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7/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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KapiKapitalismtalismus, Mrkte, Krisenus, Mrkte, Krisen(A(Ausgabe Nusgabe Nr. 14, 7r. 14, 7. F. Febebruar 201ruar 2012)2)
Bild: Jrg Mller
Krisenzeiten sind Zeiten der Vernderung. Vernderung, nicht
notwendig hin zum Guten und zur Linken. Wenn Bundeskanzlerin
Merkel fr ihre Politik weithin Zustimmung erntet, und wenn die SPD
von Austerittspolitik nicht lassen will, dann ist die Frage durchaus
berechtigt, ob die Menschen in diesem Land die Tragweite deraktuellen Ereignisse wirklich erkannt haben. Und doch zeichnet sich
ein Wandel ab, zwar nur sehr sanft und sicher nicht weitreichend
genug, aber doch deutlich: Das neoliberale und marktradikale Konzept
des Kapitalismus ist gescheitert. Liberale, die Steuersenkungen
fordern, werden nicht mehr ernst genommen, Teile der SPD gefallen
sich in exzessiver Selbstbezichtigung und selbst Merkel und Sarkozy
sprechen sich fr eine Finanztransaktionssteuer aus. Der Beispiele
gbe es noch sehr viel mehr. Zeit also, ber Krise, Kapitalismus undNeoliberalismus nachzudenken. Diese Ausgabe von kritisch-lesen.de
hat einen wirtschaftspolitischen, einen polit-konomischen
Schwerpunkt. Er setzt an der aktuellen Krise an, geht aber auch
darber hinaus und stellt grundstzlicher die Frage nach
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vermeintlichen polit-konomischen Wahrheiten und deren
Entzauberung.
Das Scheitern des Neoliberalismus stellt Patrick Schreiner in seiner
Rezension von John Cassidys How Markets Fail in den Mittelpunkt.Dabei macht er deutlich, dass selbst ohne eine klare linke
Positionierung des Autors diese Analyse des modernen Kapitalismus
mit Gewinn gelesen werden kann und dies gerade auch vor dem
Hintergrund der bis weit ins brgerliche Feuilleton reichenden
Debatte um das Scheitern bestimmter Schulen der
Wirtschaftswissenschaften. In hnlicher Weise zeigt Martin Koch in
seiner Besprechung von Elmar Altvaters Krisenanalyse Der groe
Krach auf, dass und wie der Neoliberalismus gescheitert ist. Altvaters
Buch zeigt detailliert die Ursachen und den Verlauf der aktuellenFinanzkrise auf. Ein Vergleich beider Rezensionen macht dabei das
fruchtbare Spannungsverhltnis deutlich, das zwischen der Analyse
des linksliberalen US-Journalisten Cassidy und des linken deutschen
Politikwissenschaftlers Altvater besteht. Kai Eicker-Wolf stellt
anschlieend in seiner Rezension von Georg Flberths kleinem
Bndchen Das Kapital kompakt einen Versuch vor, das Marxsche
Denken in einfhrender Form als Alternative zu gngigen
Kapitalismusanalysen wie auch zum wirtschaftswissenschaftlichenMainstream (wieder) in Stellung zu bringen. Auch Fritz Gde zeigt
in seiner Besprechung von David Harveys Der neue Imperialismus
auf, dass ltere Begrie und Theorien linker Kapitalismusanalyse
keineswegs eingemottet gehren. Gerade der Imperialismusbegri,
von Harvey neu und in erfrischender Weise reaktiviert, zeige sich
als erklrungsstarkes Instrument. Der Schwerpunkt schliet mit zwei
Rezensionen, die spezische Erscheinungsformen eines vermeintlich
alternativen Wirtschaftens unter die Lupe nehmen und bei denen
von einer Krisenanalyse im engeren Sinne nicht mehr gesprochenwerden kann. Ismail Kpeli zeigt anhand von Gerhard Klas kritischer
Analyse der Mikronanz-Industrie, dass Kleinkredite keineswegs ein
gelungenes Instrument zur Armutsbekmpfung darstellen. Patrick
Schreiner setzt sich in seiner Rezension von Irmi Seidls und Angelika
Zahrnts Postwachstumsgesellschaft kritisch mit den aktuellen
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http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/das-(zwischenzeitliche)-scheitern-des-liberalen-marktradikalismus/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/der-dreifachcharakter-der-krise/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/der-dreifachcharakter-der-krise/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/die-ruckkehr-eines-vermeintlichen-%E2%80%9Etoten-hundes/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/imperialismus-ein-tauglicher-begriff-zur-analyse/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/mikrokredite-die-losung-gegen-armut/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/postwachstumistische-mythen/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/postwachstumistische-mythen/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/mikrokredite-die-losung-gegen-armut/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/imperialismus-ein-tauglicher-begriff-zur-analyse/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/die-ruckkehr-eines-vermeintlichen-%E2%80%9Etoten-hundes/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/der-dreifachcharakter-der-krise/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/der-dreifachcharakter-der-krise/http://www.kritisch-lesen.de/2012/02/das-(zwischenzeitliche)-scheitern-des-liberalen-marktradikalismus/7/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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wachstumskritischen Debatten auseinander. Er versteht diese als
gefhrlichen Wolf im (manchmal antikapitalistischen) Schafspelz,
was auch Seidls/Zahrnts Sammelband einmal mehr deutlich mache.
Auerhalb des Schwerpunkts rezensiert Gabriel Kuhn Und wirbewegen uns noch von Robert Foltin zu jngeren sozialen Bewegungen
in sterreich. Das Buch sei eine Fundgrube an Information zu linken
Diskussionen und linkem Widerstand. Sebastian Friedrich stellt
anschlieend das Buch Rassismus von Wulf D. Hund vor, das zwar
hervorragend die historischen Zusammenhnge und Kontinuitten bei
der Konstruktion von Stereotypen darstelle, aber in der
vorgeschlagenen Rassismustheorie zu kritisieren sei. Sebastian
Kalicha nimmt abschlieend die Darstellung von Rebellionen von
Heugabel bis Kalaschnikow in dem Buch Der groe Traum vonFreiheit genauer unter die Lupe.
(Pro)feministischen Leser_innen wird nicht entgangen sein, dass in
dieser Ausgabe weiblich sozialisierte oder identizierte Autor_innen
nicht vertreten sind. Selbstkritisch mssen wir dazu anmerken, dass
dies nur die Zuspitzung einer Tendenz zu unausgewogenen
Geschlechterverhltnissen unter den Rezensent_innen von kritisch-
lesen darstellt eine Tendenz, die wir in Zukunft ndern wollen und
verstrkt bercksichtigen werden.
Zur Erinnerung: Wer rechtzeitig ber unsere neuesten Ausgaben
informiert werden mchte, kann sich in der Spalte rechts mit E-Mail-
Adresse fr den Newsletter eintragen.
Viel Spa beim kritisch(en) Lesen!
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Das (Das (zwischenzeizwischenzeitlichetliche) Schei) Scheitern des liberalentern des liberalenMarktradikalismMarktradikalismusus
John CassidyHow Markets FailThe Logic of Economic Calamities
Von Patrick Schreiner
John Cassidy zeigt aus einer marktkritischen Perspektive, wie sich
der Liberalismus ideologisch verrannt hat und sptestens mit der
Krise (scheinbar) scheitert.Bcher zur Krise gibt es jede Menge
geschrieben in vielen Fllen aus kritischer Perspektive. Kritisch meint
in diesem Fall insbesondere, dass die Autorinnen und Autoren dieser
Arbeiten an marxistischen oder keynesianischen berlegungen
ansetzen. Die meisten dieser Bcher zeichnen sich dadurch aus, dass
sie die beliebten, aber tzend langweiligen Spielchen zahlreicher
Politiksekten nicht mitmachen: Ihnen geht es nicht darum, mglichstviele vermeintlich notwendige Schlagworte wie
"berkonsumtionskrise" oder "Nachfragetheorie" bei der Analyse der
aktuellen Krise(n) hinauszuposaunen als ob es fr jede Nennung
der zentralen Begrie des jeweiligen Theoriegebildes wie in einer
Quizshow Punkte zu sammeln gbe. Ihnen geht es auch nicht darum,
die systemische Grundstzlichkeit der aktuellen Krise(n) zu beweisen
und damit wieder einmal das Ende des Kapitalismus zu verknden, das
am Ende dann blderweise doch nicht eintritt.
Sich solchen Pawlowschen Ideologie-Reexen zu verweigern, spricht
fr zahlreiche der aktuellen Buchverentlichungen zum Thema. Im
deutschsprachigen Raum wre hier etwa auf Wolfgang Mnchaus
Flchenbrand zu verweisen, der schon sehr frh (2008) eine
fundierte Analyse der Krise vorgelegt hat. Mnchau ist gewiss kein
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http://www.kritisch-lesen.de/author/patrick-schreiner/http://www.kritisch-lesen.de/author/patrick-schreiner/7/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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Linker, aber zumindest ein kritischer Zeitgenosse. Lucas Zeises im
gleichen Jahr erschienenes Ende der Party ist inhaltlich hnlich wie
das Mnchaus angelegt und wurde zwischenzeitlich von einem sehr
viel grundstzlicheren Buch ber Geld ergnzt (Zeise 2010).
Mnchau und Zeise sind Journalisten mit fundierten Kenntnissenkonomischer Theorie. Etwas aus dem Rahmen fllt dem gegenber
Das Gespenst des Kapitals des Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl
(2011). Dieser strker essayistisch angelegte Text erhebt keinen
Anspruch auf wirtschaftswissenschaftliche Analyse oder
journalistische Gesamtargumentation, sondern versteht sich eher als
ideologiekritische Darstellung des neoliberalen Kapitalismus unter
Bezugnahme auf den weiteren Hintergrund brgerlich-kapitalistischer
Ideologiegeschichte.
Im englischsprachigen Raum sind (mindestens) zwei Bcher
erschienen, die jenen Mnchaus und Zeises in vielem hnlich sind: Ihre
Autoren sind Journalisten mit fundierten Kenntnissen konomischer
Theorie, und ihr Erkenntnisinteresse ist dem Scheitern des
Neoliberalismus gewidmet nicht dem Versuch, ein Scheitern des
Kapitalismus als solchem abzuleiten. Zugleich sind sie mehr oder
weniger von kritischem Anstzen der konomietheorie geprgt, ohne
dass diese Theoriebestandteile in jeder Zeile herausgeschwitztwerden. Es ist dies zum einen John Authers (2010), der detailgenaue
Analysen moderner Finanzinstrumente und ihrer Auswirkungen auf
Finanzmrkte wie auch Realwirtschaft liefert. Und schlielich John
Cassidys How Markets fail (2010), auf das im Folgenden genauer
eingegangen werden soll.
AbAbrrechnechnung und fundierte Analung und fundierte Analyseyse
Streckenweise erscheint Cassidys Buch wie eine persnlicheAbrechnung mit Alan Greenspan, dem frheren langjhrigen Prsident
der US-Notenbank Fed. Dessen peinliches Auftreten vor dem
Untersuchungsausschuss des US-Kongresses zur Finanzkrise wlzt
Cassidy durchaus unterhaltsam ebenso aus wie die marktradikale
Ideologiegenese des Ex-Notenbankers. Angesichts des quasi-
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messianischen Nimbus, der Greenspan jahrelang zugeschrieben
wurde, ist dieser Denkmalsturz mehr als verstndlich und berechtigt.
