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einem Ernstfall bei der Abwehr eines Angreifers eingesetzt werden. Oft ist das Ziel der Abwehr, den Gegner in die Bauchlage zu bringen und ihn am Boden zu kontrollieren. Bei Hebeltech- niken oder Festhaltern wird dabei auch Druck auf den Thorax ausgeübt. Diese waffenlose Intervention, die an sich recht harmlos anmutet, kann jedoch den Angreifer töten. Anatomische Grundlagen Damit der Körper stets genügend mit Sauerstoff versorgt werden kann, braucht es eine variable und angepas- ste Atmung, d.h. ein Regelungssystem. Sensoren in den Blutgefässen melden dem Gehirn, wenn der Sauerstoffparti- aldruck im Blut unter eine gewisse Grenze fällt. Das Gehirn reagiert (ver- mittelt u.a über Adrenalin, eine Über- trägersubstanz des vegetativen Ner- vensystem) mit einem Anstieg der Atemfrequenz, des Atemzugsvolu- mens und des Blutdrucks, damit die 40 01/12 KUATSU FÜR ALLE LAGEBEDINGTER ERS oder Positional Asphyxia Syndrom Zugegeben – ein etwas unge- wöhnliches Thema in unserem Heft. Mit diesem Artikel möchten wir unsere Mitglieder auf mögliche Folgen allfälliger Abwehren von Angriffen mit unseren Techniken hinweisen. Bei der Polizei ist das Phänomen nach einigen solchen Todesfällen bei Festnahmen längst bekannt und wird entsprechend geschult. Lagebedingter Erstickungstod (LBET) oder Positional Asphyxia Syndrom (PAS) bezeichnet eine durch die Kör- perhaltung bedingte oder durch Druck auf Brust und Bauch verursachte Atem- behinderung, die zum Erstickungstod führen kann. In der Medizin tritt dieses Phänomen u.a. auf bei Verkehrsunfäl- len, Einklemmungen, Verschüttungen und dem plötzlichen Kindstod. Auch bei Anwendung gewisser Ju-Jitsu- und Judotechniken kann ein PAS entstehen, vor allem wenn diese Techniken in Durchblutung des Gehirns als empfind- lichstes und wichtigstes Organ des Kör- pers nicht gefährdet wird. Der Körper braucht erheblich mehr Sauerstoff vor- wiegend bei körperlicher Aktivität, weil die Muskulatur dann vermehrt durch- blutet werden muss und die Gefässe zu diesem Zweck weit gestellt werden. Aber auch bei emotionalem Stress kommt es zum gleichen Ablauf: durch Anstieg des Adrenalins kommt es zur Kampfbereitschaft mit maximaler Wachsamkeit (Vigilanz) und Kraft – eine von der Natur eingerichtete Reak- tion, die dem Neandertaler das Überle- ben im Kampf gegen seine Jagdbeute gesichert hat und heute noch immer als Risikofaktor für Herz-Kreislauf- Krankheiten in der Medizin eine Rolle spielt. Damit auch mehr Sauerstoff aus den Lungen aufgenommen werden kann, darf der Brustkorb (und auch der Bauch) nicht eingeengt sein (Einatmen: Dehnung des Brustkorbs und Verlage- rung des Zwerchfells nach unten) und die Atemwege müssen frei sein. Zu Zei- ten der Wespentaillen-Mode kam es durch Einengung des Thorax und des Bauches durch die geschnürten Röcke zu einem PAS. Die Damen vielen rei- henweise in Ohnmacht und jede hatte ihr Riechfläschchen dabei. Darin be- fand sich Ammoniak, ein äusserst star- kes Reizgas, das den Ladies unter die Nase gehalten wurde und sie wieder aus der Bewusstlosigkeit holte. Was läuft ab im Körper? Immer wenn Gewalt im Spiel ist, steigt das Adrenalin (beim Angreifer und beim Opfer!). Ist ein Mensch in einem psychischen Ausnahmezustand, sei es durch emotionale Belastung, Erschöp- fung, erregende Drogen, Alkohol, Angst, Panik oder geistige Verwirrung, Illustration mit freundlicher Genehmigung der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch.

