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politische Bildung Baden-Württemberg M 4542 F Politik und Unterricht Zeitschrift zur Gestaltung des politischen Unterrichts POLITISCHER WIDERSTAND GEGEN DIE NS-DIKTATUR Kurt Schumacher. Eugen Bolz Georg Elser Die ,,Weiße Rose“ am Beispiel von Hans und Sophie Scholl Claus Graf Schenk von Stauffenberg

M 4542 Politik und Unterricht · POLITISCHER WIDERSTAND GEGEN DIE NS-DIKTATUR Im Jahr 1994 liegen das Attentat auf Hitler und der Staatsstreichversuch vom 20. Juli fünfzig Jahre

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politische BildungBaden-Württemberg

M 4542 F

Politik undUnterrichtZeitschrift zur Gestaltung des politischen Unterrichts

POLITISCHERWIDERSTANDGEGEN DIE NS-DIKTATURKurt Schumacher. Eugen Bolz Georg Elser Die ,,Weiße Rose“ am Beispiel von Hans und SophieScholl Claus Graf Schenk von Stauffenberg

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2. Quartal 20. Jahrgang

,,Politik und Unterricht“ wird von der Landeszentrale fürpolitische Bildung Baden-Württemberg herausgegeben.

Herausgeber und Chefredakteur:

Siegfried Schiele, Direktor der Landeszentrale für politischeBildung Baden-Württemberg

Redaktionsteam:

Otto Bauschert, M.A., Oberregierungsrat, Landeszentralefürpolitische Bildung, Stuttgart (geschäftsführender Redakteur)

Ernst-Reinhard Beck, Oberstudiendirektor, Direktor desFriedrich-List-Gymnasiums Reutlingen

Ulrich Manz, Rektor der Schiller-Schule Esslingen

Horst Neumann, Ministerialrat,Verkehrsministerium Baden-Württemberg, Stuttgart

Karin Eichendorff-Realschule Reutlingen

Anschrift der Redaktion:70184 Stuttgart, Stafflenbergstraße 38,T e l . ( 0 7 1 1 ) T e l e f a x ( 0 7 1 1 ) 2 1 5 3 - 4 8 3

Politik und Unterrichterscheint vierteljährlich Baustein DPreis dieser Nummer: DM

Jahresbezugspreis DM Unregelmäßig erscheinendeSonderhefte werden zusätzlich mit je DM in Rechnunggestellt.

Die ,,Weiße Rose“ am Beispielvon Hans und Sophie Scholl(Silvester

Baustein EVerlag: Neckar-Verlag GmbH Claus Graf Schenk von Stauffenberg78050 Villingen-Schwenningen, Klosterring 1 (Christof

Druck: Baur-Offset GmbH Co.78056 Villingen-SchwenningenLichtensteinstraße 76

Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt dieMeinung des Herausgebers und der Redaktion wieder.

Texte und Materialienfür Schülerinnen und Schüler

Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. AV-Medien zum Thema

I N H A L T

POLITISCHER WIDERSTANDGEGEN DIE NS-DIKTATUR

Vorwort des Herausgebers 1

Geleitwort des Ministeriums für Kultus und Sport 2

Mitarbeit an diesem Heft 2

Teilnehmer des Werkstattseminars 2

Literaturhinweise (Christof 4

Unterrichtsvorschläge

Einleitung (Christof 3

Baustein AKurt Schumacher(Volker Schober, Christof

5

Baustein BEugen Bolz(Jürgen Stolpp)

7

Baustein CGeorg Elser(Thomas Schwendner)

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9-44

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VorwortdesHerausgebers

Der fünfzigste Jahrestag des 20. Juli 1944 ist ein Anlaß, um sich derer zuerinnern, die der nationalsozialistischen Diktatur widerstanden haben.Das Datum bietet aber auch Gelegenheit, um darauf aufmerksam zumachen, daß es beim Widerstand nicht nur den 20. Juli gab.

Autoren und Redaktion haben darauf geachtet, daß das breite polit ischeSpektrum des Widerstandes gegen die NS-Diktatur sichtbar wird: Politi-ker unterschiedlicher Prägung, ein Handwerker, Studenten und einGeneralstabsoffizier sind in dieser Ausgabe vertreten. Den Widerstand inGewerkschaften, Kirchen und bei einfachen Bürgern hatten wir schon ineinem früheren Heft behandelt. Allen hier vorgestellten Persönlichkeitenist gemeinsam, daß sie einen deutlichen Bezug zum deutschen Südwe-sten haben.

Kurt Schumacher ist zwar in Westpreußen geboren, doch waren es seineJahre in Stuttgart, wo er als bekannter SPD-Politiker schon vor 1933 denNationalsozialismus bekämpfte. Schumacher hat die NS-Diktatur zwarüberlebt, war aber fast zehn Jahre im KZ inhaftiert. Nach dem Kriegkonnte er mithelfen, ein Deutschland zu schaffen, das eine Wiederholungder Schrecken der Vergangenheit ausschließen sollte. So gehört er auchzur Gründergeneration der Bundesrepublik Deutschland.

Auch Eugen Bolz aus Rottenburg war schon in der Zeit der WeimarerRepublik politisch aktiv. Als jüngster Abgeordneter vertrat er den Wahl-kreis Ellwangen-Aalen-Neresheim im Reichstag. Der Jurist und führendeZentrumspolit iker war Minister und bis zu seiner Entmachtung durch dieNationalsozialisten Staatspräsident in Württemberg. Während der Zeit stand er nicht nur mit Vertretern des politischen Katholizismus, son-dern auch mit anderen Widerstandskreisen in Verbindung. Wegen seinerKontakte zu den Männern des 20. Juli wurde Bolz verhaftet und 1944 hin-gerichtet.

Weniger bekannt als die Verschwörer des 20. Juli 1944 ist ein Mann, derschon 1939 versucht hat, ein Attentat auf Hitler zu verüben. Der Einzelgän-ger Georg Elser von der war davon überzeugt, daß Hitlers Herr-schaft zu Krieg führen und das ins Unglück stürzen werde.Mit dem Anschlag im wollte er die nationalsozialistischeFührung beseitigen. Nach seiner Verhaftung wurde Elser in das KZ Da-chau gebracht und dort vor Kriegsende ermordet.

Zu den zweifellos prominenten Vertretern des Widerstands gegen den gehören die Studenten der ,,Weißen Rose“ und

Attentäter Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Bei al lerverschiedenheitverbindet sie daß sich bei ihnen der Widerstand gegen Hitlererst allmählich herausgebildet hat. Die Geschwister Scholl waren alsSchüler Anhänger der Hit lerjugend; die Konfrontation mit der al l täglichenUnmenschlichkeit des Regimes machte sie zu Gegnern. Stauffenberg warkein Nationalsozialist, und doch hat er am Anfang Hitlers Erfolge bewun-dert. Am Ende war er überzeugt, daß Attentat und Umsturz unumgänglichwaren, um vor der Welt bestehen zu können.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat bei einer Gedenkveranstal-tung in München 1993 darauf hingewiesen, daß die Lehren des Widerstan-des von damals nicht einfach auf heute zu übertragen sind: ,,Jeder Gene-ration stellt sich die Aufgabe anders und neu, nicht wegzusehen, wennUnrecht geschieht, Konflikten nicht auszuweichen, nicht gleichgültig zuwerden, sich nicht einfangen zu lassen, Passivität und Fatalismus, Risiko-angst und Konformismus zu überwinden, auch wenn es nicht um Lebenund Tod geht.“

Siegfr ied SchieleDirektor der Landeszentrale für poli t ische BildungBaden-Württemberg

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Geleitwortdes Ministeriumsfür Kultus und Sport

Fünfzig Jahre nach dem 20. Juli 1944 sollte die Geschichte des deutschenderstandes gegen Hitler mehr denn je ein zentrales Thema sein, wenn sich

mit der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis beschäftigen. DerVerherrlichung durch rechtsextreme Gruppen müssen die Motive gegenüber-gestellt werden, die Deutsche bewogen haben, gegen das den einzelnen ver-achtende Regime der Nationalsozialisten Widerstand zu leisten und dabei ihrLeben aufs Spiel zu setzen. Denn sie entlarven Tugenden wie Opferbereit-schaft, Gemeinnutz und Hingabe, die von Rechtsradikalen heute wieder hoch-gehalten werden, als eine Phraseologie zur Verführung Ahnungsloser. Mögendie Motive der einzelnen, die Widerstand geleistet haben, auch so verschiedengewesen sein gemeinsam standen hinter ihrem Handeln Werte wie Nächsten-liebe, Menschenwürde und Menschlichkeit, die den Nationalsozialisten fremdwaren. Liberale, Sozialisten und Konservative haben an der deutschen Opposi-tion gegen die Gewaltherrschaft teilgenommen; ihr aller Grundanliegen war dieFreiheit, die es ständig zu verteidigen gilt.

Wenn das vorliegende Heft seinen Blick nicht nur auf den 20. Juli richtet, son-dern den Widerstand an Einzelgestalten verschiedener politischer Bindung undgeistiger Prägung lebendig werden läßt, wird es der Spannweite des Wider-standes gerecht und kann gleichzeitig mit dem Interesse unserer Schülerinnenund Schüler rechnen. Sie schätzen es, Menschen zu begegnen, die in Extrem-situationen richtig, d. h. recht gehandelt haben.

Das Ministerium für Kultus und Sport wünscht diesem Heft eine gute Aufnahmeund hofft, daß es in einem gegenüber dem Extremismus wachsamen Unterrichtverworrene Vorstellungen über die Vergangenheit zurechtrücken hilft.

Bernhard FellhauerRegierungsschuldirektorMinisterium für Kultus und SportBaden-Württemberg

Mitarbeit an diesem Heft Teilnehmer des Werkstattseminarsvom 10. bis 11. Oktober 1993 in Ulm

Federführung: Dr. Christof Prof. Dr. Klaus Schönhoven, Universität Mannheim

Dr. Silvester Lechner: wissenschaftlicher Leiter desDokumentationszentrums Oberer Kuhberg, Ulm(Baustein D)

Dr. Christof Studienrat, Gymnasium

(wissenschaftliche Beratung);Otto Bauschert, Redaktion ,,Politik und Unterricht“Dr. Udo Bayer, Studiendirektor, LaupheimDr. Christine Bütterlin, Oberstudienrätin, Dr. Hugo Eckert, Studiendirektor, Wertheim

(Federführung, Einleitung, Bausteine A und E)

Volker Schober: Doktorand, promoviert über denjungen Kurt Schumacher, Heidelberg(Baustein A)

Thomas Schwendner: Studienrat, Gymnasium lingen(Baustein C)Jürgen Stolpp: Oberstudienrat, Eugen-Bolz-Gym-nasium Rottenburg(Baustein B)

Rainer-Gräf, Oberstudienrat, MössingenNorbert Kaifler, Oberstudienrat, RottenburgDr. Silvester Lechner,Karin Merz, KarlsruheHorst Nußbaum, Studienrat, TübingenHeinz Pfefferle, Oberstudienrat, Dr. Christof Studienrat, MengenHubert Roser, MannheimJohannes Rösner, Studienrat, UlmHermann Schmidt, Studienrat, Erbach-BachThomas Schwendner, Studienrat, PfullingenJürgen Stolpp, Oberstudienrat, Tübingen.

Politischer Widerstand gegen den NationalsozialismusSeminar von SWL und Landeszentrale für politische Bildung vom 30.9. bis 1.10.1994 in Bad Urach

Zum Thema dieses Heftes veranstalten die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und der Südwestdeutsche Lehrerverband fürGeschichte und Gemeinschaftskunde (SWL) ein Seminar, das von Freitag, 30. September bis Samstag, 1. Oktober 1994 im Haus auf der Alb in BadUrach stattfindet. Das Eröffnungsreferat hält Prof. Dr. Klaus Schönhoven von der Universität Mannheim. Die Tagung wird sich auch mit Fragen derUmsetzung des Themas im Unterricht beschäftigen. Auskünfte, Programm und Anmeldung bei Bruno Zandonella, Tel. 07 53-4 88.

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POLITISCHER WIDERSTAND GEGEN DIE NS-DIKTATUR

Im Jahr 1994 liegen das Attentat auf Hitler und derStaatsstreichversuch vom 20. Juli fünfzig Jahre zu-rück. Dieser Höhepunkt des Widerstands wird in die-sem Heft nicht isoliert betrachtet. Er soll zusammenmit anderen Beispielen des politischen Widerstandsgegen die NS-Diktatur dargestellt werden, und zwaram Beispiel von sechs Personen verschiedener so-zialer und politischer Herkunft: Claus Graf Schenkvon Stauffenberg (Generalstabsoffizier), Eugen Bolzund Kurt Schumacher (hochrangige Politiker desZentrums bzw. der SPD während der Weimarer Repu-blik), Hans und Sophie Scholl (Studenten) und GeorgElser (Handwerkerarbeiter); also drei Prominente unddrei Menschen, die erst nach bekannt gewor-den sind. Es geht hier nicht nur um die Biographienvon Einzelpersonen und deren Anteil am politischenWiderstand gegen die NS-Diktatur, sondern auchdarum, die einzelnen Personen als Angehörige einerbestimmten Generation und bestimmter politisch-ge-sellschaftlicher Gruppierungen erfahrbar zu machen.

Der Begriff ist nicht leicht zu definieren.Versteht man ihn sehr allgemein, wird der Begriff un-klar, faßt man ihn enger, so können zahlreiche Hand-lungen nicht mehr als Widerstand gelten. Das eine Ex-trem steht für die Auffassung, der Begriff ,,Wider-stand“ sei auf jene Handlungen begrenzt, die geeig-net waren, die NS-Diktatur zu beseitigen. Dies würdeden Begriff auf den Widerstand des Militärs ein-schränken. Das andere Extrem liegt dort, wo dieGrenze zwischen bloßem Nonkonformismus und Wi-derstand verwischt wird. Beiden Extremen sucht dieDefinition von Klaus zu entgehen: ,,Wi-derstand ist eine Provokation, welche die Toleranz-schwelle des nationalsozialistischen Regimes unterden jeweils gegebenen Umständen bewußt über-schreitet mit einer Handlungsperspektive, die aufeine Schädigung oder Liquidation des Herrschaftssy-stems abzielt. Der politische Widerstand ist nach Ri-chard Löwenthal als ,,bewußte politische Opposition“

, zu verstehen, die von der ,,weltanschaulichen und der ,,gesellschaftlichen Verweigerung“ ab-

zugrenzen ist.