Und doch beschrnkt sich Cassidys Abrechnung keineswegs auf
Greenspan, der hier letztlich die Rolle eines naiv-dmmlichen
Umsetzers jahrzehntelangen liberalen und marktradikalenTheoriequarks einnimmt. Cassidy bietet vielmehr eine fundierte und
sehr breite Analyse eben gerade dieses Theoriequarks wie auch
kritischer Gegenpositionen.
Dreh- und Angelpunkt seiner Darstellungen ist dabei das Verstndnis,
das verschiedene Denkschulen von Mrkten haben. Als Utopian
Economics beschreibt er eine Traditionslinie von Adam Smith ber
Friedrich August von Hayek und Milton Friedman bis zu modernen
mathematischen Theorien des Finanzmarkts. Den naiven Glauben etwaan sich automatisch einstellende Gleichgewichtszustnde, an adquate
Verteilung von Risiken und die eziente Allokation von Kapital
beschreibt er in gebotener Krze bei gleichzeitig angemessener
Intensitt. Der liberale Marktradikalismus bzw. dieses utopische
konomiedenken erscheint hier zu Recht als realittsfern und als
bermig selbstbezogen.
RealiRealityty-based Ec-based Ecoononomicsmics
Dem stellt er Denkweisen gegenber, die er als Reality-Based
Economics bezeichnet: konomische Theorien und Anstze, die am
tatschlich beobachtbaren Marktgeschehen ansetzen. Es sind dies
keineswegs nur marktkritische Denkweisen auch psychologische
Anstze der Wirtschaftswissenschaften oder die durchaus am
angeblich rationalen Handeln der Individuen ansetzende Spieltheorie
ordnet er in den Reigen realittsbezogenen konomiedenkens ein.
Dies mag zunchst verstren, ist aber im Rahmen seinerUnterscheidung von Utopian Economics und Reality-Based
Economics durchaus nachvollziehbar: Wenn utopisch der Glaube an
Marktezienz ist, dann sind alle Anstze realittsbezogen, die
mangelnde Marktezienz nachweisen.
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Selbstverstndlich drfen in einer Darstellung realittsbezogener
wirtschaftswissenschaftlicher Theorien und Anstze die berlegungen
John Maynard Keynes' und der sich auf ihn berufenden Schulen nicht
fehlen. In gewisser Weise erscheint Keynes bei Cassidy als Telos, auf
den das kritische konomiedenken notwendig zuluft. Tatschlich istdie Keynes'sche Kritik der Marktwirtschaft durchaus sehr breit
angelegt breiter, als politisch Handelnde und auch viele Linke hug
anzuerkennen bereit sind. Fragen der Verfgbarkeit von
Informationen, der gesamtgesellschaftlichen Irrationalitt rationalen
Verhaltens oder der Abstraktheitsgrade des Agierens an
Finanzmrkten seien hier beispielhaft, aber bei Weitem nicht
erschpfend genannt.
Cassidy ndet bei Keynes vieles, was in zahlreichenrealittsbezogenen Theorieschulen mhsam gegen den utopischen
wirtschaftsliberalen Mainstream durchgesetzt werden musste. Das
Verdrngen Keynes' aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum,
hin zu einer Auenseiterposition, erweist sich vor diesem Hintergrund
als hochgradig falsch. Der Wirtschaftsliberalismus musste sich dem
gegenber viele Feststellungen und Gedanken neu erarbeiten, die er
als innovativ und kritisch verkauft, die sich tatschlich aber in der
keynesianischen Denktradition schon lngst nden.
Die aktuelle KriseDie aktuelle Krise
Cassidys Argumentationskette ist aus sich heraus durchaus schlssig.
Tatschlich hat sich kritisches, vor allem keynesianisches Denken in
der Krise als erklrungsstark erwiesen. Die Arbeiten Hyman Minskys
zur Entstehung von Blasen an Finanzmrkten wren hier beispielhaft
zu nennen. Und es waren keynesianische Rezepte, die von zahlreichen
Regierungen entgegen der jahrzehntelang gepredigtenvermeintlichen Wahrheiten in der ersten Phase der Krise angewendet
wurden. Dies geschah durchaus mit einigem Erfolg: Die
Konjunkturpakete haben, bei aller Kritik im Detail, einen noch
gravierenderen Absturz der Wirtschaft verhindert. Es hat sich gezeigt:
Der Staat spielt eine zentrale Rolle in der Wirtschaft ausgerechnet
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jener Staat also, der seitens der Marktradikalen Jahrzehnte lang
verteufelt wurde.
Auf der anderen Seite ist eben jenes marktradikale und liberale
Denken, das seit dreiig Jahren Wirtschaftspolitik undWirtschaftswissenschaften bestimmt und verdummt hat, grandios
gescheitert. Ein Scheitern allerdings, das in der aktuellen zweiten
Phase der Krise Stichwort Eurokrise eine geradezu absurde
Umkehrung erfhrt. Mit groem Erfolg ist es den liberalen Ideologen
verschiedenster Parteibcher und Lehrsthle gelungen, die aufgrund
von Bankenrettungen und Konjunkturpaketen explodierten
Staatsschulden zur Krisenursache schlechthin zu erklren. Eine
klassische Umkehrung von Ursache und Folge markiert die Rckkehr
eines selbstbewussten, weil umso utopischeren marktradikalenLiberalismus. Wirtschaft von den Fen auf den Kopf gestellt.
Man wird Cassidy nicht vorwerfen knnen, dass er hierauf in seinem
Buch nicht eingegangen ist. Schlielich hat er dieses schon mit Ende
der ersten Phase der Krise beendet. Kritisch anzumerken wre
allerdings durchaus, dass Cassidy geradezu zwanghaft versucht, sich
von marxistischen Anstzen der Gesellschafts- und
Kapitalismusanalyse zu distanzieren. Dies ist noch rgerlicher, als er
sich hierdurch die Mglichkeit verbaut, mgliche Interessen und
antagonistische Interessengegenstze hinter den ideologischen
Auseinandersetzungen zwischen utopischen und realittsbezogenen
Theorien und Anstzen zu erkunden. Ohne dies nmlich erscheint
die Abfolge verschiedener wirtschaftstheoretischer Denkweisen
bestenfalls als Abfolge von Modeerscheinungen, schlechtestenfalls als
reiner Zufall. Genau damit haben wir es aber nicht zu tun: Die derzeit
zu beobachtende Wiederkehr eines um so radikaleren und
verbohrteren Marktradikalismus erfolgt nicht im luftleeren Raum,sondern sie ist grundlegende ideologische Voraussetzung eines
Umverteilungsprozesses auf Kosten von Beschftigten, Rentnerinnen
und Rentnern sowie den Empfngerinnen und Empfngern von
Sozialtransfers. Hinter dieser Politik und hinter diesen Denkweisen
stecken Interessen: Wir leben in einer Klassengesellschaft. Es ist
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schade, dass dieser Aspekt in Cassidys ansonsten absolut
berzeugenden und in gut lesbarem Englisch prsentierten
Ausfhrungen vllig fehlt.
ZZustzlich vustzlich verwerwendete Liendete LiteraturteraturAuthers, John 2010: The Fearful Rise of Markets. Global Bubbles,
Sychronized Markets and how to prevent them in Future. Financial
Times Prentice Hall, Opper Saddle River.
Mnchau, Wolfgang 2008: Flchenbrand. Krise im Finanzsystem.
Bundeszentrale fr Politische Bildung, Bonn.
Vogl, Joseph 2011: Das Gespenst des Kapitals. 2. Auage. Diaphanes,
Zrich.
Zeise, Lucas 2008: Ende der Party. Die Explosion im Finanzsektor und
die Krise der Weltwirtschaft. PapyRossa Verlag, Kln.
Zeise, Lucas 2010: Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus.
Versuch ber die politische konomie des Finanzsektors. PapyRossa
Verlag, Kln.
John Cassidy 2010: How Markets Fail. The Logic of EconomicCalamities. Penguin Books, London.
ISBN: 9780141036519. 416 Seiten. 12.99 Euro.
[Link zum Artikel]
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http://www.kritisch-lesen.de/?p=3524http://www.kritisch-lesen.de/?p=35247/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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Der DrDer Dreifachcharakter der Kriseeifachcharakter der Krise
Elmar Altvater
Der groe Krachoder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik undNatur
Von Martin Koch
Der groe Krach ist eine ungemein faktenreiche und packende
Analyse der aktuellen Finanzkrise. Wer das Buch liest, lernt nicht nurdie destruktive Dynamik spekulativer Geschfte, sondern auch ihre
notwendige Fortsetzung in sozialen und kologischen Krisenprozessen
verstehen.Seit Jahrzehnten verentlicht Elmar Altvater mit
beeindruckender Kontinuitt Standardwerke zu weltwirtschaftlichen
Dimensionen und Krisentendenzen und kann hierzulande jenseits eines
neoklassischen Mainstreams als herausragender Kritiker der
politischen Globalkonomie gelten. Als er 2010 sein Werk zur
Finanzkrise vorlegte, musste es darum schon im Vorfeld als eine ArtSchattenklassiker aufgefasst werden.
Tatschlich ist Der groe Krach ein solches Grundlagenwerk zum
Verstndnis der Krise. Doch Altvater ging es schon immer um mehr als
ihre blo monetre Erscheinung. Er sieht gleichermaen kologische
und soziale Lebensgrundlagen erschttert und weitet seine Diagnose
auf die Komplexitt einer Krise des kapitalistischen Wirtschafts- und
Gesellschaftssystems aus. Das Buch ist in vier Teile gegliedert: Nach
einem grundlegenden und theoretischen Teil ber das Wesenkapitalistischer Krisen werden Hintergrnde des derzeitigen
Finanzcrashs erlutert. Im dritten Abschnitt beschreibt Altvater die
zwangsluge Gleichzeitigkeit von Umverteilung und kologischer
Ressourcenerschpfung und weist schlielich nach einer Kritik
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http://www.kritisch-lesen.de/author/martin-koch/http://www.kritisch-lesen.de/author/martin-koch/7/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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vorliegender Gegenstrategien mit dem fragmentarischen Entwurf
eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts darber hinaus.
Dem Anspruch einer ganzheitlichen Krisendiagnose wird das Buch von
Beginn an gerecht: Indem Altvater Marx Werttheorie, insbesondereden Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit zum
Ausgangspunkt seiner Analyse nimmt, leitet er notwendige
Abhngigkeiten von Natur, Produktion und Geldzirkulation her und
berwindet das neoklassische Paradigma einer Eigenstndigkeit des
Finanzsektors: Finanzinstrumente jedweder Form bleiben auf
realkonomische Werte bezogen und forcieren mit ihrer Ausweitung
Produktivittssteigerungen, die ihrerseits auf der Ausschpfung von
Naturressourcen grnden. Altvaters Krisendiagnose rekurriert damit
auf die Unvereinbarkeit dreier Geschwindigkeiten. Die exponentielleAusweitung des Finanzsektors verlangt unmgliches
Wirtschaftswachstum, dessen bloer Versuch sich an der Endlichkeit
natrlicher Reproduktionszyklen bricht.
