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AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS Liebe Leserin, lieber Leser, Justizvollzugsanstalten sind „Brutstätten für Radikalisie- rung“, behauptete 2018 der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbedienste- ten (BSBD), René Müller gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Dr. Carolin Görzig vom Max Planck Insti- tut für ethnologische For- schung berichtet in unserem zweiunddreißigsten Justiz- Newsletter über ihr For- schungsprojekt „Wie Terro- risten lernen“ und stellt fest, dass Gefängnisse ebenso zur Brutstätte für tiefgreifen- de Reflexionen und Sinnes- wandeln werden können. Im Jahr 2015 wurde der Ge- sundheitspakt für die Berliner Justizvollzugsanstalten ver- abschiedet und somit ein Veränderungsprozess für rund 2.900 Mitarbeitende in Gang gesetzt. Kristin Herold, Referentin für Gesundheits- management bei der Senats- verwaltung für Justiz, Ver- braucherschutz und Antidis- kriminierung in Berlin, hat diesen Prozess von Anfang an mitgestaltet und geht in ihrem Artikel auf die Fragen „Wie kann ein Veränderungs- prozess bei der Einführung eines systematisch ausge- richteten Gesundheitspro- zesses gelingen? Und wo- rauf kommt es nach unseren Erfahrungen an?“ ein. Wir freuen uns jedes Mal, wenn Artikel in unserem Newsletter Beachtung fin- den. Kürzlich wurde ein Artikel unseres Autors Michael Schäfersküpper von der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein- Westfalen zur Disziplinierung von Gefangenen in einem Kommentar zu den Strafvoll- zugsgesetzen als "instruktive Übersicht" bewertet. Die Ein- zelheiten finden Sie am An- fang des Artikels von Herrn Schäfersküpper, der in die- ser Ausgabe die rechtlichen Aspekte der Verpflegung von FotoKristina Rütten / photocase.de Gefangenen näher beleuch- tet. Über ein Jahr lang führten Professor Dr. iur. Dr. h. c. Martin Killias und Lorenz Biberstein von Killias Re- serarch & Consulting im Auf- trag der zuständigen kanto- nalen Stelle JuWe (Justizvollzug und Wieder- eingliederung) in Zürich (Schweiz) eine breit angeleg- te Studie zum Profil von Er- satzfreiheitsstraflern durch. Sie berichten von ihren Er- gebnissen und stellen fest, dass Länder mit häufigen Geldstrafen zwar keine „Klassen-Justiz“ betreiben, jedoch aber „eine Art Klas- sen-Strafrecht zulasten der untersten Randschichten“. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und blei- ben Sie gesund! Herzliche Grüße aus Celle sendet Ihnen Michael Franke JAHRGANG 17 ● AUSGABE 32 ● NOVEMBER 2020 JUSTIZ NEWSLETTER Deradikalisierung im Gefängnis 2 Gesundheit der Mitar- beitenden im Berliner Justizvollzug 6 Verpflegung der Gefangenen 12 Ersatzfreiheitsstrafe in Zürich 20 Ankündigungen 23 Kontaktadressen 24 INHALT

Justiz-Newsletter Nr. 32 - Niedersachsen · Newsletter Nr. 31 Seite 5 mentalen Gefängnis- se hinter sich zu las-sen. Ganze Gruppen zu deradikalisieren und die entsprechen-den Dynamiken

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A U S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Liebe Leserin, lieber Leser,

Justizvollzugsanstalten sind

„Brutstätten für Radikalisie-

rung“, behauptete 2018 der

Vorsitzende des Bundes

der Strafvollzugsbedienste-

ten (BSBD), René Müller

gegenüber der Deutschen

Presse-Agentur. Dr. Carolin

Görzig vom Max Planck Insti-

tut für ethnologische For-

schung berichtet in unserem

zweiunddreißigsten Justiz-

Newsletter über ihr For-

schungsprojekt „Wie Terro-

risten lernen“ und stellt fest,

dass Gefängnisse ebenso

zur Brutstätte für tiefgreifen-

de Reflexionen und Sinnes-

wandeln werden können.

Im Jahr 2015 wurde der Ge-

sundheitspakt für die Berliner

Justizvollzugsanstalten ver-

abschiedet und somit ein

Veränderungsprozess für

rund 2.900 Mitarbeitende in

Gang gesetzt. Kristin Herold,

Referentin für Gesundheits-

management bei der Senats-

verwaltung für Justiz, Ver-

braucherschutz und Antidis-

kriminierung in Berlin, hat

diesen Prozess von Anfang

an mitgestaltet und geht in

ihrem Artikel auf die Fragen

„Wie kann ein Veränderungs-

prozess bei der Einführung

eines systematisch ausge-

richteten Gesundheitspro-

zesses gelingen? Und wo-

rauf kommt es nach unseren

Erfahrungen an?“ ein.

Wir freuen uns jedes Mal,

wenn Artikel in unserem

Newsletter Beachtung fin-

den. Kürzlich wurde

ein Artikel unseres Autors

Michael Schäfersküpper von

der Fachhochschule für

Rechtspflege Nordrhein-

Westfalen zur Disziplinierung

von Gefangenen in einem

Kommentar zu den Strafvoll-

zugsgesetzen als "instruktive

Übersicht" bewertet. Die Ein-

zelheiten finden Sie am An-

fang des Artikels von Herrn

Schäfersküpper, der in die-

ser Ausgabe die rechtlichen

Aspekte der Verpflegung von

Foto

Kristina R

ütt

en / p

hoto

case.d

e

Gefangenen näher beleuch-

tet.

Über ein Jahr lang führten

Professor Dr. iur. Dr. h. c.

Martin Killias und Lorenz

Biberstein von Killias Re-

serarch & Consulting im Auf-

trag der zuständigen kanto-

nalen Stelle JuWe

(Justizvollzug und Wieder-

eingliederung) in Zürich

(Schweiz) eine breit angeleg-

te Studie zum Profil von Er-

satzfreiheitsstraflern durch.

Sie berichten von ihren Er-

gebnissen und stellen fest,

dass Länder mit häufigen

Geldstrafen zwar keine

„Klassen-Justiz“ betreiben,

jedoch aber „eine Art Klas-

sen-Strafrecht zulasten der

untersten Randschichten“.

Wir wünschen Ihnen viel

Spaß beim Lesen und blei-

ben Sie gesund!

Herzliche Grüße aus Celle

sendet Ihnen

Michael Franke

J A H R G A N G 1 7 ● A U S G A B E 3 2 ● N O V E M B E R 2 0 2 0

J U S T I Z N E W S L E T T E R

Deradikalisierung im

Gefängnis 2

Gesundheit der Mitar-

beitenden im Berliner

Justizvollzug

6

Verpflegung der

Gefangenen 12

Ersatzfreiheitsstrafe in

Zürich20

Ankündigungen 23

Kontaktadressen 24

I N H A L T

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Newsletter Nr. 31 Seite 2

Die Anführer der

ägyptischen Gamaa

Islamija haben im Ge-

fängnis 20 Bücher

über ihren Sinneswan-

del geschrieben und

legen darin ihre Refle-

xionen über ihre Ab-

kehr von Gewalt nie-

der. Diese islamisti-

sche Terrorgruppe

verübte in den 90iger

Jahren das Luxor-

Einsicht unter Druck: Deradikalisierung im Gefängnis

von Carolin Görzig

DERADIKALISIERUNG IM GEFÄNGNIS

Gefängnisse werden

oft als Brutstätten von

Radikalisierung be-

schrieben, in denen

radikale Ideologien

verbreitet, Ideen aus-

getauscht, Netzwerke

aktiviert und neue Mit-

glieder rekrutiert wer-

den. Dass gerade auch

Gefängnisse genauso

gut zur Brutstätte für

tiefgreifende Reflexio-

nen und Sinneswandel

werden können, ist im

gewissen Sinne kontra-

intuitiv. Man kann sich

nur schwer vorstellen,

dass die Isolation und

Abschottung hinter Git-

tern zur Öffnung für

neue Einsichten wer-

den kann. Dennoch

gibt es mehrere Fälle,

die genau das belegen.

fängnisse touren und

die Anhänger von ih-

ren neuen Ansätzen

überzeugen. Das war

Verschiedene Fakto-

ren ermöglichten ihre

Neubetrachtung. Ers-

tens hat die ägypti-

sche Regierung die

Kommunikationswege

zwischen den ver-

schiedenen Gamaa

Mitgliedern unterei-

nander sowie mit an-

dersgesinnten Gefan-

genen erleichtert. So

durften die Anführer

auch durch die Ge-

Aktions- und Reakti-

onsmuster unterle-

gen.“1

Man kann sich gut vor-

stellen, wie die Anfüh-

rer der Gamaa Islami-

ja das größere Bild

betrachteten, als sie

dies schrieben. Allen

Widrigkeiten zum

Trotz nahmen sie ge-

rade im Gefängnis die

nötige Distanz ein.

massaker und die

Mehrzahl ihrer Anhä-

nger wurde inhaftiert.

Im Gefängnis vollzog

die Gruppe – geleitet

durch ihre Anführer –

einen umfassenden

Wandlungsprozess

und in einem ihrer

zwanzig Bücher über

diesen Sinneswandel

schreibt sie folgendes:

„Das Beste ist, sich die

Zeit zu nehmen, wenn

man vom Kampf ent-

rückt ist und fähig ist,

das große Ganze aus

der Distanz zu be-

trachten [..] Die, die für

den Islam arbeiten,

wurden davon abge-

halten durch die furcht-

bare Verfolgung, mit

der sie sich konfron-

tiert sahen und ihre

Aktivität war nur einem

Dr. Carolin Görzig

Forschungsgruppenleiterin

„Wie ‚Terroristen’ lernen“ am

Max Planck Institut für ethnologi-

sche Forschung in Halle (Saale)

besonders wichtig, da

nur die Anführer das

ideologische Gewicht

und die entsprechen-

Das Max Planck Institut für

ethnologische Forschung befindet

sich in Haale (Saale)

