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Universität Potsdam Institut für Politikwissenschaft B.A.-Studiengang Teilstudiengang Politik und Verwaltung Erstgutachter: Prof. Dr. Malcolm H. Dunn Zweitgutachter: Dr. Markus Lederer Thema der Abschlussarbeit: Kreditverbriefungen als Finanzinstrument und Teilursache der Weltwirtschaftskrise Verfahren und volkswirtschaftliche Auswirkungen, am Beispiel des Immobilienmarktes in den USA Sommersemester 2009 6. Fachsemester Matrikel-Nummer: 747544 Daniel Förster Ahornweg 3 14728 Rhinow Telefon: 0163 / 8564188 E-Mail: [email protected] Anzahl der Wörter: 12.177

Kreditverbriefungen Als Finanzinstrument Und Teilursache Der Weltwirtschaftskrise v1.01

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Universität Potsdam

Institut für Politikwissenschaft

B.A.-Studiengang

Teilstudiengang Politik und Verwaltung

Erstgutachter: Prof. Dr. Malcolm H. Dunn

Zweitgutachter: Dr. Markus Lederer

Thema der Abschlussarbeit:

Kreditverbriefungen als Finanzinstrument und Teilursache der

Weltwirtschaftskrise

Verfahren und volkswirtschaftliche Auswirkungen, am Beispiel des Immobilienmarktes in den

USA

Sommersemester 2009

6. Fachsemester

Matrikel-Nummer: 747544

Daniel Förster

Ahornweg 3

14728 Rhinow

Telefon: 0163 / 8564188

E-Mail: [email protected]

Anzahl der Wörter: 12.177

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2

2. Kreditverbriefung als Finanzinstrument 5

2.1. Grundlegende Definitionen 5

2.2. Verfahren und Varianten der Kreditverbriefung 7

2.3. Volkswirtschaftliche Implikationen der Kreditverbriefung 12

als Finanzinstrument

2.3.1. Risikominimierung, Gewinnmaximierung, 12

Stimulierung der Wirtschaft

2.3.2. Ausweitung des Kreditvolumens und sinkende 14

Ansprüche an die Bonität der Kreditnehmer

2.3.3. Kreditverbriefung und die Finanzmarktstabilität 17

2.3.4. Zusammenfassung 21

3. Die Kreditverbriefung als Teilursache der Weltwirtschaftskrise 23

3.1. Exkurs: Überblick über den Verlauf der Weltwirtschafts- 24

krise bis Juli 2009

3.2. Die amerikanische Immobilienkrise als Phänomen von 26

beispielhafter Bedeutung

3.2.1. „Irrationaler Überschwang“ und Kredit-Schwemme 27

3.2.2. Das Absenken der Kreditvergabe-Standards und der 30

Boom von Subprime Loans

3.2.3. Die Krise des Finanzsystems als Konsequenz 32

massenhafter Forderungsausfälle und dem Platzen der

Immobilienblase

3.3. Fazit: Empirische Betrachtung zur Kreditverbriefung als 34

Krisenfaktor

4. Kreditverbriefung – sinnvolles Instrument des Finanzmarktes 38

oder systemisches Risiko für eine Marktwirtschaft?

5. Quellenangaben 40

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1. Einleitung Etwa zwei Jahre ist es nun her, dass die ersten Anzeichen für eine Immobilien-,

Banken-, Finanzmarkt- und letztendlich Weltwirtschaftskrise auch für Laien ersichtlich

wurden. Was mit einem enormen, wenn auch keineswegs beispiellosen Anstieg der

Immobilienpreise in den USA begann, führte zu den heutigen Verwerfungen auf den

weltweiten Finanzmärkten und innerhalb aller Volkswirtschaften. Kein Staat der Erde

bleibt gänzlich unberührt von diesem „Finanzbeben“, dessen Epizentrum sich in den USA

befand, das sich aber nun insbesondere nach Europa und Asien fortgepflanzt hat.

Betrachtet man die schwerwiegenden Beeinträchtigungen für die äußerst

komplexen Märkte der Weltwirtschaft, so stellt sich die Frage, welche Umstände in

Zusammenhang mit einer „simplen“ Immobilienkrise derartige Auswirkungen hervorriefen

und dies weiterhin tun. Der teilweisen Beantwortung dieser Frage widmet sich auch diese

Arbeit, indem sie das Finanzinstrument der Kreditverbriefung darstellt und auf seine

mögliche Rolle als Krisenfaktor hin analysiert. Ich gehe dabei von der Annahme aus, dass

die aktuelle Kreditverbriefungspraxis, speziell der Bereich der verbrieften

Hypothekenkredite, eine Teilursache der momentanen Krise ist. Hauptsächlich ist dabei

das Ausmaß zu untersuchen, in dem die Entwicklung einer derart heftigen und somit

ungewöhnlichen Krise durch dieses Finanzmarktinstrument bedingt ist.

Ausgehend von meiner Annahme lautet meine Forschungsfrage, warum

Kreditverbriefungen einen Einfluss auf die Entstehung der aktuellen Wirtschaftskrise

hatten. Im Rahmen dieser Frage muss auch darauf eingegangen werden, wie dieser

Einfluss aussieht und ob das Ergebnis auf andere Fälle übertragen werden kann. Prinzipiell

wäre es nämlich möglich, dass besondere Umstände die Nutzung von Kreditverbriefungen

erst zu einem Krisenfaktor gemacht haben. Die theoretische Betrachtung meiner

Fragestellung wird jedoch plausibel machen, dass das Nutzen von Kreditverbriefungen auf

Finanzmarktebene eine Bildung sogenannter Kredit- und Spekulationsblasen fördert.

Darüber hinaus kann man sogar davon sprechen, dass die Verbriefungspraxis generell eine

hinreichende Bedingung für Kreditblasen darstellt bzw. bei Multikausalität einer Blase

beschleunigend und verstärkend wirkt.

Dazu möchte ich zwei Gegenthesen zu den von der klassischen Wirtschaftstheorie

genannten Funktionen und Auswirkungen der Kreditverbriefung formulieren, die diese

Einschätzung erwarten lassen.

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1.) Kreditverbriefung als Finanzmarktinstrument führt tendenziell zur höchstmöglichen

Ausweitung des Kreditvolumens.

2.) Kreditverbriefung führt tendenziell zum größtmöglichen Absenken der Ansprüche

an die Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer.

Die Hintergründe dieser Thesen sind natürlich sowohl theoretisch zu erklären wie

auch empirisch plausibel zu machen, vor allem da sie nicht ganz voraussetzungsfrei sind.

Deshalb werde ich zuerst die Kreditverbriefung in ihren verschiedenen Varianten

vorstellen und auf die Rollen eingehen, die ihr üblicherweise zugeschrieben werden. Im

Gegensatz zu bisherigen Theorien werde ich allerdings einige Aspekte stärker

herausstellen, die bisher eher am Rande erwähnt wurden, um zu zeigen, dass meine beiden

Thesen eine plausible Grundlage haben. Dabei werde ich eine systematische

Argumentationslinie aufbauen, die dies nachvollziehbar macht.

Meine theoretischen Ausführungen werde ich dann näher erläutern, und zwar

anhand der Immobilienkrise auf dem US-Hypothekenmarkt. Ziel dieser Erläuterung ist die

empirische Fundierung meiner theoretischen Argumentation. Gleichzeitig muss beachtet

werden, dass die Immobilienkrise nur ein einzelner Referenzfall ist. Dennoch soll klar

werden, welche Auswirkungen massive Kreditausfälle auf das (internationale)

Finanzsystem haben. Dass der Handel mit Kreditverbriefung genau diese massenhaften

Kreditausfälle hervorruft und ihre Auswirkungen verstärkt, wird während meiner

Argumentation deutlich werden. Diese neuen Finanzmarktinstrumente übertreffen in ihrer

Wirkung traditionelle Instrumente (Blasen gab es immerhin schon lange vor der

Entwicklung der Kreditverbriefung), vor allem da die zu erwartenden Verluste weitaus

weniger sicher in Höhe und Verteilung eingeschätzt werden können. Gerade die

Unsicherheit, wie viele Kredite von wem in einer derartigen Krise abgeschrieben werden

müssen, ist eine wesentliche Folge der extensiven Kreditverbriefung und lähmt das

Finanzsystem zusätzlich. Nicht umsonst wurden Kreditderivate von dem extrem

erfolgreichen Investment-Manager Warren Buffet bereits 2002 als „financial weapons of

mass destruction“1 bezeichnet. Doch zu den Grundlagen dieser Einschätzungen

ausführlicher im Hauptteil.

Abschließend werde ich noch einmal zusammenfassend die Folgen beleuchten,

die der Einsatz von Kreditverbriefungen mit sich bringt. Wie auch schon teilweise im

1 „In our view, however, derivatives are financial weapons of mass destruction, carrying dangers that, while now latent, are potentially lethal.” Buffet, Warren: 2002 Annual Report, Berkshire Hathaway Inc. 2003, S.16.

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Hauptteil wird klar werden, dass man an das Thema nicht mit einem „wissenschaftlichen

Tunnelblick“, sondern interdisziplinär herangehen muss. Somit werde ich, abseits von

reinen Wirtschaftstheorien, auch kurz politische Konsequenzen anführen, die in Anbetracht

der Ergebnisse dieser Arbeit zu ziehen sind. Ob diese Anforderungen an das Politik- und

Wirtschaftssystem auch durchsetzbar sind, ist allerdings eine Frage der Machtverhältnisse

zwischen beiden Systemen und bietet Raum für eine eigene, umfassende

politikwissenschaftliche Auseinandersetzung.

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2. Die Kreditverbriefung als Finanzinstrument In diesem Kapitel gehe ich vor allem auf theoretische Aspekte und Fragen ein, die

für meine Arbeit wichtig sind. Zuerst werde ich Definitionen bzw. Erklärungen der

wichtigsten Begriffe geben, die besonders für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler nötig sind,

da die meisten Fachbegriffe naturgemäß aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bereich

kommen. Danach werde ich verschiedene Arten von Kreditverbriefungen vorstellen und

ihre Funktionsweise verdeutlichen. Dies ist zentral, um im darauf folgenden Abschnitt

einerseits die Bewertung von Kreditverbriefungen in der Volks- und vor allem

Betriebswirtschaftslehre nachvollziehen zu können. Andererseits basieren natürlich auch

meine Gegenthesen auf dem Verständnis der Funktionsmechanismen des Kredit- und

Derivatehandels.

2.1. Grundlegende Definitionen Zwischen Kreditverbriefungen und Kreditderivaten existiert ein wichtiger

Unterschied. Beides sind Instrumente des Risikomanagements von Kreditinstituten, welche

sich möglichst umfassend gegen Kreditrisiken in ihren Bilanzen absichern wollen.2 Im

Gegensatz zu klassischen Instrumenten des Risikomanagements wie z.B. der

Kreditversicherung sind Verbriefungen und Derivate für den Kapitalmarkthandel

konstruiert – sie sind ein Konstrukt, um Kredite handelbar zu machen.3 Während nun

Kreditverbriefungen auf den tatsächlichen Krediten und den entsprechenden Sicherheiten

(z.B. der Hypothek bei einem Immobilienkredit) basieren, sind Derivate eine Spezialform

der Verbriefungen. Dennoch müssen sie – wie die Forschung dies auch durchgehend tut –

als eigenständiges Finanzinstrument klassifiziert werden. Dies wird aus den folgenden

Definitionen ersichtlich:

2 „Das Kredit- oder Ausfallrisiko beschreibt die Gefahr eines Verlustes aufgrund einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit mit der Folge eines niedrigeren Marktwertes des Titels bis hin zu dessen Ausfall bei Konkurs, Insolvenz oder Zahlungsverzug des Debitoren.“ (Kässbohrer, Thomas: „Kreditderivate. Konstruktion, Bewertung, Nutzung.“, Diplomarbeit an der Universität Konstanz, 1998, S. 4, auf: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/1999/160/pdf/160_1.pdf, zuletzt eingesehen am 05.07.2009). Ich verwende die Begriffe Kredit- und Ausfallrisiko im Folgenden deckungsgleich. 3 Zwar konnten bereits vorher Kredite vom ursprünglichen Kreditgeber gehandelt werden, allerdings wurde dies nicht auf dem Finanzmarkt getan und war ausgesprochen umständlich. Der Handel wurde entweder direkt zwischen zwei Beteiligten (Käufer waren vor allem institutionelle Anleger wie z.B. Pensionsfonds) oder über eine spezielle (Auktions-)Plattform abgewickelt. Für weitere Informationen zu diesem Aspekt des Kredithandels vgl. Rudolph, Bernd / Hofmann, Bernd / Schaber, Albert / Schäfer, Klaus: „Kreditrisikotransfer. Moderne Instrumente und Methoden“, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2007, S. 18ff.

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Kredite werden auf dem Finanzmarkt handelbar, indem üblicherweise mehrere

von ihnen gebündelt und zu einem Portfolio4 zusammengefasst werden, welches dann

wiederum mit Wertpapieren unterlegt wird. Diese Konstruktion wird Verbriefung genannt,

der Vorgang allgemein mit dem englischen Begriff „Securitization“ bezeichnet.5 Meist

wird die Verbriefung nicht direkt vom ursprünglichen Kreditgeber vorgenommen,

stattdessen werden die Kredite vorher an eine Investmentbank, die hauseigene

Investmentsparte bzw. an einen Hypothekenfinanzierer verkauft. Bei der dort

durchgeführten Verbriefung gehen die Kredit- und Zinsforderungen sowie das Kreditrisiko

anteilig auf den Käufer der Wertpapiere über, ohne dass dabei jedoch der Vertrag zwischen

ursprünglichem Kreditgeber und Kreditnehmer geändert wird. Stattdessen befindet sich der

ursprüngliche Kreditgeber jetzt in einer Art Vermittlerrolle zwischen Kreditnehmer und

Verbriefungsinhaber.