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einem Ernstfall bei der Abwehr einesAngreifers eingesetzt werden. Oft istdas Ziel der Abwehr, den Gegner in dieBauchlage zu bringen und ihn amBoden zu kontrollieren. Bei Hebeltech-niken oder Festhaltern wird dabei auchDruck auf den Thorax ausgeübt. Diesewaffenlose Intervention, die an sichrecht harmlos anmutet, kann jedochden Angreifer töten.

Anatomische GrundlagenDamit der Körper stets genügend mitSauerstoff versorgt werden kann,braucht es eine variable und angepas-ste Atmung, d.h. ein Regelungssystem.Sensoren in den Blutgefässen meldendem Gehirn, wenn der Sauerstoffparti-aldruck im Blut unter eine gewisseGrenze fällt. Das Gehirn reagiert (ver-mittelt u.a über Adrenalin, eine Über-trägersubstanz des vegetativen Ner-vensystem) mit einem Anstieg derAtemfrequenz, des Atemzugsvolu-mens und des Blutdrucks, damit die

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K U A T S U F Ü R A L L E

LAGEBEDINGTER ERSode r P o s i t i o na l A sphyx i a S ynd romZugegeben – ein etwas unge-

wöhnliches Thema in unseremHeft. Mit diesem Artikel möchtenwir unsere Mitglieder auf möglicheFolgen allfälliger Abwehren vonAngriffen mit unseren Technikenhinweisen. Bei der Polizei ist dasPhänomen nach einigen solchenTodesfällen bei Festnahmen längstbekannt und wird entsprechendgeschult.

Lagebedingter Erstickungstod (LBET)oder Positional Asphyxia Syndrom(PAS) bezeichnet eine durch die Kör-perhaltung bedingte oder durch Druckauf Brust und Bauch verursachte Atem-behinderung, die zum Erstickungstodführen kann. In der Medizin tritt diesesPhänomen u.a. auf bei Verkehrsunfäl-len, Einklemmungen, Verschüttungenund dem plötzlichen Kindstod. Auchbei Anwendung gewisser Ju-Jitsu- undJudotechniken kann ein PAS entstehen,vor allem wenn diese Techniken in

Durchblutung des Gehirns als empfind-lichstes und wichtigstes Organ des Kör-pers nicht gefährdet wird. Der Körperbraucht erheblich mehr Sauerstoff vor-wiegend bei körperlicher Aktivität, weildie Muskulatur dann vermehrt durch-blutet werden muss und die Gefässe zudiesem Zweck weit gestellt werden.Aber auch bei emotionalem Stresskommt es zum gleichen Ablauf: durchAnstieg des Adrenalins kommt es zurKampfbereitschaft mit maximalerWach samkeit (Vigilanz) und Kraft –eine von der Natur eingerichtete Reak-tion, die dem Neandertaler das Überle-ben im Kampf gegen seine Jagdbeutegesichert hat und heute noch immerals Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten in der Medizin eine Rollespielt. Damit auch mehr Sauerstoff aus denLungen aufgenommen werden kann,darf der Brustkorb (und auch derBauch) nicht eingeengt sein (Einatmen:Dehnung des Brustkorbs und Verlage-rung des Zwerchfells nach unten) unddie Atemwege müssen frei sein. Zu Zei-ten der Wespentaillen-Mode kam esdurch Einengung des Thorax und desBauches durch die geschnürten Röckezu einem PAS. Die Damen vielen rei-henweise in Ohnmacht und jede hatteihr Riechfläschchen dabei. Darin be-fand sich Ammoniak, ein äusserst star-kes Reizgas, das den Ladies unter dieNase gehalten wurde und sie wiederaus der Bewusstlosigkeit holte.

Was läuft ab im Körper?Immer wenn Gewalt im Spiel ist, steigtdas Adrenalin (beim Angreifer undbeim Opfer!). Ist ein Mensch in einempsychischen Ausnahmezustand, sei esdurch emotionale Belastung, Erschöp-fung, erregende Drogen, Alkohol,Angst, Panik oder geistige Verwirrung,Illustration mit freundlicher Genehmigung der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch.