Der politische Widerstand gegen die NS- Diktatur istvon ganz unterschiedlichen Menschen und Gruppie-rungen geleistet worden. Es hat ,,keine einheitlich auf-tretende und handelnde deutsche Widerstandsbewe-gung“ gegeben. (Hildebrand, 1987, S. 96) Der politi-sche Widerstand aus den Reihen der Sozialdemokra-ten und der Kommunisten wurde durch scharfe Ver-folgung weitgehend zerschlagen. Ähnlich wie der

des politischen Katholizismus und des Libe-ralismus scheiterte der Arbeiterwiderstand auchdaran, daß das Nazi-Regime durch die populistischeIdeologie der ,,Volksgemeinschaft“ in Verbindung mitTerror bei der überwiegenden Mehrheit der Bevölke-rung auf Zustimmung stieß. Bis zur bedingungslosenKapitulation im Mai 1945 hat sich das Nazi-Regimedem äußeren Anschein nach als bemerkenswert sta-bil erwiesen. Bereits 1933, also in der Phase der Etab-lierung der nationalsozialistischen Diktatur, ist Wider-stand geleistet worden. Dafür stehen die Namen derbeiden Politiker Kurt Schumacher und Eugen Bolz.Sie sind 1933 mit ihrem entschiedenen Einsatz v.a.auf den Terror der Nazis gestoßen. Beide mußtenauch in ihren eigenen Reihen die bittere Erfahrungmachen, daß Resignation und Bereitschaft zur An-passung an die neuen Machtverhältnisse sich mehrund mehr ausbreiteten. Schumacher und Bolz wur-den von den Nationalsozialisten mit besonderemEifer verfolgt, weil sie schon in der Weimarer Republikentschlossen gegen die Nazis gekämpft hatten.Beide der eine im Konzentrationslager, der anderein Freiheit, aber kaltgestellt befaßten sich auch wäh-rend der NS-Zeit mit der Analyse der politischen Lageund den daraus resultierenden politischen Aufgabenfür die Zeit nach dem Sturz der NS-Diktatur.

Am 8. November 1939 unternahm Georg seinAttentat auf Hitler. Wäre Hitler dabei getötet worden,so hätte dies zwar nicht automatisch das Ende derNazi-Gewaltherrschaft bedeutet. Elsers Attentatzeigt aber, wieviel an praktischem Widerstand ein ein-zelner leisten kann, wenn er Mut und Entschlossen-heit aufbringt.

Die meisten Mitglieder der Weißen Rose sind ur-sprünglich begeisterte Anhänger des Nationalsozia-lismus gewesen. In einer beeindruckenden Entwick-lung setzte bei ihnen aber eine radikale Rückbesin-nung auf die Werte der Menschlichkeit und derRechtsstaatlichkeit ein. Die Aktivitäten der ,,WeißenRose“ sind nicht als idealistischer Protest,d.h. als ,,Aufstand des Gewissens“ zu verstehen.Diese Gruppe hat sich nicht nur auf bloße Appelle zuGehorsamsverweigerung gegenüber den National-sozialisten beschränkt. Sie hat sich vielmehr darüberhinaus auch darum bemüht, sich im Reich auszuwei-ten und Kontakte zu Widerstandskreisen in der Wehr-macht aufzunehmen. Außerdem nahm die Entschlos-senheit zu Sabotageakten zu.

Der Hitler-Attentäter Claus Grafschenk von und die anderen Verschwörer des 20. Juli 1944

haben erst in einer späten Phase des Kriegs gehan-delt. Sie hatten selbst noch in den letzten Kriegsjah-ren, als sich Deutschlands Niederlage schon deutlichabzeichnete, erhebliche Schwierigkeiten zu

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den. Dabei ist nicht nur an das Problem des Eid-bruchs der auf Hitler persönlich vereidigten Militärszu denken. Vielmehr mischten sich bei den Motivender Verschwörer humanistisch-rechtsstaatlichesDenken mit dem Willen zum Erhalt eines starkenDeutschlands in Europa. Je nach Kriegslage gewich-teten sich die Elemente der Motive unterschiedlich.Erst allmählich traten die moralisch-ethischen Motivegegenüber militärischer oder politischer Opportuni-tät in den Vordergrund. Wandlungsbereitschaft undWandlungsfähigkeit sind bei Stauffenberg, wie auchbei Hans beobachten. Sie erfor-dern an Stelle eines eher statischen ,,einen eherzessualen, dynamischen Widerstandsbegriff Jürgen Mommsen: Der deutsche Wider-stand gegen das NS-Regime. Zur Historiographiedes Widerstandes. In: Müller (Hrsg.), 1986, 2. Aufl.,S. 16) Mit der sich verändernden militärischen undpolitischen Opportunität eng zusammen hängen dieerheblichen praktischen Schwierigkeiten zur Organi-sierung von Attentat und Staatsstreich. Es fällt auf,daß der militärische Widerstand erst durch das Enga-gement jüngerer Offiziere unterhalb der Generals-ebene zu entschlossenem Handeln gefunden hat.Obwohl Stauffenberg Hitlers Diktatur anfangs be-jahte und seine Erfolge begeistert bewunderte, war erdoch nie Nationalsozialist. Er war vielmehr von dennationalkonservativ-elitären Ideen des Stefan-Ge-orge-Kreises erfüllt. Bei von Attentatund Erhebung hat Stauffenberg eigenständigen Kon-takt zu den Sozialdemokraten Leuschner und Lebergesucht und gefunden und sich damit faktisch ein gu-tes Stück aus seiner nationalkonservativ-elitären Vor-stellungswelt herausentwickelt, in der Gewerkschaf-ter und Sozialdemokraten nur Feinde waren. Die ,,de-mokratische Volksbewegung“, die Stauffenberg undseine Mitverschwörer zu schaffen suchten, war zwei-fellos nicht nur ein Zweckbündnis. Ziel war eine breiteBasis für eine künftige demokratisch-rechtsstaatli-che Ordnung, die allerdings auf Seiten der National-konservativen noch mit standestaatlichen Vor-stellungen durchsetzt war. Das neue Bündnis trugaber ,,in sich die Chance . ge-gen die NS-Volksgemeinschaft zu stellen“. (NachManfred Messerschmidt: Motivationen des national-konservativen Widerstandes seit demFeldzug, in: ebenda, S. 77 f.)

Überlebt hat von den hier behandelten Widerstands-kämpfern nur Kurt Schumacher. Er ist zu einem derVäter der Demokratie der Bundesrepublik Deutsch-land geworden. Für die ,,Selbstachtung der Deut-schen“ nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch fürdas Ansehen im Ausland, war der Einsatz und dasOpfer derwiderstandskämpfer außerordentlich tigt, weil darin der Beweis gesehen wurde, daß es das,,andere Deutschland“ tatsächlich gegeben hat.

Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland hatan die zum Teil nationalkonservativ und ständestaat-lich geprägten Ideen der Männer des 20. Juli nicht di-rekt angeknüpft. Doch es gibt Verbindendes über denRespekt vor dem Mut derjenigen hinaus, die aufGrund ihrer individuellen Gewissensentscheidung

politischen Widerstand geleistet haben: die Bemü-hung um die Wiederherstellung des Rechtsstaats, umdie Einhaltung der Menschenrechte und um die Zu-sammenarbeit unterschiedlicher Kräfte und politi-scher Parteien zum Wohle des Ganzen. Der Mangelan Kooperations- und Koalitionsbereitschaft, an demdie Weimarer Demokratie mit zugrunde gegangen ist,sollte überwunden werden.

Die Männer und Frauen, die politischen Widerstandgegen das NS-Regime geleistet haben, haben mit ih-rer Entschlossenheit ein Beispiel auch für heutige De-mokraten gegeben: Nicht Ruhe, sondern Zivilcou-rage und ,,Mut zum Handeln“ sollte erste Bürger-pflicht sein.

Richard von Weizsäcker hat 1980 in seiner Rede zum20. Juli Gedanken formuliert, die sich auf fast alleübertragen lassen, die Widerstand gegen die NS-Dik-tatur geleistet haben:

,,Aus allen Landschaften waren sie zusammenge-kommen, aus allen Schichten der Bevölkerung, ausallen Traditionen. Es hatte tiefe politische Gräben un-ter ihnen gegeben. Aber sie hatten erkannt, wie un-wichtig dies gegenüber ihren gemeinsamen und nunlebensgefährlich bedrohten Überzeugungen der Hu-manität geworden war. Sie hatten die Kraft zu sehen.Sie hatten den leidenden Menschen erkannt. Das gabihnen den Willen zur Veränderung und die Kraft zumHandeln. Weil sie bereit waren, bewußt und verant-wortlich zu leben, waren sie bereit, ihr Leben einzu-setzen. Wir leben heute in einer anderen Zeit. Die Her-ausforderungen, vor die sie uns stellt, sind wenigerhandgreiflich und extrem. Die Probleme und Aufga-ben sind schwerer zu erkennen. Aber diegen an ein verantwortliches Leben gelten auch heutewie damals.“

(Richard von Weizsäcker: Das Gewissen steht auf Zum 20.Juli 1944. In: derselbe: Von Deutschland nach Europa, Berlin1991, s. 50 f.)

Literaturhinweise

Allgemein

Hildebrand, Klaus: Das Dritte Reich. überarbeitete underweiterte Auflage. München 1993; Oldenbourg Grund-riß der Geschichte Bd. (Zur Einführung mit Literatur-h inweisen)

Hoffmann, Peter: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. DerKampf der Opposition gegen Hitler. 4. neubearbeiteteund ergänzte Ausgabe, München 1985

Löwenthal, Richard/von zur Mühlen, Patrick (Hrsg.): Wider-stand und Verweigerung in Deutschland 1933 bis 1945,Bonn 1982

Mommsen, Hans: Gesellschaftsbild und Verfassungsplänedes deutschen Widerstandes. In: Hermann (Hrsg.): Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereig-nisse, Gestalten. Frankfurt. 1984, S. 14-91

Müller, Klaus-Jürgen (Hrsg.): Der deutsche Widerstand1933-1945. Paderborn 1986, 267 S.; UTB 1398. (Stan-dardsammelwerk )

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Jürgen Steinbach: Der Widerstand gegenden Na t iona lsoz ia l i smus . D ie deu tsche Gese l l scha f tund gegen Hitler. München Aufl.(S tandardsammelwerk )

Steinbach, Peter: Widerstandsforschung im politischenSpannungsfeld. In: Aus Politik und Zeitgeschichte,B vom 8. Juli 1988, S.

Steinbach, Peter: Der Widerstand gegen die Diktatur, Haupt-g ruppen und Grundzüge der Sys temoppos i t ion , i n : K a r lDietrich (Hrsg.): Deutschland neueS tud ien zum NS-Her rscha f t ssys tem, Düsse ldo r f 1 9 9 2 ,S. 452-473

Widerstand und Exil. (Schriftenreihe der Bundeszentralepolitische Bildung, Bd. Bonn 1985

Widerstand und Exil der deutschen Arbeiterbewegung1933-1945 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politi-sche Bildung, Bd. Bonn 1981

Zu Baden- Württemberg:

Michael Niess (Hrsg.): Der Widerstand imdeutschen Südwesten 1933-1945, Stuttgart 1984(darin: Einzelporträts zu Bolz, Elser, Hans und SophieScholl, Stauffenberg)

Politik und Unterricht Widerstand im Dritten Reich(Neckar -Ver lag, V i l l ingen-Schwenningen)

Thomas Schnabel (Hrsg.): Die Machtergreifung in Südwest-deutschland. Das Ende der Weimarer Republik in Badenund Württemberg 1928-1933, Stuttgart 1982

Thomas Schnabel: Württemberg zwischen Weimar undBonn Stuttgart 1986

Zu Kurt Schumacher (A)

Willy Albrecht (Hrsg.): Kurt Schumacher. Reden Schriften Korrespondenzen 1945-1952, 1985

Zu Eugen Bolz (B)

Joach im Köh le r : Eugen Bo lz . Wür t temberg ischer M in is te rund Staatspräsident, in: Bosch/Niess, 1984, S. 227-235

Miller, Max: Eugen Bolz. Staatsmann und Bekenner, Stutt-gart 1951

Zu Geog Elser (C)Georg-Elser-Arbeitskreis (Hrsg.): Gegen Hitler gegen den

Krieg! Georg Elser, Heidenheim 1989

Lothar Gruchmann: Georg Elser. Tischlergeselle und Atten-täter. In: Bosch/Niess, 1984, S. 291-298.

Lo thar Gruchmann (Hrsg . ) : Au tob iograph ie e ines At ten tä-ters. Johann Georg Elser, Stuttgart 1970 und 1989

Anton Hoch: Das Attentat auf Hitler im Münchner bräukeller 1939, in: 17 S. 383-413

Helmut Ortner: Der einsame Attentäter. Der Mann, der Hitlertöten wollte, Göttingen 1993

Zur Weißen Rose

Jens, Inge (Hrsg.): Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe undAufzeichnungen, 1984 (1993 als Fischer-TB5681)

Kißener, Michael: Bibliographie zur Weißen Rose1971-1992, in: (Hrsg.), Hochverrat? Kon-stanz 1993, S. 165-179

Schne ider , M ichae l Süß, Win f r ied : Ke ine Vo lksgenossen.Studentischer Widerstand der Weißen Rose, München1993 (hrsg. vom Rektoratskollegium dermi l i ans -Un ive rs i tä t München)

Scholl, Inge: Die Weiße Rose. Frankfurt/M. 1953 (Erstauf-lage); erweiterte Neuausgabe 1982 (1993 als Fischer-TB1 1 8 0 2 )

Zu Claus Graf Schenk von Stauffenberg (E)

Hoffmann, Peter: Claus Schenk Graf von Stauffenberg undseine Brüder, Stuttgart 1992, 2. Aufl. (dort gesamte wei-tere Literatur)

Kurt Schumacher

Die Erinnerung an Kurt Schumacher ist heute weitge-hend verschüttet und allenfalls bestimmt von demMann, der nach 1945 der große Gegenspieler KonradAdenauers war. Schumacher war jedoch in der unmit-telbaren Nachkriegszeit der bekannteste deutschePolitiker. Auch von seinen Gegnern wurde er deshalbgeachtet, weil er während des ,,Dritten Reichs“ na-hezu zehn Jahre im Konzentrationslager gefangenwar. Denn Schumacher hatte von Anfang an seit1920 als Journalist und Parteiagitator in Württem-berg, seit 1930 als SPD-Reichstagsabgeordneter den Nationalsozialismus konsequent und militant be-kämpft.

Deshalb war er über zehn Jahre im KZ gefangen. Da-durch läßt sich verstehen, warum Schumacher nach1945 ,,der hervorragendste Repräsentant eines sicherneuernden demokratischen Deutschlands“ wurdeund ,,eine politisch-moralische Kraft darstellte, derenBedeutung für den Geist des Neuanfangs nach demZusammenbruch des NS-Regimes nicht leicht zuüberschätzen ist.“ (Reinhard Rürup).