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Newsletter Nr. 31 Seite 3

halb der dschihadisti-

schen Logik ist er das

nicht. Eine Haftstrafe

wird als Gottesprü-

fung interpretiert und

als eine Chance, sich

selbst weiterzubilden,

weil man die Zeit hat

zu lesen.“2

Die Gamaa Islamija

ist nicht das einzige

Beispiel für Deradika-

lisierung im Gefäng-

nis. Dieter Reinisch

Gamaa Islamija und in

persönlichen Gesprä-

chen mit ihnen lässt

wenig Zweifel an ihrer

Ernsthaftigkeit. Gerade

auch Gefängnisse kön-

nen zur Brutstätte für

tiefgreifende Reflexio-

nen und Sinneswandel

werden: „Unsere Ge-

sellschaft betrachtet

einen Gefängnisauf-

enthalt als größtmögli-

che Strafe. Doch inner-

„Ausgerechnet im Gefängnis

kamen sie mit Anderen ins

Gespräch und hörten nicht

immer die gleichen

Stimmen.“

land akzeptiert. Die

Anführer mussten al-

so auch die Führung

außerhalb der Ge-

fängnisse im Blick ha-

ben und diese eben-

falls von Sinn und

Zweck des tiefen

Wandels überzeugen,

was ihnen schließlich

zwei Jahre später ge-

lang. Darüber hinaus

war der Austausch mit

Andersdenkenden

zentral. Die Interaktion

zum Beispiel mit säku-

laren politischen Ge-

fangenen öffnete die

Anführer für andere

Weltsichten. Ausge-

rechnet im Gefängnis

kamen sie mit Ande-

ren ins Gespräch und

hörten nicht immer die

gleichen Stimmen. Die

ägyptische Regierung

schickte währenddes-

sen Imame und islami-

de Glaubwürdigkeit

innerhalb der Organi-

sation hatten, um den

1997 ausgerufenen

Waffenstillstand den

Anhängern zu vermit-

teln. Die Entscheidung

über den Waffenstill-

stand wurde durch die

Führung im Gefängnis

getroffen, aber nicht

sofort von den Anfüh-

rern außerhalb der Ge-

fängnisse und im Aus-

ren sich der Verant-

wortung für ihre Anhä-

nger in den Gefäng-

nissen durchaus be-

wusst. Als sie die Ein-

sicht entwickelten,

dass ihr Kampf kont-

raproduktiv gewesen

war und dazu geführt

hatte, dass ihre musli-

mischen Brüder litten

und sich untereinan-

der bekämpften, öffne-

ten die Amnestien die

Tür für weitere Ein-

sichten. Manche sa-

gen, der Wandel der

Gamaa sei eine

Scheinanpassung und

dass die Gruppe keine

Wahl hatte. Allein die

Tiefe der dargelegten

Gedankengänge in

den Büchern der

sche Gelehrte ins Ge-

fängnis, um die Gamaa

Islamija zum Umden-

ken zu bewegen und

die langen ideologi-

schen Debatten zu be-

gleiten. Schließlich bot

die Regierung auch

Amnestien an. Die An-

führer der Gamaa wa-

DERADIKALISIERUNG IM GEFÄNGNIS

beschreibt wie IRA

Gefangene in Nordir-

land eine kritische De-

batte innerhalb und

außerhalb der Ge-

fängnismauern initiier-

ten und so zu Anfüh-

rern des Konflikttrans-

formationsprozesses

wurden. Diese Gefan-

genen kritisierten die

damalige Führung für

den gescheiterten

Waffenstillstand von

„Unsere Gesellschaft

betrachtet einen

Gefängnisaufenthalt als

größtmögliche Strafe. Doch

innerhalb der

dschihadistischen Logik ist

er das nicht. Eine Haftstrafe

wird als Gottesprüfung

interpretiert und als eine

Chance, sich selbst

weiterzubilden, weil man die

Zeit hat zu lesen.“

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Newsletter Nr. 31 Seite 4

Gamaa Islamija und

der IRA gab es Anhä-

nger, die es zu über-

zeugen galt, Führung

und weitere Akteure

außerhalb der Ge-

fängnisse, mit denen

es zu koordinieren

galt und Bildungs-

und Austauschmög-

lichkeiten im Gefäng-

nis, die sie ergreifen

mussten. Vielleicht

erklärt die Vielfalt der

Faktoren, warum sich

ANC verdeutlichte der

IRA, dass man auch

durch Gewaltverzicht

gewinnen könne, dass

Veränderung friedlich

möglich sei. Ein Inter-

viewpartner sagte mir,

dass das Zusammen-

treffen mit dem ANC

ein einschneidendes

Ereignis für ihn war,

das ihn letztlich zum

Umdenken bewegt hat-

te.5

Für die Anführer der

„Vielleicht erklärt die Vielfalt

der Faktoren, warum sich

Gruppen im Gefängnis nicht

öfter deradikalisieren.“

1975/76 und begannen

damit eine Debatte in

der weiteren Bewe-

gung. Als sie freigelas-

sen wurden, erreichten

sie einflussreiche Posi-

tionen und unterstütz-

ten den Friedenspro-

zess.3 Der Wandel in

den Gefängnissen

spielte sich dabei auf

mehreren Ebenen ab.

Die zukünftigen IRA

Anführer lernten zu-

sammen mit ihren zu-

künftigen Anhängern

immer zur Teilnahme

ermutigt und das hat

unser Bewusstsein für

die Dinge gestärkt.

Nimm zum Beispiel

Marxismus, Marxismus

war wahrscheinlich der

Grundstein in unserem

Bildungssystem.“4

Die Transformation der

IRA wurde auch von

DERADIKALISIERUNG IM GEFÄNGNIS

Gruppen im Gefäng-

nis nicht öfter deradi-

kalisieren. Aber auch

die beiden hier ge-

nannten Beispiele

sind keine Einzelfälle.

Deradikalisierungs-

strategien sind weit

verbreitet und finden

Anwendung sowohl

für islamistische, eth-

noseparatistische und

linke Gruppen. Auch

Mitglieder der Roten

Brigaden in Italien ha-

sowie von anderen –

geographisch und ide-

ologisch weit entfern-

ten – Organisationen.

Besonders auf-

schlussreich ist zum

Beispiel das Selbstbil-

dungssystem, das

IRA-Gefangene entwi-

ckelten. Ein ehemali-

ges Mitglied beschrieb

dieses in einem Inter-

view mit mir in Belfast

2017 wie folgt:

„..wir studierten Wirt-

schaft, wir studierten

Politik, wir studierten

Sozialwissenschaften

…wir diskutierten im

Grunde alles.. wir hat-

ten ein sehr, sehr

strukturiertes Bil-

dungssystem… und

ich meine, Du und ich

könnten hier sitzen

und über Wirtschaft

reden, aber wir wür-

den unweigerlich über

das politische System

eines Landes spre-

chen… wir wurden

„Der Wandel in den

Gefängnissen spielte sich

dabei auf mehreren Ebenen

ab.“

anderen Organisatio-

nen entscheidend be-

einflusst. Als ich 2017

Interviews mit ehema-

ligen IRA Mitgliedern

in Belfast durchführte,

wurde zum Beispiel

der Einfluss des süd-

afrikanischen ANC

schnell deutlich. Re-

präsentanten des

ANC waren in Nordir-

land in die Gefängnis-

se gegangen, um mit

IRA-Mitgliedern einen

möglichen Kurswech-

sel zu diskutieren. Für

die Anführer der IRA

lieferte der ANC ent-

scheidende Argumen-

te, da er erfolgreich

aus den eigenen Ver-

handlungen gegangen

war. Das Beispiel des

S���n����p�����n�:

„V�� E����e�����, K�nd�-

m�r�������� �n� �n�����

K���������� - E�� B�i��

���� ��� M����“ (O�����-

S���n��) v�� 02. �i� 03.

D������� 2020

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Newsletter Nr. 31 Seite 5

mentalen Gefängnis-

se hinter sich zu las-

sen. Ganze Gruppen

zu deradikalisieren

und die entsprechen-

den Dynamiken zwi-

schen Anführern und

Anhängern loszutre-

ten, ist zwar dennoch

eine große Herausfor-

derung. Fakt ist aber

auch, dass es welt-

weit Deradikalisie-

rungsprozesse gibt

und dass Druck und

Isolation gekoppelt mit

dem Öffnen von Mög-

lichkeiten Menschen

zum Umdenken bewe-

gen können. Ohne

Druck wählen nur we-

nige den Ausweg;

aber ohne einen Aus-

weg ist auch der

Druck wirkungslos.

ben nach mehreren

Dekaden im Gefängnis

neue Einsichten ge-

wonnen. In einem Aus-

söhnungsprozess wer-

den derzeit Opfer und

Täter zum Dialog zu-

sammengebracht. Die

Mitglieder der roten

Brigaden werden dabei

nicht nur damit kon-

frontiert, das Gefäng-

nis zu verlassen, son-

dern auch damit, ihre

Fußnote:

1 Hamdi Abdul Rahman

Abdul Azim, Najih Ibra-

him Abdullah, Ali Mo-

hammed Ali Sharif,

Shedding Light on Er-

rors committed in Jihad

(Cairo: Islamic Turath

Bookshop, 2002), 112.

2 Interview von Nadia

Pantel mit Hugo Mi-

cheron: "Das Attentat

auf 'Charlie Hebdo' war

wie ein verspätetes

DERADIKALISIERUNG IM GEFÄNGNIS

Erwachen", 02.09.

2020, Süddeutsche

Zeitung. Hugo Miche-

ron hat für seine Dok-

torarbeit in französi-

schen Gefängnissen

80 selbsterklärte

Dschihadisten inter-

viewt.

3 Dieter Reinisch:

“Prisoners as Leaders

of Political Change:

Cage 11 and the

Peace Process in

Northern Ireland” (first

online 02 October

2019), in: Martin Gut-

mann (Hrsg.) Historian

on Leadership and

Strategy (Springer

Cham), S. 55-75.

4 Interview mit ehema-

ligem PIRA Mitglied,

Belfast 2017.

5 Interview mit weite-

rem ehemaligen PIRA

Mitglied, Belfast 2017.

Kontakt:

Dr. Carolin Görzig

E-Mail

[email protected]

Telefon

+49 345 2927 379

„Ohne Druck wählen nur

wenige den Ausweg; aber

ohne einen Ausweg ist auch

der Druck wirkungslos.“

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Newsletter Nr. 31 Seite 6

GESUNDHEITSMANAGEMENT

bei dem es sich lohnt,

die Mitarbeitenden zu

befähigen und zu un-

terstützen.

Durch die Verabschie-

dung des Berliner Ge-

sundheitspaktes wur-

de vor fünf Jahren ein

Veränderungsprozess

in Gang gesetzt.

Gesundheit der Mitarbeitenden im Berliner Justizvollzug stärken

Wie kann ein umfassender Transformationsprozess gelingen?

Phasenbeschreibung, Reflexion und Erfolgseinschätzung

von Kristin Herold

Das Gesundheitsma-

nagement der Berliner

Justizvollzugsanstalten

legt seinen Schwer-

punkt bewusst auf die

Gestaltung gesund-

heitsförderlicher Ar-

beitsbedingungen.

Hierbei ist der Blick ins-

besondere auf die An-

wesenden gerichtet.

