeter Lehrer. Darüber hinaus dürfen Lehrer der

griechischen Minderheit entgegen dem Beschäftigungsgesetz von 2003 im Unterschied zu

ihren Kollegen türkischer Abstammung nur in einer Schule unterrichten. Die armenische

193 zitiert nach Cremer, Jan: Die Europäische Union und die Türkei. Eine politische Bestandsaufnahme, in: Deutsches Orient-Institut Hamburg, DOI-Focus Nr. 17, November 2004, S. 13 194ausführlich dazu vgl. EU-Kommissionsbericht, Brüssel, 2004 195 Der stellvertretende Leiter dieser Schulen ist Muslim und Vertreter des Bildungsministeriums und hat weitergehende Befugnisse als der Schulleiter selbst.

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Volksgruppe äußerte sich besorgt über die Unangemessenheit des armenischen Sprach-

unterrichts.196

Mehr Toleranz herrscht mittlerweile gegenüber dem Gebrauch der kurdischen Sprache und

dem Ausdruck verschiedener Formen der kurdischen Kultur. Die Newroz-Feiern197

(Frühjahrsbeginn) wurden genehmigt und nur kleinere Zwischenfälle vermeldet. Im

Dezember 2003 hob das Kassationsgericht ein Urteil des Amtsgerichts in Van auf, das den

Gebrauch von Postern in kurdischer Sprache verboten hatte. Das Kassationsgericht vertrat die

Auffassung, dass das Verbot zuvor verabschiedeten Gesetzesänderungen zuwiderlief.

Keine Änderungen gab es am Wahlrecht, das es Minderheiten wegen der 10 %-Hürde für

politische Parteien erschwert, eine Vertretung im Parlament zu erhalten.198 Für politische

Parteien herrschen nach wie vor Auflagen hinsichtlich des Gebrauchs anderer Sprachen als

Türkisch. NRO199 weisen darauf hin, dass im Wahlkampf für die Kommunalwahlen im März

2004 zahlreiche Personen verfolgt wurden, weil sie Kurdisch sprachen und dass in jüngerer

Zeit kurdische Politiker verurteilt wurden. Im Juli 2004 jedoch hob das Kassationsgericht ein

Urteil gegen einen Politiker auf, der wegen des Gebrauchs der kurdischen Sprache während

einer Pressekonferenz zu sechs Monaten Haft verurteilt worden war.200

Da die kurdische Bevölkerung aufgrund ihrer hohen Bevölkerungszahl und der politischen

Auseinandersetzungen in den vergangenen Jahren die wichtigste ethnische Minderheit in der

Türkei bildet, sind diesbezügliche Reformprozesse, die in Folgendem behandelt werden, von

besonderer Bedeutung für den weiteren Beitrittsprozess der Türkei.

196 ausführlich dazu vgl. EU- Kommissionsbericht 2004 197 Frühjahrsfeiern: Dieses jährliche Fest geht in seinem Ursprung auf die kurdische Kultur zurück. 198 So scheiterte bei den Wahlen vom November 2002 beispielsweise die Demokratische Volkspartei (DEHAP), die überwiegend die Interessen von kurdischen Intellektuellen vertritt, an der 10%-Hürde, obwohl sie in 5 der 81 türkischen Provinzen über 45% erzielt hatte. 199 NRO: Nicht-Regierungs-Organisationen 200 ausführlich dazu vgl. EU-Kommissionsbericht 2004

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4.4.6 Reformismus in der Kurdenfrage

� Politische Ausrichtung:

Die EU betrachtet die Kurdenthematik in der Türkei in erster Linie im Rahmen der

allgemeinen Menschenrechte und der Demokratisierung des Landes. Dementsprechend

fordert sie Maßnahmen, die nicht auf die Gewährung von Gruppenrechten zielen, sondern nur

die Durchsetzung der Menschenrechte und die Demokratisierung fördern. Dazu gehört aus

Sicht der EU die Gewährung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte sowie kultureller

Rechte und die Besserung der sozialen Lage im Südosten. So wird in der Beitritts-

partnerschaft gefordert, dass die „Erarbeitung eines umfassenden Konzepts für den Abbau des

Regionalgefälles und insbesondere zur Verbesserung der Lage im Südosten im Hinblick auf

die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten aller Bürger,

unabhängig von ihrer Abstammung“ und die Abschaffung „alle(r) Rechtsvorschriften, die

die Wahrnehmung dieser Rechte behindern, einschließlich im Bildungsbereich“201. In diesen

Formulierungen verbergen sich keine weitergehenden Forderungen, wie z.B. die Gewährung

politischer Rechte oder politischer Autonomie für die kurdische Bevölkerung. Auch wenn die

Kurden in der Beitrittspartnerschaft nicht explizit genannt werden, muss aber betont werden,

dass die genannten Forderungen auch die Situation der kurdischen Bevölkerung umfassen.

Aus türkischer Sicht war es von zentraler Bedeutung, in der Beitrittspartnerschaft eine

explizite Benennung der Kurden und der Gewährung von kulturellen und politischen Rechten

für diese Bevölkerungsgruppe zu vermeiden. Ankara konnte zwar dieses Ziel erfolgreich

durchsetzen, dennoch bedeutet die Erfüllung des politischen Beitritt-kriteriums von

Kopenhagen „Achtung und Schutz von Minderheiten“ für die türkischen Entscheidungsträger

eine Zerreißprobe. Die Existenz von Minderheiten wird heutzutage nicht mehr bestritten, sie

werden jedoch als staatsrechtlich zu schützende Minderheit offiziell nicht anerkannt. Aus

türkischer Sicht gilt es in erster Linie, die Regelungen im Rahmen der Anpassungspakete

bezüglich „Achtung und Schutz von Minderheiten“ möglichst restriktiv zu gestalten, um

201 vgl. Gürbey, Gülistan: Die türkische Kurdenpolitik im Kontext des EU-Beitrittsprozesses und der Kopenhagener Kriterien, München 2004, S. 46

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erstens die Grundlagen des Staats- und Nationenverständnisses nicht zu gefährden und

zweitens die kulturelle Eigenständigkeit der Kurden als Gruppe nicht anzuerkennen. Weil

man befürchtet, eine institutionelle Anerkennung könnte zu Spaltungstendenzen führen, sollen

die Reformen so gestaltet werden, dass sie eine Deutung als kurdenspezifische Regelung

ausschließen.

� Kurdische Sprache, Unterricht und Medien:

Generell gilt in der Schlussfolgerung obiger Ausführungen, dass in türkischen Gesetzes-

texten das Kurdische bzw. die kurdische Sprache oder das Recht auf Bildung und

Veröffentlichungen in kurdischer Sprache nicht erwähnt wird. Dennoch liegt es auf der Hand,

dass es bei den Änderungen in Bezug auf die Erfüllung der politischen Beitrittskriterien

„Achtung und Schutz von Minderheiten“ vorrangig um die Zulassung der kurdischen Sprache

und Kultur geht.202

Während in der Beitrittspartnerschaft die Aufhebung von Verboten muttersprachlicher

Sendungen vorgesehen ist, schreibt das „Nationale Programm für die Übernahme des

Gemeinschaftlichen Besitzstands“ die gängige Praxis fort, dass das Türkische die offizielle

Sprache und die Unterrichtssprache ist, dass dies aber nicht verbietet, im Alltag

unterschiedliche Sprachen, Dialekte und Mundarten zu benutzen, dass diese Freiheit jedoch

nicht zu separatistischen Zwecken genutzt werden darf.

Insgesamt wird damit der Gebrauch des Kurdischen im Alltag erlaubt, ohne das Kurdische

explizit zu erwähnen. Mit der türkischen Verfassungsreform vom Oktober 2001 wurden

Änderungen in den Art. 26 (Meinungsfreiheit) und Art. 28 (Pressefreiheit) vorgenommen.

Dabei wurden die Formulierungen gestrichen: „Bei der Meinungsäußerung darf keine

Sprache verwendet werden, die per Gesetz verboten ist“ (Artikel 26 Absatz 3) und

„Veröffentlichungen dürfen nicht in einer Sprache erfolgen, die per Gesetz verboten sind“

(Artikel 28 Absatz 2).203

202 ebd. 203 dazu vgl. Botschaft der Republik Türkei: Politische Reformen in der Türkei, März 2004, S. 2

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Art. 42 der türkischen Verfassung legt das Türkische als Mutter- und grundlegende

Unterrichtssprache in Erziehungs- und Unterrichtsanstalten fest. Art. 2 c des Gesetzes Nr.

2932 zu Erziehung und Unterricht in Fremdsprachen von 1983 sah bislang vor, dass der

Ministerrat unter Berücksichtigung der Meinung des Nationalen Sicherheitsrates die

Unterrichtung von Fremdsprachen in der Türkei festlegt. Mit dem 6. Reformpaket wurden die

Rechtsvorschriften über den Fremdsprachenunterricht und das Erlernen verschiedener

Sprachen und Dialekte dahingehend geändert, dass künftig der Ministerrat allein ohne die

Genehmigung des Nationalen Sicherheitsrates beschließt, welche Sprachen zu unterrichten

sind.

Doch zeigt die in dieser Sache etwas schleppende Umsetzung der rechtlichen Änderungen,

dass der politische Widerstand gegen alles, was auf eine auch nur implizite Anerkennung

einer politischen Sonderstellung des kurdischen Bevölkerungsteils hindeuten könnte, in

weiten Teilen der Staatsbürokratie ungebrochen ist. So dauerte es bis Anfang Juni 2004, bis

die staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalt (Türk Radyo Televizyonu / Türkische Fernseh-

und Rundfunkanstalt) bzw. deren Aufsichtsbehörde ihren Widerstand gegen die Umsetzung

des Parlamentsbeschlusses vom 2. August 2002 aufgab und erste Sendungen in Kurdisch

ausstrahlte. Private Rundfunk- oder Fernsehprogramme gibt es immer noch nicht, was auch

mit der geringen wirtschaftlichen Attraktivität solcher Sendungen zu tun haben mag.

Schließlich sieht die entsprechende Verordnung des nationalen Rundfunk- und Fernsehrates

für den TRT vor, dass Rundfunksendungen in Kurdisch auf fünf Stunden pro Woche und 60

Minuten täglich zu beschränken sind und Fernsehsendungen auf maximal vier Stunden pro

Woche und 45 Minuten pro Tag.204

Ähnliche Schwierigkeiten waren mit der Einrichtung von privaten Sprachkursen an privaten

Lehranstalten verbunden, deren Eröffnung sich infolge kleinlicher bürokratischer

Behinderungen fast ebenso lange hinzog, wie die Einführung staatlicher Rundfunk- und

Fernsehprogramme. Im Dezember 2003 trat die „Verordnung über den Unterricht in

verschiedenen Sprachen und traditionell von türkischen Bürgern in ihrem Alltag gesprochene

Dialekte“ in Kraft.205 Im April 2004 haben sechs Privatschulen in Van, Batman und Şanilurfa,

204 Kramer, Heinz: Demokratieverständnis und Demokratisierung in der Türkei, Berlin 2004, S. 31 205 vgl. Gürbey, Gülistan: Die türkische Kurdenpolitik im Kontext des EU-Beitrittsprozesses und der Kopenhagener Kriterien, München 2004, S. 50

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im August 2004 in Diyarbakır und Adana und im Oktober 2004 in Istanbul begonnen,

Kurdisch (Kirmanci-Dialekt) zu unterrichten. Bei den zuständigen Behörden wurden weitere

Anträge auf Eröffnung kurdischer Sprachschulen eingereicht. Diese Schulen erhalten vom

Staat keine finanzielle Hilfe und es bestehen Auflagen insbesondere für den Lehrplan, die

Ernennung der Lehrer, den Stundenplan und die Schulbesucher. Insbesondere müssen die

Schüler die Grundbildung abgeschlossen haben und daher über 15 Jahre alt sein.206

� Soziale Wiedereingliederung:

Am 30. November 2002 wurde der Ausnahmezustand in den Provinzen Diyarbakir und

Sirnak im Südosten der Türkei aufgehoben, der über 15 Jahre angedauert hatte. Trotz der

verschärften Sicherheitslage durch die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg und

dem Einsatz von Militäreinheiten, sowie den Sorgen über das mögliche Wiederaufflammen

des Terrorismus, hatte die Aufhebung des Ausnahmezustandes positive psychologische

Auswirkungen auf die Region. Wenngleich sich die Sicherheitslage weiter verbessert hat,

kommt es immer noch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen dem türkischen Militär und

kurdischen Separatisten, die Opfer und auch Tote fordern. Im gesamten Gebiet gibt es immer

noch Kontrollpunkte, doch sind es weniger geworden als in der Vergangenheit, und die

Militärpräsenz ist weniger sichtbar.

Als Beitrag zur Förderung des sozialen Friedens in der Region verabschiedete das Parlament

ein Gesetz über „soziale Wiedereingliederung“, das am 6. August 2003 in Kraft trat. Das

Gesetz sieht eine Teilamnestie und eine Strafmilderung für Personen vor, die in Tätigkeiten

einer illegalen Organisation verwickelt waren. Ausgeschlossen sind nach dem Gesetz die

Anführer der Organisation, sowie diejenigen, die Verbrechen begangen haben. Mit dem

Gesetz wurden keine nennenswerten Ergebnisse erzielt. Offiziellen Quellen zufolge wurden

bis zum Jahr 2004 insgesamt 4101 Anträge gestellt, davon 2800 von bereits inhaftierten

Personen. Nur 1301 Personen stellten spontane Anträge an die Behörden. Insgesamt 1300

Personen kamen bislang in den Genuss des Gesetzes und wurden entlassen oder erhielten ein

vermindertes Strafmaß.207

206 ebd., S. 53-55 207 vgl. Gürbey, Gülistan: Die türkische Kurdenpolitik im Kontext des EU-Beitrittsprozesses und der Kopenhagener Kriterien, München 2004, S. 53-55

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� Entschädigungsrecht und Vertriebenenrückkehr:

Im Juli 2004 wurde ein Gesetz über die Entschädigung für Verluste infolge von

Terroranschlägen verabschiedet. Damit wird die Notwendigkeit anerkannt, Personen im

Südosten zu entschädigen, die seit Beginn des Ausnahmezustands (19. Juli 1987) materiellen

Schaden erlitten haben.

Insgesamt hat sich die Lage im Osten und Südosten des Landes, wo die meisten Menschen

kurdischer Herkunft leben, sowohl was die Sicherheit als auch die Grundfreiheiten betrifft,

seit 1999 allmählich verbessert. Neben der Aufhebung des Ausnahmezustands setzte sich die

Rückkehr der Binnenvertriebenen fort. Allerdings ist festzustellen, dass die Sicherheits-

bedrohung aktuell wieder gestiegen ist, seit Kongra-Gel (die ehemalige PKK) im Juni 2004

das Ende des Waffenstillstands angekündigt hat. Es wurde von terroristischen Aktivitäten und

Zusammenstößen zwischen Kongra-Gel-Kämpfern und dem türkischen Militär berichtet.

Die Lage der Binnenvertriebenen ist nach wie vor kritisch und viele leben unter prekären

Bedingungen. Die Türkei hat mit internationalen Organisationen einen Dialog aufgenommen,

um den Schwächen des „Programms zur Rückkehr in die Dörfer und zur Rehabilitation“ zu

begegnen, die vom Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Vertriebene nach seinem

Türkeibesuch 2002 hervorgehoben worden waren. Um diese Empfehlungen weiterzuver-

folgen, bereitet die türkische Regierung als ersten Schritt eine Umfrage vor.208

Zu diesem Thema wurden an den EGMR rund 1500 Anträge gestellt. Im Juni 2004 entschied

der EGMR, dass die Türkei gegen Art. 1 des EMRK-Protokolls Nr. 1 („Eigentumsschutz“),

Art. 8 („Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“) sowie Art. 13 („Recht auf

wirksame Beschwerde“) im Falle der türkischen Bürger, die in der Region Tunceli (Südosten)

in ihre Dörfer zurückzukehren versuchten, verstoßen hatte.209 Offiziellen Quellen zufolge sind

seit Januar 2003 insgesamt 124218 Binnenvertriebene (rund ein Drittel der offiziell mit

350000 Personen angegebenen Zahl) in ihre Dörfer zurückgekehrt. NRO verweisen jedoch

208 ausführlich dazu vgl. EU- Kommissionsbericht 2004 209 ebd.

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darauf, dass die Zahl der Binnenvertriebenen diese offiziellen Statistiken weit übersteigt (die

Gesamtzahl liegt schätzungsweise bei 3 Mio.).

Gegenwärtig kann festgestellt werden, dass mit der Beendigung des Ausnahmezustandes ab

November 2002, dem Beginn einer sozialen Eingliederung, dem Entschädigungsrecht, dem

stetigen Anwachsen der Vertriebenenrückkehr sowie den Neuerungen in Bezug auf die

Kurdische Sprache in Unterricht und den Medien wichtige Schritte zur Normalisierung der

Lage in den kurdischen Provinzen im Osten und Südosten der Türkei in Gang gesetzt wurden.

Diese Reformen zeigen sowohl im täglichen Leben ihre Wirkung, als auch „in der

weitgehend ungehinderten Durchführung einiger kultureller Veranstaltungen in kurdischer

Sprache, wie eines allkurdischen Literaturkongresses in Diyarbakir im November 2003.“, so

Kramer. 210 Gleichwohl muss die Entwicklung im Hinblick auf die zu erfüllenden

Kopenhagener Kriterien weiterhin kritisch begutachtet werden.

4.4.7 Akzeptanz multilateraler Menschenrechtsabkommen und Institutionen

Außerhalb innerstaatlicher Anstrengungen der Türkei, die Kopenhagener Kriterien zu

erfüllen, bleibt zu prüfen, inwieweit eine Außenöffnung der türkischen Politik feststellbar ist,

um in Fragen der Wahrung der Menschenrechte zumindest westliche internationale Bündnisse

und Institutionen zu akzeptieren, sie als eigenen Maßstab anzuerkennen und rechtspolitisch zu

integrieren.

Die Türkei ist seit 1999 sowohl innerhalb des UN-Rahmens als auch im Rahmen des

Europarates, dem das Land seit 1999 angehört, zahlreichen internationalen Menschen-

rechtsinstrumenten beigetreten: Dem Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und

politische Rechte sowie dem Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und

kulturelle Rechte (allerdings mit Vorbehalten); dem Protokoll Nr. 6 der Europäischen

Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) über die

210 Kramer, Heinz: Demokratieverständnis und Demokratisierung in der Türkei, Berlin 2004, S. 31

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Abschaffung der Todesstrafe und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die

Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und dem Übereinkommen der Vereinten

Nationen über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.211

Im Februar 2000 wurde das erste Fakultativprotokoll des Internationalen Paktes über

bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet, das Berufungsverfahren vorsieht, mit denen

das Petitionsrecht des Einzelnen ausgeweitet wird. Im Januar 2004 wurde das Protokoll Nr.

13 zur EMRK, welches die vollständige Abschaffung der Todesstrafe betrifft, unterzeichnet.

Im April 2004 unterzeichnete die Türkei das zweite Fakultativprotokoll über die Abschaffung

der Todesstrafe.212

Die bisweilen stattgefundene Anerkennung der Rechtsprechung des Europäischen

Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) führte dazu, dass in der Türkei durch Gesetz eine

Menschenrechtsuntersuchungskommission zum Schutz der Menschenrechte insti-

tutionalisiert wurde. Auch dabei feilte die türkische Regierung an legislativen Ver-

besserungen im Hinblick auf Verfahrensbeschleunigungen. Art. 7 des Gesetzes über die

Menschenrechtsuntersuchungskommission wurde geändert, in dem der maximale Zeitraum, in

dem eine Antwort auf eine Anfrage an die Kommission bezüglich Menschenrechtsver-

letzungen zu erfolgen hat, von 3 Monaten auf 60 Tage reduziert wurde.213

Das 2. Harmonisierungspaket schloss sowohl Änderungen im Rahmen der Urteile des EGMR

als auch der Rechte der Strafgefangenen und Verhafteten ein. Art. 13 des Beamtengesetzes

wurde geändert, um den Rückgriff auf die Kompensation, die in Übereinstimmung mit den

Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Staat für grausame,

unmenschliche oder erniedrigende Behandlung unter persönlicher Verantwortung bezahlt

werden, zu verhindern.

Festzuhalten ist ebenso, dass die türkische Gerichtsbarkeit im Hinblick auf den Vollzug von

Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) seit 1999 wegweisende

211 Yilmaz, Mesut: Die Türkei und EU - Die Suche nach einer ehrlichen Partnerschaft, Berliner Wissen-schaftsverlag, 2004, S. 59-66 212 ebd., siehe auch Kapitel 4.4.1 213 vgl. ebd.

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Positionen eingenommen hat. So konnte der Fall von Leyla Zana und einigen anderen

ehemaligen Abgeordneten der Demokratischen Partei (DEP), namentlich Sadak, Dicle und

Dogan, wieder aufgenommen werden. In seinem Urteil vom 14. Juli 2004 über die

Wiederaufnahme des Verfahrens hob das Kassationsgericht das Urteil des Staatssicher-

heitsgerichts vom 30. März 2004 auf, das die ursprüngliche Verurteilung aufrechterhalten

hatte. Zuvor hatte das Kassationsgericht im Juni 2004 den Vollzug der Verurteilung der

Antragsteller ausgesetzt und auf Antrag des Generalstaatsanwalts ihre Freilassung angeordnet.

Dessen ungeachtet hat die Türkei allerdings noch zahlreiche andere Entscheidungen des

EGMR umzusetzen. Seit Oktober 2003 hat der EGMR 161 Urteile zur Türkei gefällt. In 132

Fällen stellte der Gerichtshof einen Verstoß der Türkei gegen die EMRK fest und 23 Fälle

wurden einvernehmlich beigelegt. In zwei Fällen wurde kein Verstoß der Türkei gegen die

EMRK festgestellt. In diesem Zeitraum wurden an den EGMR 2934 neue Anträge zur Türkei

gestellt.214

Um einen Vergleich anstellen zu können, soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass im

gleichen Zeitraum aus den größeren EU-Mitgliedstaaten zwischen 547 und 3054 Anträge

gestellt wurden; die Anzahl der Urteile bewegte sich zwischen 7 und 98 und die Anzahl der

Verstöße lag zwischen 7 und 73. Der mit der Verfassungsänderung vom Mai 2004 verankerte

Vorrang internationaler Übereinkommen im Bereich der Menschenrechte stärkt die türkische

Justiz darin, die EMRK unmittelbar umzusetzen. Es bleibt mittelfristig zu prüfen, wie sich

diese Änderungen auf die Justiz längerfristig auswirken.

Neben der Anerkennung der internationalen Menschenrechtsabkommen und des EGMR hat

die Türkei seit 1999 zur Förderung und Durchsetzung der Menschenrechte zahlreiche

Gremien eingerichtet, so etwa die Reformüberwachungsgruppe, die Menschenrechts-

präsidentschaft, die Menschenrechtsausschüsse auf und unterhalb der Provinzebene, den

Beratenden Ausschuss für Menschenrechte und mehrere Ermittlungsgremien. Darin zeigt sich

ein neues Konzept für den Aufbau einer konstruktiven Beziehung zwischen Menschen-

rechtsorganisationen und dem türkischen Staat, wenngleich die Wirksamkeit dieser Gremien

bislang noch sehr begrenzt wird.

214 vgl. ebd.

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Seit Januar 2004 hat die Menschenrechtspräsidentschaft ihre Sensibilisierungsarbeit zu

Menschenrechtsfragen, die Bearbeitung von Klagen und die Lösung konkreter Fälle

intensiviert. Einzelpersonen können nun in Beschwerdebriefkästen ein Formblatt mit einer

Fragenliste in Anlehnung an die EMRK einwerfen und so offiziell Klagen über

Menschenrechtsverletzungen einreichen. Auf lokaler Ebene stieg die Anzahl an

Menschenrechtsausschüssen auf und unterhalb der Provinzebene von 859 auf 931. Gemäß

einer im November 2003 erlassenen Verordnung werden Vertreter der Sicherheitskräfte aus

diesen Ausschüssen entlassen und die stärkere Beteiligung von Vertretern der

Zivilgesellschaft wird erleichtert.215

Die Menschenrechtspräsidentschaft konnte ihre Wirkung jedoch noch nicht im gesamten

Land entfalten. Bei einigen der neu konstituierten Ausschüsse sind keine Anträge

eingegangen und manche haben niemals Zusammenkünfte abgehalten. Offiziellen Statistiken

zufolge reichten 388 Einzelpersonen von Januar bis Juni 2004 Klagen wegen Menschen-

rechtsverletzungen ein. Ihre Klagen bezogen sich unter anderem auf Folter und Misshandlung

sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit. In manchen Fällen wurde die Unabhängigkeit der

Ausschüsse in Frage gestellt, weil in ihnen die Gouverneure den Vorsitz führen und die

Gouverneursverwaltung beteiligt ist.

Seit ihrer Einrichtung im September 2003 hat die Reformüberwachungsgruppe zahlreiche

Menschenrechtsverletzungen geprüft und Einfluss ausgeübt, um konkrete Probleme zu lösen,

die ausländische Botschaften und Nicht-Regierungs-Organisationen zur Sprache gebracht

haben. Ein weiteres Überwachungsgremium, der Beratende Ausschuss für Menschenrechte,

der sich aus Vertretern der Behörden und der Zivilgesellschaft zusammensetzt, kam häufig

zum Meinungsaustausch zusammen, spielte in der Praxis jedoch nur eine untergeordnete

Rolle.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss für Menschenrechte hat Klagen über

Menschenrechtsverletzungen gesammelt und die zuständigen Behörden aufgefordert, ihnen

nachzugehen und gegebenenfalls Abhilfe zu schaffen. Zwischen Oktober 2003 und Juni 2004

erhielt er 791 Klagen, von denen 322 behandelt wurden. Ferner berät der Ausschuss Bürger, 215ausführlich dazu vgl. Quaisser,Wolfgang; Reppegather, Alexandra: EU-Beitrittsreife der Türkei und Konsequenzen einer EU-Mitgliedschaft, Osteuropa-Institut München, 2004

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die sich nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs an den EGMR wenden wollen, in

Verfahrensfragen. Der Ausschuss hat zwei Berichte über Fragen im Zusammenhang mit der

Menschenrechtslage abgefasst.

Das Zentrum für die Ermittlung und Bewertung von Menschenrechtsverletzungen bei der

Gendarmerie hat im August 2004 seine Arbeit aufgenommen und 339 Anträge erhalten. Im

Februar 2004 hat das Innenministerium ein Ermittlungsbüro für Menschenrechte eingerichtet,

das unter anderem mit der Kontrolle der Polizeireviere betraut werden soll. Im Hinblick auf

Schulungsmaßnahmen zum Thema Menschenrechte haben die türkischen Behörden

zahlreiche Programme für das entsprechende Personal des Innenministeriums, des

Justizministeriums, der Gendarmerie und der Polizei durchgeführt. Durch die Umsetzung der

gemeinsamen Initiative der Europäischen Kommission und des Europarates konnten 225

Ausbilder geschult werden, die für die Ausbildung von über 9000 Richtern und

Staatsanwälten zuständig sind. Die Menschenrechtspräsidentschaft kam in den Genuss von

Schulungsmaßnahmen zur Förderung des Menschenrechtsbewusstseins.216

In Anerkennung der von der Türkei seit 2001 im Bereich der verfassungs- und

allgemeinrechtlichen Reformen erzielten Fortschritte beendete die Parlamentarische

Versammlung des Europarates das seit 1996 laufende Monitoring-Verfahren über die Türkei.

Die Türkei wird nun einem Post-Monitoring-Verfahren unterzogen, das sich auf einige

Bereiche konzentriert, die unter die Verpflichtungen der Türkei im Rahmen der EMRK fallen.

4.4.8 Zusammenfassende Feststellungen zur Menschenrechtslage

Aufgrund der umfangreichen Reformen seit der Erlangung des offiziellen Status eines

“Beitrittskandidaten” und der entschiedenen Absicht der türkischen Regierung, diese

Reformen auch durchzusetzen, kann man - ohne die Defizite außer Acht lassen zu wollen -

von einer positiven Entwicklung in der Menschenrechtslage in der Türkei sprechen. Zu dieser

positiven Entwicklung hat auch die neue Dynamik beigetragen, die aus dem bestehenden

Prozess in den Türkei-EU-Beziehungen entstanden ist.

216 ebd.

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Es ist jedoch festzuhalten, dass die Türkei im Bereich der Menschenrechte immer noch

gewisse Defizite aufweist, die behoben werden müssen, um europarechtskonformen

Anforderungen zu genügen. Es ist richtig, dass trotz einer Reihe von beschlossenen Gesetzes-

und Verwaltungsmaßnahmen von Zeit zu Zeit Behauptungen von Folter erhoben werden.

Man muss in diesem Zusammenhang allerdings in Betracht ziehen, dass die am 3. November

2002 gewählte neue türkische Regierung erklärt hat, dass allen Foltervorwürfen mit “Null-

Toleranz” nachgegangen wird. Parallel zu dieser entschiedenen Haltung werden inzwischen

weit weniger Folterbehauptungen registriert als in den Jahren davor.217 Andererseits stimmen

auch Befürworter der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen in ihren Analysen mit den

Gegnern einer Vollmitgliedschaft darin überein, dass die Türkei zum gegenwärtigen

Zeitpunkt noch nicht als in jeder Weise funktionierende liberale Demokratie bezeichnet

werden kann. Besonders gravierende Probleme werden übereinstimmend auf folgenden

Feldern gesehen:

� In den fortbestehenden Defiziten in der Gesetzgebung: Noch immer lasse das

vorherrschende Verständnis von ‚nationaler Sicherheit’ gesetzliche Regelungen im

Bereich der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheitsrechte zu, die demokratischen

Mindeststandards nicht entsprächen.

� In eben diesem Verständnis von ‚nationaler Sicherheit’ als Ursache für die nach wie

vor unverhältnismäßig gewichtige Rolle des Militärs in der türkischen Gesellschaft.

� Bei der Bekämpfung von ‚separatistischem Terror’ und ‚islamischem Reaktionismus’

werde der als legitim angesehene Aktionsraum des Militärs überaus weit definiert.

Dabei wird aber gleichzeitig konzediert, dass die eingeleiteten Reformen, insbe-

sondere das sogenannte 7. Reformpaket vom Juli 2003, geeignet seien, eine zivile

Kontrolle des Militärs durchzusetzen.

� In der nach wie vor beträchtlichen Kluft zwischen den legislativen Anstrengungen zur

Verbesserung des Menschenrechts- und Minderheitenschutzes und der geübten

Rechtspraxis: Richter und Staatsanwälte ließen sich in der Rechtspflege häufig noch

von den überkommenen Vorstellungen des absoluten Staatsschutzes leiten. Die

fortdauernde Praxis von Folter und unmenschlicher Behandlung im Polizeigewahrsam 217 Eine Tatsache, auf die in den aktuellen Berichten der Menschenrechtsorganisationen und –institutionen, u. a. des Anti-Folter-Komitees des Europarates, hingewiesen wird.

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sei für die Aktivitäten der Sicherheitsorgane noch immer charakteristisch. Die Türkei

habe zwar bereits im Jahre 1934, früher als viele andere europäische Staaten, das

Frauenwahlrecht eingeführt, dennoch entspräche die rechtliche und gesellschaftliche

Stellung der türkischen Frau noch nicht dem EU-Standard.218

Aus der Sicht des Forum Menschenrechte ist die Menschenrechtslage in der Türkei nach

wie vor sehr besorgniserregend: „In der Türkei wurden in den vergangenen Jahren wichtige

Gesetzesänderungen im Menschenrechtsbereich vorgenommen, so zum Beispiel die Ab-

schaffung der Todesstrafe und die Verkürzung der Polizeihaft. Gleichwohl gibt es nach wie

vor immer wieder Folterungen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen. Es fehlen

wirksame Schritte um das Folterverbot in der Praxis durchzusetzen und folternde Polizisten

zur Verantwortung zu ziehen. Auch Gesetzesänderungen, die den Spielraum für politische

Meinungsäußerungen und die Akzeptanz anderer als der türkischen Sprache in der

Gesellschaft erweitern sollen, sind bisher unzureichend geblieben. Vor allem Menschen-

rechtler und Angehörige kurdischer Parteien und Organisationen sind nach wie vor in

großem Umfang mit politischen Prozessen konfrontiert und von Haftstrafen bedroht. Solange

sich die Türkei nicht vom Verfassungsprinzip des Nationalismus verabschiedet, der in der

Praxis alle Staatsbürger ausgrenzt, die nicht türkischer Muttersprache und sunnitisch-

islamischer Religionszugehörigkeit sind, kann in der Türkei von einer Gleichbehandlung aller

Staatsbürger nicht ausgegangen werden. Jüngste Gesetzesänderungen im Hinblick auf die

Verbesserung der Lage der nichtmuslimischen Minderheiten haben bislang keine praktische

Umsetzung erfahren und insbesondere keine Antwort auf die Frage der rechtlichen

Anerkennung dieser Religionsgemeinschaften gegeben. Als noch weitaus kritischer ist die

Lage der muslimischen Aleviten – der größten religiösen Minderheit der Türkei – zu sehen,

der weiterhin jegliche Anerkennung versagt bleibt.“219

Auch amnesty international weist in seinem jüngsten Memorandum an den türkischen

Ministerpräsidenten anlässlich des Besuches einer Delegation der Organisation im Februar

2004 auf die noch immer bestehende Kluft zwischen Reformgesetzgebung und Rechtspraxis

hin und führt aus, dass wirklicher und grundlegender Fortschritt beim Schutz der Menschen-

218 Menschenrechte sind die Messlatte - Stellungnahme des FORUM MENSCHENRECHTE zur Diskussion um die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vom 11. März 2004 219 ebd.

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rechte in der Türkei unverzichtbar voraussetze, „dass der gegenwärtige Elan von allen

staatlichen Akteuren und allen Teilen der Gesellschaft verinnerlicht wird; es muss wesentlich

mehr werden als die Erfüllung von außen auferlegter Kriterien. Die bisherigen Reformen

waren ermutigend, aber tatsächlicher Wandel wird sich nur einstellen, wenn sie vollständig

und nachhaltig eingesetzt werden.“220

Die Schlüsse, die Gegner und Befürworter aus dieser Situationsbeschreibung ziehen, sind

diametral. Die Befürworter der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen weisen darauf hin, dass

sich in der Türkei seit Herbst 2001 im innenpolitischen Kampf die reformbereiten Kräfte, die

hinter dem EU-Beitritt ihres Landes stehen, immer wieder eindeutig gegen die Bewahrer des

Status quo durchgesetzt hätten. Sie halten es für wichtig, diesen Trend durch die Eröffnung

einer konkreten Beitrittsperspektive weiter zu stützen. Es steht zu erwarten, dass sich im

Verlauf der stabilen Weiterentwicklung der Türkei-EU-Beziehungen hin zu einer möglichen

Vollmitgliedschaft die Lage im Bereich der Menschenrechte sowohl rechtlich als auch

tatsächlich weiter verbessern wird.

220ausführlich dazu vgl. amnesty international – Türkei: Memorandum an den türkischen Minister-präsidenten anlässlich des Besuchs einer Delegation unter Leitung von Irene Khan, Generalsekretärin von amnesty international, Februar 2004 (AI Index: 44/001/2004). Deutsche Übersetzung durch die Türkei-Koordinationsgruppe.

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KAPITEL 5: Die Beitrittsverhandlungen auf Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union

Mit den insbesondere seit dem Jahr 2001 durch die türkische Regierung angegangenen

rechtspolitischen Reformen, deren zentrale Inhalte in Kapitel 4 untersucht wurden,

untermauerte die Türkische Republik die Ernsthaftigkeit ihres jahrzehntelangen politischen

Bestrebens, vollberechtigtes Mitglied der Europäischen Union zu werden. Auch aufgrund der

weitgehenden Erfüllung der ökonomischen Vorgaben der Gemeinschaft soll der aus

türkischer Sicht bestehende Anspruch auf Vollmitgliedschaft mit der reformistischen Politik

zügig realisiert werden. Dieses Kapitel widmet sich der Untersuchung der aktuellen

Beitrittsreife im Rahmen europäischer Prioritäten und der Frage der politischen Bedeutung

eines Türkeibeitritts, und zwar nicht nur in bilateraler, sondern auch internationaler Hinsicht.

5.1 Bericht der EU-Kommission vom 6. Oktober 2004 als

Entscheidungsgrundlage

Der Europarat als legislatives Gremium der Gemeinschaft hat mit Einstimmigkeit aller

Mitgliedsstaaten über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu entscheiden. Dem

vorgeschaltet war die Beitrittspartnerschaft mit der Türkei, die von den regelmäßigen

jährlichen Berichten der EU-Kommission begleitet waren, um die Reformfortschritte unter

politischen, rechtlichen und ökonomischen Gesichtspunkten zu dokumentieren. Die EU-

Kommission hat deshalb am 6. Oktober 2004221 ihren mit Spannung erwarteten Bericht zum

Reformprozess der Türkei vorgelegt. Sie stellte darin im Wesentlichen fest, dass Ankara die

politischen Kriterien von Kopenhagen in ausreichendem Maße erfüllt und empfiehlt ihrerseits

die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, allerdings unter strikten Auflagen. Die Gründe für

diese Bewertung der Kommission mit Blick auf die Erfolge und Defizite, die bei der

Umsetzung der rechtlichen und politischen Reformen in der vergangenen Periode zu Tage

traten, sind daher zu untersuchen.

221 Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt 2004, Brüssel, 06.10.2004, siehe unter http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report_2004/pdf/tr_recommandation_de.pdf

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Die Kommission bescheinigt der Türkei in der Empfehlung wesentliche Fortschritte bei den

politischen Reformen: So etwa bei der Rede- und Meinungsfreiheit, den Frauen- und

Minderheitenrechten, der Rechtstaatlichkeit oder der zivilen Kontrolle des Militärs. Zugleich

betont der Bericht aber auch, dass – trotz aller Verbesserungen – gerade in der Praxis weiter

Defizite bestünden. Entsprechend unterstreicht die EU-Kommission: „Die Unumkehrbarkeit

des Reformprozesses, seine Umsetzung, insbesondere im Hinblick auf die Grundfreiheiten,

müssen sich über einen längeren Zeitraum bestätigen.“ 222

Zugleich macht der Bericht deutlich, dass es keinen Beitrittsautomatismus gebe. Eine

Aufnahme der Türkei in die EU sei das Ziel, aber prinzipiell sei der Ausgang eventueller

Verhandlungen offen. Für das weitere Vorgehen schlägt die Kommission eine Drei-Säulen-

Strategie vor. Diese beinhaltet zum einen eine verstärke Zusammenarbeit, um den

Reformprozess in der Türkei zu unterstützen – vor allem hinsichtlich der politischen Kriterien

von Kopenhagen 1993. Zum zweiten eine spezifische Herangehensweise an die Verhand-

lungen, die sich an den besonderen Herausforderungen eines möglichen Türkei-Beitritts

orientieren soll. Konkret gemeint sind damit etwa lange Übergangsfristen, Sonderregelungen

bei der Agrar- und Strukturpolitik oder Schutzklauseln bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Als

dritte Säule sieht die Kommission einen „wesentlich verstärkten politischen und kulturellen

Dialog vor, der Menschen aus der EU und der Türkei zusammenbringt“.223

Der Bericht über den Fortschritt der türkischen Reformbemühungen wurde von EU-

Erweiterungskommissar Günter Verheugen und Kommissionspräsident Romano Prodi in

Brüssel vorgelegt. Verheugen hatte bereits grundsätzlich seine Zustimmung zu Beitrittsver-

handlungen mit der Regierung in Ankara signalisiert. Festzuhalten ist, dass die Kommission

mit ihrer Empfehlung anerkennt, dass die Türkei angesichts des Fortschritts bei ihren

Reformen "den politischen Kriterien ausreichend genügt", so dass Beitrittsverhandlungen

aufgenommen werden können. Die endgültige Entscheidung über die Aufnahme von

Beitrittsgesprächen mit der Türkei wurde sodann am 17.12.2004 im Europäischen Rat gefällt.

Entsprechend den Empfehlungen der EU-Kommission wurde beschlossen, am 3. Oktober

2005 mit den Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Für die Türkei wird dies – trotz der 222 vgl. Kommissionsbericht 2004, S. 18 ff. 223 vgl. ebd.

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österreichischen Interventionsversuche - als ein weiterer Meilenstein im EU-

Integrationsprozess gesehen, obwohl seitens der EU ausdrücklich darauf hingewiesen wurde,

dass damit keine Garantie für eine Vollmitgliedschaft verbunden sei.

5.2 Politische Bewertung einer EU-Mitgliedschaft der Türkei

Nach den sozioökonomischen und politischen Unternehmungen der Türkischen Republik im

Verlauf der letzten vierzig Jahre stellt sich die Frage, wie ein Beitritt der Türkei als

vollberechtigtes Mitglied der Europäischen Union politisch zu bewerten ist.

Festgestellt werden kann jedenfalls, dass ein Beitritt der Türkei sowohl für die Union als auch

für die Türkei selbst mit ernsthaften Herausforderungen, aber auch mit beachtlichen

Möglichkeiten und Vorteilen verbunden wäre. Überdies müssen die Kosten einer

Verweigerung des türkischen Beitrittswunsches und andere negative Folgen in Betracht

gezogen werden.

Die Aufnahme der Türkei in die EU würde unstreitig den unleugbaren Beweis erbringen, dass

Europa kein exklusiver „christlicher Club“ ist. Sie würde gesellschaftlich bestätigen, dass es

sich bei der Union um eine tolerante Gesellschaft handelt, die ihre Stärke aus der Vielfalt

bezieht und die mit gemeinsamen westlichen Werten von Freiheit, Demokratie, Rechts-

staatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte verbunden ist. In der großen kulturellen

Debatte des 21. Jahrhunderts, welche allzu oft von Ignoranz und Vorurteilen geprägt ist und

von kriminellen Phänomenen wie dem internationalem Terrorismus attackiert wird, könnte

ein multiethnisches, multikulturelles und multireligiöses Europa die kraftvolle Botschaft an

den Rest der Welt senden, dass der „Kampf der Kulturen“ nicht das unentrinnbare Schicksal

der Menschheit ist. Europa könnte zum Alternativmodell zu der von radikalen Islamisten

propagierten exklusiven Rolle in den Beziehungen zwischen dem „Westen“ und der

islamischen Welt werden. Die Union würde viel Respekt und Glaubwürdigkeit in der Welt

gewinnen und ihren Einfluss stärken.

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Die vorrangig stehenden wirtschaftlichen Interessen Europas an einer Erweiterung bleiben

dabei sicherlich nicht unbeachtet, gleichwohl kann für Europa auch außerhalb dieser Sphären

ein weltpolitischer Vorteil konstatiert werden.

Es ist zwar richtig, dass die Erfahrungen der Türkei einmalig sind, aufgebaut auf ver-

schiedensten kulturellen Wurzeln, auf Jahrzehnte andauernder westlicher Orientierung und

Atatürks revolutionärer Transformation des Landes in eine säkulare Demokratie; dies kann

nicht einfach auf andere islamisch geprägte Länder übertragen werden. Die erfolgreiche

Einbeziehung der Türkei in den europäischen Integrationsprozess würde der islamischen Welt

jedoch zeigen, dass es in der Tat möglich ist, Antworten auf das Dilemma der Vereinbarkeit

religiöser Überzeugungen und Traditionen mit den univer-sell akzeptierten Prinzipien

moderner Gesellschaften zu finden.

Zu einer Zeit, in der die Europäische Union es fortwährend anstrebt, größeren Einfluss in der

Weltpolitik zu übernehmen, würde der Beitritt der Türkei die Fähigkeiten der Union als

außenpolitischer Akteur erheblich stärken. Sowohl die Sicherheitsstrategie der EU, „Ein

sicheres Europa in einer besseren Welt“ (verabschiedet im Dezember 2003) als auch das

Konzept einer „Neuen Nachbarschaftspolitik“, welches von der Europäischen Kommission

und dem Europäischen Parlament entwickelt wurde, betonen die Bedeutung der südlichen

Peripherie für die europäische Sicherheit und unterstreichen die Notwendigkeit, politische

Stabilität in die Nachbarstaaten des Kontinents zu projizieren.

Sie stellt die Grundlage dafür dar, der Europäischen Union sukzessive neue Warenmärkte

nach bereits im Westen praktiziertem Leitbild zu eröffnen und deren Regeleinhaltung von

potenziellen Neukandidaten zu fordern. Aufgrund ihrer geostrategischen Lage würde die

Türkei den außenpolitischen Bemühungen der Union in so wichtigen Regionen wie dem

Mittleren Osten, dem Mittelmeerraum, Zentralasien und dem Kaukasus neue wirtschaftliche

Dimensionen verleihen.

Im Mittleren Osten, einer Gegend von besonderem Interesse für Europa, sowohl aus

historischen Gründen, als auch aufgrund seines Einflusses auf die europäische Sicherheit, hat

die Union viel an Profil und Status zu gewinnen. Obwohl sie der wichtigste Lieferant von

Hilfe für die Palästinenser ist und kommerzielle Beziehungen mit Israel und den arabischen

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Staaten unterhält, hat die Union bisher nur eine bescheidene Rolle in der Suche nach einer

Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gespielt. Die Türkei pflegt gute

Beziehungen mit beiden Seiten und genießt Glaubwürdigkeit sowohl in Israel wie auch in der

arabischen Welt. Ihre Mitgliedschaft würde ohne Zweifel das Gewicht der Union im Mittleren

Osten stärken, was den gemeinsamen Bemühungen um Frieden und Stabilität in dieser

kritischen Region nutzen könnte.

Ähnliche Möglichkeiten erhöhter europäischer Einflussnahme bieten sich im Schwarz-

meergebiet, im Kaukasus und in Zentralasien, wo die Europäische Union in der Ver-

gangenheit Zurückhaltung geübt hat, während die Türkei aufgrund ihrer geographischen

Lage, ihrer Kultur, Religion und Sprache aktiv aufgetreten ist.

Generell ist zu erwarten, dass ein türkischer Beitritt für die langfristig angestrebten

ökonomischen Ziele zu einer Stärkung der EU-Politik gegenüber dem Süden führen würde.

Dies sollte nicht unbedingt nur mit Gefahren und Risiken assoziiert werden. Dies kann auch

eine Chance bedeuten. Das manchmal geäußerte Argument, eine türkische Mitgliedschaft

würde Europa in die Konflikte des Mittleren Ostens hineinziehen, ist unter keinem

Blickwinkel überzeugend. Die Entwicklungen in dieser turbulenten Region haben in jedem

Fall tief greifende Auswirkungen auf Europas Stabilität und Sicherheit, gleichgültig, ob die

EU direkte Grenzen mit Ländern wie dem Irak, Iran oder Syrien hat oder nicht. Die Türkei, in

der Mitte der eurasischen Region gelegen und als westlicher Pfeiler im größeren Mittleren

Osten, kann von bedeutendem Vorteil für die europäische Außenpolitik in dieser Region sein,

um Hegemonialansprüche abzuleiten und – um es vorsichtig auszudrücken – einen Gegenpol

zur Stellung der USA in dieser Region aufzubauen.

Für die im Aufbau befindliche Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)

wären die beträchtlichen militärischen Kapazitäten der Türkei und das Potenzial des Landes

als Stützpunkt wichtige und dringend benötigte Vorteile. Über die Jahre hinweg hat die

Türkei Beiträge zu internationalen Friedensoperationen geleistet, einschließlich jenen in

Kroatien, Bosnien-Herzegowina sowie im Kosovo, und nahm an Militär- und Polizei-

missionen unter EU-Führung in Mazedonien teil. Bis Dezember 2002 führte sie die

internationale Schutztruppe für Afghanistan.

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Darüber hinaus hat sich die Türkei aktiv an den Arbeiten des Konvents für die Zukunft

Europas beteiligt und ist hierbei im Besonderen für eine Steigerung der Effizienz der ESVP

und ihrer Fähigkeit eingetreten, mit den heutigen Herausforderungen im Bereich der

internationalen Sicherheit fertig zu werden. Als einer der stärksten NATO–Partner, mit einer

klaren Orientierung zur ESVP, dürfte die Türkei von großem Wert für das europäische

Verteidigungssystem sein. Für die Union kann deshalb festgestellt werden, dass eine

Integration ihren Einflussraum nach den vorangegangenen und von der Türkei im

Wesentlichen verwirklichten Prämissen erheblich erweitert, und zwar in ökonomischer,

politischer, geostrategischer und militärischer Weise.

Für die Türkei würde eine Integration sicherlich eine vollständige Unterordnung in die

politische Ökonomie der Gemeinschaftsstaaten bedeuten, woraus sie sich eine Steigerung

nationalen Reichtums und weltpolitischer Anerkennung erhofft. Seitdem feststeht, dass sich

die Grenzen der EU auf Osteuropa ausdehnen, haben ausländische Unternehmen die Türkei

zunehmend als lukrativen Investitionsstandort entdeckt. Letztendlich würde die Aufnahme die

Zielerreichung jahrzehntelanger türkischer Politik in die Gemeinschaft westlicher Staaten

bedeuten, mit der sie sich neuen wirtschaftlichen, politischen und strategischen Heraus-

forderungen stellt. Es bleibt gleichwohl abzuwarten, wer schlussendlich Nutznießer dieser

Vereinigung ist.

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KAPITEL 6: ZWISCHENERGEBNIS

In der Türkei ging es seit dem Gipfel von Helsinki 1999 vor allem darum, die relevanten

politischen Akteure und die türkische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die

Perspektive des Beitritts zur Europäischen Union so realistisch ist, dass sie die Kosten

rechtfertigt, die mit der Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen, verbunden mit

fundamentalen Veränderungen im türkischen Staatsverständnis und in der Machtkonstellation

der wesentlichen Akteure, zusammenhängen. Für zahlreiche Anhänger eines türkisch-national

und staatszentristisch verstandenen Kemalismus stellen gerade die mit dem Beitritt

verbundenen politischen Bedingungen der EU nicht akzeptable Veränderungen im politischen

Selbstverständnis der kemalistischen Republik dar. Der in den Kopenhagener Kriterien zum

Ausdruck kommende liberal-demokratische Grundsatz vom Vorrang des Bürgers und seiner

Interessen vor dem Staat und der Gemeinschaft stößt sich an der herrschenden türkischen

Doktrin vom Vorrang der Einheit der eigenen Nation vor den Interessen des Individuums und

seiner gesellschaftlichen Organisationen.

Dieses Dilemma der scheinbar schwierigen Vereinbarkeit von EU-Orientierung einereits und

Staatsdoktrin andererseits spiegelte sich auch bisher in der Politik der türkischen Führung

nach dem Gipfel von Helsinki wider. Mit Ausnahme der Mutterlandspartei (ANAP) von

Mesut Yilmaz gab es in allen Parteien der regierenden 3-Parteien-Koalition Kräfte, die einem

bedingungslosen Eingehen auf die Forderungen der EU mit erheblicher Skepsis gegen-

überstanden. Sie hatten außerhalb des Parlaments Verbündete in Kreisen der Militärführung,

der hohen Staatsbürokratie einschließlich der Justiz, und in einigen Fällen auch in

Staatspräsident Ahmet N. Sezer. Dieser wies mehrfach Reformgesetze, die aus seiner Sicht

nicht im Einklang mit den kemalistischen Grundsätzen der Verfassung standen, zur erneuten

Beratung an das Parlament zurück.

Der endgültige Durchbruch für die „Europäisierung“ der Türkei im Sinne der EU-

Konditionalität kam - nach Heinz Kramer - mit den Neuwahlen vom 2. November 2002, die

zu einer völligen Umgestaltung der politischen Landschaft führten. Gegenwärtig sind im

Parlament nur noch Parteien vertreten, welche die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien

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uneingeschränkt befürworten. Skeptiker aus der Militärführung und im Staatsapparat haben

somit ihren parlamentarischen Einfluss weitestgehend verloren.