1. Der Mensch und Politiker (A 1 bis A 5)Als Einstieg kann ein Brief Schumachers aus dem KZan seine Verlobte Maria Fiechtl gewählt werden (A der Neugierde wecken soll und Fragen aufwirft. Schu-macher war mit Maria Fiechtl seit 1925 eng befreun-det. Seit dieser Zeit wirkte Maria, eine Sopranistinbeim Süddeutschen Rundfunk, an Gesangsvorträ-gen mit, die die politischen Versammlungen in Stutt-gart, auf denen Schumacher sprach, umrahmten. DerBrief gibt einen Eindruck von Schumachers Situationim KZ und seiner Person: Er hat keine Hoffnung, in ab-sehbarer Zeit von den Nazis freigelassen zu werden.Selbst im Falle der Entlassung will er sich so aus-schließlich der Politik widmen, daß er dafür seinever-lobte frei gibt und ihr empfiehlt, ihre Zukunft ohne

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Rücksicht auf ihn zu gestalten. Maria Fiechtl war indie USA gegangen, wo sie 1939 heiratete.

Schumachers Porträt auf dem 2-DM-Stück gibt Hin-weise auf seinen geschichtlichen Rang als einem der,,Väter“ der Bundesrepublik (A 4). Das kann überleitenzu Informationen über Schumachers Lebensweg

2. Kampf gegen die Nazis (A 6 bis A 9)

Im Reichstag hielt Schumacher 1932 eine Stegreif-rede (A die zu einer der schärfsten Attacken zählt,die dort je formuliert wurden. A 7 bis A 9 verdeutli-chen, auf welche Resonanz Schumacher mit seineröffentlichen Agitation gegen den Nationalsozialismusin der Endphase Republik gestoßen ist.

3. Der Weg in die Illegalität (A 10 bis A 12)

Schumacher trat nach der ,,Machtergreifung“ Hitlersvehement für aktive illegale Arbeit gegen die Nazisein. (A 10). Mit seiner konsequenten Haltung hob ersich von Teilen seiner Partei (A 11) ab. Insbesondereaber unterschied er sich damit von Sozialdemokratender älteren Generation (A die illegale Arbeit fürsinn- und nutzlos hielten.

4. Im Konzentrationslager (A 13 bis A 22)

Die NS-Presse in Stuttgart konnte bereits am über die -Verhaftung Schumachers durch

die Gestapo berichten, nachdem er es vorher abge-lehnt hatte, ins Ausland zu emigrieren. Die NS-Pressebezeichnete Schumacher als einen ,,der schamlose-sten sozialdemokratischen Hetzer nicht nur Württem-bergs, sondern ganz Deutschlands“ (A 13).

Während seiner über neuneinhalbjährigen KZ-Haftwar Schumacher wie seine Mitgefangenen den Schi-kanen und der Willkür der Aufseher ausgeliefert. Demseit dem Ersten Weltkrieg Schwerkriegsverletztensetzte jedoch die Haft gesundheitlich stark zu (vgl.A 14, A 22). Innerhalb des KZ Dachau, wo Schuma-cher bald zu den Lagerältesten zählte, hatte er eineherausragende Stellung: Er leitete die Lagerbüchereiund war der führende politische Kopf der sozialdemo-kratischen Häftlinge. Aufgrund seiner Persönlichkeitmachte er auf seine Mitgefangenen einen starken Ein-druck (A 15 19). Nur bei der Überstellung ins KZtrug er Zivilkleidung, sonst gestreifte Häftlingsuni-form. Sein Schädel war kahlrasiert. Von außen be-mühte sich seine Verlobte um Schumachers Freilas-sung (A21); für die Freunde in der Emigration war seinSchicksal ungewiß Im März 1943 wurde er alskörperliches Wrack nach Hannover entlassen. Ersetzte seine politische Arbeit fort und knüpfte neueVerbindungen zu den dortigen Sozialdemokraten, be-sonders im KZ Neuengamme, wo er nach dem 20.Juli 1944 nochmals vier Wochen inhaftiert war.

5. In der Nachkriegszeit (A 23 bis A 25)

Nach der Kapitulation widmete Schumacher seineganze Kraft dem Wiederaufbau seiner Partei: 1946wurde er zum ersten SPD-Vorsitzenden gewählt. Fürunverzichtbar hielt Schumacher die

zung mit der Vergangenheit und mit der Frage nachder Schuld am Nationalsozialismus, den er von An-fang an bekämpft hatte. Ausschlaggebend für

Bewertung des Widerstands waren nicht dieZahl und Schwere der Opfer, sondern der Beitrag,den dessen Träger zum Kampf gegen den Nationalso-zialismus vor und während seiner Herrschaft geleistethaben (A 23, A 25).

Schumacher hatte maßgeblichen Einfluß auf diefrühe deutsche Nachkriegspolitik: Durch sein Eingrei-fen in die Schlußberatungen des Grundgesetzes undseine Definition der Rolle der parlamentarischen Op-position trug er entscheidend dazu bei, daß die Bun-desrepublik Deutschland ein stabiler demokratischerStaat geworden ist. Den Bürgerinnen und Bürgernseines Staates gab er auf, wie er kurz vor seinem Todeschrieb, ,,ein Deutschland zu schaffen, das die Wie-derholung der Schrecken der Vergangenheit aus-schließt.“

Mögliche Aufgaben

A2: In welchem Dilemma befinden sich Kurt Schuma-cher und seine Verlobte? Wie versucht es Schuma-cher zu lösen?A 6 bis A 9: Welche Rolle hat Kurt Schumacher in derPolitik bis zur ,,Machtergreifung“ Hitlers am 30. Ja-nuar 1933 gespielt? Wie äußert er sich über den Na-tionalsozialismus, mit welchen Argumenten und inwelchen Formen bekämpft er ihn?

A 10 bis A 12: Wie reagiert Kurt Schumacher, wie Wil-helm Keil auf die ,,Machtergreifung“ Hitlers? Was er-fahren Sie über die Position der SPD?

A 13: Zeigen Sie, mit welchen Mitteln und Zielen der,,NS-Kurier“ Propaganda gegen Kurt Schumacherbetreibt.A 15 bis A 22: Welche Informationen über das Schick-sal Schumachers im KZ entnehmen Sie den Schilde-rungen? Wie wirkt er auf seine Mitgefangenen? Wiekönnen seine Freunde in der Emigration etwas überihn erfahren und was unternehmen sie?

A 23 bis A 25: Welche Bilanz zieht Schumacher ausseiner KZ-Haft? Welche Konsequenzen fordert er?Wie läßt sich sein Engagement in der Nachkriegszeitaus seinen Erfahrungen in der NS-Zeit erklären?

Das Wahljahr 1994 und die Bildung

Die Wahlen in diesem Jahr geben Gelegenheit, im Politikunterrichtaus aktuellem Anlaß auch grundsätzliche Fragen zu behandeln. DieLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg bietet miteiner Reihe von Publikationen dazu Hilfestellungen.

Das Taschenbuch Baden-Württemberg (Gesetze, Daten, Ana-lysen), ist in einer Neuausgabe 1994 erschienen. Es enthältHintergrundinformationen zu den Kommunalwahlen (12. Juni).

Das Heft EG-Perspektiven (Politik und Unterricht licht eine fundierte Behandlung der Europäischen Union der Europawahl (12. Juni).

Zur Bundestagswahl am 16. Oktober 1994 wird voraussichtlichim September PU aktuell Beilage zu Heft von Politik undUnterricht erscheinen.

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Eugen Bolz

Seit Sommer 1933 war Eugen Bolz aus allen politi-schen Ämtern vertrieben. Der ehemalige württem-bergische Staatspräsident, Jurist und Richter hattebis zu diesem Zeitpunkt über 22 Jahre die katholischeZentrumspartei reichs- und landespolitisch entschei-dend vertreten und geprägt. Über 14 Jahre war er Mi-nister, meist Doppelminister in der württembergi-schen Landesregierung, gleichzeitig Führer des würt-tembergischen Zentrums und die letzten fünfeinhalbJahre als Staatspräsident Leiter der württembergi-schen Regierung.

Nun begann für den 51 jährigen ein Leben als Pensio-när wider Willen. Informelle Kontakte zu Vertreterndes politischen Katholizismus hielt er weiterhin auf-recht, trotz Überwachung durch die Gestapo. Neben-her war er als Steuerberater tätig und beteiligte sichspäter an einem Wirtschaftsunternehmen. EugenBolz machte aus seiner ablehnenden Haltung ange-sichts der wirtschaftlichen ,,Erfolge“ der Nationalso-zialisten keinen Hehl und wartete auf den Zusammen-bruch der NS-Diktatur durch den militärischen Siegder Alliierten.Der 60jährige Eugen Bolz wandte sich mit seiner Be-reitschaft zum politischen Widerstand wieder der ak-tiven Politik zu. Er war bereit, in der Reichsregierungder Verschwörer des 20. Juli 1944 das Amt desReichskulturministers zu übernehmen und damit alsdemokratischer Politiker an die Stelle des Reichspro-pagandaministers Goebbels zu treten. Für diese Be-reitschaft und seine ablehnende Haltung zum Natio-nalsozialismus wurde er im Januar 1945 hingerichtet.Damit wurde er für viele ein Vorbild an Standhaftig-keit, innerer Stärke und Bekennerturn.

Die Hochschätzung des Politikers Bolz rührt aberauch von dessen entschlossenem Kampf gegen dasEindringen der Nationalsozialisten in den württem-bergischen Staatsapparat. Dies gelang Bolz in Koali-tion mit der DNVP und anderen bürgerlichen Parteienbis zum Herbst 1932. Gespräche mit dem nationalso-zialistischen Gauleiter Murr über eine Regierungsbe-teiligung der NSDAP scheiterten, weil Bolz derNSDAP den Zugriff auf den Posten des Innenmini-sters verweigerte. Nach dem 30. Januar 1933 sahsich Bolz durch den größer werdenden Druck zu Teil-zugeständnissen gegenüber den Nationalsozialistengenötigt. Schließlich mußte er vom Amt des Staats-präsidenten zurücktreten.

Von den prominenten Zentrumspolitikern im Landwurde Bolz am schärfsten verfolgt. Darin drückt sichgewiß auch ein persönliches Rachebedürfnis desGauleiters Murr aus.

Dem Ermächtigungsgesetz stimmte Bolz auf Grundder Fraktionsdisziplin zu, allerdings unter erheblichenGewissensbissen und Befürchtungen. AmMärz 1933 schreibt er an seine Frau: . . Was wirauch tun, ist verhängnisvoll. In mir schafft es fürchter-.lich Die Zwangslage wird uns wohl zustimmung bringen.“ (Miller, 1951, 450).

einer Zu-

Eugen Bolz’ Haltung und seine Motive zum Wider-stand beeindrucken: er befand sich im Einklang mitseinem Gewissen und blieb seinem Glauben treu.

1. Lebensstationen (B 1, B 2)

Die katholischen akademischen Verbindungen Bava-ria in Bonn (gegründet 1844) und Guestfalia (gegr.1859 in Tübingen) gehörten zu dem

der katholischen deutschen Studentenverbin-dungen Ihre Ziele lassen sich mit den drei Worten ligio, Scientia, Amicitia (Religion, Wissenschaft,Freundschaft) zusammenfassen und enthalten diekatholische Weltanschauung.

Ein Bundesbruder meinte über Bolz: ,,Wir waren ge-spannt auf Bolz. Man wußte von seiner geistigen Po-tenz. Alle Inaktiven sagten ihm schon damals eine un-gewöhnliche Laufbahn voraus. Und als er dann kam,war er ein natürlicher Mensch ohne Überhebung. Erwar kein Spielverderber, machte mit, führte mit mirsogar einmal eine humoristische Duoszene auf undwar bekannt dafür, daß er kein Verschwender, son-dern ein ,,Klemmer“, kein Maulheld, sondern einSchweiger war, der aber im Ernstfall recht grad undderb seine Meinung zu sagen wußte. Man hatte drumfast ein wenig Appell vor ihm.“ (Zit. nach Max Miller:Eugen Bolz, Staatsmann und Bekenner, Stuttgart1951, s. 49 f.).Bolz war in seinen letzten Tübinger StudentenjahrenSenior der Verbindung und damit verantwortlich füralle gesellschaftlichen Veranstaltungen. 1919 und1929 kam er zum 60. bzw. 70. Stiftungsfest auf denTübinger Österberg. Wichtige Kontakte und Freund-schaften sind hier entstanden. So kam er über die befreundete Berliner Verbindung Suevia mitFelix in Kontakt, dem Führer des preußischenZentrums.

Das Bild des Staatspräsidenten Eugen Bolz aus demJahr 1928 dokumentiert das hohe Ansehen, das er all-gemein genoß.

2. Der Politiker vor 1933 (B 3 bis B 5)

Politische Einstellungen können nur unzureichendohne den umfassenden Hintergrund dokumentiertwerden. Der Rückzug auf staatsrechtliche Positio-nen, Nüchternheit und Sachlichkeit konnte Württem-berg nicht aus der Entwicklung des Reichs ausklam-mern. Zu ergänzen wäre die solide Finanz-, Woh-nungsbau-, Verkehrs- und Energiepolitik, welche dieRegierung Bolz als Gegengewichte gegen die Krisezur Verfügung hatte. Die Massenarbeitslosigkeit zurZeit der Weltwirtschaftskrise war in Württemberg aufdem niedrigsten Stand in ganz Deutschland.

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Die württembergische Politik nach 1930 war auf,,Sachlichkeit“ und die Idee vom ,,Staat über den Par-teien“ orientiert. Mit dem vorrangigen Ziel des ausge-glichenen Staatshaushalts war sie der Politik nings a. nach der Landtagswahl gelang esBolz, als ,,geschäftsführende Regierung“ die Notver-ordnungspraxis nach Art. 48 der Weimarer Verfas-sung auf Landesebene weiterzuführen (April 1932 bis15. März 1933). Die zunehmende Indienststellung desStaatsapparats nach dem 31.1.1933 für Parteizweckeder NSDAP leitete den Zusammenbruch der Machtder württembergischen Regierung ein. Sie resignierteschließlich vor der Einsetzung eines Reichspolizei-kommissars vor der Wahl eines NS-Staats-präsidenten ebenso wie auch vor der Auflösung derLänder (15.3. bzw. 31.3.1933). Die Selbstauflösungdes Zentrums am 5.7. war nur logisches Ergebnis desErmächtigungsgesetzes, das gegen den WiderstandBolz’ und Brünings unter schweren Bedenken vonder Reichstagsfraktion des Zentrums angenommenworden war. Mit den Worten ,,Auch diese Schreckens-zeit wird vorübergehen,“ kommentierte Bolz am22.3.1933 den Vorgang in sein Tagebuch (vgl. Miller,1951, s. 449 f.).