Im Gegensatz dazu zielen Kreditderivate darauf ab, nicht den gesamten Kredit,

sondern nur das Kreditrisiko zu handeln. Kreditderivate sind eine Unterkategorie von

Finanzderivaten, bei denen der Wert des Derivats vom Wert eines anderen

Finanzinstruments (z.B. einer Aktie, einer Anleihe, einem Zinssatz oder auch eines

weiteren Derivats etc.) abhängt.6 Der Wert des Kreditderivats hängt somit also vom Wert

eines Kreditportfolios beziehungsweise eines anderen Kreditderivats ab und wird vor allem

vom Ausfallrisiko bestimmt. Gleichzeitig sind Kreditverbriefungen Voraussetzung für

Kreditderivate, da normale Kredite nicht am Finanzmarkt handelbar sind und somit keine

Finanzinstrumente darstellen. Letztendlich werden den entsprechenden Abnehmern dafür,

dass sie das Ausfallrisiko eines Kredites übernehmen, entsprechende Risiko-Prämien

gezahlt – eine finanzmarktorientierte Art der Kreditversicherung.7

Prinzipiell kann man zwischen den „True Sale“-Verbriefungen und den

synthetischen Verbriefungen unterscheiden. Mit diesen beiden Begriffen wird dargestellt,

ob entweder vollständige Kredite oder nur das Kreditrisiko gehandelt werden.8

4 Ein Portfolio bezeichnet in diesem Fall also mehrere gebündelte Kredite. Es ist jedoch eine allgemeine Bezeichnung, die für die Gesamtheit der Investitionen jedweder Art (z.B. Aktien oder Anleihen) benutzt wird, die im Besitz einer juristischen Person stehen. 5 Vgl. „Securitization“, auf: http://www.wirtschaftslexikon24.net/d/securitization/securitization.htm. 6 Vgl. Cremers, Heinz / Walzner, Jens: „Frankfurt School – Working Paper Series No. 80. Risikosteuerung mit Kreditderivaten unter besonderer Berücksichtigung von Credit Default Swaps”, S. 8f. 7 Vgl. auch die Definition von Kreditderivaten und die entsprechenden Literaturverweise in Kässbohrer 1998, S. 3. 8 Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2004, S.29. Zudem ist die Beziehung zwischen Kreditnehmer und dem „Sicherungsgeber“ für das Risiko nur indirekt, da sie über den Kauf des Risikos konstruiert wird. Faktisch stehen beide nur mit dem originären Kreditgeber (der Bank) in einer direkten Beziehung.

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2.2. Verfahren und Varianten der Kreditverbriefung Es gibt viele verschiedene Arten, wie bei der Verbriefung von Krediten

vorgegangen werden kann. Ich möchte zuerst auf die Verbriefungen im eigentlichen Sinne

eingehen, danach kurz auf die Derivate.

Kreditverbriefungen werden allgemein als sogenannte Asset Backed Securities

(ABS) bezeichnet. Die Deutsche Bundesbank definiert sie wie folgt: „Unter dem Begriff

Asset-Backed Securities (ABS) sind Wertpapiere oder Schuldscheine („securities“, Anm.

d. Autors) zu verstehen, die Zahlungsansprüche gegen eine ausschließlich dem Zweck der

ABS-Transaktion dienende Zweckgesellschaft zum Gegenstand haben. Die

Zahlungsansprüche werden durch einen Bestand unverbriefter Forderungen ("assets")

gedeckt ("backed"), die auf die Zweckgesellschaft übertragen werden und im wesentlichen

den Inhabern der Asset-Backed Securities (Investoren) als Haftungsgrundlage zur

Verfügung stehen.“9 Es können alle denkbaren Forderungen unter den ABS verbrieft

werden, so z.B. Forderungen aus Immobilienkrediten, Kreditkartenschulden oder

Leasingverträgen, aber auch Lizenz- oder Patenteinnahmen.

Das Verfahren, mit

dem man derartige

Forderungen verbrieft, um sie

auf dem Finanzmarkt

handelbar zu machen, beruht

bei allen Varianten der ABS

auf dem gleichen Prinzip.10

Zuerst wird durch das

verbriefende Geldinstitut ein

Pool der verschiedenen Forderungen gebildet, die zum Verkauf angeboten werden sollen.11

Normalerweise besteht solch ein Forderungspool aus sehr vielen Einzelforderungen.12

Dieser Pool wird nun als gesamtes Paket an eine bereits bestehende oder eigens für diesen 9 Vgl. Deutsche Bundesbank, Rundschreiben April 1997: „Veräußerung von Kundenforderungen im Rahmen von Asset-Backed Securities-Transaktionen durch deutsche Kreditinstitute“. 10 Vgl. Abbildung „How securitization works“, Quelle: Jobst, Andreas: „What is securitization?“, http://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2008/09/basics.htm, zuletzt eingesehen am 26.07.2009. 11 Welche Forderungen den Pool bilden, wird entweder zu Beginn festgelegt oder entscheidet sich bei späteren Veränderungen anhand bestimmter Kriterien. Es wäre beispielsweise denkbar, dass nur Forderungen aus Immobilienkrediten einen Pool bilden etc. Der Unterschied zwischen Pool und Portfolio besteht darin, dass ein Pool speziell ausgewählte Forderungen umfasst, die Teilmenge eines Portfolios sein können, aber theoretisch auch verschiedene Portfolios umfassen kann. 12 Die Gründe dafür finden sich v.a. in den Transaktionskosten (vgl. Rudolph et al. 2007, S. 47).

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Zweck neu zu gründende Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle, SPV) verkauft, die

dafür den Verkaufspreis erstattet. Danach bietet die Zweckgesellschaft wiederum den

Forderungspool „Over-The-Counter“ 13 oder auf dem Finanzmarkt zum Verkauf an, indem

sie Anteilsscheine (Anleihen) an diesem Forderungspool oder auch an der

Zweckgesellschaft selbst ausgibt.14 Damit ein Verkauf direkt auf dem Finanzmarkt

erfolgreich ist, sollte allerdings auch ein Rating der verbrieften Kreditforderungen erstellt

werden, welches die Qualität der Kredite transparent machen soll.15 Ein nicht vorhandenes

Rating schreckt potentielle Käufer ab, da das Kreditausfallrisiko unklar bleibt und nur vom

Emittenten realistisch eingeschätzt werden kann.

Eine Variante der ABS sind die Mortgage Backed Securities (MBS). Hier sind

speziell Immobilienkredite als „assets“ verbrieft, die mit Hypotheken abgesichert werden.

Man kann die MBS noch einmal in gewerbliche (commercial, CMBS) und

wohnungsmarktbezogene (residential, RMBS) Kredite aufteilen, wobei die RMBS

insgesamt das größere Segment bilden.16 MBS werden generell durch Hypotheken auf

einem Prime- und einem Subprime-Markt besichert. Folgende Definition trifft die

Unterschiede gut: „Subprime borrowers are generally riskier, more heterogenous, can post

less collateral, and have shorter or worse credit histories (if any) than their prime

counterparts.”17 Prime-Kredite gelten also als verlässlich und kaum gefährdet, was das

Kreditausfallrisiko angeht.18 Ich erwähne diese Unterscheidung explizit, weil die

Subprime-Kredite die Kreditvariante bilden, die durch überdurchschnittliche Ausfallraten

als Ursache der US-Immobilienkrise – und als deren Konsequenz auch der

Weltwirtschaftskrise – gelten. Darauf werde ich jedoch im Analyseteil genauer eingehen.

13 „Over-The-Counter“ bedeutet, dass eine finanzielle Transaktion nicht über die Börse läuft, sondern direkt zwischen zwei Händlern stattfindet. 14 Für eine detailliertere Beschreibung der Funktionsweise von Zweckgesellschaften vgl. Rudolph et al. 2007, S. 44. 15 Vgl. Bär, Hans Peter: Asset Securitisation: Die Verbriefung von Finanzaktiven als innovative Finanzierungstechnik und neue Herausforderung für die Banken”, Bern 2000, S. 229. 16 Vgl. Rudolph et al. 2007, S. 38f. 17 Dell’Ariccia, Giovanni / Igan, Deniz / Laeven, Luc: „Credit Booms and Lending Standards: Evidence from the Subprime Mortgage Market“, IMF Working Paper 08/106, April 2008, S. 4. Für eine verständliche und relativ ausführliche Umschreibung vgl. Wagenknecht, Sarah: „Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft“, Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH, Berlin 2009, S. 16. 18 Kredite, die sich im Zwischenbereich beider Marktsegmente befinden, werden Alt-A-Kredite (Alternative A) genannt. Vgl. auch Kiff, John / Mills, Paul: „Money for Nothing and Checks for Free: Recent Developments in U.S. Subprime Mortgage Markets”, IMF Working Paper 07/188, S. 3: “So-called “Alt-A” loans fall into a gray area between prime and subprime mortgages. These began as more flexible alternative to prime loans, mainly for borrowers who met all of the credit score, […] but did not provide full income documentation.”

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Eine weitere, komplexere Variante der ABS sind die Collateralized Debt

Obligations (CDO). Sie haben ebenfalls einen Forderungspool zur Grundlage, der

typischerweise bei einer Zweckgesellschaft liegt. Es werden jedoch nicht einfach

Anteilsscheine ausgegeben, stattdessen werden die im Pool befindlichen Kredite vor dem

Verkauf strukturiert. Für gewöhnlich werden sie in drei Tranchen aufgeteilt, die sich vor

allem hinsichtlich der Sicherheit des Investments unterscheiden und sich an dem

erwarteten gesamten Kreditausfall im Pool orientieren.19 Sie werden Senior-, Mezzanine-

und Junior- bzw. Equity-Tranche genannt. Diese Tranchen werden in eine Rangfolge

gebracht, anhand derer sie mit Hilfe der Zins- und Tilgungszahlungen der Kreditnehmer

bedient werden, wobei die Senior-Tranche zuerst und die Equity-Tranche zuletzt bedacht

wird. Erst wenn eine höherrangige Tranche vollständig bedient wurde, die entsprechenden

Investoren also ihren „Einsatz“ plus Zinsen zurückerhalten, erhalten die Investoren der

nächsten Tranche ihr Geld. Dabei ist es gleichgültig, welche Kredite im Einzelnen

ausfallen, nur der Anteil am gesamten Forderungspool zählt.

Ich möchte das mit einem konkreten Beispiel verdeutlichen: Man stelle sich einen

Pool aus US-amerikanischen Hypothekenkrediten vor. Wenn das durchschnittliche

Kreditausfallvolumen im Hypothekenmarkt bei zwei bis drei Prozent liegt, könnte man die

Equity-Tranche beispielsweise mit einem Anteil von drei Prozent am gesamten Pool

modellieren. Somit würden alle Investoren der Equity-Tranche leer ausgehen, sollten

tatsächlich drei Prozent der Kredite im Forderungspool ausfallen. Diese Tranche ist also

extrem unsicher. Da die potentiellen Investoren aber natürlich eine dem Ausfallrisiko

angemessen hohe Verzinsung ihrer Investition erwarten, könnten diese z.B. bei 20 Prozent

liegen. Die Mezzanine-Tranche dagegen würde für einen niedrigeren Zinssatz an

Investoren verkauft werden, da ein Ausfallrisiko hier zwar vorhanden, aber sehr viel

geringer ist. Es wäre vorstellbar, dass diese Tranche ein Poolvolumen von 12 Prozent und

eine Verzinsung von 8 Prozent bieten könnte – es müssten also erst 15 Prozent aller

Kredite ausfallen, bevor jeder Investor der Mezzanine-Tranche leer ausgehen würde. Die

Senior-Tranche mit 85 Prozent des gesamten Volumens der CDO gilt nun als sicher.

Deshalb liegt der Zinssatz hier relativ niedrig, vorstellbar wären vier Prozent. Zudem wäre

das Rating sehr gut und läge aufgrund der Risikoeinschätzung wahrscheinlich auf gleicher

Ebene mit dem Rating von Staatsanleihen und ähnlichen Anlagemöglichkeiten. Dass in

normalen Zeiten mehr als 15 Prozent der Kredite eines Pools ausfallen, ist beinahe

undenkbar. 19 Bei „normalen“ Hypothekenkrediten in den USA lag die Ausfallrate zwischen 1 und 3 Prozent des Gesamtpools.

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Woher kommt nun das Geld, um die Investoren auszuzahlen? Die Zins- und

Tilgungszahlungen der Kreditnehmer werden vom ursprünglichen Kreditgeber bis zur

Zweckgesellschaft weitergegeben. Dort werden sie angesammelt, um davon die eigenen

laufenden Kosten sowie die vereinbarten Zinsen für die Investoren zu bezahlen. Insgesamt

sind die CDOs oftmals so konstruiert, dass dabei am Ende noch ein Gewinn für die

Zweckgesellschaft steht. Hier wird auch von sogenannten Arbitrage-CDOs gesprochen,

weil aus der Differenz der unterschiedlichen Zinssätze für Kreditnehmer und Investoren

Kapital geschlagen wird.20 Die Zinsen, die die Investoren erhalten, werden also so

berechnet, dass sie insgesamt niedriger sind als die Zinseinnahmen der Zweckgesellschaft

aus den Kreditforderungen.

Wie bereits angeführt sind Kreditderivate

eine Art finanzmarktorientierter, handelbarer

Kreditversicherung, bei der das Ausfallrisiko auf

unterschiedliche Art ganz oder teilweise

weiterverkauft wird. Die klassische und mit

Abstand bedeutendste Form der Kreditderivate

sind die Credit Default Swaps (CDS).21 Bei den

CDS verpflichtet sich der Käufer, im Falle eines

vorher festgelegten Kreditereignisses

(normalerweise bei Zahlungsunfähigkeit, denkbar sind aber auch Zahlungsunwilligkeit,

verfrühte Rückzahlung etc.) einen finanziellen Ausgleich zu leisten.22 Die Prämie, die er

dafür erhält, richtet sich nach dem Risiko, dass das entsprechende Ereignis eintritt –

meistens also nach dem Kreditausfallrisiko. Dieses Risiko ist jedoch nicht so gut

einzuschätzen wie bei den ABS, da Kreditderivate kaum offen am Markt gehandelt werden

und deshalb nur selten (z.B. bei bekannten Unternehmen) vergleichbare Ratings und

Marktwerte existieren.23

20 Vgl. u.a. http://www.creditflux.com/Glossary/Arbitrage-CDO oder Wagenknecht 2009, S. 45. Es gibt aber auch CDO, bei der der reine Ausgleich der Unternehmens- bzw. Bankbilanz im Vordergrund steht (vgl. Rudolph et al. 2008, S. 57f.). 21 Vgl. Abbildung „Credit Default Swap (CDS)“, Deutsche Bundesbank 2004, S. 30. 22 Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Dezember 2004: „Credit Default Swaps – Funktionen, Bedeutung und Informationsgehalt“, S. 44. 23 Dies ist auch einer der Gründe, weshalb der Handel mit Derivaten vollkommen unübersichtlich ist, der normalerweise direkt zwischen zwei Händlern vereinbar wird. Für das Gesamtvolumen sind nur Schätzungen möglich, die beim Höchststand im Sommer 2008 nur im „Over-The-Counter“-Bereich von 684 Billionen Dollar ausgehen (vgl. http://www.bis.org/statistics/otcder/dt1920a.pdf). Weitere zentrale Formen der Kreditderivate sind Total Return Swaps (TRS) und Credit Spread Options (CSO). Für eine Erläuterung siehe Deutsche Bundesbank April 2004, S. 30f.