Der Widerstand gegen die Politik der „Europäisierung“, wie sie von der AKP-Regierung seit

ihrem Amtsantritt betrieben wird, wird zudem dadurch erschwert, dass eine konstante

Mehrheit von weit über 50 Prozent der Bevölkerung einen türkischen EU-Beitritt und die

darauf gerichtete Politik befürwortet. Seit Anfang 2002 hat sich gleichfalls eine breite Allianz

von 175 Nichtregierungsorganisationen (NGO) formiert, die innerhalb wie außerhalb der

Türkei für die Beitrittspolitik wirbt. In ihr sind sowohl Menschenrechtsorganisationen als

auch Industrieverbände vertreten. Auf dieser Basis konnte die AKP-Regierung die bereits

Anfang August 2002 unter eher turbulenten innenpolitischen Verhältnissen mit der

Verabschiedung des 3. Harmonisierungsaketes eingeleitete Verstärkung der „Euro-

päisierungspolitik“ uneingeschränkt fortsetzen. Dies zeigte sich vor allem im überarbeiteten

„Nationalen Programm“ vom Juli 2003, das als Reaktion auf die Fortschreibung des

Dokuments über die Beitrittspartnerschaft seitens der EU alle wesentlichen Vorbehalte der

EU aufgriff und zu von der Türkei zu erledigenden Aufgaben erklärte.

Der mit dem Erfolg der AKP eingeleitete politische Strukturwandel im konservativen Lager

durch eine dauerhafte Versöhnung der islamischen Tradition der breiten Massen mit den

Werten, Prozessen und Institutionen europäisch-liberaler Demokratie ist an den langfristigen

Erfolg der „Europäisierung“ geknüpft. Klargestellt werden muss aber, dass die Türkische

Republik noch erhebliche Anstrengungen unternehmen muss, um die Forderungen der

Beitrittspartnerschaft tatsächlich erfüllen zu können, im Kern die Einhaltung der

Menschenrechte und die europäischen Grundfreiheiten ohne jede Art von Diskriminierung

und unabhängig von der Sprache der Bürger in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu

vollziehen. Dazu gehört nach Auffassung der EU unter anderem die Verbesserung der Lage

im Südosten der Türkei bezüglich einer Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und

kulturellen Chancen aller Bürger. Es ist notwendig, dass die AKP-Regierung in allen Fragen,

welche die kurdische Bevölkerung betreffen, eine ähnlich hartnäckige und eindeutige

öffentliche Position bezieht, wie sie es mit Blick auf die Folterproblematik tut.

Was die Beziehungen zwischen der Zivilgewalt und dem Militär betrifft, so hat die Regierung

ihre Kontrolle über das Militär auch nach den Feststellungen der Kommission zunehmend

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behauptet. Im Interesse einer transparenteren Haushaltsführung wurde dem Rechnungshof

gestattet, Militär- und Verteidigungsausgaben zu prüfen. Außerbudgetäre Fonds wurden in

den allgemeinen Haushalt eingegliedert, so dass nun eine uneingeschränkte parlamentarische

Kontrolle möglich ist. Im August 2004 wurde erstmals ein Zivilist zum Generalsekretär des

Nationalen Sicherheitsrats mit zugleich geringeren Kompetenzen bestellt, was ein Novum in

der türkischen Geschichte ist und den politischen Einfluss des Militärs verringerte. Der

Prozess der vollständigen Angleichung der Beziehungen zwischen Zivilsphäre und Militär an

die Praxis der EU ist feststellbar im Gange; dennoch darf nicht verkannt werden, dass die

Streitkräfte in der Türkei nach wie vor über eine Reihe informeller Mechanismen Einfluss

ausüben.

Auch die Unabhängigkeit und Effizienz der Justiz wurden gestärkt, die Staats-

sicherheitsgerichte schlussendlich abgeschafft und einige ihrer Zuständigkeiten den neu

geschaffenen Gerichten für schwere Straftaten übertragen. Unlängst wurden die

Rechtsgrundlagen für die Einrichtung von Berufungsgerichten geschaffen, doch der Entwurf

einer grundlegend neuen Strafprozessordnung und die Gesetzentwürfe bezüglich der

Einrichtung der Kriminalpolizei und des Strafvollzugs mit fundamentalen Änderungen warten

noch auf ihre Verabschiedung.

Der politische Wandel und die Änderungen im Rechtssystem der Türkei in den letzten drei

Jahren sind Teil eines längeren Prozesses und es wird einige Zeit dauern, bis sich der Geist

der Reformen in der Haltung der Exekutive und der Justizbehörden auf allen Ebenen

landesweit widerspiegelt. Um die offenen Herausforderungen anzugehen und die

bürokratischen Hürden zu nehmen, bedarf es ungebrochener Entschlossenheit. Was den

allgemeinen Rahmen für die Einhaltung der Menschenrechte und die Wahrnehmung der

Grundfreiheiten betrifft, so ist die Türkei den wichtigsten internationalen und europäischen

Übereinkommen beigetreten und hat das Prinzip des Vorrangs dieser internationalen

Menschenrechtsübereinkommen vor dem nationalen Recht in seiner Verfassung verankert.

Seit 2002 bemüht sich die Türkei verstärkt um den Vollzug von Entscheidungen des

Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Höhere Justizinstanzen wie das

Kassationsgericht haben in einigen Entscheidungen die Reformen entsprechend den Standards

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des Europäischen Gerichtshofs ausgelegt, darunter Fälle im Zusammenhang mit dem

Gebrauch der kurdischen Sprache, mit Folter und Meinungsfreiheit.

Gleichwohl kann noch nicht davon gesprochen werden, dass sich die Reformen bereits auf

breiter Front im Bewusstsein der Ordnungsbehörden und der Justiz niedergeschlagen hätten.

Ein besonders hervorstechendes Beispiel der herrschenden Unklarheit bot das Wieder-

aufnahmeverfahren gegen Leyla Zana und drei weitere frühere Abgeordnete der

prokurdischen Demokratiepartei (DEP). Sie waren 1994 wegen Unterstützung einer

separatistischen Organisation zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das

Prozessverfahren wie auch das Urteil wurden vom EGMR als nicht mit den Normen der

EMRK im Einklang stehend gerügt. Die durch die türkischen Reformgesetze ermöglichte

Wiederaufnahme führte im April 2004 zur Bestätigung des Urteils durch das zuständige

Staatssicherheitsgericht. Doch wurde dieses Urteil vom Kassationshof am 14. Juli 2004 mit

der Begründung aufgehoben, dass auch das neue Verfahren nicht den vom EGMR gesetzten

Normen und der neuen türkischen Rechtslage entsprochen hätte mit der Folge, dass die

Angeklagten auf freien Fuß gesetzt wurden.

Es bleibt abzuwarten, ob die mit den Verfassungsänderungen vom Mai 2004 beschlossene

Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte und ihre Ersetzung durch besondere Strafkammern

zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung auf der Grundlage der beschlossenen

Reformen führt. Das dürfte umso eher der Fall sein, wenn das neu verabschiedete

Strafgesetzbuch in seinem Wortlaut möglichst wenig Anklänge an die umstrittenen Para-

graphen des alten Textes aufweist. Auch die seit Beginn 2004 deutlich verstärkte Menschen-

rechtsschulung von nahezu 10000 Richtern und Staatsanwälten durch das Justizministerium

im Rahmen eines von der EU unterstützten Programms zeigt den Willen der AKP-Regierung,

die Reformen nicht nur auf dem Papier zu belassen.

Als der Europäische Rat im Dezember 1999 beschloss, die Türkei als Beitrittskandidaten

einzustufen, vertrat er die Auffassung, dass die Türkei über die Grundmerkmale eines

demokratischen Systems verfügt, zugleich aber ernsthafte Defizite bei den Menschenrechten

und beim Minderheitenschutz aufweist. Im Jahr 2002 stellte die Kommission in ihrem

Regelmäßigen Bericht fest, dass der Status als Kandidatenland die Türkei ermuntert hat,

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merkliche Fortschritte bei der Annahme einer Reihe grundlegender, doch nach wie vor

begrenzter Reformen zu machen. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die meisten Maßnahmen

noch umgesetzt werden mussten und dass viele andere Fragen, die zur Einhaltung der

politischen Kriterien von Kopenhagen erforderlich sind, erst noch angegangen werden

mussten. Auf dieser Grundlage beschloss der Europäische Rat im Dezember 2002, Ende 2004

erneut zu prüfen, ob die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt, was

bekanntermaßen zur Entscheidung über die Aufnahme zu Beitrittsverhandlungen ab

03.10.2005 führte. Im Zuge einer Reihe verfassungs- und allgemeinrechtlicher Änderungen

wurden über drei Jahre hinweg (2001-2004) rechtspolitische Reformen im Einklang mit der

Beitrittspartnerschaft durchgeführt. Es gab zwei große Verfassungsreformen 2001 und 2004

sowie acht Legislativpakete, die das Parlament zwischen Februar 2002 und Juli 2004

verabschiedet hat.

Ferner wurden neue Gesetzbücher verabschiedet, darunter ein Zivilgesetzbuch und ein neues

Strafgesetzbuch. Durchführungsbestimmungen zu diesen Reformen wurden in Form

zahlreicher anderer Gesetze, Verordnungen, Dekrete und Rundschreiben erlassen. Vor Ort

ergriff die Regierung Maßnahmen, um die Reformen besser umsetzen zu können. Die

Reformüberwachungsgruppe, ein Gremium unter Vorsitz des für Menschenrechte zuständigen

Vizepremierministers, wurde eingerichtet, um die Reformen auf breiter Ebene zu überwachen

und praktische Probleme zu lösen. Auch vor Ort kam es zu bedeutenden Fortschritten,

wenngleich die Umsetzung der Reformen immer noch uneinheitlich verläuft.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Türkei auf vielen Gebieten mit weiteren

Reformpaketen, Verfassungsänderungen und der Verabschiedung eines neuen Strafgesetz-

buchs bei der Rechtsetzung deutlich in Richtung EU vorangekommen ist. Trotz großer

Fortschritte bei der Umsetzung der politischen Reformen bedarf es zur Einhaltung der

europäischen Konditionalität weiterer Konsolidierung und Ausweitung. Das gilt für die

Stärkung und vollständige Umsetzung der Bestimmungen über die Achtung der

Grundfreiheiten und den Schutz der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Frau,

Minderheitenrechte und die Probleme der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften.

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108

Andererseits zeigen die Aufhebung der ermäßigten Strafvorschriften für so genannten

„Ehrenmorde“ im 6. Harmonisierungspaket vom Juni 2003 sowie der jüngste Bericht von

Amnesty International über Gewalt gegen Frauen in der Türkei, dass gerade in den kurdischen

Provinzen des Landes immer noch Gesellschaftsstrukturen und Wertesysteme eine große

Rolle spielen, die mit den Notwendigkeiten der "Europäisierung" nicht im Einklang stehen

und die nicht als Folge einer verfehlten Kurdenpolitik Ankaras anzusehen sind. Das zum

01.04.2005 in Kraft getretene neue Türkische Strafgesetzbuch kann hier wesentliche

rechtliche Voraussetzungen für eine nachhaltige Änderung schaffen, indem jegliche

Zugeständnisse an unzeitgemäße gesellschaftliche Traditionen unterbleiben und die schon bei

der Verabschiedung des neuen Zivilrechts 2001 betonte rechtliche Gleichstellung der

Geschlechter auch im Strafrecht ihren Niederschlag findet. Dann kommt es "nur noch" darauf

an, dass der Staat die ihm mit der jüngsten Verfassungsänderung vom Mai 2004 auferlegte

Verpflichtung ernst nimmt, diese Gleichstellung auch in der Praxis durchzusetzen.

Was die bürgerlichen und politischen Rechte der Bevölkerung betrifft, so wurde der

Grundsatz der Geschlechtergleichheit zivil- und verfassungsrechtlich jedenfalls gestärkt. Im

Rahmen des neuen Strafgesetzbuchs können Personen, die „Ehrenmorde“ verüben, zu

lebenslangen Gefängnisstrafen verurteilt werden, Jungfräulichkeitstests ohne gerichtliche

Anordnung wurden untersagt und sexuelle Gewalt in der Ehe wurde zum Straftatbestand

deklariert. Dennoch ist die Lage der Frauen unbefriedigend; Diskriminierungen und Gewalt

gegen Frauen und auch „Ehrenmorde“ bleiben nach wie vor ein großes Problem. Was den

Minderheitenschutz und die Ausübung der kulturellen Rechte anbelangt, so wurde die

Verfassung geändert, um das Verbot des Gebrauchs des Kurdischen und anderer Sprachen

aufzuheben. Unlängst haben im Südosten der Türkei mehrerer kurdische Sprachschulen

eröffnet. Rundfunk in Kurdisch und anderen Sprachen und Dialekten ist inzwischen gestattet

und es wurden bereits, wenngleich in begrenzt zugelassenem Ausmaß, Sendungen

ausgestrahlt. Der Ausdruck der kurdischen Kultur in allen ihren Formen stößt mittlerweile auf

mehr Toleranz. Die im Bereich der kulturellen Rechte eingeleiteten Maßnahmen stellen

deshalb lediglich einen Beginn dar. Nach wie vor gibt es insbesondere im Bereich des

Rundfunks und der Ausbildung in Minderheitensprachen erhebliche Einschränkungen.

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109

Der über 15 Jahre in einigen Provinzen im Südosten geltende Ausnahmezustand wurde 2002

vollständig aufgehoben. Bestimmungen, die während des Ausnahmezustands zur

Einschränkung der Rechte während der Untersuchungshaft herangezogen wurden, wurden

geändert. Die Türkei hat mit vielen internationalen Organisationen und auch mit der

Europäischen Kommission einen Dialog über die Frage der Binnenvertriebenen aufge-

nommen. Ein Gesetz über den Ausgleich der Verluste aus Terroranschlägen wurde verab-

schiedet. Obwohl Arbeiten zur Formulierung eines systematischen Konzepts für die Region

im Gange sind, wurde noch keine integrierte Strategie im Hinblick auf den Abbau der

regionalen Disparitäten und die Deckung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen

Bedürfnisse der Lokalbevölkerung angenommen. Die Rückkehr der Binnenvertriebenen in

den Südosten hielt sich in Grenzen und wurde durch das System der Dorfschützer sowie

durch mangelnde materielle Unterstützung behindert. Weitere Maßnahmen sollten gezielt die

Empfehlungen des Sonderbeauftragten für Vertriebene des UN-Generalsekretärs aufgreifen.

Die Europäische Kommission bescheinigte der Türkischen Republik gleichfalls Fortschritte in

der Bekämpfung von Folter und unmenschlicher Behandlung im Polizeigewahrsam oder

durch andere staatliche Sicherheitsorgane. Ministerpräsident Erdogan und Außenminister Gül,

der einem interministeriellen Ausschuss zur Überwachung der Reformumsetzung vorsteht,

werden nicht müde zu betonen, dass die AKP "Null Toleranz" gegen Folter und Folterer übe.

Diese deutliche Sprache ist notwendig, denn dieses Vergehen war bisher einer der häufigsten

und deutlichsten Kritikpunkte an der Menschenrechtslage in der Türkei. Weitere

Anstrengungen, darunter auch Bestimmungen im neuen Strafgesetzbuch, wurden unter-

nommen, um stärker gegen Folter und Misshandlung vorzugehen. Die Folter wurde legal neu

definiert und mit hohen Strafandrohungen bewährt. Die Verfahren für die Untersuchungshaft

wurden an europäische Standards angeglichen; allerdings werden Häftlinge von den

Vollzugsbeamten nicht immer über ihre Rechte aufgeklärt, was westlichen Rechtsstandards

entspricht. Folter findet nicht mehr systematisch statt, doch es treten noch häufig Fälle von

Misshandlungen einschließlich Folter auf. Schon die Verfassungsänderung von 2001 leitete

die vollständige Abschaffung der Todesstrafe ein, die in mehreren Schritten im Frühjahr 2004

mit der Unterzeichnung des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK erfolgte. Die jüngsten

Verfassungsänderungen gingen darauf ein, indem sie nunmehr sämtliche Bezüge auf die

Todesstrafe aus dem Gesetzestext entfernten.

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Enorme Verbesserungen hat es seit 2001 in der Rechtslage für den einzelnen Bürger

hinsichtlich der Meinungsfreiheit und der Vereinsbildung gegeben. Sowohl in der Verfassung

als auch in den entsprechenden Untergesetzen zum Straf-, Presse- oder Vereinsrecht wurde

der vorherrschende Grundgedanke des Staatsschutzes zugunsten des Grundsatzes bürgerlicher

Freiheiten aufgeweicht. Das Bestreben insbesondere der AKP-Regierung ist darauf gerichtet,

die türkische Rechtslage in diesen Bereichen in volle Übereinstimmung mit den Vorschriften

der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu bringen und auch die Recht-

sprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Leitlinie für die

türkischen Gerichte zu machen.

Die Meinungsfreiheit wurde insbesondere durch die Abschaffung von Art. 8 ATG

(Antiterrorgesetz) und Änderungen in den Art. 159 und 312 Türk. StGB gefördert. Diese

Maßnahmen zielen darauf, das Gesinnungsstrafrecht der Vergangenheit zu beseitigen, indem

z.B. der Terrorbegriff an die Anwendung von Gewalt geknüpft wird und strafbarer Aufruf

zum Terror mit dem Aufruf zur Gewalt verbunden sein muss. Die Verunglimpfung von

staatlichen Institutionen muss in tatsächlich beleidigender Absicht erfolgen und nicht bloß

Ausdruck von Kritik sein. Der Grundsatz der Demonstrationsfreiheit wurde betont, seine

Anwendung durch verschiedene Maßnahmen wie die Verringerung der Anmeldefrist von

Kundgebungen und die Einschränkung der Verbotsgründe erleichtert. Dennoch kam es immer

wieder zu Anzeigen, Festnahmen und Verurteilungen von Journalisten, Demonstranten und

Menschenrechtsaktivisten, bei denen entweder die gesetzlichen Änderungen gar nicht

berücksichtigt oder aber der neue Wortlaut im alten Geist ausgelegt wurde. Das war

besonders häufig im Zusammenhang mit Vorwürfen der Unterstützung von Separatismus oder

"Islamismus" der Fall, wie zum Beispiel das konzertierte Vorgehen der Polizei gegen

kurdische Zeitungen im Vorfeld des Istanbuler NATO-Gipfels am 8. Juni 2004 zeigte, bei

dem 25 Journalisten festgenommen wurden. Allerdings häufen sich auch die Fälle, in denen

entweder von den Gerichten keine Verfahren eröffnet werden oder aber in der

Berufungsinstanz Urteile unter Verweis auf die neue Rechtslage aufgehoben werden.

Es ist insgesamt festzuhalten, dass sich die Lage in Bezug auf die freie Meinungsäußerung

zwar erheblich verbessert hat, doch mehrere Probleme bestehen bleiben. Inzwischen

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beschäftigt man sich mit der Lage von Personen, die wegen friedlicher Meinungsäußerungen

verurteilt wurden, und mehrere aufgrund der alten Rechtslage verurteilte Personen wurden

freigesprochen oder freigelassen. Verfassungsänderungen und ein neues Pressegesetz haben

die Pressefreiheit erhöht. Mit dem neuen Gesetz werden Sanktionen, wie z.B. das Verbot von

Veröffentlichungen, die Unterbindung des Vertriebs und die Beschlagnahme von

Druckmaschinen, abgeschafft. Jedoch werden noch immer in zahlreichen Fällen Journalisten

und andere Bürger, die ihre Meinung friedlich äußern, rechtlich verfolgt. Das neue

Strafgesetzbuch stellt im Ergebnis im Hinblick auf die Meinungsfreiheit auch nur einen

beschränkten Fortschritt dar.

Trotz der verfassungsrechtlichen Garantie der Religionsfreiheit und obwohl die freie

Religionsausübung weitgehend ungestört verläuft, stoßen nichtmuslimische Religions-

gemeinschaften nach wie vor auf Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Rechts-

persönlichkeit, den Eigentumsrechten, der Ausbildung der Geistlichen, mit Schulen und ihrer

internen Verwaltung. Mit geeigneten Rechtsvorschriften könnten diese Schwierigkeiten

überwunden werden. Die Aleviten sind nach wie vor nicht als muslimische Minderheit

anerkannt. Diesbezügliche Defizite im Handeln der türkischen Regierung sind daher nicht von

der Hand zu weisen.

Die Europäischen Staaten erkennen sowohl die wirtschaftliche als auch die geostrategische

Relevanz der Türkei für Europa, messen aber den politischen und kulturellen Fragen höhere

Bedeutung als die Vereinigten Staaten bei. Allerdings gibt es bei der Bewertung dieser Fragen

innerhalb der EU große Unterschiede, woraus verschiedene Auseinandersetzungen

resultieren. Die politischen Reformen werden weiterhin genau beobachtet werden. Man kann

mit Sicherheit sagen, dass sich die Türkei auf ihrem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft

in der Europäischen Union sehr gewandelt hat und nicht mehr das Land ist, welches es vor

Beginn des politischen Reformprozesses gewesen war.

Nach einer langen und heißen Debatte, in der die europäische Unzufriedenheit mit der EU-

Mitgliedschaft der Türkei zum Ausdruck kam, hat die Europäische Kommission bestätigt,

dass Ankara die Beitrittsverhandlungen mit der EU am 3. Oktober 2005 beginnt. Die EU hat

jedoch betont, „dass die Verhandlungen ein harter Prozess werden und keine Garantie für die

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endgültige Mitgliedschaft enthalten“. „Die Europäische Union hat sich der Türkei gegenüber

verpflichtet. Wir halten unser Wort“, sagte Erweiterungskommissar Olli Rehn. Es werde eine

Debatte über Alternativen zur Vollmitgliedschaft in den nächsten Jahren geben. Der

Verhandlungsrahmen fordert, dass die Türkei bessere Beziehungen mit ihren Nachbarn

aufbaut und die bilateralen Beziehungen mit dem griechischen Zypern „normalisiert“.

Dieses Zwischenergebnis ist vor allem im Kontext mit den nachfolgenden Unter-suchungen

zur veränderten Rolle der Türkei in ihren außenpolitischen Handlungen gerade in der Region

des Nahen Ostens zu sehen, wobei insbesondere eine Fokusierung auf die „Europäisierung“

dieser neuen Türkei stattfinden soll.

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KAPITEL 7: Die historische Entwicklung der Geopolitik

des Nahen Ostens

Vor dem Hintergrund eines möglichen Beitritts der Türkei in den Staatenbund der

Europäischen Union und unter besonderer Berücksichtigung der geostrategischen Lage wird

in den nachfolgenden Kapiteln untersucht, welche Machtkonstellationen sich während und

nach dem Kalten Krieg in der Region des Nahen Ostens herausgebildet haben. Dabei wird

analysiert, welche Rolle und Bedeutung der Türkei in ihrer jeweiligen politischen

Ausrichtung zukommt und welche Konsequenzen sich für westliche Bündnissysteme ergeben.

Kann die Türkei im Nahen Osten tatsächlich als „A reluctant neighbour“ (“Ein träger,

unwilliger Nachbar”) definiert werden?224, wie es im Programm einer vom „US Institute of

Peace“ im Juni 1994 in Washington D.C. organisierten Konferenz geschah? Wäre damit ein

Scheitern der EU-Integration politisch und völkerrechtlich verbunden? Zu untersuchen ist

daher die Nahostpolitik der Türkei, die seit 1990 im Kaukasus, im Nahen Osten und in

Zentralasien wichtige wirtschaftliche und politische Beziehungen geknüpft hat. Zugleich

muss geklärt werden, in welchem Maße sie ihre Nahostpolitik umsetzen kann. Es ist daher

unerlässlich, die Entwicklungsgeschichte der Geopolitik des Nahen Ostens darzustellen, um

objektive Erkenntnisse über die Stellung der Türkei innerhalb der entwickelten

Machtkonstellationen zu erlangen.

224 Barkey, Henry J. (Hrsg.): Reluctant Neighbor: Turkey's Role in the Middle East, US Institute of Peace Press, Washington 1996, S. 33

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7.1 Entstehung westlicher Mandatsgebiete im Nahen Osten nach dem Nieder-

gang des Osmanischen Reichs

Der Nahe Osten und insbesondere Mesopotamien sowie die Region um Palästina haben im

Laufe der Geschichte auf ihrem Boden unzählige Zivilisationen beherbergt. Die ersten

Stadtstaaten der Geschichte, die ersten Staatsgebilde und Imperien sind hier entstanden. Das

älteste schriftliche Abkommen in der Menschheitsgeschichte wurde im Nahen Osten

unterzeichnet: Das Abkommen von Kadesch zwischen Ägypten und den hethitischen König-

tümern Anatoliens beendete ihre kriegerischen Auseinandersetzungen über die Nutzungs-

rechte der syrisch-palästinensischen Ressourcen und ging als das erste schriftliche Friedens-

abkommen der Menschheit in die Geschichte ein.

Neben fruchtbarer Erde und üppigen Ressourcen darf aber auch soziokulturell im Nahen

Osten nicht unerwähnt bleiben, dass er die Heimat der drei großen Weltreligionen ist.

Judentum, Christentum und Islam wurden von nahöstlichen Propheten verkündet und

breiteten sich vom Nahen Osten aus. In Jerusalem werden heute über zweihundert Orte

gezählt, die für alle drei Religionen heilig sind. Auch wenn der Nahe Osten Ausgangspunkt

von drei Weltreligionen ist, wird er seit fünfzehn Jahrhunderten vom Islam geprägt. Die

Region wurde in dieser Zeit nacheinander von verschiedenen islamischen Reichen regiert,

zuletzt vom Osmanischen Reich. Es umfasste den ganzen Nahen Osten mit Ausnahme

Persiens. Das Osmanische Reich entstand 1517 und überdauerte ziemlich genau vierhundert

Jahre.

Der heutige Nahe Osten entstand durch Interventionen der modernen westlichen Mächte.

Nachdem das Osmanische Reich seine Macht eingebüßt hatte und nicht mehr über den Nahen

Osten herrschte, strebten vor allem Großbritannien und Frankreich nach einem besseren

Zugriff auf die vielfältigen Ressourcen der Region. Schon in der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts hatte das Osmanische Reich einen Großteil seiner Gebiete im Westen verloren.

Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer klarer wurde, dass das Reich seine

Herrschaft über sein Gebiet nicht würde aufrechterhalten können, begannen die europäischen

Mächte, ihre Pläne bezüglich der Zukunft der arabischen Gebiete des Reiches in die Tat

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umzusetzen. Frankreich baute seine Macht über Jerusalem, Ägypten, Algerien und

schliesslich auch über Tunesien aus. Der für Frankreich strategisch sehr wichtige Suez-Kanal

(erbaut zwischen 1859 und 1869) musste an Großbritannien übergehen, da er die britischen

Interessen bezüglich der Kontrolle der asiatischen Land- und Seewege tangierte.

Großbritannien und Frankreich hatten zwar divergierende Interessen im Nahen Osten, gingen

jedoch gegen Russland ein Zweckbündnis ein, um Russlands Expansion in den Süden zu

verhindern (Krim-Krieg 1854 -1856). Nach mehreren bewaffneten Konflikten versuchten die

westlichen Groß-mächte, das Machtgleichgewicht untereinander vorteilhaft zu gestalten,

während das Osmanische Reich unaufhaltsam seine Gebiete verlor. Das Osmanische Reich

versuchte in dieser letzten Periode seines Niedergangs wie alle abhängigen Staaten, Kredite

bei Großmächten wie Frankreich, Großbritannien, Österreich, Deutschland oder Russland

aufzunehmen, um gegen seine Entwicklungsrückstände zu kämpfen und das Land zu

modernisieren. Der europäische Kapitalismus war auf dem Gipfel seiner Macht angelangt und

die Grenzen seiner Möglichkeiten im Osten waren in der Tat sehr weit gesteckt.225

Die zuerst auf dem Gebiet des Militärs eingeleiteten und im wirtschaftlichen und politischen

Bereich fortgeführten Reformen des Osmanischen Reiches halfen zwar bei der Moder-

nisierung des Staates, reichten aber nicht aus, um den ökonomischen und sicherheits-

politischen Abstand zu den Industrienationen zu verringern.226 Zudem übte die Französische

Revolution einen großen Einfluss auf die Völker des Osmanischen Imperiums aus. Serben,

Griechen und Bulgaren gründeten auf dem Balkan nacheinander ihre eigenen Nationalstaaten.

Diese Entwicklungen zogen, wenn auch mit einiger Verspätung, schliesslich auch die Nahost-

Eliten in ihren Bann. Am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts

musste das Osmanische Reich deshalb auch gegen den arabischen Nationalismus kämpfen.

Seine wirtschaftliche Schwäche und der Umstand, dass nahezu seine gesamten Finanzen von

ausländischen Mächten kontrolliert wurden, schränkten dabei die Handlungsfähigkeit des

Osmanischen Reiches erheblich ein.227 Die Gebietsabtrennungen vom Reich, die die Geburt

neuer Staaten und somit die Genese der modernen nahöstlichen Geopolitik markierten,

vollzogen sich unter diesen Vorzeichen. Als erste Länder trennten sich Algerien und Tunesien

225 ebd., S. 304-309 226 Für eine detaillierte Analyse über den Niedergang des Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert siehe Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 42 227 vgl.ebd.

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vom Reich (1830 und 1881). Das von Frankreich kontrollierte Ägypten gelangte 1881 direkt

unter britische Kontrolle, auch wenn es offiziell noch als osmanisches Gebiet galt. Und 1911

besetzte Italien das letzte osmanische Territorium in Nordafrika, nämlich Lybien.228

Angesichts dieser Entwicklungen paktierte die osmanische Regierung mit Deutschland, um

ihre letzten verbliebenen nahöstlichen Territorien zu retten. Berlin offerierte dem Reich

großzügig Hilfe, was sich symbolisch in dem Bauauftrag für die „Bagdadbahn“ von Berlin

nach Bagdad ausdrückte.229 Die Eisenbahn sollte bis zum Hedschas verlängert werden. Doch

da Europa offensichtlich auf eine große kriegerische Aus-einandersetzung zusteuerte, nämlich

den 1. Weltkrieg, erschien es zwecklos, den Nahen Osten stärker an Istanbul, die Zentrale des

Osmanischen Reiches, koppeln zu wollen. Zusätzlich erscherte die Allianz mit Deutschland

die Lage im Osmanischen Reich, weil das Deutsche Reich nicht stark genug war, um aus dem

harten Kampf um die Neuaufteilung der Kolonien als Sieger hervorzugehen. Noch vor dem

Krieg, im Jahre 1904, hatten sich Großbritannien und Frankreich untereinander über die

Einverleibung Marokkos und Ägyptens geeinigt. Gegen Deutschland hatte sich ein neuer

Machtblock gebildet. Das koppelte das Schicksal des Osmanischen Reiches noch stärker an

Deutschland.230 Als der 1. Weltkrieg ausbrach, nahmen die Osmanen wie erwartet ihren Platz

neben dem Dreibund ein. Mit der Niederlage gingen auch die Gebiete im Nahen Osten an

Großbritannien und Frankreich über. Beide Staaten hatten schon vor Kriegsende die Gebiete

untereinander aufgeteilt.

228 vgl. Benoist-Mechin, Jaques: The End of The Ottoman Empire, (ISBN 3-89434-008-8) 229 für eine anschauliche Geschichte der Bagdadbahn siehe Pohl, Manfred: Von Istanbul nach Bagdad; Piper Verlag 1999, S. 21 230 vgl. ebd.

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7.2 Geopolitischer Strukturwandel in der Ära zwischen den beiden Welt-

kriegen

Den arabischen Aufständischen, die im Nahen Osten zusammen mit den britischen und

französischen Armeen gegen die Osmanen gekämpft hatten, wurde die ihnen versprochene

Unabhängigkeit nicht sofort verliehen. Großbritannien und Frankreich hatten die arabischen

Gebiete gemäß ihres Bedarfs an Rohstoffen und um ein Machtgleichgewicht untereinander

herzustellen, in Einflussphären aufgeteilt. Dennoch sollte es beiden Staaten nicht gelingen,

sich als Besatzungsmächte in der Region zu halten.

Nach dem 1. Weltkrieg wurde gemäß dem 14-Punkte-Programm von Woodrow Wilson und

dem Leninschen Prinzip über die Selbstbestimmung der Völker beschlossen, direkte

Kolonialherrschaft durch sogenannte Mandate zu ersetzen. Diese Länder sollten unter der

Obhut des Völkerbundes als Vorläufer der Vereinten Nationen auf ihre künftige

Unabhängigkeit vorbereitet werden. So verwandelten sich der Irak, Palästina und der

Transjordan in britische Mandate, während Libanon und Syrien unter französisches Mandat

kamen. In Ägypten wurde eine Monarchie unter britischer Kontrolle errichtet. Gleichzeitig

blieben die arabisch sprechenden Regionen Nordafrikas (oder des westlichen Nahen Ostens)

als Kolonien bestehen (Algerien, Marokko und Tunesien französisch, Lybien italienisch).

Kuweit behielt seinen Charakter als englische Kolonie.231

Bei der Auswahl der Regierenden dieser nach dem 1. Weltkrieg gebildeten politischen

Einheiten hatten Großbritannien und Frankreich zunächst das letzte Wort. So wurde in

Jordanien ein Herrscher aus Saudi-Arabien zum König ernannt. Auf der San-Remo-Konferenz

am 27. April 1920 teilten Großbritannien und Frankreich auch die Ölressourcen des Nahen

Ostens unter sich auf, was für die Zukunft der Region von verhängnisvoller Bedeutung

war.232 Wie von Kedourie dargelegt, haben diese beiden Staaten - nach vorangegangener

interner Aufteilung des Öls - Staatsverträge mit denjenigen Marionettenregierungen unter-

zeichnet, die sie selbst eingesetzt hatten. So entwickelten sich nach und nach in der Region

231 vgl. Kedourie, Elie: England and the Middle East, Bowes and Bowes, London 1956, S. 29 232 vgl. ebd.

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die reichen Eliten, die mit den Großmächten kollaborierten, während die Massen mehr oder

weniger in Armut versanken.Die Mandatsregimes blieben auf diese Weise bis zum Ende des

2. Weltkriegs bestehen. Danach wurde ihnen sukzessive ihre jeweilige Unabhängigkeit zuteil,

was zu wichtigen Veränderungen in der Geopolitik des Nahen Ostens führte. Mit dem

Rückzug der Briten 1970 aus dem Oman als letztem Kolonial- bzw. Mandatsgebiet wurde

dieser Prozess abgeschlossen.

Als die neue Türkische Republik 1923 gegründet wurde, fand sie sich in direkter Nach-

barschaft mit den Großmächten ihrer Zeit. Deshalb ging sie in ihrer Außenpolitik besonders

behutsam vor, zumal ihre finanziellen Ressourcen durch den 1. Weltkrieg und dem

darauffolgenden Befreiungskrieg völlig erschöpft waren. In den 20er Jahren hatte die Türkei

im Norden die UdSSR, im Süden durch die noch bestehenden Mandatsregimes

Großbritannien (im Irak) und Frankreich (in Syrien) als Nachbarn. Im Westen hatte sie wegen

der italienischen Herrschaft über die 12 Inseln der Ägäis mit Italien eine gemeinsame Grenze.

Mit dem Friedensabkommen von Lausanne 1923 war die Türkei in der Lage, außenpolitische

Spannungen mit diesen Staaten abzubauen. Ihr Hauptanliegen war es nun, ihre wirtschaftliche

Entwicklung voranzutreiben, um das “Niveau der zeitgenössischen Zivilisation” zu erreichen,

wie der Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk vorgegeben hatte. Um außenpolitische

Stabilität zu erlangen, akzeptierte die Türkei das Versailler System.233 Der politische Preis

dafür war, dass sie mit dem Abkommen von Lausanne auf jeden territorialen Anspruch

außerhalb ihrer neuen Grenzen verzichtete. Die Türkei entschloss sich, fortan für ihre durch

lange Kriege erschöpften Bevölkerung von 16 Millionen eine Status-Quo-Politik zu betreiben.

Der türkische Befreiungskampf hatte auch in der arabischen Welt seine Spuren hinterlassen.

Atatürk hatte während dieses Krieges betont, dass dies nicht nur der Krieg der Türkei gegen

die Besatzer war, sondern “das Anliegen aller unterdrückten Nationen des Ostens”.234 Damit

versuchte er sich die Unterstützung der muslimischen Welt zu sichern. Er erwartete davon

keinen materiellen Gewinn, etwa in Form von Geld oder Truppenunterstützung, aber ideellen

Beistand.

233 Bezeichnung für den am 28.06.1919 unterzeichneten und am 10.01.1920 in Kraft getretenen Friedensvertrag zwischen den 26 alliierten und assoziierten Mächten und dem Deutschen Reich zur Beendigung des 1.Weltkrieges (1914-1918) 234 ausführlich dazu Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integratinsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 56-77

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In den von Ankara235 veröffentlichten Erklärungen wurde behauptet, dass die “Besatzung

nicht nur gegen die Dynastie der Osmanen, sondern gegen die ganze islamische Welt

gerichtet” war, “die in dem Kalifat die einzige Stütze ihrer Freiheit und Unabhängigkeit”

hätte.236 Aber nach der Unterzeichnung des Abkommens von Lausanne wurden in der Türkei

radikale Reformen eingeleitet, die in der Türkei selbst als “Revolutionen” (Devrimler)

bezeichnet wurden und gleichsam zu weitreichenden Konsequenzen in ihren Außen-

beziehungn zu den arabischen Nachbarstaaten führten. Unter anderem wurde am 3. März

1924 das Kalifat237 abgeschafft.

Es bildet den Wendepunkt in den Beziehungen des jungen kemalistischen Regimes mit seinen

arabischen Nachbarn, denn ab diesem Zeitpunkt verschlechterten sich die Beziehungen zur

islamischen Welt rapide. Weitere Schritte auf dem Weg zur Etablierung des laizistischen

Systems wie das Verbot von islamischen Sektenhäusern oder das Verbot des Tragens von

religiöser Kleidung im öffentlichen Raum erzeugten nicht nur im Inland negative Reaktionen.

Die muslimische Bevölkerung vernomm dies als Einheitsverlust der islamischen Welt.

Dennoch darf nicht verkannt werden, dass das Kalifat nur noch eine symbolische Bedeutung

und keinen konkreten Einfluss mehr auf die Muslime im Ausland hatte. Die souveränen

Staaten hätten sich im neuen Weltstaatensystem nach dem 1. Weltkrieg ohnehin nicht mehr

unter das Kalifat eingeordnet, wenn es in Istanbul fortbestanden hätte. Das war für die

Gründungsväter der Republik bereits im 1. Weltkrieg zu erkennen, als die Araber trotz der

“Dschihad-Erklärung” des Kalifats gemeinsam mit den christlichen Briten gegen die

muslimischen Osmanen gekämpft hatten. In den Augen Ankaras wurden deshalb die

Reaktionen in der arabischen Welt gegen die Abschaffung des Kalifats ebenfalls von den

imperialistischen Briten und Franzosen gesteuert.238 Eine andere Beurteilung der Sachlage

ergab sich für die südasiatischen Muslime, für die die Abschaffung des Kalifats einem Schock

gleichte. Da beispielsweise am indischen Subkontinent die Zahl der Muslime weit geringer

235 Ankara, seit 1923 Hauptstadt der Türkei, im nördlichen Zentralanatolien, am Südrand des Pontischen Gebirges gelegen. Die von Europäern bis 1930 Angora genannte Stadt ist nach Istanbul die zweitgrößte Metropole des Landes. 236 a.a.O, S. 55 237 Eine Institution des weltlich-religiösen Herrschers in der muslimischen Welt. Das osmanische Kalifat dauerte vom Anfang des 14. Jahrhunderts bis zum Jahre 1924 238 Die Türkei hatte die Mandatsregime nie anerkennen wollen. Trotzdem haben einige arabische Vertreter in Lausanne gegen die türkischen Forderungen plädiert

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als die der Hindus war, würde nun die indische Unabhängigkeit von den Briten nicht

unbedingt auch die Unabhängigkeit der Muslime bedeuten. Der Islam und das Kalifat

symbolisierte für diese Bevölkerungsgruppe im Subkontinent das Hauptunterscheidungs-

merkmal von der Mehrheitsgesellschaft. Zugleich strebten sie für ihre Unabhängigkeit

türkische Unterstützung an, was durch die veränderten Umstände nun nicht mehr in Frage

kam und sie zwang, sich mit der neuen Situation zu arrangieren.

Zunächst hatte die Türkei mit ihrem “Herauswurf der Imperialisten” in der islamischen Welt

hohes Prestige erlangt, was wiederum durch die nunmehrigen prowestlichen und radikalen

Reformen in Frage gestellt wurde. Die Propaganda, dass die Türkei sich “vom Glauben

verabschiedet” habe, ging in den Nahostländern herum. Aber nicht nur religiös motivierte

Bedenken spielten eine Rolle, sondern gleichsam auch machtpolitische Erwägungen. In den

Nachbarländern stieg nämlich die Angst, dass eine durch die Reformen erstarkte Türkei einen

maßgebenden Einfluss auf die Region Nahost gewinnen könnte und sie neue

Territorialansprüche stellen könnte. Beide Faktoren führten zu einer deutlichen Abkühlung in

den Beziehungen zu den arabischen Nachbarn.

Die Kritik an der Abschaffung des Kalifats und an den radikalen, laizistischen Reformen

erreichte 1924 ihren Höhepunkt und blieb bis 1930 auf hohem Niveau bestehen. Danach

verlor sich das Interesse an der Türkei nach und nach. Nachdem sie 1926 mit dem Verzicht

auf Mossul auch ihren letzten Territorialkonflikt zum Nahen Osten geklärt hatte, blieben die

Beziehungen gut, wenn auch auf niedrigem Niveau zurückhaltend. Dass die Türkei selbst am

arabischen Territorialgeschehen wie auch an den Unabhängigkeitsbestrebungen der

arabischen Völker kein Interesse zeigten, ist auch auf psychologische Faktoren zurückzu-

führen.

Der angebliche “arabische Verrat” im 1. Weltkrieg war im Gedächtnis der Gründungsväter

der Türkei sehr präsent. Noch immer war sie nicht in der Lage, militärisch die volle Sicherheit

ihrer Meerengen zu gewährleisten und konnte deshalb eine direkte Konfrontation mit den

Briten oder Franzosen nicht ins Auge fassen. In der arabischen Welt herrschte zudem die

Auffassung, die osmanisch-türkische Besatzung habe die Araber um Jahrhunderte

zurückgeworfen. Außerdem gingen in der arabischen Welt antiwestliche Strömungen mit

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antitürkischen einher. Die arabischen Führer kritisierten den ausgesprochen prowestlichen

Kurs der Türkei heftig. Mit dem “Anschluss” Hatays (Iskenderun / Alexandria) an die Türkei

wurde das letzte Problem mit Syrien durch Verhandlungen mit dem Mandatsträger Frankreich

gelöst.

7.3 Der Nahe Osten als Frontregion im Kalten Krieg (1945-1991)

Die wichtigsten Entwicklungen nach dem 2. Weltkrieg, die die Geopolitik des Nahen Ostens

und die Balance of Power in der Region prägten, lassen sich wie folgt festhalten:

� Die Unabhängigkeit der Länder, die bis dahin unter Mandat standen;

� Der UNO-Beschluss vom 29. November 1947 über die Teilung des ehemaligen

britischen Mandatsgebietes Palästina und die Gründung des Staates Israel am 14. Mai

1948;

� Der Beginn des Kalten Krieges und der wachsende Druck auf die neuen unab-

hängigen Staaten des Nahen Ostens, sich zwischen der westlichen und der östlichen

Allianz zu entscheiden;

� Die Politik der neuen Supermacht USA, durch Waffenverkäufe an nahöstliche

Regimes ihre sogenannten Petro-Dollars nach Amerika zurückzuholen.

Gleichzeitig bildete sich in manchen neuen unabhängigen Staaten der Region eine

panarabische Bewegung, die sich in der Parteienlandschaft unter dem Kürzel Baath etablierte

und die sich zuerst in Ägypten, dann in Syrien durch Militärcorps an die Macht putschte.239

Diese neuen Regimes hingen dem arabischen Nationalismus an und hielten die nationale

Unabhängigkeit hoch. Gleichzeitig verfolgten sie eine feindliche Politik gegenüber Israel, was

sie politisch von den USA entfernte und der UdSSR näher brachte. Die bekannteste dieser

Bewegungen ist das Regime des Gamal Abdel Nasser, der 1955 in Ägypten an die Macht

kam. Dass Nasser und die anderen sozialistischen Regierungen der arabischen Staaten auf

239 Eine ausführliche Geschichte des arabischen Nationalismus siehe bei Tibi, Bassam: Zum Nationalismus in der Dritten Welt am arabischen Beispiel, Europäische Verlagsantalt, 1991, S. 45-83

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einer nationalen Verwertung ihrer Ölquellen beharrten, wurde zu einem der Hauptgründe für

die Abkühlung ihrer Beziehungen zu den westlichen Mächten.240

Die Annäherung der sozialistischen arabischen Staaten an die UdSSR ließ zwangsläufig die

Beziehungen zwischen Israel und den USA enger werden. Israel begann mit amerikanischer

Rückendeckung, sich wie eine polizeiliche Aufsichtsmacht der USA in der Region zu

verhalten. Aus den sich ergebenen Auseinandersetzungen und für die arabischen Länder

erfolglosen Kriegen der Jahre 1955, 1967 und 1974 ging Israel erstarkt hervor. Das führte

aber auch dazu, dass die arabischen Nationalisten die Hoffnung an einen Sieg ihrer von der

Sowjetunion unterstützten Heere aufgaben und den Guerillakrieg als einzigen Ausweg

initiierten. Unter diesen Bedingungen ging die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation)

hervor.

Es scheint nicht angemessen beurteilt zu sein, von einer „Rolle“ der Türkei in den oben

beschriebenen Entwicklungen im Nahen Osten zu sprechen. Konstatiert werden kann, dass die

Türkei in dieser Periode tatsächlich in einem statischen Verhältnis zu ihren Nachbarn zu

sehen ist. Der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk war auch selbst am arabischen Raum

nicht interessiert – den türkischen Gründungsvätern der Republik waren die ehemaligen

arabischen Untertanen des Osmanischen Reiches zumindest „suspekt“, wenn nicht

„unsympathisch“, weil sie ihnen „Verrat“ anlasteten: Die arabischen Stämme hatten sich mit

den Engländern verbündet und das Osmanische Reich in seiner schwierigsten Phase

„hinterrücks angegriffen“. Der Diskurs über den Verrat der Araber am Osmanischen Reich

ging einher mit Versuchen, den arabischen Einfluss in Kultur und Gesellschaft einzudämmen.

Atatürk ließ den Gebetsruf in Türkisch vortragen und unterstützte alle Bemühungen, auch im

religiösen Bereich den Einfluss des Arabischen zurückzudrängen.241 Eine neue türkische

Kultur und Geschichte sollte wieder entdeckt und wo nicht vorhanden, neu formuliert werden.

Die Abgrenzung vom Nahen Osten und die Hinwendung zum Westen, zu Europa, der nach

Atatürk „einzig gültigen Zivilisation auf der Welt“,242 schlug sich deshalb auch in der

Außenpolitik nieder.

240 vgl. ebd. 241 vgl. Steinbach, Udo: Islamischer Staat Türkei?, in: Internationale Politik, August 1997, S. 53 242 vgl. Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 57

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Ihre Nachbarschaft zur Sowjetunion machte die Türkei während dieser gesamten Periode für

die westlichen Länder strategisch außerordentlich wichtig. Angesichts der beschleunigten

Aufrüstung der Ostblockstaaten im Balkangebiet setzte sich das US-amerikanische Militär

gegenüber der Administration für eine türkische NATO-Mitgliedschaft ein, um den

südöstlichen Flügel der Allianz zu stärken.243 Das NATO-Mitglied Türkei und der Iran

wurden und blieben in dieser Zeit die bedeutendsten Partner des Westens im Nahen Osten.

Das empfanden die türkischen Eliten als eine Bestätigung ihrer Hinwendung zum Westen und

ihrer Abwendung vom arabischen Raum.

Aus der Sicht der US-Politik war es nicht möglich, in einem dieser beiden Länder, im Iran

oder der Türkei, ein sei es auch kapitalistisches Regime zu erdulden, das mit der UdSSR

zusammenarbeitete. Die Entwicklungen im Iran nach dem 2. Weltkrieg bilden den klaren

Beweis für diese Haltung. Dr. Mohammed Mossadeq kam 1951 im Iran an die Macht und

initiierte anfangs, nachdem er die Regierung von seinen probritischen Vorgängern

übernommen hatte, einige Gesetze, die sich an der US-Verfassung orientierten. Dabei hoffte

er, die Unterstützung der USA gegen den europäischen Imperialismus mobilisieren zu

können. Aber als er einen Teil des iranischen Öls verstaatlichte, wurde die Mossadeq-

Regierung durch eine gemeinsame verdeckte Operation der USA und Großbritanniens 1953

gestürzt und das Schah-Regime rekonstituiert.244 Diese Operation, die im Rahmen der

„Eindämmungsdoktrin“ (Containment) gegenüber der UdSSR stattfand, war der eindeutige

Beweis dafür, dass die USA in der Region keine Entwicklung dulden würden, die außer

Kontrolle geriet. Der Vorschlag Henry Kissingers245, den reichen Ölstaaten des Nahen Ostens

massiv Waffen zu verkaufen, um die Petro-Dollars in die US-Kassen zurückzuholen, bildete

eine der Grundsäulen der US-Politik in der Region. Die anderen strategischen Säulen 243 Kuniholm, Bruce R.: Turkey and the West since World War II, in: Mastny, V. und R. C. Nation (Hrsg.): Turkey between East and West: new challenges for a rising regional power, 1996, S. 49 244 Gasiorowski, M.: U.S. Foreign Policy towards Iran during the Mussadiq Era, in: Lesch, D. W. (Hrsg.): The Middle East and the United States. A Historical and Political Reassessment, Boulder, 1996, S. 51-66 245 Neokonservatismus ist ein Bestandteil der US-Außenpolitik. Sehr deutlich hat der damalige US-Außenminister Kissinger im Jahre 1973 in einer Rede zum so genannten “Europa-Jahr” zum Ausdruck gebracht, Europa müsste begreifen, dass die USA globale Verantwortung trüge, und dass andere Länder - Europa miteingeschlossen - regionale Verantwortung hätten. Letztere müssten im globalen Verantwortungsrahmen ihren Platz finden. Europa solle sehr vorsichtig sein, warnte Henry Kissinger, es dürfe nicht in Richtung Unabhängigkeit gehen. Es sei wünschenswert, dass sie ihre inneren Angelegenheiten intern regeln und sich um ihre Peripherie kümmern würden. Aber es seien dagegen die USA, die für globale Ordnung sorgen würden. Der Journalist Seymour Hersh hat die “Year of Europe”- Rede von Kissinger in seinem Buch “The Price of Power” in den Kontext der damaligen US-Politik gestellt. Das entsprechende Kapitel ist nach zulesen unter: www.thirdworldtraveler.com/ Kissinger/Price_Of_Power_TPOP.html

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bestanden aus dem NATO-Mitglied Türkei, dem prowestlichen Iran und Israel. Festgehalten

werden kann deshalb: Die Türkei wurde während des ganzen Kalten Krieges als ein NATO-

Verbündeter gegen die Sowjetunion aufgerüstet. Damit sie auch ihre eigenen linken

Bewegungen unterdrücken konnte, bekam sie zusätzlich massive Hilfe aus dem Westen. Aber

der Westen erlaubte ihr nicht, sich in die Nahostpolitik einzumischen, und sie selbst zeigte

auch wenig Interesse an einer solchen Einmischung. Der Nahe Osten galt für die Türkei

sowohl kulturell als auch politisch als eine Region, von der sie sich zugunsten eines

Anschlusses an den Westen abkoppeln wollte.

Zum Ende des Kalten Krieges hatte sich im Nahen Osten (außer den nach Westverständnis

beschränkten und brüchigen Demokratien in der Türkei und in Israel) kein einziges wirklich

demokratisches Regime herausgebildet. Trotz des immensen Reichtums an Ölvorräten lebten

die Völker des Nahen Ostens weitgehend in Armut. Die Bemühungen, die nach westlichen

Maßstäben undemokratischen Lebensbedingungen in weiten Teilen des Nahen Ostens zu

verändern, brachten keine nennenswerten Erfolge. Im Kalten Krieg kam es weniger auf die

Demokratisierungsentwicklungen in einem Land an als darauf, in welchem Lager es sich

befand. Wenn sich Königreiche oder Einparteienstaaten mit traditionellen Gesellschaften

paaren, entsteht wie in den Nahostländern oft ein fruchtbarer Boden für radikale Bewegungen

oder unerwartete soziale Explosionen.