3. Im Widerstand (B 6 bis B 13)

Über die beruflichen Tätigkeiten nach 1933 gibt dieBiographie (B 2) Auskunft. Das jährliche Ruhegehaltdes Amtsrichters a.D. wird mit RM angege-ben. Sein Gesamteinkommen im Jahr 1938 betrugeinschließlich Pension RM 29 362. Sein Vermögenwird mit RM 244647 angegeben. undweitere über seine Person sind in einem ,,zur Erfassung führender Männer der Systemzeit(Konfessionelle Parteien)“ enthalten. Mit dem Beginndes Krieges werden in Württemberg alle ,Staats-feinde‘ und ,asozialen Elemente‘ listenmäßig erfaßt.(Vgl. Paul Sauer: Württemberg in der Zeit des Natio-nalsozialismus. Ulm 1975, S. 433 f.) Das Infame andieser Zusammenstellung war, politische Gegnerdes Regimes mit sogenannten verbrecherischen Ele-menten auf eine Stufe gestellt wurden.

Als Bolz am 19. Juni 1933 nach Seinervernehmung inStuttgart aus dem ehemaligen Hotel Silber in derrotheenstraße trat, wurde er als ,,Landesverräter“ be-schimpft. Die ihn geleitenden SA- und SS-Männerschützten ihn vor den Fäusten und Wurfgeschossender wütenden Menge, einer der Begleiter zog sogareine Pistole. (Vgl. B 10, Bild S. 20).Die Haltung von Bolz nach 1933, oft mit ,,innerer Emi-gration“ oder ,,Bekennerturn“ umschrieben, ist nur in-direkt aus Motiven und Kontakten zu Gleichgesinntenzu erschließen (B 11, B 12). Daß die Arbeitslosigkeitmit Aufrüstungsaufträgen überwunden werdensollte, daß die ,,Herrschaft der Minderwertigen“ (Bolz)zum Krieg führen würde, darüber gab es für Bolz kei-nen Zweifel. Die Begegnung mit Goerdeler (B 13) fandim Haus von Max in Stuttgart am turm statt. Oft war auch Joachim Kaiser zugegen. DieTeilnahme anderer süddeutscher Gewerkschaftlerund Politiker führten Goerdeler über seinen ehemalsnur konservativen Kreis hinaus. Die späteren

mungen ergaben, Bolz habe dem informierten, aberschwankenden A. Hermes klargemacht,,,daß man wirklich schon jetzt Vorbereitungen für denZusammenbruch treffen müsse“. (Vgl. M. d. R., Düs-seldorf, S. 138 f., Anm. 7).

Im Haus am Kriegsbergturm (B 7) wurde Bolz am 12.August 1944 verhaftet. Trotz Warnungen hatte er eineFlucht ins Ausland aus Sorge um seine Familie (Sip-penhaft!) abgelehnt. Er war zu diesem Zeitpunkt,durch Aufräumarbeiten nach einer Bombardierungbedingt, körperlich sehr erschöpft.

4. Haft und Hinrichtung (B 14 bis B 22)Der Bericht des Reichssicherheitsdienst-Beobach-ters (B 16) enthüllt die Mentalität des sogenanntenVolksgerichtshofs, dessen Urteile erst ab 1983 end-gültig aufgehoben worden sind. Von dem Inhalt derRede des Pflichtverteidigers ist nichts bekannt. DieRichter Lämmle, ein Kleingärtner (Kaiser), ein Kauf-mann (Seubert) und ein Bäcker (Winter er spielteeine besonders zwielichtige Rolle) folgten in ihrem Ur-teil dem Vorsitzenden Freisler und waren reines Akkla-mationsorgan.

Die Zeugnisse (B 17, B 19) und insbesondere der (B 18) widersprechen dem Bild des

gebrochenen Greises, das die Prozeßbeobachtung(B 16) vermittelt. In religiös begründeter Ruhe undStärke blickt Bolz seinem Lebensende entgegen.

Die Herausgabe der Leiche des Hingerichtetenwurde verweigert. Sie wurde verbrannt, die Aschevernichtet, um an die Männer des20. Juli auszulöschen. Selbst die Veröffentlichung ei-ner Todesanzeige wurde der Witwe verboten (B 22).

5. Nachwirkung (B 23, B 24)

Die Gedenktafel (B welche zu Bolz‘ 100. Geburts-tag in Rottenburg enthüllt wurde, enthält einen Wahl-spruch des Staatsmannes und Menschen Bolz: ,,DieEhrfurcht vor Gott ist der Anfang der Weisheit“. DieEhrenbürgerschaft wurde ihm von seiner Heimat-stadt am 14. Dezember 1931 verliehen. Versuche dernationalsozialistischen Fraktion des RottenburgerGemeinderats, ihm diese 1933 aberkennen zu lassen,waren in Stuttgart von dem NS-Innenminister Jona-than Schmid zurückgewiesen worden mit dem aus-drücklichen Hinweis auf die Verdienste Bolz:

Winfried Löffler: Das Ende einer Legende hof-fentlich.) Staatspräsident Dr. Eugen Bolz blieb 1933Ehrenbürger der Bischofsstadt Rottenburg.

Jahrbuch für Kirchengeschichte Bd. 2, 1983,S. 181 ff.)

In Stuttgart erinnert der Eugen-Bolz-Saal im Landtagan den früheren württembergischen Staatspräsiden-ten. Im Jahre 1993 wurde am Königsbau ein Bolz-Denkmal des Künstlers Alfred Hrdlicka einge-weiht (B 24).

Mögliche AufgabenB 2: Ordnen Sie die Abbildungen B 1, B 10 und B 19mit Hilfe der Biographie ein. Welche wichtigen

(Fortsetzung Seite

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GEGEN DIE NS-DIKTATURBaustein A Kurt SchumacherA 1 -A 5 Der Mensch und PolitikerA 6 -A 9 Kampf gegen die Nazis

in die IllegalitätA 13 A22 Im KonzentrationslagerA23 In der Nachkriegszeit

Baustein B Eugen BolzB I-B 2 LebensstationenB 3 - B 5 Der Politiker vor 1933B Im Widerstand

Haft und HinrichtungNachwirkung

Baustein C Georg ElserC 1 -C 6 Das AttentatC 7 C IO Herkunft und SozialisationC 11 C 13 Elsers MotiveC 14 C 16 Planung und Ablauf des AnschlagsC 17 C 18 Die Ermordung Elsers

Zur Beurteilung der Tat

Baustein D Die ,,Weiße Rose” am Beispielvon Hans und Sophie Scholl

D 1 D 6 Die Gruppe und ihr UmfeldD 7 D 9 Die Entwicklung der Geschwister SchollD IO D 12 Die Aktionen der Weißen RoseD 13 D 16 Prozesse und Nachwirkungen

Baustein E Claus Graf Schenk von StauffenbergE 1 E 8 Herkunft und AusbildungE E 12 Der lange Weg zum AttentatE 13 E20 Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944E E 25 Nachwirkungen

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A 1 A 25 Kurt Schumacher

Maria Fiechtl(1933)

KurtSchumacher( 1 9 3 0 )

Verlobte

Bild: Südd. Rundfunk, Archiv

Brief an die Verlobte

Kurt Schumacher aus dem KZ Dachau an seine Ver-lobte Maria in Chicago, 79.9.1935

,,Du bist eine Frau. Darum mußt Du in Anbetracht allerUmstände die Freiheit haben, Deine Zukunft ohneRücksicht auf mich zu gestalten. . Ich hoffe, daßdiese Auslassungen bei Dir keine Mißverständnissehervorrufen. Aber wenn ich hier in rosarotem Optimis-mus Dir blindes Vertrauen auf die Schönheiten einesgemeinsamen Zukunftslebens predigen wollte, sowäre das ein Verbrechen Dir gegenüber. Man kann dieSache betrachten, von welchem Standpunkt ausman immer will, das Resultat ist immer ein gleich trü-bes. Damit meine ich nicht nur die eventuelle Dauermeiner Schutzhaft, sondern auch, was dahinter kom-men mag in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher undpersönlicher Hinsicht. Dir alles genau über-legen, sonst opferst Du Dich eventuell einem Phan-tom und stets am Ende vor einem großen Trümmer-haufen zerschlagener Hoffnungen. . DasSchlimmste wäre für mich, wenn Deine Gefühle fürmich zur Zerstörung Deiner eigenen Lebenschancenführen würden. Alles das überlege Dir in aller Ruhe,fälle besonders nicht die stürmische Entscheidungunbedingterverbundenheit. Die Klärung dieser Dingebraucht ihre Zeit und soll ihre Zeit haben. . Fürjetzt aber gilt die Parole: Schau nicht immer zu mirnach Deutschland herüber, sondern Dich inAmerika um, denke mehr an Dich als an mich! Späterfällst Du dann Deine Entscheidung absolut ohneZwang oder Bitte meinerseits, und sie wird gut fürmich sein!“

Günther Scholz: Kurt Schumacher. Eton-Verlag Düsseldorf/ York 1988, S. 96 f.

Bi ld:

FES

Münz-prägung(1979)

Bild: DeutscheBundesbank ,Frankfurt a. M.

Kurt Schumacher: 1895-1952

In Culm an der Weichsel im frühe-ren Westpreußen geboren

1914, 2.12. Schwere Verwundung desKriegsfreiwilligen in Wloclawekbei Lodz (Polen), Verlust desrechten Arms

19151920:

1918, 8. 1.

1920, 1.12.

Studium der Rechts- und Staats-wissenschaften in Halle, Leipzig,Berlin, MünsterEintritt in die SPD

Redakteur des württembergi-schen SPD-Parteiorgans

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1 1

1924-1931

1930, 3. 7.

1930-1933

8.

1933, 4. 3.

3.

6.

6. 6.

1933, Pfingsten

1933, 6. 7.

1933,Dezember

1933,1935, Juli

1935, 3.

1940, Feb.

3 . - 4.

1944,24. 9.

4.

1945, 5. 5.

1946, 5.

1948, Sept.

1949, 7. 9. 8.

,,Schwäbische Tagwacht“ inStuttgart

Landtagsabgeordneter intem berg

Stuttgarter SPD-Ortsvereinsvor-sitzender

SPD-Reichtstagsabgeordneter

Stellvertretender SPD-Fraktions-vorsitzender

Kundgebung der ,,EisernenFront“ in Stuttgart mit Schuma-cher als Hauptredner

Lehnt mit derfraktion das ,,Ermächtigungsge-setz“ ab

Plädiert auf einer Sitzung derSPD-Reichstagsfraktion für dieillegale Arbeit der Partei (ebensoam 19.6. auf einer SPD-Reichs-konferenz)Wird steckbrieflich gesuchtVerbot der SPDGeheimtreffen mit Sozialdemo-kraten im SchwarzwaldVerhaftung in im Ge-fängnis des Polizeipräsidiums amAlexanderplatzStuttgarter NS-Kurier berichtetüber Verhaftung Nach kurzer Gefängnishaftin Stuttgart politischer Häftling imKZ Heuberg (Württ.)Politischer Häftling imKZ Oberer Kuhberg

Politischer Häftling imKZ Dachau bei

VorübergehenderHäftling im KZ Flossenbürg

Zwangsaufenthalt inHannover

Nach mißglücktemAttentat auf Hitler, vorüberge-hend Häftling im KZ Neuen-gammeBefreiung Hannovers durch ame-rikanische TruppenVorsitzender des SPD-Ortsver-eins HannoverAuf dem 1. SPD-Parteitag nachdem Kriege zum 1. SPD-Vorsit-zenden gewähltAls Folge der KZ-Haft wird daslinke Bein amputiertOppositionsführer im BundestagIn Bonn gestorben

ReichstagsredeAm 23.2.1932 bezeichnet Joseph Goebbels imReichstag die SPD während des Wahlkampfes zurReichspräsidentenwahl als Partei der Deserteure Ihm antwortet Kurt einer Stegreifrede:,,Das Deutsche Volk wird Jahrzehnte brauchen, umwieder moralisch und intellektuell von den Wunden zugesunden, die ihm diese Art Agitation geschlagenhat. Als Vertreter der marxistischen Arbeiterbewe-gung betone ich mit Stolz, daß System und Politikdes Marxismus derartige persönliche Schmutzigkei-ten immer ausgeschlossen haben. Eine Auseinander-setzung ist schon darum nicht möglich, weil wir indem Nationalsozialisten nicht das gleiche Niveauachten können. Wir sehen keinen Gegner, mit dem wirdie Klinge kreuzen könnten. Außerdem lehnen wir esgerade bei dieser Frage grundsätzlich ab, die sozial-demokratische, durch Opfer an Gut und Blut erhär-tete Politik in nationalen Fragen vor solcher Art Kriti-kern zu rechtfertigen. Den Herren fehlen die politi-schen Kenntnisse, denn die meisten von ihnen be-schäftigen sich erst zwei oder drei Jahre mit Politik,so daß ihnen das alles fern liegen muß. . Dieganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauern-der Appell an den inneren Schweinehund im Men-schen. . Wenn wir irgend etwas beim Nationalso-zialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, daßihm zum erstenmal in der deutschen Politik die rest-lose Mobilisierung der menschlichen Dummheit ge-lungen ist. . Abschließend sage ich den HerrenNationalsozialisten: Sie können tun und lassen wassie wollen, an den Grad unserer Verachtung werdensie niemals heranreichen.“. (Lebhafter und anhalten-der Beifall bei den Sozialdemokraten. Lärm bei denNationalsozialisten.)

Stenografische Berichte des Reichstags, Bd. 446, S. 2254 f.

Plakat zurVersammlungder EisernenFront amVorabend der

wahl vom5. März 1933in Stuttgart

Abrechnungmit allen Feindender Freiheit

a b e n d s 8 U h r in der

Stadthalle

bei dem Generalappellder Eisernen FrontJeder aufrechte jede gesinnte Frau

derEisernen

Bibliothek für Zeitgeschichte, Stuttgart

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Blick in die Kundgebung der Eisernen Front vom 4. März 1933 in Stuttgart. Bild: Archiv der sozialen Demokratie, Bonn

Ein Versammlungsbericht

Die Sozialdemokratin Helene Schoettle über die Ver-sammlung:

,,Dem Aufruf folgten 14 000 Menschen. Die Stadthallewar überfüllt. Eine geplante Demonstration von derStadtmitte bis zur Stadthalle wurde von dem damali-gen Polizeipräsidenten Klaiber ganz kurzfristig verbo-ten wegen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit. . Kurt Schumacher rechnete ab und hielt eine tak-

tisch wie kämpferisch großartige Rede. Obwohl dereben zu Ende gegangene Wahlkampf, mit allen sei-nen bösartigen Erscheinungen, und die äußerst ge-spannte politische Situation auf den meisten der nehmer lasteten, gelang es Schumacher immer wie-der, die 14 000 Menschen zu Beifallsstürmen hinzu-reißen, die sich zum Schluß zu einem Orkan steiger-ten, der minutenlang anhielt. Beim Abzug der vielenMenschen sorgte dann die Polizei dafür, daß es keineZusammenrottungen gab, oder gar die verbotene De-monstration nachgeholt wurde.“

Helene Schoettle: ,,Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“, in: Ar-beiterbewegung in Stuttgart 1933. Erinnerungen, Berichte,Dokumente, Tübingen 1984, S. 24 ff.