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Letztendlich muss noch auf die synthetischen Kreditverbriefungen eingegangen werden,

die mit Hilfe von Derivaten konstruiert werden.24 Im Normalfall verbleiben hier, wie bei

den normalen CDS, die

Kreditforderungen bei dem

Geldinstitut, während jedoch

die Kreditrisiken zuerst an eine

Zweckgesellschaft (statt direkt

an den Finanzmarkt)

übertragen werden. Diese

behält die CDS-Papiere des

Geldinstituts und gibt stattdessen sogenannte Credit Linked Notes (CLN) an die Investoren

aus.25

Die CLN sind mit Anleihen vergleichbar, bei

denen der Käufer nur dann seine vollständige Investition

plus Zinsen zurückerhält, wenn das entsprechende

Kreditereignis (wie z.B. Zahlungsunfähigkeit) im

ursprünglichen Forderungs-pool nicht eingetreten ist.

Ansonsten wird eine Ausgleichszahlung von dem

Gesamtbetrag abgezogen, den der Investor mit Kauf der

CLN leistet. Da er somit das ursprüngliche Ausfallrisiko des Forderungspools und

zusätzlich noch das Ausfallrisiko der Zweckgesellschaft trägt, erhält er entsprechend

höhere Zinsen für seine Anleihe. Es ist üblich, dass die CLN genau wie die oben

vorgestellten CDOs in verschiedenen Tranchen angeboten werden. Das Kapital, welches

die Zweckgesellschaft durch den Verkauf der CLN erhalten hat, legt sie wiederum im

Finanzmarkt möglichst sicher an, um daraus später die Rückzahlung der Anleihen und

Zinsen und/oder die Ausgleichszahlungen für vereinbarte Kreditereignisse zu leisten.26

24 Vgl. Abbildung “Die Grundstruktur einer synthetischen Verbriefung”, Deutsche Bundesbank April 2004, S. 31. 25 Vgl. Abbildung “Credit Linked Note (CLN)”, Deutsche Bundesbank April 2004, S. 30. 26 Vgl. Rudolph et al. 2007, S. 78ff.

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2.3. Volkswirtschaftliche Implikationen der

Kreditverbriefung als Finanzinstrument Nachdem nun die zentralen Varianten der Kreditverbriefung überblicksweise

dargestellt wurden, komme ich auf die eigentliche Bedeutung dieser vielen

unterschiedlichen Konstruktionen zu sprechen. Dabei möchte ich einerseits

zusammenfassen, welche Funktionen sie für die beteiligten Akteure haben und wie ihr

Einfluss insbesondere auf den Finanzmarkt abgeschätzt wird. Andererseits möchte ich in

der Vergangenheit zwar am Rande erwähnte, aber bei der allgemeinen Diskussion in

Wirtschaft, Politik und vor allem der (wirtschaftswissenschaftlichen) Forschung

vernachlässigte Aspekte mit einbringen und stärker herausstellen. Auf dieser Grundlage

kann ich den Einfluss von Kreditverbriefungen auf den Finanzmarkt und die Wirtschaft

allgemein einschätzen.

2.3.1. Risikominimierung, Gewinnmaximierung, Stimulierung

der Wirtschaft

Wenn es um Kreditverbriefungen geht, wird in der klassischen Wirtschaftstheorie

das oft zitierte Schlagwort „Kreditrisikotransfer“ als ein zentrales Motiv angegeben. Dieses

zeigt an, dass das Ausfallrisiko von Krediten an andere Akteure weitergegeben werden

soll. Verbriefungen als „innovative Finanzmarktinstrumente“ sind nun besonders geeignet,

eigentlich größtenteils illiquide Kreditrisiken derart weiterzugeben beziehungsweise zu

handeln (siehe Kapitel „Grundlegende Definitionen“, S. 4). Idealerweise können durch den

Handel mit Krediten oder ihren Risiken die eigenen Risikopositionen der Banken

ausbalanciert werden. So hätten beispielsweise Zahlungsunfähigkeit einzelner wichtiger

Kreditnehmer oder etwaige, auf einzelne Branchen begrenzte Krisen einen geringeren

beziehungsweise gar keinen Einfluss auf die immer höher spezialisierten Banken.27

Dadurch sollen sowohl unerwartete als auch besonders hohe Verluste vermieden werden,

die ansonsten durchaus gefährlich für die Solvenz einer Bank werden können – es werden

Risikokonzentrationen abgebaut. Es wird weiterhin angenommen, dass sich die

Finanzmarktstabilität insgesamt erhöht, da sich die Stabilität der einzelnen Banken

27 Vgl. Rudolph et al. 2007, S. 6ff. und S. 22. Weshalb ein immer höherer Spezialisierungsgrad vorteilhaft ist und auch faktisch verfolgt wird, kann bei ebd., S. 2ff. oder auch bei Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juni 2006, S. 39 nachgelesen werden.

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erhöht.28 Sollten Verluste entstehen, so würden diese von den Finanzmarktinvestoren

abgefangen, auf welche dieses Ausfallrisiko mit Hilfe des Verbriefungshandels gestreut

wurde. Somit würden nicht wenige Akteure schwer, sondern viele Akteure nur moderat

betroffen sein. Die potentielle Vielzahl an Investoren soll natürlich auch das Ausfallrisiko

der Sicherungsgeber mindern, die bei eigenen finanziellen Engpässen eventuell nicht mehr

für das übernommene Kreditrisiko einspringen könnten. Das Risiko, dass der

Sicherungsgeber ausfällt, wird auch als Kontrahentenrisiko bezeichnet.29

Ein weiterer Vorteil bei dieser Art des Risikomanagements besteht für die Banken

darin, dass sie Kredite vergeben können, deren Risiken ihnen selbst zu hoch sind, für die

sich aber bei einer entsprechenden Verzinsung Investoren auf dem Finanzmarkt

interessieren.30 Diese Möglichkeit lässt eine höhere Vergabe von Krediten erwarten, was

wiederum direkt (z.B. Kreditvergabe an Unternehmen) oder indirekt (z.B. Kreditvergabe

an Konsumenten) die Wirtschaft stimuliert. Allerdings ist für die Investoren oftmals gar

nicht ersichtlich, wie risikoreich die verbrieften Kredite sind. Gerade bei der Tranchierung

von CDOs oder CDS zählt die Qualität des Forderungspools beim Rating nämlich kaum.

Stattdessen geht es nur um die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Prozentsatz an

Krediten ausfällt, wodurch man auch mittelmäßige oder minderwertige Kredite mit einem

teilweise erstklassigen Rating ausstatten und dementsprechend gut verkaufen kann. Die

gesamte geschätzte Kreditausfallrate des Pools hängt natürlich von der Qualität dieses

Pools ab, ändert aber meist nur an der Größte der einzelnen Tranchen etwas.

Wie hier bereits anklingt, ist die Verringerung der eigenen Kreditrisiken natürlich

nicht das einzige Motiv, um sich an der Kreditverbriefung zu beteiligen. Wie es unter

anderem bei den sogenannten Arbitrage-CDOs angesprochen wurde, stellt das Nutzen von

Zinsdifferenzen bei Kreditnehmern und Sicherungsgebern eine Möglichkeit dar, relativ

hohe Gewinne mit geringem Eigenkapitalrisiko zu erwirtschaften. Das trifft auch auf den

Verkauf von Krediten zu, die aufgrund der Zinszahlungen der Kreditnehmer natürlich

28 Vgl. Deutsche Bundesbank April 2004, S. 36, aber auch die Ansicht des Basler Ausschuß für Bankenaufsicht: „Überblick über die neue Basler Eigenkapitalvereinbarung“, S. 9, in der Übersetzung der Deutschen Bundesbank, April 2003. Zudem sei auf eine Rede von Alan Greenspan anlässlich der Jahresversammlung der American Bankers Association in New York am 05.10.2004 hingewiesen: „Concentrations of risk are more readily identified, and when such concentrations exceed the risk appetites of intermediaries, derivatives and other credit and interest rate risk instruments can be employed to transfer the underlying risks to other entities. As a result, not only have individual financial institutions become less vulnerable to shocks from underlying risk factors, but also the financial system as a whole has become more resilient.”, auf: http://www.federalreserve.gov/boarddocs/speeches/2004/20041005/default.htm. 29 Vgl. Deutsche Bundesbank April 2004, S. 38. 30 Traditionell haben sie stattdessen nur solche Kredite vergeben, deren spezielle Eigenschaften in ihr Geschäftsmodell passten. Dies bedeutete faktisch jedoch keine Spezialisierung, sondern eine Ausweitung des Geschäftsfeldes, da natürlich ein höchstmöglicher Umsatz angestrebt wird. Siehe ebenfalls Fußnote 22, weshalb eine höhere Spezialisierung vorteilhafter ist.

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14

mehr Wert sind als die nominelle Höhe des Kredites. So können diese für einen Aufpreis

verkauft werden, was auch hinsichtlich der extrem schnellen Refinanzierung der eigenen

Kreditvergabe sehr lukrativ ist. Nach den Eigenkapitalvorschriften der Europäischen Union

(Basel I und II) müssen Kredite nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden, wenn sie als

risikolos eingeschätzt werden31 – was nicht nur bei Krediten an OECD-Staaten gilt,

sondern konsequenterweise auch, wenn das Kreditrisiko vollständig verkauft wird. Somit

ergibt sich also die nach bisherigem Verständnis absurde Situation, dass eine Bank damit

Geld verdient, dass sie sich gegen die Risiken ihres Kreditgeschäfts absichert.

Man kann also zusammenfassen: Der Handel mit Kreditverbriefungen ist ein

Mittel, um Konzentrationen von Kreditrisiken zu vermeiden, die wichtige Kreditnehmer

oder einzelne Branchen betreffen und von denen die Kreditgeber ansonsten in besonders

starkem Maße bedroht wären. Weiterhin kann das Kontrahentenrisiko vermindert und die

Kreditvergabe stimuliert werden. Letztendlich können mit Kreditverbriefungen allgemein

Profit- und Arbitragemöglichkeiten ausgenutzt werden, und zwar mit geringem oder sogar

völlig ohne Eigenkapital.

In der Praxis treten die genannten Beweggründe für den Handel mit

Kreditverbriefungen meist zusammen auf. Letztendlich bleibt im Rahmen meiner in der

Einleitung genannten Thesen allerdings die Frage, wie diese Motive gewichtet sind. Diese

Frage ist jedoch schwer zu beantworten und hat etwas mit der Stärke der Anreize zu tun,

die für die unterschiedlichen Motive existieren. Ich werde im Laufe meiner Argumentation

darauf zurückkommen, wenn ich meine persönliche Einschätzung zum Verbriefungshandel

und seinen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen entwickle.

2.3.2. Ausweitung des Kreditvolumens und sinkende Ansprüche

an die Bonität der Kreditnehmer

In der Literatur wurden bisher die volkswirtschaftlichen Auswirkungen bzw. der

Einfluss auf die Stabilität der Finanzmärkte durch Kreditverbriefungen überwiegend als

positiv und funktional angesehen.32 Dies war zumindest bis zur Immobilienkrise 2007 der

Fall, wobei viele die Krise auch als absolute Ausnahmesituation ansehen. Doch etwaige

Risiken wurden zumindest nicht verschwiegen, selbst wenn ihr Effekt auf die

Finanzmarktstabilität als gering galt bzw. mit ihrem Eintreten nicht gerechnet wurde. Die

Deutsche Bundesbank hat die wichtigsten Risiken genannt und kurz dargestellt, jedoch

31 Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht September 2004, S. 77. 32 Vgl. u.a. Rudolph et al. 2007, S. 177ff.

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möchte ich nicht auf alle eingehen.33 Stattdessen werde ich in diesem Zusammenhang

meine beiden Thesen aus der Einleitung aufgreifen.

Wenn man von der Annahme ausgeht, dass die Nutzung von Kreditverbriefungen

in dem Umfang der letzten Jahre eine wesentliche Ursache der Immobilienkrise seit 2007

ist, dann stellt sich die Frage, welchen Einfluss ein Gebrauch dieses Instruments generell

auf die Stabilität der Finanzmärkte hat. Dabei möchte ich zwei Beobachtungen zugrunde

legen.

Wie bereits in diesem Kapitel erklärt, stellt die Gewinnmöglichkeit beim Verkauf

von Krediten und/oder ihren Risiken eine wesentliche Funktion von Kreditverbriefungen

dar. Dass hohe Gewinne – insbesondere wenn sie mit nur wenig Eigenkapital erzielt

werden können – einen extrem starken Anreiz bilden, Kreditverbriefungen so weit wie

möglich zu nutzen, ist offensichtlich. Allein die Konkurrenzsituation mit anderen

(börsennotierten) Unternehmen wird Banken dazu veranlassen, diese Möglichkeit der

Gewinnmaximierung extensiv zu nutzen. Dieser extrem hohe Anreiz wird noch weiter

dadurch verstärkt, dass die Gewinnpotentiale faktisch ohne Risiken für das Eigenkapital

verwirklicht werden können. Die Bank erreicht ihren Gewinn ja gerade durch die

Risikoabsicherung, die traditionell immer Geld gekostet hat, indem sie Arbitrage-

Möglichkeiten (vor allem bei Kreditderivaten) nutzt. Und falls sie sich nicht der Arbitrage

bedient, so manövriert sie sich stattdessen in eine Art Vermittlerrolle zwischen

Kreditnehmer und Investoren, bei der sie ebenfalls allein durch den Verkauf der Kredite

Gewinne einfährt. Zwar sind diese Gewinne geringer, als wenn die Bank den Kredit halten

würde, bis sämtliche Zinszahlungen an sie geflossen sind, jedoch profitiert sie dafür von

der vollkommenen Risikolosigkeit der Kreditvergabe und vor allem von der extrem

schnellen Refinanzierung ihrer Kreditposition. Da diese Refinanzierung eben auch mit

einem Gewinn einher geht, und die Anreize (wie eben dargestellt) sehr hoch sind, ist zu

erwarten, dass eine Bank möglichst schnell erneut in die Kreditvergabe investiert.