In der Ära nach dem Kalten Krieg, die mit dem Zerfall und damit dem Rückzug der UdSSR

aus dem Lager der Supermächte begann, sollte der Nahe Osten neu strukturiert werden. Aber

entgegen den Erwartungen wird die Region seitdem immer komplexer, ärmer und die

Auseinandersetzungen blutiger. Die Verwertung des Öls, der Palästina-Konflikt und die in

letzter Zeit aktuell gewordene Frage der Gründung eines Kurdenstaates sind die wichtigsten

Problemkonstellationen der Region, die alle Staaten des Nahen Ostens und darüber hinaus die

ganze Welt politisch betreffen. Im Verlauf der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts begann die

Türkei als ein Staat, der in Zentralasien und im Kaukasus wichtige Beziehungen nicht nur zu

den Turkrepubliken geknüpft hatte246, eine offensivere politische und wirtschaftliche Rolle im

Nahen Osten zu übernehmen, was in Kapitel 8 eingehend untersucht wird.

246 So besuchte der damalige Präsident Turgut Özal im März 1991 im Zuge eines Staatsbesuches in Moskau unter anderem auch Alma Ata und Baku, um mit den dortigen Regierungen Wirtschaftsvereinbarungen abzuschließen. Vgl. für einen Überblick Türkkaya, Ataöv: Turkey`s Expanding Relations with the CIS and Eastern Europe, in: Clement H.Dodd (Hrsg.): Turkish Foreign Policiy - New Prospects, Huntingdon (U.K.) 1992, S. 91-97 und 101-106

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KAPITEL 8: Politökonomische Bedeutung des Nahen Ostens im

Kontext neu strukturierter Machtkonstallationen

nach dem Kalten Krieg

Nach der Genese der politischen Geschichte des Nahen Ostens ist eine Zuwendung zu den

veränderlichen Faktoren erforderlich, die die geopolitischen und ökonomischen Parameter der

Region darstellen. Die politischen Gebilde im Nahen Osten, seine soziale Zusammensetzung,

die Beziehungen zwischen dem Westen und der Region sowie die Haupttagesordnungspunkte

der nahöstlichen Politik sind die wesentlichen Bereiche, die in diesem Kontext vor dem

Hintergrund neuer weltpolitischer Machtverhältnisse zu analysieren sind.

Der Ausdruck „Naher Osten“ bezeichnet eine von Europa, im Besonderen von Groß-

britannien so benannte geographische Region. Wenn eine neutralere Bezeichnung gewählt

worden wäre, hätte man die Region vielleicht besser „Südwestasien” oder „Nordostafrika”

nennen können. Aber die Bezeichnung „Naher (oder Mittlerer) Osten” hat sich durch

immerwährenden Gebrauch in der jüngeren Geschichte der akademischen und politischen

Welt etabliert.

Trotzdem umschreiben verschiedene Autoren mit dem Begriff „Naher (Mittlerer) Osten”

unterschiedliche geographische Räume.247 Nach allgemeiner Auffassung umfasst der Nahe

Osten heute die Länder Türkei, Libanon, Syrien, Israel, das palästinensische Gebiet,

Jordanien, Ägypten, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Kuweit, Bahrein, Qatar, die Vereinigten

Arabischen Emirate, Amman und Jemen. Manche politische Geographen schliessen auch

nordafrikanische Länder wie Lybien, Marokko, Tunesien und Algerien mit ein; andere zählen

noch den Sudan hinzu, weil er Mitglied der Arabischen Liga ist. Wer den Nahen Osten eher

als „Mittleren Osten” definieren möchte, addiert noch Afghanistan und Pakistan, ja sogar

247 Zur Definition des Nahen und Mittleren Ostens siehe Brown, Carl L.: Politics and Middle East, Princeton 1984, S. 5 ff.; Davison, Roderik H.: Where is the Middle East, in: Nolte, Richard H. (Hrsg.): The Modern Middle East, New York 1963, S. 13-29; Hurewitz, Jacob C.: Middle East Politics. The Military Dimension, New York 1969, S. 3

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Zypern und Griechenland dazu.248 Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es

darüber hinaus Analytiker, die die zentralasiatischen und kaukasischen Staaten (insgesamt

acht Länder) unter dem Begriff „Greater Middle East” zusammenfassen.249

Vorliegend soll auch der „Nahe Osten” ein Gebiet umschreiben, das in gängiger Weise

Kleinasien einschliesst, aber Nordafrika (mit Ausnahme von Ägypten), Kaukasien und

Zentralasien nicht mit einbezieht. Es macht hier auch wenig Sinn, in einer Analyse über den

Nahen Osten mit Fokusierung auf die Türkei die Region in einem möglichst weiten Sinne zu

definieren.

Der Nahe Osten wird im Westen vielfach als ein an sich homogener Raum dargestellt.

Dennoch besteht die Region aus sehr unterschiedlichen ethnischen, religiösen und

sprachlichen Gruppierungen. Die Unterschiede sind damit sicherlich nicht erschöpft, denn die

Region ist auch in Hinblick auf Klima, Bevölkerungsdichte, soziokulturelle und wirtschaft-

liche Eigenschaften sehr vielfältig. Zu bemerken ist indessen, dass die ethnische Herkunft und

die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Strömungen des Islam von all diesen unterschied-

lichen Merkmalen stets eine sehr hervorgehobene und kritische Rolle bei der politischen

Entwicklung gespielt haben. 250

Die Region lässt sich hinsichtlich ihrer ethnischen Zusammensetzung in zwei Hauptgruppen

einteilen, nämlich Araber und Nichtaraber. Die Araber machen in 12 von 15 Ländern der

Region die dominante Ethnie aus. Nichtaraber lassen sich in Nationen mit einem eigenen

Staat (Türkei, Iran, israelische Juden) und ethnische Gruppen ohne einen eigenen Staat

(Minderheiten) einteilen - die Kopten in Ägypten und die Assyrer (oder Suryani) im Iran, in

Syrien, der Türkei und dem Irak sind dabei nennenswert. Die größte ethnische Gruppe der

Region ohne einen eigenen Staat sind zweifellos die Kurden, die über die Türkei, den Irak,

Iran und Syrien verteilt leben.

Vor einer Analyse der Akteure und deren Machtpotenzial im Nahen Osten sollte eine wichtige

Feststellung über die allgemeine Dynamik der Region erfolgen: Der Nahe Osten befindet sich

248 Ghosher, Baher A.: Making Sense of Middle Esat Geopolitics, Focus, Winter 1992, Vol.42, Nr. 4, S. 20-25, insb. S. 21 249 vgl. Menashiri, David: Central Asia Meets the Middle East, Frank Cass Publ., London 1998, S. 13 ff. 250 Für eine kurze, aber griffige Analyse siehe Steinbach, Udo: Politisches Lexikon Nahost, 2. Auflage, C.H.Beck Verlag 1992, S. 54

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in einer geostrategisch und für politische und wirtschaftliche Interessen äußerst wichtigen

Lage. Das Gebiet liegt am Schnittpunkt dreier Kontinente, was sowohl Vor- als auch

Nachteile mit sich bringt. Die Region kann man auch kurz als Afro-Eurasien bezeichnen.

Aufgrund ihrer Lage hat die Region seit jeher die Vorteile des Handels genossen, wurde aber

auch zur Kampfarena fremder Mächte, die den durch Handel akkumulierten Reichtum unter

ihre Kontrolle bringen wollten und wollen.

Mit dem Bau des Suez-Kanals und der Förderung von Öl als lebenswichtigem Rohstoff der

Weltwirtschaft (beide Entwicklungen fielen ungefähr in dieselbe Zeit) wuchs die

geostrategische Bedeutung des Nahen Ostens immens. Die Staaten des Nahen Ostens

kristallisierten sich erst nach dem 1. Weltkrieg heraus. Ethnische und religiöse Differenzen

wurden durch ehemalige Kolonialmächte mit einer Politik des „Teilens und Herrschens”

gefördert, so dass der Nahe Osten heute immer noch als ein „Hexenkessel” internationaler

Politik bezeichnet wird. Alle Grenzen der Staaten außer denen der Türkei und des Iran

scheinen mit einem Lineal gezogen worden zu sein. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen

historisch gewachsenen politischen Gebilden aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörig-

keiten. Ganz im Gegenteil hatte es die Politik des Teilens und Herrschens zum Ziel, kon-

kurrierende Volks- oder Religionsgruppen in einem Staatsgebilde in ständiger gegenseitiger

Spannung leben zu lassen.

Das Gebiet des Osmanischen Reiches, das am Ende des 1. Weltkriegs zu den besiegten

Staaten gehörte, wurde durch das Abkommen von Sykes-Picot zwischen Großbritannien und

Frankreich aufgeteilt. Hier wurden sog. Mandats-Staaten gegründet, deren Grenzen oft

tatsächlich auf der Landkarte mit einem Lineal gezeichnet worden sind. Das hatte eine große

Wirkung auf die arabischen Länder. Die Araber blieben auf viele Staaten aufgeteilt. Außer

einem Experiment unter Nasser konnte der Traum eines gemeinsamen arabischen Staates bis

heute nicht verwirklicht werden.

Die für den Nahen Osten im Abkommen von Sykes-Picot festgelegten Grenzen wurden

ergänzt durch den Partitions-Plan der UNO von 1947, der in Palästina die Gründung eines

jüdischen Staates vorsah. Sowohl dieser erste Plan als auch seine Ergänzung von 1948

wurden zur Ursache vieler sozialer und politischer Probleme im Nahen Osten von heute.

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Die Auswirkungen der Politik des Teilens und Herrschens haben sich vor allem im Kalten

Krieg (wie im vorherigen Kapitel dargestellt) auf verheerende Weise gezeigt. Ab 1990, als der

Kalte Krieg zu Ende ging, schien zuerst auch im Nahen Osten eine Zeit des Wandels und

Friedens einzukehren. Dennoch konnte von Stabilität nicht die Rede sein: die Region schritt

in eines von Instabilität und massiver Gewalt geprägtes Zeitalter. Das Gebiet, das in den

Augen des Westens zu einem Human-Ressources-Lager in Sachen “islamischer Fundamen-

talismus” wurde, geriet zur Hauptzielscheibe des “War on Terrorism”.251 Anders ausgedrückt

kann man durchaus die Behauptung aufstellen, dass der Kalte Krieg im Nahen Osten die

gesamten 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hindurch weiter andauerte. Es darf als illusorisch

bezeichnet werden, dass hier im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch Frieden einkehren

kann, was sicherlich der neuen Weltordnung nach 1990 und dem Umstand zu verdanken ist,

dass die USA nach 1990 zur einzigen Weltmacht aufstieg und die Politik im Nahen Osten

weitgehend allein bestimmen konnte.

Heute versuchen die USA, eine neue Initiative namens „The Greater Middle East Project“ zu

entwickeln und umzusetzen, um die in ihren Augen bestehenden Mängel der bisherigen US-

Politik in der Region zu beseitigen. Jenseits von primär ökonomischen Zielen soll damit vor

allem die Demokratisierung in der Region vorangetrieben werden, die schlussendlich aber

auch die Basis für einen freien kapitalistischen Markt liefern soll. Wie in Kapitel 8.3 näher

erläutert wird, handelt es sich hierbei aber lediglich um ein Projekt und nicht um eine voll

ausgestaltete Politik; wie es in die Tat umgesetzt werden wird, ist heute nicht vorhersehbar.

Unbestritten ist aber, dass der Nahe Osten die zentrale Region ökonomischer Interessen ist,

die den Weltmarkt unter Vorherrschaft der USA bestimmt.

251 Gerges, Fawaz A.: America and Political Islam: Clash of Cultures or Clash of Interests?, 1999, S. 21ff.

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8.1 „Die Neue Weltordnung“ – Machtpolitischer Strukturwandel in der

Region

Der Kalte Krieg endete mit dem Zusammenbruch der UdSSR. Die USA hatten dieses Ende

zwar herbeigesehnt und jahrzehntelang mit allen militärischen, ökonomischen und politischen

Mitteln tatkräftig unterstützt; als es jedoch so weit war, blieben auch sie erst einmal mit der

entstandenen neuen außenpolitischen Aufgabensituation zurück. Die Herausbildung eines

diesen Verhältnissen angepassten sicherheits- und außenpolitischen Konzeptes der USA

dauerte lange. Der Golfkrieg wurde zum ersten Testfeld dieser neuen amerikanischen

Weltpolitik. Unstreitig kann festgestellt werden, dass die USA in diesem Zeitalter und der

neugewonnenen Weltmachtmonopolstellung eine egozentrische Politik verfolgten und hierin

die anderen Staaten der Welt und vor allem die Entscheidungsmechanismen der Vereinten

Nationen mehrfach missachteten.

Auf den Golfkrieg folgten die Kriege und Tragödien im damaligen Jugoslawien. In

Jugoslawien wurde versucht, die serbische Dominanz beizubehalten; auf der anderen Seite

drängten die anderen Völker nach Unabhängigkeit, Autonomie, zumindest größere Freiheit

nach westlichem Verständnis. Das bisweilen harmonische Zusammenleben der Menschen aus

Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Kosovo, das für

das 20. Jahrhundert beispielhaft gewesen war, wurde den Expansionsbestrebungen Serbiens

bzw. den selbsternannten Zielvorstellungen eines “Groß-Serbien” geopfert. Bis dahin hatten

die USA eine gemäßigte Politik verfolgt, die an dem bestehenden Gleichgewicht festzuhalten

schien oder es zumindest nicht überstürzt verändern wollte. In dieser sensiblen Übergangs-

phase, als sich die politischen Diskussionen um die Frage drehten, ob das internationale

bipolare System von einem multipolaren oder unilateralen System abgelöst würde, verfolgten

die USA eine eher gemäßigte, zurückhaltende Politik.252 Nur kurze Zeit später meldeten die

USA indessen ihre Hegemonialansprüche auf dem Balkan an, diesmal hingegen in

Zusammenarbeit mit der NATO. Eine Verfestigung ihrer Vormachtstellung war damit

gleichzeitig verbunden.

252 Xhudo, Gazmen: Diplomacy and Crisis Management in the Balkans, MacMillan Press, London 1996, S. 82

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Zu Beginn der 90er Jahre hatte das Ende des Kalten Krieges auch im Nahen Osten zu der

Hoffnung geführt, dass die jahrzehntelang fest gefahrenen Probleme eine Lösung erfahren

könnten. Dabei wurde zunächst die Interessenlage des irakischen Präsidenten Saddam

Hussein und seine anschließende Kuweit-Invasion außer Acht gelassen. Es kann sicherlich

nicht behauptet werden, dass der irakische Angriff auf Kuweit deshalb erfolgte, um eine

mögliche Lösung der Nahostfrage zu verhindern. Aber der Einmarsch irakischer Truppen in

Kuweit hat die damals geheimen Friedensgespräche in Norwegen über das Palästina-Problem

und somit einen möglichen Friedensschluss sicherlich sabo-tiert.

Im August 1990 wurde die nähere Zukunft der Welt, der USA, des Nahen Ostens und der

Türkei durch den Golfkrieg bestimmt. Der Platz und die politische Stellung, den der Irak noch

am Anfang des Jahres 1990 im Hinblick auf die USA, den Nahen Osten insgesamt und die

Türkei einnahm, ist ein ganz anderer als nach dem Golfkrieg im August 1990. Der Irak zog

jegliche politische Aufmerksamkeit auf sich. Die USA beschäftigten sich nun mit einer Frage,

die für sie primär vor der UdSSR, Jugoslawien, dem Iran, dem Libanon, Syrien und Lybien

stand und von äußester politischer Relevanz war.

Die US-amerikanischen Aktivitäten, die zur Erhaltung der eigenen Interessen und zur

Unterdrückung derer des Irak ausgelöst wurden, durchliefen verschiedene Etappen wie den

Besuch des damaligen US-Verteidigungsminister Dick Cheney bei der Saud-Familie in Riad,

die daran gekoppelte Erlaubnis für die USA, auf dem Gebiet Saudi-Arabiens Stützpunkte zu

errichten sowie die vorzeitige Schließung der Öl-Pipeline Irak-Türkei durch den damaligen

türkischen Präsidenten Turgut Özal. So zwangen die USA schlussendlich Saddam Hussein,

sich aus Kuweit zurückzuziehen - eine teure, aber schnelle Lösung.

Mit dem Ende dieses Golfkrieges veränderte sich die Weltlage und damit auch die politische

Richtung der USA wie auch der Türkei grundlegend. Die USA erklärten diese neue Richtung

als die „Neue Weltordnung”. Das Ende des ohnehin beendeten Kalten Krieges wurde der

Welt auf Malta verkündet. Die Sowjetunion unter dem Präsidenten Michail Gorbatschow

hatte dem Golfkrieg passiv zugesehen und keine andere Präsenz zeigen können. Der Nahe

Osten, der Kaukasus und Zentralasien hoben sich als die Regionen hervor, die im Zuge der

Neuen Weltordnung neu „strukturiert” werden sollten. Die „Neue Weltordnung” war ab

Anfang der 90er Jahre nicht etwa eine von den USA konzipierte und vorgelegte Politik. Die

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USA nahmen dieses neue Konzept nur als eine Weltmacht an und erwarteten von der übrigen

Welt, dass sie daran partizipierte. Die Neue Weltordnung ist eine Übergangsperiode nach dem

Kalten Krieg. Sie ist seit über zehn Jahren die beherrschende politische Ordnung. Auch wenn

die sog. Globalisierung und die Neue Weltordnung zeitgleich erfolgen, bedeutet das nicht,

dass sie sich gleichen. Die Globalisierung ist eine Entwicklung in der Welt, die lange zuvor

begonnen hat.

Eines der Leitmotive der Neuen Weltordnung ist die These von Samuel Huntington über den

„Kampf der Zivilisationen”.253 Die zentralen Prognosen waren, dass eine mögliche Spannung

zwischen dem Islam und dem Christentum das 21. Jahrhundert prägen würde und dass dieser

Kampf der Zivilisationen sich vor allem im Nahen Osten und in der angrenzenden Region

abspielen würde. Tatsächlich scheinen alle Entwicklungen der letzten 15 Jahre nach dem

Ende des Kalten Krieges diese These zu bestätigen. Zweifellos hängt das aber nicht etwa mit

der Richtigkeit der Kulturkriegsthese Huntingtons zusammen, sondern mit dem Kampf um

die politische und ökonomische Vorherrschaft in der Welt und die Kontrolle über die

wichtigsten Rohstoffressourcen.

8.2 Die Akteure der Nahostpolitik und ihr Machtpotenzial

Ein Blick auf die internationalen und regionalen Akteure, die seit dem Ende des Kalten

Krieges die Nahostpolitik prägen sowie die Spannungen und das Machtgleichgewicht

zwischen ihnen, ist notwendig, um die Bedeutung des Nahen Ostens in der türkischen

Außenpolitik aus einer breiteren Perspektive bestimmen zu können. Wenn von inter-

nationalen Mächten die Rede ist, muss an erster Stelle von den USA gesprochen werden, die

nach dem Zusammenbruch der UdSSR als einzige „Supermacht” geblieben sind. Keine

Region der Welt kann mehr ohne Einbeziehung der USA untersucht werden. Die Definition

der „Supermacht” lässt keine Ausnahmen zu. Wenn es gar um eine Region geht, wo nahezu

253 Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München, Wien 1996, S. 49

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zwei Drittel des Weltöls gefördert wird, kann keine politische Analyse ohne Einbeziehung des

Faktors USA auskommen. Die regionale Politik der USA, die es stets zum Ziel hatte, die

Energiequellen des Nahen Ostens zu kontrollieren, hat selbstverständlich unter verschiedenen

US-Präsidenten Veränderungen erfahren. Aber die außenpolitische Maxime, dass der Nahe

Osten eine Region ist, die auf jeden Fall unter Kontrolle gehalten werden muss, hat sich über

alle US-Regierungen hin erhalten.

Die USA erhalten diese Kontrolle über den Nahen Osten nicht nur über ihre Alliierten in der

Region aufrecht, sondern seit Anfang der 90er Jahre auch durch eigenständige, direkte

militärische Interventionen. Israel ist seit seiner Gründung 1948 der engste Verbündete der

USA im Nahen Osten geblieben. Als zweiten treuen Verbündeten kann die Türkei bezeichnet

werden. Wie in der Ära des Kalten Krieges als Frontstaat der NATO führt die Türkei seit den

90er Jahren ihre „strategische Partnerschaft” mit den USA weiter. Der Iran war, bis er mit der

Islamischen Revolution 1979 einen anti-amerikanischen Kurs einschlug, neben der Türkei ein

weiterer sehr wichtiger Verbündeter der USA. Nach der Machtübernahme panarabischer

Regierungen (Nasser in Ägypten, Assad in Syrien und Saddam Hussein im Irak) waren die

Beziehungen der arabischen Staaten zu den USA jedoch eher problematisch und

spannungsreich. Ägypten hatte 1972 seinen außenpolitischen Kurs gewechselt und von der

UdSSR weg in Richtung USA geschwenkt. Arabische Königreiche wie Saudi-Arabien und

Jordanien wiederum unterhalten kühle Beziehungen zu Israel, stehen den USA aber sehr nahe.

Dass heute wichtige Wirtschaftsmächte der Welt wie die Europäische Union (vor allem

Großbritannien, Deutschland und Frankreich), China, die Russische Föderation und Japan

eine gewisse Präsenz im Nahen Osten besitzen und einen Einfluss auf die dortigen

Entwicklungen ausüben, ist nicht zu leugnen. Aber dieser Einfluss ist nicht mit dem der USA

zu vergleichen.254 Die wichtigste Motivation der US-Politik im Nahen Osten ist ohne Zweifel

die Kontrolle über das Erdöl. Die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Aktivitäten

der USA in der Region sind die wichtigsten Faktoren, die die Geopolitik des Nahen Ostens

bestimmen, so dass eine Analyse ihrer Interessenlage und darauf ausgerichteten Nahostpolitik

erforderlich ist.

254 Kaiser, Karl; Steinbach, Udo: Deutsch-arabische Beziehungen: Bestimmungsfaktoren und Probleme einer Neuorientierung, Oldenbourg Verlag 1999, S. 32

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8.3 Die Nahostpolitik der USA und ihre Auswirkungen auf die

zwischenstaatlichen Kräfteverhältnisse in der Region

Mit ihrer Außenhandelspolitik verfolgen die USA das stetige Ziel, den Ölimport unter

Kontrolle zu bringen und den Preis niedrig zu halten. Dabei bedienen sie sich verschiedenster

Mechanismen.

8.3.1 Außenhandelspolitischer Ansatz

Der Einfluss der USA auf die Energie- und vor allem Ölpolitik im Nahen Osten wird durch

die Präsenz von Privatunternehmen (Energiekonzerne) in der Region verstärkt. Über Jahre

hinweg wurden US-Konzerne diesbezüglich gefördert, was zu weitreichenden Verflechtungen

mit den verschiedensten nahöstlichen Lieferstaaten und mit diesen zu wechselseitigen

finanziellen Abhängigkeiten (Kredite und Warenlieferungen aus den USA selbst) führte.

Seit den 50er Jahren haben die „Sieben Geschwister” namens Exxon, Chevron, Mobil,

Texaco, Gulf, Apoc und Shell ihre Aktivitäten hier ausgebaut. Das führte dazu, dass

sozusagen das Herz der Weltwirtschaft im Nahen Osten zu schlagen begann, und dass hier der

leiseste Hauch zu größeren Stürmen in der Weltwirtschaft führte. Der US-Präsident George

Bush sen. hat nach dem Golfkrieg 1991 betont, dass das nahöstliche Öl nur, wenn es in den

Händen befreundeter Staaten lag, sicher und gewiss in die Länder der freien Welt fliessen

würde. Dieser Grundsatz beeinflusst noch immer die außenpolitischen Beziehungen und das

internationale Machtgleichgewicht in der Region.

Der Nahe Osten besitzt drei Fünftel der Weltölreserven. Damit hat er ein großes Gewicht in

der globalen Energiepolitik. Wissenschaftlich fundierte Berechnungen des Ölpotenzials in

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Zentralasien255 und im Kaukasus (Kaspisches Meer) zeigen, dass diese Regionen weit davon

entfernt sind, eine ökonomische Alternative zum Nahen Osten darzustellen (siehe Tabelle 1).

Im Jahr 2000 kamen mehr als ein Drittel des Ölbedarfs Europas und vier Fünftel des

japanischen Ölverbrauchs aus dem Nahen Osten, was darauf schließen lässt, dass das Öl noch

lange Jahre das Schicksal des Nahen Ostens bestimmen wird. Die Internationale

Energieagentur (IEA) schätzt außerdem, dass der Anteil des Nahen Ostens an der

Erdölproduktion der Welt bis 2010 noch steigen wird.256

Tabelle 1: Die Verteilung der Weltölreserven

REGIONEN % in Prozent Tausend Millionen Barrels

Naher Osten 63,3 726,6

Süd- und Mittelamerika 8,9 102,2

Afrika 8,9 101,8

Ex-UdSSR 7,4 85,2

Nordamerika 5,5 63,6

Asien und Pazifik 4,2 47,7

Europa 1,8 20,7

Quelle: Webseite der BP (British Petroleum), http://www.bp.com/liveassets/bp_internet/globalbp/globalbp_uk_english/publications/energy_reviews/STAGING/local_assets/downloads/pdf/oil_section_2004.pdf, (Stand Ende 2003)

Die USA besitzen keine nennenswerten Ölreserven, aber ihre Wirtschaft fußt auf Erdöl. Die

USA haben in den 50er Jahren von Anfang an „gut verstanden“, dass Erdöl eine sehr gute

Gewinnquelle sein würde. Dazu kommt die Tatsache, dass Erdöl nicht nur wirtschaftlich, aber

auch politisch die Entwicklungen in der Welt seitdem mitbestimmt. Das Öl und sein

gesicherter freier Zugriff darauf stellt daher die größte Wichtigkeit und ökonomische

Motivation der USA dar, im Nahen Osten auf allen Ebenen zu intervenieren. Die USA setzen

255 Für umfassende Informationen über die Erdölreserven in Zentralasien siehe Götz, Roland: Die kaukasische Ölpipeline und der Welterdölmarkt, in: Bundesinstitut für ostwissenschafttliche und internationale Studien, Nr. 24, Köln 1998, S. 23 256 vgl. Die Zeit, 23.05.2001

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ihre politische und militärische Macht strategisch dafür ein, den Weltölmarkt zu etablieren

und abzusichern. Im Mittelpunkt der amerikanischen Orientpolitik stand zunächst die

Regelung des Energiemarktes, um Produktionsvolumen, Preise, Handelsstrukturen und

Energiepolitiken weltweit beeinflussen zu können.257 Es geht daher um eine elementare Preis-

und Versorgungsfrage für die USA, die den eigenen Ölbedarf selbst nicht decken kann.

Demzufolge stellt sie sich den Liefer- oder Ölstaaten vorerst mit der materiellen Wucht ihres

Vermögens gegenüber, für welches sie nicht nur Öl, sondern auch Zugriffsrechte und

Lizenzen einfordern. Dies geschah vor allem durch die Kooperation mit den Erdölkonzernen.

Anders ausgedrückt haben die USA aus den oben genannten Gründen diese reiche

Energiequelle in den unterentwickelten Staaten des Nahen Ostens durch unterschiedliche

Konzerne und ihre unveränderbare Politik unter ihre Kontrolle gebracht und deshalb nie unter

Erdölknappheit leiden müssen, obwohl sie selbst ihren Ölbedarf nicht decken können.

Der Platz, den das Erdöl in der US-Wirtschaft einnahm, brauchte nicht revidiert zu werden

und die Suche nach anderen Energiequellen kam nicht in Frage; ganz im Gegenteil wuchs die

Bedeutung des Öls in der US-Wirtschaft und Politik mit der Zeit. Mit ihrem Bedarf an Erdöl

wuchsen auch die Effektivität der US-Politik und der Einfluss der USA in der Region. Jede

Bewegung und jede örtliche Politik, die diesen Einfluss eindämmen wollte und die Rolle der

USA im Nahen Osten und den freien Fluss des Erdöls zu gefährden drohte, wurde von

amerikanischer Seite mit aller Vehemenz bekämpft.

Die US-Wirtschaft ist in ihrer Ausrichtung primär derart nach Erdöl ausgerichtet, dass die

Verdoppelung der Erdölpreise nach 1990 (auf 40 US-Dollar) die amerikanische Wirtschaft in

eine schwere Stagnation brachte. Heute verursacht ein Anstieg der Erdölpreise um 10 US-

Dollar ein Schrumpfen der US-Wirtschaft um 1%, was die Abhängigkeit der US-Wirtschaft

und der Weltwirtschaft vom Erdöl beweist. Die Erdölkonzerne aus den USA besitzen eine

sehr weit zurückreichende Geschichte im Nahen Osten.

Durch ihre privilegierte Stellung kontrollieren sie in Saudi-Arabien und Bahrein 100 Prozent

der Erdölförderung, in Kuweit 50 Prozent, außerdem 23,75 Prozent der Iraq Petroleum

Company und im Iran 40 Prozent des 1955 aktiv gewordenen internationalen Konsortiums.

257 Pawelka, Peter: Der Vordere Orient und die Internationale Politik; Stuttgart, Berlin, Köln 1993, S. 40-43

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Aufgrund ihrer Privilegien haben US-amerikanische Konzerne schon in den 40er Jahren in

Qatar, 1960 und 1970 in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Amman mit der

Erdölförderung begonnen. Diese Entwicklungen führten zur Entstehung von zweierlei

Landkarten im Nahen Osten: Die eine zeigt die bestehenden politischen und geographischen

Grenzen der Staaten. Die andere Karte zeigt die Einflusszonen und die Bereiche der

Erdölsuch- und Verarbeitungskonzessionen der Konzerne, die Namen wie IPC, AOC oder

ARAMCO tragen und eine Hauptrolle in der internationalen Politik spielen.

Die USA besaßen neben Erdölkonzessionen außerdem eine Formel, das Erdöl billiger

einzukaufen bzw. die zwischenstaatlichen Konkurrenzen im nahöstlichen Raum für eigene

Zwecke zu nutzen. Henry Kissingers Entwurf einer Politik der „Massive Arms Sales to

Middle East” (Waffen gegen Erdöl) war nichts anderes als ein kluger Plan, die für Erdöl in

die Region fließenden amerikanischen Dollars wieder in die USA zurückzuholen. Diese

Strategie ist seitdem eine der Hauptsäulen der US-Politik in der Region.258 Das Thema lässt

sich auch in einem anderen Licht betrachten: Alle entwickelten Staaten verfügen über eine

starke Rüstungsindustrie. Die Staaten in krisengeschüttelten Regionen und zum Teil mit

autoritären Regimes haben zur Aufrechterhaltung ihrer staatlichen Autorität und Souveränität

grundsätzlich einen Bedarf an Waffen mit höheren technischen Standards. Deshalb

wetteiferten viele Nahoststaaten miteinander, um von der hochentwickelten US-Technologie

auch im Rüstungsbereich Gebrauch machen zu können. Neben den wirtschaftlichen Verflech-

tungen privater US-Unternehmen sorgte die Politik der „Massive Arms Sales to Middle East”

für einen weiteren nachdrücklichen Einfluss in der nahöstlichen Region im Sinne der USA.

258 Hartung, William D.: “Breaking the Arms-Sales Addiction”, in: World Policy Journal,Winter 1990-91, S. 7

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8.3.2 Sicherheitspolitische Strategie

Wie in den vorherigen Abschnitten bereits behandelt, haben die USA ihre privilegierte

Stellung in der Region ausgebaut, um die Erdölförderung zu sichern. Andererseits wurde der

Profit durch die Politik „Waffen gegen Öl” maximiert. Das verursachte eine permanente

Instabilität in der Region, von der die Sicherheit des Westens abhing. Jeder neue Konflikt im

Nahen Osten erhöhte den Bedarf an neuen Waffenlieferungen, der von den hegemonialen

Mächten sogleich bedient wurde.

Die USA, die von 1960 bis 1970 ihre schwache Wirtschaft durch Waffenverkäufe in den

Nahen Osten ankurbelten, haben nach dem Krieg von 1973 ihren Waffenmarkt im Nahen

Osten mit Erfolg ausgedehnt. Die parallele Entwicklung zwischen dem Anstieg der

Erdölpreise nach der Krise von 1973 und der Zunahme an amerikanischen Waffenverkäufen

in die Region macht die gegenseitige Abhängigkeit beider Industriezweige beziehungsweise

die Kriegswirtschaft der USA transparent: Zwischen den Jahren 1973 und 1977 stieg der

Anteil Irans am gesamten Waffentransfer der USA in den Nahen Osten auf 42 Prozent; der

Anteil Saudi-Arabiens betrug von 1963 bis 1973 nur 16 Prozent, stieg jedoch in den Jahren

1973 bis 1977 auf 24 Prozent. 1974 fiel der Anteil Europas, Japans, Kanadas und Australiens

auf 14 Prozent, während der des Iran auf 45 Prozent stieg - eindrucksvolle Beweise für die

„Waffen-gegen-Öl-Politik“ in der Region. Auch der Krieg im Jahr 1980 zwischen dem Iran

und dem Irak diente in diesem Sinne vornehmlich den US-amerikanischen Interessen.259 Der

während des gesamten Krieges steigende Bedarf an Waffen erhöhte die Nachfrage nach

Rüstungsgütern, was zu mehr Erdölverkäufen in den Westen und zu einem rapiden Verfall der

Erdölpreise führte. Angesichts der halbierten Erdölpreise hat der Westen gegen weit weniger

Devisen viel mehr Öl einkaufen können. Seine Devisen holte er sich anschliessend mit

Waffenverkäufen an den Irak und den Iran zurück. Der Irak und Iran haben jahrelang

miteinander Krieg geführt. Wenn die eine Seite zu siegen drohte, wurde dem anderen gegen

Geld, das heißt gegen Erdöl ein bisschen mehr Waffen geliefert.

259 Für eine gute Analyse des 1. Golfkriegs siehe Krell, Gerd; Kubbig Bernd W.: Krieg und Frieden am Golf. Ursachen und Perspektiven, Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1991, S. 89-101

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In den Jahren 1990 und 2004 führen die USA Krieg gegen den Irak, wobei der Irak Waffen

einsetzte und einsetzt, die ihm größtenteils von den USA geliefert worden sind. Dass die USA

mit eigenen Waffen bekämpft werden, ist zumindest interessant und spiegelt die punktuell

ökonomische Ausrichtung ihrer Politik wider. Die „extreme Aufrüstung des Irak”, mit der

2003 der Schlag Washingtons gegen den Irak begründet wurde, ist durch niemand anderen

erfolgt als durch die USA selbst. Das ist eine Folge der „militarisierten Wirtschaft” der

Vereinigten Staaten. Trotzdem kann die Waffenverkaufspolitik der USA nicht als einziger

Grund für die Kriege und Konflikte im Nahen Osten bezeichnet werden. Diese Kriege und

Konflikte sind auch ein Ergebnis der sozialen und politischen Entwicklungen, die weit in die

Geschichte der Region zurückreichen. Die Rolle der USA besteht darin, dass sie aus den

Gegebenheiten pragmatisch den besten Nutzen für ihre nationalen Interessen zu ziehen

wissen.

8.3.3 Militärische Interventionspolitik

Um den nationalen und wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten weitere Sicherheit

zu verleihen und um den freien Zugriff auf das Erdöl zu sichern, stellt die militärische

Interventionspolitik einen weiteren Pfeiler im nahöstlichen Aktionsraum dar. Für die USA

besteht nachhaltig die Gefahr, dass Ölstaaten, die ihre politische und wirtschaftliche Macht

mehren wollten, den Umstand nutzen können, dass die USA selbst ihren Ölbedarf nicht

decken kann. Der Rohstoff Öl könnte als Waffe eingesetzt werden, einerseits mit

Boykottdrohungen, andererseits durch Verschaffung von Kriegswaffen, um Korrekturen im

zwischenstaatlichen Kräfteverhältnis in der Region herzustellen, was die vitalen Interessen

der Vereinigten Staaten gefährden würde.260

Die nahöstliche Politik der USA ist deshalb gerade nach Erlangung der Supermacht-

monopolstellung nach dem Kalten Krieg von Militärinterventionen geprägt, um seine

260 vgl. hierzu: Gegenstandpunkt, Politische Vierteljahreszeitschrift, Ausgabe 1, 2001, S. 87-120

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Interessen notfalls mit Gewalt durchzusetzen und die Machtgleichgewichte wieder

herzustellen. Bekanntlich wurden das Ende des Kalten Kriegs und die Etablierung der Neuen

Weltordnung nach der irakischen Invasion Kuweits mit dem 2. Golfkrieg und der

Stationierung US-amerikanischer Truppen im Nahen Osten eingeläutet. Die gestellten

Territorialansprüche des Irak auf Kuweit gehen historisch sehr weit zurück. Der Irak wollte

die Inseln im Bubija und Warba besitzen, um sich einen besseren Zugang zum Golf zu

verschaffen sowie Zugriff auf die Ölfelder zu haben, die im Festlandsockel dieser Inseln

lagen. 1972 hatte ein anderer irakischer Versuch für eine erste Krise gesorgt, die jedoch nach

intensiven diplomatischen Bemühungen der Arabischen Liga beigelegt worden war.

Im Krieg zwischen dem Iran und dem Irak von 1980 - 1988 wurde das theokratische

schiitische Regime im Iran von anderen Staaten der Region wie Saudi-Arabien und Ägypten

als große Gefahr eingestuft, so dass eine große Mehrheit der arabischen Welt und die

sozialistischen Länder einschließlich der Sowjetunion den Irak unterstützten. Aber sie hatten

nicht damit gerechnet, dass diese immense Unterstützung den Irak zu neuen Zielen verleiten

würde, und dass Bagdad ihren Ambitionen zu einer regionalen Großmacht näher rückte. Der

Irak hat nach dem 1. Golfkrieg mit Hilfe der westlichen Staaten und der Waffenhändler eine

Million Arbeitslose bewaffnet und eine große Armee installiert. Die Krise von 1990/1991

kam also keinesfalls unangemeldet, sondern kündigte sich Schritt für Schritt an.

Mit der Erklärung des Irak, Kuweit offiziell eingemeindet und annektiert zu haben, kam die

neue Golfkrise nur an die Oberfläche. Bagdad versuchte in einem am 16. Juli 1990 an das

Generalsekretariat der Arabischen Liga geschickten Brief, seine Besetzung Kuweits zu

legitimieren. Demnach hatte Kuweit seit 1980 in dem zum Irak gehörenden Gebiet Rumeila

neue Bohrstationen eingerichtet und somit seine Produktion illegitimer-weise erhöht, was zu

einer Senkung der Ölpreise weltweit geführt und dem Irak einen großen wirtschaftlichen

Schaden von 14 Milliarden US-Dollar zugefügt hatte. Der Irak wollte von Kuweit eine

Entschädigung in Höhe von 2,4 Milliarden US-Dollar. Doch diese Gründe waren nur

vorgeschoben, denn wenn der Irak Kuweit eingemeindete, das durch sein Erdöl 1989 ein

Einkommen von 7,7 Milliarden US-Dollar hatte, würde er zu dem Land mit den zweitgrößten

Erdölreserven des Nahen Ostens nach Saudi-Arabien aufsteigen und somit zu einer nicht

aufzuhaltenden Großmacht in seiner Region.

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Die neu avisierte irakische Politik basierte hingegen auch auf anderen Gründen, die wie folgt

zusammengefasst werden sollen: Die USA hatten Bagdad im Krieg gegen den Iran

unterstützt. Der Irak erhoffte sich, dass die USA auch jetzt die Annektierung Kuweits

zumindest tolerieren würden. Er hatte nach den acht Jahren des Krieges seine militärische

Macht weiter ausbauen können, während der Iran finanziell erschöpft aus dem Krieg

herausgegangen war, weshalb Bagdad nicht mehr mit einer neuen iranischen Front gegen sich

rechnete. Vor dem Krieg besaß der Irak Devisenreserven in Höhe von 35 Milliarden US-

Dollar, ging jedoch aus dem Krieg mit Schulden in Höhe von 80 bis 100 Milliarden US-

Dollar heraus und benötigte daher dringend neue Quellen. Schlussendlich glaubte der Irak,

dass die anderen Staaten in der Region, die er ja gegen die „iranische Gefahr“ verteidigt hatte,

der Annektierung Kuweits nichts entgegensetzen würden.

Der Irak aber ignorierte einen sehr wichtigen internationalen Aspekt: Sowohl die wichtigsten

Staaten der Region als auch die Staaten in der Welt, die zwar nicht zur Region gehörten, die

aber hier vitale Interessen hatten, würden den Irak niemals zur Großmacht des Nahen Ostens

aufsteigen lassen wollen. Als der Irak am 2. August 1990 in Kuweit einmarschierte, hatte er

keinerlei Unterstützung mehr. Die Regierung Bagdads zeigte sich außerstande, dies real

einzuschätzen. Vom ersten Tag an lehnte sie deshalb die Vermittlungsangebote der UNO für

Frieden ab. Der Irak wehrte sich gegen das Wirtschaftsembargo und erklärte Kuweit am 28.

August 1990 zu seiner 19. Provinz. Verschiedene Initiativen, die bis zum 16. Januar 1991

andauerten, blieben ohne Erfolg. Die USA, die sich in erster Instanz für die Sicherheit im

Nahen Osten – und hauptsächlich der eigenen Interessen - verantwortlich fühlten,

übernahmen die Führung der „internationalen Koalition“. Amerikanische Flugzeuge, die am

17. Januar 1991 von saudi-arabischen Stützpunkten abhoben, bombardierten die ersten

irakischen Ziele und starteten somit die „Operation Wüstensturm” (Desert Storm).261

Die „Internationale Koalition” bestand hauptsächlich aus US-amerikanischen Truppen, die

von den Militärs folgender Staaten unterstützt wurden: Großbritannien, Frankreich, Italien,

Spanien, die Niederlande, Belgien, Dänemark, Norwegen, Griechenland, Sowjetunion,

Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien, Marokko, Pakistan, Bangladesch, Kanada, Argentinien und

Australien.

261 vgl. Krech, Hans: Vom 2. Golfkrieg zur Golf-Friedenskonferenz 1990-1994, Edition Temmen 1996, S. 37-41

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Der Irak versuchte zwar, indem er Scud-Raketen auf Israel abfeuerte, die arabische Welt auf

seine Seite zu ziehen, aber die fehlende Gegenwehr aus Israel nahm diesem Versuch seine

Wirkung. Der Irak konnte der modernsten Kriegstechnik aus den USA und den verheerenden

Luftangriffen nicht lange standhalten und verkündete am 28. Februar 1991 seinen Rückzug

aus Kuweit. 262 Saddam Hussein hatte seinen strategischen Fehler, Kuweit zu besetzen,

verschlimmert, als er die Vermittlungsversuche der UNO überhörte und sich nicht aus Kuweit

zurückzog.

Resultat dieses Unterfangens waren für den Irak große militärische und wirtschaftliche

Verluste. Die dadurch entstandene Autoritätslücke im Irak nach diesem 2. Golfkrieg versuchte

vor allem die kurdische Bevölkerungsgruppe für sich zu nutzen, allerdings mit verheerenden

Folgen. Als sich die Kurden 1991 im Norden des Irak gegen das Saddam-Regime erhoben,

antwortete er mit den Massakern von Halabdscha. Nahezu eine Million Peschmergas flohen

danach mit ihren Familien über die Grenzen des Irak in die Türkei und den Iran. Dies förderte

erneut die Instabilität des Nahen Ostens und somit die Auseinandersetzungen um Öl und

Macht in der Region. Auch hier darf die Rolle der USA nicht außer Acht gelassen werden:

Um ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss in der Region zu sichern, richtet die USA

in ihrer politischen Ausrichtung ihr Hauptaugenmerk darauf, dass der Nahe Osten stets eine

zerstückelte und schwache politische Struktur aufweist. Mit der „Operation Provide Comfort”

nahmen die USA mit ihren Verbündeten den Nordirak unter Kontrolle und benutzten nun die

Kurden als Instrumente ihrer Interessen. Der im Nordirak ausgerufene Bundestaat

„Kurdistan“ wurde von den USA und den anderen Großmächten von Anfang an unterstützt.

Für sie war und ist es zweifellos lebenswichtig, dass sich das Öl in „befreundeten Händen“

befindet.263 Der deutsche Stratege Friedrich Ratzel, der zu der Kristallisierung der

Weltherrschaftstheorien nach der Industriellen Revolution beitrug, sagt in seiner Theorie über

den „Lebensraum” der Deutschen: „Der Staat ist ein einzelliger Organismus. Er will sich

fortentwickeln und ausdehnen. Die Ausbreitungspolitik des Staates wird durch die Besetzung

primitiver und kleiner Staaten von außen ermöglicht. Auf diesem kleinen Planeten ist nur

Platz für einen einzigen großen Staat.” Viele andere Strategen, die sich von Ratzel

262 vgl. ebd. 263 Für eine sehr aktuelle Analyse der westlich-amerikanischen Präsenz im Nahen Osten siehe de Benoist, Alain: Die Schlacht um den Irak. Die wahren Motive der USA bei ihrem Kampf um Vorherrschaft, Junge Freiheit Verlag 2003, S. 1-2

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beeinflussen ließen wie Mackinder, Spykman oder Mahan haben Theorien einer

Weltherrschaft entwickelt. Allen diesen Theorien liegt die Idee zugrunde, dass „wer die

Energiequellen und Rohstoffe besitzt, den Weltmarkt beherrscht; und wer den Weltmarkt

beherrscht, die Welt beherrscht”.

Die Außenpolitik der USA dreht sich um diesen zentralen Gedanken und führte in diesem

speziellen Fall dazu, dass die USA nach Beendigung der Golfkrise 1991 nach neuen Wegen

suchten, im Nahen Osten zu bleiben. Dass sich die USA auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts

im Lichte ihres unveränderten Zieles, aber jetzt unter anderen Vorwänden, wieder im Irak

befinden, ist ebenfalls als eine Folge dieser Politik zu betrachten. Nach den Terrorangriffen

vom 11. September 2001 auf New York und Washington wurde als sogenannte „Bush-

Doktrin” verkündet, dass die USA weltweit gegen jede Macht kämpfen würden, die den

Terror unterstützt.264

Das eigentliche Ziel hinter der amerikanischen Invasion in Afghanistan unter dem Vorwand,

Bin Laden aus seinem Versteck zu holen, ist es, sich zwischen den Öl- und Erdgasfeldern des

Kaspischen Meeres und China zu positionieren. Darin spiegelt sich das grundlegende

Interesse, wie es Zbigniew Brzezinski einst ausgedrückt hat, „sicherzustellen, dass keine

einzelne Macht die Kontrolle über diesen geopolitischen Raum gewinnt.“265 Danach würden

sich die USA an den Nahen Osten wenden, um ihre rapide abnehmenden Ölreserven wieder

aufzustocken. Die USA konsumieren nahezu ein Drittel aller Energiereserven der Welt.

Sobald ihre Ölreserven abnahmen, begannen sie das in Texas geförderte Erdöl in den

Ölraffinerien zu lagern und Pläne gegen den Irak zu schmieden, aus dem sie am leichtesten

neues Öl bekommen konnten. Auch wenn sie als Grund ihrer Irak-Operation angaben, das

potenzielle Terrorrisiko zu beseitigen oder dem irakischen Volk „Demokratie zu bringen” zu

wollen, ist der eigentliche Grund offensichtlich ökonomischer Natur.

264 Bush, George W.: State of the Union, 29.01.2002, in: www.whitehouse.gov/news/ releases/ 2002/01/ 20020129-11.html 265 Brzezinski, Zbigniew: The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, New York 1977, S. 148

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KAPITEL 9: Richtlinienwandel türkischer Nahostpolitik

Im vorangegangenen Kapitel wurde erläutert, dass die Türkei in der internationalen Mächte-

konstellation über lange Jahrzehnte zwar eine wichtige strategische, aber eher statische

Position einnahm. Die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts brachten in dieser Hinsicht mit dem

Zerfall der Sowjetunion wichtige Veränderungen mit sich. Neue außenpolitische Themen

traten in der Türkei auf die Tagesordnung und manche innenpolitische Themen wurden auch

in der Außenpolitik wichtig. Die Türkei begann insgesamt, sich im Nahen Osten vom

Zaungast zum aktiven Mitspieler zu entwickeln. In den Beziehungen zu Israel, bezüglich der

Zukunft des Irak und in der Kurdenfrage versuchte die Türkei, nunmehr eine aktivere Rolle zu

spielen. Das hat mit den neuen Möglichkeiten zu tun, die die geopolitischen Veränderungen

der 90er Jahre der Türkei boten; aber auch damit, dass sich die Türkei in ihrer Region immer

stärker zu einer militärischen und wirtschaftlichen Macht entwickelte. Diese Entwicklung, die

1996 unter der Regierung der proislamischen Wohlfahrtspartei (Refah Partisi - RP) offen-

sichtlich wurde, machte die Türkei von einem passiven zu einem aktiven Nachbarn in ihrer

Region. Die aktive Haltung wurde auch in der Zeit der darauffolgenden Regierun-gen

fortgesetzt. Heute verfolgt die Regierung der Partei der „Entwicklung und Gerechtigkeit

(AKP)“ bezüglich der türkeirelevanten Themen eine aktive Diplomatie und versucht

insbesondere, über ihren Handelsminister die wirtschaftlichen Beziehungen zu ihren Nachbar-

staaten zu intensivieren. Aber der eigentliche Motor dieser Entwicklung wurde schon in den

80er Jahren durch die exportorientierte Wachstumspolitik des verstorbenen türkischen

Ministerpräsidenten und späteren Staatspräsidenten Turgut Özal angekurbelt. Die neue

Wachstumsstrategie der 80er Jahre begann in den 90er Jahren erste Früchte zu tragen.

Die Türkei konnte sich somit besser an neue geopolitische Entwicklungen anpassen. Gemäß

dieser zur Zeit Özals formulierten Strategie sollte die Türkei in ihren Grenzregionen Balkan,

Kaukasus und Naher Osten eine aktivere Rolle übernehmen. An der Herausbildung dieser

neuen Strategie spielten das Ende des Kalten Krieges und der türkischen Rolle als Frontstaat

der NATO eine wichtige Rolle, denn die Türkei war gezwungen, einen neuen Platz in der

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Weltpolitik zu finden. 266 Vor einer Vertiefung in die Dimensionen und Grenzen der heutigen

Aktivitäten der Türkei ist es erforderlich, die Stellung des Landes innerhalb des nahöstlichen

Machtgefüges im Lichte geostrategischer Parameter zu bewerten.

Im Kalten Krieg hatten die Beziehungen der Türkei zur arabischen Welt des Nahen Ostens

einige wichtige Charakteristika. So hatte die Türkei, parallel zu ihrer eher zurückhaltenden

Außenpolitik, weder in den innerarabischen Konflikten noch in den arabisch-israelischen

Auseinandersetzungen oder im irakisch-iranischen Krieg Partei ergriffen.267 Außer ihrer

Mitgliedschaft im Bagdad-Pakt (1955-1958) blieb sie neutral bzw. blockfrei. Die Zeit wurde

inaktiv und mit der Politik des „low profile“ verbracht. Darüber hinaus wurde die Türkei 1949

das erste muslimische Land, das Israel offiziell anerkannte. Sie stellte sich jedoch nicht gegen

die Belange der Palästinenser, im Gegenteil näherte sie sich mit der Zeit eher der

palästinensischen Seite an.

