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Insuffizienzfrakturen des Beckens Was der Hausarzt wissen sollte Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. med. Reto Babst Klinikleiter Orthopädie und Unfallchirurgie, Chefarzt Unfallchirurgie Dr. med. Björn-Christian Link, LA Unfallchirurgie 12. Frühlingszyklus Departement Medizin

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie · Geringe (inadequate) Krafteinwirkung, welche zu einer Fraktur, aufgrund «fragiler» ungenügender Knochenqualität (Osteoporose oder

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Insuffizienzfrakturen des Beckens

Was der Hausarzt wissen sollte

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Prof. Dr. med. Reto Babst Klinikleiter Orthopädie und Unfallchirurgie, Chefarzt Unfallchirurgie

Dr. med. Björn-Christian Link, LA Unfallchirurgie

12. Frühlingszyklus Departement Medizin

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Outline

2

Definitionen

Inzidenz

Klinik

Diagnostik

Therapie

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Definitionen

Ermüdungsfraktur Dauerhafte Überlastung durch eine Kraft, welche den Knochen nicht spontan brechen lässt,

sondern sich schleichend entwickelt «Schleichend»: Mikrofraktur – Riss – Fraktur Zunehmender belastungsabhängiger Schmerz, Funktion wenig eingeschränkt

Stressfraktur: Dauerhafte Ueberlastung von gesundem Knochen Repetitive Belastung (Leistungs-/Laufsportarten 70%, 20% sportmedizinischen Krankheitsbilder)

Insuffizienzfraktur: Dauerhafte Ueberlastung von erkranktem Knochen Osteoporose, rheumatoide Arthritis, Rachitis, Steroide) Der Knochen hält der normalen Belastung nicht mehr Stand

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Insuffizienzfraktur Fragilitätsfraktur

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Insuffizienzfraktur

5

Insuffizienz

Schleichend auftretende belastungsabhängige Schmerzen re Leiste

M.E. f 90 y

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Fragilitätsfraktur

6

Geringe (inadequate) Krafteinwirkung, welche zu einer Fraktur, aufgrund «fragiler»

ungenügender Knochenqualität (Osteoporose oder anderer Knochenerkrankung) führt

B.M. f 82y

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Demographie CH

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Demographie Kantons Luzern

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Inzidenz

9

Jahr Inzidenz

1970 20/100’000

1997 95/100’000

Patienten >80 Jahre; minimal Trauma Patienten

1970 35’421

2002 134’327

1. Kannus P et al. Osteoporosis Int. 2000

2. Kannus P et al. Osteoporosis Int. 2005

~x 4

Gründe

Sensibilisierung für Osteoporose

Lebenserwartung

bessere Bildgebung

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Symptome

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Lumbale Schmerzen

Gesässschmerzen (einseitig, beidseitig)

Leistenschmerzen

Belastungsabhängig

schleichende Abnahme der Gehfähigkeit

plötzlicher Schmerz nach minimalem Trauma

Risikofaktoren:

Alter > 60 Jahre, weiblich

Osteoporose

Steriodmedikation, Vitamin D Mangel

Rheumatoide Arthritis, Bestrahlung

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Symptome

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N = 67 ; 54 Frauen (80.4%), 13 Männer (19.6%) 1)

Alter: 87.5 Jahre (65-96)

LOS 45±35 Tage

Mortalität 1 Jahr: 10.4%

1. Alnaib M et al J Orthopaed Traumatology 2012

Klinik Isolierter

Schambeinast

N= 28

Kombination

Schambeinast+Sakrum

N= 33

Isoliertes

Sakrum

N= 6

Hüftschmerz/-spannung 28 33 1

Lumbale Schmerzen oder

Spannung 6 33 6

Unfähigkeit Bein von Unterlage

abzuheben 26 33 2

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Diagnostik

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MRI:

45 Patienten (95%) Sakrumfraktur

N= 50 Schambeinastfrakturen im

Rx Becken

45 Frauen; 5 Männer

Kosker TDA et al. Acta Orthopedica 2005

Isolierte Schambeinastfraktur im Rx

Schmerzen bei Palpation Sakrum

>90% Sakrumfraktur (CT/MRI)

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Diagnostik

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Klinik: Belastungsschmerz

Rx: Becken ap (Inlet/outlet)

Dorsale Palpation schmerzhaft oder Pat kaum mobilisierbar

CT (DECT) oder MRT, Tc-Szintigraphie (48-72 h)

DD:

Osteomyelitis

Knochenmetastase

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Dual energy CT (DECT)

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Hackenbroch C et al Z Orthop Unfall 2017

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Therapie

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Bettruhe

Mobilisationsversuch unter Analgetikatherapie

Paracetamol, Novalgin, Opioide

NSAR ? (Hemmung der Ostoeoplastentätigkeit)

Cacitonin

Calcium und Vitamin D Substitution

Antiresorptive und Knochenanabole Medikamente (PTH, SERMS)

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Funktion und Mortalität nach Insuffizienzfrakturen des Beckens

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N= 60 Geriatrischer Liasonservice

Alter 83 (±7.1) Jahre

Taillandier J et al. Joint Bone Spine 2003

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Keshari P et al. J Family Community Med. 2017;24(2)

Negative Effekte von mangelnder Mobilisation / Belastung

Verlust von Knochen-, Muskelmasse und Koordinationsvermögen

Dekubitus, Pneumonie, Delir etc.