Zusammen mit der Überlegung, dass ein Unternehmen gleich welcher Art nicht

darauf verzichten wird, derart schnell, billig und risikolos einen Gewinn zu erwirtschaften,

solange es nur die entsprechenden Möglichkeiten dazu besitzt, gelange ich zu meiner

ersten These:

1. Kreditverbriefung als Finanzmarktinstrument führt tendenziell zur höchstmöglichen

Ausweitung des Kreditvolumens.

33 Vgl. Deutsche Bundesbank April 2004, S. 38ff.

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16

Die Grenzen dieser tendenziellen Ausweitung sind faktisch nur durch zwei

Variablen definiert. Einerseits muss Nachfrage nach den Verbriefungen bestehen, die am

Finanzmarkt bzw. „Over-The-Counter“ angeboten werden. Andererseits muss es genügend

potentielle Kreditnehmer geben, die Kredite benötigen und dabei auch den

Bonitätsansprüchen genügen. Man kann davon ausgehen, dass sich die Zahl der

potentiellen Kreditnehmer schneller erschöpft als das Kapital, das Investoren bereit sind in

Kreditverbriefungen zu investieren. Das ist auch verständlich, da natürlich nur eine

begrenzte Menge von Kreditbedürftigen existiert, von der auch nicht alle eine ausreichende

Bonität besitzen, um tatsächlich einen Kredit zu erlangen. Man muss auch beachten, dass

sich somit die Möglichkeit, Kredite zu vergeben, von der finanziellen Situation der Banken

abgekoppelt hat – sie müssen Kredite nicht mehr selbst finanzieren, sondern können dies

über den Finanzmarkt tun.34 Somit haben sie einen potentiell unendlichen Nachschub an

Liquidität, deren Verfügbarkeit eher von Anreizen abhängt, je nachdem wie sich die

Möglichkeiten zur Risikoabsicherung oder Gewinnmaximierung für die Investoren

entwickeln.35

Da es also im Interesse der Kreditgeber liegt, das Kreditvolumen weiter

auszuweiten, bleibt den Banken zur Kreditausweitung über ein bestimmtes Limit hinaus

nur eine Möglichkeit: Sie müssen die Ansprüche an die Kreditnehmer senken, um das

Kreditvolumen weiter vergrößern zu können. Deshalb lautet meine zweite These:

2. Kreditverbriefung führt tendenziell zum größtmöglichen Absenken der Ansprüche

an die Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer.

Diese tendenzielle Absenkung wird deshalb so weit wie möglich sein, weil die

Banken keine Risiken bei der Kreditvergabe mehr fürchten müssen. Die Risiken tragen

andere Marktteilnehmer. Das bedeutet also, dass das Limit, bis zu dem die Ansprüche an

34 Vgl. Loutskina, Elena / Strahan, Philip E.: “Securitization and the Declining Impact of Bank Finance on Loan Supply: Evidence from Mortgage Originations”, S. 1, auf: https://www.afajof.org/afa/forthcoming/4342.pdf, zuletzt eingesehen am 20.07.2009. 35 Man bekommt ein Gefühl dafür, wie stark sich diese Abkoppelung auswirkt, wenn man sich das Volumen des Verbriefungshandels ansieht. Dieses hat sich immer rasanter ausgedehnt, was grundsätzlich daran liegt, dass überschüssiges Kapital auf dem Finanzmarkt natürlich nach rentablen Investitionsmöglichkeiten „sucht“. Wenn diese Rentabilität auf dem Kreditmarkt zu finden ist, so werden die Geldströme dorthin entsprechend ansteigen. Dies ist in den letzten Jahrzehnten geschehen, da Investitionen in anderen Bereichen mit der Gewinnerwartung offenbar nicht mithalten konnten. Gleichzeitig muss man beachten, dass das weltweit verfügbare Kapital für Investitionen die Nachfrage nach Krediten um ein Vielfaches übersteigt. Ein bestimmter Level an Rendite reicht also bereits als Anreiz aus, um mehr Mittel auf diesen Markt zu locken, als jemals Kredite vergeben werden.

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die Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer abgesenkt werden können, von dem Willen der

potentiellen Investoren abhängt, derartige Risiken zu übernehmen. Im Bereich der

spekulativen Finanztransaktionen bestimmen also die Kreditrisiken und die Prämien oder

Zinsen, wie groß der Markt für ein Finanzinstrument ist.

Natürlich hängt das Limit auch von externen Faktoren ab, wie zum Beispiel dem

Umfang der Finanzmarktregulierung oder auch der Wirtschaftsentwicklung der letzten

Jahre. Diese Faktoren können vom Finanzsystem allgemein aber nur indirekt beeinflusst

werden und spiegeln teilweise die politische Machtverteilung wie auch historische

Entwicklungen wieder, weshalb ich hier nicht näher auf sie eingehen werde.

2.3.3. Kreditverbriefung und Finanzmarktstabilität

Welchen Einfluss hat nun also die Nutzung von Kreditverbriefungen auf die

Stabilität der Finanzmärkte? Wenn man meine beiden Thesen als plausibel akzeptiert, so

kann man daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass die finanzmarktorientierte

Kreditverbriefungspraxis die Entstehung von „Kreditblasen“ zur Folge hat.

Im ökonomischen Kontext impliziert der Begriff der Blase normalerweise eine

Spekulation auf einem bestimmten Markt, durch den sich die Preise für auf diesem Markt

angebotene Waren stark von der Preisentwicklung der restlichen Wirtschaft abkoppeln und

weit überdurchschnittlich ansteigen.36 Die sich verselbstständigenden Preissteigerungen

sind eine Voraussetzung wie auch eine Folge von hohen Gewinnerwartungen der

Investoren. Durch die hohen Wertgewinne, die bereits realisiert wurden, bleibt die

Erwartung weiterer Gewinne erhalten, selbst wenn der Preis der Ware in krassem

Gegensatz zur Nachfrage auf den „normalen“ (konsumierenden oder produzierenden)

Märkten steht. Neue Technologien, politische Ereignisse, gesellschaftliche Entwicklungen

etc. können ebenfalls Grundlage für zukünftige Gewinnerwartungen sein. Man spricht

dabei auch von einer Überbewertung bestimmter Waren. Sobald jedoch ein Ereignis

eintritt, welches das Vertrauen in zukünftige Gewinne schmälert – also beispielsweise eine

langsamere Preissteigerung als erwartet eintritt, der Preis stagniert oder auch wenn sehr

ungünstige Neuigkeiten aufkommen – beginnen die Verkäufe. Die Warenpreise sinken

rapide, da immer mehr Investoren ihre bisherigen Gewinne umsetzen wollen, aber kaum

noch Käufer vorhanden sind, die die überbewerteten Preise bezahlen wollen. Aufgrund des

enormen Überangebots und der allgemeinen Verkaufspanik sinkt der Preis der Waren

36 Vgl. Rethfeld, Robert: “Die Anatomie der Spekulationsblase”, Artikel in der Zeitschrift „Smart Investor“ 09/2004, auf: http://www.goldseiten.de/content/kolumnen/artikel.php?storyid=457, zuletzt eingesehen am 19.07.2009.

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jedoch meist auch weit unter den Wert, den man realistischerweise ansetzen könnte. Dann

sind die Kurse, zu denen sie gehandelt werden, unterbewertet. Die Mehrheit der Investoren

macht somit starke Verluste, teilweise in extrem hohen Dimensionen.

Dass eine Spekulationsblase irgendwann platzt, ist zwar eine sichere Erkenntnis

nicht nur in der Wirtschaftswissenschaft, wird aber scheinbar dennoch von vielen

Spekulanten nicht genügend beachtet oder in ihrer konkreten Situation nicht ernst

genommen. Diese Beobachtung ist so jedoch nicht richtig, denn natürlich ist dieser

Sachverhalt jedem einigermaßen wirtschaftswissenschaftlich Bewanderten klar. Nur ist es

nicht voraus zu sehen, wann genau eine solche Blase platzt. Trotz dieser Unsicherheit liegt

es in der Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems, wenn Unternehmen so weit wie

möglich an den zu erwartenden Gewinnen teilzuhaben versuchen. Tun sie es nämlich nicht,

weil sie zum Beispiel vor den gesamtwirtschaftlichen Risiken warnen, so entgehen ihnen

einerseits Gewinne, andererseits werden insbesondere börsennotierte Unternehmen

weniger attraktiv für Anleger. Resultat ist normalerweise die hohe Gefahr, an

Konkurrenzfähigkeit zu verlieren und aus dem Markt verdrängt zu werden. Dies sind

starke Anreize, auch mit allen möglichen Mitteln an Spekulationen teilzunehmen.

Derartige Spekulationsblasen sind eng mit Kreditblasen verflochten. Geht man

von der von Hyman Minsky entwickelten Financial Instability Hypothesis37 aus, so erkennt

man den Grund dafür: Diejenigen, die in einer Spekulationsblase aktiv sind, werden

aufgrund der erwarteten Wertsteigerungen vor allem auf eine sogenannte spekulative und

Ponzi-Kreditfinanzierung setzen, um ihre Gewinne noch zu vergrößern.38 Bei der

spekulativen Finanzierung reichen die regelmäßigen Einnahmen noch aus, um zumindest

die Zinsen der Kredite zurückzahlen zu können, jedoch ohne Tilgung. Die Kredite müssen

also stets verlängert werden. Bei einer Ponzi-Finanzierung können nicht einmal die Zinsen

gezahlt werden. Stattdessen wird allein darauf spekuliert, den Kredit plus Zinsen durch den

Verkauf des Spekulationsobjekts zurückzahlen zu können, und zwar noch mit eigenem

Gewinn. Derartige Investoren sind also auf eine stetige Wertsteigerung und damit auch auf

ein stetiges Wachsen der Spekulationsblase angewiesen (bis sie die Kredite tilgen können 37 Vgl. Minsky, Hyman P.: „The Financial Instability Hypothesis“, Working Paper No. 74, Prepared for Handbook of Radical Political Economy, edited by Philip Arestis and Malcolm Sawyer, Edward Elgar, Aldershot 1993, v.a. S. 6ff. Diese These wird momentan im Angesicht der Weltwirtschaftskrise sehr stark rezipiert. Minsky hat auch noch eine dritte Einordnung von Investoren ausgearbeitet, die er Hedge-Finanzierung nennt. Hierbei reichen die Einnahmen aus, um Zinsen plus Tilgung zu bezahlen. Für eine etwas umfangreichere Beschreibung aller drei Varianten siehe Wagenknecht 2009, S. 79ff. 38 Wenn man mit der Hilfe von Krediten versucht, seine Gewinne (und die Eigenkapitalrendite) zu vergrößern, so nennt man das Hebelwirkung oder Leverage. Möglich ist diese Wirkung, wenn die Kredite weniger Kosten verursachen, als man später an Gesamtrendite aus der Investition erzielt. Somit kann der Gewinn theoretisch durch die Aufnahme von mehr Krediten bei gleich bleibendem Eigenkapital immer wieder gesteigert werden (ebenso wie sich dadurch die Eigenkapitalrendite erhöht).

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und einen für sie akzeptablen Gewinn erreicht haben). Auch die spekulativen Investoren

dürfen zumindest keinen Wertverlust erleiden, da sich ansonsten die

Refinanzierungsbedingungen verschlechtern können und sie drohen, in eine Verlustspirale

abzugleiten.

Es ist erkennbar, dass sich Spekulationsblasen ohne ein grundsätzlich

funktionierendes Kreditwesen gar nicht besonders weit aufblähen können – es wäre

einfach nicht genug kostengünstige Liquidität vorhanden, um spekulative und Ponzi-

Finanzierungen zu ermöglichen. Gleichzeitig spielt natürlich auch die Gewinnerwartung

der Banken selbst eine große Rolle, damit sie Kredite für spekulative Geschäfte zur

Verfügung stellen. Auch die Geldinstitute verfangen sich nämlich in der Spekulationsblase,

und hoffen durch eine erhöhte Kreditvergabe an den Gewinnen zu partizipieren (abgesehen

davon, dass sie vor allem im Investmentbereich sogar selbst mitspekulieren).

Spekulations- und Kreditblasen befeuern sich also gegenseitig. Hohe

Gewinnerwartungen gehen normalerweise vom Finanzsystem aus und sind auch für die

selbstverständlich profitorientierten Kreditgeber „ansteckend“. Andererseits sind

Spekulationen um ein Vielfaches lukrativer, wenn die Kreditkonditionen günstig sind.

Zusätzlich war das Interesse der Banken, Kredite zu vergeben, sicherlich schon immer

auch ein Anreiz, die entsprechende Nachfrage zu schaffen und Bonitätsprüfungen

zumindest ein wenig aufzuweichen. Mit der Nutzung von Kreditverbriefungen erreicht

diese gegenseitige, dysfunktionale Stimulation von Kredit- und Spekulationsblasen jedoch

eine ganz neue Qualität. Die Anreize sind derart hoch, dass die Kreditvergabe zusätzlich

stimuliert wird und sich beide Blasen enorm ausweiten. Vor der „Ära“ der

Kreditverbriefungen hätte man vielleicht noch argumentieren können, dass Banken im

Allgemeinen wohl kaum derart unsichere Kredite vergeben würden. Spätestens jedoch mit

der Möglichkeit zum völligen Verkauf von Kreditrisiken sind keine Begründungen mehr

auszumachen, um derartige Erwartungen gerechtfertigt als unrealistisch darzustellen.39

Weiterhin führt ein ausgedehnter Markt für Kreditverbriefungen auch zu einer

Verflechtung von Forderungen zwischen den Finanzmarktteilnehmern, die einerseits

aufgrund ihrer Vielzahl und Komplexität, andererseits aber auch aufgrund der

intransparenten Konstruktion der Verbriefungsvarianten (insbesondere der Derivate)

vollkommen unüberschaubar werden. Dies ist ein Problem, dessen Gefährlichkeit kaum zu

39 Zumal ein solches Argument eben auch die meiner Meinung nach wegweisende Financial Instability Hypothesis außer Acht lässt, die allgemein für lange Perioden mit relativ sicherer Wirtschaftsentwicklung voraussagt, dass Finanzmarktteilnehmer (also auch Banken) höhere Risiken eingehen und die Ansprüche an die Kreditwürdigkeit schrittweise abgesenkt werden (vgl. Minsky 1993, v.a. S. 8).