Im Kalten Krieg entwickelte die Türkei mit ihren Nachbarn einen Außenhandel, der auf der

Formel „Exportgüter gegen Öl“ basierte. Dieser Handel erzielte ein erhebliches Volumen,

auch wenn es niemals das Nievau erreichte, das er in den 90er Jahren bekommen sollte. Vor

allem nach der Ölkrise von 1973/1974 stieg der türkische Bedarf an Erdöl, sodass das

Handelsvolumen mit den arabischen Ländern zunahm.268 Die Türkei wurde von dem Ende des

Kalten Krieges in seinen Auswirkungen erheblich getroffen. Die neue Zeit brachte

grundlegende Fragen bezüglich des Platzes der Türkei in der westlichen Allianz mit sich.269

Die Antwort der Türkei auf die neue Situation war, eine einflussreichere Politik im Balkan,

im Kaukasus, in Zentralasien und dem Nahen Osten anzupeilen.270

266Kirisci, Kemal: New patterns in Turkish Foreign Policy Behaviour, in: Balim, Canan (Hrsg.): Turkey: Political, Social and Economic Challenges in 1990`s, Leiden; E. J. Brill, 1995, S. 67 267 Für eine detaillierte Bewertung dieser Zeit siehe Karaosmanoglu, Ali L.: Turkey`s Security and the Middle East, in: Foreign Affairs, Vol. 62, Nr. 1, Februar 1983, S. 157-175; Helms, Christine Moss: Turkey`s Policy Towards the Middle Esat: Strength Through Neutrality, in: Middle East Insight, Vol. 6, Nr. 3, 1988, S. 40-46 268 vgl. Balim, Canan: Turkey: Political, Social and Economic Challenges in 1990`s, Leiden; E. J. Brill, 1995, S. 43 269 Sayari, Sabri: Turkey: The Changing European Security Environment and the Gulf Crisis, in: Middle East Journal, Vol. 46, Nr. 1, Winter 1992, S. 10 270 Mackenzie, Kenneth: Turkey`s Circumspect Activism, in: The World Today, Vol. 49, Nr. 2, Februar 1993, S. 25

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9.1 Türkische außenpolitische Grundsatzentscheidungen nach 1990

Nach dem Kalten Krieg fand sich die Türkei im Zentrum einer großen geographischen

Region, die sich von Europa bis nach Zentralasien erstreckte. Die geopolitische Bedeutung

dieser Region würde im neuen Millenium steigen. Die Türkei hatte ihre Erfahrungen auf dem

Gebiet der Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung sowie ihre vielfältigen Beziehungen

zu den meisten Ländern dieser Region dazu benutzt, zum Wandel in der Region beizutragen.

So wurde die Türkei zur Vorreiterin bei der Gründung der Schwarzmeer-Wirtschafts-

kooperation (Black Sea Economic Cooperation - BSEC), die zum ersten erfolgreichen

Beispiel der neuen Entwicklung in der Region wurde. Die Türkei initiierte die Gründung der

Schwarzmeer-Task-Force, die bei Notfällen und Umweltkatastrophen einspringt. Die BSEC,

die heute aus einer Reihe von Gründen inaktiv bleibt, hatte vor allem Anfang der 90er Jahre

den Anspruch, eine wichtige regionale Zusammenarbeitsorganisation zu sein. Eine andere

regionale Organisation, die anfangs die Türkei, den Iran und Pakistan einschloss, die Regional

Cooperation Organization (RCO), hat inzwischen ihre Mitgliederzahl erhöht. Sie weitete sich

in den Kaukasus und nach Zentralasien aus und nahm Aserbeidschan, Kasachstan, Kirgisien,

Turkmenien, Usbekistan und Tadschikistan auf. Sie realisiert heute Projekte in verschiedenen

Bereichen.

Die Türkei, die nach dem Kalten Krieg an internationalen Operationen teilnimmt, beteiligte

sich an den friedenserhaltenden und -wiederherstellenden Maßnahmen in Somalia, Bosnien-

Herzegowina, Albanien, im Kosovo und in Georgien. Außerdem führte sie zeitweilig die

International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan und beteiligte sich mit ca.

1400 Soldaten an ihr. Im Auftrag der UNO, NATO und der OSZE schickte die Türkei

Einheiten, Material und Beobachter nach Somalia, Bosnien, Mazedonien und in den Kosovo,

nach al-Khalil, Georgien, Osttimor und zuletzt nach Afghanistan. Sie ist somit auf dem besten

Wege, ihre außenpolitische Aktivität zu verstärken.271 Wenn man die Angaben des türkischen

Außenministeriums zu Grunde legt, hat die Türkei zwei Hauptziele, die ihre außenpolitische

Vision bestimmen.272

271 Für detaillierte Angaben auf diesen Feldern siehe Türk Disisleri Bakanligi (Webseite des türkischen Außenministeriums), http://www.mif.gov.tr/policieshtml; Übersetzung von Hüseyin Kartal 272 vgl. ebd.

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Ihr erstes Ziel ist es, die Türkei zu einem Teil der europäischen Integration zu machen. Die

Türkei sieht sich in historischer, geographischer und ökonomischer Hinsicht als einen euro-

päischen Staat. Deshalb erwartet die Türkei, dass sie in kürzestmöglicher Zeit Vollmitglied

der Europäischen Union wird. Die Türkei trägt die Standards der Demokratie, des Laizismus,

der freien Marktwirtschaft, guter Gouvernance und bleibender regionaler Zusammenarbeit in

den Nahen Osten und nach Eurasien. Mit dieser Wirksamkeit übernimmt sie zugleich eine

Brückenfunktion zwischen ihrer Region und Europa.

Zweitens will die Türkei als natürlicher Kreuzpunkt zwischen Europa, Kaukasien, der

Schwarzmeerregion, dem Nahen Osten, dem Mittelmeer und Zentralasien eine Atmosphäre

von Sicherheit, Stabilität, Wohlstand, Freundschaft und Zusammenarbeit um sich herum

schaffen. Dabei stützt sie sich auf die pluralistische Demokratie und das laizistische System

im Inneren, auf ihre Bindung an den freien Handel, ihre multiple industrielle Grundlage und

ihre Armee mit ihren guten Erfahrungen bei der Erhaltung des Friedens.

Um zu verstehen, was die Türkei für den Westen nach dem Kalten Krieg vor allem

hinsichtlich der post-sowjetischen Region bedeutet, liefern westliche mediale Schlagzeilen

eindrucksvolle Anhaltspunkte: The Daily Telegraph: „Die Wiedergeburt eines alten

Imperiums” Jane’s Defense Weekly: „Aufsteigende Macht in einer Region des Wandels:

Türkei“ The Economist: „Der Stern, der den Turkrepubliken den Weg weist: Türkei”

Frankfurter Rundschau: „Die große Rache des von England und Russland geteilten kranken

Mannes” Die Welt: „Die Schwarzmeerinitiative der Türkei ist ein Zeichen dafür, dass sie

Zentralasien regieren könnte”273

Mit dem Zerfall der Sowjetunion entstand eine internationale Instabilität und Ungewissheit,

was die Zukunft der ehemaligen Sowjetgebiete in Zentralasien und im Kaukasus anging. In

dieser Zeit wies der damalige US-Präsident George Bush sen. auf die Rolle der Türkei hin, die

sie als Vorbild für Laizismus und Demokratie für die neu entstehenden Republiken spielen

konnte.274 Danach wurde ungefähr drei Jahre lang das sogenannte, sehr übertrieben

dargestellte türkische Modell in der türkischen und internationalen Presse gepriesen. Ab 1995

273 übernommen von Bal, Idris: The Rise and The Fall of the Turkish Model, Ashgate Publ. London 2001, S. 107 274 Rashid, Ahmed: The Resurgence of Central Asia: Islam or Nationalism?, Zed Books, London 1994, S. 210

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liess man dieses Thema fallen. Aber ca. zehn Jahre nach den oben erwähnten Worten Bushs

von 1992, begann nun George W. Bush, der neue Präsident der Vereinigten Staaten, sich

ähnlich zu äußern. Diesmal pries die US-amerikanische Führung der ganzen islamischen Welt

die Türkei als Beispiel. Der damalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit liess diese

Haltung nicht unbeantwortet und erklärte in den Tagen, als die amerikanische Afghanistan-

Operation zu Ende war und es nun um den Wiederaufbau Afghanistans ging: Afghanistan

kann nur durch das türkische Modell gerettet werden. Aber es wäre falsch zu behaupten, dass

diese Sichtweise in der Türkei unangefochten ist. Zusammengefasst erlebte die Türkei gleich

nach dem Ende des Kalten Krieges eine Zeit, in der sie vom Westen großes Lob und

Anerkennung im Sinne westlicher Interessen erntete. Diese Haltung war jedoch nicht lange

von Bestand. In der darauffolgenden Zeit wurde die Türkei nur noch ab und zu als ein Modell

erwähnt. Trotzdem konnte die türkische Außenpolitik eine noch nie dagewesene Aktivität

entfalten und in Gebieten, wo sie früher nicht aktiv gewesen war, einflussreiche Missionen

übernehmen.

9.1.1 Expansion außenpolitischer Einflussbereiche

Vor der Analyse der türkischen Nahostpolitik sollen deshalb die neuen Aktivitäten untersucht

werden, die sich vor allem auf den Balkan, den Südkaukasus und Zentralasien fokusiert. Der

Balkan durchlebte in der politischen Krisenatmosphäre nahe dem Ende des Kalten Krieges

intensive Konflikte. Die Türkei versuchte in dieser Zeit, nähere Beziehungen zu den einzelnen

Staaten des Balkan zu knüpfen und betonte hierbei ihre historischen Wurzeln in dem Gebiet.

Den muslimischen Regionen des Balkan wurde dabei eine besondere Bedeutung beigemessen.

Die Türkei beteiligte sich in vorderster Linie an den internationalen Bemühungen, die

Konflikte in Bosnien und im Kosovo zu beenden. Sie wirkte an wichtigen Initiativen wie dem

Südosteuropäischen Zusammenarbeitsprozess (South Eastern Europe Cooperation Process –

SEECP) und der Südosteuropa Brigade (South Eastern Europe Brigade- SEEB) mit. Sie

unterstützte den Osteuropäischen Stabilitätspakt und die Südosteuropäische Zusammen-

arbeitsinitiative (South Eastern European Cooperation Initiative - SECI). Ab Juli 2003

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übernahm die Türkei beim Südosteuropäischen Verteidigungsministerkongress und dem

politisch-militärischen Exekutivkomitee der Südosteuropa Brigade turnusgemäß den

Vorsitz.275 Im Südkaukasus bemühte sich die Türkei, bei der Lösung festgefahrener Konflikte

in Regionen wie Berg Karabach und Abchasien zu helfen; sie bemühte sich um den Abbau

der allgemeinen Spannungen und förderte die Beziehungen der Staaten dieser Region mit der

übrigen Welt, vor allem mit den Institutionen des europäisch-atlantischen Paktes.

Die Türkei pflegt eine enge Partnerschaft mit Aserbeidschan, mit dem sie eine gemeinsame

Sprache, Kultur und Geschichte teilt. Die Türkei unterstützt Aserbeidschan als Land, das

seine Unabhängigkeit neu errungen hat, und erachtet es als sehr wichtig, dass diese

Unabhängigkeit geschützt die territoriale Integrität Aserbeidschans bewahrt und sein

Wirtschaftspotenzial, gestützt auf die natürlichen Ressourcen des Kaspischen Meeres,

ausgebaut werden. Das Problem Berg Karabach wird von der Tükei als das größte Hindernis

politischer Stabilität, wirtschaftlicher Entwicklung und regionaler Zusammenarbeit im

Kaukasus angesehen.276 Die Türkei als ein neues Mitglied der Minsk-Gruppe bewertet diese

Intitiative als wertvoll für die Förderung eines gerechten und dauerhaften Friedens. Sie

unterstützt außerdem direkte und indirekte Gespräche zwischen Aserbeidschan und

Armenien.

Die Türkei gründete ein Dialogforum für Gespräche zwischen den Außenministern

Aserbeidschans, Armeniens und der Türkei. Die erste Versammlung dieses Forums fand im

Mai 2002 in Reykjavik statt. Diese Gespräche werden im Rahmen der NATO-

Außenministerkonferenz fortgesetzt. Im Gegensatz zu den sich zeitweilig verbessernden, aber

insgesamt wegen des Karabach-Konflikts nicht gut verlaufenden Beziehungen zu Armenien,

pflegt die Türkei ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu Georgien. Sie misst der

Bewahrung der territorialen Integrität Georgiens eine große Bedeutung zu und fördert die

vorhandenen guten Beziehungen. Aus der Sicht der Türkei gefährden die Probleme Abchasien

und Südossetien nicht nur den Frieden Georgiens, sondern der gesamten Region. So

275 vgl. http://www.mif.gov.tr/policieshtml, Übersetzung vom Hüseyin Kartal 276 vgl. Halbach, Uwe: Partner und Widerpart: Russland in der Außen- und Sicherheitspolitik kaukasischer und zentralasiatischer Staaten, in: Alexandrova, Olga; Götz, Roland; Halbach, Uwe: Russland und der post-sowjetische Raum, Baden-Baden 2003, S. 276 ff.

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unterstützte die Türkei von Anfang an die Souveränität und territoriale Integrität Georgiens

und tritt auch heute für eine friedliche Lösung dieser Konflikte ein.

In der Postsowjetära zeigten sich in Aserbeidschan in den zentralasiatischen Turkrepubliken

für die Außenpolitik der Türkei neue Entfaltungsmöglichkeiten. Das türkische Volk hat eine

kulturelle Affinität zu den zentralasiatischen Völkern, sodass für die Türkei die Beziehungen

zu diesen Ländern stets viel bedeutet haben. Die Türkei war der erste Staat, der die

Unabhängigkeit dieser Länder in Zentralasien anerkannte und sie bei ihren Bemühungen um

eine Staatsbildung und den Ausbau ihrer Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft

unterstützte. Die Türkei ist wirtschaftlich in der Lage, in diese Region zu investieren. Der

Gesamtwert der von ihr für die fünf Staaten Zentralasiens bereitgestellten Kredite beläuft sich

auf über 1,5 Milliarden US-Dollar. Über 200 große türkische Unternehmen haben Projekte im

Wert von 8 Milliarden US-Dollar laufen. Im Rahmen der technischen und bildungspolitischen

Hilfen wurden für Studenten und öffentliches Verwaltungs-personal bis heute mehr als 10.000

Stipendiate und Bildungsangebote bereit gestellt.277

Die Beziehungen der Türkei zu Zentralasien und zum Kaukasus hängen nicht nur mit ihrer

kulturellen und historischen Nähe zu diesen Ländern zusammen, sondern auch mit ihren

wirtschaftlichen Erwartungen. Die Türkei ist dem Nahen Osten und dem Kaspischen Meer,

den beiden Regionen, die 70 Prozent der wichtigsten natürlichen Ressourcen der Welt

besitzen, geographisch sehr nahe gelegen. Für den Transport der kaspischen Öl- und

Erdgasreserven in die westliche Welt bietet sich der Verlauf von Pipelines vom Osten der

Türkei bis zum Mittelmeer als der kürzeste, billigste, in technischer und umweltbedingter

Hinsicht günstigste und sicherste Weg an. So hat sich die Türkei darauf konzentriert, die

Erdöl- und Erdgasreserven des Kaspischen Meeres und seiner Umgebung durch den Ost-

West-Energiekorridor zu transportieren.

Die Pipeline-Projekte, die den Kaukasus und Zentralasien mit Europa verbinden, sind für die

Integration der Türkei in den Westen sehr wichtig. Sichere und kommerziell lohnende

Pipelines werden Stabilität und Wohlstand fördern. Das Pipeline-Projekt von Baku über Tiflis

277 vgl. Bal, Idris: The Rise and The Fall of the Turkish Model, Ashgate Publ. London 2001, S. 23

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nach Ceyhan am Mittelmeer (BTC) wurde sowohl für das zentralasiatische als auch das

aserische Öl geplant.278 Der juristische Rahmen des BTC Pipeline-Projektes wurde Ende 2000

verabschiedet. Die detaillierte Engineering-Arbeit wurde im Juni 2002 beendet. Der dritte und

letzte Abschnitt des Projektes, nämlich der Bau selbst, wurde im September 2002 begonnen

und dauerte 35 Monate. Die Grundsteinlegung fand am 18. September 2002 im Beisein der

Staatsminister der Türkei, Aserbeidschans und Georgiens und des Energieministers der USA

in der Sengatschal-Region Aserbeidschans statt. Außerdem wurde im Oktober 2002 zwischen

der Türkei und Aserbeidschan, und im Dezember 2002 zwischen der Türkei und Georgien der

Umwelt- und Sozialverträglichkeitsbericht des BTC-Projektes ratifiziert. Bei der Festlegung

des Pıpeline-Verlaufes haben auch regionale Bedingungen eine wichtige Rolle gespielt. Die

BTC-Pipeline wird nicht nur das kaspische Erdöl sicher in die westlichen Märkte befördern,

sondern auch den Tankerverkehr in den türkischen Meerengen vermindern, so dass sie viel

zur Sicherheit auf See, zum Schutz der Umwelt und zur Sicherheit der 12-Millionen-

Metropole Istanbul beitragen wird.279

Ein anderes wichtiges Projekt des Ost-West-Energiekorridors ist die Erdgaspipeline Baku-

Tiflis-Erzurum (BTE). Sie soll das aserische Erdgas über Georgien in die Türkei

transportieren. Ihr juristischer Rahmen ist abgeschlossen und die ersten technischen

Vorbereitungen sind getroffen.280 Weil das kaspische Öl und Erdgas mit mehr als nur einer

Pipeline transportiert werden, wird das Energieangebot für die europäischen Staaten

diversifiziert und sichergestellt. Im Rahmen des südeuropäischen Erdgasringes sollen die

Erdgaspipelines der Türkei und Griechenlands miteinander verbunden werden. Auch das wird

viel zur Gewährleistung der Energieversorgung Europas beitragen. In diesem Sinne ist die

Türkei ein unverzichtbarer Energiepartner Europas geworden, und ihre Energiepolitik deckt

sich mit der Energiestrategie der Europäischen Union. Der Energiesektor bildet ein wichtiges

Kooperationsfeld zwischen der Türkei und der EU. 281

278 vgl. ebd. 279 http//www.mif.gov.tr/policieshtml; Übersetzung von Hüseyin Kartal 280 ebd. 281 ebd.

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Entsprechend der Quellen des türkischen Außenministeriums gibt es in der reichen und

vielversprechenden Region Nahost seit Jahrzehnten Aufruhr und Konflikte. Die Lösung dieser

Konflikte liegt im Interesse der Türkei, die von der Instabilität in der Region negativ

beeinflusst wird. So hat die Türkei die Elemente ihrer Nahostvision entwickelt, die sich auf

ihre eigenen Erfahrungen bei der Demokratisierung, der rechtsstaatlichen Entwicklung, des

Laizismus, der wirtschaftlichen Liberalität, der regionalen Zusammenarbeit und der

Bekämpfung des Terrorismus stützen. Dabei betont die Türkei vor allem die politische und

wirtschaftliche Partizipation in der Gesellschaft, Demokratisierung, Gouvernance, Verant-

wortung, Gleichberechtigung, die Vermeidung der Verbreitung von Massenvernichtungs-

mitteln und Transparenz in militärischen Angelegenheiten.

Die Türkei beteiligt sich aktiv an den Bemühungen, den Frieden im Nahen Osten

wiederherzustellen. Mit beiden Seiten, der palästinensischen Führung und der israelischen

Regierung, unterhält sie traditionell gute Beziehungen. Aufgrund dieser Stellung hat sie

bisweilen eine Mittlerrolle übernommen. Ankara unterstützt die Organisation einer neuen

internationalen Konferenz mit allen Kräften und will die Gastgeberin einer solchen Konferenz

sein. Die Türkei hat sich außerdem auf Bitten der Palästinenser und Israelis an der Temporary

International Presence in Al-Khalil (TIPH) beteiligt. Außerdem hat sie zur Arbeit des

Mitchell-Kommittees maßgeblich beigetragen. Sie beteiligte sich an den multilateralen Ver-

handlungen und will sich weiterhin daran beteiligen, falls der Prozess neu beginnen sollte. 282

9.1.2 Westadaptierte Nahostpolitik nach Turgut Özal

Der 1994 verstorbene türkische Staatsmann Turgut Özal, der von 1983 bis 1989 das Amt des

Ministerpräsidenten, und bis 1994 das Amt des Staatspräsidenten innehatte, hat in seiner Zeit

bei der Formulierung der Außenpolitik feststellbar eine Schlüsselrolle gespielt. Özal sah es als

notwendig an, die regionale Macht Türkei zu stärken, um sie als einen wichtigen und

wertvollen Alliierten des Westens zu erhalten. In der internationalen Politik gab er der

282 ebd. vgl.

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Wirtschaft und dem Handel die Priorität, und sah in dem Ausbau der Handelsbeziehungen zu

den Nachbarstaaten der Türkei den Königsweg, um die Wirtschaft des Landes selbst zu

entwickeln. Das sollte wiederum die politische Macht der Türkei in ihrer Region stärken.

Özals Gedanken und Konzepte spielten vor allem für die Zeit von 1989-1991 eine

entscheidende Rolle. Özal erkannte im rechten Moment den internationalen, geopolitischen

Wandel und entwickelte sofort seine eigenen Konzepte bezüglich des Platzes, den die Türkei

in dieser sich rapide und gründlich verändernden Welt haben sollte.

Für die Türkei öffnete sich der Weg zu einer aktiveren Politik im Nahen Osten und in der

arabischen Welt vor allem mit der Golfkrise 1990-1991. Die Türkei gab ihre langjährige

Neutralitätspolitik in der Region auf und wurde zu einem entschiedenen Mitglied der

westlichen Allianz. Die Türkei hat in dieser Zeit die Pipeline Irak-Türkei, eine

Haupttransportader des irakischen Erdöls in den Westen, gesperrt. Sie hat den alliierten

Luftstreitkräften für die Angriffe auf den Irak ihren Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Süden

des Landes zur Verfügung gestellt. So hat sie im Krieg des Westens gegen den Irak, der mit

UNO-Akzeptanz geschah, entscheidende Mithilfe geleistet. Özal wurde zwar im Innern mit

einer ernsthaften Opposition konfrontiert, hat jedoch mit gekonnten Manövern seine Politik

durchgesetzt.

Özals Politik im 2. Golfkrieg stützte sich auf die Annahme, dass der Irak nicht auf die

amerikanischen Angriffe antworten würde oder könnte. Diese Hypothese wurde von allen

geteilt. Özal wollte die Türkei an die Seite der Sieger stellen und weil er annahm, dass es

ihren künftigen Zielen förderlich sein würde. Die Ziele Özals bei der Aktivierung der

türkischen Außenpolitik auf der Seite des Westens lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. bei regionalen Ereignissen und Entwicklungen die Rolle und Funktion der Türkei

auszuweiten und zu stärken;

2. die Unterstützung Washingtons aufrechtzuerhalten und zu vergrößern;

3. den Prozess der Integration der Türkei als Vollmitglied der EU zu beschleunigen;

4. den Handel und die wirtschaftliche Kooperation mit den Nahoststaaten und vor allem

den Golfstaaten zu erweitern.283

283 Turkey`s New Middle East Role as Özal sees it. Briefing, Ankara 11.02.1991

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Die Ergebnisse von Özals Strategie waren natürlich nicht ganz so, wie er es erwartet hatte.

Man kann sogar sagen, dass sie zum großen Teil den Erwartungen entgegengesetzte Resultate

und Entwicklungen verursachte. Auch wenn im Golfkrieg die strategische Bedeutung der

Türkei für den Westen noch einmal betont wurde, hieß das nicht, dass in der darauffolgenden

Zeit die enge Kooperation zwischen den beiden Seiten genauso weiterging. Die

ökonomischen Erwartungen der Türkei wurden größtenteils enttäuscht: Weder stieg ihr

Export in die Golfstaaten noch das Handels- und Geschäftsvolumen mit dem Nahen Osten. Im

Gegenteil: Die Sperrung der Ölpipeline und die Übernahme des Embargos gegen den Irak

brachten für die Türkei empfindliche wirtschaftliche Verluste, die für die Zeit von 1990 -

1994 auf 20 Milliarden US-Dollar beziffert werden.284 Auch die „Friedenspipeline”, das

Wasser der Flüsse Seyhan und Ceyhan aus dem Süden des Landes durch eine Pipeline an

Israel und arabische Länder vermarkten sollte und als ein Projekt von ca. 21 Milliarden US-

Dollar eingeschätzt wurde, gehört zu den Projekten, über die bis heute gesprochen wird, ohne

dass etwas Konkretes geschieht.285

Aus seiner Politik „eins zu setzen, um fünf zu gewinnen“286, wie Özal es ausdrückte, wurde

„fünf setzen und eins ernten“287. Ein anderer Faktor tauchte auf, dessen Wirkung bis heute

andauert: Die Initiativen der Türkei und ihre aktive Außenpolitik führte in arabischen Ländern

zu der Frage, ob die Türkei auf der Suche nach der Ausdehnung ihrer Herrschaft sei und diese

Sorge wurde immer öfter und lauter ausgedrückt. So kann man feststellen, dass zu Anfang der

90er Jahre die Bestrebungen der Türkei, eine aktivere Rolle in ihrer Region zu spielen, zu

wichtigen wirtschaftlichen und politischen Problemen in der Region führten. Trotzdem sollte

diese Ära - auch als die Özal-Epoche bezeichnet - der Anfang einer neuen Periode werden.

Auch wenn die Türkei aus dieser ersten aktiven Phase der Nahostpolitik nicht als strahlende

Siegerin hervorgegangen ist, gab sie Signale, dass sie ein diplomatisch ernstzunehmender

Staat wurde.

284 Für die ökonomischen Verluste der Türkei in dieser Zeit siehe: Petrolün bilancosu (Bilanz vom Erdöl), in: Milliyet, Istanbul, 17.01.1995; Übersetzung von Ümit Yazicioglu 285 Interview, “Özal: Türkiye`nin önünde hacet kapilari acilmistir” (“Özal: Vor Türkei`s Tür ist der Wallfahrtsort geöffnet”), in: Türkiye Günlügü Dergisi, Nr. 19, Sommer 1992, S. 5-23, Übersetzung von Ümit Yazicioglu 286 ebd. 287 ebd.

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Diese Initiativen haben der Türkei auch andere Entwicklungen beschert. Ein Problem, das

nach dem Kalten Krieg zu einem der Grundparameter der türkischen Außenpolitik werden

und vor allem ihr Verhältnis zum Nahen Osten prägen sollte, erreichte seinen Höhepunkt

ebenfalls kurz nach dem Golfkrieg: die Kurdenfrage.

9.2 Parameterverschiebung in der Kurdenpolitik

Der neue Status quo im Irak nach dem 1. Golfkrieg brachte für die Türkei neue erhebliche

Sicherheitsprobleme. Die Ergebnisse des Krieges und das neu entstandene Bild des Nahen

Ostens haben die Türkei viel stärker in die Nahostpolitik hineingezogen als türkische Politiker

es je erhofft oder erwartet hatten. Als eines der gewichtigsten Probleme der Türkei mit

außenpolitischer Relevanz ist die „Behandlung“ der bis heute staatenlosen Kurden im eigenen

Land anzusehen. Dass die Koalitionsmächte der Herrschaft des irakischen Präsidenten

Saddam Hussein kein Ende setzen konnten, führte dazu, dass Zehntausende von Kurden, die

gegen Saddam Husseins Regime rebelliert hatten, nun aus Angst vor der Rache Bagdads im

März und April 1991 in die Türkei flohen. Dies machte die für die Politik der Türkei schon

immer schwierige Kurdenfrage für alle Staaten der Region, aber vor allem für die Türkei, viel

komplizierter und gefährlicher als zuvor.

Die Türkei hat zur Verhinderung weiterer großer kurdischer Flüchtlingswellen dem US-Plan

zugestimmt, die Zone über dem 36. Breitengrad im Irak unter Schutz zu nehmen. Für die

Operation Provide Comfort - OPC (Multinationale Überwachungsmission im Nordirak)

öffnete sie den Koalitionstruppen wieder ihren Luftstütztpunkt Incirlik. Das Ziel war, im

Nordirak eine sichere Zone zu schaffen, die vor den Angriffen Saddam Husseins verschont

blieb.

Die Kurden kamen damit gewissermaßen unter westlichen Schutz. Ihre Bindung an das

irakische Regime in Bagdad wurde abgebrochen. Das brachte praktisch ein neues kurdisches

politisches Gebilde auf den Plan.288 Die Türkei erwärmte sich traditionell nicht für die Idee

der Gründung eines unabhängigen Kurdenstaates und hatte dagegen ernsthafte Bedenken. 288 Kirisci, Kemal: Provide Comfort or Trouble: Operation Provide Comfort and its impact on Turkish Foreign Policy, Turkish Review of Middle East Studies Annual, Istanbul 1994-1995, S. 74

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Aber unter diesen neuen Bedingungen war sie gezwungen, das durch die OPC entstandene

kurdische Gebilde indirekt zu akzeptieren, und sie führte mit den Anführern dieser Region

über Bürokraten des Außenministeriums indirekte Gespräche. Andererseits entwickelte die

Türkei ihre eigenen Methoden, um mögliche Auswirkungen dieser neuen Entwicklung auf

ihrem eigenen Territorium zu verhindern. In diesem Rahmen stationierte die Türkei an ihrer

Grenze zum Irak große Truppenkontingente und unternahm bei Bedarf grenzüberschreitende

militärische Operationen.

Die in der Türkei verbotene Kurdenorganisation namens „Partiya Karkeren Kurdiya“

(Kurdische Arbeiterpartei - PKK) unternahm seit 1984 in den Regionen der Türkei mit hoher

kurdischer Bevölkerungszahl bewaffnete Aktionen, was für die Türkei im Laufe der Zeit zu

einem erheblichen Problem wurde. Die bewaffnete Organisation nutzte das Autoritätsvakuum

während und nach dem Ende des Golfkriegs, gründete Lager in der nordirakischen Region

und erhöhte ihre Aktivitäten gegen die Türkei. Der von der PKK ausgelöste ethnische Terror

wurde damit zum wichtigsten innen- und außenpolitischen Problem der Türkei.289 Die

Gewalttaten der PKK und die dagegen getroffenen gerichteten Kampfmaßnahmen hatten

schwerwiegende Folgen. In dieser Zeit wurden ca. 20000 Menschen getötet; das mehrheitlich

von Kurden bewohnte Südostanatolien wurde vom übrigen Land abgeschnitten; die Türkei

war gezwungen, einen erheblichen Teil ihres Etats für den Kampf gegen die PKK zu

reservieren.290

Die Kurdenfrage bildet naturgemäß einen äusserst wichtigen Parameter in der türkischen

Außenpolitik und beeinträchtigt ihre Beziehungen mit ihren südlichen Nachbarn. Das trifft

vor allem für die türkisch-irakischen und türkisch-syrischen Beziehungen zu.291 Nach der

Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Februar 1999 blieb die

bewaffnete kurdische nationalistische Bewegung in der Türkei lange Zeit inaktiv. Dazu trugen

vor allem die Desorientierung der neuen Führungskader und Spaltungsprozesse bei. Die PKK

änderte mehrere Male ihren Namen und heißt 2004 „Kongra-Gel“ (Volkskongress

Kurdistans). Die derzeitige Führung hat den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen und

289 Criss, Bilge Nur: The Nature of PKK Terrorism in Turkey, in: Conflict and Terrorism, Nr. 18 Januar-März 1995, S. 24 290 ebd. 291 Bölükbasi, Suha: Ankara, Damascus Baghdad and the Regionalization of Turkey`s Kurdish Secessionism, in: Journal of South Asian and Niddle Eastern Studies, Vol. 14, Nr. 4 Sommer 1991, S. 15-36

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führt in den Bergen Südostanatoliens an der Grenze zum Nordirak den Guerillakrieg fort. Im

Nordirak scheinen die beiden Kurdenführer Dschalal Talabani und Massud Barsani die

Präsenz der PKK-Kämpfer zu tolerieren. Auch die in der Region stark präsenten USA unter-

nehmen nichts gegen die PKK-Kämpfer, was in der türkischen Öffentlichkeit ein Dauerthema

ist und zu Ressentiments gegen die Kurden im Nordirak und gegen die USA führt.

Die Gründung eines Kurdenstaates im Nordirak hat die Türkei lange Jahrzehnte als

„intolerabel“ bezeichnet. In den internen Papieren des Außenministeriums wurde ein solcher

Staat als „Red Line“ der Türkei bezeichnet, die niemals überschritten werden dürfe, und als

„causa belli“, also Kriegsgrund. Diese scharfen Formulierungen sind inzwischen aus dem

öffentlichen Diskurs verschwunden. Im Sommer 2004 wurde klar, dass die Türkei, die bis

dahin immer auf der territorialen Integrität des Irak bestanden hatte, die Gründung einer

Föderation mit einer weitgehenden Autonomie für die Kurden im Irak tolerieren wird.

9.3 Außenbeziehungen zu Irak und Syrien

Die de-facto-Zerstückelung des irakischen Staates durch den 2. Golfkrieg schuf für die

kurdischen Gruppen günstige Voraussetzungen für die Intensivierung der eigenen Aktivitäten.

Die Türkei betonte nunmehr die territoriale Integrität des Irak. Die bewaffneten Gewalt-

aktionen der kurdischen Gruppen erreichten mittlerweile ein solches Ausmaß, dass Ankara

auf der einen Seite versuchte, wieder Kontakt zur Zentralregierung im Irak zu knüpfen und

andererseits erklärte, dass sie alle Maßnahmen der UNO im Rahmen der Wiederherstellung

des Friedens im Irak unterstützte.292

Die militärischen Kampfmaßnahmen wurden indessen unvermindert fortgeführt. Dabei

versuchte Ankara, sich an internationales Recht zu halten. Zwischen Ankara und Bagdad war

1984 ein Abkommen über „dringende grenzüberschreitende Verfolgungsmaßnahmen“

unterzeichnet worden. Auf dieses Abkommen stützend begann die Türkei, die PKK bis in den

Irak hinein zu verfolgen. Nach dem Golfkrieg intensivierten sich diese Verfolgungs-

292 Turkey Hints at a new Flexibility towards Saddam, in: The Washington Post, 24.09.1996

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operationen. Die Türkei versuchte die PKK daran zu hindern, ihre Milizen über die türkisch-

irakische Grenze einzuschleusen. In dieser Zeit schickte die Türkei insgesamt 40000 Soldaten

in den Nordirak und führte eine sechs Wochen dauernde Operation durch, mit der sie

versuchte, die Ausbildungslager und Stützpunkte der PKK in der Region zu vernichten. Sie

verzeichnete ernstzunehmende Erfolge. Dass vor allem die nordirakischen Kurdengruppen die

Türkei bei dieser Aktion unterstützten, erhöhte den Erfolg der türkischen Kampfmaßnahmen.

Das bedeutete einen wichtigen Schlag der Türkei gegen die logistische Basis der militärischen

Operationen der PKK auf südostanatolischem Grund.

Im Jahre 1996 unternahm die Türkei einen weiteren Schritt.293 Die konkurrierenden

Kurdengruppen im Nordirak hatten in diesem Jahr begonnen, sich gegenseitig zu bekriegen.

Die Türkei beschloss, an ihrer Grenze zum Irak auf irakischem Gebiet eine Sicherheitszone zu

schaffen und begründete das mit den dort anhaltenden innerkurdischen Kämpfen. Diese

Maßnahme wurde vorübergehend durchgeführt. Aber sie stieß sogar in Bagdad selbst auf

negative Reaktionen. Auch die anderen arabischen Staaten argwöhnten, dass andere Gründe

hinter dieser offensiven Maßnahme der Türkei stünden. Weder die USA noch die EU sahen

die Entwicklung gern.294 Im Endeffekt musste die Türkei aufgrund der internationalen

Reaktionen die Schutzzone auf irakischem Gebiet aufheben. Aber sie behielt sich das Recht

vor, für Verfolgungsaktionen gegen die PKK weiterhin in den Nordirak einzumarschieren.

Von den menschlichen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen der Invasion

Kuweits durch den Irak war die Türkei ernsthaft getroffen worden. Aus diesem Grund

verfolgte sie alle Entwicklungen bezüglich des Irak mit großer Aufmerksamkeit und Skepsis.

Ankara hatte sich in der Vergangenheit aktiv darum bemüht, Saddam Hussein zu einer

Befolgung der UNO-Beschlüsse und zur Zusammenarbeit mit den UNO-Waffenkontrolleuren

zu überreden. Davon ausgehend, dass die Länder der Region maßgeblich an einem Beschluss

über den Irak mitbeteiligt sein müssten, hat die Türkei im Januar 2003 mit verschiedenen

Staaten Gespräche auf hoher Ebene gestartet, um die Möglichkeiten eines Friedens

auszuloten. Der türkische Außenminister fuhr zuerst nach Syrien, dann nach Jordanien,

Ägypten, Saudi-Arabien und in den Iran. In Istanbul folgte ein Gipfel, der dem Irak ein

293 vgl. Die Türkei: Poker um die schnelle Eingreiftruppe, Der Spiegel, 23.12.1996 294 vgl. Die türkische Operation im Nordirak und internationale Reaktionen, Deutsche Welle, 22.05.1997

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deutliches Signal sandte, sich an die UNO-Beschlüsse zu halten. Diese Gespräche waren auch

eine wertvolle Gelegenheit, um die Beziehungen innerhalb der eigenen Region zu

intensivieren.

Die türkische Irakpolitik änderte sich auch nach dem Beginn der von den USA geführten

Operation nicht. Die Türkei bemühte sich immer noch um einen bleibenden Frieden im Irak,

die Erhaltung der nationalen Souveränität und die Nutzung der natürlichen Ressourcen des

Irak durch dessen eigene Bevölkerung. Nach Ansicht der Türkei dürfen diese Ressourcen

keinesfalls unter den Bevölkerungsgruppen des Irak aufgeteilt werden. Die Türkei ist daran

interessiert, dass im Irak eine Regierung an die Macht kommt, die das ganze Volk

repräsentiert und ihm gegenüber verantwortlich ist, und die mit ihren Nachbarn in Frieden

leben will. Die politischen Sorgen der Türkei betreffen vor allem die Bildung eines

kurdischen Staates im Nordirak. Deshalb sollte das ganze irakische Volk gemeinsam über das

politische System des Irak entscheiden. Während in all diesen Fragen eine gewisse

Ungewissheit herrscht, brachte die neue US-Politik nach dem 2. Golfkrieg, die als das

„Greater Middle East Project“ oder „Bigger Middle East“ Initiative bezeichnet wird, neue

Aspekte in die herrschenden Parameter der türkischen Nahostpolitik.

Das eingangs aufgeführte Thema PKK bildete mit Syrien einen viel schwereren Konflikt als

mit dem Irak. Ankara sah in Damaskus den Hauptunterstützer der PKK im Ausland und die

logistische Quelle Nummer 1.295 Eigentlich argwöhnte die Türkei, dass Syrien sich auf diese

Weise schon seit Anfang der 70er Jahre in innertürkische Angelegenheiten ein-mischte.

Trotzdem hatte die Türkei bis zum Ende der 80er Jahre, als die PKK ihre Aktivitäten

intensivierte, nichts in dieser Sache unternommen.

Mit dem Wachsen des Terrors der PKK begannen türkische Politiker und Medien öfter und

lauter von der syrischen Unterstützung der Terrororganisation zu sprechen. Die Türkei rief

über offizielle Kanäle und ihre Medien Syrien dazu auf, diese Haltung zu ändern.296 Aber die

Vorschläge der Türkei, den PKK-Terror gemeinsam zu bekämpfen, wurden von Syrien

überhört. Damaskus leugnete systematisch seine Unterstützung der PKK.

295 Elekdag, Sükrü: Two and a Half War Strategy, Perceptions: Journal of International Affairs, Vol. 1, Nr. 1, Ankara, März-Mai 1996, S. 35 296 Bazoglu Sezer, Duygu: Turkey`s political and security Interests and Policies in the New Geostrategic Environment of the Middle East, Henry L. Stinson Center, Washington Juli 1994, S. 20

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Das brachte die Türkei immer stärker gegen Syrien auf. Während Syrien einerseits die

türkischen Behauptungen dementierte, beschuldigte es die Türkei, das Wasser des Euphrat

unrechtmässig zu nutzen und versuchte, die Unterstützung der arabischen Welt in dieser

Sache zu gewinnen. Außer Syrien versuchte auch der Irak, das Wasserproblem zu einer

regionalen Angelegenheit zu machen. Das schuf eine neue Formel mit den Komponenten

Kurdenfrage und Wasserproblem. Anders ausgedrückt wurde gegen die Waffe des Terrors die

Waffe des Wassers gezückt. Die strategischen Ressourcen der Region wurden wieder einmal

zum Zankapfel.297

Die Türkei war in dieser Zeit dabei, in ihrem südöstlichen Territorium ein ganzes System von

Staudämmen, Wasserkraftwerken und Bewässerungsanlagen zu bauen, das durch das Kürzel

GAP (Güneydogu Anadolu Projesi/Südostanatolienprojekt) bekannt wurde. Das seit über 20

Jahren vorbereitete Projekt war das wichtigste Entwicklungsvorhaben der Türkei in dieser

Region. Der Irak und Syrien behaupteten nun, dass die Türkei mit GAP ihnen das Wasser

abschnitt und forderte eine größere Wasserzufuhr in Euphrat und Tigris. Dagegen forderte die

Türkei eine Dreierkonferenz, auf der eine neue Vereinbarung auf wissenschaftlich-technischer

Basis gefunden werden sollte, damit alle drei Länder von dem Wasser der mesopotamischen

Flüsse maximal profitierten. 298

Unter den spannungsgeladenen Bedingungen der Zeit konnte diesbezüglich kein Fortschritt

erzielt werden. Die drei Seiten führten ihre Argumentationen fort. Wichtig war hier, dass die

Faktoren Wasser und Terror in Beziehung zueinander gebracht wurden. Die Türkei begann

immer offener eine Beziehung zwischen der Unterstützung Syriens für die PKK und dem

Wasserproblem herzustellen. Der ehemalige Außenminister Deniz Baykal sagte, dass „einige

Länder Wasser forderten, um sich das Blut Unschuldiger von den Händen zu waschen“.299

Die Bemühungen Syriens, in der Wasserfrage die arabische Welt hinter sich zu bringen,

hatten eine gewisse Wirkung. 1996 veröffentlichten die Außenminister von sieben arabischen

Staaten in Damaskus eine gemeinsame Deklaration, in der sie die türkische Haltung

297 Buloch, John; Darwish, Adel: Water Wars: Coming Conflict in the Middle East, Gollancz, London 1993, Kapitel 8 298 Turkish Ministry of foreign Affairs: Water issues between Turkey Syria and Iraq, in: Journal of International Affairs, Vol.1 / Nr. 2, Juni-August 1996, S. 82-112 299 Interview mit Deniz Baykal, in: Turkish Probe, Ankara 05.01.1995

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kritisierten. Die Deklaration rief Ankara dazu auf, den Vertrag mit Syrien über die Lieferung

von 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde zu erneuern und einen bleibenden neuen Vertrag

über die Teilung des Wassers zu unterschreiben.

9.4 Türkisch-israelische Annäherung als nahöstliches Konfliktpotenzial

In Kapitel 7 wurde dargelegt, dass die türkischen Gründungsväter der Republik in ihrer

außenpolitischen Ausrichtung nicht an intensiven Beziehungen zum arabischen Raum

interessiert waren. Auch nach dem Tod Atatürks im Jahr 1938 und in der anschließenden

Regierungszeit des neuen Staatspräsidenten Ismet Inönü („Nationaler Chef“ von 1938 - 1950)

hatte sich an dieser Politik nichts geändert. Mit dem Schritt in die Mehrparteien-Demokratie

fanden 1950 in der Türkei die ersten Wahlen statt, die die Oppositionspartei „Demokratische

Partei (Demokrat Parti – DP)“ an die Macht brachten. Die neue konservative Regierung unter

dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Adnan Menderes beschloss eine stärkere Anbindung an

die USA und an Großbritannien, die beiden führenden Mächte des Kalten Krieges gegen die

Sowjetunion, die auch in den Augen des „aufstrebenden Bürgertums“ und des Landadels in

der Türkei die größte Bedrohung gegen die Sicherheit des Landes darstellte.

Die Menderes-Regierung glaubte, dass die ehemals Deutschland gehörenden Kolonien nun in

französischer, und ehemals Großbritannien gehörende Kolonien nun in amerikanischer Hand

bleiben würden. Sie nahm die Unabhängigkeitsbewegungen in der Dritten Welt nicht ernst.

Dem türkischen Außenministerium wurde befohlen, in internationalen Gremien den Vereinten

Nationen entsprechend der Haltung der USA abzustimmen. Das galt auch für andere

Sachfragen, wo die Türkei sich an die Seite der westlichen Staaten schlagen sollte. So

stimmte zum Beispiel der türkische Vertreter in der UNO über die Algerien-Frage pro-

französisch ab – eine Handlung, die türkische Islamisten bis heute nicht akzeptieren. In allen

den Nahen Osten betreffenden Fragen verhielt sich die Menderes-Regierung proamerikanisch,

was die Araber gegen die Türkei aufbrachte.

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Die Auswirkungen zeigten sich zum Beispiel im Jahr 1951, als Ankara auf Wunsch

Washingtons einen Verteidigungspakt mit den arabischen Staaten zu gründen versuchte, was

in einem Fiasko endete. Ägypten hatte mit dem Abkommen von 1936 britische Militärpräsenz

im Suezkanal akzeptiert. Nach dem 2. Weltkrieg sahen die Briten jedoch ein, dass sie diese

Präsenz in Ägypten nicht mehr lange aufrechterhalten konnten, und suchten nach neuen

Möglichkeiten, ihre Kontrolle über den Suezkanal zu behalten. So wurde im Jahre 1951 die

Idee zu einem „Nahöstlichen Verteidigungspakt“ geboren. Auch die USA waren an jedem

Schritt interessiert, der den Nahen Osten sowjetischem Einfluss entzog. Frankreich, das die

Mehrheitsaktien am Suezkanal besaß, war ebenfalls an einem solchem Pakt interessiert. Man

vertrat die Ansicht, die Türkei könne als eine größere militärische Macht in der Region einen

solchen Pakt initiieren. Tatsächlich wurde der Vorschlag der westlichen Mächte von Ankara

als Bau eines „antikommunistischen Walls“ begrüßt. Die Menderes-Regierung beschloss, den

Vorschlag zuerst und vor allem in Kairo zu unterbreiten, weil Ägypten als Führungsnation im

arabischen Raum die größte Macht besaß. Der Schritt wurde von Menderes selbst als eine

Geste der Annäherung an die arabischen Nachbarn angesehen. Der türkische Minister-

präsident rief die türkischen Botschafter in den arabischen Ländern für Konsultationen über

den Verteidigungspakt und die Vorbereitung eines Entwurfes nach Ankara. Im Juni 1955 fand

im Kabinettsaal die „Nahostbotschafter-Konferenz“ der Türkei statt. Adnan Menderes stand

der Sitzung vor.

Der Name des anwesenden türkischen Botschafters in Israel wurde in der offiziellen

Teilnehmerliste nicht aufgeführt, um die arabischen Länder nicht zu verärgern. Das Ergebnis

der fünftägigen Konferenz war, dass ohne die Zustimmung Ägyptens dieser Pakt nicht

zustande kommen würde. Um Nasser für diesen Pakt zu gewinnen, sandte die Menderes-

Regierung eine Freundschaftsdelegation nach Kairo. Aber die Antwort des ägyptischen

Informationsministers, der die türkische Delegation empfangen hatte, war eindeutig: „Israel

ist ein Dolch im Schoss der arabischen Welt. Solange Israel weiterexistiert, werden die Araber

keine andere Gefahr als größer erachten. Mit den Staaten, die Israel anerkennen, kann es keine

Freundschaft geben. Solange auch die Türkei mit Israel Beziehungen aufrechterhält, wird sie

nicht Ägyptens Freundschaft genießen.“ Auf die Argumente der Türken, dass der

Kommunismus eine große Gefahr darstelle, der gemeinsam bekämpft werden müsse,

antworteten die ägyptischen Behörden, dass sie nicht mit der 7500 km entfernten Gefahr des

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Kommunismus befasst seien, sondern mit der hinter Suez. Der Nahost-Verteidigungspakt

wurde nie gegründet. Am 24. Februar 1955 unterzeichnete Ankara mit dem Irak den Bagdad-

Pakt, dem am 4. April desselben Jahres Großbritannien, am 23. September 1955 Pakistan und

am 3. November 1955 der Iran beitraten. Die USA waren als Beobachter dabei.

Die türkisch-israelischen Beziehungen blieben ununterbrochen gut. Auch nach dem Ende des

Kalten Krieges und dem Beginn der palästinensischen Intifada-Bewegungen blieb die Türkei

in Zusammenarbeit mit Israel.300 Dabei wurden die Beziehungen zu Israel auch dann aufrecht-

erhalten, auch wenn die Beziehungen zu arabischen Ländern davon negativ beeinflusst

wurden. Mit der Unterzeichnung des militärischen Kooperations- und Ausbildungsvertrages

zwischen der Türkei und Israel im Jahre 1996 verschlechterten sich die Beziehungen Ankaras

mit Damaskus.

Der im Februar 1996 unterzeichnete Vertrag sah formell eine militärische Zusammenarbeit

zwischen den beiden Staaten vor, gegenseitige Ausbildung militärischen Personals, die

Bildung einer gemeinsamen Luftwaffe, Besuche der Marineeinheiten und einen Austausch

von Studenten und Personal zu Ausbildungszwecken. In diesem Rahmen sollten sich

israelische und türkische Flugzeuge viermal im Jahr je eine Woche lang besuchen, aber

israelische Flugzeuge sollten dabei von Geräten militärischer Spionage frei sein. Dass nach

diesem Abkommen im Dezember 1996 der Auftrag für die Modernisierung der türkischen F-4

Phantomjäger in Höhe von 650 Millionen US-Dollar an Israel vergeben wurde, brachte eine

weitere Dimension in die bilateralen Beziehungen.301

Innerhalb des bestehenden Mächtegleichgewichts führte diese Annäherungspolitik zwischen

beiden Ländern zu erheblichen Sorgen in Syrien und den meisten arabischen Staaten. Die

Türkei betonte über ihre diplomatischen Kanäle, dass diese Zusammenarbeit niemals gegen

eine dritte Partei gerichtet sei, dass die Kooperation nur militärische Aspekte beinhalte und

keine Allianz bedeute und dass sie nur eines der vielen gegenseitigen militärischen

Abkommen sei, die die Türkei mit vielen Ländern eingegangen sei.302

300 vgl. für Vorstehendes Gruen, George, E.: Dynamic Progress in Turkish-Israeli Relations, in: Israel Affairs, Vol. 1, Nr. 4, Sommer 1995, S. 42 301 Turkey`s Military Training Cooperation Agreement with Israel, Turkish Embassy Press Release, Washington 10.04.1996 302 vgl. ebd.

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Aber diese Erklärungen waren weit davon entfernt, vor allem syrische Bedenken auszu-

räumen. Tatsächlich wollte die Türkei mit dieser Kooperation eine Reihe von strategischen

Zielen verwirklichen. Eines davon war, der Stärkung der militärischen Zusammenarbeit

zwischen Syrien und Griechenland etwas entgegen zu setzen. Die Türkei fühlte sich durch die

Annäherung ihrer problematischen Nachbarn Griechenland, Syrien, Iran und Armenien

gestört und versuchte, diese durch Gegenmanöver zu stören. Das war die wichtigste

Bedeutung des militärischen Abkommens zwischen Israel und der Türkei.303 Das zweite Ziel

war es, alternative Rüstungsmöglichkeiten zu schaffen, weil der Hauptlieferant der türkischen

Armee, die USA, an die Türkei keine hochentwickelten Waffensysteme verkaufen wollen -

ein Erfolg der Arbeit antitürkischer Lobbies in den USA. Das dritte Ziel war, Syrien wegen

seiner PKK-Politik zu warnen.

In der Türkei selbst wurde das Thema wegen seiner regionalen strategischen Bedeutung auch

als ein pragmatisches Manöver angesehen, um die militärische Schlagkraft der Türkei zu

erhöhen. Das türkisch-israelische Abkommen wurde in der türkischen Innenpolitik weniger

hinsichtlich des Druckes auf Syrien bewertet, sondern mehr als ein effektiver Schritt gegen

die PKK. Andererseits zeigten die Basis der regierenden islamistischen Partei und deren

Medien eine äusserst scharfe Reaktion gegen dieses Abkommen. Denn eigentlich hatte die

Regierung, die nun ihre Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte, noch vor wenigen

Monaten in ihren Wahlkampagnen Sanktionen gegen Israel wegen dessen Palästinapolitik

angekündigt. Die Regierung der islamistischen Wohlfahrtspartei hatte jetzt unter dem Einfluss

der türkischen Armee den Vertrag unterzeichnet, hatte jedoch ihrer Basis nicht gesagt, dass

sie das zu akzeptieren hatte.