Bereits hier wird klar: Altvater schreibt hochkomprimiert mit
angesichts der Thematik verblend bildhafter Sprache und stellt
konsequent zentrale Wirkfaktoren heraus. Allerdings wird der Text
immer dann etwas kryptisch, wenn er Details zu Finanzinstrumenten
behandelt. Wer sich nicht lngst damit auskennt, kann beispielsweise
schwer nachvollziehen, wie mit Credit Default Swaps gegen
Collateralized Debt Obligations oder mit CO2-Emmissionen spekuliert
werden kann. Hier wre ein Glossar wnschenswert. Und an einigen
theoretischen Stellen, wie etwa zum tendenziellen Fall der Protrate,
empehlt sich die begleitende Lektre von Marx Original. Trotzdem
erzielt das ungemein faktenreiche Buch einen aufklrerischen Eekt.
Historische Herleitungen und Zitate erscheinen wie eine
Wiederherstellung von Zeit. Die Lesenden erleben, dass die ungeheureObsznitt der geschilderten Realitt historische Tatsache ihrer
Lebenswirklichkeit ist. Dabei wirkt die Lektre beinahe befreiend.
Kaum jemals ist der Mechanismus einer willkrlichen
Inwertsetzungskette ungedeckter Papiere plastischer dargestellt
worden. Das schrittweise Verstehen verschat ein Gefhl
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zurckgewonnener Handlungsmacht, obwohl sich mit jedem Detail
katastrophische Abgrnde nen. Wer Altvaters kologische
Fortschreibung des Wertgesetzes nachvollzieht, muss
Naturkatastrophen, Hunger, Umverteilung, Entdemokratisierung und
Spekulationsblasen als strukturelles Ensemble antagonistischerEigendynamiken verstehen.
Dieser aufklrerische Eekt wird allerdings relativiert, wenn es um
mgliche Alternativszenarien geht. Denn whrend Altvater Marx
Werttheorie konsequent im nanzmarktkapitalistischen Kontext
reformuliert, lsst er dessen Klassenanalyse weitgehend aus. Fast
durchgehend scheinen konkrete Akteur_innen hinter den
geschilderten Vorgngen zu verschwinden. So umfassend Tendenzen
und Einussfaktoren der Krise auch dargestellt werden, bleiben dochmindestens zwei Phnomene im Vagen: die Vielfalt von Interessen
und Abhngigkeiten, mit denen diverseste Gruppen die Hegemonie
des Neoliberalismus befrdern, und dessen Tendenz zur Ausung
kollektiver Lebenszusammenhnge, in denen Gegenstrategien
entwickelt und als alternative Gemeinschaftsentwrfe gelebt werden
knnten. Entsprechend vermag die abschlieende Vision einer
solidarischen konomie kaum mehr als diuse Emprung ohne die
Reexion gemeinsamer Interessen zu mobilisieren.
Dem Anspruch einer strukturierten Krisenanalyse aber wird Der
groe Krach in hervorragender Weise gerecht. Es ist aktuell selten
mglich, Zeugnisse derart umfnglichen Wissens und stilistischer
Erfahrung zu lesen.
Elmar Altvater 2010: Der groe Krach. oder die Jahrhundertkrise von
Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur. Westflisches
Dampfboot, Mnster.ISBN: 978-3-89691-785-0. 263 Seiten. 19.90 Euro.
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Die RckkDie Rckkehr eines vehr eines vermeinermeintlichen tlichen totentotenHHundesundes
Georg Flberth"Das Kapital" kompakt
Von Kai Eicker-Wolf
Georg Flberth regt mit einer gelungenen Einfhrung in das Kapital"
an, Marx wieder zu lesen.Die im Jahr 2008 mit der Lehman-Pleite
oen ausgebrochene Finanz- und Weltwirtschaftskrise ist auch ein
Scheitern der herrschenden konomischen Theorievorstellungen, wie
sie blicherweise an Fachhochschulen und Universitten gelehrt
werden: Auf freien (Finanz-)Mrkten wrden rational handelnde
Wirtschaftssubjekte, so die Vorstellungen, das Wirtschaftssystem in
ein optimales Gleichgewicht bringen. Ein mglichst unregulierter
Wettbewerb fhre grundstzlich zum ezientesten (Markt-) Ergebnis.Und auch auf internationalen Mrkten seien ein freier Kapitalverkehr
und Wettbewerb bestens geeignet, um Ressourcen wie Kapital und
Arbeit optimal zu steuern und einzusetzen.
Tatschlich macht die aktuelle Finanzkrise deutlich, dass unregulierte
Marktprozesse gerade keine eziente Allokation hervorbringen als
Allokation so wird von Mainstream-konominnen und -konomen
die optimale Verwendung knapper Ressourcen bezeichnet.
Unregulierte Marktprozesse knnen vielmehr konomisch
verheerende Folgen bis hin zu systemischen Krisen nach sich ziehen.
Eine Alternative zu neoliberalen Theorien stellt die Theorie Karl Marx'
dar. In umfassender Weise hat Marx die grundstzliche
Krisenanflligkeit der zeitgenssischen Wirtschaftsweise des
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http://www.kritisch-lesen.de/author/kai-eicker-wolf/http://www.kritisch-lesen.de/author/kai-eicker-wolf/7/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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Kapitalismus herausgearbeitet. Wer sich mit dem Kapital befassen
mchte, seinem konomischen Hauptwerk, muss eine Menge Zeit
investieren: Alle drei Bnde umfassen mehr als 2.200 eng
beschriebene Seiten. Zur Lektre des Kapitals anregen will Georg
Flberth mit seinem im PapyRossa Verlag erschienen Einfhrungsbuch'Das Kapital' kompakt. So heit es dort in der Vorbemerkung: Dies
Bchlein wendet sich an Menschen, die fest annehmen, sie fnden
niemals in ihrem Leben die Zeit, die drei Bnde des Kapital von Karl
Marx zu lesen. Sein Zweck ist, sie zu einer Revision dieser Annahme
und des daraus resultierenden Verhaltens zu veranlassen. (S. 7)
Diesem eigenen, uerst bescheidenen Anspruch wird der Autor mehr
als gerecht. Er liefert mit seiner Einfhrung bewusst keine eigene
Kapital-Interpretation, sondern zeichnet eng am Kapital orientiert undgut verstndlich die Gesamtargumentation von Marx nach. Die
Gliederung orientiert sich an den drei Kapital-Bnden: Auf den
Produktionsprozess folgt der Zirkulationsprozess des Kapitals, und als
drittes wird dann der Gesamtprozess der kapitalistischen
Produktionsweise behandelt. Ein Schwerpunkt der Einfhrung liegt
auf dem dritten Band des Kapitals, wobei hier wiederum die
Darstellung des so genannten Gesetzes vom tendenziellen Fall der
Protrate mit 20 Seiten vergleichsweise breiten Raum einnimmt.Flberth kommt bei Darstellung dieses Theorems, das die wohl
bekannteste Krisenerklrung im Marxschen Kapital ist, zu dem
Ergebnis, dass ein tendenzielles Sinken der Protrate zwar mglich,
aber anders als von Marx angenommen nicht unvermeidlich sei (S. 89).
In einem fnfseitigen Exkurs (S. 65) widmet sich der Autor dem
so genannten Transformationsproblem. Nach Marx bestimmt sich der
Wert einer Ware bekanntlich durch die fr ihre Produktion notwendige
gesellschaftliche Arbeitszeit. Das Transformationsproblem wirft dieFrage auf, ob und wenn ja: wie Arbeitswerte logisch konsistent in
ein Preissystem mit einheitlicher Protrate berfhrt werden knnen.
Die Debatte um das Transformationsproblem imKapital, die kurz nach
dem Erscheinen des dritten Kapital-Bandes im Jahr 1894 begann, wird
von Flberth in ihren Grundzgen bis zu den aktuellsten
Seite 14 von 48 - kritisch-lesen.de
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Diskussionsbeitrgen nachgezeichnet. Wer sich damit ausfhrlicher
befassen mchte, ndet in dem Exkurs die relevanten
Literaturhinweise.
Insgesamt ist es Georg Flberth in vorbildlicher Weise gelungen, dieMarxsche Analyse von Struktur und Funktionsweisen des Kapitalismus
in komprimierter Form auf gut 100 Seiten zu bndeln. Das Buch eignet
sich daher wie vom Autor beabsichtigt als Vorbereitung auf die
Lektre des "Kapital". Aber auch fr Menschen, deren Zeitbudget eine
Lektre von Marx Originalwerk nicht erlaubt, liefert das Buch eine
gute Zusammenfassung. Und nicht zuletzt drfte das Bndchen fr
jene interessant sein, die sich bereits in der Vergangenheit ausfhrlich
mit der Marxschen Theorie befasst haben und eine komprimierte
Aufarbeitung zur Wiederaurischung suchen.
Jahrzehnte lang wurde Marx von interessierter Seite als toter Hund
abgetan. Es waren keineswegs nur die Grundstzlichkeit und die
Radikalitt seiner Analyse, die zur Ablehnung Marxscher Gedanken
in Wirtschaftswissenschaften gefhrt hat. Der
wirtschaftswissenschaftliche Mainstream wollte vielmehr von
jeglicher, noch so vorsichtig formulierten Kritik an Marktprozessen
und am Glauben an die Ezienz unregulierter Mrkte nichts mehr
wissen. Besonders, aber keineswegs ausschlielich nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion und der mit ihr verbndeten Staaten
wurde ein unregulierter und ungebremster Kapitalismus als historisch
einzig verbliebene Mglichkeit des Wirtschaftens verkauft. Die
derzeitige Krise entlarvt derlei Ideologien als wirre Spinnerei. Gerade
vor diesem Hintergrund kommt Flberths inhaltlich und sprachlich
gelungenes Buch genau zur richtigen Zeit.
Georg Flberth 2011: "Das Kapital" kompakt. PapyRossa Verlag, Kln.ISBN: 978-3-89438-452-4. 123 Seiten. 9.90 Euro.
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ImperialismImperialismus - ein tauglicher Begriff zur Analus - ein tauglicher Begriff zur Analyse?yse?
David Harvey
Der neue Imperialismus
Von Fritz Gde
Harvey entwickelt ein selbstndiges neues Bild des Imperialismus.
Ohne von den Klassikern Lenin und Luxemburg auszugehen, trit er
sich mit ihren Ergebnissen.
Imperium - ein WImperium - ein Woort nrt nur aus alten Tur aus alten Tagen?agen?
Imperialismus ist ein in den Geschichtsbchern, die bei uns
herumstanden, ohne Drucksen verwendeter Begri. Es muss ihn zu
Caesars und Napoleons Zeiten gegeben haben. In England auch. Und
im ersten Weltkrieg zugegebenermaen. Dann scheint er nach
smtlichen Reueanfllen und Friedensgebeten 1918 sich irgendwohinverzogen haben. Jedenfalls gab es ihn als aktive Erscheinung nicht
mehr. Bis wir in den sechziger Jahren Lenin lasen. Und zu unserer
berraschung erfuhren, dass Imperialismus unsere Epoche
bestimmte, soweit sie am Kapitalismus festhielt. Und einleuchtend
beschrieben hatte Lenin die Erscheinung, allerdings hinderten
verschiedene Schnellschsse von uns Rezipientinnen und Rezipienten
die berlegte Anwendung des Terminus. So nahmen viele an, der
imperialistische Zugri erschpfe sich darin, dass z.B. eine deutscheTextilrma in Bangladesh Trikots oder Mtzen nhen lie - fr zwanzig
Pfennig Stundenlohn. Und die hier verkaufte, als wre ein Macherlohn
von fnf Mark darauf verwendet worden. Dass es sich hierbei um
Superausbeutung handelt, war klar. Nur konnte ber diesen
Extraprot die Rechnung der Industrielnder nie aufgehen. Statistisch
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erweisbar verdienten Lnder wie Deutschland am meisten nicht - nur
- ber Ausbeutung der Lnder der Dritten Welt, auch nicht ber die
"ungleichen Vertrge", sondern im Austausch innerhalb der industriell
entwickelten Staaten. Die Zerschlagung Jugoslawiens in unserer
eigenen Zeit diente nicht zuerst der Ausbeutung ber niedrige Lhne,sondern vielmehr der Ernung eines einheitlichen Handels- und
Wirtschaftsraums in Unterwerfung unter EU-Regeln. Was dann aber
anfangen mit dem Imperialismusbegri?