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überschätzen ist: Sobald die Spekulationsblase platzt, können Kreditnehmer ihre Kredite

nicht mehr bedienen, und zwar massenweise. Diese Vielzahl an Kreditausfällen führt zu

einer hohen Belastung des Finanzmarktes, da die Banken natürlich ein hohes Volumen an

Risikoausgleichszahlungen von den Käufern ihrer Verbriefungen verlangen

beziehungsweise die verkauften Kredite nichts mehr wert sind. Teilweise haben die

Banken jedoch die risikoreichsten Papiere bzw. CDO-Tranchen ihrer Verbriefungen in

ihren Bilanzen behalten, was eine starke eigene Belastung bedeutet. Andererseits haben

viele Banken vermittels ihrer Investmentsparten auch selbst derartige Papiere gekauft. Da

im Falle des Platzens einer Spekulationsblase überdurchschnittlich viele Kreditnehmer

zahlungsunfähig werden, sind plötzlich auch als sicher geltende Papiere und CDO-

Tranchen von den Ausfällen betroffen – somit müssen sie auch hier, ebenso wie andere

Investoren, Abschreibungen vornehmen. Nun muss man noch beachten, dass Banken

klassischerweise zu den sogenannten spekulativen Investoren gehören, da sie von

Dauerkrediten abhängig sind und diese nicht mit einem Mal einfach zurückzahlen können.

Das bedeut kurz gesagt, dass sie im Falle einer Krise oftmals als nicht mehr kreditwürdig

eingeschätzt werden könnten und ohne Staats- oder Notenbankhilfe zusammenbrechen.

Dass die Auswirkungen eines zusammengebrochenen Bankensystems für die gesamte

Wirtschaft verheerend sind, ist klar. Doch selbst mit Unterstützung durch Staat und/oder

Notenbanken muss man mit einer Drosselung oder sogar Lähmung der Kreditvergabe an

die Wirtschaft, die Haushalte und nicht zuletzt im Interbankenmarkt rechnen, da das

gesamte Ausmaß der nötigen Abschreibungen weder von den Banken selbst, noch von

potentiellen Investoren eingeschätzt werden kann.40

Ich möchte diesen Abschnitt noch einmal zusammenfassen: Die Nutzung von

Kreditverbriefungen hat Kreditblasen zur Folge. Während ein funktionierendes System der

Kreditvergabe Spekulationsblasen einer bestimmten Größe überhaupt erst ermöglicht, wird

die Entstehung von Spekulationsblasen durch Kreditverbriefungen begünstigt. Kredit- und

Spekulationsblasen stimulieren sich gegenseitig. Die Nutzung von Kreditverbriefungen

beschleunigt jedoch die Ausdehnung und erhöht das Volumen beider Blasen. Weiterhin

findet durch dieses Finanzinstrument eine erhöhte Verflechtung zwischen und innerhalb

von Kreditnehmern und Kreditgebern statt, die bei einem Platzen der Spekulationsblase

40 Die Banken müssen als privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, die meist noch dazu Aktiengesellschaften sind, darauf achten, genügend Sicherheiten anzusammeln. Eine Lösung wäre in diesem Fall eventuell eine direkte Kreditvergabe durch die Notenbanken an die Wirtschaft. Weiterhin muss man im Hinterkopf behalten, dass gerade im Interbankenmarkt nicht nur die eigenen Abschreibungen eine Rolle spielen, sondern auch die (vollkommen unbekannten) Abschreibungen der Bank mit potentiellem Kreditbedarf.

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eine massive Beeinträchtigung auch der Kreditgeber zur Folge hat. Spekulationsblasen

werden durch den Einsatz von Kreditverbriefungen also sehr viel gefährlicher, da die

Verluste insgesamt höher ausfallen und es kaum berechenbar ist, welche „Assets“ und

somit welche Marktteilnehmer wie stark betroffen sind. Eine starke Beeinträchtigung oder

Lähmung der Kreditvergabe innerhalb des Bankensektors wie auch zwischen Banken und

der restlichen Volkswirtschaft ist die Folge.

Krisen im Bankensektor könnten aufgrund der Komplexität der heutigen

Finanzwelt angesichts der unübersichtlichen Forderungs-Verflechtungen eine generelle

Folge von platzenden Spekulationsblasen sein. Doch das ist eine andere Frage, die

wissenschaftlich untersucht werden müsste. Man kann allerdings festhalten, dass ein

Kausalzusammenhang zwischen der Nutzung von Kreditverbriefungen und dem Entstehen

von Wirtschaftskrisen auf der Argumentationsgrundlage dieses Kapitels durchaus plausibel

ist.

2.3.4. Zusammenfassung

Aus diesem Kapitel gehen also folgende Dinge hervor: Es existieren mehrere

starke Anreize, um mit Hilfe von Kreditverbriefungen möglichst viele Kredite

abzuschließen und anschließend teilweise oder vollständig zu verkaufen –

Gewinnmaximierung und Risikominimierung sind die beiden wichtigsten Motive. Aus

diesem Grund liegt es im Interesse der Banken, die Kreditvergabe so weit wie möglich

auszudehnen. Da dies nur solange möglich ist, bis die momentane Nachfrage nach

Krediten größtenteils gesättigt ist, liegt es ebenfalls in ihrem Interesse, die maximale

Anzahl der potentiellen Kreditnehmer zu erhöhen, indem sie die Forderungen an deren

Kreditwürdigkeit senken. Dies ist aufgrund der Verbriefungen mit wenig bis keinem

Risiko für die Kreditgeber verbunden. Dass die Banken entsprechend ihrer Interessen

handeln, kann vorausgesetzt werden.

Dadurch, dass die Nutzung von Kreditverbriefungen auf längere Sicht diese

Entwicklungen zur Folge hat, kann man wiederum Rückschlüsse auf die Auswirkungen auf

die Finanzmarktstabilität ziehen. Die Ausdehnung der Kreditvergabe fördert

Spekulationsblasen, welche wiederum die Ausdehnung der Kreditvergabe und somit

„Kreditblasen“ fördern. Zusammen mit der extremen Verflechtung der Forderungen

zwischen den Finanzmarktteilnehmern, die durch die Kreditverbriefungspraxis noch enorm

vorangetrieben wird, hat dies beim Platzen einer Spekulationsblase eine äußerst

zerstörerische und lähmende Wirkung auf das Finanzsystem und auch auf die gesamte

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Wirtschaft. Die Kreditverbriefungspraxis beschleunigt also die Entwicklung von

Spekulationsblasen und verstärkt ihre dysfunktionalen Auswirkungen. Zudem verbessert

sie die Grundlagen für die Entstehung von Spekulationsblasen. Alles in allem kann man

also schlussfolgern, dass die Nutzung von Kreditverbriefungen in einem bestimmten

Ausmaß eine stark destabilisierende Wirkung auf das Finanzsystem hat.

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3. Die Kreditverbriefung als Teilursache der

Weltwirtschaftskrise In seinem Jahreswirtschaftsbericht 2009 sieht das Bundesministerium für

Wirtschaft und Technologie die Kreditverbriefung im Zentrum der Immobilienkrise, die

2007 begann.41 Genauer gesagt stehen die sogenannten „zweitklassigen

Hypothekenkredite“42 auf dem US-Immobilienmarkt am Anfang der wirtschaftlichen

Abwärtsbewegung, die bis heute andauert und direkt oder indirekt alle Branchen weltweit

trifft. Wie es dazu kommen konnte, dass weltweit selbst die größten Finanzinstitute von

der Immobilienkrise derart hart getroffen werden konnten, ist die große Frage, die auch

jetzt noch in den Medien und noch viel intensiver in der Fachwelt diskutiert wird. Dabei

kann man zwischen langfristigen, mittelfristigen und kurzfristigen Entwicklungen

unterscheiden. Außerdem kann man entweder sogenannte „systemische“ Eigenschaften des

Kapitalismus anführen oder stattdessen verschiedenste „Auswüchse“ eines prinzipiell

neutralen, auf Gleichgewicht bedachten Wirtschaftssystems verantwortlich machen.

Meine theoretische Argumentation betrachtet ein Finanzinstrument, das als

solches innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems erfunden wurde, jedoch

keinesfalls notwendig für dessen Funktionieren ist. Andererseits stützt sich meine

Einschätzung von Kreditverbriefungen auf systemische Eigenschaften, wie beispielsweise

auf als zentral identifizierte Anreize im Kapitalismus, und rekurriert auch auf die Theorie

des prinzipiellen Ungleichgewichts auf den Finanzmärkten.43 Gleichzeitig kann man

Kreditverbriefungen, wie der Name schon nahelegt, als eine Modifikation der

traditionellen Kreditvergabe betrachten. Das Kreditwesen ist ein ohne jeden Zweifel

zentrales Charakteristikum, ohne welches das moderne kapitalistische Wirtschaftssystem

v.a. aufgrund der benötigten Kapitalmengen nicht funktionieren würde.

Unter diesen Gesichtspunkten werde ich im Folgenden anhand der US-

amerikanischen Immobilienkrise meine theoretischen Überlegungen untermauern. Dabei

werde ich den Verlauf der Krise nachvollziehen, insbesondere jedoch die Umstände

betrachten, die während der Spekulationsblase auf dem Hypothekenmarkt herrschten.

41 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: „Konjunkturgerechte Wachstumspolitik. Jahreswirtschaftsbericht 2009“, S. 18. 42 Ebd. 43 Vgl. Minsky 1993.

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3.1. Exkurs: Überblick über den Verlauf der

Weltwirtschaftskrise bis zum Juli 2009 Zur besseren Einordnung der folgenden Kapitel möchte ich den Kontext

darstellen, in dem wir die heutige Weltwirtschaftskrise betrachten müssen.

Der Höhepunkt der

Spekulationsblase im US-

amerikanischen Hypothekenmarkt wurde

im 2. Quartal 2006 erreicht, als die

Immobilienpreise doppelt so hoch lagen

wie noch im Jahr 1999.44 Bereits Ende

2005 hatte sich jedoch der Preiszuwachs

abgeschwächt und der bis dahin seit etwa

1998 ungebrochene Anstieg, den man spätestens seit 2003 als Boom bezeichnen kann,

verkehrte sich langsam in sein Gegenteil. Als sich die Verluste verstetigten, weil sich kaum

mehr Käufer im überbewerteten und übersättigten Immobilienmarkt fanden, kam es vor

allem aufgrund der Zahlungsunfähigkeit von immer mehr Hauskäufern zu einem

Kurssturz: Die Blase platzte, da die vormaligen Gewinnerwartungen nicht mehr realistisch

erschienen. Im April 2007 muss mit New Century der drittgrößte amerikanische

Hypothekenfinanzierer Insolvenz anmelden, im August folgt American Home Mortgage

Investment (die Nummer 10). Beide Unternehmen waren stark in Geschäfte mit den vorher

noch boomenden Subprime Loans involviert, Kredite an nach Standard-Vergaberichtlinien

kaum kreditwürdige Personen und Unternehmen. Diese Kreditnehmer konnten als Erste

ihre Kredite nicht mehr bedienen. Der Preis ihrer Immobilien reichte nun aufgrund des

Preisverfalls jedoch auch nicht mehr aus, um die Kredite wenigstens durch den Verkauf zu

tilgen.45 So wuchsen die Verluste der Hypothekenfinanzierer immens.

Mit der Schließung zweier Hedgefonds durch die Investmentbank Bear Stearns im

Juni 2007 wurde erkennbar, dass die Probleme der Immobilienkrise auch auf das

Finanzsystem übergriffen. Auch deutsche Banken gerieten „wegen Fehlspekulationen am

US-Immobilienmarkt in die Krise“46, zum Beispiel einige Landesbanken und die

44 Vgl. S. 21, Abbildung: Selected Quarterly S&P/Case-Shiller Index Values (1987-2006), auf http://en.wikipedia.org/wiki/File:Case-shiller-index-values.jpg. Die Daten stammen von Standard & Poors und sind einsehbar auf http://www2.standardandpoors.com/spf/pdf/index/csnational_value_052619.xls. Es handelt sich um die Höhe der Immobilienpreise im US-Durchschnitt. 45 Vgl. Mortgage Backed Securities (MBS) auf Seite 7. 46 http://www.tagesschau.de/wirtschaft/chronologiefinanzmarktkrise102.html.

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Mittelstandsbank IKB. In den folgenden Monaten mussten immer mehr Geldinstitute vor

allem in den USA, Europa und Japan hohe Verluste abschreiben. Im März 2008 brach

schließlich Bear Stearns zusammen und musste verkauft werden, im Juli meldete „der

größte unabhängige Baufinanzierer der USA, Indymac“47, Insolvenz an. Im September

folgte die Verstaatlichung der beiden großen amerikanischen Hypothekenfinanzierer

FreddieMac und FannieMae, die „zusammen ein Hypothekenvolumen von 5 Billionen

Dollar [verwalten]. Annähernd die Hälfte aller US-Hauskredite befindet sich in ihrem

Portfeuille oder wird von ihnen garantiert.“48 Den Startschuss für die stärksten

internationalen Kursstürze gab jedoch der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman

Brothers am 15. September 2008, woraufhin dieser Tag als der „Schwarze Montag“ in die

Börsengeschichte einging.