Nicht nur im Landesinneren, auch im Ausland gab es heftige Reaktionen. Vor allem arabische

Staaten und der Iran übten scharfe Kritik. Sogar Ägypten, das mit der Türkei traditionell

relativ gute Beziehungen unterhält, fragte die Türkei offiziell nach dem Inhalt und den

einzelnen Bestimmungen des Vertrages. Syrien, Saudi-Arabien und Ägypten veranstalteten in

der syrischen Hauptstadt einen Gipfel und veröffentlichten ein gemeinsames Kommuniqué, in

dem sie die Türkei dazu aufforderten, den Rüstungsvertrag mit Israel noch einmal zu

überdenken. Auf dem Arabischen Gipfel, der einen Monat darauf in Kairo stattfand, konnte

303 Turkey-Israel Forge Closer Ties, in: Turkish Probe, 15.03.1996

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zwar nicht, wie Syrien es gewollt hatte, eine Rüge für die Türkei beschlossen werden, aber die

Aufforderung von Damaskus wurde wiederholt.304 Die Haltung der Türkei zu dem israelisch-

palästinensischen Konflikt spielt in der Nahostpolitik der Türkei eine Rolle, wenn auch nicht

so eine direkte, wie dies bei dem Kurdenproblem, den Beziehungen zum Irak oder zu Syrien

der Fall ist. Die Reaktionen, die die sicherheitspolitische Annäherung zwischen der Türkei

und Israel in der arabischen Welt hervorriefen, haben in erster Linie mit den israelisch-

arabischen Spannungen und den Friedensproblemen im Nahen Osten zu tun.

Die Türkei hat seit den Osloer Gesprächen von 1994 den Friedensprozess im Nahen Osten

unterstützt. Der Frieden würde nicht nur die Stabilität in der Region erhöhen, sondern auch

die Geschäftsmöglichkeiten der Türkei verbessern. Die Türkei stellte sich also einerseits

weiterhin zu ihrer Solidarität mit den Palästinensern und schloss andererseits Abkommen mit

Israel, was an sich schon ein schwieriges Problem für sie darstellte, das durch einen Frieden

behoben werden könnte. Die Türkei hat seit 1992 in multilateralen Arbeitsgruppen über den

Nahostfrieden mitgearbeitet. Vor allem bei Gesprächen über die Wasserfrage, die Rüstungs-

kontrolle und wirtschaftliche Entwicklung übernahm sie wichtige Rollen.305 Gleichzeitig bot

sie der neu gegründeten palästinensischen Regierung ihre Unterstützung an. Bereits 1988

forderte sie als einziges NATO-Land eine Ausweitung des Anerkennungsrahmens von

Palästina. Im Dezember 1991 eröffnete sie sowohl bei der Palästinensischen Befreiungs-

organisation (PLO) als auch in Israel Botschaften. Sie bot den Palästinensern Hilfe in Sachen

Wohnungsbau und ähnlichen Infrastrukproblemen an.306 Die Türkei versuchte eine aufrechte

Solidarität mit Palästina weiterzupflegen, als sie sich auch an Israel annäherte. Das sie

Beziehungen zu Israel aufnahm, hatte weniger mit Palästina zu tun als mit anderen arabischen

Ländern, mit denen die Türkei Probleme hatte. Jemand, der das sehr gut verstand, war der

palästinensische Führer Jassir Arafat. Beide Seiten führten auf höchster Ebene Gespräche und

Arafat versuchte, die scharfen Reaktionen der arabischen Länder gegen die türkisch-

israelische Kooperation abzumildern. Die Türkei erwartete von dem laufenden Friedens-

prozess zwar eine bessere Zukunft für die Region, aber fragte sich auch, welche militärische

Position Syrien am Ende dieses Prozesses gegenüber der Türkei einnehmen würde. Die

304 Syria Fails to Turn Summit into an Anti-Turkish Forum, Turkish Probe, 28.06.1996 305 Gruen, George E.: Turkish-Israeli Relations: Crisis or continued Cooperation, Jerusalem Letter, Jerusalem Center for Public Affairs, Jerusalem 15.06.1996, S. 1-3 306 Aykan, Mahmut Bali: The Palestinian Question in Turkish Foreign Policy From the 1950`s to the 1990`s, International Journal of Middle Esat Studies, Vol. 25, Nr. 1, Februar 1993, S. 97

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Türkei kalkulierte, dass auf ein israelisch-palästinensisches Abkommen ein israelisch-

syrisches Abkommen folgen würde, und dass Syrien danach in Sachen Wasser und Hatay

(Alexandretta oder Antiochia) neue Ansprüche erheben könnte.307 Aber diese Befürchtungen

führten zu keiner Änderung in den grundlegenden Parametern der türkischen Außenpolitik.

Das darauffolgende Stocken des nahöstlichen Friedensprozesses und die größere Kontrolle

der Türkei über die PKK haben sich auch positiv auf die Beziehungen zu Syrien ausgewirkt.

9.5 Wasserpolitik als wachsendes Problem des Nahen Ostens

Wasser stellt eines der Hauptproblemfelder zwischen den Staaten des Nahen Ostens dar. Da

in Zukunft diese Ressource immer knapper zu werden droht, wird das Wasserproblem, d.h.

die Aufteilung des Trinkwassers unter den Staaten der Region zu einem Hauptkonfliktfeld

werden, das unbedingt zur Zufriedenstellung aller Seiten gelöst werden muss.308

Drei Flussbassins bilden die Hauptwasserquellen des Nahen Ostens: der Nil, der Jordan und

das Euphrat-Tigris-Bassin. Diese drei Flusssysteme speisen den Nahen Osten hauptsächlich

mit Trinkwasser. Jedes Flussbassin unterscheidet sich in seinen Eigenschaften von den

anderen. Da jedes seine eigenen Probleme aufweist, bedarf auch jedes einer eigenen,

spezifischen Lösung. Wasser tauchte schon im nahöstlichen Friedensprozess zwischen Israel

und Palästina als eines der Hauptproblemfelder auf. Beide Seiten wollen sich jährlich eine

bestimmte Menge an Wasserzufuhr sichern. Da die Türkei als ein an Wasser reiches Land

betrachtet wird, ist auch das Euphrat-Tigris-Bassin ein Fokus in der Wasserfrage für den

Süden der Türkei. Die Türkei selbst hat mit dem anspruchsvollen Staudammsystem bei

beiden Flüssen (GAP – Güneydogu Anadolu Projesi / Südostanatolienprojekt) die

ungehinderte Wasserzufuhr in den Süden, d.h. nach Syrien und in den Irak, gestoppt und

307 vgl. Elekdag, Sükrü: Two and a Half War Strategy, in: Journal of International Affairs, Vol. 1, Nr. 1, Ankara März-Mai 1996, S. 52 308 Für die Bedeutung des Wassers in der nahöstlichen Politik siehe Dommel, Lutz: Wasser: Schlüssel zu Krieg und Frieden im Nahen Osten. Zurück zu den Ursachen des Nahost-Konfliktes, Norderstedt Verlag 2002, S. 37-83

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kontrolliert nun die abfließende Wassermenge. Gemäß den geographischen Beschaffenheiten

der beiden Flüsse hat Syrien nun weniger Wasser als die Türkei, während der Irak mehr

Wasser hat. Diese drei Länder haben einen Kompromiss zu finden, wie sie das Wasser von

Euphrat und Tigris nutzen können. Die Türkei argumentiert, dass sie gar nicht so viel Wasser

besitzt wie angenommen wird. Während entwickelte wasserreiche Staaten Nordamerikas und

Europas jährlich über ca. 10 000 Kubikmeter pro Kopf verfügten, habe die Türkei nur ein

Fünftel davon, nämlich 1830 Kubikmeter Wasser pro Kopf im Jahr. Regenfälle bescheren der

Türkei zusätzlich 501 Milliarden Kubikmeter Wasser jährlich. Aber etwa zwei Drittel dieser

Wassermenge geht ungenutzt verloren. Von den übrigen 186 Milliarden Kubikmetern

Oberflächenwasser können nur ca. 98 Milliarden für die Volkswirtschaft genutzt werden.

Dazu kommen 12 Milliarden Kubikmeter Untergrundwasser jährlich.

Tabelle 2

Die jährliche Wassermenge pro Kopf in manchen wasserreichen Staaten Europas und

Nordamerikas sowie in nahöstlichen Staaten (m3 / pro Kopf / Jahr)

Länder 1993 Wasserreiche Staaten 10000 Irak 2110 Türkei 1830 Syrien 1420 Israel 300 Jordanien 250 Palästina 100

Quelle:http://www.mfa.gov.tr/grupa/ac/aci/default.htm

Der Euphrat und Tigris sind zwei der längsten und bekanntesten Flüsse der Welt. Beide

entspringen in den hohen Bergen Südostanatoliens, fließen durch die Türkei, Syrien und den

Irak, und vereinigen sich, um den Schatt Al Arab zu bilden, bevor sie nach 200 km in den

Persischen Golf münden. Sie bilden ca. 28,5 Prozent des türkischen Oberflächenwassers. Aus

der Türkei stammen 31 Milliarden Kubikmeter oder ca. 89 % der jährlichen Wassermenge des

Euphrats. Die übrigen 11 Prozent kommen aus Syrien. Der Irak trägt zu der Fließmenge

nichts bei. Beim Tigris ist das Bild spiegelverkehrt. 52 % der gesamten Fliessmenge von 49

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Milliarden Kubikmetern kommen aus der Türkei. Der Irak sorgt für den Rest. Aus Syrien

mündet kein Gewässer in den Tigris. Was die Ansprüche betrifft, ergibt sich folgendes Bild:

Syrien beansprucht 32 % des Euphratwassers und 5,4 % aus dem Tigris. Der Irak macht 65 %

des Euphrat- und 92,5 % des Tigriswassers geltend. Die Türkei will 52 % des Euphrat nutzen

sowie 14,1 % des Tigris.309 Diese Ansprüche zusammen bilden beim Euphrat 148 % des

Euphrat und beim Tigris 111 %. Das zeigt, wie unrealistisch die Forderungen sind und dass

alle drei Länder ihre Wünsche zu reduzieren haben. Die Türkei argumentiert, dass sie mehr

Wasser als ihre beiden Nachbarn braucht, weil sie im Gegensatz zu den beiden anderen

Staaten über kein Erdöl verfügt und deshalb auf Wasser als Energiequelle angewiesen ist.

Außerdem sei die Bevölkerungszahl der Türkei größer und die Landwirtschaft weitaus höher

entwickelt, sodass sie auch aus diesem Grund mehr Wasser brauche.

Mit Beginn der Operationen der PKK gegen die Türkei und dem Bau des GAP-Projektes in

den 80er Jahren wuchsen die Spannungen zwischen Syrien und der Türkei. Erst durch die

Drohungen der Türkei gegenüber Syrien, Damaskus müsse die Unter-stützung der PKK

unterlassen und deren Führer Abdullah Öcalan ausliefern, sowie durch die Selbstverpflichtung

der Türkei, die international geregelte Zuflussmenge bei grenzüberstreitenden Flüssen in

Höhe von 450 m3 pro Sekunde einzuhalten, konnten die jahrzehntelangen Spannungen

abgebaut und pragmatische bilaterale Beziehungen aufgebaut werden. Mit der Unter-

zeichnung des Vertrags von Adana am 20. Oktober 1998 im Bereich der Sicherheits-

kooperation wurden erste positive Schritte zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen

aufgenommen.310

Das Wasserproblem ist auch in den türkisch-israelischen Beziehungen ein Thema. Israels

Bemühungen, Trinkwasser des Flusses Manavgat bei Antalya im Süden der Türkei zu kaufen,

gehen bis heute ununterbrochen weiter. Obwohl das Thema bei verschiedenen Gelegenheiten

erörtert und einige Vorprotokolle und Verträge unterzeichnet wurden, hat die Lieferung nach

Israel noch nicht angefangen. Wenn die Trinkwasserlieferungen beginnen, wird das erheblich

zu besseren Beziehungen zwischen den beiden Ländern beitragen.

309 http://www.mfa.gov.tr/grupa/ac/aci/default.htm 310 vgl. Ihsan, Ali: Water as an Element of Corporation and Development in the Middle East, Ankara 1994, S. 51

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9.6 Positionierung der Türkei im „Greater Middle East Project“

der USA

Am 19. Oktober 2003 hielt Nicholas Burns, der US-Botschafter bei der NATO, anlässlich der

Konferenz „NATO and the Greater Middle East“ in Prag eine viel beachtete Rede.311 Er

brachte ein Konzept zur Sprache, das später heftig diskutiert werden sollte. Burns sagte, dass

die NATO zwar weiterhin Europa und Nordamerika verteidigen werde, die USA aber nicht

mehr glaubten, dass die NATO diesen Auftrag von ihren westlichen Standorten aus erledigen

könne. Die NATO müsse sich konzeptuell und militärisch dem Süden und Osten zuwenden.

Die Zukunft der NATO liege im Süden und im Osten, und dieses Gebiet sei der „Größere

Nahe Osten“ (Greater Middle East).312 Bedrohungen sieht Botschafter Burns aus den

Richtungen „Zentral- und Südasien, dem Mittleren Osten selbst und aus Nordafrika.”

Für den Frühjahrs-Gipfel der NATO in Istanbul kündigte Botschafter Burns eine Ost-

Initiative seiner Regierung an: Man wolle die Ausweitung des NATO-Einflusses in die

Kaukasus-Region und nach Zentral-Asien.313 Das Greater Middle East Project, das heute im

Nahen Osten selbst, in der Türkei, aber auch in westlichen diplomatischen Kreisen heftigst

diskutiert wird, stützt sich auf Gedanken, die von US-Präsident George W. Bush nach den

Terroranschlägen vom 11. September 2001 entwickelt wurden. Nach Ansicht von Bush zielte

der US-Angriff auf Afghanistan nicht auf die muslimische Welt, sondern auf die Terroristen.

Deshalb müssten die muslimischen Länder mit den westlichen gegen den Terror

zusammenarbeiten. Der Terror ließe sich nicht bloß durch militärische Maßnahmen

verhindern; wegen seines grenzüberschreitenden Charakters würden sich terroristische

Aktivitäten am besten durch die Herstellung von Stabilität in größeren Regionen bekämpfen

lassen.314

311 Der Originaltext der Rede ist zu finden unter: http://usinfo.state.gov/xarchives/display.html?p=washfile-english&y=2003&m=October&x=20 031023173310osnhojac0.5739099&t=usinfo/wf-latest.html 312 ebd. 313 ebd. 314 vgl. die Rede des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush zur Lage der Nation vom 28. Januar 2003. Der Originaltext ist zu finden unter: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2003/01/20030128-19.html

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An dieser Stelle ist zu erwähnen, wie eine politisch-psychologische Strategie nach dem 11.

September 2001 von der US-Regierung unter Präsident George W. Bush entwickelt wurde.

Die Deutung Bushs, die Anschläge des 11. September als Herausforderung an die ganze

westliche Zivilisation auszulegen, diene zum einen dazu, das traumatische Erlebnis durch die

Entschlossenheit der Regierung gegen die Schuldigen vorzugehen, aufzufangen.315 Insofern

nutzt der Aufbau eines bedrohlichen Klimas in innenpolitischer Hinsicht, der Bevölkerung zu

zeigen, dass die Gefahr äußerst real besteht. Durch die klare Benennung von Schuldigen wird

aber gleichzeitig auch die politische Lösungskompetenz und der absolute Handlungswille der

Regierenden aufgezeigt und die Schuldfrage externalisiert.

Zum anderen werde durch diese Deutung die Mobilisierung des amerikanischen Volkes

verstärkt. Auch der Mobilisierungsfaktor, der von der Politik zur Herstellung eines paranoiden

Klimas seit den Anschlägen auf New York und Washington ausgehe, ist von großer

Bedeutung. Paranoia meint in diesem Zusammenhang gewisse Züge der Politik, die dem

Krankheitsbild ähneln. „Es wird ein Feind- und Selbstbild geschaffen und vor allem ein

Klima, in dem der so geschaffene Feind das Selbst, die eigene Gesellschaft tödlich

bedroht.“316 Dies hat zur Folge, dass Differenzierungen von Standpunkten nicht mehr

zugelassen werden, oder aber als Meinung des Feindes ausgelegt werden. Beispiele sind der

Ausspruch Bushs „Jede Nation in jeder Region muss jetzt eine Entscheidung treffen.

Entweder ihr seid auf unserer Seite oder ihr seid auf der Seite der Terroristen.“317

Der Aufbau eines Feindbildes mit den Ausmaßen „apokalyptischer Absolutheit“318 dient also

der absichtlichen Erzeugung eines Klimas von Angst und Bedrohung. Fühlt sich ein

Lebewesen bedroht, werden enorme Kräfte freigesetzt und für den Kampf ums Überleben

mobilisiert. Daher werden Bedrohungsszenarien entworfen und „der andere“ ideologisch zu

315 Czempiel, Ernst Otto: Weltpolitik im Umbruch. Die Pax Americana, der Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen, Bonn 2002, S. 114 f. 316 Funke, Hajo: Der amerikanische Weg: hegemonialer Nationalismus in der US-Administration, Berlin 2002, S. 126 317 Bush, George W.: State of the Union, 20. September 2001, zitiert nach: Chauvistre, Eric: Wir befinden uns im Krieg, in: Die Tageszeitung vom 21.03.2003, S. 12 318 Funke, Hajo: Der amerikanische Weg: hegemonialer Nationalismus in der US-Administration, Berlin 2002, S. 118

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einer tödlichen Gefahr gedeutet, um die individuelle Bereitschaft zu kämpfen, hier in den

Krieg einzutreten, zu verstärken.319

Die USA haben ihre neue Nahostpolitik auf unterschiedlichen Foren zum Ausdruck gebracht.

Ab Frühling 2004 intensivierten sich die diesbezüglichen Debatten. In der ägyptischen

Hafenstadt Alexandria wurden auf einer Tagung mit Akademikern und Politikern die nötigen

Schritte diskutiert, um die arabischen Staaten für das neue Projekt zu erwärmen.320 Vom 8. -

10. Juni 2004 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der G 8 unter Vorsitz des US-

Präsidenten G.W. Bush auf Sea Island im US-Bundesstaat Georgia zum Weltwirt-

schaftsgipfel.321 Auch auf dem G-8-Gipfel forderte George W. Bush die entwickelten Staaten

des Westens dazu auf, das Greater Middle East Projekt zu unterstützen. Der Hauptgrund für

die Hilferufe der Amerikaner ist, dass Washington an die Notwendigkeit von Wirtschafts-

hilfen aus entwickelten Staaten an die Länder des Nahen Ostens glaubt, damit diese die

wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformen in ihren Ländern verwirklichen können.

Als das Areal des Projekts wurde das weite, hauptsächlich von Muslimen bewohnte Gebiet

von Nordafrika bis Zentralasien bezeichnet.322

Die in dem Projekt angestrebten sozialen und politischen Reformen sollen die Instabilitäten in

diesen Staaten beenden, was wiederum radikalen und terroristischen Bewegungen den

Nährboden entziehen soll. Der US-amerikanische Vizepräsident Cheney sagte auf dem

Weltwirtschaftsforum in Davos am 24. Januar 2004: „Die Schlüsselrolle bei der Bekämpfung

des Terrorismus werden die Hilfeleistungen spielen, durch die die Völker des Nahen Ostens

ihre demokratischen Freiheiten erkämpfen können ... Wir müssen die Gewaltideologien an der

Quelle treffen, indem wir die Demokratie im größeren Raum des Nahen Ostens und darüber

hinaus fördern.”323 Cheney wies außerdem auf die tatsächliche „Größe“ dieses Projektes hin

319 vgl. ebd., S. 127 320 vgl. “Alexandria Statement”- Arab Reform Issues:Vision and Implementation, 12.-14. März 2004, in: http://www.arabreformforum.com/files/En_Alexandria_Document.pdf 321 Informationen zum G8-Weltwirtschaftsgipfel 2004 in Sea Island siehe: http://www.bmwi.de/Navigation/Aussenwirtschaft-und-Europa/Aussenwirtschaftspolitik/weltwirtschaftsgipfel, did=36980.html 322 vgl. Der Spiegel: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,303506,00.html, Juni 2004 323 vgl. Neue Zürcher Zeitung (NZZ): http://www.nzz.ch/dossiers/2004/wef/2004.01.24-al-newzzDPTLC0DO-12.html, 24.01.2004

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und sagte, dass seine Verwirklichung wohl über eine ganze Generation hinaus dauern

könne.324

Die im Zusammenhang mit dem Greater Middle East Project ausgedrückten Ziele verlangen

tatsächlich wichtige Veränderungen, die von manchen Experten mit dem Marshall-Plan nach

dem 2. Weltkrieg in Europa oder der OSZE (Organisation für Stabilität und Zusammenarbeit

in Europa) nach dem Kalten Krieg verglichen werden. Aber das Projekt stößt bisher in den

meisten arabischen Staaten nicht auf Gegenliebe. Syrien vertritt den Standpunkt, dass eine

von außen diktierte Demokratie schwer zu akzeptieren sei, während der ägyptische Staats-

präsident Hosni Mubarak das Greater Middle East Project als ein mit den Realitäten der

Region nicht zu vereinbarendes Vorhaben bezeichnet. Die Führungskräfte der arabischen

Länder werden mögliche Hilfsleistungen zweifellos nicht von sich weisen, aber sie sind dafür,

die im Gegenzug verlangten Reformen so minimal wie möglich zu halten. Das gilt vor allem

für Staaten, die keine oder nur geringe Erfahrungen auf dem Gebiet des Mehrparteiensystems

besitzen. Die Führer der arabischen Staaten des Nahen Ostens wollen deshalb die Demokratie

nicht von außen importieren, sondern im Innern selbst, durch eigene Schritte, lenken und

kontrollieren.325

Ein anderer Grund, weshalb arabische Regenten des Nahen Ostens dem Greater Middle East

Project mit Zweifeln begegnen, ist ihr Misstrauen gegenüber den Vereinigten Staaten. In

diesen Ländern ist man der Ansicht, dass die USA hinsichtlich einer gerechten Lösung des

Nahostkonfliktes (zwischen Palästina und Israel) erfolglos geblieben sind; sie glauben sogar,

dass die USA nicht genug unternehmen, um die durch Israel ausgeübte Gewalt zu stoppen.

Der US-Präsident Bush unternahm zwar im Jahre 2003 einen Schritt, um den Friedensprozess

zu reaktivieren, aber dieser hatte keinen Erfolg. Die Eskalation der Gewalt in den besetzten

Gebieten durch Israel und die gewalttätige Antwort palästinensischer Organisationen, durch

die die Gewaltspirale im Nahen Osten immer höher gedreht wird, machte und macht in den

Augen der Araber den großen Spieler USA in der Region immer unglaubwürdiger.

Ein weiterer Umstand, der das Bild noch komplizierter machte, war selbstverständlich der

letzte Irak-Krieg und die Rolle der USA darin. Der Ex-Vertreter der Arabischen Liga in

324 ebd. 325vgl. Sir Ahmad, Mohammad: On the Greater Middle Esat Project, in: Al-Ahram Weekly Online: http://weekly.ahram.org.eg/2004/679/op3.htm, 26.Februar- 03. März 2004, Nr.679

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Washington, Klovis Maksud, sollte hier zitiert werden: „Dieses Projekt (Greater Middle East)

will die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von dem illegitimen Krieg im Irak ablenken.

Die Amerikaner laden die gesamte globale Gemeinschaft dazu ein, den Krieg hinsichtlich

dieser nachträglichen Pläne zu bewerten und versuchen, ihre eigentlichen Ziele zu

verschleiern. Zudem versuchen die USA, die G-8 zu ihren Kooperationspartnern zu

machen.“326 Diese Ansicht kann zweifellos nicht als diejenige der gesamten arabischen Welt

betrachtet werden. Aber sicherlich spiegelt sie die Gedanken der arabischen Öffentlichkeiten

wider. Da die politischen Führer neben der Öffentlichkeit auch die Realpolitik berück-

sichtigen, erteilen sie den USA nicht kategorisch eine Absage. Sie wollen möglichst

angekündigte Hilfe entgegennehmen, ohne ihre Macht und ihre Kontrolle über das Land zu

verlieren. Auch wenn die Türkei dem Greater Middle East Project von Anfang an etwas

schwankend gegenüberstand, zeigt ihre Reaktion doch erhebliche, strategisch wichtige

Abweichungen von der der arabischen Länder.

Die Türkei betrachtet das Greater Middle East Project grundsätzlich mit Wohlwollen. Sie

glaubt, dass dieses Projekt ihre Rolle als einen regionalen Mitspieler stärken wird, und dass es

dem Westen helfen wird, die wichtige Bedeutung der Türkei besser zu verstehen. Denn die

Türkei denkt, dass sie hinsichtlich der geplanten wirtschaftlichen, politischen und sozialen

Reformen als ein Modellstaat dienen wird. Das könnte dazu führen, dass die westlichen

Hilfen an die Türkei steigen, und dass ihre Position im Nahen Osten betont und gefestigt

wird.

Die Türkei hat aber auch konkrete Schritte unternommen, die ihre Position im Greater Middle

East Project konkretisieren und korrigieren sollen. Denn zwischen der ihr zugedachten Rolle

und der Rolle, die sie sich selbst vorstellt, gibt es einige wichtige Unterschiede. Zuerst gab die

Türkei bekannt, dass sie das Projekt so weit es geht unterstützen will und signalisierte damit,

dass sie ihm grundsätzlich positiv gegenübersteht. Diplomatische Quellen berichteten, dass es

diesbezüglich einen regen Austausch zwischen Washington und Ankara gegeben hat, und

dass die US-Führung hinsichtlich der Position der Türkei ausführlich unterrichtet wurde.327

326 vgl. Bubnov, Vasiliy: Greater Marshall Plan for Arabs, 03.11.2004, in: http://english.pravda.ru/ printed.html? news_id=12249 327 vgl.Turkey Conveys Its Views On Greater Middle East Initiative To United States, in: Anadolu Agency:

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Aber die Türkei hatte auch von Anfang an Vorbehalte gegen das Projekt. Aus den Medien

war zu erfahren, dass die Führungskräfte der Türkei aus dem Land nicht unbedingt einen

Modellstaat für den gesamten Nahen Osten machen wollten, und dass die Türkei eher als ein

Land, das diese Region gut kennt, ihren Beitrag zu dem Projekt leisten könne. Die Türkei

erklärte sich auch bereit, das Projekt vor allem mit der Mikro-Finanzierung von Nicht-

regierungsorganisationen finanziell zu unterstützen. Jedes Land der Region solle zu dem

Projekt im Rahmen seiner Möglichkeiten beitragen; es sei außerordentlich wichtig, dass sich

die betroffenen Länder das Projekt selbst aneigneten. Da Ankara der Ansicht war, dass das

Projekt eigentlich nicht im Detail ausdiskutiert ist, lud sie die betroffenen Länder dazu ein, an

der Gestaltung des Projektes aktiv mitzuarbeiten.

Nach Ansicht der Türkei kann das Greater Middle East Project in der Region zu Demo-

kratisierung, Transparenz und einer für sie wichtigen und offenen Wirtschaft führen. Die

Hilfe der westlichen Staaten sei hierbei von entscheidender Bedeutung. Sie selbst sieht sich

dabei als einen Brückenstaat. Aber die der Türkei wirklich zugedachte Rolle scheint bis heute

nicht klar definiert zu sein. „Ist die Türkei Objekt oder Subjekt des Greater Middle East

Project?“ war eine Frage, die der türkischen Regierung durch die Medien im ersten Halbjahr

2004 oft gestellt wurde. General Ergin Saygun, Ständiger NATO-Vertreter der Türkei,

betonte, dass die Türkei nicht „Zielland“ sei, sondern unter die europäischen Staaten gezählt

werden solle.328 Saygun sprach auf der 23. Tagung des Türkisch-Amerikanischen Rats und

erklärte, die Türkei unterstütze die Nahostinitiative der USA, die für Frieden und

Demokratisierung in der Region sorgen werde. In diesem Rahmen würde sie alle Schritte der

USA begrüßen, aber in dem Projekt gebe es noch viele Punkte, die der Konkretisierung

bedürften. General Saygun vertrat die auch in Ankara dominierende Ansicht, dass Frieden im

Nahen Osten nur durch friedliche Maßnahmen erreicht werden kann, und dass dem Irak und

Palästina in dieser Hinsicht Schlüsselrollen zukommen. Saygun bezeichnete diesen Ansatz als

einen „vorsichtigen Optimismus“ (cautious optimism) und sagte, die Ungewissheiten müssten

beseitigt werden, um die volle Unterstützung der Türkei zu erlangen.329

http://www.turkishpress.com/turkishpress/news.asp?ID=20615, 31.05.2004 328 vgl. Turkey Should Be Grouped With European Countries In Greater Middle East Project, in: Anadolu Agency: http://www.turkishpress.com/turkishpress/news.asp?ID=18930, 04.06.2004 329 vgl. ebd.

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Genauso wie Saygun gab auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Erklärungen über eine mögliche Beteiligung der Türkei am Greater Middle East Project ab.330

Erdogan, der an dem besagten G-8-Gipfel teilnahm, sagte, dass die der Türkei zugedachte

Rolle viele Ungewissheiten enthalte und dass diese unbedingt beseitigt werden müssten.

Ministerpräsident Erdogan beachtete vor allem die Sensibilitäten seiner Klientel bezüglich

Palästina und sagte, dass im Nahen Osten zuallererst der Palästinakonflikt gelöst werden

müsse und dass bei der Aufteilung des Landes zwischen Palästinensern und Israelis die

Wasserressourcen gerecht aufgeteilt werden müssen.331 Indessen versuchte der türkische

Außenminister Abdullah Gül die islamischen Wähler bezüglich der sensibleren Punkte des

Projektes zu beruhigen. Gül erklärte, dass die Türkei das Projekt grundsätzlich gutheißt, aber

nicht mehr unterstützen wird, wenn es Eigenschaften entwickelt, die nicht mehr im Interesse

muslimischer Länder liegen.332 Trotz all dieser zweifelnden, skeptischen Äußerungen sieht

sich die türkische Regierung in strategischer Partnerschaft mit den USA und will eine aktive

Rolle in dem Projekt spielen. Dabei sollen aber die Beziehungen der Türkei zu den

muslimischen arabischen Ländern keinen Schaden erleiden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Türkei eine der US-Politik in der Region

angepasste Nahostpolitik verfolgt. Allerdings fühlt sie sich vor allem in Bezug auf eine

mögliche Aufteilung des Irak mit der Bildung eines unabhängigen Kurdenstaates in der

Region durch die Ungewissheiten der US-Politik brüskiert und gestört. Auf der anderen Seite

bietet sie sich im Rahmen einer strategischen Partnerschaft und der bilateralen Interessen im

Nahen Osten den USA als einen noch aktiveren Partner als in der Vergangenheit an. Auch die

Aufrufe des türkischen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer an die muslimischen Länder,

demokratische Reformen einzuleiten, können als Folge dieser Politik verstanden werden.

330 vgl. “Erdogan: Turkey Is Not Target Of Greater Middle East Project But Its Democratic Partner”, in: Cihan News Agency: http://www.turkishpress.com/turkishpress/news.asp?ID=21182, 15.06.2004 331 ebd. 332 vgl. “Gül: Turkey Would Not Be Involved In Projects That Are Against Islam Countries”, in: Anadolu Agency: http://www.turkishpress.com/turkishpress/news.asp?ID=2084, 07.06.2004

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KAPITEL 10: Der türkisch-kurdische Konflikt vor dem

Hintergrund der EU-Integration

Mitte Februar 1999 wurde der kurdische PKK-Führer Abdullah Öcalan am Flughafen von

Nairobi vom türkischen Militärgeheimdienst festgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er

sich in der griechischen Botschaft Kenia versteckt gehalten. Vier Monate zuvor hatte seine

Flucht von Syrien aus begonnen, wo er sich seit 1979 aufhielt und die Aktionen der PKK

organisierte, was ihn über Griechenland, Russland, Italien, Weißrussland, wieder

Griechenland und letztlich nach Kenia führte. Seiner Verhaftung folgte die Aufgabe des

offenen Kampfes der PKK gegen den türkischen Staat. Dem vorausgegangen war ein

jahrelanger gewaltsam ausgetragener Konflikt. Jüngste Meldungen aus der Türkei berichten

von einer scheinbar gänzlich anderen Sachlage. Ehemaligen Kämpfern der PKK werden von

türkischer Seite Amnestie-Angebote unterbreitet mit dem Ziel, diese in die Gesellschaft

wieder einzugliedern.333 Von einer „türkischen Revolution“ ist die Rede; und sogar das

traditionell einflussstark in Verfassung und Staatsverständnis verankerte türkische Militär ist

auf dem Rückzug aus der Politik und gibt sich reformfreudig.334 Es könnte der Eindruck

entstehen, in den letzten vier Jahren habe sich vieles in der Türkei geändert, der türkisch-

kurdische Konflikt ist beigelegt und Staatsreformen werden wohlwollend angegangen.

Demzufolge stünde einem EU-Beitritt der Türkei nicht mehr viel im Wege. Bei detaillierter

Betrachtungsweise gestaltet sich die Sachlage indessen nicht so klar und überschaubar.

10.1 Die Lösungsrelevanz als Integrationsprämisse

Der bisherige türkisch-kurdische Konflikt bestand nicht nur aus den Auseinandersetzungen

zwischen der PKK und dem türkischen Militär. Es war lediglich die äußere Erscheinungs-

form, die durch die Medien immer wieder an die Weltöffentlichkeit drang. Die Ursachen und

Hintergründe hingegen haben eine weitaus komplexere und vielschichtigere Gestalt. Und

333 vgl. Schlötzer, Christiane: „Türkei gliedert PKK-Kämpfer ein“, in: SZ vom 06.08.03 334 vgl. Schlötzer, Christiane: „Militär verliert an Macht“, in: SZ vom 08.08.03 und „Die türkische Revolution“, in: SZ vom 09./10.08.03

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auch der Weg in die Europäische Union ist noch nicht so frei geräumt, wie es oberflächlich

vor allem in den Augen der Türkei den Anschein haben mag. Dieser Abschnitt beschäftigt

sich deshalb damit, hinter die Kulissen des türkisch-kurdischen Konflikts in Vergangenheit

und Gegenwart zu blicken, um den Lösungsschwierigkeiten zu begegnen und dessen

Relevanz für einen EU-Beitritt zu analysieren. Dabei kann keinesfalls der Anspruch auf

Vollständigkeit erhoben werden. Vielmehr liegt der Fokus darauf, verschiedene essentielle

Faktoren zu analysieren, den Konflikt sowohl in die türkische als auch kurdische Gesellschaft

einzufügen, die Rolle der Akteure zu beleuchten, den internationalen Kontext zu skizzieren

und schließlich den Bezug und die Bedeutung des Konflikts für einen EU-Beitritt der Türkei

herzustellen.

Es soll ersichtlich werden, dass die Wurzeln des Konflikts historischer, sozialer und auch

politischer Natur sind und in ihrer Tragweite nicht auf kurze Sicht durch einige politische

Reformen neutralisiert werden können; dass es eines grundsätzlichen Wandels des Staatsver-

ständnisses in der Türkei bedarf.

Im Kontext dieser Arbeit wird vornehmlich die Rede vom türkisch-kurdischen Konflikt oder

aber auch - im weiteren Sinne - von der Kurdenfrage sein. Diese Begrifflichkeit erscheint der

Sachlage am treffendsten Rechnung zu tragen. In mannigfachen wissenschaftlichen Quellen

tauchen Bezeichnungen wie „Kurdenproblem“, „Kurdenkonflikt“ oder gar nur „Terrorismus-

problem“ auf. Die grundlegende Herangehensweise an diesen Konflikt ist hier allerdings die

Annahme, dass es immer zweier Parteien bedarf, um zu Unstimmigkeiten zu gelangen. Aus

diesem Grund scheint die Bezeichnung als türkisch-kurdischer Konflikt zutreffender.

Während sich die Situation in den kurdischen Gebieten nach der nahezu faktischen

Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen PKK und türkischen Sicher-

heitskräften seit dem Jahr 2000 deutlich entspannt hatte, hat der Konflikt seit der

Aufkündigung der von der PKK einseitig erklärten Waffenruhe im Frühsommer 2004 erneut

an Schärfe gewonnen. Im Zuge dieser Eskalation ist auch ein erneuter Anstieg von

Übergriffen staatlicher Kräfte (vor allem der Gendarmerie) auf kurdische Dorfbewohner zu

verzeichnen. Die im Rahmen der in Kapitel 4 dargestellten Reformen zugestandenen

kulturellen Rechte für die Kurden beschränken sich auf einem minimalen Niveau: Radio- und

Fernsehsendungen in kurdischer Sprache für ca. 1 Stunde pro Woche (die Gesamtsendezeit in

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Minderheitensprachen von 5 bzw. 4 Stunden pro Woche ist auf mehrere Minderheiten-

sprachen aufgeteilt) und die Zulassung privater Sprachkurse. Verboten ist der Gebrauch der

kurdischen Sprache nach wie vor für Parteien und im Rahmen von Wahlkämpfen. Auch in

jüngster Zeit wurden Mitglieder von Parteivorständen zu Haftstrafen verurteilt, weil sie

kurdische Redebeiträge auf Parteiversammlungen zugelassen hatten; ebenso Kandidaten pro-

kurdischer Parteien, die bei Wahlkundgebungen die Besucher auf Kurdisch begrüßt hatten.

Anfang Juli 2005 hat das Amtsgericht in Halfeti (Urfa) die stellvertretende Vorsitzende der

DEHAP, Handan Cağlayan, und den Vorsitzenden für die Provinz Urfa, Ahmet Dağtekin,

wegen einer kurdischen Ansprache auf einer Wahlveranstaltung am 28. März 2004 verurteilt.

Weil sie auf der Veranstaltung Kurdisch gesprochen haben und damit gegen das Gesetz für

politische Parteien verstießen, erhielt Ahmet Dağtekin eine Haftstrafe von 6 Monaten und

eine Geldstrafe von 440 YTL (Neue Türkische Lira). Handan Cağlayan wurde zu einer

Haftstrafe von 7 Monaten und einer Geldstrafe von 513 YTL verurteilt. Derzeit läuft zudem

ein Verbotsverfahren gegen die Gewerkschaft für Mitarbeiter des Erziehungsbereichs, Eğitim

Sen, weil in ihren Statuten das Recht auf muttersprachlichen Unterricht für alle Kinder im

staatlichen Bildungssystem gefordert wird. Gerade diese jüngsten Ereignisse erfordern eine

detaillierte Herausarbeitung des Konflikts in einer historischen und ursächlichen Einordnung.

10.2 Die Perzeptionen des Konflikts

Charakteristisches Merkmal eines Konfliktes sind vorhandene Interessensunterschiede der

beteiligten Parteien in Bezug auf einen bestimmten Streitgegenstand. Theoretisch ist eine

Konfliktbeilegung nach der Darstellung und Analyse der jeweiligen Standpunkte und

Argumente durch Kompromiss oder Kooperation der Parteien möglich. Die Voraussetzung

zum erfolgreichen Konfliktmanagement und zur konstruktiven Auseinandersetzung ist jedoch

eine grundlegende Einigkeit, was den Streitgegenstand und damit die generelle Wahrnehmung

des Konfliktes betrifft. In Bezug auf den türkisch-kurdischen Konflikt liegen bereits an

diesem Punkt erhebliche feststellbare Divergenzen vor. Auf der einen Seite stellt sich der

Konflikt als Ausdruck von Freiheitsbestrebungen und dem Verlangen nach rechtlicher

Gleichstellung der kurdischen Bevölkerung dar. Die gewaltförmigen Auseinandersetzungen

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zwischen der PKK und dem türkischen Militär von 1984 bis 1999 sind demnach das Resultat

der türkischen Verweigerung von Rechten für die kurdische Bevölkerung und der

Unterdrückung einer ethnischen Minderheit durch eine mehrheitliche Gruppe. Cornell zufolge

wird der Konflikt sowohl weitestgehend in westlichen als auch in Ländern der Dritten Welt so

wahrgenommen.335 Auf der anderen Seite, aus türkischer Perspektive, gestaltet sich die

kurdische Frage grundlegend davon losgelöst. „Der Konflikt wird im Sinne einer ethnischen

Minder-heitenfrage oder nationalen Frage abgelehnt.“336 Vielmehr handelt es sich für das

türkische Militär und die türkische Regierung um ein sozioökonomisches Problem und um ein

Terrorismusproblem.337 Eine Veränderung der türkischen Perspektive kann im Hinblick auf

die Unantastbarkeit der kemalistischen Prinzipien nur mühsam erfolgen.

Die türkische Regierung hatte lange Zeit nicht eingesehen, dass es ein kurdisches Problem

gab und gibt, vielmehr setzte sie dies gleich mit dem PKK-Problem. „If the Kurdish-Turkish

dichotomy represents the central ethnic cleavage in Turkey, its crucial nature has often been

obscured by the struggle between the Turkish state and the PKK.“338 Dieser Logik folgend ist

es der Türkischen Regierung ermöglicht, nicht über ein kulturelles oder politisches Problem

zu reden, sondern lediglich über ein terroristisches, welches Maßnahmen zum Erhalt der

staatlichen Sicherheit erfordert. Philip Robins argumentiert, dass im kurdischen Volk eine

zweiteilige Gesellschaft existiert. Der eine Teil, der sich selber als Kurden identifiziert und

der andere Teil, der sich in Form der Organisation der PKK darstellt. Sich von türkischer oder

auch kurdischer Seite von den „Extrempositionen“ zu entfernen ist schwierig. „(...) Most of

the middle ground in Kurdish-Turkish relations has either disappeared or has become

extremely uncomfortable - not to mention dangerous – to occupy.”339 Jene auf türkischer

Seite, die Bestrebungen zur Anerkennung einer kurdischen politischen Realität, losgelöst von

der PKK, unternahmen, standen schnell allein da oder machten sich angreifbar. Jene von der

kurdischen Seite, auf der Suche nach einem Mittelweg, bekamen Druck von gleich mehreren 335 vgl. Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1., Winter 2001, S. 31 336 Gürbey , Gülistan: Wandel in der Kurdenpolitik? Die Türkei zwischen Dogma und Liberalisierung, in: Internationale Politik 1998, Heft 1, S. 42 337 vgl. hierzu Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol.45, No.1., Winter 2001, S. 31-32; vgl. Gürbey, Gülistan: Wandel in der Kurden-politik? Die Türkei zwischen Dogma und Liberalisierung, in: Internationale Politik 1998, Heft 1, S. 42 338 Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 77 339 Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 78

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Seiten zu spüren.340 Zieht man nun diese gegensätzliche Wahrnehmung der kurdischen Frage

in Betracht, wird ersichtlich, wie komplex sich die Problematik nicht nur per se gestaltet,

sondern wie problematisch darüber hinaus bereits eine Übereinkunft der Parteien bezüglich

des Problemgegenstandes und damit eines Ausgangspunktes zur Konfliktbeilegung ist.

10.2.1 Historische Einordnung

Die gegenwärtige Verteilung des kurdischen Volkes auf die verschiedenen Länder Irak, Iran,

Syrien und Türkei, resultiert aus den Folgen des 1.Weltkrieges und dem Zerfall des

Osmanischen Reiches. Um den heutigen türkisch-kurdischen Konflikt zu verstehen, ist es

unumgänglich, seine historischen Wurzeln zu betrachten und einen Blick auf die damaligen

Geschehnisse zu werfen. Auch Lale Yalcin-Heckmann betont, dass die Ereignisse in den

ersten drei Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts in der Türkei bzw. im Osmanischen Reich

entscheidend für das türkisch-kurdische Verhältnis waren.341

10.2.1.1 Friedensabkommen von Sèvres und Lausanne

Das Friedensabkommen von Sèvres vom 10. August 1920, unterzeichnet von den alliierten

Kräften und dem Osmanischen Reich, sah für die Kurden relativ weitgehende Souveränitäts-

und Autonomierechte vor, was aber nicht zu einer praktischen Umsetzung des Abkommens

führte. Türken und Kurden setzten sich gegen die Besetzung des ehemaligen Osmanischen

Reiches und die Verteilung der Territorien unter den Alliierten gewaltsam zur Wehr. Am

Ende des Unabhängigkeitskrieges, in dem sowohl Kurden als auch Türken gemeinsam

kämpften, wurde am 24. Juli 1923 das Friedensabkommen von Lausanne unterzeichnet. Im

Gegensatz zum vorherigen Friedensabkommen von 1920 wurden hier die Interessen der

340 ebd. 341 vgl. Yalcin-Heckmann, Lale: Zur Kurdenproblematik in der Türkei, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 11-12/97, 07.03.1997, S. 43

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kurdischen Bevölkerung weitaus weniger berücksichtigt.342 „In Turkey, the Kurds contributed

to the War of Independance (1919-1923), but in the immediate post-1923 period Kemal

Atatürk rejected the Kurds` demands for autonomy, severely crushed Kurdish revolts in 1920s

and 1930s and pursued a strategy aimed at their assimilation into the Turkish nation, using

both education and military force.”343 Ismail Görer zufolge waren die Erdölvorkommen in

den kurdischen Gebieten für die Verteilung der Territorien zwischen den Alliierten,

insbesondere für England und Frankreich, von erheblicher Bedeutung. Das kurdische Gebiet

wurde ohne Gegenwehr von Seiten der Türkei „aufgrund der Interessen der imperialistischen

Mächte“ auf die vier Staaten, Türkei, Irak, Iran und Syrien verteilt.344

Der Vertrag von Lausanne beinhaltet keine gesonderten Rechte für die Kurden, wie noch

während des Unabhängigkeitskrieges von Seiten Kemal Atatürks den Kurden zugesagt, noch

gelten die im Vertrag festgehaltenen Minderheitenrechte für muslimische Minderheiten.

Mumtaz Soysal erklärt, dass nach islamisch religiöser Kultur unterschiedliche Ethnien keine

Rolle spielten und dem Konzept der „umma“ folgend alle Muslime gleichgestellt waren.345

Dieser Logik folgend werden die größtenteils muslimischen Kurden in der Türkei nicht als

Minderheit angesehen.

10.2.1.2 Kemalismus als türkisches Staatsverständnis

Der türkische Nationalismus und das türkische Staatsverständnis werden in einer Vielzahl

literarischer, wissenschaftlicher Quellen als einer der zentralen ursächlichen Faktoren des

türkisch-kurdischen Konfliktes angeführt.346 Im Folgenden sollen die Entstehung und die

342 vgl. Görer, Ismail: Programme und Akteure der Kurdenpolitik in der Türkei. Versuch einer Einschätzung der interethnischen Koexistenzperspektiven; Osnabrück 2003, S. 4 ff. 343 Galletti, Mirella: The Kurdish issue in Turkey, in: The International Spectator. Special Issue, January-March 1999, S. 123 344 vgl. Görer, Ismail: Programme und Akteure der Kurdenpolitik in der Türkei. Versuch einer Einschätzung der interethnischen Koexistenzperspektiven; Osnabrück 2003, S. 9 345 vgl. Soysal, Mumtaz: The Kurdish issue: A Turkish point of view, in: The International Spectator. Special Issue, January-March 1999, S. 11 346 vgl. Gürbey Gülistan: Wandel in der Kurdenpolitik? Die Türkei zwischen Dogma und Liberalisierung, in: Internationale Politik 1998, Heft 1, S. 41; vgl. Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 34-35; vgl. Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 66-67; vgl. Ergil, Dogu: A synopsis of the Kurdish problem, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 19-20

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Bedeutung der türkischen Staatsideologie erläutert und ihre Unvereinbarkeit mit den

kurdischen „Befreiungsbestrebungen“ veranschaulicht werden:

Die Gründung der türkischen Republik im Jahr 1923 durch Kemal Atatürk347 erfolgte nach

dem Vorbild des europäischen Nationalstaats, welcher sich „als Einheitsstaat mit

einheitlichem Staatsvolk definiert“348. Diesem Verständnis des Staates entsprechend erkennt

die Türkei keine anderen als in dem Vertrag von Lausanne genannten Minderheiten an. „Die

türkische Minderheitenpolitik gründet sich also nicht auf ein besonderes islamisches oder

türkisches Nations- oder Staatsverständnis, sondern ist durch und durch europäisch geprägt.349

Verankert war dieses Staatsverständnis in den sechs Prinzipien Atatürks, welche 1931 von

ihm aufgestellt wurden und seither unter dem Begriff des Kemalismus bekannt sind:

- „Nationalismus (Staatslegitimation durch das türkische Staatsvolk),

- Laizismus (Säkularismus – Trennung von Staat und Islam),

- Republikanismus (republikanische Staatsform im Gegensatz zur Monarchie, Ersatz

des persönlichen Herrschers durch 'Vater Staat' mit einer Elite von Beamten, die den

Weg in die Moderne zeigt),

- Popularismus (Beteiligung des Volkes am Staat mit Rechten und Pflichten)

- Etatismus (Wirtschaftslenkung durch Staatsmonopole, Staatskapitalismus als Antwort

auf die Wirtschaftskrise),

- Reformismus (ständige innere Erneuerung in Richtung auf weitere Verwest-

lichung“.350

Das die kurdische Frage mit Abstand am stärksten tangierende Gründungsprinzip ist der

Nationalismus. Nach Atatürks Ideologie war ab 1923 jeder ein Türke und somit türkischer

Bürger, der in den Grenzen der Türkei lebte. Im Kontext des Zusammenbruchs des

Osmanischen Reiches und den Unruhen der Nachkriegszeit entstand nach Philip Robins der

türkische Nationalismus aus der Notwendigkeit heraus, die verschiedenen Völkergruppen in

einem Staatsgebilde zu vereinen und zu binden. In der Vergangenheit, zur Zeit des

347 Zur Zeit der Staatsgründung war sein offizieller Name Mustafa Kemal Pascha. Erst 1934 wurde ihm der Ehrenname Atatürk, der Vater der Türken, verliehen und ersetzte seinen vormaligen Familienname. 348 Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 66-67 349 ebd., S. 34 350 Franz, Erhard: Das Militär als „großer Bruder“ im Hintergrund. Wie demokratisch ist die Türkei? Das türkische Regierungssystem, in: Der Bürger im Staat, Heft 1/2000, 50. Jhrg., S. 27

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Osmanischen Reiches, diente der Islam, die gemeinsame Religion, als Bindeglied zwischen

den einzelnen ethnischen Gruppen; Atatürk jedoch lehnte die Religion in einer solchen Rolle

als rückwärtsgewandt ab und orientierte sich anstatt dessen an dem europäischen

Nationalstaat als Vorbild.351 Das kurdische Bedürfnis nach politischen und kulturellen

Rechten steht jedoch im Widerspruch zum allumfassenden Verständnis vom Staat der Türken.