Durch geeignete

Maßnahmen sollen

gesundheitsförderli-

che Arbeitsbedingun-

gen geschaffen wer-

den. Das Arbeitsfeld

„Gefängnis“ wird als

ein eigener besonde-

rer Lebens- und Ar-

beitsraum begriffen,

unserer Erfahrungen

in Berlin, worauf es

ankommt?

Mit der Darlegung un-

serer fünf Entwick-

lungsstufen erhoffen

wir uns, den Lesern

und Leserinnen, die

Frage zu beantworten,

wie ein Transformati-

onsprozess zur Ge-

Förderung der seeli-

schen und körperli-

chen Gesundheit der

Mitarbeitenden.

In diesem Artikel wird

die Frage aufgewor-

fen: „Wie kann ein

Veränderungsprozess

bei der Einführung ei-

nes systematisch aus-

gerichteten Gesund-

heitsmanagementproz

esses gelingen?“. Was

denken wir, aufgrund

Hintergrund

Der Justizvollzug des

Landes Berlin besteht

aus sechs Justizvoll-

zugsanstalten, einer

Jugendstrafanstalt und

der Jugendarrestan-

stalt Berlin Branden-

burg und beschäftigt

derzeit ca. 2.840 Mitar-

beitende unterschiedli-

cher Berufsgruppen.

Im Jahr 2015 wurde

der Gesundheitspakt

für die Berliner Justiz-

vollzugsanstalten ver-

abschiedet. Der Ge-

sundheitspakt ist das

zentrale Steuerungs-

instrument für den Ge-

sundheitsmanagement

prozess der Berliner

Justizvollzugsanstal-

ten. Er benennt Visio-

nen und vereinbart

justizvollzugsübergrei-

fende strategische Zie-

le. Hauptziel ist die

Kristin Herold

Master of Public Health

Referentin für Gesundheitsma-

nagement bei der Senatsverwal-

tung für Justiz, Verbraucher-

schutz und Antidiskriminierung in

Berlin

Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in Berlin

Page 7: Justiz-Newsletter Nr. 32 - Niedersachsen · Newsletter Nr. 31 Seite 5 mentalen Gefängnis- se hinter sich zu las-sen. Ganze Gruppen zu deradikalisieren und die entsprechen-den Dynamiken

Newsletter Nr. 31 Seite 7

GESUNDHEITSMANAGEMENT

Schwerpunkten zur

Veränderung der vor-

handenen Situation

statt.

Im Ergebnis wurde

bereits frühzeitig er-

kannt, dass die Ein-

führung eines Ge-

sundheitsmanagemen

tsystems zum allum-

fassenden Lösungs-

ansatz für die Bewälti-

gung der benannten

Problemfelder wird.

Diese Phase kann als

Entwicklung der Be-

wusstseinsbildung, der

Weckung von Bereit-

schaft und einer ersten

visionären Zukunfts-

ausrichtung aller Betei-

ligten verstanden wer-

den.

Auf Grundlage dieser

Sichtweise fand eine

erste Suche nach He-

belwirkungen, Lö-

sungsansätzen und

Status: abgeschlos-

sen

In dieser Phase der

ersten Auseinander-

setzung mit der The-

matik war der Berliner

Justizvollzug von Ein-

sparungen und hohen

Krankenständen be-

troffen.

Um diesen Herausfor-

derungen angemes-

sen zu begegnen, ha-

ben sich erstmalig alle

Anstaltsleitungen, die

Gesamtbeschäftigten-

vertretungen, die örtli-

chen Beschäftigten-

vertretungen der Jus-

tizvollzugsanstalten,

die Hausleitung sowie

weitere Mitarbeitende

der Senatsverwaltung

für Justiz, Verbrau-

cherschutz zu einem

Workshop getroffen.

Der allererste Schritt

sundheitsförderung

gelingen kann.

Phase 1: Eintritt

Bewusstseinsbildung

und Start eines ge-

meinsamen Lernpro-

zesses

Klärung von Erwar-

tungen und Vorstel-

lungen

Selbstreflexion und

IST-Betrachtung

Zeit - außerhalb des

„normalen“ Dienstbe-

triebes - genommen

haben, um im ersten

Schritt einen gemein-

samen Gedankenaus-

tausch zu ermögli-

chen und in einem

zweiten Schritt die

ersten konkreten Eck-

punkte für eine Heran-

gehensweise bzw.

Lösung zu entwickeln.

Während des Work-

shops wurden Anlie-

gen und daraus resul-

tierende Maßnahmen

festgelegt. Die Ergeb-

nisse aus dem Work-

shop waren Grundlage

für das weitere Vorge-

hen. Als Resultat wur-

den erste Vereinba-

rungen getroffen, wie

der angestoßene

Veränderungsprozess

umgesetzt werden

kann.

war zunächst die

„Identifikation der

Probleme“. Aber be-

reits in dieser frühen

Phase war es Ziel ei-

nen Veränderungspro-

zess anzustoßen, um

die Gesundheit der

Mitarbeitenden zu er-

halten und zu fördern.

Hierbei war es insbe-

sondere wichtig, dass

die Obengenannten

sich zwei Tage intensiv

Zentrale Erkenntnis

der Entscheiderinnen

und Entscheider hier-

bei war, dass die Ge-

sundheit jeder/jedes

einzelnen Mitarbeiten-

den unter ver-

schiedensten Einflüs-

sen steht. Um eine

Zufriedenheit herzu-

stellen und somit die

Bewältigung des Ar-

beitspensums zu ge-

währleisten, galt es

„Im Ergebnis wurde bereits

frühzeitig erkannt, dass die

Einführung eines

Gesundheitsmanagement-

systems zum allumfassenden

Lösungsansatz für die

Bewältigung der benannten

Problemfelder wird.“

„Der allererste Schritt war

zunächst die ‚Identifikation

der Probleme‘. Aber bereits in

dieser frühen Phase war es

Ziel einen Veränderungs-

prozess anzustoßen, um die

Gesundheit der

Mitarbeitenden zu erhalten

und zu fördern.“

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Newsletter Nr. 31 Seite 8

GESUNDHEITSMANAGEMENT

den Beschäftigten-

vertretungen und

der Senatsverwal-

tung für Justiz und

Verbraucherschutz

(ehemals Sen-

JustV) dieser feier-

lich unterzeichnet.

Gesundheitsma-

nagement wird als

Organisationsstruk-

tur in den Berliner

Justizvollzugsan-

stalten dauerhaft

Ein erfolgreicher

Meilenstein war der

Beschluss eines Ge-

sundheitspaktes und

die Einigung, justiz-

vollzugsübergreifend

eine Lösung für die

Behebung der Prob-

leme zu finden.

Am 11. November

2015 wurde mit den

Leitungen der Justiz-

vollzugsanstalten,

„Damit

Gesundheitsmanagement

eine Daueraufgabe werden

kann, wurden in jeder Anstalt

Verantwortliche für das

strategische

Gesundheitsmanagement

installiert.“

die folgenden Einfluss-

faktoren in Einklang zu

bringen:

Arbeitsbedingungen

(u.a. Arbeitszeiten,

Arbeitsplatz)

Unternehmensfüh-

rung und -kultur

(Motivation, Werte,

Einstellung)

Kompetenzfähigkeit

und -fertigkeit

die die betroffene Or-

ganisation dazu befähi-

gen, sich selbst zu hel-

fen bzw. sich selbst

Hilfe zu organisieren.

Aus diesem Grund

wurde ein externes Be-

ratungsunternehmen

verankert.

Damit Gesundheits-

management eine

Daueraufgabe wer-

den kann, wurden

in jeder Anstalt Ver-

antwortliche für das

strategische Ge-

sundheitsmanagem

ent installiert.

Mitarbeitende wir-

ken aktiv in Lö-

sungszirkeln

Körperliche und

seelische Konstituti-

on/Gesundheit

Außeneinflüsse

(u.a. Vereinbarkeit

von Privatleben und

Beruf, etc.)

Phase 2: Aufbau

Eigenbefähigung

auf allen Ebenen

(Empowerment)

Erste Erfolge

Status: abgeschlos-

sen

Ein allumfassender

Beteiligungsprozess

startete, um die defi-

nierten Probleme zu

bearbeiten. Die zweite

Phase des Verände-

rungsprozesses stand

daher ganz bewusst

unter dem Motto „Hilfe

zur Selbsthilfe“. Ziel

war es Maßnahmen

zu Grunde zu legen,

„Ziel war es Maßnahmen zu

Grunde zu legen, die die

betroffene Organisation dazu

befähigen, sich selbst zu

helfen bzw. sich selbst Hilfe

zu organisieren.“

beauftragt, die Berli-

ner Justizvollzugsan-

stalten bei der Einfüh-

rung eines Gesund-

heitsmanagements zu

begleiten. Innerhalb

von drei Jahren wur-

den Strukturen des

Gesundheitsmanage-

ments in den Berliner

Justizvollzug veran-

kert.

Erste Erfolge wurden

auf allen Ebenen

sicht- und erfahrbar.

…Wie?...

Ein Commitment in

Form eines Gesund-

heitspaktes wird fei-

erlich unterschrie-

ben

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Newsletter Nr. 31 Seite 9

GESUNDHEITSMANAGEMENT

Nach einer Phase der

Anschubfinanzierung

und einer anschlie-

ßenden Bilanzierung

steht die Phase vier

unter dem Motto: „just

do it by yourself“. Ein

zentraler Ansatzpunkt

zur Gestaltung gesun-

der Arbeitsbedingun-

gen ist hierbei die

Verbesserung der

Führungsfertigkeiten.

So wird aktuell ein

werteorientiertes Füh-

lanzierung half bei der

Umsetzung des Wan-

dels und einer Versteti-

gung des Prozesses.

Phase 4: Versteti-

gung

Schwerpunktsetzung

und Bündelung

Status: laufend

Mit Verstetigung ist ein

Prozess gemeint, der

zu einer dauerhaften

Existenz einer Sache

eines Prozesses führt.

serung der Arbeits-

situation erarbeitet

und umgesetzt.

Bedürfnis nach

„Ohren und Zeit

zum Zuhören“ wird

deutlich

Im Projektverlauf

hat sich gezeigt,

wie eng die Fakto-

ren Arbeitsbedin-

gungen/ Arbeitssitu-

ation, Kommunikati-

on, Sozialverhalten,

Führungsverhalten,

Eigenverantwortung

und persönliche Le-

bensumstände mit-

einander verwoben

sind. Unabhängig

davon, welches

Themenfeld aufge-

griffen wurde - das

Bedürfnis nach

„Ohren und Zeit

zum Zuhören“, ge-

achtet und beachtet

(Gesundheitszirkeln)

mit

Die Arbeitssituation

der Mitarbeitenden

wurde in sogenann-

ten Lösungszirkeln

(im Sinne eines Qua-

litätszirkels) anstalts-

bezogen analysiert.