Nachdem sich die Immobilienkrise so zu einer internationalen Finanzkrise

ausgeweitet hatte, stand das Finanzsystem im Fokus der Aufmerksamkeit. Dabei waren die

Banken nicht nur durch ihre Investitionen auf dem US-Hypothekenmarkt betroffen,

sondern kamen aufgrund der undurchsichtigen Finanzverflechtungen und eigenen

Liquiditätsengpässen auch immer schwerer an Kredite heran. Die Zentralbanken senkten

sukzessive die Zinssätze, um den Banken eine Refinanzierung mit billigen Zentralbank-

Krediten zu ermöglichen, doch ein neues Problem war bereits absehbar. Die Banken

vergaben nicht nur an andere Banken keine Kredite mehr, sondern lösten auch massiv

Kreditverträge mit Unternehmen und Privatpersonen auf, verlängerten viele nicht oder

gewährten kaum neue. Durch diese drohende „Kreditklemme“ war der Funke nun auch

vom internationalen Finanzsystem auf die internationale „»Realwirtschaft«, die Wirtschaft

der Arbeitsplätze, der Löhne und der Produktion“49 übergesprungen. Im Folgenden

wechselten sich Nachrichten über gewaltige Konjunkturprogramme in Höhe mehrerer

hundert Milliarden Dollar, Euro oder anderer Währungen mit Nachrichten über drohende

oder bereits nicht mehr abwendbare Insolvenzen und Verstaatlichungen einst großer

Banken und Unternehmen ab.50

Auch im Juli 2009 ist noch nicht ersichtlich, wie lange derartige Meldungen noch

anhalten werden und wie tief der Fall noch geht. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass

47 Wagenknecht 2009, S. 20. 48 Ebd., S. 36. Im Zuge der Immobilienkrise hat sich deren Anteil der neu vergebenen Krediten sogar auf 80 Prozent erhöht (vgl. ebd., S. 38). 49 Krugman, Paul: „Die neue Weltwirtschaftskrise“, Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main 1999 und 2009, S. 208. 50 Zum Beispiel bei der deutschen Immobilienbank Hypo Real Estate, der britischen Bank Northern Rock, dem amerikanischen Autobauer General Motors und seiner deutschen Tochter Opel, und dem weltgrößten Versicherungsunternehmen American International Group (AIG) – um nur einige zu nennen.

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26

das Ende der Krise noch bei weitem nicht erreicht ist: Allein in Deutschland wird die Zahl

der in Bankbesitz befindlichen „faulen Kreditpapiere“, die faktisch nichts mehr wert weil

unverkäuflich sind, auf über 800 Milliarden Euro geschätzt.51 Der Ökonom Nouriel

Roubini vermutet, dass in den USA bis 2010 die Arbeitslosenquote auf elf Prozent steigen

könnte, und schätzt die Wirtschaft insgesamt als schwach und weiterhin gefährdet ein.52

Auch eine W-förmige Rezession wird nicht ausgeschlossen – in diesem Szenario befänden

wir uns momentan zwischen dem ersten Ab- und Aufschwung. In Deutschland werden

wahrscheinlich spätestens 2010 die meisten Kurzarbeiter entlassen werden,

Konjunkturprogramme laufen aus, die Weltnachfrage nach deutschen Exporten stagniert

oder sinkt weiter.53 Anhand dieser Entwicklung tritt die Relevanz, die heutige

Kreditverbriefungspraxis im Rahmen einer politisch-ökonomischen Perspektive zu

betrachten, noch einmal deutlich zutage.

3.2. Die amerikanische Immobilienkrise als Phänomen

von beispielhafter Bedeutung Die amerikanische Immobilienkrise, über deren Verlauf ich soeben einen

partiellen Überblick gegeben habe, besitzt Vorzeigecharakter für andere

Spekulationsblasen und darauf folgende Krisen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, warum

die aktuelle Krise im Gegensatz zu bisherigen Spekulationsblasen derart gravierende

Auswirkungen hatte und immer noch hat. Hierzu schreibt Paul Krugman: „Ich bin versucht

zu sagen: So etwas wie diese Krise hat es noch nie gegeben. Richtiger wäre wohl, dass wir

alles an dieser Krise schon einmal hatten: eine platzende Immobilienblase, ähnlich dem,

was Ende der achtziger Jahre in Japan passierte; eine Serie von Bankanstürmen,

vergleichbar mit denen vom Anfang der dreißiger Jahre (nur dass hier nicht gewöhnliche

51 Vgl. Süddeutsche Zeitung: „Bilanz des Schreckens", Artikel vom 24.04.2009, auf: http://www.sueddeutsche.de/finanzen/735/466319/text/, zuletzt eingesehen am 17.07.2009. 52 Vgl. Roubini, Nouriel: „Mounting Job Losses Will Hurt Consumption, Housing, Banks Balance Sheets, Public Finances and Lead to Protectionist Pressures”, Artikel vom 14.07.2009, auf: http://www.rgemonitor.com/roubini-monitor/257274/mounting_job_losses_will_hurt_consumption_housing_banks_balance_sheets_public_finances_and_lead_to_protectionist_pressures, zuletzt eingesehen am 17.07.2009. 53 Vgl. zur Kurzarbeit Süddeutsche Zeitung: „Kurzarbeit hilft dem Arbeitsmarkt“, Artikel vom 30.06.2009, auf: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/338/476846/text/, zuletzt eingesehen am 17.07.2009. Vgl. zur Weltnachfrage Berliner Zeitung: „Die globale Nachfrage-Lücke“, Artikel vom 21.04.2008, auf: https://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0421/wirtschaft/0006/index.html und Frankfurter Allgemeine Zeitung: „ Wie kommt die Welt ins Gleichgewicht?“, Artikel vom 05.07.2009, auf: http://www.faz.net/s/Rub58241E4DF1B149538ABC24D0E82A6266/Doc~E461B77A2C29F4509A4992111464D2898~ATpl~Ecommon~Scontent.html, beide zuletzt eingesehen am 17.07.2009.

Page 28: Kreditverbriefungen Als Finanzinstrument Und Teilursache Der Weltwirtschaftskrise v1.01

27

Banken betroffen sind, sondern vorwiegend das Schattenbankensystem54); eine

Liquiditätsfalle in den Vereinigten Staaten, die wiederum an Japan erinnert; und zuletzt

eine Störung der internationalen Kapitalströme sowie eine Welle von Währungskrisen, die

allzu sehr an das erinnern, was in den ausgehenden neunziger Jahren in Asien passierte.“55

Diese Auswirkungen können mit meinen theoretischen Betrachtungen aus den

vorherigen Kapiteln erklärt werden.56 Gleichzeitig existieren tatsächlich empirische

Studien, die einige Zusammenhänge statistisch unterlegen. Diese werden an passender

Stelle angeführt und im Rahmen ihres Erklärungspotentials ausgewertet. Ich werde nun

zuerst aufzeigen, wie es zum „irrationalen Überschwang“57 in der Spekulationsblase und

zur gleichzeitigen „Kredit-Schwemme“ kam. Als Zweites werde ich illustrieren, wie die

Ausweitung der Kreditvergabe tatsächlich mit einem Absenken der Ansprüche an die

Kreditwürdigkeit der Schuldner einher ging, und zwar im Rahmen des Booms um die

Subprime Loans. Zuletzt möchte ich darstellen, wie die Verwerfungen auf dem

Immobilienmarkt entstanden und sich in das Finanzsystem und die „Realwirtschaft“

fortpflanzten.

3.2.1. „Irrationaler Überschwang“ und Kredit-Schwemme

Wie bereits im Abschnitt „Ausweitung des Kreditvolumens und sinkende

Ansprüche an die Bonität der Kreditnehmer“ (siehe S. 13ff.) theoretisch dargelegt, möchte

ich nun veranschaulichen, wie es zur rasanten Ausweitung des Kreditvolumens kam, die

54 Vgl. Krugman 2009, S. 180ff.: Unter dem „Schattenbankensystem“ kann man Gebilde zusammenfassen, „die unter dem Gesichtspunkt der Regulierung keine Banken [sind], aber dennoch Bankfunktionen [erfüllen].“ (ebd., S. 189.) Das betrifft v.a. das Einlagegeschäft: Normale Banken finanzieren sich hauptsächlich, indem sie Kredite vergeben. Diese sind durch Einlagen gedeckt. Um das Risiko zu vermeiden, dass die Bank insolvent geht und die Kunden ihre Einlagen verlieren, gibt es umfangreiche regulierende Vorschriften. Im Schattenbanksystem sind die Akteure und Instrumente jedoch nicht reguliert, da hier nicht mit klassischen Einlagen gearbeitet wird. Stattdessen wird das Geld bspw. in Kreditverbriefungen oder ähnlichen Finanzinstrumenten angelegt. Diese bieten eine höhere Verzinsung als normale Einlagen, dafür sind sie aber auch nicht vor Verlusten geschützt, wie das ansonsten durch die Einlagesicherungsfonds vieler Staaten der Fall ist. 55 Ebd., S. 193f. 56 Zu den Währungskrisen, die Krugman erwähnt, vgl. ebd., S. 206ff. Sie basieren auch auf einer Art Kreditklemme: Der Kapitalfluss von Ländern mit niedrigen Zinsen an Hochzins-Staaten versiegte. Die Konsequenz war, dass die Währungen der vormaligen Niedrigzins-Staaten stark an Wert gewannen, da kein Kapital mehr abfloss (Krugman nennt hier Japan). Im Gegensatz dazu verloren die Währungen von Hochzins-Staaten (v.a. Schwellenländer) an Wert. Die Folge waren enorme Verluste der Händler, die vorher Kredite zu niedrigen Zinsen aufgenommen hatten und diese in Hochzins-Staaten weiter vergeben wollten. Diejenigen (Banken und Unternehmen), die eben solche billigeren Kredite aus dem Ausland aufgenommen hatten, waren nun von Kreditkündigungen betroffen und begannen, die heimische Wirtschaft zu belasten. 57 Ein geflügeltes Wort von Alan Greenspan, das er bei einer Rede am 05.12.1996 anlässlich des Jahresdinners und der Francis Boyer Lecture des The American Enterprise Institute for Public Policy Research verwendete, auf: http://www.federalreserve.gov/boarddocs/speeches/1996/19961205.htm, zuletzt eingesehen am 17.07.2009.

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28

man zu Beginn und während des Immobilienbooms beobachten konnte. Diese

Beobachtung deckt sich mit meiner ersten These, dass im Rahmen der Kreditverbriefung

eine höchstmögliche Ausweitung des Kreditvolumens angestrebt wird. Fraglich ist, ob bei

der Ausweitung während der Immobilienkrise die Kreditverbriefungspraxis eine

wesentliche Rolle spielte, oder ob andere Gründe wahrscheinlicher sind.

Mittelfristig hat die Immobilienblase ihren Ursprung in einer anderen Krise,

nämlich im Zusammenbruch der sogenannten Dotcom-Blase, auf die hier jedoch nicht

näher eingegangen werden soll.58 Es sei nur so viel gesagt: Mit dem Boom der „New

Economy“, die den rasanten Aufstieg zahlreicher Internet-Unternehmen bis zum Jahr 2000

erlebte, und dem darauf folgenden schnellen Absturz, hätte es eigentlich zu einer

tiefgreifenden Rezession kommen müssen. Eine Rezession folgte tatsächlich, jedoch wurde

ihr durch eine Niedrigzinspolitik der amerikanischen Federal Reserve Bank entgegen

getreten, um die Wirtschaft wieder zu beleben. Diese Strategie gelang zwar indirekt,

allerdings bereitete eben diese Zinspolitik mit den extrem günstigen Kreditkonditionen die

idealen Entstehungsbedingungen für eine erneute Spekulationsblase. Wie Krugman

anführt, war die Politik der amerikanischen Notenbank nur deshalb erfolgreich, weil die

Aktienblase durch eine Immobilienblase ersetzt worden war und sich nun immer mehr

Kapital dort ansammelte und aufgrund der Wertsteigerungen vermehrte.59

Um das Jahr 2002, als die Auswirkungen der zusammengebrochenen Dotcom-

Blase am spürbarsten waren, stand der

Leitzins der US-Notenbank Federal

Reserve bei sehr niedrigen 2 Prozent

und wurde in den folgenden beiden

Jahren noch einmal um 1 Prozent

gesenkt – dem tiefsten Stand seit 46

Jahren.60 Das bedeutet, dass sich

normale amerikanische Banken zu

einem Zinssatz von 1 Prozent Geld bei ihrer Zentralbank leihen konnten, also extrem

günstig. Dies bedeutet auch, dass die Banken Kredite zu günstigeren Zinssätzen

herausgeben können, was die Kreditaufnahme wiederum für mehr Personen oder

Unternehmen attraktiv macht. Das verbesserte Kreditangebot wurde auch angenommen,

58 Vgl. hierzu u.a. Krugman 2009, S. 178 sowie Otte, Max: „Der Crash kommt. Die neue Weltwirtschaftskrise und was Sie jetzt tun können“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009, S. 87ff. 59 Vgl. Krugman 2009, S. 178. 60 Vgl. Abbildung „Leitzinsentwicklung der USA“, Quelle: http://www.leitzinsen.info/charts/funds.htm, zuletzt eingesehen am 19.07.2009.

Page 30: Kreditverbriefungen Als Finanzinstrument Und Teilursache Der Weltwirtschaftskrise v1.01

29

denn viele Hausbesitzer oder –käufer begannen damit, günstige Hypothekenkredite

aufzunehmen.61 Da die Hauspreise bereits seit 1995 im Steigen begriffen waren und

spätestens seit 1999 immer schneller anstiegen, war es auch kein Problem, neue

Hypotheken aufzunehmen beziehungsweise bereits vorhandene auszuweiten – der

Wertzuwachs hielt mit einer moderaten Schuldenaufnahme Schritt.