Es bleibt nichts brig, als solche Autorinnen und Autoren
heranzuziehen, die von sich aus den Terminus Imperialismus
verwenden, ohne sich zunchst auf die Autoritten Lenin und
Luxemburg zu beziehen. Wenn sie auf entsprechende Ergebnisse
kamen, und diese nachtrglich mit denen der Klassiker zustimmendverglichen, konnte eine Klrung erreicht werden. David Harvey hat
2003 ein solches Werk vorgelegt. Da alle von ihm angefhrten
Ereignisse sich in unserer Zeit abgespielt haben, lsst sich seine
Beweisfhrung leicht berprfen.
HarHarvveys veys verberblfflffender Aender Ausgangspunktusgangspunkt
Durch den Ausgangspunkt des US-Amerikaners drfen wir uns nicht
verblen lassen. Er schaut durch sein Stativ von sehr weit auf uns her.Das knnte zum rmischen Weltreich so gut passen wie zu Napoleon.
Harvey fragt sich nmlich: Wenn Imperialismus besteht, wie kann
dieser dann eine Einheit zustande bringen zwischen den "molekularen"
Handlungen der Einzelkapitalisten unten und den staatlichen
Bewegungen oben. Zur Absttzung des Konzepts zieht er ein Zitat
Hannah Arendts heran:
Eine unabsehbar fortschreitende Besitzakkumulation (...)
kann sich nur halten, wenn sie sich auf eine
unwiderstehliche Macht grndet. Der unbegrenzte
Prozess der Kapitalakkumulation bedarf zu seiner
Sicherstellung einer unbegrenzten Macht, nmlich eines
Prozesses von Machtakkumulation, der durch nichts
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7/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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begrenzt werden darf." (Hannah Arendt: Elemente und
Ursprnge totaler Herrschaft, zitiert nach S. 40)
Die Tautologie ist oensichtlich. Macht erklrt sich durch Macht.
Gottseidank wird Harvey im Verlauf des Buches konkreter. Lenin hattedie Sache von vornherein viel strker im Blick auf die Einzelvorgnge
in einem gegebenen kapitalistischen Staat untersucht. Ein
Unternehmer sieht sich am Ende einer Rechnungsepoche vor der an
sich erfreulichen Tatsache, dass er mehr verdient hat als ausgegeben.
Soll dieses Mehr weiterhin als Kapital fungieren, muss es wieder
investiert werden. Hat sich fr den Kapitalisten die Gewinnmglichkeit
auf seinem Gebiet erschpft, muss er auf verwandte ausweichen. Vom
Brot zum Backpulver zum Beispiel. Sind aber alle Mglichkeiten der
Investition erschpft, msste zunchst das neu eingesetzte Kapital- als nunmehr berssig - dann aber auch die schon investierten
Kapitalien, da es keine Nachfrage mehr danach gbe, ihren Wert
verlieren. Die Zinsen mssten sinken. Am Ende stnde dann der groe
Kladderadatsch auf den die Sozialisten der ersten Generation so sehr
gewartet hatten. Der trat aber nicht ein.
Der Kapitalismus insgesamt blhte zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg
geradezu auf. Wie war das mglich? Lenins Antwort: Die Grenzen
mussten berschritten werden, und zwar so, dass in den neuen
Gebieten der Kapitalanlage sich der jeweils eigene Staat mit allen
Mitteln schtzend vor diese Anlage stellte. Dazu gehrten
Bankmanver, Darlehen, Zollabkommen - ganz am Ende, aber
entscheidend, auch der militrische Einsatz. Daher dann: Krieg als
einzige Endperspektive im Imperialismus.
Das Problem des Kontakts zwischen dem Molekularen unten und
dem Staatlichen oben sah Lenin durch die Monopolisierung gelst.Damals (1916) wie heute. Wenn ehemalige Staatssekretre sich als
Aufsichtsrte wiedernden, und umgekehrt, drfte das Problem nicht
unlsbar sein. Ebenso wrde innerhalb des Prozesses der
Monopolisierung sich als besonders gnstig fr den Kontakt von oben
nach unten die Entwicklung der Presse erweisen. Wer die Existenz
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gewisser Banken als "systemisch notwendig" mitteilen kann, muss
nicht nach weiteren Kontakten suchen.
HarHarvveys Heys Herleierleitungtung
Seine unglckliche Begriichkeit sollte uns nicht davon abhalten, aufdie Verdienste Harveys in seiner Herleitung des Imperialismus zu
achten. Er hat Ernst gemacht mit einer Untersuchung, die dem
amerikanischen Staat und seinen Monopolen attestiert, dass sie sich
genau so imperialistisch verhalten, wie das Lenin allen Grostaaten
1916 vorausgesagt hat. Er zeichnet genau nach, durch welche
Manahmen imperialistische Staaten ungeheure Schulden aufnehmen
knnen, ohne dass es im gleichen Mastab zu Ination kommt. Es
mssen nmlich berschssige Gewinne des letzten Jahres - dervorangegangenen Zeit - so angelegt werden, dass sie nicht unmittelbar
die Konsummglichkeiten der Massen erhhen, sondern dass sie in
langlebige Einrichtungen umgeleitet werden. Zu diesen gehren in
erster Linie staatliche Manahmen fr Bildung und berwachung.
Militr nicht zu vergessen. In zweiter Ablenkung knnen Grobauten
aller Art, auch Kanle etc. untersttzt werden. Die groen
Baugesellschaften, die samt zugehrigen Banken lang nach der
Drucklegung des Buchs in der Krise 2008 zusammenbrachen, gehren
dazu. Vertrauen gewinnen solche Anlagen dauerhaft freilich nur dann,
wenn ganz am Ende ein realer Gewinn erwartet werden kann. Dieser
Punkt war 2008 berschritten.
Harvey akzeptiert ohne Einschrnkung die Grundkonzeption aller Anti-
Imperialisten. Sie alle, ob mehr der Leninschen Richtung folgend oder
mehr derjenigen Rosa Luxemburgs, staunen zunchst vor dem
Umstand, dass der groe Zusammenbruch noch nicht eingetreten ist.
Innerhalb eines festumgrenzten Gebietes der Kapitalverwertungmsste im Prinzip schon immer oder seit langem der Zeitpunkt
erreicht sein, in welchem der Gewinn des letzten Jahres nicht mehr
gewinnbringend anzulegen wre. Also entsteht
Kapitalberakkumulation - berproduktion von Geld, das fr
Investitionen nachgefragt werden soll, aber nicht nachgefragt wird.
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Folge: Zinsverbilligung. Entwertung des aufgehuften Kapitals - mit
Folgen auch fr die bisher schon gettigten Investitionen.
Die imperialistische Lsung: GDie imperialistische Lsung: Grrenzberschrenzberschreieitungtung
Harveys besonderes Verdienst besteht darin, dass er gesttzt geradeauf Rosa Luxemburgs Konzeption den weiteren Weg des Imperialismus
ber Lenin hinaus zu entwerfen versucht. Er geht dabei genau vom
schwchsten Punkt Luxemburgs aus: ihrer Vorstellung, dass der
Kapitalismus der entwickeltsten Staaten sich nur so lange halten kann,
wie es unterentwickelte nichtkapitalistische Gegenden gibt mit
eigenen Strukturen. Ihr Musterbeispiel ist der Entwurf der
Bagdadbahn. Initiiert von der Deutschen Bank, unter dem Schutz des
Kaiserreichs und des in Abhngigkeit gehaltenen trkischen Staates.Die nichtkapitalistischen zur Ausbeutung bestimmten Gebiete wren
dann die des arabischen Orients. Ohne Staatsmacht im Hintergrund
wre das Projekt niemals gewinnbringend zu installieren. Der
Haupteinwand gegen Luxemburg knnte, bald hundert Jahre spter,
lauten: Inzwischen sind Lnder wie die Emirate, aber auch Syrien oder
der Iran selbst durchkapitalisiert. Wo sollte da der Kapitalismus im
Sinne Luxemburgs noch Nahrung nden? Harveys Lsung: Es muss
sich nicht um den absoluten Gegensatz handeln von kapitalistisch
und vor-kapitalistisch. Das Ganze funktioniert auch dann, wenn wir
ein Geflle annehmen von technisch entwickelteren Lndern und
solchen, die es noch nicht so weit geschat haben. Genauer: die man
noch nicht so weit kommen lie - oder denen man das Erreichte
wieder wegnahm. Plumpes Beispiel ist der Mangel an Ranerien zur
Benzinherstellung in Libyen oder im Iran, also in Lndern, die den
Grund-Roh-Sto im berma besitzen, aber nicht ausreichend die
Mittel zu seiner Verarbeitung.
Mit anderen Worten: Harvey geht mit Marx von einer primren
Akkumulation aus, die berhaupt erst - durch Schaung eines Mehr
an Grundstcken, Herden, Verknechteten - die Entstehung kapitalen
Austauschs ermglicht. Nach Harvey darf das nicht als ein einmaliger
Vorgang gesehen werden. Kapitalismus fordert immer neu in
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schpferischer Zerstrung (Bakunin/Schumpeter) Wiederholung
dieses Vorgangs. Damit wird aber auch das Hervorgehen des
Imperialismus aus dem Kapitalismus leichter verstndlich. Als
Radikalisierung eines immer schon mitzudenkenden Vorgangs
nmlich.
Inszenierte Krisen als BeraubungInszenierte Krisen als Beraubung
Demnach sind auch die von den USA ausgehenden Krisen - etwa
die Asien-Krise - als Manahmen der Beraubung zu sehen mit
nachfolgender Chance der Wiederaneignung zu geringeren Preisen.
"Der Kulminationspunkt war 1997/98 die Disziplinierung
der Konkurrenz aus Ost-und Sdostasien in einer Weise,
die es den Finanzzentren von Japan und Europa, vor allem
aber der USA, ermglichte, Vermgenswerte praktisch
zum Nulltarif zu ergattern und damit ihre eigenen
Gewinne auf Kosten massiver Entwertungen und die
Zerstrung von Lebensgrundlagen anderswo zu erhhen.