Pfingsten 1933

Helene Schoettle über eine illegale Zusammenkunftim Schwarzwald, Pfingsten 7933: ,,Kurt Schumacherweigerte sich, trotz dem Rat vieler Freunde, ins Aus-land zu gehen. Er konnte sich, teilweise auch in Stutt-gart, noch einige Zeit verstecken und auch Kontaktehalten. Bei einer seiner Pendelfahrten zwischen Stutt-gart und Berlin wurde er am 6. Juli 1933 verhaftet. . In dieser ‘für uns Sozialdemokraten so

kenden Zeit war es für mich und etwa 100 StuttgarterFunktionäre ein großes Erlebnis, als wir am Pfingst-sonntag des Jahres 1933 in einer Waldlichtung ober-halb von Marxzell im mit Kurt Schumacher zu-sammenkamen. Daß dies der Sinn unserer ,Fahrt insBlaue‘ war, erfuhren die meisten der auf ihre Zuverläs-sigkeit ausgesuchten Genossen und Genossinnenerst am Treffpunkt. Es regnete in Strömen an diesemSonntag. Kurt Schumacher kam mit Begleitern, diewir nicht kannten. Er sprach zu uns über die völlig ver-änderte politische Situation, über die Notwendigkeitdes Aufbaus der illegalen Arbeit und machte uns Mutmit seiner Meinung, daß dieses Regime nicht von lan-ger Dauer sein werde.”Helene Schoettle, 1984, S. 31.

im Schwarzwald, 20 km südöstlich von Karlsruhe

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All

Debatten in der SPD-FraktionFriedrich Stampfer berichtet über eine Sitzung derSPD-Reichstagsfraktion in Berlin am 16.51933:

Zürich (erhielt ich) ein Telegramm von Otto Wels zueiner Vorstandssitzung in Saarbrücken. Dort erfuhr

ich, daß der Reichstag zu einer Sitzung am Maieinberufen war, daß Hitler eine angebliche Friedens-kundgebung veranstalten wolle und daß unse-rer Fraktion an ihr teilzunehmen bereit sei. In Saar-brücken war man einmütig der Meinung, daß die Par-tei durch eine solche Teilnahme nichts anderes errei-chen könne als ihre eigene Kompromittierung unddaß unter den gegebenen Umständen ihre Opposi-tion gegen das neue Regime nur durch Fernbleibenvon der Sitzung demonstriert werden könne. HansVogel und ich erklärten uns bereit, nach Berlin zu fah-ren und dort in der Fraktion unseren Standpunkt dar-zulegen. . Aber in Berlin fanden wir eine schwergespannte Situation. Nur eine Minderheit der Frak-tion unter der temperamentvollen Führung Kurt

stand uns zur Seite. Die Redner der Mehr-heit meinten, wenn Hitler eine Friedenserklärung ab-geben wolle, sei er auf dem Wege, eine Außenpolitikim Sinne der Sozialdemokratie zu treiben, dabei solleman ihn nicht stören. . Es gab eine heftige De-batte, in deren Verlauf Kurt Schumacher in höchsterErregung den Saal verließ. Ich eilte ihm nach und fandihn an einem Fenster mit Tränen in den Augen. ToniPfülf, verehrt von uns allen, beging späterSelbstmord.“

Friedrich Stampfer: Erfahrungen und Erkenntnisse. Auf-zeichnungen aus meinem Leben, Köln S. 270

Al2 Drei Möglichkeiten

Wilhelm Keil (geboren 1870, bis 1932 würft. Reichs 194 Landtagspräsi-dent in Württemberg-Baden) über die Lage nach der Machtergreifung Hitlers:

,,Während mir selbst in keinem Augenblick der Ge-danke kam, den Nazisten Konzessionen zu machen,empfahl ich jedem meiner Partei angehörenden Be-amten, der mich um Rat anging, den formellen Aus-tritt. Nicht der leistete ich damitVorschub ich sagte ihnen, daß sie ihrer Überzeu-gung treu bleiben sollten aber ich suchte zu verhü-ten, daß nutzlos Existenzen geopfert wurden. Für un-ser persönliches Verhalten im nationalsozialistischenStaat stellte ich folgende Formel auf: Wir haben einevon drei Möglichkeiten zu wählen: 1. Selbstmord, 2.Emigration, 3. im neuen Staat leben. Wer eins undzwei ablehnt, dem bleibt nur drei übrig. Ich für meinenTeil hielt es so. In dem Lande, in dem ich geboren bin,blieb ich und ordnete mich dem Zwangunter, ohne meine Gesinnung preiszugeben. Illegalepolitische Tätigkeiten hielt ich für sinn- und nutzlos.“Wilhelm Keil: Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Stuttgart

Bd. 2,

Der NS-Kurier in Stuttgart berichtet über die Verhaf-tung 11.21933:,,Stuttgart. . Mit Dr. Schumacher ist einer derschamlosesten sozialdemokratischen Hetzernicht nur Württembergs, sondern ganzDeutschlands unschädlich gemacht worden. Miteinem an Hysterie grenzenden, verbrecherischenHaß bespie und verleumdete er nationalsozialistischeFührer und die nationalsozialistische Bewegung.Kein Württemberger wird es je vergessen, wie derrote Obergenosse in öffentlichen Versammlungenund in der vom Leder zog.Seine Anwürfe gegen die nationalsozialistische Frei-heitsbewegung waren so abgrundtief gemein, daß Dr.Schumacher nicht mehr erwarten kann, als politi-scher Gegner, sondern nur noch k r i m i ne bewertetzu werden.

,,NS-Kurier“, Stuttgart, vom 1988, S. 17)

Al4

Der Häftling

Kur t Schumacheri m KZ-Dachau1936

Bild: Archiv dersoz ia lenkra tie, Bonn

Al5S c h i k a n e n i m K Z

Bericht des KZ-Häftlings Acker über die,,Empfangsfeierlichkeiten im KZ Heuberg:

,,Der Gefangene mußte sich beim Eintreten mit Na-men und melden. (Der KZ-Kommandant)

sprang auf, schleuderte ihm seine Standardlo-sung ,Zigeuner‘ ins Gesicht und eröffnete mit ziemli-cher Lautstärke dem Gefangenen, daß er die Bergeseiner Heimat nicht wiedersehen werde. Dann

er ihn zur Tür hinaus. Nach längerer Zeit desStrammstehens jagte man uns im Eiltempo unter Fuß-tritten und Schlägen in das etwa 300 bis 400 Meter

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entfernt liegende Gebäude des Blocks 23. . Dortwurden wir wieder auf den Estrich getrieben undstanden einige Stunden mit dem Gesicht zur Wandstramm. Etlichen Gefangenen wurde von denLeuten der Kopf immer wieder an die Wand geschla-gen, bis das Gesicht zerschunden war. Einer der Häft-linge, die dieser Prozedur unterworfen waren, war Dr.Schumacher.“

nach: Bernd Burckhardt: Zeugnisse zur Schutzhaft, in:K.-H. Fuchs: Stuttgart im Dritten Reich. Die Machtergrei-fung, Stuttgart 1983, S. 405.

Bericht aus demKZ Heuberg

Erich Roßmann, SPD- Landesborsitzender, berichtetüber Kurt Schumacher im KZ Heuberg:,,Am Tage wurden wir alle zwei Stunden fünfzehn Mi-nuten lang im Gänsemarsch um den Hof herumge-führt. . Der Hof war durch einen zwei Meter hohenStacheldraht aufgeteilt worden. Dadurch sollte ver-mieden werden, daß die Häftlinge der verschiedenenUnterkünfte miteinander in Verbindung treten konn-ten. Ganz ließ sich das bei den Rundgängen jedochnicht vermeiden. Auf diese Weise konnte ich nocheine letzte ,Unterhaltung‘ mit meinem Kameradenund Reichstagskollegen Dr. Schumacher führen, dervier Wochen nach mir ins Lager gekommen war. .Jetzt aber hatte (Schumacher) die braune Pest per-sönlich auf dem Halse. Die Nazipresse in Stuttgarthatte nach seiner Verhaftung angekündigt, manwerde an ihm ein Exempel statuieren. Nun wurde erhier im Kasernenhof herumgejagt, mußte mit seinemlinken Arm bei 30 Grad Hitze auf dem ausgedehntenGelände des Lagers kleine in einenEimer sammeln oder gespaltenes Holz in Eimern indie Holzkammern tragen.

Erich Roßmann: Ein Leben für Sozialismus und Demokratie, S. 74-76.

Auf dem Kuhberg

Bericht des Kuhberg- Häftlings Julius,,Zuerst gab es nur einen uralten Brunnenschacht, derden Bedarf an Wasser bei weitem nicht liefern konnte.Deshalb mußte ein zweiter Brunnen instandgesetztund das Wasser mit einer einfachen Handpumpe inein Reservoir hochgepumpt werden. Der KommunistLudwig Herr aus Kornwestheim und der Sozialdemo-krat Dr. Kurt Schumacher aus Stuttgart beide hat-ten einen Arm verloren wurden zu dieser Arbeit re-gelmäßig eingesetzt. In großen Blechkannen holtendann die Häftlinge das Wasser in die Unterkünfte.Beim Füllen mußte man darauf achten, daß die amBoden liegenden schwarzen Würmer zurückblieben. . Prominente Politiker wurden zeitweise einer be-

sonderen Behandlung unterzogen. So kamen derSPD-Reichstagsabgeordnete Dr. Kurt Schumacherund der KPD-Landtagsabgeordnete Alfred Haag in

einen besonderen Bunker. Dieser Bunker war mit ei-ner nahezu luftdicht abgeschlossen. Daseinzige Mobiliar waren zwei Strohsäcke, es gab keineHeizung und keine Decken. Die schon für die übrigenHäftlinge dürftige Kost wurde auf die Hälfte reduziert.Aus Protest gegen diese Behandlung trat Schuma-cher in einen längeren Hungerstreik. Dieser Hunger-streik in Verbindung mit den täglichen Schikanenschwächte Schumacher so sehr, daß Alfred Haag umsein Leben bangen mußte. Er beschwerte sich beider SA-Bewachung und erreichte schließlich, daß erdem Kommandanten vorgeführt wurde. empfing ihn mit den üblichen Drohungen und ließ ihnals Strafe für seine Beschwerde mehrere Wochen inden Strafbunker werfen.“

Julius Stationen zur Hölle. Konzentrationslager inBaden und Württemberg 1933-45, Frankfurt a. M. S. 33, 36

Al8 Im KZ Dachau

Kurt Schumacher in der Lagerbüchereides KZ Dachau:

,,Die Lagerbücherei spielte nicht nur für die am LesenInteressierten eine zentrale Rolle. Der Ausleihbetriebbot einen nahezu idealen Schutz bei verdeckter Kon-taktaufnahme unter den Gefangenen. Das wußtenbesonders die politisch organisierten Häftlinge zunutzen. Kurt Schumacher, der schon im Herbst 1935in der Bibliothek tätig war, konnte so die Räumlichkei-ten der Bücherei zum illegalen Treffpunkt inhaftierterMitglieder der SPD machen. Daneben erlaubte esihm seine Funktion, sich frei im Lager zu bewegenund so beliebig Kontakt mit seinen Gesinnungsge-nossen herzustellen. Verschiedene Häft-linge berichten, welch herausragende Bedeutung fürsie die politische Beratung mit ihm hatte. Auch der in-haftierte Pfarrer Heinrich Grüber berichtete später:,Die Sozialdemokraten standen . unter dem Ein-fluß von Kurt Schumacher‘, der die Lagerbibliothekzu einer Zelle des sozialdemokratischen Widerstandsim KZ Dachau gestaltete.“

Die Lagerbücherei im KZ Dachau.Hefte, November 1991, S. 39 f.

A 19E i n E i n z e l g ä n g e r

Der frühere Sekretär des ehemaligen ös Kaisers Karl Baron Charles de Werkmann,

berichtet über ein Zusammentreffen mit Kurt Schu-macher am 1. April 1938 im KZ Dachau:

,,Es gab nur wenige, welche sich für sich allein hielten,also Einspänner-Naturen waren. Einer von diesenwirkte auffällig. Er war einarmig, trotz des Konzentra-tionslagers nett in der Erscheinung, schlank, sehnig,anscheinend unbewegt wie ein Asket, ständig nach-denklich, niemals herzlich. Ein Mann, der sich offen-bar in vollkommenem seelischen Gleichgewicht be-fand. Man kam diesem Mann nicht näher, weil er seineigenes Leben lebte. . Wenn er einsam und mit

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senktem Kopf durch die Straßen des Lagers ging, ar-beitete er vermutlich mit den Gedanken, die in ihmgärten. Er hatte niemanden, mit dem er seine geisti-gen Kräfte hätte messen wollen, niemanden, Widerspruch seine Ideen hätte korrigieren können. Erwar ein Fanatiker, aber auch ein schweigender Zelot.“

nach Heinrich G. Ritzel: Kurt Schumacher, ßeinbek1972, s.