Yazicioglu beschreibt dies auch als „für sakrosankt erklärte reformfeindliche politische

Traditionen“352 der Türkei. Wenn auch Atatürks Auffassung des türkischen Nationalismus im

Kontext der Nachkriegszeit angemessen sein mochte, hat sich die Nationalstaatsidee der

Türkei seither kaum gewandelt und ist nicht mit der Zeit gereift. „For the truth of the matter is

that Turks have continued to be gripped by an 'insecurity complex' throughout most of the

seventy-seven-year existence.”353

Hinter diesem “insecurity complex” verbirgt sich die ständige Befürchtung, die Einheit der

türkischen Republik könnte durch die Gewähr zu weitreichender Rechte an die Kurden

erschüttert werden. Auch Svante E. Cornell betrachtet die kemalistischen Prinzipien, den

türkischen Nationalismus, aus zwei Perspektiven: „In other words, Atatürk`s maxim was

generous in allowing everyone who desired to do so to become a Turkish citizen, but it did

not provide a solution for those who were not prepared to abandon their previous identities in

favor of the new national idea. This, in a nutshell, was the problem of a significant portion of

the Kurdish population not only because of language, but also because of its clan-based feudal

social structure.”354

Die Hintergründe zur Herausbildung des türkischen Nationalismus dürften im Kontext dieser

Arbeit ausreichend dargestellt sein, um sich der Frage zu widmen, was dazu führte, dass diese

kemalistischen Prinzipien nicht über die Zeit verändert und angepasst wurden, und welche

Rolle die soziale Struktur der kurdischen Gesellschaft in diesem Zusammenhang spielt. Wie

später noch zu sehen sein wird, war die türkische Kurdenpolitik größtenteils darauf

351 vgl. Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 66 352 Yazicioglu, Ümit: Erwartungen und Probleme hinsichtlich der Integrationsfrage der Türkei in die Europäische Union, Tenea Verlag, Berlin 2005, S. 201 353 Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 67 354 Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol.45, No.1, Winter 2001, S. 34

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ausgerichtet, Autonomiebestrebungen von kurdischer Seite zu unterdrücken, die Kurden in

das Einheitsgebilde der türkischen Republik zu integrieren und die Ansprüche ihrer

kulturellen Identität zu verneinen. Das Vorhandensein heute noch existierender Divergenzen

zwischen Türken und Kurden, auf welcher Grundlage sie selbst in ihrem Selbstverständnis

auch beruhen mögen, ist der Beleg dafür, dass diese eingeschlagene Politik nicht erfolgreich

war.355 Es ist daher vorerst auf die kurdische Identität und die Struktur der kurdischen

Gesellschaft einzugehen.

10.2.2 Gesellschaftsstrukturen unter Berücksichtigung kurdischer

Identitätswahrnehmung

Die Kurden stellen die größte ethnische Gruppe mit einer gesonderten kulturellen Identität in

der Türkei dar. Die Charakteristika, nach denen sich die kurdische Identität im Wesentlichen

definiert, sind die kurdische Sprache, die Religion, das Siedlungsgebiet und vor allem „das

'Selbstbekenntnis' zum Kurdentum“.356 Erwähnenswert erscheint an dieser Stelle bezüglich

der Zahl der Kurden, dass die Angaben in der Literatur differieren. So leben laut Philip

Robins 10-13 Mio. Kurden in der Türkei, nach Mirella Galletti sind es 12 Mio. und Ilhan

Kizilhan zufolge beziffern sie sich auf mehr als 20 Mio. Menschen. Ohne sämtliche Zahlen

hier auflisten zu wollen, finden sich noch weitaus stärker abweichende Angaben in den

unterschiedlichsten Quellen. Lale Yalcin-Heckmann kommentiert dies folgendermaßen:

„Zahlen über die Kurden sind (...) oft Ausdruck politisch motivierter Einschätzungen, da es

keine genaue Volkszählung über die ethnische Zugehörigkeit gab und gibt.“357

355 Es muss hinzugefügt werden, dass sich ein Teil der kurdischen Bevölkerung, freiwillig oder auch unfreiwillig, in die türkische Gesellschaft integriert hat. So schreibt Cornell: „Kurds today are active in all spheres of social and political life, and are even present in the ranks of the Nationalist Movement Party (...), which is often characterized in the West as fascist and anti-Kurdish.”, S. 35 356 Genauere Ausführungen zur kurdischen Identität und ihren Hintergründen sind zu finden bei Yalcin-Heckmann, Lale: Zur Kurden Problematik in der Türkei, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 11-12/97, 07.03.1997, S. 41 357 Yalcin-Heckmann, a.a.O., S. 41

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Allein die Zahl der Kurden in der Türkei hat jedoch nicht dazu geführt, dass sie eine kulturell

eigenständige Ethnie trotz entgegengesetzter Bemühungen der türkischen Regierung

geblieben sind. Svante E. Cornell führt hierzu vier Gründe an: Aufgrund der demo-

graphischen Entwicklungen gibt es eine sehr große Zahl nicht türkisch sprechender Kurden.

Des weiteren ist das kurdische Siedlungsgebiet mit seiner geographischen Lage weit vom

Zentrum des Landes entfernt. Die Ausbildung einer gesonderten Identität wird dadurch

begünstigt. Darüber hinaus sind die Kurden keine Migranten, sondern ein schon lange Zeit in

diesem Gebiet ansässiges Volk, was es weitaus schwieriger macht, eine neue Identität

anzunehmen. Und schließlich spielt auch die soziale Organisationsstruktur der kurdischen

Bevölkerung in einem traditionellen Stämme- und Feudalsystem eine große Rolle.358 Schon

zu Zeiten des Osmanischen Reichs gab es viele verschiedene kurdische Stämme, jeweils

geführt von einem Oberhaupt. Manchmal waren es auch nur sehr große Familien, die über die

Zeit eine Anhängerschaft um sich scharten und einen Stamm bildeten. Die Mitglieder eines

Stammes schuldeten dem Stammesführer absolute Loyalität. Das Mit- oder Nebeneinander

der verschiedenen Stämme war bei Zeiten durch Kooperation und Allianzen in unterschied-

lichsten Formen, meist aber durch Konkurrenz gekennzeichnet.359

Zwischen einer Stammesgesellschaft und dem Staat als zentralem Organ tut sich eine

generelle Konfliktlinie auf, insofern ein Stammesführer unangreifbaren Anspruch auf seine

Mitglieder und sein Gebiet und der Staat einen allumfassenden Anspruch auf alle Bürger

erhebt. Dem Staat verbleiben in dieser Situation zwei Möglichkeiten: die Zerschlagung der

Stammesgesellschaft oder die Einbeziehung der Stammesführer in seine Politik. „Needless to

say, the strategy of breaking down tribal structures risks provoking armed resistance on the

part of the tribal leaders, and so the Turkish republic, much like Ottoman Empire before it,

adopted a strategy of co-optation.”360 Diese “strategy of co-optation” war für beide Seiten,

kurdische Stammesführer und die türkische Regierung ertragreich, nur für die kurdische

Bevölkerung weniger.

358 vgl. Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 35 359 ebd., S. 36 360 ebd., S. 37

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Die traditionell schlechtere wirtschaftliche Entwicklung der kurdischen Teile der Türkei

resultiert zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus dem Erhalt der Stammesgesellschaft und

den feudalistischen Strukturen. „Tribal leaders, of course, have an interest in preventing

rapid modernization, which would inevitably weaken the traditional social structures that

perpetuate their power“.361 Ein vergleichbarer Ansatz wie bei Svante E. Cornell für die

Erklärung der wirtschaftlichen Unterentwicklung des Südostens der Türkei findet sich auch

bei Dogu Ergil.362 In der Analyse gegenseitiger Fehler, sowohl der türkischen als auch der

kurdischen Seite in der Vergangenheit, bestätigt auch Mumtaz Soysal diesen Punkt: „These

lords prefered to keep the feudal structure intact for obvious reasons and benefited from it to

maintain their positions in the ranks of various political parties (...). Perhaps this too is one of

the failures of the republic: not to have been able to change this social structure and fully

eliminate the remnants of the Kurdish feudal order.“363 Auch Abdullah Öcalan hat sich

Berichten der Süddeutschen Zeitung zufolge „über den Einfluss und die negativen

Auswirkungen der Machenschaften der kurdischen Clanführer geäußert“.364

Die Erläuterung der sozialen Strukturen der kurdischen Bevölkerung soll nicht dazu dienen,

die gegenwärtig schwierige sozioökonomische Lage im Südosten der Türkei anhand dieses

Aspektes zu erklären. Vielmehr geht es darum, eine Vielzahl von Faktoren in einen

Zusammenhang zu setzen und schließlich die Hintergründe des türkisch-kurdischen Konflikts

in ihrer Komplexität anzuerkennen. Einseitige Betrachtungen sind bei der Klärung dieses

Sachverhaltes wenig hilfreich. Es lässt sich jedoch immer wieder beobachten, dass

wirtschaftliche Unterentwicklung und schwierige sozioökonomische Bedingungen oftmals

den Nährboden für innerstaatliche Konflikte bieten.

361 ebd. 362 vgl. Ergil, Dogu: A synopsis of the Kurdish problem, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 20-21; auch Ergil betont die Folgen der traditionell in Stämmen organisierten kurdischen Gesellschaft 363 Soysal, Mumtaz: The Kurdish issue: A Turkish point of view, in: The International Spectator, Special Issue; January-March 1999, S. 15 364 vgl. Schlötzer, Christine in: SZ vom 06.8.03, S. 7

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10.2.3 Türkische Staatspolitik gegen die kurdische Minderheit

Die kurdische Gesellschaftsstruktur weist bestimmte traditionelle Merkmale auf, welche in

Bezug auf den türkisch-kurdischen Konflikt von Bedeutung sind. Es sollte im voran-

gegangenen Abschnitt deutlich geworden sein, dass die Stammesgesellschaft mit ihren

Clanführern nicht zur Weiterentwicklung und Modernisierung der kurdischen Gesellschaft

beigetragen hat. Auch in der türkischen Gesellschaft finden sich einige „Besonderheiten“, die

einer Beilegung des Konflikts nicht zuträglich waren. Yilmaz Camlibel spricht von „zwei

Staaten“, die in der Türkei existieren: einen nach außen „sichtbaren, legalen“ und einem

„illegalen 'inneren Staat' unter der Kontrolle einer Bürokratie aus Militär und Zivilisten“.365

Welche politischen Verhältnisse sich auch immer hinter dem Verwaltungsapparat der Türkei

verbergen, sei dahingestellt. Operationalisierbar und nachweisbar sind solche Behauptungen

schwerlich. Dennoch bleibt die Frage, der hier nachzugehen ist, welche Politik in Bezug auf

die kurdische Frage von der Türkei betrieben wurde und auch welche Relevanz in diesem

Zusammenhang dem türkischen Militär zukommt. Der historische Kontext wurde bereits

umrissen. An dieser Stelle soll nun auf die jüngere Entwicklung seit Ausbruch des offenen

Konflikts zwischen der kurdischen Bevölkerung, bzw. vielmehr der PKK, und der türkischen

Regierung Bezug genommen werden. Es ist zu prüfen, inwiefern die türkische Seite durch

ihre Politik kurdische und kulturelle Eigenheiten unterdrückt hat und somit Verantwortung für

die Nichtausbildung einer zur PKK alternativen kurdischen politischen Bewegung trägt:

Im Jahr 1985 begann die türkische Regierung in den kurdischen Gebieten aus der dort

ansässigen Bevölkerung sog. „Dorfschützer“ zu rekrutieren. Diese wurden von der türkischen

Seite bewaffnet, entlohnt und beauftragt, ihr Dorf „zu schützen“. Ihre Zahl wurde 1998 auf

ungefähr 62.000 geschätzt.366 Michael Radu erklärt sich jene Kooperation zwischen der

kurdischen Bevölkerung und der türkischen Regierung wie folgt: „(...) A large portion of the

Kurdish population found the protection of the Turkish government far more attractive than

365 vgl. Camlibel, Yilmaz: Die Türkei hält keine Verträge. Die EU wird keine Rechte für Kurden und Minderheiten durchsetzen, in: Pogrom 210 (2001), S. 32 366 vgl. Galletti, Mirella: The Kurdish issue in Turkey, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 126

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the terror of the PKK and its hostility to Kurds of rival clans or differing political views.”367

Folglich wurden die “Dorfschützer” und ihre Familien eines der Hauptangriffsziele der PKK.

Darüber hinaus beinhaltete das türkische Vorgehen eine weitgehende Militarisierung der

kurdischen Gebiete. 1987 wurde in acht Provinzen der Notstand ausgerufen. Diese Gebiete

fielen damit unter eine gesonderte Rechtssprechung, die weitaus härtere Maßnahmen als im

Rest des Landes beinhaltete. „(...) The measure included nomination of a `super governor` to

coordinate activities against the guerrillas, who has extraordinary powers for suspending

civil rights and liberties, closing down printing presses, banning publications, and forcibly

resettling the population, both temporarily and definitively.”368

In der Vergangenheit waren es gerade jene Regelungen und Praktiken in den Notstands-

provinzen, die erhebliche Menschenrechtsverletzungen mit sich brachten, demokratie-

theoretisch unzulänglich waren und Kritik an der Türkei aus dem Ausland hervorriefen.

Der türkisch-kurdische Konflikt hat enorme finanzielle Aufwendungen von türkischer Seite

erfordert. In den 90er-Jahren waren es um die 3 Milliarden US-Dollar pro Jahr, die für

militärische Rüstungsmaßnahmen verwandt wurden. „At the height of the insurgency, the

Turkish state had some 220.000 troops deployed in the southeast, together with an additional

50.000 members of the special forces and around 45.000 village guards.”369 Auf die

konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts kann an dieser Stelle nicht weiter

eingegangen werden.370 Aus zivil-ökonomischer und sozialer Perspektive kann jedoch davon

ausgegangen werden, dass ungefähr 3.500 Dörfer zerstört und drei Millionen Menschen

vertrieben wurden. So ist zum Beispiel der rapide Einwohnerzuwachs in Diyarbakir von

350000 im Jahr 1990 auf 1.9 Millionen Ende des Jahres 2005 darauf zurückzuführen.

Schließlich hat sich eine weitere Methode im Umgang mit der kurdischen Frage für die

türkische Regierung als effektiv erwiesen. Die Einführung des Gesetzes für Terroris-

367 Radu, Michael: The Rise and Fall of the PKK, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol.45, No.1, Winter 2001, S. 57 368 Galletti, Mirella: The Kurdish issue in Turkey, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 127 369 Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 70; die Zahl von 45.000 „Dorfschützern“ weicht von der vorher nach Galletti zitierten Zahl von 62 000 ab 370 vgl. hierzu Robins ebd., S. 77 ff.

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musbekämpfung im Jahr 1991, besonders Art. 8, diente dem Schutz der staatlichen Einheit

und war ein wirksames Instrument der Rechtssprechung zur Aufrechterhaltung türkisch-

nationalistischer Interessen. „Its introduction was the beginning of a sinister phase in which

those viewed as enemies of the state were eliminated through extrajudicial executions or

disappearance and several retrogade measures affected the treatment of prisoners arrested

for offences within the law`s very broad definition of terrorism.”371

In diesen Maßnahmen kommt der anfangs erwähnte türkische “insecurity-complex” und die

Unantastbarkeit der staatlichen Integrität zum Tragen. Die türkische Regierung war darum

bemüht, und tat dies mit den entsprechenden Mitteln, die kurdische Kultur so weit

einzudämmen, dass sie sich nicht innerhalb der Türkei entfalten konnte. Die nahezu einzige

kurdische Organisation, die sich über Jahre „erfolgreich“ dem entgegenstellte, war die PKK.

An diesem Punkt stellt sich jedenfalls die Frage nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip und

damit auch konkret die Frage nach dem Wirken der PKK. Fraglos waren die repressiven

Maßnahmen und Kontrollmechanismen von türkischer Seite ausgefeilt und darauf gerichtet,

jeglichen Separatismus und politische kurdische Vereinigungen zu unterdrücken. Es scheint,

als habe die türkische Regierung dadurch mitverschuldet, dass keine Alternative zur PKK in

der kurdischen Bevölkerung Fuß fassen konnte. Liegt die Verantwortung für das Fehlen einer

politischen, friedlichen Alternative neben der PKK nur bei der türkischen Regierung, oder

haben die Methoden der PKK ebenfalls dazu beigetragen? Dogu Ergil antwortet darauf: „(...)

The heavier the official Turkish repression on Kurdishness, the more representative the PKK

has become for lack of an alternative on the political stage; at the same time in eliminating

representative peaceful political organisations, both the Turkish government and the PKK

have demonstrated their obvious monopolistic and authoritarian characters.“372 Yilmaz

Camlibel verfolgt die These, dass sowohl die PKK als auch der türkische Staat ihren Teil dazu

beigetragen haben und der Ausbildung einer alternativen kurdischen, friedlichen Bewegung

371 Galletti, Mirella: The Kurdish issue in Turkey, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 127 372 Ergil, Dogu: A synopsis of the Kurdish problem, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 22

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im Weg standen.373 „Erst der bewaffnete Kampf der PKK gegen den türkischen Staat hat es

diesem überhaupt ermöglicht, Millionen von Kurden aus ihren Dörfern zu vertreiben.“374

Der türkisch-kurdische Konflikt hat sich aufgrund des Mangels an politischen

Ausdrucksmöglichkeiten einen Großteil der Zeit von 1984 - 1999 in seiner gewaltsamen Form

gezeigt. Die türkische Regierung war darauf bedacht, kurdischen Vereinigungen entgegen-

zuwirken und auch die PKK verstand sich als einzig repräsentativ für das kurdische Volk. Das

Zusammenwirken dieser Faktoren und die Austragungsform des Konflikts soll im Folgenden

anhand der Rolle des türkischen Militärs und der PKK näher betrachtet werden.

10.2.4 Die Rolle des türkischen Militärs

Das türkische Militär versteht sich selbst als Schützer des türkischen Staates und als Hüter der

kemalistischen Prinzipien (vgl. auch Kapitel 4.1). Allein aufgrund seiner Sozialisation und

seines Ausbildungssystems hat sich das türkische Militär als eine eigenständige soziale

Schicht herausgebildet, wobei sich besonders die Offiziersklasse von der übrigen

Bevölkerung absonderte.375 Nachdem das Militär Ende der 70er Jahre die kemalistische

Staatsform erneut gefährdet sah und im September 1980 wieder die Staatsführung übernahm,

drängte es danach auf eine neue Verfassung, welche zukünftig präventiv die Rolle des

Militärs stärken und ein Eingreifen zukünftig verhindern sollte. „In der neuen Verfassung

hatten sich die Generäle durch den Nationalen Sicherheitsrat (...) ein legales politisches

Mitspracherecht einräumen lassen.“376 Zwar hat sich die Funktion des Nationalen

Sicherheitsrates nach den jüngsten Reformen in der Türkei hin zu einem lediglich beratenden

Gremium gewandelt, der Einfluss des Militärs in der Türkei war in der Vergangenheit jedoch

beträchtlich und lässt vermuten, dass er es auch heute noch ist (vgl. Kapitel 4.1). Die türkische

Menschenrechtsaktivistin Erin Keskin hat im Menschenrechtsausschuss des Deutschen

373 vgl. Camlibel, Yilmaz: Die Türkei hält keine Verträge. Die EU wird keine Rechte für Kurden und Minderheiten durchsetzen, in: Pogrom 210 (2001), S. 32 374 ebd., S. 33 375 vgl. Franz, Erhard: Das Militär als „großer Bruder“ im Hintergrund. Wie demokratisch ist die Türkei? Das türkische Regierungssystem, in: Der Bürger im Staat, Heft 1/2000, 50.Jhg., S. 28 376 ebd., S. 29

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Bundestages die nach wie vor bedenkliche Rolle des türkischen Militärs betont. Sie erklärte,

„die türkische Legislative stehe ständig unter dem Druck der Militärs, da alle Gesetzentwürfe

vom nationalen Sicherheitsrat genehmigt werden müssen, bevor das Parlament sie überhaupt

behandeln darf. Die türkische Armee habe eine weitaus stärkere Stellung als in anderen

demokratischen Ländern, da sie Handel betreibe, Banken und Versicherungen besitze und

insgesamt sehr viel Macht auf sich vereine.“377

Erhard Franz vertritt die These, dass das Militär ab 1992 eine eigenständige Politik gegenüber

den Kurden verfolgte. Des weiteren verweist er darauf, dass die Bedeutung des türkischen

Militärs nach dem Ende des Ost-West-Konflikts bedroht war und es wohlmöglich einer neuen

Existenzberechtigung bedurfte, welche es in den Unruhen im Südosten des Landes fand. Eine

solche These jedoch, so räumt auch er ein, ist empirisch nicht belegbar.378 Die Politik des

Militärs in Form einer abschließenden Großoffensive gegen die PKK lief jedoch der Politik

der Vertrauensbildung der seit Ende 1991 amtierenden Regierung zuwider. Nachdem das

Nevroz-Fest 1992 mit etlichen Verletzten und zahlreichen Toten endete, stellte „eine

Untersuchungskommission von sozialdemokratischen Parlamentariern (...) fest, dass die

Zivilbehörden in der Krisenregion keine Kontrolle über die Sicherheitskräfte hatten und dass

das Militär 'exzessive Gewalt' angewendet hatte“379.

Das türkische Militär nimmt seine Verantwortung zum Schutz der nationalen Integrität sehr

ernst und verringert seinen Einfluss auf die Politik nicht. „Military meddling is indeed natural

in Turkey – yet distinctly inappropriate in the eyes of the EU.“380 Die Langzeitwirkung des

von Atatürk postulierten Nationalismus, vertreten durch das Wirken des türkischen Militärs,

steht in direktem Widerspruch zu allen den Kurden zustehenden Rechten. Der Vollständigkeit

halber ist hinzuzufügen, dass die Aufmerk-samkeit des Militärs sich nicht nur gegen

separatistische Tendenzen, was die kurdischen Bestrebungen in Augen des Militärs sind,

sondern auch gegen erstarkende islamische Strömungen, die gegen das Prinzip des

377 Keskin, Hakki: Türkisches Militär ist großes Hindernis auf dem Weg zur Demokratie, Nr. 108, 21.05. 2003, Internet: http://www.bundestag.de/presse/hib/2003/2003_108/02.html 378 vgl. ebd., S. 30 379 ebd., S. 31; im Folgenden werden an dieser Stelle noch weitere Beispiele angeführt, welche die anfangs aufgestellte Behauptung untermauern. 380 McBride, Edward: Ataturk`s long shadow. A survey of Turkey, in: The Economist, London, June 2000, S. 13

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Säkularismus verstoßen, richtet.381 Obwohl das militärische Vorgehen in den südöstlichen

Provinzen in der Vergangenheit oftmals nicht den Ansprüchen der Kopenhagener Kriterien

genügte, gibt es auch Tendenzen und Strömungen innerhalb des Militärs, die einen EU-

Beitritt der Türkei begrüßen würden. “They [Anm.: the generals] view the membership of the

EU as the culmination of Ataturk`s dreams. So the tighter Turkey`s embrace with Europe, the

less, it`s said, they will feel the need to meddle in politics.”382

10.2.5 Die PKK

Oftmals erscheint dem Außenstehenden der türkisch-kurdische Konflikt, als bestünde er

lediglich aus den Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Militär und der kurdischen

PKK. Im Kontext der gewaltsamen Austragungsformen gerät in den Hintergrund, was sich

eigentlich hinter der äußeren Erscheinungsform verbirgt. Bis zu diesem Punkt sollte bereits

ersichtlich geworden sein, wie vielschichtig und komplex sich dieser Konflikt darstellt. Die

Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Militär stellen damit nur die

gewaltförmige Dimension des Konflikts dar. Die zivile und sozioökonomische Dimension des

nach wie vor existierenden Konflikts werden später deutlich, wenn im Nachfolgenden die

aktuelle Lage in der Türkei erläutert wird.

Die PKK ist als Organisation weit davon entfernt, sich nur legitimer und vertretbarer Mittel

bedient zu haben. Es ist ihr zu gute zu halten, dass sie der kurdischen Frage die

Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verschafft hat. Die Methoden, die dabei angewandt

wurden und die Opfer, ungefähr 30000 Tote, werden in den Quellen angeführt, die der 15-

jährige Konflikt hinterließ, lassen diesen „Erfolg“ jedoch fragwürdig erscheinen.

Die PKK als eine marxistisch-leninistische Partei wurde 1978 gegründet und richtete sich in

ihrer politischen Ideologie gegen den Feudalismus und die Stammesgesellschaft. Michael

Radu geht noch weiter und charakterisiert die PKK: „Since the beginning, the PKK has been

381 vgl. Sahin, Mehmet; Kaufeldt, Ralf: Lösung der Kurdenfrage mit dem EU-Beitritt der Türkei?, in: Berliner Debatte INITIAL 11 (2000) 4, S. 83 382 McBride, Edward: Ataturk`s long shadow. A survey of Turkey, in: The Economist, London, June 2000, S. 14

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Marxist-Leninist in its ideology, Stalinist in its leadership style, and Maoist in its strategy for

the conquest of power.“383 In den 90er Jahren wandelte sich die Ideologie der PKK insofern,

als sich ihre marxistische Rhetorik reduzierte und sich auf den kurdischen Nationalismus

konzentrierte.384

Das Ziel der PKK war die Errichtung eines autonomen, von der Türkei unabhängigen

kurdischen Staates. In der kurdischen Bevölkerung fanden sich besonders unter den

Jugendlichen etliche, die sich der PKK anschlossen und einen ergiebigen Rekrutierungspool

bildeten. „For a youth, who has neither self-respect nor a cause through which to earn that

self-respect, the PKK represents the only organisational structure to join and struggle for a

common end. For some youths, in their choice for a meaningful life, no matter how short, the

risks involved in the PKK, the violence of its methods and the high price to pay are only

secondary concerns. (…) although in reality they are just wasted as peons in a warfare

behind which the military-strategic interests of larger regional powers loom.”385

Neben anderen linksorientierten politischen, kurdischen Gruppierungen, die sich in den 70er

Jahren gebildet hatten, war die PKK die einzige Organisation, die ab 1980 von Syrien und aus

dem Norden Libanons heraus agierte und so der Verfolgung des türkischen Staates vorerst

entgehen konnte. Abdullah Öcalan war der unumstrittene Führer der PKK, was er nicht

zuletzt durch seinen Führungsstil erreichte. „Those who threatened his leadership or simply

disagreed with him faced demotion, expulsion, or death.“386 Auf der einen Seite scheint die

PKK in ihrem Kampf für die kurdische Unabhängigkeit in der kurdischen Bevölkerung ein

verschüttetes Identitätsgefühl wiederbelebt zu haben. Anders ist es kaum erklärlich, dass sie

durchaus Unterstützung aus dem Volk erfahren hat. Andererseits schreckte die PKK auch

nicht davor zurück, extensive Gewalt gegenüber der kurdischen Bevölkerung anzuwenden.

„The popularity of the PKK, in spite of its sometimes brutal violence against Kurdish

383 Radu, Michael: The Rise and Fall of the PKK, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 48 384 vgl. Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 11 385 Ergil, Dogu: A synopsis of the Kurdish problem, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 21; vgl auch Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 69 zur Entstehung von Heldentum und Mythen um jene, die bereits sind, Gewalt anzuwenden und im Kampf zu sterben 386 Radu, Michael: The Rise and Fall of the PKK, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 50

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civilians, is to a large extend due to the even greater brutality of the Turkish army, which has

alienated a large part of the Kurdish population from the state“.387 Svante E.Cornell beschreibt

die Lage, in der sich die kurdische Bevölkerung befand, eher zwiegespalten. Es blieben nur

zwei Möglichkeiten, sich zu positionieren, entweder an der Seite des türkischen Staates oder

an der Seite der PKK. Alles zwischen diesen beiden Positionen, auch das Eintreten für

kurdische Rechte auf friedfertige Weise, bedeutete, in das Schussfeld sowohl von türkischer

Seite als auch von Seiten der PKK zu geraten.388

Die Gründe für die militärische Niederlage der PKK sind vielfältig und können in diesem

Rahmen nicht erläutert werden. Michael Radu führt in seinem ausführlichen Aufsatz zu

diesem Thema drei Gründe an: Öcalans Verhaftung, der Verlust der Unterstützung aus der

kurdischen Bevölkerung und veränderte Machtverhältnisse im Nahen Osten.389 Die kurdische

Frage hat schließlich nicht nur innenpolitische Relevanz, sondern ist allein aufgrund der

Verteilung der Kurden auf vier verschiedene Staaten auch von außenpolitischer,

transnationaler Bedeutung. Gleichfalls war auch die PKK von dieser Dimension betroffen, hat

davon profitiert oder wurde eventuell auch international instrumentalisiert. Auf diesen Aspekt

wird im Folgenden eingegangen, um einen weiteren und sodann auch abschließenden Faktor

des türkisch-kurdischen Konflikts zu analysieren.

10.2.6 Die transnationale Dimension des Kurdenkonflikts

Die transnationale Dimension des türkisch-kurdischen Konflikts ist gegenwärtig im Zuge des

Irak-Krieges wieder deutlich in Erscheinung getreten. Die Aktivitäten der Kurden im Nord-

Irak und ihre Autonomiebestrebungen werden von türkischer Seite mit äußerster Skepsis

verfolgt. Aber auch in der Vergangenheit betraf der türkisch-kurdische Konflikt nicht nur

innenpolitische Bereiche der Türkei. So betont Gülistan Gürbey den transnationalen Charakter

387 Galletti, Mirella: The Kurdish issue in Turkey, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 125 388 vgl. Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 12 389 vgl. Radu, Michael: The Rise and Fall of the PKK, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 47-63

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des Konflikts als eine seiner Besonderheiten.390 In der Tat stellt sich der türkisch-kurdische

Konflikt als eng verflochten mit den Interessenlagen der türkischen Nachbarstaaten dar und

erhält so seine transnationale Gestalt. Die Unterstützung der PKK durch andere Staaten spielt

diesbezüglich keine unerhebliche Rolle.

Der langjährige Kampf der PKK wurde ihr unter anderem oder vor allem durch Unterstützung

aus dem Ausland ermöglicht. Finanzielle Mittel flossen ihr nicht nur von Kurden aus dem

europäischen Exil, durch illegale Geschäfte in Form von Drogen- und Waffenhandel, sondern

auch durch Drittstaaten zu, welche an der Destabilisierung der Türkei Interesse hatten.391

Hans Krech stellt dazu die These auf, dass „in den Stellvertreterkriegen Syriens und des Irak

mit der Türkei nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes (...) die PKK an Macht und Einfluss

gewinnen“ konnte.392 Die PKK erhielt Unterstützung aus der Sowjetunion, aus Griechenland,

Iran, Zypern und vor allem aus Syrien. „It is doubtful whether the PKK could have attained

anything close to the position it did without foreign support.”393 Syrien beherbergte bis 1998

die Basis der PKK und stellte damit den zentralen Stützpunkt und Rückhalt. Militärische und

logistische Unterstützung kam aus dem Iran und im Norden des Irak befanden oder befinden

sich noch weitere Stützpunkte.

Die PKK konnte Mitte der 80er Jahre die Unruhen während des Iran-Irak-Krieges nutzen und

sich neben den beiden nordirakischen, kurdischen Parteien, PUK und KDP, im Nordirak

etablieren. Nach dem Ende des 2. Golfkrieges knüpften die nordirakischen Kurdenführer

Talabani (PUK) und Barzani (KDP) Kontakte zur Türkei, um die Nutzung des türkischen

Militärflughafens Incirlik durch die Alliierten und damit den Schutz der Flugverbotszone im

Nordirak sicherzustellen. In dieser Situation wiederum erhielt die PKK Unterstützung in Form

von Waffen von der irakischen Regierung, die damit die Türkei zu destabilisieren erhoffte.394

390 vgl. Gürbey, Gülistan: Wandel in der Kurdenpolitik? Die Türkei zwischen Dogma und Liberalisierung, in: Internationale Politik 1998, Heft 1, S. 39 391 vgl. Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 40 392 vgl. Krech, Hans: Der Bürgerkrieg in der Türkei 1978-1999, Dr. Köster Verlag, Berlin 1999, S. 41 393 Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 41 394 vgl. Krech, Hans a.a.O.

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Ende der 90er Jahre veränderte sich die Lage für die PKK. Nach massiven militärischen

Einsätzen des türkischen Militärs im Nordirak verblieb der PKK nur noch Syrien als

Rückzugspunkt. Die Ausweisung Öcalans aus Syrien im Oktober 1998 war dann die Folge

extensiver militärischer Drohungen der Türkei an Syrien. „In sum, the PKK`s intrinsic

weaknesses that shrank its base of popular support, the Turkish military`s change of policy

toward the civilian population, and especially Turkey`s growing ability to crush the

insurgents and stamp out its sources of foreign support combined to defeat the

insurgency.”395 Ohne im Detail hier die militärische Niederlage der PKK erläutern zu wollen,

scheinen sich doch dadurch die grundlegenden Rahmenbedingungen für eine Lösung des

türkisch-kurdischen Konflikts gebessert zu haben. „Having won the war, Turkey now needs to

win the peace.“396

10.3 Konfliktwahrnehmung im europäischen Integrationsprozess

Nachdem im vorangegangenen Abschnitt der türkisch-kurdische Konflikt für sich betrachtet

wurde, dabei bereits die verschiedenen Konfliktlinien und Schwierigkeiten per se zu Tage

traten, soll im folgenden Abschnitt deutlich werden, dass die ungelöste kurdische Frage nicht

ohne Grund immer wieder als türkisches Hindernis auf dem Weg nach Europa angeführt wird.

Zwischen der EU und der Türkei gibt es eine normative Lücke: „Few subjects better evoke

this normative gap than the Kurdish issue, with its challenge to preconceived notions of state

and ideology in Turkey, its centrality to the pluralism debate, and its strong association with

the issue of human rights.”397 Da sich in dem Bericht der Europäischen Kommission über die

Fortschritte der Türkei als Primärquelle am deutlichsten die einzelnen Kritikpunkte

widerspiegeln, muss zwangsläufig oftmals darauf zurückgegriffen werden.

395 Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 42 396 Cornell, Svante E.: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Orbis. A Journal of Foreign Affairs, Vol. 45, No.1, Winter 2001, S. 46 397 Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 73

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196

10.3.1 Historischer Abriss der Beziehungen

Wie bereits schon anfangs erläutert, sind Europäisierung und Westorientierung schon seit den

Reformen Atatürks ein politisches Anliegen der Türkei. Es scheint, als hätte kaum ein anderes

Land des heutigen oder zukünftigen Europas einen derart langen und schwierigen Weg zu

einem EU-Beitritt hinter sich wie die Türkei. Dieser kurze geschichtliche Rückblick auf die

schon lange bestehenden Beziehungen zwischen Europa und der Türkei erklärt anhand des in

der Vergangenheit oftmals fehlenden Fortschritts die in der Türkei immer wieder in

Erscheinung getretene Verdrossenheit gegenüber der EU. Er kann aber auch die Tragweite

und Bedeutung des in Gang gesetzten Reformprozesses in der Türkei verdeutlichen.

Trotz jahrzehntelanger Orientierungen an Europa blieben in der Türkei konkrete und

tiefgreifende Reformen aus. „There is no doubt much to critisize about the state of Turkey

today, but critics need to remember what a long and difficult road it has travelled.“398 In

Anbetracht dessen mag gerade die zuletzt veranlasste, relativ vielversprechende Reformrunde

in der Türkei die Ernsthaftigkeit der türkischen Regierung, sich endgültig in Europa zu

integrieren, zeigen.

Die westeuropäische Adaption als Staatszielbestimmung der Türkei und die geschichtliche

Entwicklung der Beziehung soll deshalb kurz erläutert werden, wobei im Detail auf die

Ausführungen in den Kapiteln 2 und 3 dieser Arbeit verwiesen wird.

Die Beziehungen zwischen Europa und der Türkei in Form von ersten Handelsabkommen und

politischen Verträgen gehen bis in das 16. Jahrhundert zur Zeit des Osmanischen Reiches

zurück. Im Zuge des Niedergangs des Osmanischen Reiches und der Aufteilung der

Territorien unter den Westmächten kamen auch kulturelle Einflüsse hinzu, die schließlich

ihren stärksten Ausdruck unter Mustafa Kemal Atatürk fanden. Die Türkei begann sich ab

1923 von einem islamischen Imperium zu einem europäischen Nationalstaat zu wandeln.

Nachdem sie bis zum Ende des 2.Weltkrieges außenpolitische Neutralität wahrte, wendete sie

398 Stone, Norman: Talking Turkey, in: The National Interest Fall, Washington D.C. 2000, S. 68

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sich während des Ost-West-Konflikts dem Westen zu. Es folgt der Eintritt in die OEEC399 im

Jahr 1948, der Eintritt in den Europarat 1949 und der Beitritt zur NATO 1952. Zur Zeit des

Ost-West-Konflikts kam der Türkei als „Südostflanke“ der NATO eine große sicherheits-

politische Bedeutung zu.400 Das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft

(EG) wurde im Dezember 1964 wirksam. Seit 1963 waren auf beiden Seiten nur mäßige

Anstrengungen zu erkennen, die gesetzten Ziele zu erreichen.401 Erst während der

Militärdiktatur (Sept.1980 - Nov.1983) unter Ministerpräsident Turgut Özal belebten sich die

Beziehungen. In den folgenden Jahren scheiterte die Fortentwicklung des Assoziierungs-

verhältnisses immer wieder an dem Veto Griechenlands, was schließlich zum offiziellen

Antrag auf EG-Vollmitgliedschaft der Türkei im April 1987 führte. Die Europäische

Kommission befand in ihrem Bericht vom Dezember 1989, dass die Türkei weder

wirtschaftlich noch politisch reif für den Beitritt war. Die Beziehungen wurden so auf

Grundlage des Assoziierungsabkommens weiter fortgesetzt. Im März 1995 wurde schließlich

die Zollunion beschlossen.

Trotz erfolgreichem Abschluss und Umsetzung der Zollunion gewährte der Europäische Rat

auf seinem Treffen in Luxemburg 1997 der Türkei nicht die gleichen Aussichten auf einen

Beitritt zur EU wie den anderen ost- und südosteuropäischen Staaten. Beim Gipfel 1999 in

Helsinki änderte die EU ihre Einstellung in Bezug auf die Türkei und verlieh ihr den

offiziellen Status eines Beitrittskandidaten. Im März 2001 trat darauf die EU-Beitritts-

partnerschaft in Kraft. Eine detaillierte Beschreibung der rechtlichen und politischen Sachlage

hinsichtlich der von türkischer Seite angestrebten EU-Integration ist den Kapiteln 2 bis 6 zu

entnehmen. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, was die EU zu dem Richtungswechsel

von 1997 zu 1999 bewegt hat, zumal sich in diesem Zeitraum in der Türkei keine

tiefgreifenden Veränderungen vollzogen hatten bzw. sich die vormals kritisierte politische

und wirtschaftliche Lage nicht gravierend verbesserte.

Sowohl das Jahr 2004 als auch das Jahr 2005 wurde in der Türkei für Gesetzesreformen

genutzt, die sich eindeutig auf die Erfüllung des europäischen Anforderungskatalogs richten,

und darüber hinaus ihrem Inhalt nach eine Verbesserung der kulturellen Rechte der

399 Organization for European Economic Cooperation 400 vgl. Bozkurt Mahmut, a.a.O., S. 175 401 vgl. Steinbach, Udo: Geschichte der Türkei, München 2000, S. 39

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kurdischen Bevölkerung der Türkei bedeuten könnten. Die Europäische Kommission erlässt

jährlich Berichte über die Fortschritte der Beitrittsaspiranten, und auch im Fall der Türkei sind

Veränderungen und Reformen zur Kenntnis genommen und anhand der Kopenhagener

Kriterien kritisch beurteilt worden. Um zu einer Beurteilung der aktuellen Lage der Kurden in

der Türkei zu gelangen, wird im Folgenden der Fortschrittsbericht der Europäischen

Kommission des Jahres 2004 mit Hinblick auf den Kurdenkonflikt analysiert. Die

Aufmerksamkeit soll dabei auf die den Kurdenkonflikt tangierenden Gesetzesreformen, ihre

Implementierung, aber auch auf den dabei eventuell noch verbleibenden Interpretations-

spielraum gelegt werden. Im übrigen wird auf den EU-Kommissionsbericht vom 06.10.2004

(Kapitel 5.1) verwiesen.

Wie gestaltet sich demnach aktuell die Lage der kurdischen Bevölkerung in der Türkei?

Welche Gesetzesänderungen wurden von der Regierung unternommen, um dem europäischen

Anforderungskatalog zu entsprechen? Inwieweit bedeuten diese Veränderungen der

Gesetzestexte auch eine Veränderung der Lebensbedingungen, bzw. der kurdischen

Wirklichkeit?

Schließlich wird hierbei deutlich, wie sehr der Kurdenkonflikt zwischen der Türkei und der

Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, das heißt insbesondere den Anforderungen an

Demokratie und Rechtstaatlichkeit, steht. Der Weg der Türkei in die EU führt nur über die

Erfüllung der Kopenhagener Kriterien zum Ziel; und der Weg zur Erfüllung der

Kopenhagener Kriterien beinhaltet grundlegende Reformen bezüglich der Demokratie und der

Einhaltung der Menschenrechte, welche wiederum auf vielfältige Art in direktem Zusammen-

hang mit der Lösung der kurdischen Frage stehen.

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10.3.2 Die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien402 im Kontext der

Kurdenfrage

Ein zentraler Punkt der Gesetzesreformen (siehe ausführlich Kapitel 4), welche auch den Fall

Öcalans direkt betraf, war die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten. Alle bisher

verhängten Todesstrafen sollen demzufolge in lebenslange Haftstrafen umgewandelt werden.

Die vollständige Abschaffung der Todesstrafe folgte im Januar 2004 mit der Unterzeichnung

des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK. Alle verbleibenden nationalen Verweise auf die

Todesstrafe wurden im Rahmen der Verfassungsänderungen vom Mai 2004 aus dem

türkischen Recht entfernt.

Um Folter und Misshandlungen in türkischen Gefängnissen präventiv in Zukunft zu

begegnen, hat die türkische Regierung auch einige Gesetzesänderungen bezüglich der

Haftbedingungen, der zulässigen Dauer der Untersuchungshaft und der Ahndung von

Vergehen seitens der Polizei oder Strafvollzugsbeamten gegen die Inhaftierten erlassen.

Berichte über gewalttätiges Vorgehen und Folter im Gewahrsam der Polizei sind dennoch zu

hören. „Besonders zahlreich sind Berichte über Folter und außergerichtliche Tötungen aus

dem Südosten der Türkei.“403 Äußerst problematisch gestalteten sich die Methode der

„Incommunicado-Haft“ und die Praktiken in den damaligen Notstandsprovinzen.404 In Bezug

auf das Recht zur freien Meinungsäußerung wurden Änderungen der Artikel 159405 und

312406 des Strafgesetzbuches vorgenommen. Die Veränderungen beziehen sich meist auf eine

Linderung der Haftstrafen, leichte Modifikationen bezüglich des Anwendungsbereiches des

Gesetzes oder die Ergänzung des Artikels um weitere Aspekte. „Raum für Interpretationen“407

402 Bezug genommen wird ausschließlich auf den Punkt der Stabilität der Demokratie und ihrer Institutionen und hierbei insbesondere auf die Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. 403 ebd., S. 30 404 Detailliert nachzulesen sind die Gesetzesänderungen bezüglich des Strafvollzugs im „Regelmäßigen Bericht 2002 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt“ auf den Seiten 30-34 wie auch der Folgejahre 405 Art. 159 bezieht sich auf die „Verunglimpfung des Staates und staatlicher Einrichtungen sowie Bedrohung der unteilbaren Einheit der türkischen Republik“, Regelmäßiger Bericht 2002 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, S. 35 406 ebd., Art. 312 beinhaltet die „Anstachelung zu rassischer, ethnischer oder religiöser Zwietracht“ 407 ebd.

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verbleibt bei der Auslegung der Gesetze, und die „Rechtssprechung zeigt, dass die Umsetzung

der Gesetzesänderungen nur wenig konstant ist“408.

Die Pressefreiheit in der Türkei unterliegt immer noch Beschränkungen. Insofern

Veröffentlichungen gegen die Sicherheit des Staates und gegen die Unantastbarkeit der

Nationalgrenzen verstoßen, drohen hohe Geldstrafen und die Konfiszierung der

Druckmaschinen. Die Zensur von Artikeln und die Druckausübung auf Journalisten bis hin zu

strafrechtlicher Verfolgung sind weitere Elemente, die der Unabhängigkeit der Presse im

Wege stehen. Gesetzesänderungen betreffend der Ausstrahlung von Sendungen in Rundfunk

und Fernsehen in verschiedenen in der Türkei gesprochenen Sprachen, also auch kurdisch,

wurden zwar vollzogen, unterliegen gleichzeitig aber auch erheblichen Beschränkungen. Auf

Grundlage des Antiterrorgesetzes, Artikel 8, welcher Propaganda mit separatistischer

Ausrichtung untersagt, wurden vom Hohen Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK) etliche

Sendeverbote, so auch zum Beispiel für den Fernsehsender „Gün TV“ in Diyarbakir,

verhängt.409

Die Gesetze zur Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit erfuhren ebenfalls Änderungen,

allerdings unterliegt „die Ausübung der Vereinigungsfreiheit (...) nach wie vor Ein-

schränkungen“ und „der generell restriktive Charakter des Vereinigungsgesetzes wurde

beibehalten“.410 Art. 5 des Vereinigungsgesetzes besagt: „es ist verboten, zum Zwecke von

Tätigkeiten auf der Grundlage oder im Namen einer Region, Rasse, sozialen Klasse, Religion

oder Sekte eine Vereinigung zu gründen“411. Besonders politische Parteien kurdischen

Ursprungs, wie die Demokratische Partei (DEP) und die Volksdemokratische Partei

(HADEP) wurden verboten oder sind wie im letzteren Fall von einem Auflösungsverfahren

betroffen. Der Vorwurf gegen sie gründet auf der Verletzung der Integrität der Nation.

Darüber hinaus stellt Mirella Galletti einen Zusammenhang zwischen jenen Parteien und der

PKK her: „The refusal of the legal Kurdish parties to criticise the PKK publicly, in part as a

408 ebd. 409 vgl. Regelmäßiger Bericht 2002 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, S. 37 410 vgl. ebd., S. 38 411 ebd.

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consequence of the fact that they share a common base of supporters, has enabled the Turkish

authorities to depict them all as extremist.”412

Wie oben bereits erwähnt wurden auch Gesetzesreformen bezüglich der Ausweitung der

kulturellen Rechte in der Türkei umgesetzt. In diesem Rahmen ist die türkische Sprache zwar

die einzige für den staatlichen Unterricht zugelassene, jedoch wird der Unterricht auf kurdisch

in privaten Einrichtungen erlaubt, insofern „dies nicht im Widerspruch zur 'Unteilbarkeit der

Nation und des Staatsgebietes' steht“413. Die relativ enge und problematische Auslegung zur

kulturellen Freiheit wird jedoch an folgendem Beispiel aus einer der damaligen

Notstandsprovinzen deutlich: „Im April 2002 wurde der Minibusfahrer Sülhattin Önen aus

der Region Diyarbakir angeklagt, weil er eine Kassette mit kurdischen Liedern abgespielt

hatte. Die Anklage berief sich auf Artikel 169 des Türk.StGB ('Unterstützung einer

terroristischen Vereinigung'); das Urteil lautete auf 45 Monate Gefängnis mit Bewährung.“414

Bei der Betrachtung der Resultate der im Jahr 2002 verabschiedeten Reformpakete ist

deutlich geworden, dass es nicht zu unterschätzende, positive Veränderungen in der

türkischen Verfassung und der jeweiligen Gesetzestexte gegeben hat. Es ist jedoch auch nach

den weiteren Reformen bis ins Jahr 2005 hinein nicht zu verkennen, dass in etlichen Fällen

auch Einschränkungen bezüglich der Gewähr von Freiheiten und bestimmten Rechten

gemacht worden sind.

Auffallend ist die grundlegende Ausrichtung dieser Beschränkungen. Die Sicherheit des

Staates und besonders die Unteilbarkeit der Nation sind Elemente des türkischen Staats-

verständnisses, die auch bei jüngsten Reformen offen zu Tage treten und die primär die

Grenzen der Reformen zu bestimmen scheinen. Die Europäische Kommission kam in ihrem

Fortschrittsbericht 2002 über die Türkei zu folgendem Schluss: „Nichtsdestotrotz hält die

Türkei die politischen Kriterien nicht vollständig ein. Erstens enthalten die Reformen

zahlreiche bedeutende Einschränkungen des vollständigen Genusses der Grundrechte und

Grundfreiheiten (...). So gelten weiterhin wichtige Beschränkungen der Meinungsfreiheit,

412 Galletti, Mirella: The Kurdish issue in Turkey, in: The International Spectator, Special Issue, January-March 1999, S. 129 413 Regelmäßiger Bericht 2002 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, S. 45 414 ebd.

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insbesondere bei der Presse und beim Rundfunk, der Versammlungsfreiheit zu friedlichen

Zwecken, der Vereinigungsfreiheit, der Religionsfreiheit, und des Berufungsrechts vor

Gericht.“415 Auch im Rahmen der Beitrittsverhandlungen ab 03.10.2005 sind diese

Einschränkungen noch erkennbar, so dass im weiteren Verlauf der Beitrittsverhandlungen die

weitere Entwicklung noch abgewartet werden muss.

Die Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen in der Türkei mit Blick auf die

Erfüllung der politischen Kriterien der EU haben sich positiv auf die Verhältnisse im

Südosten der Türkei ausgewirkt. Allein die Aufhebung des Ausnahmezustand in den letzten

sich darin befundenen Provinzen, Diyarbakir und Sinar, im Dezember 2002, ist eine

Entwicklung zu umfassenderen Schutz der Rechte der kurdischen Bevölkerung. Sowohl die

Europäische Kommission als auch Heinz Kramer bemerken „eine gewisse Entspannung“416

der politischen Situation im Südosten der Türkei, jedoch steht Kramer den tatsächlichen

Auswirkungen der Reformen kritisch gegenüber. „Die jüngsten Maßnahmen können (...)

wenig dazu beitragen, die insgesamt immer noch desolate Lage in den Provinzen des

Südostens zu verbessern.“417 Obwohl Kramer jene prinzipielle Besserung der Lage anerkennt,

beschreibt er die Situation in den kurdischen Gebieten wie folgt: „ (...) Die Sicherheitskräfte

(sind) nach wie vor umfassend präsent, (es) bleiben zahlreiche Straßenkontrollen bestehen.

Die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Dörfer wird immer noch nicht zügig in Angriff

genommen. Die wirtschaftliche Krise dauert an, die medizinische, soziale und Bildungs-

infrastruktur sind mangelhaft ausgebildet, die Arbeit pro-kurdischer zivilgesellschaftlicher

Organisationen wird immer noch behindert.“418 Der Weg zu einer Normalisierung des

Alltags und zu einem Raum der Freiheit zum Ausdruck der kulturellen Bedürfnisse scheint in

Anbetracht dessen noch weit. Berichte über den Verkauf von vormals verbotenen Zeitungen

und über friedlich verlaufene kulturelle Feste in der Region zeichnen doch die Richtigkeit des

eingeschlagenen Weges ab.

Es stellt sich an dieser Stelle nur die Frage, wie viel Spielraum für weitere Reformen und

Zugeständnisse kultureller Freiheit bis hin zu aktiver Unterstützung und Förderung der

Regionen im Südosten auf türkischer Regierungsseite noch vorhanden ist. Besonders der

415 ebd., S. 51 416 ebd., S. 46 417 Kramer Heinz: Die Türkei und die Kopenhagener Kriterien: Die Europäische Union vor der Entschei-dung; Berlin SWP, 2002 - (SWP-Studie; S 39/2002), S. 35 418 ebd.