Das war jedoch nur ein Beispiel fr die unzhligen
Schulden und Finanzkrisen, die viele Entwicklungslnder
nach etwa 1980 heimsuchten." (S. 183)
Sieht man das so, lassen sich zahlreiche Mittel erdenken, um ein
Land in Abhngigkeit zu halten. Harvey weiht dem Vorgang ein ganzes
Kapitel: Akkumulation durch Enteignung (S. 136-179). Er richtet
seinen Blick vor allem auf ein Mittel, den Kapitalberschuss auf Null
zu bringen, den der anderen, der nicht rechtzeitig Gewarnten. Die
sogenannten Aktien- und Banken-Krisen, gestartet von einzelnen
Spekulanten, unter wohlwollender Mitwisserschaft der Akteure in
New-York schaten angehufte Kapitalgewinne weg - und ernete
den Zugri auf die Reste in der Schssel. Bis die wieder auf den Markt
drfen. Was Harvey nicht mehr behandeln konnte in seinem 2003
beendeten Buch sind die gegenwrtigen Versuche, einige randstndige
Lnder innerhalb der EU hnlich zu behandeln. Also ehemals zu den
herrschenden gerechnete. Griechenland! Wie viele taumeln schon!
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Eine Art transnationale kapitalistische Klasse
entstand,die sich nichtsdestotrotz auf die Wall Street und
andere Zentren wie London oder Frankfurt als sichere
Orte der Kapitalanlage konzentrierte. Diese Klasse verlie
sich zum Schutz ihrer Vermgenswerte und des Rechts aufBesitz und Eigentum berall auf dem Globus, wie immer,
auf die Vereinigten Staaten. (S. 181)
Dass das Verfahren der Kapitalvernichtung schlielich doch auch das
eigene Land befallen knnte, wie es 2008 geschah, hat Harvey in
diesem Buch nicht mehr voraussehen knnen. Dass es in der Logik des
bisherigen Geschehens liegt, deutet er immerhin an. Er sieht schon die
Folgen des riesigen Hypotheken-Schwindels voraus. In diesem gelingt
es, bernehmern von Hypotheken in Husern, deren Wert diesenschon nicht mehr entspricht, den Wert der Hypotheken fr den
unmittelbaren Konsum zu verwenden. Damit wird die Gefahr der
Unterkonsumption zeitweise berwunden. Um freilich schlimmere
Folgen mit sich zu bringen. Selbst in diesem Fall war es aber den
riesigen Finanzinstituten gelungen, die Last ber gedeichselte
Verlustversicherungen an die ganze kapitalistische Welt
weiterzureichen.
WWoher koher koommen dann die Anmmen dann die Antiti-Imperialisten?-Imperialisten?
Relativ traditionell erwartet Harvey Widerstand gegen die Angrie
durch das imperialistische Kapital von den unmittelbar Betroenen.
Etwa den Anwohnern des Flusses in Indien, die zugunsten eines zu
bauenden Staudamms von Haus und Hof vertrieben werden sollen.
Die wehren sich zwar, aber im Weltmastab vereinzelt und erfolglos.
Darber hinaus aber sieht Harvey im Jahre 2003 strkere
Gegnerschaft voraus von den imperialistischen Konkurrenten selbst.Sie versuchen der Hegemonie zu entspringen und widersetzen sich,
wie Harvey damals erwartete, dem oenen Zwang. In diesem Punkt
folgt Harvey vielleicht allzu glubig den Prognosen und Erwartungen
Lenins. Dieser sah in der schlielich unvermeidlichen Konkurrenz der
Imperialisten untereinander das Ende des ganzen Systems begrndet.
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Und 1916 - mitten im Ersten Weltkrieg - schien das nur allzu glaubhaft.
So trit Harvey folgende Voraussagen im Fall des oenen Angris auf
Syrien und Iran, wie er jetzt angedroht wird.
Doch die externen Krfte, die dem neokonservativenImperialismus entgegenstehen, sind gewaltig. Erstens
wird dieses Projekt, wenn es deutlicher zu Tage tritt, fast
mit Sicherheit ein immer strkeres Bndnis zwischen
Deutschland, Frankreich, China, Russland und anderen
schmieden, das keineswegs machtlos ist. (...) Auerdem
werden die Briten, sollten die USA tatschlich nach Syrien
oder in den Iran vordringen, fast sicher ihre Untersttzung
fr das aufgeben mssen, was dann eindeutig als
selbstschtiger US-Imperialismus zu erkennen sein wird.Europische Regierungen, die wie Spanien und Italien die
USA eindeutig gegen die Wnsche ihrer Bevlkerung
untersttzt haben, werden fast mit Sicherheit fallen, und
Europa damit zu einem viel geeinteren, den US-Plnen
entgegenstehenden Machtblock machen, als es momentan
der Fall ist. Und der weltweite Widerstand innerhalb der
Vereinten Nationen wird ebenfalls stark zunehmen,
whrend die USA immer isolierter sein werden. (S. 194)
Nichts davon ist eingetreten. Die USA marschieren mit den
Regierungen in Europa weiterhin in einer Front. Wie ist das zu
erklren? Sicher nicht durch einen weiter verbreiteten Glauben an
das moralische Recht der USA - und seine Fhrungsqualitten. Eher
durch das Bewusstsein militrischer Unterlegenheit und Abhngigkeit.
Unbestreitbar die wachsende Gegenstzlichkeit zwischen Europa und
den USA. Die aber zur Zerreiung des Zusammenhalts nicht ausreicht.
Es kann schlielich fr Gegner des Imperialismus nicht daraufankommen, Obama sympathischer zu nden als Merkel - oder
umgekehrt. Zu oft ist der zwangsweise Untergang des
imperialistischen Systems vorausgesagt worden - nie ist er
eingetreten. Den Sozialistinnen und Sozialisten bleibt nichts brig, als
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Imperialismus insgesamt zu bekmpfen, in all seinen Spielarten, ohne
dem einen oder dem anderen im Urteil befangen beizustimmen.
Harvey, als Analytiker hervorragend, hat keine klaren Voraussagen
fr unsere unmittelbare Zukunft treen knnen. Festzuhalten ist aber,dass er - meiner Kenntnis nach - einer der wenigen in den USA ist, die
die Kategorien Lenins und Luxemburgs konkret anzuwenden suchen.
Zugleich unternimmt er den Versuch, die zugrundeliegenden
Denkformen miteinander zu vershnen.
David Harvey 2005: Der neue Imperialismus. VSA Verlag, Hamburg.
ISBN: 978-3-89965-092-1. 240 Seiten.
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MikrMikrokrokrediedite: Die Lsung gegen Armte: Die Lsung gegen Armuut?t?
Gerhard Klas
Die Mikrofinanz-IndustrieDie groe Illusion oder das Geschft mit der Armut
Von Ismail Kpeli
Mikrokredite tragen zum Wirtschaftswachstum und zur
Armutsreduktion bei, ohne die staatlichen Haushalte zu belasten
und wrden noch zustzlich Frauen und sozial Benachteiligten zur
Selbstermchtigung verhelfen. Dieses schne Bild wird durch das Buch
Die Mikronanz-Industrie von Gerhard Klas getrbt.In der
Entwicklungspolitik sind ber die Jahrzehnte viele Moden, Trends
und Hypes zu beobachten. Whrend bestimmte Grundannahmen sich
kaum wandeln (wie der positive Bezug auf Wirtschaftswachstum),
kommen und gehen die unterschiedlichen Instrumente und
Manahmen, mit denen die Lnder des globalen Sdens entwickeltwerden sollen. Mal wird die Unterentwicklung auf die fehlende
Infrastruktur und Energieressourcen zurckgefhrt, so dass Straen
und Staudmme gebaut werden sollen. Dann stellt sich heraus, dass
so weder die Lnder innerhalb der kapitalistischen Weltwirtschaft eine
bessere Stellung noch ihre jeweiligen Bevlkerungen mehr Wohlstand
erreichen knnen. Zeit fr den nchsten Erklrungsversuch: Vielleicht
sind Groprojekte der falsche Weg und vielleicht hapert es eher an gut
ausgebildeten Arbeitskrften? Oder vielleicht sind auch die korrupten
Regierungen der Trikontlnder selbst Schuld daran, dass die
Entwicklungspolitik nicht greifen kann? Sollte man Graswurzel-
Initiativen zu Empowerment von Humankapital frdern oder doch den
politischen Eliten Good Governance nher bringen? Um solche und
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viele, viele andere Fragen drehen sich die Debatten um
Entwicklungspolitik.
Ein eher neueres Instrument der Entwicklungspolitik sind
Mikrokredite, die bisher in den wissenschaftlichen und entlichenDebatten einen hervorragenden Ruf haben. Mikrokredite tragen
demnach positiv zum Wirtschaftswachstum und zur Armutsreduktion
bei, ohne die staatlichen Haushalte zu belasten und wrden noch
zustzlich Frauen und sozial Benachteiligten zur Selbstermchtigung
verhelfen. Gerhard Klas trbt kenntnis- und faktenreich das schne
Bild von Mikrokrediten als kostengnstige Heilsbringer gegen Armut
und Frauenunterdrckung.
Der Autor beleuchtet dazu den Entstehungskontext der Mikrokredite.Dabei ist die Frage nach der Rolle des Staates zentral. Whrend in der
Entkolonisierungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er
Jahre der Staat als der zentrale Entwicklungsmotor angesehen wurde,
wie etwa bei der Debatte um Entwicklungsdiktaturen, hat sich dies
sptestens mit der Schuldenkrise am Anfang der 1980er Jahre und den
anschlieenden Strukturanpassungsmanahmen des Internationalen
Whrungsfonds (IWF) und der Weltbank grundlegend gendert. Die
neoliberale Politik in den 1980er und 1990er Jahren fhrte im globalen
Sden zur Krzung der staatlichen Ausgaben in den Bereichen
Soziales, Bildung und Gesundheit. Viele Menschen in den Lndern
der Dritten Welt, die auf die staatlichen Wohlfahrtsmanahmen
angewiesen waren, konnten sich eine privat nanzierte Versorgung
mit diesen Gtern nicht leisten. Mikrokredite liefern scheinbar eine
Lsung fr dieses Problem. Indem auch arme Menschen Zugang zu
Krediten erhalten, die bis dahin aufgrund fehlender Sicherheiten
davon ausgeschlossen waren, knnen sie sich diese Gter leisten
oder die Kredite zu einem einkommenssichernden Schritt nutzen. Soist auch in den Debatten um Mikronanz immer wieder die Rede von
eiigen KleinstunternehmerInnen, die sich mit einem Mikrokredit ein
Geschft aufbauen konnten und so der Armut entronnen sind. Das Bild
scheint auch erstmal schlssig zu sein, aber nur so lange, bis man etwa
erfahren hat, welche Zinsstze bei Mikrokrediten zu bezahlen sind (im
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Durchschnitt 38 Prozent, teilweise bis zu 100 Prozent), wie hoch der
Anteil der KreditnehmerInnen ist, die tatschlich von Mikrokrediten
protiert haben (5-10 Prozent) und welche Methoden
Mikronanzinstitute verwenden, um die Schulden einzutreiben.
Insbesondere die Behauptung der Mikronanz-Befrworter, dass
Mikrokredite zur Armutsreduktion beitragen oder gar Armut ins
Museum verbannen (Muhammad Yunus) wrden, wird kritisch
geprft. Unter anderem anhand der Beispiele Bangladesh und Indien
Lnder, in denen Mikrokredite eine Massenverbreitung gefunden
haben wird gezeigt, dass Mikrokredite dieses selbst gesteckte Ziel
berhaupt nicht erfllen. Die Mehrheit der KreditnehmerInnen bleibt
arm oder verarmt noch weiter wenig berraschend angesichts der
hohen Zinsstze. Wer die Zinsen und Rckzahlungsraten nichtbegleichen kann, nimmt weitere Kredite auf und gert so tiefer in die
Schuldenfalle. Zahlreiche Selbstmorde von KreditnehmerInnen zeigen,
dass Mikrokredite oft eine weitere Brde sind und kein Ausweg aus
der Armut.