Anschließend wur-

den konkrete Vor-

schläge und Maß-

nahmen zur Verbes-

zu werden - wurde

auf allen Ebenen

deutlich.

Phase 3: Orientie-

rung

Bilanzierung und Be-

kräftigung

Status: abgeschlos-

sen

Im Jahr 2017 wurde

der Gesundheitspakt

den Anstaltsleitungen,

rungskonzept für die

Führungskräfte des

Berliner Justizvollzugs

erarbeitet. Kernele-

ment dieses Prozes-

ses ist die Aufnahme

der Arbeit von drei

Arbeitsgruppen, die

sich aufeinander auf-

bauend und in zeitli-

cher Reihenfolge mit

den Themen Füh-

rungswerte und – kul-

tur, Führungskompe-

tenzen und Führungs-

„Unabhängig davon, welches

Themenfeld aufgegriffen

wurde - das Bedürfnis nach

‚Ohren und Zeit zum

Zuhören‘, geachtet und

beachtet zu werden - wurde

auf allen Ebenen deutlich.“

den Beschäftigtenver-

tretungen der Berliner

Justizvollzugsanstal-

ten, den Gesamtbe-

schäftigtenvertretung

en der Berliner Justiz

der Senatsverwaltung

für Justiz, Verbrau-

cherschutz und Anti-

diskriminierung be-

kräftigt.

Der Gesundheitspakt

2.0 stellte noch deutli-

cher heraus, dass das

Gesundheitsmanage-

ment der Berliner

Justizvollzugsanstal-

ten seinen Schwer-

punkt auf die Gestal-

tung gesundheitsför-

derlicher Arbeitsbe-

dingungen legt. Die

Formulierung eines

übergeordneten stra-

tegischen Zieles auf

Grundlage einer Bi-

S���n����p�����n�:

„D�� W�n��� �est�l���:

Org��isa�i���� s����r��

�n� ��las��� ��i����n�-

�i�����“ ��

23. �n� 24. M��� 2021

�� C����

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Newsletter Nr. 31 Seite 10

GESUNDHEITSMANAGEMENT

ger/-innen: Um eine

gesundheitsfördern-

de Kultur dauerhaft

etablieren zu kön-

nen, sollten Füh-

rungskräfte sich als

Gesundheitsmana-

ger/-innen verste-

hen. Kurzum: Sie

tun also das, was

sie immer tun, nur

mit der Gesund-

heitsbrille.

Continual Improve-

ment Process (CIP):

Top-down and Bot-

tom-up: Der Prozess

kann als ein Top-

down getragener und

von unten nach oben

initiierter Bottom- up-

Ansatz verstanden

werden. Empfehlens-

wert ist ein Zusam-

menführen dieser

zwei augenscheinlich

entgegengesetzten

Wirkrichtungen.

Führungskräfte sind

Gesundheitsmana-

von Langzeiterkran-

kungen. Mittels

«return to work-

Manager» wird die

Gesundheit der Mitar-

beitenden über das

gesamte Kontinuum

von Prävention, Früh-

erkennung bis hin zur

Reintegration aktuell

begleitet. Einerseits

werden erkrankte Mit-

arbeitende durch ei-

gens eingestelltes

Fachpersonal profes-

sionell bei der Wieder-

herstellung der Ar-

beitsfähigkeit unter-

stützt, andererseits ist

es Ziel, den BEM-

Prozess zeitgemäßer

und attraktiver zu ge-

stalten. In den Justiz-

vollzugsanstalten Mo-

abit und Heidering

wird aktuell der Ein-

satz von «return to

kräfteentwicklung be-

fassen. Ziel ist die Er-

arbeitung eines spezifi-

schen, werteorientier-

ten Führungskonzep-

tes, inklusive eines

Transferplanes zur

Führungskräfteaus-

wahl und Führungs-

kräftenachwuchsgewin

nung.

Ein weiteres Praxisbei-

spiel legt den Fokus

auf die Verhinderung

work-Managern» pilo-

tiert.

Phase 5: Identität

Selbstverständnis

(Daueraufgabe)

Status: laufend

Das Gesundheitsma-

nagement des Berliner

Justizvollzugs, das in

den vergangenen fünf

Jahren zunehmend

etabliert wurde, hat

Das Gesundheits-

management der

Berliner Justizvoll-

zugsanstalten zeich-

net sich als planvolle

Organisation ver-

schiedener Maßnah-

men zum Zwecke

der Erhaltung der

Gesundheit vor al-

lem durch seine

strukturierte Vorge-

hensweise aus.

Designing health-

promoting working

„Einerseits werden erkrankte

Mitarbeitende durch eigens

eingestelltes Fachpersonal

professionell bei der

Wiederherstellung der

Arbeitsfähigkeit unterstützt,

andererseits ist es Ziel, den

BEM-Prozess zeitgemäßer

und attraktiver zu gestalten.“

seine Identität und

sein Selbstverständ-

nis gefunden.

Erfolgseinschätzung

Zum Erfolg und damit

letztendlich zum Ge-

lingen des Verände-

rungsprozesses ha-

ben insbesondere fol-

gende Vorgehenswei-

sen geführt:

Commitment: Die

Verabschiedung ei-

nes Commitments in

Form eines Gesund-

heitspaktes hat zur

erfolgreichen Imple-

mentierung eines

Gesundheitsmana-

gements unter Betei-

ligung aller relevan-

ten Stakeholder ge-

führt.

„Um eine gesundheits-

fördernde Kultur dauerhaft

etablieren zu können, sollten

Führungskräfte sich als

Gesundheitsmanager/-innen

verstehen. Kurzum: Sie tun

also das, was sie immer tun,

nur mit der Gesundheits-

brille..“

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Newsletter Nr. 31 Seite 11

GESUNDHEITSMANAGEMENT

lohnt, in die Gesund-

heit der Mitarbeiten-

den zu investieren.

Gesundheitsmanage-

ment bleibt für den

Berliner Justizvollzug

eine Daueraufgabe.

conditions: Die Ge-

staltung gesundheits-

förderlicher Arbeits-

bedingungen steht im

Vordergrund. Der

Blick ist weniger auf

das gesundheitsge-

rechte Verhalten des

Einzelnen gerichtet.

Ausblick

Der Berliner Justizvoll-

zug ist auch nach fünf

Jahren davon über-

zeugt, dass es sich

Kontakt:

Kristin Herold

E-Mail

kris�n.herold

@senjustva.berlin.de

Telefon

+49 30 9013 3064

S���n����p�����n�:

B�n�e���i�e� F����:

Si�����ng����w����n�

�� 15. �n� 16. N����-

��� 2021 �� C����

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Newsletter Nr. 31 Seite 12

Essen muss der Mensch ...

- Verpflegung der Gefangenen - von Michael Schäfersküpper

14. Edition, Stand:

10.02.2020).

Mit großer Freude

"Eine instruktive allge-

meine Übersicht zum

Disziplinarrecht im

Vollzug gibt: Schäfers-

küpper, Justiznewsletter

des niedersächsi-

schen Justizvollzugs

Nr. 30/2019, 19.“1 Diese

freundlichen Worte

stammen aus einer ak-

tuellen Kommentierung

VOLLZUGSRECHT

Der Abdruck des nachfol-

genden Textes erfolgt mit

freundlicher Genehmi-

gung des Verlages C. H.

BECK oHG. Der Text ist

weitgehend ein Auszug

aus dem Beck'schen Onli-

ne-Kommentar Strafvoll-

zugsrecht (SCHÄFERS-

KÜPPER, Michael, Kom-

mentierung zu § 18

BremUVollzG Rn. 1, 4 bis

5a, 6a und 7 bis 7b,

§ 29 BremUVollzG

Rn. 1b.1 und 3 sowie

§ 31 BremUVollzG

Rn. 2.1 in: GRAF,

Jürgen-Peter (Hrsg,),

Beck'scher Online-

Kommentar Strafvoll-

zugsrecht Bremen,

13. Edition, Stand:

01.03.2020 und SCHÄ-

FERSKÜPPER, Micha-

el, Kommentierung zu

§ 90 SächsStVollzG

Rn. 96 in: GRAF,

Jürgen-Peter (Hrsg,),

Beck'scher Online-

Kommentar Strafvoll-

zugsrecht Sachsen,

rechtliche Reihe aus die-

sem Kommentar im

Newsletters der Füh-

rungsakademie: Den

Aufschlag machte die

Vorstellung des Online-

Kommentars.3 Es folgten

Auszüge zur Flucht- und

Missbrauchsgefahr4, zum

Vollzugsplan5, zu beson-

deren Sicherungsmaß-

nahmen6 und zu Diszipli-

narmaßnahmen.7 Frühe-

re Ausgaben des

tem von Speisevorschrif-

ten.

Vielleicht kann der nach-

folgende Auszug aus

dem Beck'schen Online-

Kommentar Strafvoll-

zugsrecht bei dem ein

oder anderen Verpfle-

gungsthema weiterhel-

fen. Der Kommentartext

wurde um mehrere

Passagen erweitert. Dar-

über hinaus gibt es

schon eine vollzugs-

Gesamtstimmung in der

Anstalt.

Neben der tatsächlichen

Seite besitzt die Verpfle-

gung der Gefangenen

auch eine rechtliche Sei-

te. Aktuelle Anfragen

aus der Praxis betreffen

z.B. Gefangene, die sich

vegan ernähren oder

dem orthodoxen Juden-

tum angehören. Die jüdi-

sche Orthodoxie besitzt

ein sehr komplexes Sys-

von Herr Dr. Jens

Peglau, Richter am Ober-

landesgericht Hamm. Die

angesprochene Ausgabe

des Newsletters können

Sie auf der Internetseite

der Führungsakademie

(dazu bitte hier klicken)

herunterladen.

Einleitung

„Seht! Essen muss der

Mensch, das weiß ein

jeder, …“2 Diese Worte

des Dramatikers Franz

Grillparzer gelten auch

für den Justizvollzug. Die

Verpflegung der Gefan-

genen gehört zu den ele-

mentaren Aufgaben einer

Vollzugsbehörde. Außer-

dem ist die Gefangenen-

verpflegung von beson-

derer Bedeutung für die

Michael Schäfersküpper,

Dozent im Fachbereich Strafvoll-

zug der Fachhochschule für

Rechtspflege Nordrhein-

Westfalen in Bad Münstereifel

Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen

in Bad Münstereifel

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Newsletter Nr. 31 Seite 13

Vollverpflegung

Die Anstaltsverpflegung

für die Gefangenen ist

eine Vollverpflegung

(vgl. LSG Bln-Bbg

BeckRS 2009, 72583;

OLG Zweibrücken

BeckRS 1992, 04929

Rn. 8; LG Gießen

BeckRS 2012, 25298;

Arloth/Krä StVollzG § 21

Rn. 1). Bei gesunden

Gefangenen dürfen kei-

ne Ergänzungen erfor-

derlich sein (vgl. BT-

Verschärfung des Straf-

übels eingesetzt werden.