Allerdings verschuldeten sich die US-Bürger schneller und höher, als es ihrer

positiven Vermögenslage entsprach, so dass „das Eigenkapital, das ein durchschnittlicher

Amerikaner in sein Haus investiert hat, von 70 Prozent Anfang der achtziger Jahre auf

unter 55 Prozent 2005“62 sank. Die gesamten Hypothekenschulden amerikanischer

Haushalte erhöhten sich von

517 Milliarden Dollar im Jahr

1976 auf knapp 10,5 Billionen

Dollar im Jahr 2008.63 Davon

waren ca. 6,6 Billionen Dollar

als Mortgage Backed Securities

verbrieft.64

Es hatte also – bereits

seit den neunziger Jahren –

eine Kreditausweitung gegeben, die parallel zur Entwicklung der Immobilienpreise

erfolgte, 1998 noch einmal gewaltig anzog und 2008 ein Volumen von mehr als 73 Prozent

des Bruttoinlandsprodukts betrug.65 Die Möglichkeit für immer mehr Haushalte, an einen

günstigen Kredit zu kommen und am Ende durch die Wertsteigerung ihrer Immobilien

insgesamt finanziell besser zu stehen, war dabei auch ein erheblicher Anreiz für

Spekulanten. Diese konnten kreditfinanziert Immobilien kaufen und machten nach einiger

Zeit einen hohen Gewinn, wenn sie an zukünftige Hausbesitzer oder andere Spekulanten

verkauften. Da die Preise immer weiter stiegen, waren die Erwartungen hoch, auch bei

bereits überbewerteten Immobilienpreisen noch hohe Gewinne zu machen oder ohne

großes Risiko für das vorhandene Vermögen weitere Hypotheken aufzunehmen. Durch

diese Erwartungen flossen weitere kreditfinanzierte Mittel in den Immobilienmarkt, die

61 Vgl. Otte 2009, S. 88. 62 Ebd., S. 89. 63 Vgl. Abbildung „Hypothekenschulden der US-Haushalte von 1976 bis 2008 (in Billionen Dollar)“, Datenquelle: http://www.federalreserve.gov/releases/z1/current/coded/coded-2.pdf, zuletzt eingesehen am 19.07.2009. 64 Vgl. Abbildung „Outstandings as of 1Q ’07 ($billions)”, Quelle: Weaver, Karen: “The sub-prime mortgage crisis: a synopsis”, in: Deutsche Bank: “Global Securitisation and Structured Finance 2008”, S. 23. 65 Daten des IWF: „World Economic Outlook Database“, April 2009, einsehbar auf: http://www.imf.org/external/data.htm, zuletzt eingesehen am 19.07.2009.

Hypo t hekenschuld en d er US-Haushalt e von 19 76 b is 2 0 0 8

( in B il l ionen Do llar)

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2

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30

immer mehr zu reinen Spekulationszwecken genutzt wurden, womit sich der Kreis

schließt. Otte schreibt dazu: „Von 2002 bis 2005 stieg der Median der Häuserpreise in den

Vereinigten Staaten von 158 300 Dollar auf 208 500 Dollar. Diese Zahl verdeckt eher die

wahre Natur der Spekulationsblase: Die stärksten Preisanstiege finden natürlich im oberen

Preissegment oder in den begehrtesten Regionen statt. So kletterte der durchschnittliche

Kaufpreis für ein Apartment in Manhattan binnen zehn Jahren von 400 000 Dollar auf

1 400 000 Dollar im Jahr 2005. […] Der Median der Häuserpreise in San Diego lag im

September 2004 bei 584 000 Dollar.“66 Zudem sei „ein amerikanisches Einfamilienhaus

mit seinen Holz- und Pappwänden kaum mit einem deutschen Einfamilienhaus zu

vergleichen […].“67 Diese Zahlen und weitere Darstellungen, welche man bei Krugman,

Otte, Wagenknecht (alle 2009) und inzwischen auch vielen anderen Autoren finden kann,

verdeutlichen noch einmal ganz klar, dass man es mit einer Spekulationsblase zu tun hatte,

die von einer extremen Ausweitung des Kreditvolumens begleitet wurde. Es wird ebenfalls

deutlich, wie sich Spekulations- und Kreditblase gegenseitig anheizen: Die Banken

vergaben immer mehr Kredite, umso größer die Spekulationsblase wurde – denn sie

spekulierten selbst indirekt auf steigende Immobilienpreise. Doch woher kam in diesem

konkreten Fall die nicht endende Liquidität, die die Banken zur Kreditvergabe benötigten?

3.2.2. Das Absenken der Kreditvergabe-Standards und der

Boom von Subprime Loans

Soeben habe ich die explosionsartige Ausweitung des Kreditvolumens anhand

konkreter Zahlen zur Immobilienblase dargestellt. Die Frage, ob solch eine Ausweitung im

Rahmen der herkömmlichen Kreditvergabepraxis möglich ist, stellt sich auch im

Dunstkreis klassischer Wirtschaftstheorien. Die Skepsis ist gerechtfertigt, wie

beispielsweise eine Studie des IWF zeigt: Laut Dell’Ariccia et al. existieren statistische

Zusammenhänge zwischen Kreditvergabe-Standards und „credit booms“ sowie steigenden

Immobilienpreisen.68 Sie identifizieren vier Hauptdimensionen, die mit den regionalen

Kreditvergabe-Standards im US-Hypothekenmarkt negativ zusammenhängen: Eine

größere Ausweitung des Kreditvolumens, ein schnellerer Anstieg der Häuserpreise, eine

Expansion zuvor nicht präsenter Kreditinstitute sowie eine intensivere

Kreditverbriefungspraxis der Kreditgeber. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass diese

66 Otte, S. 90f. Vgl. weiterhin http://www.millersamuel.com/charts/ für weitere Hauspreisentwicklungen in bestimmten Regionen. 67 Ebd., S. 91. 68 Vgl. Dell’Ariccia 2008, S. 18.

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Zusammenhänge vorrangig auf das Segment der Subprime Loans zutreffen, während im

„normalen“ Kreditgeschäft die üblichen Standards weniger beeinflusst werden.

Dass die Kreditblase auch mit einem Boom im Marktsegment der Subprime Loans

einher ging, zeigt die unten stehende Abbildung.69 Zusätzlichen Erklärungswert erlangt sie,

wenn sie noch einmal mit den Daten für die allgemeine Verbriefungsrate, also den MBS,

verglichen wird (vgl. S. 27).

Ursache des Subprime-Booms

als „Unterkategorie“ der allgemeinen

Kreditschwemme dürfte die Spekulation

der Banken auf steigende

Immobilienpreise sein, die nach meinen

Thesen ein Absenken der Kreditvergabe-

Standards mit sich brachte. Denn nur durch steigende Immobilienpreise konnte gesichert

werden, dass auch Schuldner, bei denen die Rückzahlung einer Hypothek von vornherein

unrealistisch erscheint, dennoch keinen Verlust für die Bank bedeuteten – der Hausverkauf

hätte die gesamte Kreditsumme plus Strafzinsen, Vermittlungsgebühr etc. wahrscheinlich

mit einem Mal eingebracht.70 Zudem gab es andererseits quasi kein Risiko, von Ausfällen

betroffen zu sein, wenn man die Kredite bereits verbrieft und verkauft hatte.71 Dass dies

ausgenutzt wurde, zeigt der Zusammenhang zwischen Kreditvergabe-Praxis und dem

Anteil der Verbriefungen, der in der IWF-Studie hergestellt werden konnte. Zudem zieht

eine weitere Studie einen Kausalzusammenhang zwischen der zunehmenden Nutzung von

Kreditverbriefungen und dem regionalen Boom von Subprime Loans, die verbrieft

anscheinend teilweise bessere Gewinnmöglichkeiten als normale MBS boten – dort wird

also auch wieder mit den finanziellen Anreizen argumentiert.72

69 Vgl. Abbildung „Subprime Mortgage Securitization”, Quelle: http://subprimer.org/content/investment-banks-provided-subprime-lenders-critical-funding, ursprüngliche Quelle: Inside Mortgage Finance, zuletzt eingesehen am 24.07.2009. 70 Diese Einschätzung, weshalb Banken so viele Kredite an Schuldner niedriger Bonität vergaben, wird von einschlägigen Analysen geteilt. Vgl. hierzu Krugman 2009, S. 195 sowie Wagenknecht 2009, S. 17f. 71 Vgl. hierzu auch Wagenknecht 2009, S. 39: „Zwar behielten die Arrangeure der Subprime-Kredite ein Restrisiko in Form der Verpflichtung, im Falle eines frühzeitigen Zahlungsverzuges Kredite zurückzukaufen und bis zu einer vereinbarten Höhe für die Verluste geradezustehen. Aber da die Subprime-Hypotheken an den Finanzmärkten so gefragt waren und entsprechend teuer verkauft werden konnten, hätte sich das Geschäft sogar noch bei Eintreten dieser Verluste gelohnt.“ 72 Vgl. Nadauld, Taylor D. / Sherlund, Shane M.: “The Role of the Securitization Process in the Expansion of Subprime Credit”, FEDS Papers 2009, auf: http://www.federalreserve.gov/pubs/feds/2009/200928/200928pap.pdf, S. 30.

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32

3.2.3. Die Krise des Finanzsystems als Konsequenz

massenhafter Forderungsausfälle und dem Platzen der

Immobilienblase

So korrigierten sich die Gewinnerwartungen der Spekulanten zum Großteil erst,

als einerseits die Immobilienpreise derart hoch waren, dass selbst mit günstigsten

Finanzierungskonditionen kaum noch jemand bereit war, Häuser zu kaufen. Andererseits

begannen bereits mit Anfang

der extensiven

Vergabepraxis auch immer

mehr Kredite auszufallen,73

insbesondere im Subprime-

Markt mit seinen oftmals

variablen Zinssätzen – die

nach einem zeitweilig

extrem günstigen Zinssatz

stark anzogen.74 Auch die

allgemeinen Zinsraten

erhöhten sich (siehe Abbildung auf Seite 26). Diese Entwicklungen führten zum Platzen

der Blase.

Die Häuserpreise begannen im Sommer 2006 langsam zu fallen. Damit wurden

die vorher relativ frei vergebenen Hypotheken jedoch wieder zu einem Risiko für die

Kreditgeber, denn die erzielten Immobilienpreise unterschritten immer öfter den Wert der

Kredite. Dies sorgte für Verluste bei den Kreditgebern, aber auch und vor allem bei den

Besitzern der Verbriefungen. Zudem wurden immer mehr Immobilien wieder auf den

Markt geworfen, was die Preise zusätzlich sinken ließ. Das Volumen der nicht mehr

eintreibbaren Schulden wuchs immens in die Höhe, der Preisverfall nahm dramatisch an

Fahrt auf und der Case-Shiller-Hauspreisindex stürzte ab. Die weiter oben zu findende

Abbildung verdeutlicht die gesamte Dimension der resultierenden Verluste im

Finanzmarktbereich nach einer Schätzung des IWF im April 2008.75

73 Vgl. Wagenknecht 2009, S. 19. 74 Vgl. hierzu beispielsweise die Adjustable-Rate Mortgages (ARM) mit einer Erklärung auf: http://www.federalreserve.gov/pubs/arms/arms_english.htm#arm. 75 Vgl. Abbildung „Estimates of Financial Sector Potential Losses as of March 2008”, Quelle: IWF: „Global Financial Stability Report. Containing Systemic Risks and Restoring Financial Soundness”, April 2008, S. 12.

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33

Theoretisch hätte hier bereits alles zu Ende sein können: Die Kreditgeber und

Investoren hätten zwar unerwartet starke Verluste hinnehmen müssen, aber in manchen

Theorien gilt eine in diesem Fall zu erwartende Welle von Insolvenzen auch als heilsame

Marktbereinigung bzw. natürliches Risiko. Das eigentliche Problem war jedoch

schwieriger: Aufgrund der Verflechtungen zwischen den Investoren (die gleichzeitig auch

zum Großteil Kreditgeber sind) sowie zwischen Kreditgebern und „Realwirtschaft“, konnte

eine einzige Insolvenz potentiell Dutzende weitere nach sich ziehen. Ein beeindruckendes

Beispiel hatte bereits die Investmentbank Lehman Brothers geliefert. Die Bank hatte

nämlich Kredite aufgenommen, mit denen sie wiederum in problematische Finanzpapiere

investierte. Als sie aufgrund der hohen Verluste in Schwierigkeiten geriet, fiel der

Liquiditätsnachschub weg. Kein Finanzmarktinvestor und keine Bank war mehr bereit,

einem möglicherweise von der Insolvenz bedrohten Unternehmen noch weitere Kredite zu

gewähren.

Da auch die US-amerikanische Regierung nicht eingriff und für

Kreditbürgschaften sorgte, weil Lehman Brothers zu dem Zeitpunkt noch als „nicht

systemrelevant“ betrachtet wurde, musste die Investmentbank ihr Vermögen in Form von

Finanzmarktpapieren zu niedrigsten Preisen verkaufen und schließlich Konkurs anmelden.

Nun konnten jedoch einerseits auch die bereits abgeschlossenen Kredite nicht mehr bedient

werden, andererseits konnte Lehman Brothers nicht mehr als Sicherungsgeber bei

Kreditderivaten fungieren. Dies verstärkte die Auswirkungen der weiter wachsenden

Ausfallraten im (Subprime-)Verbriefungsmarkt, was wiederum zu einer stärkeren

Belastung der ursprünglichen Kreditgeber führte. Den Banken und Investoren wurde ein

Sachverhalt immer bewusster: Da die Verbriefungszertifikate bis dahin unter Umständen

auch mehrfach den Besitzer hatten wechseln können, war natürlich allgemein vollkommen

unklar, welche Unternehmen vom Ausfall welches Sicherungsgebers zu welchem

Zeitpunkt wie stark getroffen werden konnte. Dies begründete den Vertrauensverlust der

Banken und Investoren untereinander, der gleichzeitig als Ursache und Folge der

schwierigen Refinanzierungsbedingungen gilt, unter denen viele (Schatten-)Banken zu

leiden hatten.

Ohne im Einzelnen auf die genauen Kreditbeziehungen der unterschiedlichen

Finanzmarktakteure einzugehen, kann man das Resultat dieser Entwicklung mit dem

Begriff Deleveraging, also dem (zwangsweisen) Abbau von Fremdfinanzierung,

beschreiben: „Solange die Anleger […] ihre Gelder aus diesen Märkten [für verbriefte

Forderungen] abzogen oder abzuziehen drohten, wurde das System anfällig für einen sich

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selbst verstärkenden Kreislauf, in dem der erzwungene Verkauf von Vermögenswerten

(um das abgezogene Kapital mit Eigenkapital zu ersetzen, Anm. d. Autors) die Volatilität

weiter verstärkte und dies wiederum die Preise […] drückte. […] Kapitalpolster schmolzen

ab, weil Vermögenswerte zu Schleuderpreisen veräußert wurden. Was diese Dynamik noch

verstärkte, war die geringe Qualität der Vermögenswerte, […] die über das ganze System

verteilt waren. Dies ist einer der Gründe, warum eine relativ kleine Menge riskanter

Vermögenswerte das Vertrauen der Anleger und anderer Marktteilnehmer in einem sehr

viel breiterem Spektrum von Vermögenswerten und Märkten untergraben konnte.“76

Krugman beschreibt die Auswirkungen dieses Prozesses als eine Art Bankenansturm auf

das Schattenbankensystem, in dem wichtige Einlagen abgezogen wurden und die Banken

versuchen mussten, diese mit Eigenkapital zu ersetzen. Zusammengefasst: Aufgrund hoher

Verluste wurde das Vertrauen in sämtliche (!) vormals als sicher erachtete Anlageformen

zerstört, was zum flächendeckenden Abzug des Kapitals führte, was wiederum zu weiteren

Verlusten auch bei tatsächlich relativ sicheren Anlagen führte. Eine klassische

Kreditklemme für alle Unternehmen, die sich über den Finanzmarkt refinanzierten.