Daneben wird auch skizziert, dass Mikrokredite kein reines Dritte
Welt-Phnomen sind, sondern dass inzwischen auch im Westen dieses
Instrument genutzt wird. In Grobritannien etwa werden Mikrokredite
mit einem Zinssatz von 48 Prozent vergeben. In Deutschland sollen
Mikrokredite als eine Alternative zu der faktisch abgeschaten
Grndungsprmie der Arbeitsagentur etabliert werden, wobei die
Zinsen und Rckzahlungsraten die prekren Existenzgrndungen
(vielfach als Ich-AGs) noch strker belasten drften die Zahl der
Insolvenzen drfte steigen.
Es ist ein sehr lesenswertes Buch und der journalistische Schreibstil
ermglicht auch eine gute Lesbarkeit. Wer eine strkerwissenschaftliche Auseinandersetzung sucht, ndet genug
Quellenhinweise hierfr. Der Autor positioniert sich politisch
eindeutig, ohne in Polemik zu verfallen. Sehr positiv ist auch die
Kontextualisierung des Themas, die deutlich macht, dass es hier nicht
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um einen Aspekt fr EntwicklungspolitikspezialistInnen geht, sondern
um ein Thema, das das Leben von vielen Menschen elementar berhrt.
Gerhard Klas 2011: Die Mikronanz-Industrie. Die groe Illusion oder
das Geschft mit der Armut. Assoziation A, Berlin/Hamburg.ISBN: 978-3-86241-401-7. 320 Seiten. 19.80 Euro.
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PPostwachstumistische Mostwachstumistische Mythenythen
Irmi Seidl / Angelika Zahrnt (Hg.)
PostwachstumsgesellschaftKonzepte fr die Zukunft
Von Patrick Schreiner
Die Krise befeuert die Wachstumskritik als gefhrlichen Wolf im(manchmal antikapitalistischen) Schafspelz.Das neoliberale und
marktradikale Kapitalismus-Modell ist sptestens mit der Krise
gescheitert. Dies wre eigentlich der richtige Zeitpunkt, um
grundlegend ber Alternativen nachzudenken. Der richtige Zeitpunkt
auch, um die politische Linke wieder zu einem nennenswerten
gesellschaftlichen Faktor zu machen. Es wre nicht zuletzt auch der
Zeitpunkt, die Verteilungsfrage endlich wieder zu stellen. Ein nicht
unbedeutender Teil der Linken aber beteiligt sich lieber an einer
wachstumskritischen" Phantomdebatte: In ihr kommen vielfltigeAkteure zusammen etwa Attac, Umweltverbnde und -verwaltung,
Kirchen, Entwicklungshilfe-Organisationen, linke und rechte
Sozialwissenschaften sowie Teile aller etablierten Parteien.
KKoonnturturen einer Debatteen einer Debatte
Es ist dies eine Debatte, in der Positionen von weit rechts bis weit
links sich um das goldene Kalb der Kritik am Wirtschaftswachstum
versammeln. Sie vertreten mit beinahe religiser Inbrunst einenGlaubenssatz: Dass regelmiges Wachstum einer Volkswirtschaft aus
kologischen Grnden abzulehnen oder aber schlicht unmglich sei.
Auf ihre Fahnen schreiben sich die wachstumskritischen Aktivistinnen
und Aktivisten folgerichtig die Forderung nach einer
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Postwachstumsgesellschaft" oder Postwachstumskonomie" die
Forderung nach einem Ende oder einer Umkehr des Wachstums also.
Einige Beispiele:
- Wohlstand ohne Wachstum" lautet der Titel bzw. der Untertitel
zweier wirkmchtiger Bcher zum Thema (Miegel 2011; Jackson2011).
- In Hans Binswangers Wachstumsspirale" (2006) wird
Kapitalismuskritik zur Kritik am bestndigen Zwang" des Geldes,
mehr Geld zu werden eine Position, die sich wie ein roter Faden
durch die Geschichte vermeintlicher Antikapitalismen zieht und die am
Beispiel des Denkens Pierre Joseph Proudhons schon von Karl Marx als
irrefhrend und unzureichend analysiert wurde.
- Als attac Basistext" ist jngst ein kleines Bndchen mit dem Titel
Postwachstum" erschienen, das versucht, der Wachstumskritik eine
linke Wendung zu geben (Schmelzer/Passadakis 2011).
- Und obwohl Wachstumskritiker" bisweilen gerne den Eindruck
erwecken, ihre Thesen seien neu, betitelte der Club of Rome schon
1972 seinen einussreichen Bericht mit Die Grenzen des Wachstums"
(Meadows/Meadows et al. 1972). Dies stand wiederum selbst in einer
wachstumskritischen" Tradition, fr die sich Beispiele etwa in der
Bibel, bei Aristoteles, in der (nach-) mittelalterlichen Moralphilosophie
und in der politischen konomie des 19. Jahrhunderts nden.
Schon anhand dieser wenigen Bcher lsst sich zeigen, dass
Wachstumskritik" tatschlich Positionen von weit rechts bis weit links
unter einem gemeinsamen Schlagwort, einer gemeinsamen
Grundkonstante ihres Denkens vereint. Das alleine sollte stutzig
machen. So breitet der rechtskonservative Meinhard Miegel in seiner
Arbeit einmal mehr das Mrchen vom Ende der Finanzierbarkeit des
Sozialstaats aus, hier nun wachstumskritisch" gewendet. Auf der
anderen Seite ndet sich mit dem attac-Basistext eine Arbeit, diedurchaus als links bezeichnet werden kann und etwa die
Verteilungsfrage mehr oder weniger radikal zu stellen versucht. Der
hier zu besprechende Sammelband mit dem Titel
Postwachstumsgesellschaft" reiht sich ein in eine Modewelle neuerer
Verentlichungen, durch die Wachstumskritik" im Zuge der
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aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise erneut und verstrkt auf die
politische Tagesordnung gepusht wurde. Und auch in diesem
Sammelband ndet sich ein buntes Sammelsurium eher rechter und
eher linker Positionen, hier allerdings eher gemigte.
Die Autorinnen und Autoren des Bandes betrachten und analysieren
in ihren Artikeln die unterschiedlichsten politischen Themen durch
eine wachstumskritische Brille etwa die Frage der
Alterssicherungssysteme, des Konsums, der Steuerpolitik oder der
Verteilung. So ist auch der Gewerkschafter Norbert Reuter mit einem
Aufsatz vertreten, in dem er sich dem Arbeitsmarkt im Spannungsfeld
von Wachstum, kologie und Verteilung" widmet. Lorenz Jarass hat
einen Aufsatz zur Steuerpolitik geschrieben, der in diesem
Sammelband insofern etwas verloren erscheint, als er bermigwachstumskritisch" gar nicht ist. Bei Matthias Mhring-Hesse, der
sich der Verteilungsfrage widmet, nden sich zwar jede Menge
abstrakter philosophischer berlegungen, aber wenig tatschlich
Brauchbares zur Frage der Verteilung im Kontext einer
(programmatisch ja als anzustreben behaupteten) nicht mehr
wachsenden Wirtschaft.
VVerteilung und Soziales?erteilung und Soziales?
Whrend diese Aufstze harmlos scheinen oder bei Reuter und Jarass
bisweilen durchaus berlegenswerte Anstze im Sinne einer
verteilungsgerechteren Gesellschaft nden, zeigt sich in anderen
Aufstzen die Fragwrdigkeit wachstumskritischer" Haltungen sehr
deutlich. Paradebeispiel hierfr ist Franois Hpinger, der einmal
mehr die Forderung nach einer Verlngerung (auch) der
Lebensarbeitszeit aufstellt, hier wachstumskritisch" begrndet. Ist
die Rente mit 67" als faktisches Rentenkrzungsprogramm heuteschon gesetztes Recht, so wird hier der Boden fr eine weitere
Anhebung des Renteneintrittsalters bereitet was letztlich wiederum
in erster Linie jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu bezahlen
haben, die im Berufsalltag krperlich oder psychisch besonders harten
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Anforderungen ausgesetzt sind und fr die schon die Rente mit 65 ein
illusorischer Wunschtraum war.
Die wachstumskritische" Debatte zeigt sich in weiten Teilen als
hochgradig ignorant gegenber den sozialpolitischen undverteilungspolitischen Implikationen ihrer Forderungen. Die einzige
Umverteilung, die ernsthaft und breit diskutiert wird, ist jene der
radikalen Umverteilung und Verkrzung der Arbeitszeit mit dem Ziel,
auf diese Weise das Wachstum zu bremsen oder umzukehren. Nun
mag man einer Verkrzung der Arbeitszeit im Grundsatz zwar mit
Sympathie gegenberstehen. Stutzig machen sollte allerdings, dass
die Frage eines Lohnausgleichs seitens der Wachstumskritiker" kaum
thematisiert wird. Viele Beschftigte arbeiten heute 40 Stunden bei
einem Stundenlohn von fnf oder sieben Euro. Wie diese Kolleginnenund Kollegen sich und ihre Familien zuknftig bei halbierter
Arbeitszeit und gleichem Stundenlohn durchbringen sollen, bleibt das
Geheimnis der Wachstumskritiker". Antworten nden sich auch in
dem hier zu besprechenden Sammelband nicht. Kapitalismuskritik
sieht anders aus.
Und selbst wo die soziale Frage zumindest angesprochen wird, sind die
Konzepte zur tatschlichen Umsetzung bestimmter sozialpolitischer
Forderungen im Besonderen ebenso dnn wie die Konzepte einer
Postwachstumskonomie" im Allgemeinen. Hier wr etwa zu
verweisen auf Irmi Seidls und Angelika Zahrnts Argumente fr einen
Abschied vom Paradigma des Wirtschaftswachstums" im hier
besprochenen Sammelband.
BBruruttottoinlandsprinlandsprododuktukt
Die in den Aufstzen des Sammelbandes beschriebene
Wachstumskritik" krankt aber keineswegs nur an einem Mangel an
Reexion ihrer sozialen und verteilungspolitischen Implikationen.
Mindestens ebenso fragwrdig, und beides ist eine Gemeinsamkeit des
Mainstreams der wachstumskritischen" Debatte, ist ihr Verstndnis
von dem, was Wachstum berhaupt ist. Tatschlich ist dieses nmlich
nichts anderes als eine statistisch konstruierte Gre die Steigerung
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des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einer bestimmten Zeitperiode, etwa
einem Quartal oder einem Jahr. Das BIP wiederum erfasst die in Geld
gemessenen Marktwerte der in dem genannten Zeitraum produzierten
Waren und Dienstleistungen. Undokumentierte Arbeit, andere nicht
registrierte Beschftigung sowie staatliche Leistungen werden durchSchtz- bzw. Ersatzwerte einbezogen. Beim Vergleich des BIP
verschiedener Zeitperioden wird zudem die Geldentwertung
bercksichtigt.