Gesunde Ernährung

Die Anstaltsverpflegung

für die Gefangenen hat

den Anforderungen an

eine gesunde Ernährung

zu entsprechen (§ 18

Abs. 1 S. 1). In der Praxis

wird insoweit häufig auf

die Empfehlungen der

Deutschen Gesellschaft

für Ernährung e.V. (DGE)

zurückgegriffen.

„Die Anstaltsverpflegung für

die Gefangenen besitzt einen

Bezug zur körperlichen

Unversehrtheit . Sie darf über

den Charakter als

Anstaltsverpflegung hinaus

kein zusätzliches Strafübel

darstellen.“

nicht. Paragrafen ohne

Gesetzesangabe sind

solche des Bremischen

Untersuchungshaftvoll-

zugsgesetzes BremU-

VollzG).

Kein Sanktionscharak-

ter der Anstaltsver-

pflegung

Der Bundesgesetzgeber

hat sich gegen Körper-

strafen im Justizvollzug

entschieden (vgl. BT-

Drs. 7/3998, 36; s. auch

BT-Drs. 7/918, 81 f.;

OLG Celle NJW 1969,

673). Körperstrafen rich-

ten sich gegen die kör-

perliche Unversehrtheit

(Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG;

zB Prügelstrafe).

Die Anstaltsverpflegung

für die Gefangenen be-

sitzt einen Bezug zur

körperlichen Unversehrt-

heit (Art. 2 Abs. 2 S. 1

GG). Sie darf über den

Charakter als Anstalts-

verpflegung hinaus kein

Newsletters können auf

der Internetseite der Füh-

rungsakademie herunter-

geladen werden (dazu

bitte hier klicken).

Der nachfolgende Aus-

zug ist so gewählt, dass

die Ausführungen grund-

sätzlich für alle Bundes-

länder Bedeutung haben.

Im Original kann ein

Großteil der Belegstellen

einfach angeklickt

werden. Diese Möglich-

keit besteht hier leider

die „Hausstrafe“ (heute:

Disziplinarmaßnahme)

des verschärften Arrests

(vgl. BVerfG NJW 1974,

1079; OLG Celle NJW

1969, 673). Zu den Be-

schränkungen des ein-

fachen Arrests trat ua

die schmale Kost hinzu.

Der Bundesgesetzgeber

hat den verschärften

Arrest nicht in das

StVollzG übernommen.

Er hielt ua die Kost-

schmälerung für ein Re-

likt aus der Zeit der Kör-

perstrafen (vgl. BT-Drs.

7/3998, 36; s. auch BT-

Drs. 7/918, 81 f.; aA

OLG Celle NJW 1969,

673). Die Anstaltsver-

pflegung darf auch nach

den Vollzugsgesetzen

der Bundesländer weder

disziplinarisch noch zur

zusätzliches Strafübel

darstellen (vgl. OLG

Zweibrücken BeckRS

1992, 04929 Rn. 8). Un-

zulässig sind also zB ei-

ne Mangelernährung so-

wie die Verwendung von

verdorbenen und verun-

reinigten Lebensmitteln.

Das Strafvollzugsgesetz

des Bundes (StVollzG)

trat am 01.01.1977 in

Kraft (§ 198 Abs. 1

StVollzG). Vor dem In-

krafttreten gab es noch

VOLLZUGSRECHT

Drs. 7/918, 56). Bei

kranken Gefangenen

kann eine Zusatzver-

pflegung oder eine an-

dere Verpflegung not-

wendig sein (vgl. für

eine Krebserkrankung

LG Kassel BeckRS

2013, 11602).

Trinkwasser

Die Vollverpflegung um-

fasst auch einwandfrei-

es Trinkwasser (vgl.

OLG Zweibrücken

„Bei gesunden Gefangenen

dürfen keine Ergänzungen

erforderlich sein “

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Newsletter Nr. 31 Seite 14

Die Anstaltsgebäude

und insbesondere die

Hafträume können sich

in Hitzeperioden stark

aufheizen (vgl. BVerfG

BeckRS 2017, 123049

Rn. 25 ff.; OLG Stuttgart

BeckRS 2015, 13084

Rn. 25 f.). Die Gefange-

nen haben im Gegen-

satz zu freien Personen

kaum Ausweichmöglich-

keiten. Zudem neigen

Menschen dazu, gerade

bei großer Hitze zu we-

nig zu trinken. Das

Durstgefühl ist insoweit

steht zB kein Anspruch

auf die Aushändigung

von Mineralwasser.

Bei großer Hitze geben

die Vollzugsbehörden

gelegentlich Trinkwasser

in Flaschen aus, obwohl

die Gefangenen einen

angemessenen Zugang

zu einwandfreiem Lei-

tungswasser haben. Es

geht dann nicht darum,

eine angemessene

Grundversorgung mit

Trinkwasser sicherzustel-

len.

BeckRS 1992, 04929 Rn.

8; Arloth JuS 2003, 1041

(1045)). Der Flüssigkeits-

bedarf der Gefangenen

kann zB durch die Aus-

gabe von Tee, Kaffee

und flüssigen Speisen

(zB Suppen) ganz oder

teilweise gedeckt werden

(vgl. OLG Zweibrücken

BeckRS 1992, 04929 Rn.

9). Außerdem genügt

grds. ein angemessener

Zugang zu Leitungswas-

ser. Dieses ist Trinkwas-

ser iSd Trinkwasserver-

ordnung (§ 38 Abs. 1 des

Infektionsschutzgesetzes

kauftes Wasser in Fla-

schen). Das gilt auch,

soweit zB die Stadtwerke

dafür verantwortlich sind,

die Störung zu beseitigen

(vgl. OLG Zweibrücken

BeckRS 1992, 04929

Rn. 8). Wie die Vollzugs-

behörde in solchen Situa-

tionen ihrer Sicherstel-

lungspflicht nachkommt,

liegt in ihrem pflichtgemä-

ßen Ermessen. Es be-

VOLLZUGSRECHT

- IfSG, § 3 Nr. 1 der

Trinkwasserverordnung

- TrinkwV).

Trinkwasser muss so

beschaffen sein, dass

durch seinen Genuss

eine Schädigung der

menschlichen Gesund-

heit nicht zu besorgen

ist (§ 37 Abs. 1 IfSG, § 4

Abs. 1 S. 1 TrinkwV). Es

muss rein und genuss-

tauglich sein (§ 4 Abs. 1

S. 2 TrinkwV). Daher

genügt es nicht, wenn

das Leitungswasser ei-

ner Anstalt verschmutzt,

aber nicht gesundheits-

schädlich ist (vgl. OLG

Zweibrücken BeckRS

1992, 04929 Rn. 8).

Das Leitungswasser

kann ausnahmsweise

den Anforderungen an

Trinkwasser nicht genü-

gen. Das ist zB bei einer

aktuellen Verunreinigung

mit Bakterien der Fall.

Die Vollzugsbehörde hat

dann eine angemessene

Versorgung mit Trink-

wasser auf andere Wei-

se sicherzustellen (zB

Abkochen oder einge-

„Trinkwasser muss so

beschaffen sein, dass durch

seinen Genuss eine

Schädigung der

menschlichen Gesundheit

nicht zu besorgen ist . Es

muss rein und

genusstauglich sein.“

oft trügerisch. Ein Flüs-

sigkeitsmangel kann in

Hitzeperioden zu schwe-

ren gesundheitlichen

Folgen führen. Daher

bilden die Flaschen mit

Wasser einen zusätzli-

chen Anreiz, ausrei-

chend zu trinken.

In einem gerichtlichen

Rechtsbehelfsverfahren

reicht es nicht aus vorzu-

tragen, man wisse nicht,

ob das Leitungswasser

in der Anstalt Trinkwas-

serqualität habe (vgl. KG

S���n����p�����n�:

„A��e� wa� Re�h� is� -

V����ug��e�h� ���

F����ng��r���“ ��

2. �n� 3. N�������

2021 �� H�����

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Newsletter Nr. 31 Seite 15

aus Schweinefleisch)

gegen andere Lebens-

mittel (zB Produkte aus

Rind- oder Geflügel-

fleisch) ausgetauscht

werden (zB

Nr. 1 Abs. 3 VV zu § 21

StVollzG; Austauschlö-

sung).

Religiöse Speisevor-

schriften können sich

auf den Zeitpunkt des

Essens oder Trinkens

beziehen. Auch insoweit

hat die Vollzugsbehörde

Spargel wächst.“

Anstaltsverpflegung

und religiöse Speise-

vorschriften

Wegen des Grundrechts

der Religionsfreiheit ist

es zu ermöglichen, religi-

öse Speisevorschriften

zu befolgen (Art. 4 Abs. 1

f. GG, § 18 Abs. 1 S. 3).

Dies geschieht grds.

dadurch, dass bestimmte

Bestandteile der Anstalts-

verpflegung (zB Produkte

„Für den Ramadan kann die

Vollzugsbehörde zB Tisch-

Kochplatten im Haftraum

zulassen. Muslimische

Gefangen können sich dann

ausgegebene Mahlzeiten

nach Sonnenuntergang

erwärmen .“

kurzfristig abnehmen,

zubereiten und ausge-

ben.

Der Küchenleiter der

Anstalt bekam ein Ange-

bot, das er nicht ableh-

nen konnte. Der Spargel

kostete weniger als je-

des andere Gemüse.

Der brave Bedienstete

handelte nach bestem

Wissen und Gewissen.

Er beachtete den Haus-

haltsgrundsatz der Wirt-

schaftlichkeit und Spar-

samkeit (§ 7 LHO). Was

lernen wir daraus? Lie-

ber teurer Brokkoli als

günstiger Spargel. Oder

sagen wir es mit den

Comedian Harmonists:

„Die ganze Welt ist wie

verhext, Veronika, der

Rede. Es rauschte im

Blätterwald.

Wie konnte es zu dem

„Spargelgate“ kommen?

In der Spargelsaison gibt

es manchmal kurzzeitig

eine Spargelschwemme.