Page 2: LAoGderE PBosEitiDonIaNl AGsphTyExiRa S yEndR roSmjudoclub-pratteln.ch/wp-content/uploads/2014/11/Kuatsu... · 2014-12-14 · KUATSU FÜR ALLE LA oG derE PB osE itiD onI aN l AG sphT

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nennt man diesen Zustand «ExitedDelir». Was passiert dabei medizinisch?Der Sauerstoffbedarf steigt massiv an,Atemfrequenz und -volumen unddamit die Sauerstoffaufnahme werdenerhöht. Wird in so einem Fall die At-mung mechanisch behindert (Kom-pression des Thorax, fixierte Bauchlage,natürlich auch beim Würger undSchwitzkasten), dann kann es zu aku-ter Atemnot mit Todesangst kommen.Dies wiederum führt zu noch mehrAdrenalin im Blut, der Sauerstoffbedarfsteigt noch weiter und man wehrt sichheftig gegen die Beeinträchtigung.Dabei werden ungeahnte Kräfte mobi-lisiert. Der Notstand (Überlebens-kampf) wird nicht erkannt und die verzweifelte Abwehrreaktion des Be-troffenen wird als Widerstand fehlge-deutet und provoziert mehr Druck aufden Thorax und bessere Kontrolle, waszu noch mehr Angst führt. Damit läuftder Teufelskreis an und das Unheilnimmt seinen Lauf. Reicht die Sauer-

stoffzufuhr nicht mehr aus, wird manbewusstlos, was letztlich zum Todführt. Die Atmung kann sogar durch dieBauchlage alleine behindert werden,vor allem bei übergewichtigen Perso-nen oder beim plötzlichen Kindstod(SIDS). Bereits zwei Minuten in erzwun-gener Bauchlage können das Leben ge-fährden. Emotionaler Stress und Panikverschärfen die Situation erheblich.Wer es nicht glaubt, soll einmal seinenPuls tüchtig hochjagen und dann aufden Bauch liegen. Das Aha-Erlebnis istdeutlich: man kommt ganz schön insSchnaufen und braucht viel längere Er-holungszeit als in aufrechtem Zustand.

Was muss ich tun?Niemandem längere Zeit Brustkorb (und Bauch)zusammendrücken!

Erlahmende Abwehrreaktionen derPerson z.B. in fixierter Bauchlage heisstnicht, dass diese eingesehen hat, dass

Abwehr nur Schmerzen erzeugt und eswohl besser wäre, nicht mehr um sichzu treten oder zu zappeln. Diese Reak-tion kann eine (bald eintretende) Be-wusstlosigkeit anzeigen und damitwird es Zeit, richtig zu handeln: Die Per-son sofort in Seitenlage drehenund/oder loslassen. Regt sie sich nicht,die Vitalzeichen Puls und Atmung prü-fen. Nötigenfalls 1. Hilfe leisten (Reani-mation) und Sanität und/oder Notarztrufen. Es empfiehlt sich, dieses Vorge-hen auch im Ernstfall bei einem Angrei-fer anzuwenden, den man überwältigthat, ansonsten kann eine Anklagewegen unterlassener Hilfeleistung dieFolge sein. Das Gesetz macht so unterUmständen den Täter zum Opfer undumgekehrt!Weitere Zeichen eines drohenden LBETsind weit aufgerissener Mund undAugen, heftige oder ungewöhnlicheAtemgeräusche (Röcheln, Schnappen,Pfeifen), Atemstillstand, starkesSchwitzen, Krämpfe und Blaufärbungvon Gesicht und Hals (Blutstau in deroberen Hohlvene – vgl. Abb.).

Bitte beachten!Im Training und im Ernstfall immerauch mit Panikreaktionen rechnen undwachsam sein! Im Dojo und Wett-kampf beim Abklopfen konsequentund sofort loslassen! Dies gilt be-sonders bei unbekannten Trainings-partnern. Es ist auch zu bedenken, dass unbe-kannte Faktoren wie z.B. vorbestehen-de Erkrankungen mitspielen könnenund bitte immer daran denken, dass imAusnahmezustand mit unerwartetenoder paradoxen Reaktionen zu rechnenist.Reta Tschopp, Kuatsu-Instruktorin

Die blaue Verfärbung von Hals und Kopf durch Blutstau in den Venenvon Hals und Kopf (Druck auf Thorax) deutet auf einen drohenden lagebedingten Erstickungstod hin.

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