Das BIP bezieht also ausschlielich marktfrmig produzierte Waren
und Dienstleistungen ein, die in Geldform auf Basis ihrer Marktpreise
erfasst werden. Damit stellt es per se keinen Indikator fr
Ressourcenverbrauch oder fr Umweltbelastung dar; es kann folglich
durchaus ein schrumpfendes BIP mit steigendemRessourcenverbrauch oder umgekehrt ein wachsendes BIP mit
sinkendem Ressourcenverbrauch geben. Einen methodischen,
systematischen und zwingenden Nexus zwischen dem statistischen
Indikator Wachstum" und dem Ressourcenverbrauch bzw. der
Umweltbelastung gibt es nicht.
Das Problem ist nun, dass die pauschale und undierenzierte
Forderung nach einem Ende des Wachstums sich nicht dafr
interessiert, in welchen Bereichen und auf welche Weise eine
Volkswirtschaft schrumpfen soll. Sie interessiert sich auch nicht dafr,
wo eigentlich erstens Umweltzerstrung und Ressourcenverbrauch
in welchem Ausma stattnden und ob zweitens bestimmte
Manahmen gegen das Wachstum tatschlich zu einem geringeren
Ressourcenverbrauch fhren. Wer vor diesem Hintergrund schlicht
eine Begrenzung oder Umkehrung des Wachstums fordert, sieht sich
drei unbequemen (und vermutlich nicht gewollten) Konsequenzen
gegenber:
Erstens droht er oder sie, statistischen Taschenspielertricks
aufzusitzen. Die Forderung vieler Wachstumskritiker" auch im
vorliegenden Sammelband nach mehr Ehrenamt und
Selbstversorgung bedeutet nmlich nichts anderes als die
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Weiterfhrung bisher am Markt erbrachter Produktion fernab des
Marktes. Umweltfreundlicher wird das Produzieren dadurch nicht,
seine Produkte ieen lediglich nicht mehr in die Berechnung des
Bruttoinlandsprodukts ein.
Zweitens liegt der Ressourcenverbrauch schon heute weit jenseits des
Vertrglichen, so dass selbst ein gewisser Rckgang des BIP nicht
viel helfen wrde. Wachstumskritik" droht hier den Blick auf das
tatschlich Notwendige zu verstellen, nmlich die Entwicklung und
Durchsetzung umweltvertrglicherer und ressourcenezienterer
Produkte und Produktionsverfahren.
Eine dritte und noch sehr viel gravierendere Konsequenz der
pauschalen und undierenzierten Forderung nach einem Ende desWachstums ist, dass damit argumentationslogisch auch kologisch
sinnvolle Projekte, Entwicklungen und Investitionen in Frage gestellt
werden denn auch sie steigern das BIP und damit das Wachstum.
Hier wre beispielhaft zu verweisen auf die Behebung von Schden
an Natur und Umwelt oder Investitionen in Recycling, erneuerbare
Energien sowie eine bessere Ressourcen- und Energieezienz. Auch
hier ist zu konstatieren: Eine berzeugende Kapitalismuskritik sieht
anders aus. Fr alle drei Konsequenzen nden sich Beispiele in dem
hier zu besprechenden Sammelband.
QualiQualitatitativves Wes Wachstumachstum
Sehr viel klger, als Wachstum zu verdammen, wre es, genau zu
prfen, weshalb in bestimmten Bereichen Wachstum tatschlich mit
steigendem Ressourcenverbrauch einhergeht und zu berlegen, in
welchen Bereichen Wachstum zuknftig in welcher Form stattnden
soll. Eine solche Politik schliet Vorgaben auch ordnungsrechtlicher
Art durchaus ein, denn in der Tat haben Unternehmen von sich
aus kein Interesse, Schden und Kosten zu reduzieren, die sie auf
die Gesellschaft berwlzen knnen. Notwendig ist berdies die
Intensivierung von Forschung, Entwicklung und Investitionen in
kologisch nachhaltige Produkte und Produktionsverfahren. Und es
braucht nicht zuletzt einen Ausbau von gerade auch entlichen
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Dienstleistungen: Ihre Produktion ist vergleichsweise
ressourcensparend; so liegt ihr Energieverbrauch in Deutschland nur
bei einem Viertel von jenem des Produzierenden Sektors (relativ zur
Bruttowertschpfung).
Wer aber eine solche Dierenzierung vornimmt, der spricht nicht mehr
von den Grenzen des Wachstums, sondern von qualitativem Wachstum.
Von einem Wachstum, das nicht bedingungslos gesteigert wird,
sondern das in gesellschaftlich und kologisch sinnvollen Bereichen
stattndet. Dieses erfordert zweierlei: Erstens, mit einem
Wirtschaftsmodell zu brechen, das primr auf deregulierte Mrkte
setzt denn den Mrkten als solchen ist die kologische Frage ebenso
egal wie die soziale. Und zweitens, mit der Vorstellung zu brechen,
ein Ende des Wachstums" an sich sei die Lsung fr die anstehendenkologischen oder gar sozialen Herausforderungen und Probleme.
Genau fr ein solches Konzept des qualitativen Wachstums bieten die
Autorinnen und Autoren in Seidls und Zahrnts Sammelband aber keine
Denkanstze. Ernsthaft vorwerfen wird man ihnen dies kaum knnen:
Sie reihen sich damit ein in eine breit angelegte Phantomdebatte, die
sich als Ganze darin gefllt, radikal (und manchmal antikapitalistisch)
zu klingen, ohne aber fundierte Konzepte zu entwickeln und ohne
die Grundlagen und Konsequenzen des eigenen Denkens kritisch zu
hinterfragen.
ZZustzlich vustzlich verwerwendete Liendete Literaturteratur
Binswanger, Hans 2006: Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und
Imagination in der Dynamik des Marktprozesses. Metropolis-Verlag,
Marburg.
Jackson, Tim 2011: Wohlstand ohne Wachstum. Leben undWirtschaften in einer endlichen Welt. Oekom Verlag, Mnchen.
Meadows, Donella/ Meadows, Dennis et al. 1972: Die Grenzen des
Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart.
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Miegel, Meinhard 2011: Exit. Wohlstand ohne Wachstum. List
Taschenbuch, Berlin.
Schmelzer, Matthias / Passadakis, Alexis 2011: Postwachstum. VSA
Verlag, Hamburg.
Irmi Seidl / Angelika Zahrnt (Hg.) 2010: Postwachstumsgesellschaft.
Konzepte fr die Zukunft. Metropolis, Marburg.
ISBN: 978-3-89518-811-4. 247 Seiten. 18.00 Euro.
[Link zum Artikel]
Seite 36 von 48 - kritisch-lesen.de
http://www.kritisch-lesen.de/?p=3485http://www.kritisch-lesen.de/?p=34857/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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MMehr als Haider und Sehr als Haider und Strachetrache
Robert Foltin
Und wir bewegen uns nochZur jngeren Geschichte sozialer Bewegungen in sterreich
Von Gabriel Kuhn
Dass es in sterreich nicht nur rechte Krfte, sondern auch eineauerparlamentarische Linke gibt, dokumentiert Robert Foltin in
einem neuen Band zu den sozialen Bewegungen des Landes.Im Jahre
2004 prsentierte der langjhrige Aktivist und Autor Robert Foltin
mit Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in sterreich
ein Standardwerk zur Geschichte der sterreichischen
auerparlamentarischen Linken. Nun legt Foltin mit Und wir
bewegen uns noch. Zur jngeren Geschichte sozialer Bewegungen
in sterreich einen Nachfolgeband vor. Whrend das erste Buch in
der Edition Grundrisse erschien (Foltin ist Redaktionsmitglied derZeitschrift Grundrisse: Zeitschrift fr linke Theorie und Debatte),
wurde der Nachfolgeband in der Reihe Kritik & Utopie des
Mandelbaum-Verlages herausgegeben. Die Reihe Kritik & Utopie
wurde vom Verlag 2011 gestartet, um mit theoretischen Entwrfen
ebenso wie mit Reexionen aktueller sozialer Bewegungen zu linken
Debatten in sterreich beizutragen. Ein ambitioniertes Projekt, das
die kritische sterreichische Publikationslandschaft wesentlich zu
bereichern verspricht. (In Ausgabe 12 von kritisch-lesen.de wurdebereits ein Buch aus der Kritik & Utopie-Reihe rezensiert: Wie bleibt
der Rand am Rand).
Im Vorwort des neuen Buches erklrt Foltin, dass es vor allem die
studentische Protestbewegung unibrennt war, die ihn zum Verfassen
von Und wir bewegen uns noch motiviert hat (zu unibrennt unten
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http://www.kritisch-lesen.de/author/gabriel-kuhn/http://www.kritisch-lesen.de/2011/12/urbane-reflektierte-wut/http://www.kritisch-lesen.de/2011/12/urbane-reflektierte-wut/http://www.kritisch-lesen.de/2011/12/urbane-reflektierte-wut/http://www.kritisch-lesen.de/2011/12/urbane-reflektierte-wut/http://www.kritisch-lesen.de/author/gabriel-kuhn/7/31/2019 Kapitalismus, Mrkte, Krisen - #14
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mehr). Methodisch bezieht er sich auf den Postoperaismus, dem er
sich in anderen Publikationen bereits eingehend gewidmet hat, etwa in
(Post-)Operaismus. Von der Arbeiterautonomie zur Multitude (2010),
gemeinsam mit Martin Birkner fr die populre theorie.org-Reihe des
Schmetterling-Verlages verfasst.
VVoon Schn Schwarz-Bwarz-Blau zur Vlau zur Vielfarbielfarbigkigkeieitt
Und wir bewegen uns noch gliedert sich in fnf Kapitel. In Februar
2000: Was ist geblieben? analysiert Foltin die politischen
Konsequenzen der im Februar 2000 angelobten Regierungskoalition
der konservativen sterreichischen Volkspartei (VP) und der
rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei sterreichs (FP). Die
schwarz-blaue Koalition (Schwarz ist die Parteifarbe der VP, Blauder FP) hatte nicht zuletzt einen groen Einuss auf die jngere
sterreichische Widerstandskultur. Zu Foltins Schlussfolgerungen
zhlt die folgende:
Die Bewegung gegen Schwarz-Blau agierte relativ
unabhngig auch von den oppositionellen staatstragenden
Parteien, der SP und den Grnen ein bestmglicher
Anknpfungspunkt, um auch gegen andere
Konstellationen der Herrschenden zu rebellieren. (S. 20)
Keine Atempause bietet einen breiten berblick ber linke
Initiativen und Bewegungen der letzten zehn Jahre, wobei die
Entwicklungen in sterreich in einem internationalen Kontext
nachgezeichnet werden. Foltin konzentriert sich vor allem aber bei
weitem nicht nur auf Arbeitskmpfe, (queer-)feministische Debatten,
antirassistischen Aktivismus und Fragen der Stadtplanung
beziehungsweise Gentrizierung. Diese werden von Foltin nie isoliert
dargestellt, sondern dem postoperaistischen Ansatz gerecht immer
wieder in anregender Form miteinander verbunden.
In Klimawechsel knpft Foltin an das vorhergehende Kapitel an,
konzentriert sich jedoch vor allem auf Initiativen, die in
Zusammenhang mit der 2008 deutlich werdenden Finanzkrise
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entstanden, beziehungsweise auf die Reaktionen, die die Krise in
etablierten linken Bewegungen hervorrief.