Verlust von Unabhängigkeit

Pat. > 60j

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B.M f 89 y. Rollatormobil. 30.08.18 Sturz im Bad

Dx: Schambeinastfraktur, Mobilisation mit Analgetika

Schmerzzunahme dorsal, zunehmende Gehunfähigkeit CT 20.09.18.

8 W postop

ab 1. postop Tag Rollatormobil

Fragilitätsfraktur Progression zur Insuffizienzfraktur

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• Analgesie

• Heilung ermöglichen

• Wiederherstellung der

Funktion

Foto: Marit Solveig Nedrebø Bjørvik

«Mobilisierbarkeit»

Ziel der Behandlung beim alten Menschen

Belastbarkeit

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Rationale der chirurgischen Therapie

Bewusstsein für negative Auswirkungen von Immobilisation

starker Anstieg der Inzidenz von Fragilitäts-/Insuffizienzfrakturen

technische Innovationen, minimalinvasive Techniken

Reduktion operatives Risiko

Kannus P et al. Calcif Tissue Int. 2015 Dec;97(6): 577-80

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Rommens PM et al; Injury 2013

Minimalinvasive Frakturversorgung

Stabilität geht über anatomische

Rekonstruktion

postoperative Vollbelastung erlaubt

Prinzipien der operativen Versorgung von Fragilitätsfrakturen des Beckens (FFP)

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Minimalinvasive Zugänge Zementaugmentation von Schrauben

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Hybrid Operationssaal

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Hybrid Operationssaal

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Behandlung

??

konservativ ?

S.E.94y f

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10 Tage später

weiterhin

immobilisierende

Schmerzen

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1 Monat später

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perkutane Schrauben-

osteosynthese

unmittelbare postop.

Vollbelastung

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6 Wochen postop

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Fallbeispiel

▪ Patientin, 88 Jahre

▪ Ausgerutscht auf Glatteis

▪ keine Schmerzen über Sakrum

▪ Rx: Undislozierte untere und obere

Schambeinastfraktur links

▪ Prozedere: Analgesie und Mobilisation

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Fallbeispiel

1 Monat später immobilisierende Schmerzen ohne erneutes Sturzereignis

jetzt Druckschmerzen über Sakrum bds.

CT: Nicht dislozierte Frakturen der Massa

sacralis lateralis beidseits

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Fallbeispiel

Perkutane Schraubenosteosynthese Sakrum und oberer Schambeinast links im

Hybrid OP

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Wann, welche Therapie?

Klassifikation FFP (vereinfacht)

Typ I Typ II

Typ III Typ IV

Rommens PM et al. Injury 2013

operativ

Mobilisation trotz Analgesie nicht möglich konservativ

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Resultate LUKS (Hybrid Op)

Komplikationrate 14% Zementleckage 4

Schraubenlockerung trotz Zement 2

Reoperationsrate 7% Zusätzliche Sakrumschraube 2

Entfernung gelockerte Schraube 1

Rollatorfähigkeit postop 43/44

N = 43 (W: 37, M: 6)

Alter = 82 (51-98)

SI Schrauben 1.79 (1-4)

Zeit Symptombeginn bis 0P 10 Tage (1-76)

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Take home message

Inzidenz für Insuffizienz + Fragilitätsfrakturen am Becken

Klinik:

Belastungsschmerzen vorderer + hinterer Beckenring

pathognomonisch Gehbehinderung, Progression von

Fragilitätsfraktur zu weiteren Insuffizienzfrakturen möglich

Diagnostik:

Vorderer Beckenring: Konventionelles Rx

Hinterer Beckenring: CT (DECT), MRT, Scinti

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Take home message

Therapie: Rasche Wiedererlangung der Mobilität (Rollator) Vorderer Beckenring: Konservativ Vorderer+Hinterer Beckenring schmerzkompensierte Mob.

möglich: konservativ Vorderer+Hinterer Beckenring mit Gehunfähigkeit oder

Bilateral: operativ

Minimalinvasive (navigierte) Verfahren minimale Morbidität

Sofortige Belastbarkeit

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