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Aspekt der kurdischen Vertriebenen stellt sich weiterhin problematisch dar. Ungefähr 37000

Vertriebene sollen bisher in ihre Dörfer zurückgekehrt sein, die Mehrzahl lebt allerdings unter

schwierigsten sozialen Bedingungen. Die Langwierigkeit der Verfahren zur Genehmigung der

Rückkehr erleichtert oder verbessert diese Situation nicht. Darüber hinaus hält die Präsenz

von „Dorfschützern“, die noch immer Teil der türkischen Politik im Südosten sind, viele

Vertriebene von ihren früheren Dörfern fern.419

10.4 Fazit

Die Türkei hat bereits einen weiten Weg mit dem Ziel der Europäisierung des eigenen Landes

zurückgelegt. Und dennoch gibt es immer noch viele Kritiker und Skeptiker, die wohl in nicht

unbegründeter Weise die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen EU-Beitritts der Türkei in

Frage stellen. Besonders in den letzten Jahren sind enorme Reformbestrebungen in der Türkei

zu verzeichnen, welche eindeutig eine europäische Handschrift tragen. Wie zu sehen war, sind

die kurdische Frage und der Konflikt stark davon betroffen. Kommt der Europäischen Union

nun eine besondere Verantwortung zu? Welche Konsequenzen werden folgen, falls die Türkei

schließlich doch nicht in die Gemeinschaft aufgenommen wird? Die Antworten hierauf

müssen vorerst offen bleiben, wobei festgestellt werden kann, dass eine Integration der Türkei

den massiven wirtschaftlichen Interessen der EU zugute kommen dürfte. Ob die Erwartungen

der Türkei in diesem Prozess vollends erfüllt werden, bleibt gleichwohl abzuwarten. Aber es

ist vielleicht nicht unangebracht davon auszugehen, dass die kurdische Bevölkerung auf die

EU setzt und sich weitere Reformen oder sogar nur die tatsächliche Implementierung der

erfolgten Reformen erhofft. „Die Revolution von oben ist unten, auf der Ebene der

Polizeistationen und der Gendarmerie, noch nicht überall ange-kommen.420

Die türkische Regierung scheint immer noch davon entfernt, die kurdische Frage in allen

Konsequenzen ernst zu nehmen oder ernst nehmen zu wollen, sofern die europäischen

Vorgaben ihren eigenen nationalen Interessen zuwider laufen. Die Gesetzesreformen ändern

419 vgl. Regelmäßiger Bericht 2002 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, S. 47 420 Schlötzer, Christiane: „Die türkische Revolution“, in: SZ vom 09./10.08.03, S. 4

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nicht die grundlegende Problematik, in die der Konflikt eingebettet ist. Die fehlende

„Gerechtigkeit“ und die mangelhafte Berücksichtigung der kurdischen Identität haben

historische Wurzeln. Die Türkei hat sich wegen ihres Bemühens um Westanbindung in der

Europäischen Union davon zu entfernen, die Bedürfnisse einer „anderen“ Identität als

staatsfeindlich, terroristisch und bedrohlich anzusehen. In einem freien und demokratischen

Land nach westlichen Vorgaben, in einem europäischen Land, ist jeder Bürger dazu

berechtigt (menschenrechtlich kodifiziert), seine Kultur zu leben und frei von Repressionen

zu sein. Im Falle eines EU-Beitritts wird die Türkei aufgrund der supranationalen

Organisationsstruktur der EU notgedrungen ihr kemalistisches Staatsverständnis überdenken

müssen. Über die Zeit antiquierte Traditionen könnten also nicht nur in Hinblick auf die

kurdische Frage, sondern auch mit Aussicht auf den Anschluss an die EU angepasst werden.

„By following the spirit rather than the letter of Kemalism, Turkey could yet make up the lost

ground. Whereas, by sticking to a narrow interpretation of Ataturk`s legacy it might actually

encourage the very problems he was trying to head off: religious extremism, ethnic

separatism and institutional decay.”421

Nicht nur in der türkischen Gesellschaft, auch in der kurdischen Gesellschaft ist eine

Modernisierung in Richtung EU erforderlich. Besonders um im Südosten der Türkei

wirtschaftlichen Fortschritt zugunsten der Bevölkerung schaffen zu können, müssten die

gesellschaftlichen Strukturen verändert werden. Denn die in Kapitel 3.2 festgestellten

Interessenlagen der EU sind die zwingenden Prämissen für einen Beitritt, verbunden mit der

türkischen Hoffnung, langfristig nationalen Reichtum zu erhöhen. Wie sich die kurdische

Bevölkerung dazu stellen wird, bleibt vorerst offen.

Der Weg der Aussöhnung und des Friedens wird nicht einfach werden. „Standing in its way is

the harshness and inflexibility of Turkish state nationalism, renewed and nourished by a

deeply felt sense of insecurity and the perception of plots all around the state. A second

significant barrier is the violence that has riven southeastern Turkey for the past fifteen years,

and the cultural, psychological, and economic vestiges of the conflict, all of which will have

to be overcome if a workable settlement is to be established.”422

421 McBride, Edward: Ataturk`s long shadow. A survey of Turkey, in: The Economist, London, June 2000, S. 4 422 Robins, Philip J.: Turkey and the Kurds. Missing another opportunity? in: Abramowitz, Morton: Turkey`s transformation and American policy, New York 2000, S. 69

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KAPITEL 11: Die Europäisierung der Zypernfrage

Neben der Erfüllung der von der EU bestimmten Kopenhagener Kriterien und dem türkisch-

kurdischen Konflikt ist die Lösung des Zypernkonflikts eine der wichtigsten Voraussetzungen

für einen EU-Beitritt der Türkei. In Folge der Beitrittsverhandlungen ab 03. Oktober 2005

werden von EU-Seite positive Lösungsvorschläge und politische Kompromisse von der

Türkei erwartet. Die politische Haltung der so genannten „Mutterländer“423 in diesem

Konflikt hat sich in den letzten Jahren geändert. Zum einem hat sich die gegenwärtige

politische Situation in der Türkei positiv auf die Zypernproblematik ausgewirkt, und zum

anderen gibt es eine außenpolitische Annäherung zu Griechenland, die der Türkei eine

europäische Perspektive eröffnet hat424. Aber auch innerhalb Zyperns haben sich die

politischen Parameter im Zypernkonflikt stark gewandelt. Auftakt für die politischen

Änderungen waren ab Januar und Februar 2003 die vermehrten größeren Demonstrationen in

der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ). Die soziale Frustration, insbesondere

innerhalb der jüngeren Generation, richtete sich verstärkt gegen den langjährigen amtierenden

Präsidenten Rauf Denktas und seine nationalistische Politik. Die Proteste führten zu einer

begrenzten Öffnung der so genannten „Green Line“ im April 2003.

Die fortdauernde kompromisslose Verweigerungshaltung der damals amtierenden Regierung

gegenüber politischen Erneuerungen bestärkte die Opposition und somit die Befürworter des

UN-Friedensplans, dem so genannten Annan-Plan. Die Hoffnung auf eine Lösung des

Konflikts und die Aussicht auf einen gleichzeitigen EU-Beitritt der türkischen Zyprioten mit

dem Inselnachbarn im Mai 2004, führte zu einem Sieg der linksgerichteten und pro-

europäischen Partei CTP unter der Führung von Mehmet Ali Talat bei den Parlamentswahlen

am 14. Dezember 2003.

Die Republikanisch-Türkische Partei (CTP) konnte zwar nicht die absolute Mehrheit der

Parlamentssitze bekommen, was bedeutete, dass sie eine Koalition mit der Demokratischen

Partei (DP) von Serdar Denktas, dem Sohn des Ex-Präsidenten Rauf Denktas eingehen

423 Türkei und Griechenland 424 Kadritzke, Niels: Die Chancen für eine europäische Lösung des Zypern-Konflikts; S. 1 ff.; http://library.fes.de/fulltext/id/01685.htm-83k

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musste. Doch zum ersten Mal in der Historie des Zypernkonflikts waren die national

gesinnten Anhänger von Präsident Rauf Denktas in der Minorität.425

Diese neue Regierungskonstellation prägte die neuen Verhandlungen über den Annan-Plan im

Frühling 2004, die jetzt nicht mehr allein durch die Position des Präsidenten Rauf Denktas

vertreten war. Zugleich wurden die Positionen zum Annan-Plan in der TRNZ offen und

kontrovers in der Öffentlichkeit debattiert, so dass es bei den Referenda über den Annan-Plan

vom 24. April 2004, welche gleichzeitig in beiden „Republiken“ Zyperns durchgeführt

wurden, zu einem eindeutigen Ergebnis kam. Während die Bevölkerung der international

nicht anerkannten TRNZ den Annan-Plan mit 65% Ja-Stimmen befürwortete, lehnte ihn die

griechische Bevölkerung der international anerkannten Republik Zyperns mit einer Mehrheit

von 75,8% ab. Die Folge ist derzeit, dass Zypern weiterhin geteilt ist und der griechische Teil

der Insel, die Republik Zypern, im Mai 2004 Mitglied der EU wurde.426

Eine weitergehende Änderung in der TRNZ, die sich positiv auf den Zypernkonflikt

auswirken und damit wegweisende Schritte in Richtung EU-Integration für die Türkei

bedeuten könnte, ist das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom 17. April 2005. Der

bisherige reformorientierte Premierminister Mehmet Ali Talat wurde mit einer Mehrheit von

über 55% zum Präsidenten Nordzyperns gewählt. Mit der Ernennung Talats zum

Volksgruppenführer steht zumindest von Seiten der Zyperntürken ein kompromissbereiter

und konfliktlösungsorientierter Verhandlungspartner bereit, der ebenfalls politische Unter-

stützung von Seiten der türkischen Regierung erwarten kann.

Doch der Führungswechsel im Norden und die eindeutige Annahme des Annan-Plans stellt

nur eine Position in dem bestehenden Konflikt dar. Die andere ist die rigide Haltung des

(griechischen) Zypern Präsidenten Tasso Papadopoulos und das überwältigende „Nein“ der

Bevölkerung zum Annan-Plan.427 Um die verschiedenen Positionen zum Annan-Plan zu

verstehen und konfliktlösende Ansätze zu erarbeiten, bedarf es zuerst eines Rückblicks in die

jüngere Geschichte Zyperns.

425 Kramer, Heinz; Hein, K.: Ein neuer Präsident in Nordzypern, 2004, S. 2 426 Tözen, C.: Zypern - Eine geteilte Insel als EU-Mitglied, S. 1 427 Seibert, T.: Reformpolitiker Talat will rasch über Wiedervereinigung Zyperns verhandeln, in: Der Tagesspiegel vom 19.04.2005

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11.1 Politische Ursachen des „Interkommunalen Konflikts“ auf Zypern

Politisch entscheidend für die Konfliktsituation auf Zypern, das seit 1878 britische

Kronkolonie war, ist der Nationalitätenkonflikt zwischen den beiden auf der Insel

beheimateten Volksgruppen. Ein Grund hierfür war die praktizierte liberale Haltung der

britischen Kolonialverwaltung gegenüber dem griechischen und dem türkisch-kemalistischen

Nationalismus. „Die strikte Trennung der beiden Religionsgruppen durch das Zugeständnis

weitgehender administrativer Selbstverwaltung vor allem im Erziehungswesen, begünstigte

die kulturelle Hinwendung zu den beiden Mutterländern.“ Unter diesen Umständen konnte

sich keine eigenständige, für beide Volksgruppen geltende, Nationalidentität entwickeln.428

Die seit 1954 gegen die britische Kolonialmacht geführten Revolten der zypern-griechischen

Bevölkerungsmehrheit429 mündeten 1960 in ihrer Unabhängigkeit und somit in der

neugegründeten Republik Zypern. Doch anders als bei den antikolonialen National-

bewegungen im zerfallenden britischen Empire, forderten die Zyperngriechen den Anschluss

der Insel an Griechenland (enosis). Dies zu Lasten der zyperntürkischen Minderheit, die sich

mit diesem “Ideal nicht identifizierten“430 und stattdessen die Forderung nach einer Teilung

der Insel (taksim) entgegenhielten.

Der Zypernkonflikt konnte infolgedessen auch nicht in der neugegründeten bikommunalen

und konsensdemokratischen Republik, mit „ethnisch proportionaler Zusammensetzung der

Zentralorgane und umfangreichem Vetorecht für die türkische Minderheit“, gelöst werden.

Ende 1963 wurde die „Erste Republik“ theoretisch aufgekündigt, als Staatspräsident

Makarios431 eine Verfassungsrevision vorschlug, womit die Zyperntürken viele ihrer

garantierten Rechte verloren hätten. Die zu erwartende Ablehnung der Verfassungsrevision

erhöhte die Spannungen zwischen den Volksgruppen. Durch den darauf folgenden

Bürgerkrieg von 1963/64, der von Seiten der griechischen Zyprioten begonnen wurde, der

428 Zervakis, Peter: Die politischen Systeme Zyperns, in: Ismayr, Wolfgang: Die politischen Systeme Osteuropas, Opladen 2004, S. 316 429 Die griechische Bevölkerungsmehrheit beträgt ca. 78% 430 Zitat nach Kadritzke, Niels: Die Chancen für eine europäische Lösung des Zypern-Konflikts, S. 2; http://library.fes.de/fulltext/id/01685.htm-83k 431 Orthodoxer Erzbischof der griechischen Zyprioten

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aber auch der türkischen Seite gelegen kam, weil er ihren separatistischen Plänen entsprach,

wurde somit auch faktisch die „Erste Republik“ zerstört.432

Die unmittelbare Folge des Bürgerkriegs war die Teilung der Hauptstadt Nikosia und eine

türkische Enklavenbildung, die durch Vertreibung und Umsiedlung zehntausender türkischer

Zyprioten entstanden ist. Ab dem Sommer 1964 lebten über 60% der türkischen Bevölkerung

in diesen Enklaven. Die Kampfhandlungen endeten mit einem fragilen Waffenstillstand, der

durch den Einsatz einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen433 bis heute gesichert wird.

Durch den Ausbau der türkischen Enklaven ab 1964 und den Abzug der türkischen Zyprioten

aus den Regierung- und Staatsorganen war die Republik Zypern auf einen von der

griechischen Volksgruppe beherrschten Staat geschrumpft.

Aufgrund der unterschiedlichen Interessen und der gegenseitigen Schuldzuweisungen der

beiden lokalen Konfliktparteien konnte weder mit Hilfe der UN noch durch unzählige

Friedensverhandlungen zwischen den Volksgruppenvertretern eine Konfliktlösung gefunden

werden. Vielmehr destabilisierte am 15. Juli 1974 ein von der Athener Junta inszenierter

Putsch gegen Staatspräsident Makarios die Lage mit dem Ziel des Anschlusses an

Griechenland. Da dies von Seiten der türkischen Zyprioten als existentielle Bedrohung

gesehen wurde, landete am 20 Juli 1974 die türkische Armee im Norden Zyperns. Sie besetzte

bis Mitte August desselben Jahres knapp 40% des Inselterritoriums und vertrieb etwa 160.000

griechische Zyprioten in den Süden.

Die Erinnerungen an die zwei Schlüsselerlebnisse in der Geschichte Zyperns werden von

beiden Volksgruppen sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die Verantwortung für den

Zusammenbruch der Ersten Republik im Jahre 1964 wird von griechische Seite aus

„geleugnet“. Von türkischer Seite aus wurde die Taksim-Politik der eigenen Führung als

Reaktion auf die Enosis-Politik reduziert. So ähnlich verhält es sich mit den Ereignissen im

Jahre 1974. Unter der griechischen Bevölkerung wird die Invasion und Vertreibung bis heute

als nationale Katastrophe gewertet, dagegen spricht die türkische Seite von einer

„Friedensoffensive“, um Sicherheit für die eigene Bevölkerung zu gewähren. Auch hier

432 Kadritzke, Niels: Die Chancen für eine europäische Lösung des Zypern-Konflikts, S. 2; http://library.fes.de/fulltext/id/01685.htm-83k 433 der sogenannten UNFICYP = United Nations Peace-keeping Force in Cyprus

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werden die Vertreibung und die damit verbundenen Leiden zum Teil geleugnet oder mit den

eigenen Opfern von 1964 aufgewogen.434

In der politischen Diskussion werden vier historische Faktoren für eine Erklärung des

Zypernkonflikts herangezogen:

1. die Gegensätze zwischen den beiden Inselvolksgruppen bezüglich Religion, Sprache,

historischen Erfahrungen, Bevölkerungsmehrheit sowie im sozioökonomischen

Bereich.

2. eine fehlende gemeinsame zyprische Staatsnation, die durch die intensive

Verbundenheit der beiden Bevölkerungsgruppen mit ihren „Mutterländern“ bis heute

verhindert wurde.

3. der territoriale und ökonomische Separatismus der Zyperntürken als Reaktion auf die

historischen Erfahrungen ab 1963, wobei die Türkei treibende bzw. unterstützende

Kraft war, indem sie zuerst der „zyperntürkischen politischen Führung die

eigenmächtige Ausrufung des Türkischen Föderativstaates von Zypern 1975 gestattete

und anschließend 1983 der Unabhängigkeit der Türkischen Republik Nordzypern

(TRNZ) zustimmte. Die TRNZ wird allerdings bis heute nur von der Türkei

anerkannt“.

4. die andauernde militärische Besetzung des Norden Zyperns durch die türkische Armee

seit 1974, die völkerrechtlich betrachtet keine Legitimation besitzt. Zahlreiche UN-

Resolutionen fordern seither eine Demilitarisierung.435

434 Kadritzke, Niels: Die Chancen für eine europäische Lösung des Zypern-Konflikts, S. 3-4; http://library.fes.de/fulltext/id/01685.htm-83k 435 Zervakis, Peter: Die politischen Systeme Zyperns, in: Ismayr, Wolfgang: Die politischen Systeme Osteuropas, Opladen 2004, S. 888 ff.

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Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die dargelegten historischen Ereignisse, die

vier genannten politisch-gesellschaftlichen Faktoren sowie das bis dato Fehlen eines

politischen Konsenses zwischen den beiden Volksgruppen die zentralen Ursachen des

Zypernkonflikts darstellen.

11.2 Internationalisierung des Zypernkonflikts

Seit der faktischen Teilung Zyperns 1974 und der einseitigen Ausrufung der Türkischen

Republik Nordzyperns 1983 scheiterten die angestrengten UN-Verhandlungslösungen

maßgeblich an der unnachgiebigen Haltung des damaligen Präsidenten Rauf Denktas.

Ausschlaggebend für seine starre nationalistische Haltung war die international betriebene

Isolationspolitik und die damit verbundene Nichtanerkennung der TRNZ, die die

Verhandlungsbemühungen zwischen den Konfliktparteien so schwierig gestalten ließ.436

Formulierte Lösungsansätze wie eine von der UN vorgeschlagene bizonale und bikommunale

Föderation, die im Grundsatz von beiden Konfliktparteien Zustimmung erhielt, scheiterten in

der Vergangenheit an einem diametral entgegensetzten Verständnis vom zentralen

Staatsbegriff „Föderalismus“.

Die griechische Seite verlangt eine Revision der Teilung Zyperns und eine von ihnen

dominierte Zentralregierung in einem künftig vereinten Staat. Dabei sollte den türkischen

Zyprioten ein privilegierter Minderheitenstatus mit einer begrenzten Selbstverwaltungszone,

die etwa 25 % des Inselterritoriums beinhalten würde, zukommen. Ebenfalls wird ein freier

Personenverkehr, Niederlassungsfreiheit sowie uneingeschränkter Eigentumserwerb

gefordert, was vor allem das Recht der Vertriebenen, in ihre Häuser zurückzukehren,

bedeutet. Des weiteren fordert die griechisch-zypriotische Seite die Demilitarisierung und den

Wegzug der anatolischen Siedler in ihr „Heimatland“.

436 Faustmann, Hubert: The Cyprus Question still unsolved: Security concerns and the failure of the Annan Plan, in: Südosteuropa-Mitteilungen, 06/2004, S. 3

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Die türkisch-zypriotische Seite hingegen befürwortet einen gleichberechtigten Volks-

gruppenstatus, der bereits 1960 in der zyprischen Unabhängigkeitsverfassung garantiert

wurde. Diese Forderung beinhaltet die Errichtung von zwei völlig gleichberechtigten

Teilstaaten mit autonomen Souveränitätsrechten, die in einer Konföderation zueinander

stehen sollen.

Im bisherigen Ergebnis wird die griechisch-zypriotische Forderung nach uneingeschränktem

Eigentumserwerb von der Gegenseite als unakzeptabel erachtet, da die griechischen Zyprioten

als wohlhabender gelten und demzufolge große Landgebiete aufkaufen könnten.437

Ein weiterer Konfliktpunkt, der bis heute anhält, ist die Präsenz der türkischen Truppen, die

bis vor kurzem von zypern-türkischer Seite aus als unverzichtbar und als Sicherheitsgarantie

betrachtet wurde, indessen von griechischer Seite als Bedrohung empfunden wird. Diese

diametralen Intentionen haben die internen Schlichtungsversuche sowie die Versuche von

externen internationalen Kräften, wie beispielsweise von UN-Seite, scheitern lassen. Durch

eine bisher fehlende Konfliktlösung entstand eine fast gegensätzliche Entwicklung der zwei

Republiken. Während die völkerrechtlich anerkannte Republik Zypern durch massive

internationale Finanzhilfen, die hauptsächlich im Tourismussektor und durch Off-shore-

Aufträge erfolgten, sowie durch eine Zollunion mit der EU wirtschaftlich aufblühte,

entwickelte sich die Wirtschaft in der international isolierten TRNZ unter dem De-facto-

Embargo kaum. Die Wirtschaft Nordzyperns ist völlig von der Finanzhilfe der Türkei

abhängig und die nordzypriotischen Exporte438 in die EU wurden durch ein Urteil des

Europäischen Gerichtshof (EuGH) 1994 mit dem Verweis auf die Nichtanerkennung der

TRNZ, unterbunden.439

Doch der Wohlstand der griechischen Zyprioten konnte das ihrer Auffassung nach bestehende

Sicherheitsdefizit - die Präsenz der türkischen Armee - nicht aufwiegen. Deshalb wurde die

Überlegung eines Antrags zur Aufnahme in die EU, weniger unter ökonomischen als vielmehr

unter sicherheitspolitischen Aspekten, erwogen. Den Antrag der Republik Zypern im Namen

Gesamtzyperns auf Vollmitgliedschaft in der EU 1990 verband der damalige Präsident

437 Axt, Heinz-Jürgen: Enttäuschte Hoffnung auf Zypern, in: Europäische Rundschau 29 (2001), S. 129 438 hierbei handelte es sich hauptsächlich um Agrarprodukte 439 Kizilyürek, Niyazi: Zypern, in: Hörburger, Hortense (Hrsg.): Einbahnstraße EU-Erweiterung? Unsere Nachbarn melden sich zu Wort; Marburg 2001, S. 194

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Südzyperns Vassiliou auch mit der Hoffnung auf eine politische Lösung des Konflikts, weil er

davon ausging, dass die Europäische Union kein geteiltes Zypern aufnehmen würde. Obwohl

schon damals die Mehrheit der türkisch-zypriotischen Bevölkerung einen EU- Beitritt als

Chance für wirtschaftliches Wachstum, Demokratie und Frieden sah, gaben sich hingegen ihr

politischer Führer Rauf Denktas und die damalige türkische Regierung in den Verhandlungen

noch kom-promissloser als zuvor. Der EU-Antrag wurde sowohl von der Regierung der

TRNZ als auch von der Türkei abgelehnt, da den Südzyprioten das Recht abgesprochen

werden sollte, für ganz Zypern zu sprechen. Von türkischer Seite aus wurde sogar mit der

Annektierung Nordzyperns gedroht und ein Assoziationsabkommen unterzeichnet, das einen

Integrationsprozess der TRNZ in die Türkei vorsah.440

Die demnach einzigste Entschärfungspolitik bot eine Beitrittsperspektive der Türkei in die

EU. Die Öffnung der EU gegenüber der Türkei erforderte jedoch die Zustimmung

Griechenlands. Diese erfolgte erstmals auf dem EU-Gipfel von Helsinki 1999. Als Gegen-

leistung für die Zustimmung zum Kandidatenstatus der Türkei konnte Griechenland erreichen,

dass der Beitritt Zyperns nicht mehr von einer vorherigen Konfliktlösung abhängig war.

Damit konnte die Türkei den EU-Beitritt Zyperns nicht weiter blockieren.441

Ebenfalls beschloss der Europäische Rat in Helsinki, mit der Türkei nur Beitrittsver-

handlungen zu führen, wenn neben der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien auch

Kompromisse im Zypernkonflikt erreicht werden. Damit gab das Wahlergebnis in der Türkei

am 3. November 2002, welches der gemäßigten konservativen AK-Partei die absolute

Mehrheit im Parlament verschaffte, Grund zur Hoffnung. Der AKP-Vorsitzende R. T.

Erdogan kündigte eine kompromissbereitere Haltung in der Zypernproblematik an. So

unterstrich die Regierung in Ankara ihre Entschlossenheit, die Zypernfrage lösen zu wollen,

mit politischen Fakten.

Zum einen ließ sie die von früheren Regierungen beschlossene Zollunion mit der TRNZ, die

Zyperns Teilung weiter verhärtet hätte, fallen. Zum anderen willigte sie im Dezember 2003

ein, Titina Loizidou, einer aus Nordzypern vertriebenen Zyperngriechin, mit 1,1 Millionen

440 ebd. S. 198 441Kadritzke, Niels: Die Chancen für eine europäische Lösung des Zypern-Konflikts, S. 4; http://library.fes.de/fulltext/id/01685.htm-83k

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Euro für ihr verlorenes Eigentum zu entschädigen, welches ihr aufgrund eines EGMR442-

Urteils zustand.443 Ebenfalls war es der neuen türkischen Regierung gelungen, Rauf Denktas

so unter Druck zu setzen, dass er den Annan-Plan als Verhandlungsbasis akzeptierte. Doch

auf dem Kopenhagener Gipfel im Dezember 2002 demonstrierte dieser mit seinem

Nichterscheinen seine politische Ablehnung des Annan-Plans. Diese wiederholte Ent-

täuschung der nord-zypriotischen Bevölkerung veranlasste die Opposition zu den zu Anfang

genannten Protesten und Demonstrationen in der TRNZ. Der Annan-Plan galt und gilt für die

Mehrheit der türkischen Zyprioten als letzte Hoffnung auf eine Lösung ihrer wirtschaftlichen

und sozialen Nöte.

Die Südzyprioten hingegen reagieren bis heute eher skeptisch und negativ auf den Annan-

Plan, was auch beim Referendum im April 2004 zu sehen war. Die Skepsis gegenüber dem

Annan-Plan rührt vor allem aus dem jahrzehntelangen Versäumnis, sich mit realistischen

Lösungsvorschlägen auseinandersetzen zu müssen, die evtl. mit Zugeständnissen und

Einbußen gegenüber den Nordzyprioten verbunden wären, da bis vor kurzem, von Seiten der

nordzypriotischen Führung, eine Blockadehaltung bestand. Mit der Präsidentenwahl im

Februar 2003 in der Republik Zypern etablierte sich zudem während der internationalen

Verhandlungen zum Annan-Plan ebenso ein politischer Hardliner, Tassos Papadopoulos, wie

sein ehemaliges Pendant Rauf Denktas.444 Im Folgenden soll deshalb die besondere

Bedeutung des Annan-Plans herausgearbeitet werden.

11.3 Der Annan- Plan als zentraler Lösungsansatz der UN

Seit 40 Jahren beschäftigt sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Zypernkonflikt, welcher einer

der ältesten Konflikte auf der „peacekeeping agenda“ der Generalsekretäre ist. Die

Friedensschlichtungsversuche von fünf Generalssekretären sind bis heute gescheitert. Trotz

der gescheiterten Bemühungen verspricht der Lösungsvorschlag vom jetzigen UN-

442 EGMR= Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 443 Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied - und der Konflikt?, HSFK- Report 14/2003, S. 8; http://www.hsfk.de 444 Faustmann, Hubert: The Cyprus Question still unsolved: Security concerns and the failure of the Annan Plan, in: Südosteuropa-Mitteilungen, 06/2004, S. 4

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Generalsekretär Kofi Annan mit dem Titel: „Basis for Agreement on a Comprehensive

Settlement of the Cyprus Problem“ doch Hoffnung. Mit dem Grundsatz, Zypern in eine

bizonale und bikommunale Föderation umzuwandeln, knüpft der Annan-Plan an das „set of

Ideas“ an, welches der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-

Gali, 1992 zur Lösung des Zypernkonflikts präsentiert hatte.445

Die wesentlichen Bestimmungen des Annan-Plans, die beiden Konfliktparteien gerecht

werden müssen, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

• Zypern soll in eine bizonale Föderation umgewandelt werden, die aus zwei gleich-

berechtigten Teilstaaten (constituent states) mit weitgehender innerer Autonomie

besteht, die aber eine einheitliche Staatsbürgerschaft besitzt. Das vereinigte Zypern

soll zudem einen neuen Staatsnamen, eine neue Hymne und eine neue Flagge

erhalten.446

• Das Regierungssystem soll die politische Gleichberechtigung von griechischen und

türkischen Zyprioten garantieren. Diese politische Gleichheit der Teilstaaten wird

durch die föderative Verfassung und ein Zweikammersystem garantiert. Das bedeutet,

dass die Gesetzgebungsgewalt des Zentralstaates zwei Organen unterliegt. Zum einen

dem Abgeordnetenhaus und zum anderen dem Senat.447

• Die Föderation, bestehend aus zwei Teilstaaten, sieht eine klare ethnische Tei-lung

vor, in dem die Bevölkerungsmehrheiten in den jeweiligen Teilstaaten festgelegt sind.

So ist für den Norden eine türkische und für den Süden eine griechische

Bevölkerungsmehrheit vorgesehen, die nicht durch Rückwanderung von ehemaligen

Flüchtlingen und Einwanderern gefährdet werden darf. Diese Regelung der

Niederlassungsbestimmung, der Flüchtlingsrückkehr sowie der Einwanderung aus

dem jeweiligen anderen Teilstaat, gehört zu den konfliktreichsten Punkten des Annan-

Plans. Dieser sieht eine stufenweise Erweiterung der gegenseitigen Niederlassungs-

freiheit vor, die sogar mit einem EU-Beitritt der Türkei wegfallen würde.448

445 Zervakis, Peter. Die Europäisierung der Zypernfrage, S. 321 446Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied - und der Konflikt? HSFK-Report 14/2003, S. 9; http://www.hsfk.de 447 Reuter, Jürgen: Der UNO-Zypernplan - eine politische und rechtliche Analyse, in: KAS/ Auslands-informationen 2/2003, S. 8 448 Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied - und der Konflikt? HSFK- Report 14/2003, S. 10-11; http://www.hsfk.de

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• Die Neuregelung des Inselterritoriums, wonach sich der Südteilstaat von derzeit 64%

auf 71% der Inselfläche vergrößern würde. Dies hätte zur Folge, dass ca. 54% also

rund 86.000 ehemals griechischer Flüchtlinge, die im Zuge der türkischen Invasion

geflüchtet und vertrieben wurden, in ihre ursprünglichen Dörfer zurückkehren könnten

und zugleich unter einer griechisch-zypriotischen Verwaltung leben würden.

Gleichzeitig müssten jedoch ca. 65.000 türkische Zyprioten im Zuge dieser

Neuaufteilung umgesiedelt werden. Die Territorialfrage ist daher eng verknüpft mit

der Rückgabe von Besitztümern.

• Vorgesehen hierzu ist, dass die Eigentümer von Grundstücken oder Häusern, die in

den Volksgruppenkämpfen zwischen 1963 - 1974 sowie durch die Teilung ihr

Eigentum verloren haben, sich zwischen Rückforderung und Entschädigung

entscheiden können. Dabei wird das Recht auf Rückforderung eingeschränkt, da die

jeweilige Minderheit in den Teilstaaten höchstens 10% des Landes449 besitzen darf.450

• Der Status der türkischen Siedler, die nach 1974 aus Anatolien angesiedelt wurden,

soll so geregelt werden, dass maximal 45.000 dieser Siedler, was ca. die Hälfte von

ihnen bedeutet, die zypriotische Staatsbürgerschaft zugestanden wird. Bevorzugt

werden diejenigen, die mit Zyprioten verheiratet sind, die auf Zypern geboren sind,

sowie dort ununterbrochen lebende Personen.451

• Im Bereich der Sicherheitsfragen soll die Türkei ihre zur Zeit 35.000 stationierten

Soldaten in der TRNZ stark reduzieren. Die jeweiligen Garantiemächte (Türkei und

Griechenland) erhalten das Recht, jeweils ein Militärkontingent mit 6000 Mann auf

Zypern zu stationieren.452

• Vorgesehen ist zudem, eine Versöhnungskommission zu gründen, um die unter-

schiedlichen Beurteilungen und Wahrnehmungen des Zypernkonflikts zu bearbeiten.

Sie soll die gegenseitige Anerkennung der Volksgruppen fördern sowie Ängste,

Vorurteile und Aggressionen entschärfen.453

449 bzw. 20% auf Gemeindeebne 450 Kadritzke, Niels, a.a.O., S. 5 451 Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied - und der Konflikt? a.a.O., S.10-11; vgl. dazu Reuter, Jürgen, a.a.O., S. 27 ff. 452 Wolleh, Oliver: Die Teilung überwinden - Eine Fallstudie zur Friedensbildung in Zypern, LIT Verlag, Hamburg 2002, S. 11 453Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied- und der Konflikt? HSFK-Report 14/2003, S. 12; http://www.hsfk.de

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Mit seinen wesentlichen Bestimmungen knüpft der Annan-Plan an ältere UN-Lösungs-

konzepte an. Der Annan-Plan versteht sich als flexible Verhandlungsgrundlage für alle

Beteiligten, um zu einer Lösung zu gelangen.

11.4 Die Positionen zum Annan-Plan bis März 2003

Eine erste überarbeitete Fassung, die der Zypern-Beauftragte der UN, Alvoro de Soto, im

Dezember 2002 vorlegte, scheiterte auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen im selben Monat. Es

folgten direkte Gespräche zwischen den beiden damaligen Volksgruppenführern Denktas und

Klerides, ebenso wurden die türkische und griechische Regierung mit in die Verhandlungen

einbezogen, doch ohne Erfolg. Bis März 2003 scheiterten die Verhandlungen über die

strittigen Punkte des Annan-Plans. Im Nachfolgenden werden die unterschiedlichen

Positionen dargestellt.

11.4.1 Die Position der TRNZ-Regierung zum Annan- Plan

Die Hauptkritikpunkte am Annan-Plan, die von der TRNZ-Regierung unter Rauf Denktas

bemängelt wurden, lassen sich neben der altbekannten Forderung, die TRNZ international

anzuerkennen, wie folgt beschreiben:

• Die Abgabe von 7% des Territoriums an den Inselnachbarn wurde als unakzeptabel

bezeichnet, da damit eine interne Umsiedlung von ca. 100 000 türkischen Zyprioten454

verbunden wäre. Des weiteren wird kritisiert, dass es sich bei den im Annan-Plan

vorgesehenen Gebieten um landwirtschaftliche Nutzflächen und Wasserressourcen455

handelt.

• Eigentumsansprüche der Vertriebenen und Flüchtlinge sollen nicht durch Rückgabe

oder Entschädigungen geregelt werden, sondern durch einen pauschalen Besitzaus-

tausch zwischen den Teilstaaten.

454 Die UN geht dagegen von ca. 65 000 Betoffenen aus 455 Es handelt sich um die Region um Morphou/Güzelyurt

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• Eine Reglementierung des Siedlerstatus wird abgelehnt. Die Vergabe von Staats-

bürgerschaften wird als souveränes Recht beansprucht.

• Das gleiche gilt für die Stationierung der türkischen Truppen, was ebenfalls unter den

Souveränitätsanspruch fällt.456

Dieser ausschließlich negativen Bewertung des Annan-Plans durch die ehemalige Denktas-

Regierung widersprach die Opposition und damit die jetzige Regierung in der TRNZ.

11.4.2 Die Position der griechisch-zypriotischen Regierung zum Annan-Plan

Aber auch von griechischer Seite aus gab und gibt es Einwände gegen den Annan-Plan. Doch

da Denktas nicht zum Gipfel in Kopenhagen erschien, musste Präsident Klerides seine

Ablehnung zum Annan-Plan nicht zu Protokoll geben und konnte sich damit nach außen hin

als gesprächsbereit darstellen. In Wirklichkeit besteht eine Vielzahl von Einwänden, aber

auch Ängsten gegen den Annan-Plan. Als griechisch-zypriotische Hauptkritikpunkte dagegen

lässt sich Folgendes festhalten:

• Die im Annan-Plan vorgesehene Autonomie des Nordteils ist viel zu umfangreich.

• Die Funktionsfähigkeit der Zentralregierung ist durch das institutionelle

„Powersharing“ zwischen den beiden Volksgruppen nicht gewährleistet. Die Rotation

(Powersharing) kann zum Spielball der beiden Volksgruppen werden und schnell zu

Unregierbarkeit und Chaos führen. 457

• Das Rückkehrrecht der Vertriebenen und Flüchtlinge wird als zu restriktiv bewertet.

Gefordert wird zudem eine uneingeschränkte Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit,

die mit den EU-Richtlinien „acquis communitaire“ übereinstimmt, jedoch das Verhält-

nis mit den türkischen Inselnachbarn enorm verschlechtern würde.458

• Kritisiert wird ebenfalls die Regelung der Eigentumsansprüche, da sich mehr

griechischer Besitz im Nordteil befindet als umgekehrt.

456 Kadritzke, Niels a.a.O., S. 5 457vgl. Reuter, Jürgen: Der UNO-Zypernplan - eine politische und rechtliche Analyse, in: KAS/ Auslands-informationen 2/2003, S. 6 ff. 458Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied - und der Konflikt? HSFK-Report 14/2003, S. 21; http://www.hsfk.de

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218

• Gefordert wird zudem, dass die stationierten türkischen Truppen in eine inter-

nationale Friedenstruppe eingebunden werden.

Wie unter Präsident Klerides unternimmt auch der jetzige Präsident Papadopoulos wenig, um

die eigene Bevölkerung auf die Notwendigkeit sowie auf die Vorzüge einer Einigung mit

Nordzypern hinzuweisen. Das Scheitern der Verhandlungen im März 2003 beruht

offenkundig an dem Fernbleiben von Denktas, doch auch die griechische Seite bemühte sich

wenig um Verhandlungserfolge. Die griechisch-zypriotische Regierung konzentrierte sich

hauptsächlich auf den bevorstehenden EU-Beitritt, der seit dem Gipfel von Helsinki nicht

mehr mit der Bedingung einer Konfliktlösung verbunden war. Somit bestand kein Zugzwang

für den neugewählten Präsidenten Papadopoulos, der am 16. März 2003 den EU-Beitritts-

vertrag nur für die offiziell anerkannte Republik Zypern in Athen unterzeichnete.459

11.5 Wandlung und Hoffnung für Nordzypern ab März 2003

Aufgrund der lang anhaltenden Proteste in der TRNZ, die nach dem Athener EU-Gipfel an

Brisanz gewannen sowie auf Druck der neu gewählten türkischen Regierung beschloss die

Denktas-Regierung einen Monat später am 23. April 2003, die Kontrollübergänge an der

Demarkationslinie (Green Line) zu öffnen. Diese Öffnung kam für viele Beobachter

überraschend und hatte somit eine „Ventilfunktion“ gegenüber den andauernden Protesten.

Ein weiteres Motiv für die Grenzöffnung war die bevorstehende Parlamentswahl im

Dezember desselben Jahres, womit Denktas der Opposition keine politischen Angriffspunkte

liefern wollte.

Die griechisch-zypriotische Regierung reagierte eher negativ auf die Öffnung und forderte

ihre Bevölkerung auf, bei der Passierung der Kontrollpunkte nicht wie gefordert den

Reisepass vorzulegen, da dies als indirekte Annerkennung der TRNZ gewertet werden könnte.

Doch die griechischen Zyprioten folgten dem Aufruf der Regierung nicht und machten von

459 Kadritzke, Niels a.a.O, S. 7

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219

ihrer Reisefreiheit in den „Norden“ Gebrauch. Seither überqueren Hunderttausende beider

Seiten die Grenze, ohne dass es zu ernsthaften Zwischenfällen kam.460 Auf gesellschaftlicher

Ebene haben sich die bikommunalen Aktivitäten seitdem verbessert, doch für eine dauerhafte

Lösung des Zypernkonfliktes bedarf es einer institutionellen Lösung, die beiden Seiten

gerecht wird. Wie einleitend schon erwähnt, haben sich die politischen Parameter in der

TRNZ zugunsten einer Annan-Plan-Lösung gewandelt. Der politische Wandel in der TRNZ

hatte zwei Hauptursachen. Zum einen die veränderte nationale sowie internationale

Konstellation in der Zypernfrage und zum anderen die desolate sozioökonomische Lage. Der

Umschwung für politische Erneuerungen manifestierte sich nach den Protesten gegen die

Regierung Denktas im Ergebnis der Parlamentswahlen im Dezember 2003.

Drei Oppositionsparteien kandidierten dabei gegen Rauf Denktas. Stärkste Oppositions-partei

war die Republikanische Partei (CTP) mit ihrem Spitzenkandidaten Mehmet Ali Talat, die

seit den Kommunalwahlen im Juni 2002 die Bürgermeister in den größten Städten der TRNZ

stellt. Mit seiner Forderung nach einer föderalen Republik auf der Grundlage des Annan-Plans

konnte die CTP bei den Parlamentswahlen die bis dahin amtierende Nationale Einheitspartei

(UBP) von Rauf Denktas ablösen. Allerdings musste Talat durch die entstandene Pattsituation

im Parlament mit der Demokratischen Partei (DP)461 eine Koalition eingehen.

Auf internationaler Ebene wurde der Wahlsieg von M. A. Talat begrüßt, da dieser als

Hoffnungsträger im Konflikt bis heute gilt. Während der erneuten Verhandlungen zum

Annan-Plan im Frühling 2004, die im Hinblick auf das Referendum für einen möglichen

gemeinsamen EU-Beitritt im Mai desselben Jahres geführt wurden, propagierte Talat eine

„Evet“(Ja)-Kampagne, welche von 65% der zypern-türkischen Bevölkerung angenommen

wurde. Neben dem Hauptmotiv, mit einem EU-Beitritt die wirtschaftliche, soziale und

politische Lage zu verbessern, spielte ebenfalls der Wunsch eine wichtige Rolle, sich aus der

Abhängigkeit zum dominanten Mutterland Türkei zu befreien.462

460 Wolleh, Oliver: Die Teilung überwinden - Eine Fallstudie zur Friedensbildung in Zypern, LIT Verlag, Hamburg 2002, S. 16 461 Vorsitzender der DP ist der Präsidentensohn Serdar Denktas 462 Faustmann, Hubert: The Cyprus Question still unsolved: Security concerns and the failure of the Annan Plan, in: Südosteuropa-Mitteilungen, 06/2004, S. 10 ff.

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220

Nach der Enttäuschung, verursacht durch die Ablehnung des Annan-Plans der griechisch-

zypriotischen Seite, verlor die Regierung Talat durch das Verlassen mehrerer Abgeordneter

der Koalition ihre Mehrheit im Parlament. Das damit verbundene, von der national-

konservativen UBP initiierte Misstrauensvotum überstand Talat. Es veranlasste ihn jedoch, im

Oktober 2004 zurückzutreten und Neuwahlen anzukündigen.

Die sich anschließenden Parlamentswahlen vom 20. Februar 2005 bestätigten Mehmet Ali

Talat erneut als Premierminister. Da jedoch wieder die absolute Mehrheit knapp verfehlt

wurde, kam es zu einer Wiederauflage der Koalition mit der DP von Serdar Denktas. Auf den

darauf folgenden Präsidentschaftswahlen im April 2005 kandidierte Mehmet Ali Talat für das

Amt, um als gewählter Volksgruppenführer endlich Erfolg und sichtbare Fortschritte im

Zypernkonflikt zu erreichen. Mit dem Wahlergebnis vom 17. April 2005 steht nun Talat an

der Spitze Nordzyperns und kann neben der Unterstützung des Parlaments auch auf die

Unterstützung von Ankara hoffen.463

Talats Hauptaufgabe besteht darin, demnächst neue erfolgversprechende Lösungsvorschläge

zu präsentieren, wofür aber weniger die Unterstützung seiner Bevölkerung als vielmehr das

Interesse an einer Lösung von der zypriotisch-griechischen Bevöl-kerung und Regierung

benötigt wird. Das erfolgte überwältigende negative Votum der griechischen Zyprier

verspricht keine schnelle Lösung.

11.6 Ablehnung und Skepsis der griechischen Zyprier

Mit dem radikalen „Nein“ der zypriotisch-griechischen Bevölkerung zum Annan-Plan folgte

diese dem Appell ihres Präsidenten Tasso Papadopoulos. Das negative Votum und die damit

verbundene Fortdauer des Status quo hatten keine Nachteile für die Südzyprioten. Im

Gegensatz zu ihren Inselnachbarn standen sie nicht unter politischem Druck, einem ihrer

Meinung nach unpopulärem Lösungsvorschlag folgen zu müssen, da so oder so ihr Beitritt in

die EU am 1. Mai 2004 gesichert war. Neben diesem Faktor spiegelt das Abstimmungs-

463 Kramer, Heinz; Hein, K.: Ein neuer Präsident in Nordzypern, S. 2 ff.

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ergebnis aber auch Misstrauen, Vorurteile sowie Befürchtungen wider. Eine Studie des

Zypern-Experten Alexandros Lordos464 aus dem Jahr 2005, in welcher eine repräsentative

Umfrage in beiden „Teilstaaten“ zu den zentralen Konfliktpunkten des Zypernproblems

durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass eigentlich nur 25 % der Zyperngriechen eine

Wiedervereinigung grundsätzlich ablehnen und der übrige Teil eine Lösung des Konflikts

unter anderen Bedingungen akzeptieren könnte. Wie im Schaubild zu sehen ist, unterteilt

Alexandros Lordos die griechischen Zyprioten in ihrer Haltung zum Annan-Plan in sechs

Gruppen:465

464 Titel der Studie: Civil Society Diplomacy: A new approach for Cyprus? 465 Abbildung aus der Studie von Alexandros Lordos, S. 90

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Die erste Gruppe mit nur rund fünf Prozentpunkten stellt die enthusiastischen Befürworter des

Annan-Plans dar. Die zweite Gruppierung findet den Annan-Plan im Wesentlichen als

Kompromisslösung akzeptabel. Sie wäre bereit, für eine baldige Konfliktlösung auch

Abstriche in ihren Forderungen zu machen. Diese zweite Gruppe besteht aus 19% der

griechischen Zyprioten. Die erste und zweite Gruppierung, die bei einem Referendum mit

„Ja“ stimmen würde, beträgt zusammen gerade einmal 24%, also genauso viel wie beim

Referendum im April 2004.

Eine dritte Gruppe fordert Verbesserungsansätze im Sicherheitsbereich und damit verbundene

Garantien, was den vollständigen Abzug der türkischen Truppen bedeutet. Diese Gruppe

umfasst 14% und würde nach der Erfüllung ihrer Forderung bei einem nächsten Referendum

mit „Ja“ stimmen.

Die vierte Gruppe kritisiert den Annan-Plan in Bezug auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge

und die damit verbundenen Eigentumsansprüche. Immerhin 21% der Südzyprioten sehen dies

als Hinderungsgrund für eine Wiedervereinigung an.466 Die fünfte, im Kern scheinbar

kompromissbereite Gruppe, erwartet eine Lösung im EU-Rahmen. Diese Forderung beinhaltet

Lösungsvorschläge nach europäischen Grundsätzen. Das bedeutet beispielsweise eine Lösung

ohne ausländische Einmischung im Sicherheitsbereich, beim Flüchtlingsproblem eine Lösung,

die sich an die Prinzipien des internationalen Rechts hält und darüber hinaus die

Gewährleistung von uneingeschränkter Siedlungsfreiheit. Die Forderungen dieser Gruppe

entsprechen zwar den europäischen Prinzipien, doch wird es juristisch und politisch

unmöglich sein, diese zu erfüllen, ohne die Rechte der türkischen Zyprioten zu

beeinträchtigen. Dies steht im Widerspruch zu der Grundannahme des Annan-Plans nach

einer bizonalen Föderation. Die sechste Gruppe, die ein Viertel der griechischen Zyprioten

darstellt, rechnet A. Lordos zu den sogenannten Hardlinern, die den gesamten Annan-Plan für

inakzeptabel halten. 467

Neben den genannten Kritikpunkten der griechischen Zyprioten spielen die Ängste vor einer

wirtschaftlichen Konkurrenz aus dem Norden eine erhebliche Rolle. So könnten bestimmte

Dienstleistungsbranchen, wie beispielsweise Handwerk oder Gaststättengewerbe, Kunden an

billigere Anbieter aus dem Norden verlieren. Vor allem im touristischen Sektor herrscht große 466 Lordos, Alexandros, a.a.O., S. 89 ff. 467 ebd., S. 92-93

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Konkurrenzangst, da nach einer Zypernlösung mit einem erheblichen Zuwachs von Urlaubern

an der attraktiveren Nordküste zu rechnen ist. Am stärksten bedroht fühlt sich die

Bevölkerung in den Regionen um Larnaca und Limassol, die ohne eine Teilung der Insel

keinen touristischen Aufschwung erfahren hätten. Zukünftige Bauaufträge würden im Falle

einer Wiedervereinigung eher für den Norden geplant werden.468

Diese Kombination aus Furcht vor eventueller wirtschaftlicher Konkurrenz aus dem Norden

und den Hauptkritikpunkten am Annan-Plan, gepaart mit dem fehlenden Anreiz für eine

Lösung, da man bereits EU-Mitglied ist, erklärt die starre Haltung der Lösungsgegner.

11.7 Ergebnis

Seit dem Wahlsieg der AKP von Recep Tayyip Erdogan im November 2002 haben sich die

politischen Vorzeichen im Zypernkonflikt gewandelt. Seit Anfang 2003 forderte die

neugewählte Regierung in Ankara das Denktas-Regime wiederholt auf, den Annan-Plan als

Konfliktverhandlungsplan zu akzeptieren und konstruktive Lösungen zu suchen. Auch

bekräftigte Erdogan auf seiner ersten Europareise nach seinem Wahlsieg, dass die Türkei

einen neuen Kurs in der Zypernfrage einschlagen werde. Als symbolischer Akt hob die Türkei

im Mai 2003 die Visumspflicht für Bürger der Republik Zypern auf und öffnete damit

erstmals seit 40 Jahren die Grenzen für griechische Zyprioten.

Im Vorfeld der Parlamentswahlen in der TRNZ im Dezember 2003 unterstützte die AKP-

Regierung die Oppositionspartei mit dem Spitzenkandidaten M.A.Talat und forderte

gleichzeitig die Wiederaufnahme der Verhandlungen auf der Grundlage des Annan-Plans.

Diese reformorientierte Haltung demonstrierte die Entschlossenheit, die Hindernisse auf den

Weg zu Beitrittsverhandlungen mit der EU beiseite zu räumen.469 Dabei zeigte sich immer

wieder, in welchem Balanceakt die türkische Regierung steckt. Auf der einen Seite der Weg

468 Kadritzke, Niels, a.a.O., S. 9-10 469 Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied - und der Konflikt? HSFK-Report 14/2003, S. 33; http://www.hsfk.de

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224

in die EU mit den zu meisternden Reformen und auf der anderen Seite die mächtige Rolle des

Militärs. Die Zugeständnisse in der Zypernfrage, besonders die Absicht einer schrittweisen

Reduzierung der türkischen Truppenpräsenz von 30000 auf 6000 Mann, erregte den Zorn der

Armeeführung, da diese eine Vielzahl von Interessen mit der Präsenz in Nordzypern

verbindet. Neben der ideologischen und politischen Bedeutung gilt Zypern auch als

strategisch wichtig. Zypern liegt nur 65 km von der türkischen Küste entfernt und auf dem

Schnittpunkt der Seelinien zwischen Europa, der Türkei, Israel, Ägypten und dem Suezkanal.

Auch die geplante Ölpipeline zwischen Baku und dem türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan

führt über Zypern. Griechenland dagegen kontrolliert die anderen Inseln vor der türkischen

Südküste und nach inoffiziellen Angaben werden im Mittelmeer zwischen der Türkei und

Zypern bedeutende Ölreserven vermutet.470 Nach den kritischen Äußerungen, wobei sich

Teile der Armee-führung gegen die „Preisgabe Nordzyperns“ sträubten, entschied der

Nationale Sicherheitsrat der Türkei im Sinne der AKP-Regierung, dass die Verhandlungen

auf der Basis des Annan-Plans fortgeführt werden sollen.

Dies macht deutlich, dass die Türkei zum einen auf dem Weg in die EU eine möglichst

schnelle Lösung befürwortet, wobei ihr die politische Dynamik in der TRNZ zugute

kommt.471 Zum anderen gibt es aber eine Vielzahl von Streitpunkten, die verhandelt werden

müssen.