Damit die Preise nicht

einbrechen, versuchen

die Beteiligten, den Markt

nicht zu überfluten. Fri-

scher Spargel ist aber

nur begrenzt haltbar. Jus-

tizvollzugsanstalten kön-

nen große Warenmengen

VOLLZUGSRECHT

eine Befolgung zu er-

möglichen (vgl. OLG

Koblenz ZfStrVo 1995,

111 für das Essen nach

Sonnenuntergang im

muslimischen Fasten-

monat Ramadan; s.

auch BVerfG BeckRS

2015, 52412). Für den

Ramadan kann die Voll-

zugsbehörde zB Tisch-

Kochplatten im Haft-

raum zulassen. Muslimi-

sche Gefangen können

sich dann ausgegebene

Mahlzeiten nach Son-

Trinkwasser zufrieden

geben (vgl. OLG Zwei-

brücken BeckRS 1992,

04929 Rn. 9).

[…]

Eigentum an der An-

staltsverpflegung

Die Verpflegung bleibt

bis zum bestimmungs-

gemäßen Verbrauch

Eigentum der Anstalt.

Es besteht kein Recht

auf Herausgabe an An-

gehörige (vgl. KG NStZ

1989, 550 für das Horten

von 82 Konfitüreglä-

sern).

Praxiseinschub: Spar-

gelanekdote

In einer Anstalt gab es

einmal Spargel als An-

staltsverpflegung. Dieser

lukullische Luxus blieb

nicht verborgen. Mehre-

re Zeitungen stürzten

sich auf den „Skandal“.

Von „Luxusknast“ und

„Hotelvollzug“ war die

BeckRS 2019, 14503

Rn. 36). Die Gefangenen

besitzen grds. auch kei-

nen Anspruch auf eine

schriftliche Zusicherung,

die Vollzugsbehörde wer-

de die gesetzlichen

Rechte der Gefangenen

einhalten. Ausnahmswei-

se kann ein solcher An-

spruch zB entstehen,

soweit die Vollzugsbehör-

de nachvollziehbar den

Eindruck erweckt hat, die

Gefangenen müssten

sich mit verschmutztem

„Die Verpflegung bleibt bis

zum bestimmungsgemäßen

Verbrauch Eigentum der

Anstalt. Es besteht kein

Recht auf Herausgabe an

Angehörige.“

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Newsletter Nr. 31 Seite 16

für geschächtetes

Fleisch). Auch muss die

Behörde entsprechende

Speisen nicht selbst

besorgen. Sie hat aber

den Gefangenen zu ge-

statten, sich derartige

Speisen auf eigenen

Kosten selbst zu be-

schaffen (vgl. BT-Drs.

7/3998, 13; KG BeckRS

2012, 02297 für Halal-

Produkte; OLG Hamm

NStZ 1984, 190 (191)

für die Richtlinien der

Makrobiotik des Geor-

ges Ohsawa im Zen-

burg BeckRS 2017,

119265).

Selbstverpflegung und

religiöse Speisevor-

schriften

Die Vollzugsbehörde ist

nicht verpflichtet, bei

der Anstaltsverpflegung

sämtliche Speisevor-

schriften aller Religions-

gemeinschaften sowie

deren orthodoxen und

liberalen Glaubensrich-

tungen zu erfüllen (vgl.

KG BeckRS 2013, 00230

[…]

Zugehörigkeit zu

einer Religionsge-

meinschaft

Die Religionsfreiheit

schützt auch vereinzelt

auftretende Glaubens-

überzeugungen, die von

den Lehren der großen

Religionsgemeinschaf-

ten abweichen (Art. 4

Abs. 1 f. GG; vgl.

BVerfG NJW 1972,

1183 f.). Es reicht daher

aus, wenn die Gefange-

nen die Ernsthaftigkeit

ihrer Glaubensüberzeu-

gung plausibel darlegen.

Die Vollzugsbehörde

darf die Anerkennung

einer Religionszugehö-

rigkeit nicht davon ab-

hängig machen, dass

bestimmte Religionsbe-

auftragte eine Bescheini-

gung ausstellen (vgl.

OLG Koblenz NStZ

1994, 207 (208)).

Die "Kirche des fliegen-

den Spaghettimonsters

nenuntergang erwärmen

(weitere Lösungen bei

OLG Koblenz ZfStrVo

1995, 111 f.).

Gehören Gefangene dem

römisch-katholischen Be-

kenntnis an, unterliegen

sie keinen religiösen

Speisevorschriften iSd

§ 18 Abs. 1 S. 3. Es be-

steht kein Rechtsan-

spruch auf die Teilnahme

an Kostformen für andere

Religionsgemeinschaften

(vgl. OLG München

BeckRS 2016, 14748).

Deutschland e.V." ist kei-

ne Religionsgemein-

schaft. Als Religionssati-

re fehlt es an der Ernst-

haftigkeit des Bezugs auf

eine transzendente Wirk-

lichkeit. Der Verein ist

auch keine Weltanschau-

ungsgemeinschaft: Das

Gedankensystem weist

keine mit Religionen ver-

gleichbare Breite und

Geschlossenheit auf (vgl.

BVerfG BeckRS 2018,

33460; OLG Branden-

VOLLZUGSRECHT

Buddhismus; LG Gie-

ßen NStZ 2013, 368).

Die Vollzugsbehörde

kann den Beschaffungs-

weg der Speisen regeln.

Dabei darf sie den Miss-

brauchsmöglichkeiten

gerade bei Lebensmit-

teln Rechnung tragen.

Bei muslimischen Ge-

fangenen ist es aber

ermessensfehlerhaft,

den Beschaffungsweg

auf ein einziges Unter-

nehmen zu beschrän-

ken, das keine Halal-

„Die Vollzugsbehörde darf

die Anerkennung einer

Religionszugehörigkeit nicht

davon abhängig machen,

dass bestimmte

Religionsbeauftragte eine

Bescheinigung ausstellen.“

„Die Vollzugsbehörde ist

nicht verpflichtet, bei

der Anstaltsverpflegung

sämtliche Speisevorschriften

aller Religionsgemein-

schaften sowie deren

orthodoxen und liberalen

Glaubensrichtungen zu

erfüllen.“

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Newsletter Nr. 31 Seite 17

Abs. 1 S. 4 StVollzG

NRW; s. auch FG RhPf

BeckRS 1980, 03747;

OLG Hamm BeckRS

2002, 30298450 zu ei-

ner spanischen Haftan-

stalt).

[…]

Im Gegensatz zu Ovo-

Lacto-Vegetariern essen

Veganer keine tieri-

schen Produkte. Vega-

ner besitzen keine wei-

tergehenden Rechte als

Angehörige von Religi-

onsgemeinschaften. Es

Honig). Eine solche Kost-

form kann zB in Anstalts-

verfügungen oder Ver-

waltungsvorschriften ge-

regelt sein (s. zu einer

Wahlmöglichkeit LG

Augsburg BeckRS 2013,

196939 Rn. 9). In be-

stimmten Bundesländern

gibt es auch gesetzliche

Regelungen zur fleischlo-

sen Ernährung, die den-

jenigen zu religiösen

Speisevorschriften ent-

sprechen (§ 58 S. 3

StVollzG Bln, § 63 Abs. 1

S. 3 BbgJVollzG; § 16

Um die Befolgung religi-

öser Speisevorschriften

zu ermöglichen, kann im

Rahmen des gerichtli-

chen Eilrechtsschutzes

eine einstweilige Anord-

nung … unter Vorweg-

nahme der Hauptsache

in Betracht kommen

(vgl. BVerfG BeckRS

2015, 52412 für eine

Drogensubstitution vor

Sonnenaufgang im mus-

limischen Fastenmonat

Ramadan).

Praxiseinschub: Wech-

sel Küchenleiter

Es ist eine Binsenweis-

heit: Die Verpflegung der

Gefangenen beeinflusst

die Gesamtstimmung in

der Anstalt. Doch der

Charakter als Binse

macht die Weisheit nicht

Produkte führt (vgl. KG

BeckRS 2012, 02297; s.

auch zu widersprüchli-

chen Entscheidungen

BVerfG NStZ-RR 1997,

59 f. für Pakete Dritter mit

Kleidung; OLG Zweibrü-

cken NStZ 1986, 477

(478) für die Genehmi-

gung einer Tasse ohne

zumutbaren Bezugsweg).

[…]

Eilrechtsschutz und

religiöse Speisevor-

schriften

weniger wichtig. Der Au-

tor dieser Zeilen hat es in

der Praxis selbst erlebt

und möchte es der Nach-

welt überliefern:

Nach längeren Querelen

bestimmte die Anstaltslei-

tung einen neuen Be-

diensteten zum Küchen-

leiter. Der Wechsel ge-

schah von einem Tag auf

den anderen. In der An-

staltsküche arbeiteten

weiterhin dieselben Ge-

fangenen mit denselben

VOLLZUGSRECHT

ist daher jedenfalls aus-

reichend, wenn Veganer

entsprechende Produkte

auf eigenen Kosten be-

ziehen können (vgl.

OLG Stuttgart BeckRS

2015, 16219; für Vege-

tarier OLG Hamm MDR

1984, 427; … ähnlich für

veganes Schulessen

BVerfG BeckRS 2018,

42680; OVG Bln-Bbg

NVwZ 2016, 1428; VG

Berlin BeckRS 2016,

46113).

Sofern eine angemesse-

ne Bezugsmöglichkeit

„Es ist eine Binsenweisheit:

Die Verpflegung der

Gefangenen beeinflusst die

Gesamtstimmung in der

Anstalt.“

Produkten und densel-

ben Geräten. Schlagar-

tig verbesserte sich aber

die Qualität der Gefan-

genenverpflegung.

Ebenso schlagartig ver-

besserte sich die Ge-

samtstimmung in der

Anstalt. Manche Proble-

me hatten plötzlich nicht

mehr dieselbe Bedeu-

tung. Besonders bemer-

kenswert war, dass im-

mer mehr Bedienstete

an der Gefangenenver-

pflegung teilnahmen.

Vegetarismus und Ve-

ganismus

In der Praxis umfasst die

Anstaltsverpflegung häu-

fig neben der

„Normalkost“ und der

„Glaubenskost“ auch

eine fleischlose Kost-

form. Diese richtet

sich an Ovo-Lacto-

Vegetarier, die Produkte

von lebenden Tieren

essen (zB Eier, Milch,

„Veganer besitzen keine

weitergehenden Rechte als

Angehörige von

Religionsgemeinschaften. Es

ist daher jedenfalls

ausreichend, wenn Veganer

entsprechende Produkte auf

eigenen Kosten beziehen

können.“

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Newsletter Nr. 31 Seite 18

sche Existenz zu erhal-

ten. In diesem Sinne

formuliert der Dramati-

ker Bertold Brecht poin-

tiert: „Erst kommt das

Fressen, dann kommt

die Moral.“9 Darüber

hinaus spielen Ge-

schmack und Gesund-

heit eine Rolle. Schließ-

lich kann die Ernährung

ein Teil der persönlichen

Vorstellungen vom

menschlichen Leben

sein. Das geht bis hin

zum religiösen oder

weltanschaulichen Be-

Der Justizvollzug ist eine

„totale Institution“.8 Er

umfasst also alle Lebens-

bereiche der Gefangenen

einschließlich der Ernäh-

rung. Wie die bisherigen

Ausführungen gezeigt

haben, setzt der Rechts-

staat der „totale Instituti-

on“ Grenzen. Das Recht

soll sicherstellen, dass

der Vollzug die verschie-

denen Dimensionen der

menschlichen Ernährung

angemessen beachtet.