Nachrichten

Hanns George (d. Erwin Schoettle) und seine FrauHelene berichten aus St. Gallen dem Prager Exilvorstand über das Schicksal14.21934:,,Unsere Sorge um Dr. Sch. ließ uns keine Ruhe. Wirsammelten, da wir selbst wenig hatten, bei einigentreuen Genossen etwas Geld und kauften

die er vermutlich bei den schlechten Unterbrin-gungsverhältnissen und der Kälte brauchen konnte.Dies schickten wir ihm mit einem Brief und der Bitte,er möchte doch einmal etwas von sich hören lassen.Am 9. Januar 1934 kam dann auch wirklich die Freun-din Sch.‘s, Fr. F[iechtl], überbrachte Grüßeund die Mitteilung, daß es dem Dr. noch verhältnismä-ßig gut gehe gesundheitlich. Er bitte, ihm öfter zuschreiben,. aber, da dies alle büßen müßten, nichtsvon Politik. Es sei ihm erlaubt, Sprachstudien zu trei-ben und in bescheidenem Umfange zu lesen. EndeFebruar suchte ich Frl. wieder auf, um näheres zuerfahren. Sie konnte mir diesmal nur erzählen, daß esdem Dr. noch ,gut‘ gehe, er selbst schreibe. Aller-dings sei ihm jeder Lesestoff wieder entzogen wor-den. Das war ein Zeichen dafür, daß Sch. wieder ausirgendeinem Grund in eine schlimmere Stufe versetztwurde.“Archiv der sozialen Demokratie, Bonn

Nach der Entlassung

Von der Entlassung aus dem KZ Dachau bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945

Als Kurt Schumacher 1943 aus dem KZ Dachau ent-lassen wurde ich nehme an, die SS war der Mei-nung, dieser schwerkranke Mann würde ohnehinnicht mehr lange leben wog er bei einer Größe von

Metern noch 55 Kilogramm. Er durfte seinenenthalt nicht in Süddeutschland nehmen, wo vieleMenschen ihn aus seiner politischen Arbeit in der marer Republik kannten. Seine Entlassung erfolgteunter der Auflage, zu seiner Schwesterter nach Hannover zu ziehen. Als die Wohnungwalters durch einen Bombenangriff im Oktober 1943zerstört wurde, fand Schumacher ein möbliertes Zim-mer in Hannover-Badenstedt. Schumacher wurdeauf Weisung der Gestapo vom Arbeitsamt als Ange-stellter seinen Doktortitel durfte er nicht tragen in

die Sichel-Werke nach Hannover-Limmer vermitteltund dem Leiter des Einkaufs, Heinrich Hausmann, zu-geteilt. Heinrich Hausmann hat die erste Begegnungmit Kurt Schumacher geschildert: ,,Ich erinnere mich,wie Schumacher morgens nach einem einstündigenMarsch keuchend und nach Atem ringend in der Fa-brik erschien. Ich war derjenige, der Schumacher in.diesem Zustand in seinem Büro empfing. Ich eilte aufihn zu, weil ich sah, daß er dem Zusammenbruchnahe war, und auf seinen Platz. Schuma-cher wurde mir deshalb von unserer Direktion anver-traut, weil sie meine politische Einstellung kannte,und er wurde auch von mir von 1943 bis Kriegsendein meiner Abteilung beschäftigt, mit Ausnahme derZeit, die er nach dem Attentat auf Hitler im KZ Neuen-gamme verbringen mußte.“ ,

Annemarie Ein politisches Leben, Stuttgart 1993,S. 71 ff (gekürztes Zitat).

G e h e i m !

l i l h e l m s t r .

Betrifft: Dr. Kurt z.Zt. in Schutzhaft.

Fiechtl,Ave., bittet in Gesuch von 1937an den ihren Verlobten

z u

Der friihere und der

Dr. Schumacher, nicht . werden, seine unmittelbare der öffentlich

t . Cei seinerer sofort emi und im Z-lutsch-

lax? hetzt. i s t z u seiner Gesinnungsfreunde,

,ihn geldlich zu unterstfitzen,

noch

Ich bitte Sie, Fiechtl in der

ihr Dr .

Reichskanzlei des Führers an das Auswärtige Amt,19.8.1937

DZOK-Arch iv , U lm (Dokumenta t ionszen t rum Oberer Kuh-berg)

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Nachkriegsrede

Aus der ersten Rede nach Kriegsende,,Wir verzweifeln nicht!“ am 6. Mai 1945 vor sozialde-mokratischen Funktionären in Hannover: saß hin-ter Stacheldraht mit Leuten zusammen, die die Opferder Zerstörung aller menschlichen Bande durch dasDritte Reich waren. Da gab es Söhne, die von ihrerMutter in das Konzentrationslager gebracht wordenwaren. Da gab die durch ihre Söhne dort hin-gebracht, und da gab es viele, viele Ehemänner, diedurch ihre eigenen Frauen hinter den elektrisch gela-denen Zaun gekommen waren. Die Zahl der Ehe-scheidungen auf Betreiben der Gestapo war Legion

. .

So blieben Leute untätig, die als alleinstehende Per-son mit Freuden jedes Risiko auf sich genommen hät-ten. Aber die Familie war die große Geisel in den Hän-den der Gestapo. . Dieser bequeme Egoismuswäre Schuld genug. Aber die eigentliche Schuld die-ser Menschen ist eine politische. Sie haben zugelas-sen und gefördert, daß eine in Fähigkeiten und Cha-rakter ungeprüfte Horde von Abenteurern die Machtan sich gerissen hat, und sie haben diese Horde un-kontrolliert wirtschaften lassen. Die Mitschuld großerVolksteile an der Blutherrschaft der Nazis liegt in ih-rem Diktatur- und Gewaltglauben! Getilgt kann dieseSchuld nicht werden, gemindert muß sie werdendurch die ehrliche Einsicht, daß nie mehr ein unkon-trolliertes und unkontrollierbares Regime in Deutsch-land herrschen darf. Weil die Deutschen sich die Kon-trolle über ihre Regierung haben entziehen lassen,deswegen kontrollieren uns heute andere. Diese poli-tische Einsicht ist die Voraussetzung der geistigenund moralischen Umkehr.“

Kurt Schumacher: Reden, Schriften, Korrespondenzen1945-52. von Willy Albrecht, 1985, S..

A 24 Die Rivalen

Die Last derVergangenheit

Nachdem der neugewählte Bundeskanzler KonradAdenauer (CDU) seine erste Regierungserklärung ab-gegeben hatte, antwortete ihm am 21.9.1949 der Op-positionsführer Kurt Schumacher.= ,,Die deutschenKräfte des Widerstandes und die deutschen Opferdes Faschismus gehören doch zu den wenigen au-ßenpolitischen Aktiven des und derdeutschen Außenpolitik. Von diesen Menschen ist ge-stern gar kein Wort gesagt worden. Man kann nichtgegen den Nazismus sein, ohne der Opfer des Nazis-mus zu gedenken. Man kann sich nicht für die Hilfelei-stung für einzelne Kategorien erwärmen sie mögennoch so nötig sein wenn man die Opfer des Nazis-mus in einer selbstgewählten Rangordnung hinter dieRechte anderer zurückstellt.

Zu matt und zu schwach ist gewesen, was gesterndie Regierungserklärung über die Juden und über diefurchtbare Tragödie der Juden Dritten Reich ge-sagt hat. Resignierte Feststellungen und der Ton desBedauerns helfen hier nichts. Es ist nicht nur diePflicht der internationalen Sozialisten, sondern es istdie Pflicht jedes deutschen Patrioten, das Geschickder deutschen und der europäischen Juden in denVordergrund zu stellen und die Hilfe zu bieten, diedort notwendig ist. Die Hitlerbarbarei hat das deut-sche Volk durch Ausrottung von sechs Millionen jüdi-scher Menschen entehrt. An den Folgen dieser Enteh-rung werden wir unabsehbare Zeiten zu tragen ha-ben. Von 600 000 deutschen Juden leben heute imGebiet aller vier Zonen nur noch 30 000, meist ältereund kranke Personen. Auch sie erleben immer wiederbeschämende und entwürdigende Vorfälle. InDeutschland sollte keine politische Richtung verges-sen, daß jeder Nationalismus antisemitisch wirkt undjeder Antisemitismus nationalistisch wirkt. Das be-deutet nämlich die freiwillige SelbstisolierungDeutschlands in der Welt.

Antisemitismus ist das Nichtwissen von den großenBeiträgen der deutschen Juden zur deutschen Wirt-schaft, zum deutschen Geistesleben und zur deut-schen Kultur und bei der Erkämpfung der deutschenFreiheit und der deutschen Demokratie. Das deut-sche Volk stände heute besser da, wenn es dieseKräfte des jüdischen Geistes und der jüdischen Wirt-schaftspotenz bei dem Aufbau eines neuen Deutsch-lands in seinen Reihen haben würde.“ (Beifall bei derSPD).

Zit. nach: Willy Albrecht (Hg.): Kurt Schumacher, 1985,s. 700 f.

Kurt Schumacher und Konrad Adenauer, in der Mitte CarloSchmid. dpa

Saupe
Keine Rechte
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B 1 B 24 Eugen Bolz

B 1Eugen Bolz als Student (um 1900)und als Staatspräsident von Württemberg

Eugen Bolz als Korporationsstudent bei Eugen Bolz (links) bei Bavaria, BonnGuestfalia, Tübingen (1900)

Bilder: Studienstiftung Eugen Bolz e. Bonn

Der Staatspräsident (1928)

B2 Eugen Bolz: 1881-1945 1916

1881

1888

1899

1904

1912

1914

15.12. in Rottenburg am Neckar geborenals zwölftes Kind des Großhändlers JosefBolz

Lateinschule in Rottenburg, 1896 Stutt-garter Karlsgymnasium

Studium der Rechtswissenschaft in Tü-bingen

Referendar beim Amtsgerichtburg, Freiwilliger beim ment 49 in Ulm, in Ulm Kennenlernen sei-ner späteren Frau Maria HöneßStudien in Berlin, danach Assessor beider Staatsanwaltschaft StuttgartJüngster Abgeordneter im Reichstag inBerlin (Zentrum, Wahlkreis Ellwangen Aalen Neresheim, bis 1933); Abgeord-neter im Württembergischen Landtag(Wahlkreis Rottenburg, bis 1933)

Soldat in Ulm, später in Ludwigsburg undim Elsaß (Hartmannsweiler Kopf), Teil-nahme an den Reichstagssitzungen inBerlin

1919

1920

19231924

1928

1930

1932

Bei der Ersatztruppe in Ulm, als Amtsrich-ter für die Reichsentschädigungskom-mission in Berlin und v. a. in Brüssel

Er lehnt das Angebot eines Ministerpo-stens in der Reichsregierung ab, ent-scheidet sich für Stuttgart, wo er am29.10. mit 38 Jahren Justizminister wird.Bolz wird der württembergischenZentrumspartei

Heirat in der Klosterkirche der Abtei ron, 1922 Geburt des einzigen Kindes(Mechthild)(2.6.) Bolz wird Innenminister

Bolz übernimmt zusätzlich das Finanzmi-nisterium(8.6.) Bolz wird Staatspräsident

Ende der seit 1928 bestehenden Minder-heitsregierung von Zentrum und DNVPdurch Regierungsbeteiligung von DDPund DVP

(Mai) Mergenthaler (NSDAP) wird Land-tagspräsident. Bolz läßt die Verhandlun-gen über eine Regierungsbildung mitNSDAP und DNVP scheitern. Die Wahl

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1933

1939

1940-44

1943

1944

nes neuen Staatspräsidenten wird mit ei-ner Geschäftsordnungsänderung verhin-dert. Bolz bekämpft hartnäckig die Politikdes Kabinetts Papen

(15.2.) Weigerung, Hitler den StuttgarterSchloßhof für eine Wahlkundgebung zurVerfügung zu stellen. (15.3.) Rücktritt alsStaatspräsident und Innenminister. Bolz,erhält nur die Pension eines Amtsrichters.

(23.3.) Bolz stimmt mit dem Zentrum fürdas Ermächtigungsgesetz, nachdem ermit seiner Ablehnung in der Fraktion inder Minderheit geblieben ist. (3.6.) Bolzlegt sein Landtagsmandat nieder. (19.6.)Vorladung und Verhaftung vor dem Stutt-garter Polizeipräsidium, (bis 12.6.),,Schutzhaft“ auf dem Hohenasperg, da-nach Zuflucht im Kloster Beuron, im Sep-tember Rückkehr nach Stuttgart. Über-wachung durch die Gestapo. Verbot, Vor-lesungen an der Technischen Universitätzu besuchen. Steuerberater der AbteiBeuron (bis 1944) und juristischer Beraterdes Caritasverbands, ab 1935 Beteili-gung an der Deckensteinfabrik C. H.Bauer in Stuttgart. Rückzug aus allen Äm-tern(Juni) Bolz ist verzeichnet in der

zur ,,Erfassung führender Männerder Systemzeit“, d. h. der als staatsfeind-lich eingestuften Politiker der WeimarerRepublik

Mittwochs und sonntags: Treffen mit ehe-maligen Zentrumsmitgliedern in Stutt-gart, u.a. mit Gebhard Müller (1953-58Ministerpräsident von

Regelmäßige Treffen mit Carl Goerdeler

Unter einem Reichskanzler Goerdeler sollBolz Innenminister, nach Einspruch vonSPD-Kreisen Reichskulturminister wer-den (Anfang ist in die

(November 1943 und Juli 1944) ein-geweiht. Vorhergehende sondierendeReisen nach Wien (1943) und zu Rommelverliefen ergebnislos.

(12.8.) Verhaftung durch die Gestapo inStuttgart. (27.8.) Gefängnis Prinz-Alb-recht-Straße in Berlin, danachvensbrück (Zellenbau). Verhöre und Folte-rungen in der SicherheitspolizeischuleDrögen, nach dem 2.11. im Berliner Ge-fängnis Straße.

(8.12.) Als Ruhestandsbeamter entlassen

(21.12.) Zum Tod verurteilt vom wegen Aufforderung zum

Hochverrat und Feindbegünstigung; Un-terbringung gefesselt in besonderem Zel-lengang. Gnadengesuche von Bolz undseiner Frau werden abgelehnt.

1945 (23.1.) Hinrichtung durch das Fallbeil inBerlin-Plötzensee. Die Veröffentlichungeiner Todesanzeige wird verboten.

1946 (25.1.) Rottenburger Trauerfeier für EugenBolz, Umbenennung des

Im Landtag von Baden-Württemberg be-nennt die CDU später ihren Fraktionssaalnach Eugen Bolz.