Ein aktueller Knackpunkt ist die Anerkennung der Republik Zypern durch die Türkei. Als

Vorbedingung für die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen, unterzeichnete Ankara auf

dem EU-Gipfel in Brüssel im Dezember 2004 ein Zusatzprotokoll zum Ankara-Abkommen,

doch ermöglichten die offenen Formulierungen im Protokoll verschiedene Interpretations-

möglichkeiten. Während nach Meinung Papadopoulos die Annerkennung Zyperns durch die

Türkei in dem Protokoll zum Ausdruck kommt, wird dies von Seiten der türkischen

Regierung abgestritten. Von Seiten der EU-Kommission wird die Unterzeichnung des

Zusatzprotokolls nicht als formale Anerkennung, jedoch als implizite de-facto-Anerkennung

470 Leicht, J.: Regierungswechsel nach Wahlen in Nordzypern, in: Die Oppositionelle vom 07.01.2004 471 Schoch, Bruno: Zypern wird EU-Mitglied - und der Konflikt? HSFK-Report 14/2003, S. 37; http://www.hsfk.de

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225

der Existenz der Republik Zypern gewertet.472 Nach zahlreichen Verhandlungen zwischen der

EU-Kommission und der türkischen Regierung über den Inhalt des Protokolls konnte man

sich auf ein gemeinsames Dokument einigen, welches aber zunächst der Zustimmung des

türkischen Parlaments bedurfte. Diese Zustimmung ist bereits erfolgt und mit der

Unterzeichnung des erweiterten Zollabkommens im Juli 2005 besiegelt.473 Doch die zu

erwartende unvollständige Erfüllung des Zusatzprotokolls wird vermutlich neuen Streit

hervorrufen. Die Forderungen nach einer Öffnung der türkischen Häfen und Flughäfen für

südzyprisch geflaggte Schiffe und Flugzeuge ist den Türken ein Dorn im Auge.

Im Gegenzug droht Papadopoulos der türkischen Regierung mit einer Blockadepolitik für die

weiteren EU-Beitrittsverhandlungen. Solange der Status quo auf Zypern anhält, ist es kaum

vorstellbar, dass die Türkei EU-Vollmitglied wird, mit der Folge, dass während des Beitritts-

prozesses eine Lösung gefunden werden muss. Dabei werden die griechischen Zyprioten ihre

neue, stärkere Position als EU-Mitglied nutzen, um ihre Forderungen durchzusetzen, was

dazu führen könnte, dass wiederum die AKP-Regierung zu einer rigiden Haltung tendiert.

Eine aktive Vermittlerrolle der EU im Zypernkonflikt ist dabei ausgeschlossen, da eine der

Konfliktparteien Mitglied der EU ist. Das bedeutet, dass die Konfliktparteien nur auf der

Basis des Annan-Plans zu einer Lösung gelangen können.474

472 Das zweite Zusatzprotokoll zum Ankara-Abkommen beinhaltet eine Erweiterung der Zollunion auf die 25 Mitgliedstaaten der EU, also auch auf die im Mai 2004 hinzugekommenen zehn neuen Mitgliedstaaten, darunter auch die Republik Zypern, welches die Türkei mit dieser Unterzeichnung indirekt anerkennen würde. 473 Ohne Namen. „Türkisches Eigentor.“, in: Der Tagesspiegel vom 31. Juli 2005 474 Kramer, Heinz; Hein, K.: Ein neuer Präsident in Nordzypern, a.a.O., S. 7

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KAPITEL 12: Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 12.1 Schlussfolgerung

Etwa 24888 km² der Gesamtfläche der Türkei von 779452 km² liegen auf dem europäischen

Kontinent, der Rest in Asien.475 Das bedeutet, dass mit einer Erweiterung der EU erstmals ein

Land, das sich zwar seit spätestens 1923 an Europa orientiert, dabei aber lediglich zu etwa 3%

auf dem europäischen Kontinent liegt, aufgenommen werden würde. Mit der Entscheidung

des Europäischen Rates im Dezember 2004, ab 3. Oktober 2005 mit der Türkei Beitrittsver-

handlungen zu führen, honorierten die 25 europäischen Staats- und Regierungschefs die

rechtspolitischen Reformen, die die Türkei nach ihrer Anerkennung als Beitrittskandidat in

Helsinki eingeleitet hat.

Die Türkei grenzt an Armenien, Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Griechenland, Iran, Irak

und Syrien. Damit bildet sie eine Art Brücke zwischen Europa, dem Kaukasus und dem

Nahen Osten. Genau diese Tatsache lässt einige Politiker vor einem Beitritt der Türkei zur EU

zurückschrecken, weil sie vermuten, Europa könne dadurch in Konflikte in der Nahostregion

involviert werden. Andere wiederum sehen das große Potenzial, das ein muslimisches Land in

Europa für den Frieden im Nahen Osten haben könnte, hoffen auf neue Märkte im Nahen

Osten und mehr politischen Einfluss in der Region.

Für den internationalen Erdöl- und Erdgastransport ist die Türkei von großer Bedeutung, und

durch die Sicherheitspartnerschaft mit Israel regional eines der wichtigsten Länder der

Region.476 Außerdem hat die Türkei nach dem Ende des Kalten Krieges sehr schnell ihre

Rolle als starke Regionalmacht im Sinne des westlichen Bündnisses gefunden, weshalb sich

auch die USA sehr für einen Beitritt der Türkei zur EU einsetzen.477 Problematisch hingegen

ist in diesem Zusammenhang das türkisch-griechische Verhältnis, das aufgrund des

475 Europäische Kommission (Hrsg.): Enlargement, Relations with Turkey, in: http://europa.eu.int/comm/enlargement/turkey/index.htm ,10.11.2002 476 vgl. Steinbach, Udo: Die Außenpolitik der Türkei, in: Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Der Bürger im Staat, Die Türkei vor den Toren Europas, 01/2000, S. 50 f. 477 vgl. Steinbach, Udo: Die Außenpolitik der Türkei, in: Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Der Bürger im Staat, Die Türkei vor den Toren Europas, 01/2000, S. 53 ff.

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Zypernkonflikts, der in seiner Entstehung und Entwicklung in dieser Arbeit behandelt wurde,

weiterhin angespannt ist. Solange es keinen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss gibt,

kann allein Griechenland den EU-Beitritt der Türkei verhindern. Zugespitzt könnte das die

Türkei vor die Frage stellen: „Zypern oder EU-Beitritt?“. Allerdings ist seit der griechischen

Hilfe bei der Erdbebenkatastrophe in der Türkei im August 1999 offensichtlich eine

abkühlende Wende in dem hitzigen Konflikt zu verzeichnen.

Des Weiteren soll hier festgehalten werden, dass die geostrategische Lage wohl das wichtigste

Argument für einen Beitritt der Türkei zur EU ist. Gerade auch vor dem Hintergrund der

Ereignisse vom 11. September 2001 wird die EU bestrebt sein, ein muslimisches Land

zumindest mittelfristig zu integrieren, das nicht zuletzt als regionale säkulare Macht im Nahen

Osten stabilisierende, aber auch vermittelnde Wirkung haben könnte. Der entscheidende

Vorteil im Vergleich zu den mittel- und osteuropäischen Ländern, die bereits vollintegrierte

EU-Mitgliedsstaaten wurden, liegt für die Türkei tatsächlich in ihrer außenpolitischen und

geostrategischen Bedeutung. Schließlich wird hierbei deutlich, wie sehr der Kurdenkonflikt

zwischen der Türkei und der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, das heißt insbesondere

den Anforderungen an Demokratie und Rechtstaatlichkeit, steht. Der Weg der Türkei in die

EU führt nur über die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien zum Ziel; und der Weg zur

Erfüllung der Kopenhagener Kriterien beinhaltet grundlegende Reformen bezüglich der

Demokratie und der Einhaltung der Menschenrechte, welche wiederum auf vielfältige Art in

direktem Zusammenhang mit der Lösung der “kurdischen Frage” 478 stehen.

Nach einer Darstellung des historischen Hintergrunds wurde in dieser Arbeit versucht, die

Machtverhältnisse im Nahen Osten während des Kalten Krieges und in der Post-Cold-War-

Ära zu erklären und die Rolle sowie die Bedeutung der Türkei in diesem Bild richtig

einzuordnen. Bis zum Beginn der 90er Jahre blieb die Türkei tatsächlich ein träger und

unwilliger Spieler in der nahöstlichen Politik. Aber seit 1990 hat sie begonnen, wichtige

wirtschaftliche und politische Entwicklungen im Kaukasus, in Zentralasien und im Nahen

Osten zu forcieren und weiterzuführen. Bei der Untersuchung der Entwicklung des Nahen

478 Während sich die Situation in den kurdischen Gebieten nach der praktischen Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen PKK und türkischen Sicherheitskräften seit dem Jahr 2000 deutlich entspannt hatte, hat der Konflikt seit der Aufkündigung der von der PKK einseitig erklärten Waffenruhe im Frühsommer 2004 erneut an Schärfe gewonnen. Im Zuge dieser Eskalation ist auch ein erneuter Anstieg von Übergriffen staatlicher Kräfte (vor allem der Gendarmerie) auf kurdische Dorfbewohner zu verzeichnen.

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Ostens nach 1990 war die türkische Außenpolitik der Fokus der Analyse. Die veränderte

geostrategische Bedeutung der Türkei konnte nur gestützt auf grundlegende Parameter wie

das veränderte politische Weltklima, den Wendepunkt des 11. September 2001, die Besetzung

des Irak durch die USA, die Szenarien eines Kurdenstaates im Nordirak und das Greater

Middle East Project der USA analysiert werden.

Die türkische Wirtschaft ist heute zwar nicht sehr stark, hat jedoch vor allem auf den Gebieten

Industrieproduktion, Bau, Textilien und Tourismus, im Kaukasus, in Zentralasien, Russland

und im Nahen Osten wichtige Investitionen getätigt. Wegen ihrer krisengeschüttelten, fragilen

Wirtschaft kann die Türkei aber keine aktivere Position in der Außenpolitik übernehmen.

Die Türkei ist in dem vom Palästinakonflikt und Öl geprägten Machtgefüge des Nahen Ostens

zwar nicht ein zurückhaltender, aber doch schwacher Mitspieler. Neben den lokalen Akteuren

(den ölfördernden Staaten, Palästina und Israel) und den internationalen Spielern (allen voran

den USA, der EU, und innerhalb der EU Großbritannien und Frankreich) spielte die Türkei

bis 1990 nur eine untergeordnete Rolle in der nahöstlichen Politik. Seit ungefähr fünfzehn

Jahren entwickelt sich die Türkei von einem unwilligen Mitspieler im Nahen Osten zu einem

aktiven Akteur, der in der regionalen Politik eine wichtige Rolle spielt. Dieser

„Selbstaktivierungsprozess“ des Landes lief stets Hand in Hand mit den USA oder zumindest

parallel zu amerikanischer Unterstützung. Ihre strategische Partnerschaft mit den USA war

und ist die größte Stütze der Türkei auf diesem Weg. Die Türkei ist zugleich ein Kandidat für

die Vollmitgliedschaft in der EU und will diese Beziehung als Sprungbrett für eine reelle

Machtposition in ihrer Region benutzen. Sie betont die Vorteile, die die EU bekommt, wenn

sie die Türkei zu einem Vollmitglied macht. Inwieweit die EU diesen Vorschlag annimmt,

wird sich in nächster Zukunft größtenteils herausstellen. Aber schon jetzt ist klar, dass die

türkischen Beziehungen zum Nahen Osten und zur Kaukasusregion mit dem Beginn der

Beitrittsverhandlungen mit der EU eine neue Qualität erlangen.

Die größten außenpolitischen Probleme für die Türkei ergeben sich aus ihrem Bestreben,

sowohl zu Israel als auch zu den arabischen Ländern gute Beziehungen aufrechtzuerhalten,

und aus ihrer Sorge um die Gründung eines kurdischen Staates im Irak. Die Türkei betont

stets ihre regionale Bedeutung, um der Gründung eines Kurdenstaats vorzubeugen. Dabei

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versucht sie zu verhindern, dass die USA das Kurdenprojekt unterstützen. Lange Zeit galt die

Gründung eines Kurdenstaates im Nordirak als „Red Line“ der türkischen Außenpolitik. Im

Jahre 2004, als sich ein föderatives System im Irak abzeichnete, schien sich Ankara mit einem

irakischen Bundesstaat Kurdistan an seiner Südgrenze arrangiert zu haben. Wichtig für

Ankara wird die eigene territoriale Integrität bleiben.

Die Türkei hat auf dem Wege der EU-Annäherung individuelle Rechte für Kurden eingeführt.

Die im Rahmen der Reformen zugestandenen kulturellen Rechte für die Kurden beschränken

sich auf ein minimales Niveau: Radio- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache für ca. 1

Stunde pro Woche (die Gesamtsendezeit in Minderheitensprachen von 5 bzw. 4 Stunden pro

Woche ist auf mehrere Minderheitensprachen aufgeteilt) und die Zulassung privater

Sprachkurse. Verboten ist der Gebrauch der kurdischen Sprache nach wie vor für Parteien und

im Rahmen von Wahlkämpfen. Auch in jüngster Zeit wurden Mitglieder von Parteivorständen

zu Haftstrafen verurteilt, weil sie kurdische Redebeiträge auf Parteiversammlungen

zugelassen hatten; ebenso Kandidaten prokurdischer Parteien, die bei Wahlkundgebungen die

Besucher auf Kurdisch begrüßt hatten. 479

Die Türkei ist jedoch nicht willens, die Kurden als eine „Minderheit“ im völkerrechtlichen

Sinne anzuerkennen und den Kurden kollektive Rechte zu geben. Wenn die türkischen

Kurden, die ohnehin keine geschlossene Einheit in einem bestimmten Gebiet des Landes

bilden und die über das gesamte türkische Territorium verstreut leben, ihre Zukunft in einer in

der EU integrierten Türkei sehen, wird sich das türkische Kurdenproblem für alle Seiten

lösen. Etwaige separatistische Bestrebungen, die weiterexistieren, werden dadurch margina-

lisiert. Dafür sind aber zwei Bedingungen zu erfüllen: Erstens müssen die individuellen

Rechte und Freiheiten der Kurden in völliger Gleichstellung mit allen anderen Bürgern des

Landes langfristig gewährleistet sein.

479 Anfang Juli 2005 hat das Amtsgericht in Halfeti (Urfa) die stellvertretende Vorsitzende der DEHAP, Handan Cağlayan, und den Vorsitzenden für die Provinz Urfa, Ahmet Dağtekin, wegen einer kurdischen Ansprache auf einer Wahlveranstaltung am 28. März 2004 verurteilt. Weil sie auf der Veranstaltung Kurdisch gesprochen haben und damit gegen das Gesetz für politische Parteien verstießen, erhielt Ahmet Dağtekin eine Haftstrafe von 6 Monaten und eine Geldstrafe von 440 YTL (Neue Türkische Lira) und wurde Handan Cağlayan zu einer Haftstrafe von 7 Monaten und einer Geldstrafe von 513 YTL verurteilt. Derzeit läuft außerdem ein Verbotsverfahren gegen die Gewerkschaft für Mitarbeiter des Erziehungsbereichs, Eğitim Sen, weil in ihren Statuten das Recht auf muttersprachlichen Unterricht für alle Kinder im staatlichen Bildungssystem gefordert wird.

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230

Zweitens muss der Prozess der EU-Mitgliedschaft der Türkei reibungslos weiterlaufen. In

einer Türkei, die sich weder wirtschaftlich noch politisch oder sozial weiterentwickelt, wird

sich auch das Kurdenproblem nicht lösen lassen, zumal der Südosten und Osten des Landes,

wo diejenigen Kurden wohnen, die von der bisherigen Entwicklung am meisten abgeschnitten

sind, die rückständigsten und rückschrittlichsten Regionen des Landes sind. Wenn die

türkische Modernisierung nicht voranschreitet, werden sich die autoritären, patriarchalisch

geprägten feudalen Strukturen in dieser Region nicht auflösen. In diesem Fall könnte ein

Kurdistan im Nordirak mit eigenen Ressourcen an Erdöl und Wasser tatsächlich eine

Sogwirkung auf die türkischen Kurden ausüben, so dass Instabilitäten in der Türkei zu

erwarten wären.

Die Türkei unterhält heute intensivere Beziehungen zu den anderen Staaten der Region als in

der Vergangenheit und versucht, mit ihnen zusammen eine gemeinsame Politik zu entwickeln.

Die Beziehungen, die die Türkei in den letzten Jahren mit Syrien und dem Iran pflegt,

entspringen eigentlich der gemeinsamen Sensibilität bezüglich eines Kurdenstaates und der

Interessengemeinschaft in diesem Punkt. In der vorliegenden Arbeit wurde bereits

unterstrichen, dass in der Zukunft der türkischen Nahostpolitik Regionalallianzen eine

wichtige Rolle spielen werden und dass in diese Richtung bereits Schritte unternommen

worden sind. Aber in letzter Instanz werden die Beziehungen der Türkei zum Westen,

insbesondere ihr EU-Mitgliedschaftsprozess bei der Bestimmung ihrer Rolle in der Region

entscheidend sein. Dass sie im Juni 2004 den Vorsitzenden der Islamischen Konferenz

stellte480, ist ein Beweis für die Anerkennung dieser zukünftigen, aktiven Rolle durch die

muslimischen Staaten des Nahen Ostens.

Die Akteure der türkischen Innenpolitik und ihre außenpolitischen Konzeptionen spielen bei

der Gestaltung der außenpolitischen Linie des Landes nicht die entscheidende Rolle. Die

Rolle der Außenkräfte USA und EU war und ist dabei noch wichtiger als die der

innenpolitischen Kräfte. Die Entscheidungen, die in den USA und in der EU bezüglich der

Weltpolitik getroffen wurden, haben in den 90er Jahren auf die Formulierungen der

türkischen Außenpolitik einen großen Einfluss ausgeübt und sie werden sich darauf

auswirken, wie die Außenpolitik der Türkei im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert aussehen

480 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 3.7.2004, Nr. 152, S. 57

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wird. Sie werden nicht nur die außenpolitische Richtung der Türkei, sondern auch die Zukunft

von Demokratie und Menschenrechten beeinflussen. Angesichts des amerikanischen

Einflusses ist festzustellen, dass die USA die Türkei auch in nächster Zukunft für die

Umsetzung ihrer Pax Americana benutzen werden, wie sie es seit dem 2. Weltkrieg gemacht

haben. Denn die Amerikaner verfolgen im Nahen Osten eine konstante Tradition der

Machtpolitik. Um ihre machtpolitischen Interessen durchsetzen zu können, haben sie

sicherlich bisher wenig Rücksicht auf moralische Prinzipien wie auf das Völkerrecht und die

Menschenrechte genommen.481

Die Europäische Union hatte bisher in politischen und militärischen Bereichen auf die Türkei

nicht so viel Einfluss wie die Vereinigten Staaten, obwohl ihre engen wirtschaftlichen

Beziehungen zur Türkei dies erlaubt hätten. Aber die EU hat seit dem Helsinki-Gipfel vom

Dezember 1999 ihre Politik gegenüber der Türkei geändert. Zum ersten Mal gab die EU der

Türkei eine realistische Perspektive zur Mitgliedschaft.482 Diese Entscheidung zeigt, dass die

EU ihren Einfluss auf die Türkei im politischen Bereich zu verstärken beabsichtigt. Es geht

der Europäischen Union darum, den Einfluss der Türkei auf ihre geopolitische Region für sich

- also dann die gesamte EU einschließlich der Türkei - zu nutzen.

Der 3. Oktober 2005 stellt ein äußerst wichtiges Datum hinsichtlich der türkischen

Außenpolitik, Nahostpolitik und im Allgemeinen für die Mächtekonstellationen im Nahen

Osten überhaupt dar. Mit dem Vollmitgliedschaftsprozess der Türkei in die EU werden

Stabilität in der Wirtschaft, eine nähere Abstimmung der Außenpolitik mit der EU und eine

viel aktivere Rolle der Türkei im Nahen Osten erwartet. Türkische und europäische

Unternehmen können dann ihre Aktivitäten im Nahen Osten gemeinsam ausdehnen. Dass die

Türkei eine Brückenrolle zwischen dem Kaukasus, dem Nahen Osten, Zentralasien („Greater

Middle East“) und Europa übernehmen kann, wird das entscheidende ökonomische und

geostrategiche Argument für die Aufnahme des Landes in die EU bilden.

481 Inat, Kemal: Türkische Nahostpolitik am Anfang des 21. Jahrhunderts, Diss. GH Siegen 2000, S. 257 482 Für eine umfangreiche Analyse zu EU-Türkei Beziehungen siehe Yazıcıoğlu, Ümit: Die Türkei auf dem Weg in die EU - eine historische Einordnung, in: Istanbulpost, http://www.istanbulpost.net/04/07/03/yazicioglu.htm, 26.07.2004; Yazıcıoğlu, Ümit: Die Türkei-Politik der Europäischen Union, Der Andere Verlag, Osnabrück 2004, S. 45

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Die erzielten Ergebnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Integrationspolitik der

Europäischen Union nicht stringent verläuft und auch einer gewissen Doppelmoral folgt

(siehe auch 12.2). Die Türkei hat unbestreitbar einen im Vergleich zu anderen

Beitrittskandidaten ungemein langwierigen Integrationsprozess hinter sich. Die maß-

gebenden Gründe hierfür wurden in dieser Arbeit eingehend geschildert. Die Vergangenheit

hat gerade in den Kapiteln 1 - 3 gezeigt, dass das europäische Interesse bisher immer

wirtschaftlicher Art war. Der Türkei wurde indessen der Zugang zu Europa stets und

überwiegend mit der Argumentation verwehrt, dass Unzulänglichkeiten im Demokratie-

verständnis sowie Anerkennung und Wahrung der Menschenrechte bestünden. Die

Untersuchung hat auch gezeigt, dass die Türkei die Bedingungen Europas für einen Beitritt

nach den Kopenhagener Kriterien trotz vieler Fortschritte heute noch nicht erfüllt. Gleichwohl

wurde die Integration gerade auf Seiten der Europäischen Union mit dem 03.10.2005

beschleunigt, in dem mit den konkreten Beirittsverhandlungen begonnen wurde. Das lässt die

These zu, dass durch die geopolitischen Veränderungen nach dem Zusammenbruch der

UdSSR die EU einen neuen Kapitalmarkt im Nahen Osten erkennt, den es zu erobern oder

zumindest mit den USA in irgend einer Form zu teilen gilt. Mit ihren aktiven Ambitionen in

der veränderten Außenpolitik der Türkei (gerade auch in Richtung Kaukasus und

Zentralasien) wollte diese auch dem Nachdruck verleihen, dass an der Türkei niemand

vorbeikommt, der in dieser Region maßgeblichen wirtschaftlichen Einfluss haben möchte.

Geschickt pflegt die Türkei daher auch gute außenpolitische Beziehungen zu den USA. Es

kann daher durchaus behauptet werden, dass das der Grund in der neuen politischen

Einschätzung der EU im Hinblick auf die Relevanz der Türkei in diesen Machtgefügen ist,

mit ihr eine Integration durchzuführen, um sie auch an sich zu binden und den Einfluss in

Nahost, Zentralasien und dem Kaukasus zu manifestieren und nicht zu verlieren. Das würde

erklären, warum die Beitrittsverhandlungen nun doch trotz bisheriger Nichteinhaltung der

Kopenhagener Kriterien eröffnet wurden, obwohl diese nach offizieller Beschlusslage der EU

vor Beginn von Beitrittsverhandlungen erfüllt sein müssten. Die Interessen der Europäischen

Union gegenüber der Türkei, die sich durch die Vollmitgliedschaft eine Verbesserung der

eigenen Nationalökonomie verspricht, sind erkennbar: es eröffnen sich neue Felder nach den

Regeln des freien Marktes unter gleichzeitiger Stärkung des geostrategischen und

militärischen Einflussbereichs im Nahen Osten. Die Forderung rechtspolitischer Reformen

nach westlichen Maßstäben (Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und

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dergleichen) stellen den Rahmen dar, unter welchen Bedingungen die EU ihre Gemeinschafts-

ökonomie auch in dieser Region durchzusetzen gedenkt. Verbunden wird dies mit der

nachhaltigen Forderung, dass die Türkei als potenzieller Mitgliedsstaat die makro-

ökonomischen Regeln der Gemeinschaft zu akzeptieren und die entsprechenden Verhältnisse

zu schaffen hat, damit eine Vollmitgliedschaft in Betracht kommt.

12.2 Ausblick

Die praktische Umsetzung der Reformen verläuft zwar nicht gradlinig und wird auch einige

Zeit benötigen, bis ihre Auswirkungen die türkische Gesellschaft erreichen, doch der

wirtschaftliche und politische Reformprozess wird als ein großer Schritt für eine EU-

Aufnahmefähigkeit gesehen.483 Doch trotz des Beschlusses des Europäischen Rates oder

gerade deswegen haben die Meinungsverschiedenheiten der EU-Mitgliedstaaten bezüglich

eines Türkeibeitritts nicht abgenommen. Die große Besonderheit liegt darin, dass die

vorgebrachten Einwände gar nichts oder nur geringfügig mit den eigentlichen

Beitrittskriterien – den Kopenhagener Kriterien – zu tun haben. Die Bedenken gegen einen

EU-Beitritt der Türkei sind grundsätzlicher Art und beziehen sich auf die Integrations- und

Funktionsfähigkeit der Union sowie die kulturelle Identität der EU.

Die Ängste und Vorbehalte innerhalb der EU-Öffentlichkeit angesichts eines möglichen

Beitritts der Türkei mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung und einem weit unter

dem EU-Durchschnittswert liegenden sozioökonomischen Status quo, haben die Skepsis eher

verstärkt. Pauschale Äußerungen wie beispielsweise diese, “dass ein Beitritt der Türkei einem

politischen Selbstmord der EU gleiche und es in einem solchen Falle zu einer Invasion von

muslimischen Gastarbeitern kommt, die die europäische Kultur zerstören”, sind wenig

zielführend. Sicherlich, zu einer sachlichen und konstruktiven Debatte gehören auch die

realen Probleme und Auswirkungen auf wirtschaftliche, institutionelle sowie gesellschaftliche

Bereiche, die eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU zweifellos haben wird. Kontrovers

geführte Diskussionen hierzu sind wichtig und unabdingbar. So werden auch

483 Bericht der Unabhängigen Türkei-Kommission: Die Türkei in Europa: Mehr als ein Versprechen? 2004, S. 6

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höchstwahrscheinlich die Diskussionen und Debatten während der Beitrittsverhandlungen an

Brisanz zunehmen, da die Verhandlungen offen sind und der Ausgang zum jetzigen Zeitpunkt

nicht garantiert ist.

Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU ist die logische Konsequenz jahrelanger Anreize

und Reformen. Um diese Vollmitgliedschaft zu erreichen, sind jedoch noch einige

Anstrengungen notwendig. Dazu gehört selbstverständlich die Fort- und Weiterführung des

politischen und wirtschaftlichen Reformprozesses in der Türkei. Eine kompromisslose

Umsetzung der Kopenhagener Kriterien ist ebenso Vorraussetzung wie eine kompromiss-

bereite Haltung im Zypernkonflikt. Streitigkeiten, wie bei der jüngsten Unterzeichnung des

Zusatzabkommens zur Zollunion, wirken sich hingegen extrem negativ bei der EU-

Öffentlichkeit aus.

Idealistisch betrachtet könnte ein multiethnisches, multikulturelles und multireligiöses

Europa, welches durch die gemeinsamen Werte von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat-

lichkeit, Wahrung der Menschenrechte und Toleranz bestimmt ist, die Botschaft signalisieren,

ein Alternativmodell zum „Kampf der Kulturen“ zu sein. Zudem würde eine türkische EU-

Mitgliedschaft den Beweis erbringen, dass sich Islam und Demokratie vereinbaren lassen.484

Die Europäische Union und ihre verschiedenen institutionellen Akteure haben in der mehrere

Jahrzehnte zurückgehenden Geschichte der Beziehungen zur Türkei einzig in ihrer

Zweigleisigkeit konsequent gehandelt: Immer wieder versicherte die EU der Türkei, dass man

an der Kooperation mit ihr sehr interessiert sei, gleichzeitig verweigerte man dem Land am

Bosporus aber regelmäßig eine verstärkte Zusammenarbeit, die über die erst in den 90er

Jahren in Kraft getretene Zollunion hinausging.

Diese Zweigleisigkeit hat mehrere Gründe. Die Voraussetzung für das von der EU erst

abgelehnte, 1999 aber doch noch angenommene Beitrittsgesuch war das Ende des Kalten

Krieges. Allerdings bedeutete das erste Jahrfünft der neunziger Jahre mehr Annäherung der

mittel- und osteuropäischen Staaten an die EU als für die Türkei. Zwischen 1997 und 1999

vollzog sich dann die entscheidende Kehrtwende innerhalb der EU. Beigetragen zu der 484 Bericht der Unabhängigen Türkei-Kommission: Die Türkei in Europa: Mehr als ein Versprechen? 2004, S. 18-19

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Entwicklung, trotz Bedenken betreffs der Menschenrechtslage und der kulturellen

Unterschiede, die bis dahin die Begründung für ein distanziertes Verhältnis der EU zur Türkei

bildeten, ließ die Union nun eine Annährung zu, obwohl sich die Binnensituation am

Bosporus kaum geändert hatte. Das lässt darauf schließen, dass es eine Meinungsänderung

gegeben hatte in der Einschätzung der sicherheitspolitischen Rolle, die die Türkei für die EU

spielen könnte. Darauf deuten sowohl Äußerungen des deutschen Bundeskanzlers hin, in der

er Stellung nimmt zur Entscheidung des Europäischen Rates von Helsinki, die Türkei als

Beitrittskandidat zu akzeptieren: „Jeder weiß, dass die Türkei noch einen langen Weg vor sich

hat. Wer aber über die Stabilität der Region nachdenkt, der kann nicht anders.“ Mit einem

zweiten Ausspruch des Bundeskanzlers Schröder wird noch klarer, dass die sicherheits-

politischen Argumente wesentlich zumindest im Hinblick auf die deutsche Positionierung

gegenüber der Türkei sind: „Wir können nicht einerseits die strategische Bedeutung der

Türkei für Europa immer wieder hervorstreichen, ihr innerhalb der NATO große Lasten

aufbürden, sie als wichtige Regionalmacht hofieren und sie auf europäische Standards

verpflichten, wenn wir nicht andererseits auch bereit sind, ihr eine klare europäische

Perspektive zu geben, die über eine reine Zollunion hinausgeht.“ Auch die Einschätzung des

EU-Kommissars für Erweiterungsfragen, Günter Verheugen, macht deutlich, dass es nicht die

Fortschritte der Türkei waren, die die EU zu einem Einlenken bewegt haben: „Der

Kandidatenstatus für die Türkei ist keine Wohltätigkeit seitens der EU, sondern eine

politische Strategie, mit der wir unsere eigenen Interessen verfolgen.“ Verheugen macht in

einem Interview in der Tageszeitung „Die Welt“ auch eine Anmerkung zur Rolle der Türkei

im transatlantischen Beziehungsgeflecht: „Wenn wir jetzt der Regierung in Ankara keine

klare Perspektive geben, ist die Türkei für den Westen verloren.“

Einiges deutet also darauf hin, dass gerade die deutsche rot-grüne Regierung der

vergangenen Legislaturperiode einen wesentlichen Teil dazu beigetragen hat, das EU-

Verhältnis gegenüber der Türkei neu zu justieren. Der letzte Außenminister unter der Kohl-

Regierung, Dr. Klaus Kinkel, schätzte die Türkei noch 1997 aufgrund der Menschenrechts-

situation, der Kurdenproblematik, der ungelösten Probleme mit Griechenland und bezüglich

Zyperns sowie aufgrund der labilen ökonomischen Lage als nicht beitrittsfähig ein. Dass die

deutsche Regierung eine besondere Rolle in der EU spielt, wenn es um die Türkei geht und

dass dies nach dem Regierungswechsel 1998 noch deutlicher wurde, darauf deutet auch der

Brief des türkischen Ex-Ministerpräsidenten Bülent Ecevit hin, der seinen Wunsch nach

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stärkerer Zusammenarbeit im Sommer 1999 nicht etwa an den Europäischen Rat, sondern

an den deutschen Bundeskanzler richtete. Die türkischen Akteure rechnen damit

offensichtlich innerhalb der EU am ehesten mit deutscher Unterstützung in ihrem Drängen

nach Westorientierung. Allzu große Erwartungen an deutscher Unterstützung dürfen

gleichfalls mit den deutschen Bundestagswahlen vom 18.09.2005 nicht geknüpft werden.

Mit dem vermeintlichen Wahlsieg der CDU-Vorsitzenden Dr. Angela Merkel ist eine

vorbehaltlose Türkeiintegration nicht verbunden, sondern allenfalls zunächst eine

qualifizierte Partnerschaft. Dies entspricht nicht den Vorstellungen der jahrzehntelangen

türkischen Politik. Das Ziel fast aller politischen Kräfte in der Türkei selbst ist der Beitritt

zur Europäischen Union.

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9. BUBNOV, Vasiliy: Greater Marshall Plan for Arabs, 03.11.2004; in: http://english. pravda.ru/printed.html?news_id=12249

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12. BUSH, George W.: State of the Union, 29. Januar 2002; in:

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23. EUROPÄISCHER RAT in Brüssel, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 12.-13. Dezember 2003; http://ue.eu.int/de/info/eurocouncil/index.htm

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2. ARASH, Abizadeh: „Does Liberal Democracy Presuppose a Cultural Nation? Four Arguments“; in: American Political Science Review, 96 (September 2002) 3

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5. BACIA, Horst: „Verheugen fordert Ankara zu größeren Anstrengungen auf“; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 27.3.2001, S. 9

6. BACIA, Horst: „Warten auf das Ja aus Athen/ Der Streit zwischen der Türkei und EU über die Eingreiftruppe ist noch nicht vorüber“, in: FAZ vom 10.12.2001, S. 6

7. BACIA, Horst: „Ein Hacker belastet das Verhältnis/ Verstimmung zwischen Ankara und EU“; in: FAZ vom 25.2.2002, S. 6

8. BACIA, Horst: Vier Jahrzehnte nur leere Versprechen?; in: FAZ vom 16.12.2004, Nr. 294, S. 6

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11. BAZOGLU-SEZER, Duygu: „The Electoral Victory of Reformist Islamists in Secular Turkey“; in: The International Spectator, 37 (Oktober-Dezember 2002)

12. BERGDOLL, Udo: „Störmanöver aus Ankara - Die Türkei missbraucht die NATO als Hilfstruppe, um sich einen Zugang zur EU zu erzwingen“; in: SZ vom 22.12.2000, S. 11

13. BERGDOLL, Udo: „Null Punkte für den Kandidaten - Ankara verärgert Brüssel mit der Blockade der EU-Eingreiftruppe“; in: SZ vom 16.7.2001, S. 1

14. BERGDOLL, Udo: „Die Europäische Union überdenkt ihr Verhältnis zur Türkei - Treffen der Außenminister in Brüssel“; in: SZ vom 17.7.2001, S. 7

15. BOLESCH, Cornelia: „Ein Beitritt der Türkei wäre das Ende der EU - Präsident des Verfassungskonvents sorgt für Wirbel“; in: SZ vom 9.11.2002, S. 7

16. BOULTON, Leyla; GARDNER David: “Ankara standoff: how EU reforms have turned into a struggle between the government and the military”; in: Financial Times vom 6.6.2003

17. BUSH, George W.: State of the Union, 20. September 2001, zitiert nach: Chauvistre, Eric: „Wir befinden uns im Krieg“; in: Die Tageszeitung (taz) vom 21. März 2003, S. 12

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21. DIE ZEIT, 23. Mai 2001

22. DIE ZEIT, 16. April 2003

23. „ENQUETE sous le voile“; In: Nouvel Observateur, No. 2010, 15. – 21. Juni 2003

24. FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ), 03.07.2004, Nr. 152, S. 57

25. FINANCIAL TIMES, 5. März 1997

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27. GLOS, Michael: „Klare Entscheidungen statt leerer Worte“; in: FAZ vom 10.12.1999

28. GOTTSCHLICH, Jürgen: „Diyabakir feiert“; in: taz vom 02.12.2002

29. GOTTSCHLICH, Jürgen: „Schlag gegen Kurdenparteien“; in: taz vom 14.03.2003

30. HERMANN, Rainer: „Die Türkei will nicht um jeden Preis in die EU - Eine Antwort auf die Beitrittspartnerschaft lässt auf sich warten“; in: FAZ vom 25.01.2001, S. 1

31. HERMANN, Rainer: „Ein Zeybekiko für die Türkei - Griechenland ist zum stärksten Verbündeten der Türkei auf dem Weg nach Europa geworden“; in: FAZ vom 09.07.2001, S. 12

32. HERMANN, Rainer: „Nationale oder europäische Identität? Die Diskussion über Europa und die eigenen Werte teilt die Türkei in zwei Lager“; in: FAZ vom 18.03.2002, S. 12

33. HERMANN, Rainer: „Kleinlich und dennoch großzügig - Washingtons Interesse an einer baldigen EU-Vollmitgliedschaft der Türkei“; in: FAZ vom 30.10.2002, S. 12

34. HERMANN, Rainer: „Zwiespältiges Echo in der Türkei auf EU-Bericht“; in: FAZ vom 01.11.2003, S. 2

35. HOFMANN, Gunter: „Am Ende des deutschen Wegs - Außenpolitik nach Herta Däubler-Gmelin, oder: Warum sich Berlin für Ankara stark macht“; in: Die Zeit vom 31.10.2002, S. 4

36. HORT, Peter: „Erdoğans Lächeln, Prodis Zögern - Kopenhagen wird ein Türkei-Gipfeltreffen werden – eher mit als ohne Datum“; in: FAZ vom 22.11.2002, S. 6

37. INGLEHARD, Ronald, NORRIS, Pippa: „The True Clash of Civilisations“; in: Foreign Policy (März/April 2003), S. 135

38. JENKINS, Gareth: „Muslim Democrats in Turkey?“; in: Survival, 45 (Frühjahr 2003), S. 1

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42. KOYDL, Wolfgang: „Die große Lüge der Kinder Atatürks“; in: SZ vom 13.01.2001

43. KOYDL, Wolfgang: „Wir sind in Europa - Die türkischen Zeitungen feiern den Kandidatenstatus, aber der Weg zum EU-Beitritt wird für das Land beschwerlich werden“; in: SZ vom 13.12.1999, S. 8

44. KOYDL, Wolfgang: „Querschüsse gegen Europa“; in: SZ vom 11.10.2000, S. 13

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46. LERCH, Wolfgang Günter: „Türkische Beharrlichkeit“; in: FAZ vom 07.08.2002

47. LOHSE, Eckart: „In der öffentlichen Diskussion ist die Türkei längst EU-Kandidat“; in: FAZ vom 20.11.1999

48. MEIER, Christian: „Wo liegt Europa? Historische Reflexionen – aus gegebenem Anlass“; in: NZZ vom 08.02.2003

49. MILLIYET: „Most Turks Want Lifting of Restrictions on Headscarves“, Briefing, No. 1446, 02.06.2003

50. MUNIR, Metin: „Primitive Legal System Mars Quest to Join EU“; in: Financial Times vom 13.07.2001, S. 2

51. NAUMANN, Michael: „Das Kreuz mit dem Tuch“; in: Die Zeit vom 11.07. 2002

52. NEUMANN, B.; WELSH, Jennifer M.: „The Other in European Self-Definition: An Addendum to the Literature on International Society“; in: Review of International Studies, 17 (1991), S. 4

53. NIENHAUS, Volker: „Ökonomische und politische Vorteile einer EG-Vollmitglied-schaft der Türkei für die Europäische Gemeinschaft“; in: Zeitschrift für Türkeistudien, 5 (1992), S. 1

54. NONNENMACHER, Günther: „Ehrlichkeit unter Partnern“; in: FAZ vom 01.11.1999

55. OBERNDÖRFER, Dieter: „Turkophobie“; in: Blätter für deutsche und inter-nationale Politik, 48 (Februar 2003), S. 2

56. ÖZEL, Soli: „After the Tsunami“; in: Journal of Democracy, 14 (April 2003), S. 2

57. PIEPER, Nikolaus: „Die Ökonomie des Beitritts“; in: SZ vom 30.11./01.12.2002

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61. SCHLÖTZER, Christiane: Im Macht-Vakuum - Der schlechte Gesundheitszustand von Premier Bülent Ecevit lähmt die türkische Regierung“; in: SZ vom 08.06.2002, S. 2

62. SCHLÖTZER, Christiane: „Das türkische Opfer“; in: SZ vom 11.03.2003, S. 4

63. SCHLÖTZER, Christiane; HAGELÜKEN, Alexander: „Brüssel vergibt Lob und Tadel an die Türkei - Kernpunkte des EU-Fortschrittsberichts“; in: SZ vom 05.10.2002, S. 7

64. SCHLÖTZER, Christiane: „Die Datumsgrenze - Bis zuletzt ringen die Türkei und die EU-Staaten um einen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen“; in: SZ vom 13.12.2002, S. 8

65. SCHLÖTZER, Christiane: „Türkei-Debatte beherrscht Gipfeltreffen in Kopenhagen - Staats- und Regierungschefs ringen um Kompromiss“; in: SZ vom 13.12.2002

66. SCHLÖTZER, Christiane: „Krieg und Frieden - Für die Türkei geht es nach dem EU-Gipfel um die Festlegung ihres Kurses in Sachen Irak und Zypern“; in: SZ vom 16.12.2002, S. 2

67. SCHLÖTZER, Christiane: „Türkei gliedert PKK-Kämpfer ein“; in: SZ vom 06.08.2003, S. 7

68. SCHLÖTZER, Christiane: „Militär verliert an Macht“; In: SZ vom 08.08.2003, S. 6

69. SCHLÖTZER, Christiane: „Die türkische Revolution“; in: SZ vom 09./10.08.2003, S. 4

70. SEIBERT, T.: „Reformpolitiker Talat will, rasch über Wiedervereinigung Zyperns verhandeln“; in: Tagesspiegel vom 19.04.2005

71. SEUFERT, Günter: „Keine Angst vor den Türken“; in: Die Zeit vom 19.09.2002

72. SIEMONS, Mark: „Kultur als Kampfbegriff“; in: FAZ vom 07.12.2002

73. STEGER, Hans Alfred: „Die Türken und Europa.“; in: Liberal (Sankt Augustin). Januar 2000, S. 47-50

74. STOIBER, Edmund; SCHMIDT, Helmut: „Begrenzt Europas Macht – Ein Gespräch über die Zukunft der EU und deutsche Interessen“; in: Die Zeit vom 08.02.2001

75. SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

76. SZNAIDER, Natan: „Abschied vom Abendland“; in: Frankfurter Rundschau vom 17.12.2002

77. THE WASHINGTON POST, 24. September 1996

78. THIES, Jochen: „Wo liegt die Türkei“; in: Die neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 50 (2003)

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79. THUMANN, Michael: „Türkische Sprinter - Das Parlament in Ankara hat ein Reformpaket in bestem EU-Format verabschiedet und stürzt die Europäer damit in tiefe Verlegenheit“; in: Die Zeit vom 08.08.2002, S. 6

80. TORDJMAN, Jean-Daniel: „Un intercesseur entre l’Islam et l’Occident“; in: Le Figaro vom 28.11.2002

81. TURKEY HINTS at a new Flexibility towards Saddam, in: The Washington Post vom 24.09.1996

82. TURKEY `s Military Training Cooperation Agreement with Israel. Turkish Embassy Press Release, Washington, 10. April 1996

83. TURKEY-Israel Forge Closer Ties. in: Turkish Probe, 15.03.1996

84. TURKISH PROBE, Syria Fails to Turn Summit into an Anti-Turkish Forum, 28.06.1996

85. TURKISH PROBE , Interview mit Deniz Baykal. in: Turkish Probe, Ankara 05.01.1995

86. TURKISH Ministry of foreign Affairs: Water issues between Turkey Syria and Iraq. in: Journal of International Affairs, Vol.1, Nr. 2, Juni-August 1996, S. 82-112

87. ULRICH, Bernd: „Die EU und die Türkei. Das Gefühl für Freiheit“; in: Der Tagesspiegel, 28.11.2002

88. ULRICH, Stefan: „EU macht die Türkei zum Beitrittskandidaten - Aufnahme von Gesprächen aber an Achtung der Menschenrechte geknüpft“; in: SZ vom 11.12.1999, S. 1

89. ULRICH, Stefan: „Zwei Krisenkuriere retten den Türkei-Deal - Fast hätte Ankara das Beitrittsangebot der EU abgelehnt – Verheugen und Solana verhindern eine Blamage für die Union“; in: SZ vom 13.12.1999, S. 8

90. VERNET, Daniel, « L’Europe sans frontières »; in: Le Monde vom 10.11.2002, S. 1

91. WAGNER, Richard: „Tellerwäschertraum. Warum die Osteuropäer sich Amerika näher fühlen“; in: Frankfurter Rundschau vom 07.06.2003

92. WALLACE, Helen: „Stimmen und Stimmungen aus Nizza: Entscheidungen der Regierungskonferenz 2000 zum Rat“ in: Integration, 24 (April 2001) 2

93. WEHLER, Hans-Ulrich: „Das Türkenproblem“; in: Die Zeit vom 12.09.2002

94. WEHLER, Hans-Ulrich: „Wir sind nicht die Samariter für die Türken“; in:

FAZ vom 05.11.2002

95. WEHLER, Hans-Ulrich: „Die Türkei soll draußen bleiben“; in: Der Tagesspiegel vom 27.06.2003

96. WERNICKE, Christian: „Europas Konservative wollen Türkei nicht in der EU“; in: SZ vom 27.06.2003

97. WERNICKE, Christian: „EU stellt Ankara Belohnung in Aussicht“; in: SZ vom 06.12.2003, S. 7

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98. WESSELS, Wolfgang: „Die EU darf nicht an Überdehnung zugrunde gehen“; in: FAZ vom 14.12.1999

99. WINKLER, Heinrich August: „Demokratisierung der Europäischen Union muss von unten wachsen“; in: Frankfurter Rundschau vom 02.05.2002

100. WINKLER, Heinrich August: „Ehehindernisse. Gegen einen EU-Beitritt der

Türkei“; in: SZ vom 23.11.2002

101. WINKLER, Heinrich August: „Grenzen der Erweiterung. Die Türkei

ist kein Teil des Projekts Europa“; in: Internationale Politik, 58 (Februar 2003) 2

102. WINKLER, Heinrich August: „Wir erweitern uns zu Tode“; in: Die

Zeit vom 07.11.2002

103. WINROW, Gareth M.: „Pivotal State or Energy Supplicant? Domestic

Structure, External Actors, and Turkish Policy in the Caucasus“; in: Middle East Journal, 5 (Winter 2003) 1

104. ZAND, Bernhard: „Aufbruch nach Westen“; in: Der Spiegel vom

03.01.2000, S. 114

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Als »Grenzland« bildet die Türkei die Trennlinie zwischen Orient undOkzident und kann sowohl ein Teil Europas sein, als auch ein Balkan-,Schwarzmeer-, Kaukasus- oder Nahostland. Somit steht sie zwischenden westlichen und östlichen Kulturen, aber auch inmitten der unter-schiedlichen Religionen.

Der eventuelle Beitritt der Türkei in die Europäische Union ist in derdeutschen Öffentlichkeit, aber auch in anderen europäischen Ländern,sehr umstritten. Während die einen meinen, ein EU-Mitglied Türkeiwäre eine zu große ökonomische, soziale oder kulturelle Belastung,sehen die anderen darin eine sicherheitspolitische Chance oder – auflange Sicht – ökonomische Vorteile. Sicher ist, dass die Türkei zum Zeit-punkt ihres Beitritts zu den größten Mitgliedsländern der EU gehörenund daher die EU-Politik maßgeblich mitgestalten würde. Allein schondeshalb zählt der Beitritt der Türkei zu den europapolitisch wichtigstenFragen, neben der Osterweiterung im Mai 2004. Darüber hinaus wäre dieTürkei das einzige Land in der EU, das geografisch nur zu einem kleinenTeil in Europa liegt und dessen Bevölkerung überwiegend muslimischenGlaubens ist. Angesichts des türkischen Willens, der EU beizutreten,sehen sich die europäischen Länder daher gezwungen zu definieren, auf

welchen Wertvorstellungen die Europäi-sche Union basiert. Der BeitrittskandidatTürkei wird darüber hinaus wohl bald zueinem innenpolitischen Thema in Deutsch-land. Die europäisch-türkischen Beziehun-gen werden somit erneut ganz oben auf derpolitischen Agenda stehen.

Ümit Yazicioglu

Erwartungen und Probleme hinsichtlichder Integrationsfrage der Türkei

in die Europäische Union

br., 501 S.ISBN 3-86504-129-9

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Juristische Reihe TENEA/ Bd. 101

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Als »Grenzland« bildet die Türkei die Trennlinie zwischen Orient und Okzi-dent und kann sowohl ein Teil Europas sein, als auch ein Balkan-, Schwarz-meer-, Kaukasus- oder Nahostland. Somit steht sie zwischen den westlichenund östlichen Kulturen, aber auch inmitten der unterschiedlichen Religio-nen.

Der eventuelle Beitritt der Türkei in die Europäische Union ist in derdeutschen Öffentlichkeit, aber auch in anderen europäischen Ländern, sehrumstritten. Während die einen meinen, ein EU-Mitglied Türkei wäre eine zugroße ökonomische, soziale oder kulturelle Belastung, sehen die anderendarin eine sicherheitspolitische Chance oder – auf lange Sicht – ökonomischeVorteile. Sicher ist, dass die Türkei zum Zeitpunkt ihres Beitritts zu den größ-ten Mitgliedsländern der EU gehören und daher die EU-Politik maßgeblichmitgestalten würde. Allein schon deshalb zählt der Beitritt der Türkei zu deneuropapolitisch wichtigsten Fragen, neben der Osterweiterung im Mai 2004.Darüber hinaus wäre die Türkei das einzige Land in der EU, das geografischnur zu einem kleinen Teil in Europa liegt und dessen Bevölkerung überwie-gend muslimischen Glaubens ist. Angesichts des türkischen Willens, der EUbeizutreten, sehen sich die europäischen Länder daher gezwungen zu defi-nieren, auf welchen Wertvorstellungen die Europäische Union basiert. DerBeitrittskandidat Türkei wird darüber hinaus wohl bald zu einem innenpo-litischen Thema in Deutschland. Die europäisch-türkischen Beziehungenwerden somit erneut ganz oben auf der politischen Agenda stehen.

Priv. Doz. Dr. rer. publ. Dr. rer. pol. Ümit Yazicioglu,Mag. rer. publ. (Speyer), iur., geb. 1958, ist Rechts-, Ver-waltungs- und Politikwissenschaftler. Er lehrt seit 2002 amOtto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Von 1996bis 1997 war er Mitglied des Senats der Deutschen Hoch-schule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Der Autorhat sich mit Fragen über »die künftige Rolle der Türkei inder Europäischen Union: Erwartungen, Konflikte und Ter-rorismus« befasst. Er ist in diesen Gebieten ein hervorra-gender Experte. Seine Forschungsschwerpunkte sindÖffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Menschen-rechte, Internationale Beziehungen, Terrorismus, Funda-mentalismus und Migrationsforschung.

Juristische Reihe TENEA/ Bd.101

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ARMIN ROCKINGER

Die rechtlichen und politischen Reformen in der Türkei auf dem Weg zu einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Unionunter Berücksichtigung der Machtkonstellationenim Nahen Osten

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Spätestens mit dem 03.10.2005 und damit dem Beginn der Beitritts-verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei,ist der bereits seit 1959 verfolgte Integrationsprozess der Türkei wie-der einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden. Gerade die seit2001 vorgenommenen türkischen Rechtsänderungen in Verfassungund sonstiger Rechtsetzung gaben der EU Anlass dafür, den seit 1999offiziell anerkannten Beitrittskandidatenstatus der Türkischen Repu-blik nicht nur zu bekräftigen, sondern mit ihr den Weg zur Vollmit-gliedschaft zu vollziehen.

Dem stehen hingegen durchaus kräftige rechtliche, politische undökonomische Argumente entgegen mit der Folge, dass die Beitritts-fähigkeit der Türkei in der rechtspolitischen Diskussion nach wie vorsehr umstritten ist. Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischenund ökonomischen Veränderungen in der nahöstlichen Region wer-den in dieser Arbeit daher die europäisch-türkischen Beziehungen indiesem Kontext europarechtlich untersucht. Dabei achtet der Autornicht nur auf eine rechtliche Bewertung des Integrationsprozesses,sondern auch auf die bilateralen Interessenlagen unter Berücksichti-gung der Geopolitik im Sinne der »Osterweiterung« der EU.

UmschlagJuraweltRockinger 02.03.2006 12:57 Uhr Seite 1