Die Ernährung dient zu-

nächst dazu, die physi-

Kosten über den An-

staltseinkauf).

Eine Gleichstellung des

Veganismus mit den

Speisevorschriften der

Religionsgemeinschaf-

ten wäre jedenfalls dann

rechtlich geboten, wenn

es sich um ein weltan-

schauliches Bekenntnis

iSd Art. 4 Abs. 1 GG,

§ 31 handelte (s. zur

Anerkennung des Vega-

nismus als philosophi-

sche Weltanschauung

durch ein britisches Ge-

richt becklink 2015141).

Der Veganismus kann

über eine bloße Ernäh-

rungslehre hinausgehen.

Insoweit spielen zB Ge-

danken aus dem Bereich

der Tierethik eine Rolle.

Es erscheint aber zwei-

felhaft, ob jedenfalls idR

das Gedankensystem in

Breite und Geschlossen-

heit den bekannten Reli-

gionen vergleichbar ist.

Diese Vergleichbarkeit

gehört aber zu den not-

wendigen Voraussetzun-

für vegane Produkte be-

steht, kann dahinstehen,

ob eine Gleichstellung

des Veganismus mit den

Speisevorschriften der

Religionsgemeinschaften

(§ 18 Abs. 1 S. 3) recht-

lich geboten ist. Veganer

haben daher keinen An-

spruch darauf, im Rah-

men der Anstaltsverpfle-

gung Sojamilch anstelle

von Kuhmilch zu erhalten

(vgl. LG Stendal BeckRS

2015, 05403 mit Bezugs-

möglichkeit auf eigene

gen, um ein Gedanken-

system als weltanschauli-

ches Bekenntnis iSd Art.

4 Abs. 1 GG, § 31 einzu-

ordnen [vgl. BVerfG

BeckRS 2018, 33460;

OLG Brandenburg

BeckRS 2017, 119265;

OLG Bamberg ZfStrVo

2002, 371] …

[…]

VOLLZUGSRECHT

kenntnis (Art. 4 Abs. 1 f.

GG).

Es gibt viele geflügelte

Worte, die sich mit der

umfassenden Bedeu-

tung der Ernährung für

die menschliche Exis-

tenz befassen. Beson-

ders prägnant ist das

Wortspiel des Philoso-

phen Ludwig Feuer-

bach, das nun den

Schluss bilden soll: „Der

Mensch ist, was er

isst.“10

„Eine Gleichstellung des

Veganismus mit den

Speisevorschriften der

Religionsgemeinschaften

wäre jedenfalls dann

rechtlich geboten, wenn es

sich um ein

weltanschauliches

Bekenntnis handelte.“

Schlusswort

S���n����p�����n�:

„B���� ����—I�� A�����!“

�� 17. �n� 18. M���

2021 �� C����

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Newsletter Nr. 31 Seite 19

"Wovon lebt der

Mensch?" (= 2. Dreigro-

schen-Finale), Wien

Leipzig 1928.

10 FEUERBACH, Ludwig

Andreas, Die Naturwis-

senschaft und die Revo-

lution, Blätter für literari-

sche Unterhaltung 1850,

1082.

rungsakademie im Bil-

dungsinstitut des nieder-

sächsischen Justizvollzu-

ges, Jahrgang 16, Aus-

gabe 30, November

2019, 19 bis 25.

8 Vgl. GOFFMAN, Erving,

Asyle. Über die soziale

Situation psychiatrischer

Patienten und anderer

Insassen, Berlin 1973,

15 f.

9 BRECHT, Bertold, Die

Dreigroschenoper, Balla-

de über die Frage

Fußnoten

1 PEGLAU, Jens, Kom-

mentierung zu § 80

SVVollzG NRW Rn. 1

in: GRAF, Jürgen-Peter

(Hrsg,), Beck'scher Onli-

ne-Kommentar Strafvoll-

zugsrecht Nordrhein-

Westfalen, 13. Edition,

Stand: 10.07.2020.

2 GRILLPARZER, Franz,

Wehe dem, der lügt!

Lustspiel in fünf Aufzü-

gen, Werke in sechs

Bänden, BACHMAIER,

Helmut (Hrsg.), Band 3:

Dramen 1828 bis 1851,

Frankfurt am Main 1987,

195 ff.

3 GRAF, Jürgen-Peter,

SCHÄFERSKÜPPER,

Michael, Ein Gesamt-

kommentar des Justiz-

vollzugsrechts. Das alles

und noch viel mehr … in:

Newsletter der Füh-

rungsakademie im Bil-

dungsinstitut des nieder-

sächsischen Justizvoll-

Postskriptum: Trivia

Die Band „Rammstein“

greift das angesprochene

Zitat des Philosophen

Feuerbach in dem Titel

„Mein Teil“ aus dem Al-

bum „Reise, Reise“ auf.

Rammstein verwendet

das Zitat allerdings in

einem sehr makabren

Sinne. Wer recherchieren

möchte, der möge re-

cherchieren.

VOLLZUGSRECHT

5 SCHÄFERSKÜPPER,

Michael, Der Vollzugs-

plan und sein rechtlicher

Rahmen, in: Justiz-

newsletter der Füh-

rungsakademie im Bil-

dungsinstitut des nieder-

sächsischen Justizvoll-

zuges, Jahrgang 14,

Ausgabe 26, April 2017,

16 bis 23.

6 SCHÄFERSKÜPPER,

Michael, Auf Nummer

sicher: besondere Si-

zuges, Jahrgang 12, Aus-

gabe 22, Mai 2015, 2 bis

5.

4 SCHÄFERSKÜPPER,

Michael, Flucht- und

Missbrauchsgefahr. Wo-

her soll ich das wissen?

in: Newsletter der Füh-

rungsakademie im Bil-

dungsinstitut des nieder-

sächsischen Justizvollzu-

ges, Jahrgang 13, Aus-

gabe 24, Mai 2016,

15 bis 21.

cherungsmaßnahmen,

in: Justiznewsletter der

Führungsakademie im

Bildungsinstitut des nie-

dersächsischen Justiz-

vollzuges, Jahrgang 15,

Ausgabe 28, Oktober

2018, 27 bis 33.

7 SCHÄFERSKÜPPER,

Michael, Gefangene und

Disziplinarmaßnahmen.

Strafähnliche Sanktio-

nen im Vollzug, in: Jus-

tiznewsletter der Füh-

Kontakt:

Michael Schäfersküpper

Telefon

(0 22 53) 3 18 - 2 19

E-Mail

michael.schaeferskuepper

@fhr.nrw.de

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Newsletter Nr. 31 Seite 20

zugsakten analysiert,

Steuerinformationen der

beteiligten Personen

erhoben und betroffene

Personen im Vollzug

sowie die größten Buß-

stellen beim Kanton und

den Städten befragt.

Ziel der Erhebung war,

Unterschiede zwischen

denjenigen Personen,

deren Strafe mit einem

Vollzug abgeschlossen

wurde, mit denjenigen,

Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe im Kanton Zürichvon Martin Killias und Lorenz Biberstein

ERSATZFREIHEITSSTRAFE IN ZÜRICH

Werden in der

Schweiz Bußen und

Geldstrafen nicht be-

zahlt, werden diese zu

einer Ersatzfreiheitsstra-

fe umgewandelt und die

Strafe wird im Gefängnis

vollzogen. Die finanziel-

len Strafen werden da-

bei zu einer Gefängnis-

strafe von entsprechen-

der Länge umgewandelt.

Die Autoren führten im

Kanton Zürich vom Som-

mer 2017 bis Herbst

2018 im Auftrag der zu-

ständigen kantonalen

Stelle (Justizvollzug

und Wiedereingliederung;

JuWe) eine breit angeleg-

te Studie zum Profil der

verurteilten Personen,

den Tatumständen und

den Hintergründen der

Strafumwandlung durch

(Biberstein & Killias,

2019). Dazu wurden Voll-

zeitig mehrere offene fi-

nanzielle Sanktionen

(Geldstrafen für Vergehen

oder Bußen für Übertre-

tungen) haben. Interes-

sant war, dass finanzielle

Sanktionen, die vollstän-

dig im Gefängnis verbüßt

wurden, häufiger aus

mehreren Strafen zusam-

mengesetzt waren als

diejenigen, die noch be-

zahlt werden konnten.

Dies lag offensichtlich

auch daran, dass beim

Zusammentreffen mehre-

ohne Wohnsitz in der

Schweiz ist die Eintrei-

bung schwierig). Nur ca.

5 % der Geschäfte wur-

den tatsächlich im Ge-

fängnis vollzogen, weite-

re ca. 2 % wurden teil-

weise bezahlt (der be-

zahlte Teilbetrag wird

umgerechnet in Hafttage

und entsprechend abge-

zogen).

Aus den Akten zeigte

sich, dass die Betroffe-

nen relativ häufig gleich-

und sog. Bußen – also

fixen Beträgen in der

Regel für Übertretungen

– gar nie bezahlt wür-

den. Weitere 35 bis

40 % der Geschäfte ver-

jährten, bevor die Strafe

vollzogen werden konn-

te, was daran liegt, dass

bei Bußen als Sanktio-

nen für Übertretungen

die Verjährungsfrist nur

drei Jahre beträgt (vor

allem bei Verurteilten

die ihre Strafe doch noch

bezahlen konnten, zu

finden.

Bereits aus den eigenen

Statistiken von JuWe war

bekannt, dass über 50 %

der Geschäfte, für die

JuWe mit dem Vollzug

beauftragt wird, mit einer

Bezahlung abgeschlos-

sen werden können. In

vielen Fällen wirkt also

die Drohung der Strafum-

wandlung, so dass die

ausstehenden Beträge

doch noch bezahlt wer-

den – nicht selten aller-

dings nicht von der verur-

teilten Person selber,

sondern von Verwand-

ten, Bekannten, dem Ar-

beitgeber u.a. Wenn also

häufig der „Sinn“ der Er-

satzfreiheitsstrafe ange-

zweifelt wird, gilt es zu

bedenken, dass ohne

diese Sanktion ein gro-

ßer Teil von Geldstrafen

Prof. Dr. iur. Dr. h. c. Martin

Killias (links) und Lorenz

Biberstein (rechts)

Killias Research & Consulting

(KRC) in Lenzburg (Schweiz)

Das Gefängnis Zürich ist das größte Untersuchungsgefängnis

im Kanton Zürich

rer Sanktionen die Beträ-

ge in der Regel höher

lagen.