1962 Rottenburger Oberschule wirdBolz-Gymnasium

Selbstverständnis

Selbstverständnis als Mensch und als Politiker 1919(Bolz in einem Brief, nachdem er eine gute Stelle inder Wirtschaft ausgeschlagen hatte): ,,Die politischenUmwälzungen stellten mich vor die Wahl: entwederBerlin ohne Politik oder Amtsrichter mit Politik. . . ichwerde bei der Politik bleiben. Dabei bemühe ich michaber fortgesetzt, persönlich über Beruf und Politik zustehen. Denn das ist mir in den letzten Monaten wie-der erneut als die alleinige Weisheit erschienen: Esgibt nur ein Glück wenn das dem Menschen über-haupt beschieden sein kann und das ist die innereRuhe, beruhend auf dem Bewußtsein der Schuldlo-sigkeit, und . . . Freiheit namentlich vom Ehrgeiz undanderem Geiz. Auch meine ist mirPflicht, freilich eine, die ich anderem vorziehe; aberweil sie Pflicht ist, kann ich sie auch entbehren ohneSchmerz. Und weil ich so denke, bin ich auch zufrie-den.“

nach Max Eugen Bolz, Staatsmann und Bekenner,Stuttgart 1951, S. 104

Die Aufgabe des Zentrums

Aus einer Bolz-Rede in Stuttgart-Ost, Oktober 1930:,,Es ist nicht verwunderlich, wenn das kranke und fie-bernde Volk sich ins Extreme verliert. Aber jetzt gilt esRuhe zu bewahren. Unservolk ist verloren, wenn allesberauscht ist und fiebert, und nichts ist unsinniger, alsberauschten Köpfen die Gewalt des Staates zu über-liefern. Aufgabe des Zentrums wird es sein, so langeam Ruder zu bleiben, wie wir uns überhaupt haltenkönnen, und Ruhe und Nüchternheit zu zeigen.“

nach Max 1951, S. 381

Zuversicht

Aus einer Bolz-Rede vor dem Landtag (Februar 1931),,Ich glaube, wir haben in Württemberg nichts zufürchten . . . Die politischen Bewegungen, die wir er-leben, werden sich auch überschlagen. Ich habe die

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Überzeugung, daß weder die kommunistische Bewe-gung uns über den Haufen rennen wird, noch die na-tionalsozialistische . . . Ich möchte die Hand dafür insFeuer legen, daß die württembergische Polizei imErnstfall nicht versagt und daß die Regierung nichtdavor zurückschreckt, das letzte Mittel zu ergreifen,um Gehorsam zu erzwingen . .

Zit. nach Max 1951, S. 384

Im Abseits

Obwohl er 13 Jahre lang als württembergischer Mini-ster tätig gewesen war, berechneten die neuenMachthaber sein Ruhegeld nach seiner Tätigkeit alsAmtsrichter, die er vor seiner politischen Laufbahnausgeübt hatte. Außerdem mieden ihn im DrittenReich viele ehemalige Freunde und Bekannte, indemsie z. B. die Straßenseite wechselten, wenn er ihnenentgegenkam. Selbst nach seiner Hinrichtung am 23.Januar 1945 wegen seiner aktiven Beteiligung an denWiderstandsvorbereitungen vom 20. Juli 1944 wag-ten es einige Freunde nicht, zu einer Totenmesse fürihn zu kommen, aus Angst vor Maßnahmen der Natio-nalsozialisten.

Schon Anfang Juni 1933 hatte Bolz auf seinen Sitz imLandtag verzichtet, um Doppelmandate derZentrumspartei zu vermeiden.

Thomas Schnabel: Württemberg zwischen Weimar undBonn. Stuttgart 1986, S. 265

Stuttgarter Wohnhausder Familie

Das Foto zeigt das Wohnhaus von Dr. Eugen Bolz in Stutt-gart, Am Kriegsbergturm 44. Bild: Mechthild ßupf- Bolz

Verfolgung

Bolz galt der besondere Haß Hitlers und der National-sozialisten. In ihm sahen sie in Württemberg ihren ge-fährlichsten Feind und lange Zeit erfolgreichstenGegner. Hitler hat es ihm nie verziehen, daß er nochnach der Machtergreifung auf dem letzten Parteitagdes Zentrums in Ulm den Aufruf Hitlers an das Volkscharf kritisiert und zerpflückt hatte.

In der eigenen Polizei, der Bolz uneingeschränkt ver-traute, saßen einige wenige Verräter, die in den Fe-bruar- und Märzwochen 1933, als Hitler zur Machtkam und Bolz verdrängt wurde, die Polizei auf dieSeite der neuen Machthaberzogen. Einzelne jüngereBeamte seines eigenen Ministeriums waren nicht un-beteiligt, als am 19. Juni 1933 ein Volksaufstand ge-gen ihn angezettelt wurde . . . (Auf dem) Karlsplatz inStuttgart. . . wurde er von der ten Menge beschimpft, angespuckt, mit faulen Eiernbeworfen ein bis dahin für Stuttgart unerhörter gang bis ein Polizeiwagen ihn auf den Hohenaspergin Schutzhaft brachte.

Gebhard Müller: Eugen Bolz ein Mann des Widerstandes.Heft hrsg. Studienstiftung Eugen Bolz Bonn o. J.,s.

Rache

Der neue Staatspräsident Murr (NSDAP) am März1933 auf einer Großkundgebung vor dem NeuenSchloß in Stuttgart.= ,,Wir sagen nicht Aug’ um Auge,Zahn um Zahn, nein, wer uns ein Auge einschlägt,dem werden wir den Kopf abschlagen, und wer unseinen Zahn ausschlägt, dem werden wir den Kiefereinschlagen . .

Zit. nach Paul Sauer: Württemberg in der Zeit des National-sozialismus, Ulm, 1975, S. 30

Verhaftung

Münchner Neueste Nachrichten, 21.6.1933

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Die Verhaftung im Bild.

PassivesW i d e r s t a n d s r e c h t

Auszüge aus einer Bolz- Rede zum Diözesan- /äum 7928: ,,Ein guter Katholik muß auch ein guterStaatsbürger sein, er muß den Gesetzen des StaatesGehorsam leisten, er kann keinen revolutionärenGeist haben. . .Er arbeitet mit dem Aufbau des Staa-tes und seinen wirtschaftlichen und sozialen Verhält-

- nissen. Nur eine Schranke gibt es, den Verstoß desStaatsgesetzes gegen Gottes Gesetz.“

Zit. nach 1951, S. 482 ff. .

AktivesWiderstandsrecht

Auszug aus der ,Katholische Aktion und 1934 von Eugen Bolz

Da das Gemeinwohl, ,nächst Gott das erste undletzte Gesetz in der staatlichen Gemeinschaft‘ (PapstLeo Ursache und Ziel des Staates ist, so die Befehls- und Zwangsgewalt des Staates nur soweit reichen, als diese dem Gemeinwohl dient. . . Beioffensichtlichem und dauerndem Mißbrauch derStaatsgewalt besteht ein Notwehrrecht des Volkes.Zit. nach 1951, S. 483

Kontakte zum Widerstand

Der Zufall machte Bolz auch mit dem engeren Freun-deskreis Goerdelers bei der Firma Bosch bekannt;doch wurden diese Beziehungen bewußt nicht weitergepflegt. Im übrigen wurde Bolz über inBerlin und an den militärischen Zentren des Wider-stands durch unterrichtet; diesen führten

Sammlung Klaus Schumann, Süddeutsche Zeitung

seine Bemühungen um die Rettung des in einen derüblichen Prozesse verwickelten und für das Reich be-schlagnahmten Klosters Untermarchtal oft nach Ber-lin.

1951, S. 481

muß dabei (1943)

Bei einem Besuch bei der mit ihnen befreundeten frü-heren Reichstagsabgeordneten Dr. Helene Weber inBerlin-Charlottenburg im November 1943 kam es zufolgendem Zwiegespräch zwischen Fräulein Weberund Bolz: ,,Wissen Sie, daß Sie jetzt gefährlich le-ben?“ ,,Das weiß ich.“ ,,- Sie setzen Ihr Leben aufsSpiel.“ ,,Das weiß ich, und wenn ich umkomme,mein Leben ist nichts, wenn es um Deutschland geht.Auch meine Sicherheit ist nichts, wenn es um diedeutsche Sicherheit geht. Ich kann nicht anders. Ich ,muß dabei sein.“

Bolz Zu Freunden (nach dem letzten Besuch Juli 7944): ,,Die Sache steigt jetzt, sie muß

gelingen, es geht um Kopf und Kragen“.

1951, S. 486

Behandlung durch dieGestapo

1944) Nur war Bolzim überfüllten Gefängnis des Reichssicherheits-hauptamts in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Vonda wurde er in eine Filiale, in den Zellenbau des be-rüchtigten Frauenkonzentrationslagers Ravensbrückbei Fürstenberg in Mecklenburg gebracht. Er wurdein der nahegelegenen Sicherheitspolizeischule Drö-gen den üblichen Verhören und auch den Folterungen

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durch die Gestapoleute unterworfen. Letzteres be-zeugt seine Mitteilung an den später eingeliefertensing, die Vernehmung sei ganz furchtbar gewesen;dafür spricht das blutbefleckte und zerfetzte neueHemd, das mit der Schmutzwäsche den Angehörigenzukam, wie sein Verhalten bei deren Besuch undschließlich die Beobachtung des mitgefangenen Dr.Hermes. Dieser sah eines Morgens Bolz in der offen-stehenden Zelle, an der er auf dem Weg zur Frei-stunde vorbeigeführt wurde, und erschrak über seinAussehen, das die Spuren von Mißhandlungen verriet. . .

1951, S. 497f.

Anklage und Urteil

Abschrift nach einem SD-Bericht

FernschreibenPartei-Kanzlei Berlin, den 21.12.1944, FS-Nr. 22.45

Pg. [Parteigenosse] Dr. Hopf, Dienststelle BerlinAn Herrn Reichsleiter BormannF ü h r e r h a u p t q u a r t i e r

Dem Führer vorgelegt

Betrifft: Prozeß um den Verrat vomIn der Sitzung vom 21.12.1944 waren als Angeklagtevor dem Volksgerichtshof erschienen:Der ehemalige württembergische StaatspräsidentEugen Bolz.Der ehemalige Staatssekretär D. und Major der Re-serve Dr. Hermann Pünder.Der ehemalige Reichsminister a.D. Dr. Andreas Her-mes.Der ehemalige Staatssekretär Dr. Franz ner.Der ehemalige Oberleutnant der Reserve Anwalts-assessor Fabian von Schlabrendorffundder ehemalige Oberst Wilhelm Stähle.Den Vorsitz führte der Präsident des Volksgerichts-hofs Dr. Freisler. .

ein 63jähriger Mann mit hagerem Gesicht undhagerer Gestalt, der einen sehr verbrauchten Ein-druck macht. Mit brüchiger Greisenstimme gab erseine Erklärungen ab. Er kämpfte aber mit großerHartnäckigkeit für eine mildere Strafe, als die ihmnach der Anklage bereits drohende Todesstrafe.

Bolz war von 1912 bis 1933 Mitglied des Reichstagesund des württembergischen Landtages für die trumspartei. Außerdem war er württembergischerStaatspräsident von 1928 bis 1933. Am Weltkrieghatte er teilgenommen, auch das EK erworben, dasFrontkämpferehrenkreuz aber bezeichnenderweisenicht beantragt. Er gab offen zu, daß er Gegner desNationalsozialismus ist.

Vom Sommer 1942 ab traf sich Bolz mitAbständen von 2 bis 3 Monaten regelmäßig im Euro-päischen Hof in Stuttgart. Er wurde von weitgehend in dessen Verratspläne eingeweiht, teiltedessen defaitistische Anschauungen und stimmteihm zu, daß man für den Fall des von den beiden er-warteten ungünstigen Kriegsausganges dafür sorgenmüsse, daß die nicht kommunistischen früheren Par-teien dem dann drohenden Bolschewismus Wider-stand leisten könnten. trug Bolz für seineRegierung des Innenministers an. Bolz nahmdies an. hat sich aktiv für den Verrat dadurch be-tätigt, daß er Rechtsanwalt frank ausFrankfurt, einen alten Zentrumsabgeordneten, alsMitarbeiter für Baden namhaft machte und weiterhinihm einen Bericht über angebliche, dem Nationalso-zialismus feindselige Stimmung aus Wien, zur Verfü-gung stellte. Er hat außerdem mit den alten angehörigen Hermes, Kaiser (christliche Gewerk-schaften), und einigen anderen weniger be-kannten Namen Verbindung aufgenommen. Dr.

kennzeichnete dies betreffend mit den Worten, dieFraktion sammelte sich wieder. Entsprechend demAntrag des Vertreters des Oberreichsanwaltes wurdeBolz wegen Hochverrats und Feindbegünstigungzum Tode und dem dauernden Verlust der Ehren-rechte verurteilt, sein Vermögen wurde eingezogen.. . .

Gründe

Eugen Bolz, jahrzehntelang Abgeordneter des Zen-trums und zuletzt in der Zeit des Weimarer Zwischen-staates Staatspräsident in Württemberg, bekannteheute vor uns, daß er kein Nationalsozialist sei. Er ver-misse bei uns die individuelle Freiheit! (es folgen Auf-zählungen über Treffen mit Personen und Einzelhei-ten über die Planungen des Goerdeler Kreises) . Immer wieder suchte freilich Bolz auszuführen, erhabe doch nur ein Vakuum füllen wollen. Er habe nuran eine Rettung in solcher Not gedacht. Er sei sichnicht bewußt gewesen, damit etwas Unrechtes zutun. Er erkennt eben nicht das Gesetz unseres natio-nalsozialistischen Volkslebens an, das uns jetzt ge-bietet, alle, restlos alle Kraft darauf zu verwenden, zusiegen; kein Quentchen Kraft auf anderes, wie etwadie Beseitigung einer Gefahr nach unserer Nieder-lage, also nach unserem Tode, zu verwenden; dienicht zuläßt, eine aus Defätismus geborene Tat miteben diesem Defätismus auch noch zu rechtfertigen.Daß er das nicht anerkennt, kann ihm aber nicht nüt-zen. Denn das ist, nachdem sich das zur Ausschließlichkeit der Geltung und zurspannenden Natur unserer politischen Weltanschau-ung bekannt hat, eine abartige Anschauung. Und Ab-artiges können wir nicht unserer Art gegenüber auchnur zur Rechtfertigung anerkennen.Bolz hat also. an dem hochverräterischen Treiben

aktiven Anteil gehabt 83 Erwußte. natürlich auch, daß solche Gedankengängeund Pläne, solch zersetzender Defätismus, umge-wandelt in Verrat, gerade das ist, was unsere Feindesich bei uns wünschen. Er habe sich also mit zum

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Knecht unserer Kriegsfeinde gemacht 91 b Dadurch ist er für immer ehrlos geworden. Er mußteum unserer Selbstachtung, um unseres Sieges, umder Sicherheit der kämpfenden Front und Heimat wil-len dafür mit dem Tode bestraft werden.