Resonanzen widmet sich breiteren Protestbewegungen, die sich in
den letzten Jahren, nicht zuletzt in Zusammenhang mit derKrisensituation, entwickelt haben. Neben Beispielen aus der
antirassistischen Arbeit geht Foltin vor allem auf die studentische
Protestbewegung unibrennt ein, die sich in sterreich im Sommer
2009 zu formieren begann und binnen kurzer Zeit eine tatschlich
erstaunliche Resonanz hervorrief. Auch wenn sich die entliche
Aufmerksamkeit vor allem auf das besetzte Audimax der Universitt
Wien konzentrierte, kam es im Laufe der Proteste zu Besetzungen
von Hrslen an praktisch allen sterreichischen Universitten. Die
Bewegung war stark von direktdemokratischen Prinzipien geprgt,was sie auch fr viele nicht-studentische Aktivist_innen attraktiv
machte. Als die Proteste Anfang 2010 schlielich abebbten, waren
fr Foltin wenigstens einige Teilziele erreicht, vor allem, was die
praktische Umgestaltung der Bildungseinrichtungen betraf, die von
erweiterten Bibliotheksnungszeiten bis hin zu einem
Studierendenzentrum reichten. Forderungen, die allgemein
bildungspolitische Fragen wie die Entdemokratisierung der
Universitten, die Probleme bei der Umsetzung desBologna-Prozessesoder die Unternanzierung der Unis anbelangten, blieben jedoch
ohne greifbare Konsequenz. Die gesamtgesellschaftlichen
Forderungen sah Foltin medial (nahezu) ignoriert (S. 198f.).
Im Abschlusskapitel 2011 wird die jngste Vergangenheit in
sterreich mit den teilweise dramatischen internationalen
Entwicklungen des Jahres 2011 in Zusammenhang gebracht, etwa den
Unruhen in Griechenland oder dem sogenannten arabischen
Frhling. Eine Chronologie, die vom Mai 1999 bis zum September2011 reicht, schat am Ende des Bandes noch einmal einen berblick
ber die wichtigsten behandelten Ereignisse.
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Ein anderEin anderes sterres sterreicheich
Wir bewegen uns noch ist eine Fundgrube an Information zu linken
Diskussionen und linkem Widerstand. Dies ist nicht nur auf sterreich
beschrnkt. Foltin analysiert die sterreichische Lage immer wieder
im Kontext internationaler Tendenzen. Auch wenn die entsprechenden
Exkurse die Ereignisse in sterreich manchmal zu berschatten
drohen, sind sie hilfreich und notwendig. Zudem beinhalten sie
zahlreiche erfrischende Kommentare. In einem Verweis auf die
Strafverfolgung Julian Assanges in Schweden zieht Foltin es
beispielsweise vor, sexuelle Gewalt zu thematisieren anstatt
Konspirationstheorien auszuschlachten, was, wie sich zeigte, in der
Linken nicht als selbstverstndlich vorauszusetzen ist (S. 214).
Spannend auch die These von einem neuen Internationalismus, denFoltin unter anderem in koordinierten Aktionen und internationaler
Kommunikation besttigt sieht und mit 1968 zu vergleichen wagt
(S. 241).
Was sterreich betrit, so wird keine wichtige Kampagne der Linken
ausgelassen. Eine Auseinandersetzung mit dem Widerstand gegen die
seit 1958 als jhrlicher Sammlungspunkt extrem rechter Krfte
dienende Kriegsgedenkveranstaltung am Krntner Ulrichsberg, die
aufgrund des antifaschistischen Widerstandes seit 2009 nicht mehr inihrer traditionellen Form stattnden kann, ist ein Beispiel. Ein weiteres
ist die Darstellung der mehrjhrigen Solidarittskampagne mit den
2008 verhafteten und spter der Bildung und Mitgliedschaft in einer
kriminellen Organisation (278a) angeklagten
Tierrechtsaktivist_innen, die bis zum Mai 2011 auf ihren Freispruch
warten mussten. Zu beiden Fllen sind in der Reihe Kritik & Utopie
ausfhrliche Dokumentationsbnde erschienen: Friede, Freude,
deutscher Eintopf. Rechte Mythen, NS-Verharmlosung undantifaschistischer Protest, herausgegeben vom Arbeitskreis gegen
den krntner Konsens, sowie 278a: Gemeint sind wir alle! Der
Prozess gegen die Tierbefreiungs-Bewegung und seine Hintergrnde,
herausgegeben von Christof Mackinger und Birgit Pack (beide 2011).
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Eine kritische (trotzige) Anmerkung liegt freilich auf der Hand, wenn
ein Tiroler das Buch eines Wahlwieners rezensiert: Obwohl Foltin die
Aktivitten in den sterreichischen Bundeslndern keineswegs
ignoriert so gibt es beispielsweise einen schnen berblick ber
die gesamtsterreichische Besetzungsbewegung der letzten Jahre ,konzentriert er sich in seinen Ausfhrungen sehr stark auf die
Bundeshauptstadt Wien. Dies ist allerdings weder berraschend noch
kann es einem in Wien ansssigen Autor zum Vorwurf gemacht werden.
Vielmehr sollte es Aktivist_innen in den Bundeslndern ermutigen,
regionale Widerstandsgeschichten aufzuarbeiten. Dies wre eine
spannende Ergnzung zu den berblicksbnden Foltins, die ohne
jeden Zweifel und mit voller Berechtigung fr lange Zeit die
Grundlagentexte zu jngeren sozialen Bewegungen in sterreich
bleiben werden. Fr alle, die sich auch nur ansatzweise fr die
auerparlamentarische linke Politik sterreichs interessieren, ist ihre
Lektre unverzichtbar.
Robert Foltin 2011: Und wir bewegen uns noch. Zur jngeren
Geschichte sozialer Bewegungen in sterreich. Mandelbaum Verlag,
Wien.
ISBN: 978385476-602-5. 288 Seiten. 15.00 Euro.
[Link zum Artikel]
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RassismRassismus als Sus als Superlatiuperlativv
Wulf D. Hund
Rassismus
Von Sebastian Friedrich
Ausgehend von einer Analyse zu den zentralen Begrien der
Rassismusforschung, den historischen Entwicklungen von Rassismen
und deren Methoden und Funktionen pldiert der Autor darin fr
eine Ausweitung des Rassismusbegris.Zu Beginn fhrt Hund in
magebende Begriichkeiten ein. Anhand einer Analyse der
Geschichte des Rasse-Begris zeigt er, dass das ideologische Konzept
des Rassismus lange vor der Etablierung des Begris Rasse
entwickelt wurde, da bereits vorher unterschiedliche Grade des
Menschseins postuliert wurden. Verwendung fand der Rassebegrizunchst als klassistische Abgrenzung des Adels in der Krise des
Feudalismus, bevor er im Kolonialismus als Legitimation fr
Ausbeutung und Gewalt diente. Die Kategorien Geschlecht, Klasse,
Nation und Rasse sind in der komplexen und vielfltigen Umsetzung
und Bedeutung von Rassismus verknpft. In diesem Zusammenhang
geht Hund auf die Begrie Klassenrassismus,
Geschlechterrassismus und Nationalrassismus ein. So etwa habe
Klassenrassismus historisch unterschiedliche Formen angenommen.
In Abgrenzung zum Klassismus stellt Hund klar, dass der erhote Tod
von Teilen der Unterschichten die letzte Konsequenz des bergangs
von der klassistischen zur rassistischen Diskriminierung sei.
Den grten Raum der Analyse nimmt das Kapitel ber die Formen des
Rassismus ein. Anhand von sechs Gegensatzpaaren zeigt Hund, wie
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Rassismus durch verschiedene Legitimationsmuster geprgt ist. Diese
lieen sich durch die Gegensatzpaare Kultivierte und Barbaren,
Reine und Unreine, Erwhlte und Teufel, Zivilisierte und Wilde,
Weie und Farbige und Wertvolle und Minderwertige
kennzeichnen, die Hund einerseits charakteristisch fasst, zugleich aberdarauf aufmerksam macht, dass sie exibel miteinander kombinierbar
sind. Im darauf folgenden Kapitel wird analysiert, wie rassistische
Vergesellschaftung auf Entmenschlichung aufbaut und durch
ideologische Strategien der Dierenzierung und Inferiorisierung
legitimiert wird. Politisch umgesetzt und dargestellt werde dies mit
den Methoden der Stigmatisierung und Verkrperung.
Im letzten Kapitel fasst Hund seine Thesen zusammen und spitzt sie
zu. Da Rassismus lter als die soziale Konstruktionen von Rassen ist,sei die Bindung des Begris an die Kategorie Rasse problematisch.
Es sollten die zentralen ideologischen Muster erfasst werden. Hund
unterscheidet zwischen sozialer und rassistischer Diskriminierung:
Whrend beispielsweise die Auswahl oder Vorenthaltung von sozialen
Rumen fr Frauen Sexismus sei, drohe ein Geschlechterrassismus mit
ihrem Ausschluss aus der Gesellschaft. Rassistische Diskriminierung
ermgliche Abgrenzung, Aufwertung und Protest in einem und
stabilisiere gleichzeitig die Verhltnisse, denen sich die Motivation frihre Anwendung verdankt. Gemein sei allen Formen des Rassismus das
Bestreiten des Menschseins.
Das Buch zeichnet sich durch eine sehr ausfhrliche und
kenntnisreiche Lektre aus. Sowohl die Darstellung der vergangenen
und gegenwrtigen Debatten innerhalb der Rassismusforschung als
auch die historischen Zusammenhnge und Kontinuitten bei der
Konstruktion der verschiedenen Stereotype werden hervorragend
dargestellt. Im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Arbeiten imdeutschsprachigen Raum besticht das Buch insbesondere durch die
umfangreiche Darstellung der Forschung im englischsprachigen
Bereich. Verwirrend erscheint hingegen der Titel. Dieser suggeriert, es
handele sich bei dem Buch um eine Einfhrung in die Thematik und
Forschung des Rassismus. Dies ist jedoch nicht der Fall; Hund greift
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in die Fachdiskurse ein und schlgt ein den meisten Traditionen der
Rassismusforschung entgegen stehendes Verstndnis von Rassismus
vor.
Hund pldiert dafr, den Rassismusbegri auf andereAusschlieungsformen zu bertragen und das Eliminatorische als
entscheidendes Merkmal fr Rassismus anzusehen. In dieser Logik
muss Rassismus als Steigerung von spezischen
Unterdrckungsformen verstanden werden; Rassismus
gewissermaen als Zusatzbegri, um das bertreten der Schwelle
von Diskriminierung zu (vernichtender) Ausschlieung zu bezeichnen.
Wie soll es aber nach Hund bezeichnet werden, wenn Menschen zu
einer Kultur oder einer Ethnie konstruiert werden? Konsequent
msste von Kulturalismus und Ethnizismus als weiche Form derUnterdrckung gesprochen werden und Kultur-Rassismus und Ethno-
Rassismus als eliminatorische Form. Damit wren die Konstruktionen
und Wertungen von Ethnien und Kulturen an sich nicht rassistisch.
Auf der politischen Ebene ergibt sich dadurch eine Verschiebung der
Grundlage, auf der empowernde Kmpfe von People of Color und
Schwarzen Menschen stattnden. Wenn Rassismus die Steigerung der
Ausgrenzung ist, also aus Klassismus und Sexismus Klassen-Rassismus
und Geschlechter-Rassismus werden kann, wird Rassismus schnell zueinem inationren