Passend dazu betrafen

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Newsletter Nr. 31 Seite 21

weniger auf ein soziales

Netzwerk zählen. Zwei

von drei waren bereits

früher im Gefängnis,

was ebenfalls auf eine

hohe Randständigkeit

dieser Gruppe hindeu-

tet. Schließlich ist das

Schwarzfahren eben-

falls ein Delikt, das vor-

wiegend von Personen

ganz am Rande der Ge-

sellschaft verübt wird.

Aus der Befragung der

Verurteilten im Vollzug

Beleg dafür, dass die zur

Verfügung stehenden

finanziellen Mittel eine

maßgebliche Rolle spie-

len, wenn eine verurteilte

Person für die ausste-

hende finanzielle Strafe

im Gefängnis landet oder

nicht. Die Betroffenen

vollzogener Ersatzfrei-

heitsstrafen waren aber

auch in anderer Hinsicht

randständiger: sie verfüg-

ten über deutlich weniger

soziale Kontakte und

konnten in einer Notlage

„50 % der Geschäfte wiesen

eine Ersatzfreiheitsstrafe von

maximal 15 Tagen auf, wobei

eine Strafe von einem Tag am

häufigsten vorkam. Wir

konnten also eine relativ

große Streuung bei der Länge

der Ersatzfreiheitsstrafen

beobachten: Von über zwei

Jahren (sehr selten) bis unter

zwei Wochen (häufiger).“

freiheitsstrafen aber die

Mehrheit aus: 50 % der

Geschäfte wiesen eine

Ersatzfreiheitsstrafe von

maximal 15 Tagen auf,

wobei eine Strafe von

einem Tag am häufigs-

ten vorkam. Wir konnten

also eine relativ große

Streuung bei der Länge

der Ersatzfreiheitsstra-

fen beobachten: Von

über zwei Jahren (sehr

selten) bis unter zwei

Wochen (häufiger).

Auch bei der Höhe der

ausstehenden Bußen

(diese waren markant

häufiger vertreten als

Geldstrafen bei den ana-

lysierten Geschäften)

zeigte sich eine große

Bandbreite: Während die

tiefste Buße lediglich 19

Franken betrug, lag die

höchste bei 5000 Fran-

ken. Jedoch lagen 75 %

der untersuchten Bußen

bei 350 Franken oder

weniger, 25 % sogar bei

maximal 100 Franken.

die im Gefängnis vollzo-

genen Sanktionen im

Durchschnitt längere

Ersatzfreiheitsstrafen

(durchschnittlich 30 ge-

genüber acht Tagen).

Über alle analysierten

Geschäfte zusammen

machten kürzere Ersatz-

handelte. Der Zusam-

menhang dürfte hier in

den zur Verfügung ste-

henden finanziellen Mit-

teln liegen: Wer sich ein

Auto leisten kann, hat

auch eher die Möglich-

keit, eine Buße zu be-

zahlen. Dies bestätigte

eine Analyse der Steu-

erdaten: Personen, die

im Straßenverkehr ge-

gen ein Gesetz versto-

ßen haben, wiesen ein

höheres durchschnittli-

ches Einkommen auf als

Geschäfte, die noch be-

zahlt wurden, wiesen

zudem eine tiefere durch-

schnittliche Bußenhöhe

auf als solche, die im

Gefängnis vollzogen wur-

den.

Die Analyse der verübten

Delikte zeigte, dass bei

den Personen im Vollzug

Schwarzfahren ein häufi-

ges Delikt war, während

es sich bei den bezahlten

Geschäften häufiger um

Straßenverkehrsdelikte

ERSATZFREIHEITSSTRAFE IN ZÜRICH

ergab sich, dass 80 %

im Gefängnis waren,

weil sie ihre Strafe nicht

bezahlen konnten. Le-

diglich je 10 % gaben

an, die Strafe nicht be-

zahlen zu wollen oder

dass es für sie einfacher

gewesen sei, die Strafe

im Gefängnis zu verbü-

Schwarzfahrer.

Die Analyse der Steuer-

daten förderte ebenfalls

markante Unterschiede

zwischen den im Ge-

fängnis vollzogenen und

den bezahlten Geschäf-

ten zutage: Das durch-

schnittliche Vermögen

der Personen im Vollzug

lag rund zehn bis 20 Mal

tiefer als jenes der Per-

sonen, die ihre Strafe

bezahlen konnten. Dies

sahen wir als weiteren

„Die Analyse der verübten

Delikte zeigte, dass bei den

Personen im Vollzug

Schwarzfahren ein häufiges

Delikt war, während es sich

bei den bezahlten Geschäften

häufiger um Straßenverkehrs-

delikte handelte.“

S���n����p�����n�:

„Knas�k����k�� ��rs��-

���, �k��� �l���� o���

�l���� las���...“ ��

24. �n� 25. N�������

2021 �� W�l��������

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Newsletter Nr. 31 Seite 22

Literatur:

Biberstein, Lorenz & Mar-

tin Killias. 2019. Ersatz-

freiheitsstrafen im Kanton

Zürich. Schlussbericht für

das Amt für Justizvollzug

(JuV) des Kantons Zü-

rich. Lenzburg: Killias

Research & Consulting.

Killias, Martin & Lorenz

Biberstein (in press): Day

Fines in Switzerland. In

Elena Kantorowicz-

Reznichenko & Michael

Faure (Eds.). Day Fines

in Europe: Assessing

Income-Based Sanctions

in Criminal Justice Sys-

tems, Cambridge Univer-

sity Press

weisungen in eine Straf-

anstalt auf Personen,

die an sich zu einer

Geldstrafe oder Buße

verurteilt wurden, aber

diese nun in Form von

Freiheitsentzug verbü-

ßen. Gemessen an der

Gesamtzahl aller Verur-

teilten zu finanziellen

Sanktionen sind das

zwar nur wenige Pro-

zente, aber auf der Ebe-

ne des Strafvollzugs

kann das Problem nicht

länger kleingeredet wer-

den. Die Schweiz – und

mit ihr vielleicht auch

manche anderen Länder

mit häufigen Geldstrafen

– kennt insofern nicht

eine Klassen-Justiz (im

Sinne diskriminierender

Praktiken auf der Ebene

der Rechtsanwendung),

jedoch eine Art Klassen-

Strafrecht. Und zwar

nicht zugunsten der

obersten Zehntausend,

sondern eher zulasten

der untersten Rand-

schichten. Erstaunlicher-

weise führt dies kaum zu

Diskussionen, offenbar

weil diese untersten

Schichten keine Lobby

und damit im öffentlichen

Diskurs keine Stimme

haben. Trotzdem sind

sie eine nicht wegzu-

leugnende Realität. Es

bleibt offen, ob ein sol-

ches Strafrecht langfris-

tig als „gerecht“ empfun-

den werden wird.

ßen. Angesichts der zwar

kleinen, aber doch nicht

ganz vernachlässigbaren

Gruppe von Personen,

die zu hohen Geldbeträ-

gen verurteilt wurden, ist

letzteres nicht unver-

ständlich. Immerhin dürf-

te es manchen nicht oh-

ne weiteres möglich sein,

Beträge von etlichen tau-

send Franken innert der

kurzen Dauer einer Er-

satzfreiheitsstrafe zu er-

werben.

Bemerkenswert ist

die Häufigkeit der

Ersatzfreiheitsstrafen und

Bußenumwandlungen.

Nach den Daten der

schweizerischen Straf-

vollzugsstatistik entfällt

rund die Hälfte aller Ein-

ERSATZFREIHEITSSTRAFE IN ZÜRICH

Kontakt:

Prof. Dr. Martin Killias

E-Mail

[email protected]

Lorenz Biberstein

E-Mail

[email protected]

„Die Schweiz – und mit ihr

vielleicht auch manche

anderen Länder mit häufigen

Geldstrafen – kennt insofern

nicht eine Klassen-Justiz (im

Sinne diskriminierender

Praktiken auf der Ebene der

Rechtsanwendung), jedoch

eine Art Klassen-Strafrecht.

Und zwar nicht zugunsten der

obersten Zehntausend,

sondern eher zulasten der

untersten Randschichten.“

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Die nächsten Veranstaltungen der Führungsakademie (Auszug)

Datum Thema

17. - 18.03.2021 in Celle

Bühne frei - Aihr Auftritt!Präsentieren und Repräsentieren

23. - 24.03.2021in Celle

Den Wandel gestalten: Organisationen souverän und gelassen weiterentwickeln

26. - 27.05.2021in Celle

Korruptionsprävention

05. - 06.10.2021in Celle

Die Rolle der Emotionen in der Führung - oder:beim limbischen Tango die Führung übernehmen

Konzeption und Durchführung

individueller Personalauswahl-

verfahren (Assessment Center)

für Führungskräfte

Managementtrainings zur Förde-

rung und Weiterentwicklung von

Nachwuchsführungskräften

Trainings, Veranstaltungen und

Beratung im Bereich Presse- und

Öffentlichkeitsarbeit

(Medienakademie der nieder-

sächsischen Justiz)

Beratung und Coaching von Füh-

rungskräften

Informationen über Trends und

aktuelle Veränderungsprozesse

im Justizvollzug u. a. durch die

Herausgabe unseres Newsletters

Die Räume der Führungsakademie

für den Justizvollzug befinden sich

in der Fuhsestraße 30 in Celle. Dort

stehen auch Tagungsmöglichkeiten

zur Verfügung.

An Führungskräfte werden

überall hohe Anforderungen ge-

stellt. Für Sie als Führungskräfte

im Justizvollzug gilt das ganz

besonders. Auf Sie konzentrieren

sich nicht nur die Erwartungen

Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitar-

beiter, sondern auch die der Ge-

fangenen und der Öffentlichkeit.

Erwartungen, die nicht einfach zu

erfüllen sind. Wie können Sie

vorhandene Ressourcen besser

nutzen? Wie begleiten Sie Ver-

änderungsprozesse begleitet und

initiieren Innovationen? Wie ge-

hen Sie professionell mit den

Medien um? Wir unterstützen Sie

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zug bei der Wahrnehmung Ihrer

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gen zu aktuellen Themen

Beratung bei Projekten und

Organisationsentwicklung

Die Räumlichkeiten der Führungsakademie

befinden sich in der Fuhsestraße 30 in Celle

Die Führungsakademie...

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