Die undurchsichtige Forderungsverflechtung zwischen den Finanzmarktakteuren,

die durch die Kreditverbriefungspraxis zum Großteil hervorgerufen worden war, stand also

nur am Anfang der Finanzmarktkrise. Der aufgrund der Verluste (besonders im Subprime-

Markt) daraus hervorgehende Vertrauensverlust zwischen den Akteuren war viel

zerstörerischer. Gleichzeitig wird klar, weshalb ich hier von einer Finanzmarktkrise rede,

und nicht von einer Bankenkrise: Die von der Krise hauptsächlich betroffenen

Institutionen, Konstruktionen und Arrangements gehörten zum Schattenbankensystem,

welches die klassische Funktion der Einlagebanken auf Finanzmarktebene erfüllte, ohne

deren Regulierung zu unterliegen.77

3.3. Fazit: Empirische Betrachtung zur

Kreditverbriefung als Krisenfaktor Um die Forschungsfrage dieser Arbeit noch einmal in Erinnerung zu rufen:

Warum hatte die Kreditverbriefungspraxis einen Einfluss auf die Weltwirtschaftskrise? Ich

habe versucht, diese Frage hypothetisch durch zwei Thesen zu beantworten:

76 Krugman 2009, S. 198f. 77 Vgl. Fußnote 54 auf S. 27 dieser Arbeit.

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1.) Kreditverbriefung als Finanzmarktinstrument führt tendenziell zur höchstmöglichen

Ausweitung des Kreditvolumens.

2.) Kreditverbriefung führt tendenziell zum größtmöglichen Absenken der Ansprüche

an die Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer.

Diese Thesen und ihre Erklärungskraft habe ich dann versucht, in einer

theoretischen Argumentation plausibel zu machen: Kreditverbriefung verschärft die

Ausweitung von Spekulationsblasen (durch Kreditblasen) und legt durch das Absenken

von Kreditvergabe-Standards unter anderem den Grundstein, um die Wirkung des

unweigerlich folgenden Platzens der Blasen noch zu verstärken. In diesem Kapitel habe ich

nun empirische Anzeichen und Belege vorgestellt, die meine Thesen und die zugrunde

liegende Argumentation weiter stützen. Insgesamt scheint auch die Empirie meine Thesen

zu bestätigen, wodurch meine Forschungsfrage (im Rahmen dieser begrenzten

wissenschaftlichen Untersuchung) plausibel, wenn auch nicht abschließend, beantwortet

wurde.

Die Kapitel 3.2.1 und 3.2.2 (vgl. S. 25ff.) haben gezeigt, dass eine rapide

Ausweitung des Kreditvolumens tatsächlich zusammen mit einem Absenken der

Kreditvergabe-Standards während des Immobilienbooms zu beobachten war. Zudem

wuchs die Spekulationsblase gemeinsam mit der Kreditblase. Hierbei ist interessant, dass

sich die Kreditblase bereits seit längerem ausdehnte, schon vor der Dotcom-Blase. Dies

würde mit der Aussage Krugmans übereinstimmen, dass nach dem Niedergang der „New

Economy“ die eine Blase von der nächsten ersetzt wurde.78 Es scheint also plausibel

anzunehmen, dass Kredit- und Spekulationsblasen sich gegenseitig „befeuern“.

Die Zusammenhänge zwischen Höhe der Verbriefungsrate und Volumen der

Kreditvergabe während des Immobilienbooms erhärten weiterhin die Schlussfolgerung,

dass die (Gewinn-)Anreize eine extrem große Rolle spielten. Dass die Verbriefungen mit

offensichtlich hohen Gewinnen verkauft werden konnten – also eine hohe Nachfrage selbst

nach Kreditrisiken bestand – lässt sich einerseits mit den hier nur in Ansätzen aufgezeigten

Möglichkeiten zur Verbesserung der Ratings erklären, also bspw. durch Tranchierung.

Andererseits spielt die Financial Instability Hypothesis von Hyman Minsky eine größere

Rolle, als ich ihr innerhalb der Arbeit aufgrund meiner Konzentration auf

Kreditverbriefungen eingeräumt habe. Die These, dass Akteure auf dem Finanzmarkt zu

höheren Risiken neigen, wenn die nähere Vergangenheit gute wirtschaftliche

78 Vgl. Krugman 2009, S. 178 bzw. S. 28 dieser Arbeit.

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Rahmenbedingungen bot, berührt dabei die Grundfesten der Funktionsweise des

Finanzsystems79 – eine Auseinandersetzung allein mit dieser These wäre eine eigene

Dissertation wert.

Auffallend ist auch die rasche Ausbreitung der Immobilienkrise auf das

Finanzsystem bis hin zur Weltwirtschaft. Eine Finanzmarktkonstruktion, die die

Zirkulation von Krediten oder ihren Risiken in einem derart beeindruckenden Rahmen

ermöglicht, ist eine durchaus bemerkenswerte Erfindung. Sie hat das Kreditwesen

revolutioniert: Allein die Zahlen über die gehandelten Immobilienkredite sind

astronomisch, vielmehr noch die Anzahl aller verbrieften Forderungen. Das Volumen der

Kreditverbriefungen ist jedoch proportional zu deren Gefahr, da die Verflechtung zwischen

den unzähligen Finanzmarktakteuren natürlich immer weiter zunimmt. Die traditionelle

These ist, dass dadurch das Risiko einzelner Insolvenzen extrem vermindert werde. Man

erkennt jedoch, dass sich bei Zahlungsunfähigkeit einer bestimmten Anzahl von

Kreditnehmern die Auswirkungen extrem verstärken. Mit den Kreditausfällen fallen auch

Sicherungsgeber aus, es ist unklar wie viele Verluste einzelne Akteure tragen müssen, das

für die Kreditvergabe insbesondere im Interbankenmarkt extrem wichtige Vertrauen sinkt

schnell.

Bemerkenswert ist ebenfalls, dass auf die internationalen Großbanken ungefähr

die Hälfte aller Verluste entfallen.80 Die Investmentsparten der Banken haben

Verbriefungen also vor allem wechselseitig an sich selbst verkauft. Dies zeigt deutlich,

dass sich die Risiken eben nicht „wie durch eine unsichtbare Hand“ auf eine hohe Zahl von

Investoren gleichmäßig verteilen, sondern zum Großteil wieder in den Portfolios der

unterschiedlichen Banken und verbriefenden Akteure landen. Hier müsste geklärt werden,

warum dies geschieht. Es scheint jedoch sehr naheliegend, dass dies ein Ausdruck der

Spekulation der verschiedenen Banken ist, die ebenfalls an den Gewinnen mit geringer

Eigenkapitalquote und –risiko teilhaben wollten und somit branchenspezifische

Risikokonzentrationen aufgebaut haben. Die entsprechende Branche war der boomende

Immobilienmarkt; es ist zu erwarten, dass die gleiche branchenspezifische

Risikokonzentration als Ausdruck der spekulativen Interessen in jeder Spekulations- bzw.

Kreditblase zu beobachten ist.81

79 Vgl. Minsky 1993. 80 Vgl. IWF April 2008, S. 12 bzw. die Abbildung auf S. 32 dieser Arbeit. 81 Interessanterweise würden diese Fakten in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wahrscheinlich als Ausdruck nach Risikodiversifizierung verstanden werden, was dort ebenfalls eine wichtige Funktion von Kreditverbriefungen ist (vgl. Rudolph et. al, S. 10). Meiner Meinung nach ist es jedoch recht unverständlich,

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37

Es hat sich in der Arbeit also herausgestellt, dass insbesondere die Anreize zur

Gewinnmaximierung und gleichzeitigen Risikominimierung, die Kreditverbriefungen

bieten, kaum überschätzt werden können. Dennoch muss unbedingt darauf geachtet

werden, dass hier nur eine Referenz geschaffen wurde. Weitere wissenschaftliche

Untersuchungen müssten andere Finanzkrisen untersuchen und testen, inwiefern die hier

dargestellten Befunde auch dort zutreffen. Diese anderen Krisen existieren tatsächlich.

Paul Krugman zählt gleich mehrere mögliche Kandidaten auf, die er als „Warnungen“82

vor der Instabilität des heutigen Finanzsystems versteht und seinen Betrachtungen zur

aktuellen Weltwirtschaftskrise voranstellt: Die sogenannte „Tequila-Krise“ von 1995 in

Lateinamerika.83 Die „Wachstumsdepression“ in Japan seit 1991.84 Die Asienkrise 1997.85

Die Wirtschaftskrise 2002 in Argentinien.86

Neben den empirischen Belegen, die sich zur erwarteten Rolle der

Kreditverbriefungen als Krisenfaktor gefunden haben, sollte man im Rahmen einer

umfassenden Erkenntnissuche auch andere Finanzinstrumente und -konstruktionen auf ihre

entsprechenden Auswirkungen hin untersuchen. Denkbar wären beispielsweise Termin-

Geschäfte, Währungsarbitrage (z.B. durch sogenannte „Carry Trades“, also

Kreditgeschäfte zwischen Staaten mit Hoch- und Niedrigzinspolitik), die Auswirkungen

speziell von Leveraged Loans (also durch massive Kreditaufnahmen unterstützte

Finanzgeschäfte) und viele mehr.

weshalb Banken ihr Risiko nur diversifizieren sollten, wenn sie es insgesamt abbauen könnten. Die einzige plausible Erklärung ist, dass sie damit eben auch Geld verdienen wollen und können. 82 Vgl. Krugman 2009, S. 43. 83 Vgl. ebd., S. 41ff. 84 Vgl. ebd., S. 70ff. 85 Vgl. ebd., S. 95ff. 86 Vgl. ebd., S. 118f.

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38

4. Kreditverbriefung – sinnvolles Instrument des

Finanzmarktes oder systemisches Risiko für eine

Marktwirtschaft? Am Ende dieser Arbeit stellt sich nun die Frage, wie im Rahmen der

vorhergehenden Betrachtungen die Kreditverbriefung bewertet werden soll. Anhand der

empirischen Belege, die für meine theoretische Argumentation existieren, muss die

Nutzung von Kreditverbriefungen auf dem Finanzmarkt als tendenziell destabilisierend

angesehen werden.

Diese stark destabilisierende Wirkung von Verbriefungen ist auf einen

fundamentalen Veränderungsprozess zurückzuführen, den ein zentrales kapitalistisches

Prinzip durchlaufen hat: Die Kreditverbriefung stellt eine weitreichende Modifikation des

Kreditwesens dar, deren Dimension für unser global vernetztes, hoch komplexes

Finanzsystem heute vielleicht noch gar nicht vollständig erfasst werden kann. Durch die

verschiedenen Verbriefungsmethoden können vormals fast illiquide Kredite beinahe

unbeschränkt auf dem größten Markt der Welt gehandelt werden, dem Finanzmarkt. Und

weil es der größte Markt der Welt ist, ist die Liquidität, die zur weiteren Kreditvergabe

genutzt werden kann, beinahe unbegrenzt und hat sich somit fast vollständig von der

finanzielle Situation der Banken abgekoppelt. Diese werden immer mehr zu Vermittlern

von Krediten. Diese beiden für die Wirtschaftsentwicklung erst einmal positiven

Charakteristika gehen mit einem gravierenden Problem einher. Die Anreize, die sich

aufgrund der Funktionen wie auch der Konstruktion von Verbriefungen im Kontext

unseres komplexen Finanzsystems ergeben, sind ohne Regulierung vollkommen

dysfunktional. Kreditverbriefungen verändern also fundamentale Stellschrauben im

kapitalistischen Kredit- und somit Wirtschaftssystem, die über die Generierung von

Spekulations- und Kreditblasen in Verbindung mit immer risikoreicheren Anlageformen zu

einer zunehmenden Instabilität des Finanzmarktes führen.

Soweit die Theorie. Natürlich ist es vollkommen naheliegend, dass derartige

negative Auswirkungen durch Regulierungssysteme minimiert werden können. Die

Regulierung des Wirtschaftssystems ist und bleibt jedoch ein Ausdruck der

Machtverhältnisse zwischen politischem und ökonomischem System. Die Ausprägung

dieser Machtverhältnisse müsste in einem größeren Rahmen untersucht werden, der

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generell auch die grundlegenden Eigenschaften beider Systeme umfasst und ihre

Wechselwirkungen untersucht.

Dennoch wage ich eine Prognose: Kreditverbriefung wird in Zukunft entweder

dereguliert bleiben oder wieder dereguliert werden, sobald die Erinnerungen an die

aktuelle Weltwirtschaftskrise verblasst sind. Die Anreize, die ich aufgeführt habe, mögen

zum Teil simpel sein, aber sie stehen auch ebenso kraftvoll hinter den manifesten

Interessen des Finanzsystems (insbesondere in Form von Investoren beziehungsweise

Spekulanten). Gleichzeitig sind sie ein Ausdruck der Logik des kapitalistischen

Wirtschaftssystems, in der Gewinnmaximierung und Risikominimierung die Begleiter

allen rationalen Handelns sind – Unternehmen, die diese Logik nicht verfolgen, sind nicht

erfolgreich. Insofern ist es auch befremdlich, eine bestimmte „Gier“ für die Ursprünge der

Krise verantwortlich zu machen, wenn diese Ursprünge nach der Logik des dominierenden

Wirtschaftssystems doch vollkommen rational sind. Unter Einbeziehung dieser

Überlegungen ist es beinahe sicher, dass Kreditverbriefungen als solche ein systemisches

Risiko für die Finanzmarktstabilität darstellen, welches die Bildung von Spekulations- und

Kreditblasen verursacht oder fördert. Insbesondere die höchstwahrscheinlich weiter

zunehmende finanzwirtschaftliche Verflechtung garantiert, dass Kreditverbriefungen

mitsamt den Derivaten „financial weapons of mass destruction“87 bleiben.

87 Buffet 2002, S. 16. Siehe Einleitung.

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