, ,Sp iege lb i ld e iner Verschwörung D ie Oppos i t ion gegenHitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der

ttung. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen tarn hrsg. H. Jacobsen. Bd

Stuttgart 1984, S. 684-689

Die Verhandlung

Ein Bericht über die Verhandlung vor dem Volksge-richtshof

Leicht gebeugt steht der hochgewachsene ehema-lige württembergische Staatspräsident Eugen Bolzvor seinen Richtern. Man sieht dieser weißhaarigen,ehrwürdigen Persönlichkeit keinerlei Erregung an.Leise, aber wohlüberlegt antwortet er ohne Stockenauf die oft gehässigen Fragen Freislers. Ruhig undnicht ohne Stolz schildert er seine Laufbahn vomAmtsrichter zum Präsidenten seiner württembergi-schen Heimat. Es ist der saubere und gerade Lebens-weg eines katholischen Christen und eines überzeug-ten Demokraten, voll innerer Größe und wachen Ver-antwortungsbewußtseins. Bolz erkannte die drin-gende Notwendigkeit, in der Stunde höchster Not andie Stelle der Diktatur eine Regierung aus vom Aus-land geachteten und verantwortungsbewußten De-mokraten zu bilden, die dann von den Alliierten alsvertrauenswürdige Partner bei sofort einzuleitendenFriedensverhandlungen anerkannt würde. Sospricht Eugen Bolz. Es ist keine Rechtfertigung seiner,hochverräterischen Konspirationen‘, vielmehr dasBekenntnis einer stolzen Seele, die nur bedauert,nicht zum Zuge gekommen zu sein. Selbst der kalt-schnäuzige Freisler kann sich dem Eindruck dieserstarken Persönlichkeit nicht entziehen. Seine Gegen-fragen werden um eine Nuance höflicher. Ein wahrerEdelmann wirkt gerade auf Henkernaturen durchstolze Ruhe; das Gemeine kuscht letzten Endes im-mer vor dem Reinen.

Württembergische Abendzeitung vom 21.12.1949, zit. nach Post vom 22.1.1955

Abschiedsbrief

Berlin, den 21.12.1944

Meine liebste Frau und Tochter!

Eine tieftraurige Botschaft habe ich Euch für Weih-nachten und Neujahr. Unerwartet war heute Verhand-lung in meiner Sache. Ich wurde zum Tode verurteilt!Einziehung meines Vermögensteils. Ich mache nochheute ein Gnadengesuch an den Reichsjustizmini-ster. Ich will das Letzte versuchen. Aber ich habe we-nig Glauben. Was ich gefühlt habe, kam erbarmungs-los. Ich habe mich innerlich, religiös in Monaten dar-auf eingestellt. Ich muß von Euch und vom Leben Ab-

schied nehmen. Euch zu verlassen ist mir schwer. Ichbitte Euch, nehmt es hin und als das mir von Gott be-stimmte Kreuz. Ich habe wenigstens die Gnade, vor-bereitet zu sterben und vielleicht einer bösen Zeit zuentgehen. (Dieser Satz wurde von der Zensur gestri-chen.) Wie ich von der Verhandlung kam, fand ichEuere lieben Weihnachtspakete, das Deine, das vonLuise und Frida und das von Adolf. Welch Güte undFülle. Welcher Gegensatz! Allen Dank! Frau undTochter! Verzeiht mir meine Schwachheiten und Feh-ler. Behaltet mich in gutem Andenken. Ich hoffe Euchan einem besseren Ort wiederzusehen. Einstweilenherzliche Grüße und KüsseDein Eugen Dein Vater:

Zit. nach ßottenburger Post vom 22.1.1955

Staatspräsident Bolz am 2. November 1944 vor dem sog.Volksgerichtshof, der das Todesurteil über ihn aussprach.Am 23. Januar 1945 wurde es vollstreckt.

Studienstiftung Eugen Bolz e. Bonn

Das Ende eines Lebens

In den Nachmittagsstunden des 23. Januar 1945 fuhrein Gefangenenwagen vom Gefängnis der GeheimenStaatspolizei in Berlin-Moabit nach dem Gefängnis in

Dem Wagen entstiegen zehn gefesselteMänner aus allen Schichten: ein General, ein Graf, einMinister, ein Rechtsanwalt, ein ehemaliger Arbeiter-und Gewerkschaftsführer, darunter Väter von sechsund sieben Kindern. Unter ihnen befand sich auchder ehemalige württembergische Staatspräsidentund Innenminister Dr. h. c. Eugen Bolz, ein Sohn derStadt Rottenburg. Um die Mittagszeit dieses Tageshatte man ihm nach Ablehnung des von seiner Ehe-frau eingelegten Gnadengesuchs durch den sog.Führer und Reichskanzler eröffnet, daß das gegen ihnvom Volksgerichtshof am 21. Dezember 1944 ver-.hängte Todesurteil in einer Stunde vollstreckt würde.

Gebhard Müller: Eugen Bolz ein Mann des Widerstands,sein Kampf und sein Ende. Redemanuskript vom 28.8.1978(Fes t rede zur des Eugen-Bo lz -Gymnas iumsRottenburg) Cassette 1290 Erich Schumm GmbH,

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Die Hinrichtung

Bericht des Gefängnisgeistlichen Buchholz an FrauBolz: ,,Als ihr Mann zur Hinrichtung nachgebracht wurde (am Vormittag des 23. Januar), hieltich mich bereit, um nach einer Möglichkeit zu suchen,trotz des Verbots doch bis zu ihm vorzudringen. UndGott sei Dank, es gelang . , . Nachdem ich zu

B22

NachrichtanFrau Bolz

,,Die Veröffentlichung einerTodesanzeige ist nicht gestat-tet.“

Quelle: Eugen Bolz. Ein Manndes Widerstands. Hrsg.: Stu-dienstiftung Eugen Bolz e.Bonn o. J. S. XV

B23

Gedenktafel

Gedenktafel inburg, Königsstraße 52,(Gebur tshaus von EugenBolz)

Foto Faiss, Rottenburg

Der Oberreichanwaltbeim Volksgerichtshof

kennen gegeben hatte, waren seine ersten Worte undauch seine letzten, die er für Sie mir mitgegeben:,Meine Frau ist hier‘ . . . Das war für ihn eine tiefe undgroße Beruhigung . . . Daraufhin habe ich schnell einganz kurzes Reuegebet mit ihm gebetet und ihm dieGeneralabsolution erteilt, . . . dann ging er mannhaftund aufrecht mit den beiden Gefängnisbeamten. EineMinute darnach fiel sein Haupt unter dem Fallbeil.“

Zit. nach 1951, S.

9 . Potsdam (2)

D e r e h e m a l i g e wegen und vom

verurteilt worden.am 23 . 1945 vol letzeckt worden.

. Veröffentlichung einer

fm Auf

Eugen-Bolz-Denkmal von Alfred Hrdlicka in Stuttgart

Bild: Landesbilds Württemberg

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C 1 C -Georg Elser

Im Bürgerbräukeller

Hitler während seiner Rede am 8.11.1939

tein Bilderdienst

C

Die

2

Explosund doch zu spät

Eine Zeitungsnotiz

Unter der Überschrift: Die wunderbare Errettung desFührers erschien am ein taus dem

München, 9. November

Der Führer traf Mittwoch anläßlich der Erinnerungs-feier der alten Kämpfer zu einem kurzen Besuch inMünchen ein. An Stelle des Parteigenossen Heß hieltder Führer selbst im Bürgerbräukeller die Ansprache.Da die Staatsgeschäfte den Führer zwangen, noch inder Nacht nach Berlin zurückzukehren, verließ er frü-her, als ursprünglich vorgesehen, denler und begab sich zum Bahnhof in den dort bereitste-henden Zug.

Kurz nach der Abfahrt des Führers ereignete sich imBürgerbräukeller eine Explosion. Von den noch imSaal anwesenden wurden s i e b e n g etö t e t und 63verletzt.

Das Attentat, das in seinen Spuren auf au s än d i sc he Anst ift u n g hinweist, löste in München

fanatische Empörungaus.

Zur Feststellung der Täter ist eine Belohnung von600 000 RM ausgesetzt worden.

Völkischer Beobachter vom S.

Durch die herabstürzende Deckewurden acht Menschen getötetmehr als 60 verletzt. Ein drei Meterhoher Schutthaufen bedeckte dieStelle, an der Hitler gestanden hatte.Das Foto zeigt die Spurensicherungder Gestapo nach dem Attentat

Bilderdienst Süddeutscher Verlag

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Keine Rechte
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Keine Rechte
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C4 Der Bürgerbräukeller

Der Bürgerbräukeller in München war wie der bräuhaussaal vor der Machtübernahme 1933 ein Ver-sammlungslokal der Am 8.11.1923 hatte Hitlerim Bürgerbräukeller die nationale Revolution ausge-rufen. Von hier aus begann er am einen De-monstrationszug durch München (Hitlerputsch,,,Marsch auf die Feldherrnhalle“). Der gewaltsameVersuch, die Machtverhältnisse in Deutschland zudern, scheiterte.

Nach 1933 fand im Bürgerbräukeller alljährlich am8.11. ein Erinnerungstreffen der ,,alten Kämpfer“ (von1923) der NSDAP statt, an dem auch Hitler teilnahm.Gewöhnlich hielt er dabei zwischen 20.30 und 22.00Uhr eine Rede, ehe er sich noch eine kurze Zeit imKreis seiner Anhänger aufhielt.

Elsers Utensilien

Liste der Gegenstände, die Elser bei seiner tuna bei sich

Eine rote Grenzkarte, ausgestellt 1933 von derPaßstelle in Konstanz, gültig für zwei Jahre,eine Geldbörse mit etwas Bargeld,eine Beißzange,ein Abzeichen des ,,Roten Frontkämpferbundes“,ein Bündel Notizblätter Aufzeichnungen überMunitionsherstellung und Rüstungsfabriken inDeutschland,eine Ansichtskarte vom Saal des Münchener gerbräukellers,ein Stück Hartwurst,einige Metallteile wie Spiralfedern, Bolzen,Schrauben.

Zusammengestellt nach: Lothar (Hrsg.): Auto-biographie eines Attentäters. Johann Georg Elser, Stuttgart1970, s. 7

Beim Verhör

C 7 Lebenslauf

1903 4.1.: Johann Georg Elser wird in HermaringenKreis Heidenheim als erstes von fünf Kinderngeboren.

Vater: Holzhändler und Landwirt in Königs-bronn; Mutter: Tochter eines Wagners undLandwirts in Hermaringen.

1910 1917 Besuch der Volksschule in Königsbronn.

1917 1919 Lehre als Eisendreher im Hüttenwerk Kö-nigsbronn.

1919 1922 Schreinerlehre in Königsbronn.

1922 Gesellenprüfung als Jahrgangsbester.1922 -1925 Arbeit in Schreinereien und

1925

1925

1928

1929

ken in Königsbronn, Aalen und Heidenheim;zwischenzeitlich hilft er den Eltern bei Wald-und Feldarbeiten.

Ab Februar: Wanderschaft; Arbeit als Schreinerin bei Tettnang und in Friedrichsha-fen .

August Frühjahr 1929: Schreiner in einer stanzer Uhrenfabrik.

oder 1929 Eintritt in den Rotfrontkämpferbund.

Von Konstanz aus Arbeit in der Schweiz im,,kleinen Grenzverkehr“.

1930-1932 Schreiner in einer Uhrenfabrik in burg.

1932 August: Rückkehr nach Königsbronn, um sei-ner Mutter in der Landwirtschaft zu helfen. Ne-benverdienst durch Anfertigen vonund Standuhren.

1936 Dezember März Hilfsarbeiter in derHeidenheimer Armaturenfabriker“. In erfährt er von einer,,Sonderabteilung“ der Firma für Rüstungspro-duktion.

1945 9.4.: Hingerichtet im KZ Dachau kurz vor Mit-ternacht.

Georg Elser

Ges tapo -Fo todes Attentäters Elser

Bi lderd ienstSüddeutscher Ver lag

Porträt (Mitteder dreißiger Jahre)

Georg-kreis, Heidenheim

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Keine Rechte
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Eine Charakterskizze

Elser von kleiner Statur . war ein ruhiger, an-spruchsloser und verschlossener Mensch, der sichnur schwer und auch nicht für längere Zeit mit ande-ren anfreundete. Dennoch war er keineswegs unge-sellig, vor allem brachte ihn seine musikalische Bega-bung mit anderen in Berührung: Schon als Schülerlernte er Flöte und Ziehharmonika; in Konstanz trat erdem dortigen Musik- und Trachtenverein

und 1933 dem Zitherclub von Königsbronn bei . Frauen mochten ihn, von einer seiner Freundin-

nen hatte er in Konstanz einen Sohn, für den er Ali-mente zahlte.

In seinem Handwerk war Elser geschickt und ehrgei-zig: Er gab kaum ein Stück aus der Hand, das nichtvon anderen anerkannt wurde. Er war als gutmütigund hilfsbereit bekannt, nur wenn er sich ungerechtbehandelt fühlte, wurde er starrköpfig; so überwarf ersich mit Seinerverwandtschaft, als sie ihn aus dem el-terlichen Haus haben wollte, weil sein verheirateterBruder seine Kammer brauchte. Elsers geistige Inter-essen waren einseitig und begrenzt. Regelmäßig laser die ,,Bau- und Möbelschreinerzeitung“, Tageszei-tungen dagegen nur, wenn sie gerade in Gasthäusernusw. auslagen, Bücher aber nie.

Lothar Gruchmann: Georg Tischlergeselle und A In: Michael Niess Der Wider-

stand im deutschen Südwesten 1933-1945. Stuttgart 1984.s. 294

Ansichten eines Unpolitischen

über sich: ,,Persönlich bin ich nie politisch her-vorgetreten. Nach Erreichung des wahlberechtigtenAlters habe ich immer die Liste der KPD gewählt, weilich dachte, das ist eine Arbeiterpartei, die sich sicherfür die Arbeiter einsetzt. Mitglied dieser Partei bin ichjedoch nie gewesen . An irgendwelchen Aktionen,wie Flugblattverteilung, Zettelwerfen, Demonstra-tionszügen und Schmierereien habe ich mich nie be-teiligt . Für das Programm der KPD habe ich michnie interessiert. Ich kann daher auch nicht angeben,wie sich im Falle des Sieges der KPD die wirtschaftli-che Lage umgestellt hätte. In istlediglich davon gesprochen worden, daß mehr Lohngezahlt werden soll, bessere Wohnungen geschafftwerden sollen und solche Dinge. Die Auf-stellung dieser Forderungen hat für mich genügt, ummich kommunistisch zu orientieren.“

Gruchmann: Autobiographie, 1970, S. 77 f. (vgl. C 5).Die ,,Autobiographie” verzeichnet Elsers Äußerungen nachdem Vernehmungspro toko l l .

Elsers Religiosität

,,Meine Mutter hat mit mir als Kind immer gebetet . Ich bin in letzter Zeit auch öfter werktags in eine

katholische Kirche gegangen, wenn gerade keineevangelische Kirche da war, um dort mein Vaterunserzu beten. Es spielt meines Erachtens keine Rolle, obman dies in einer evangelischen oder katholischenKirche tut. Ich gebe zu, daß diese häufigen Kirchen-besuche und dieses häufige Beten insofern mit mei-ner Tat, die mich innerlich beschäftigte, in Zusam-menhang stand, als ich bestimmt nicht soviel gebetethätte, wenn ich nicht vorbereitet bzw. geplanthätte. Es ist schon so, daß ich nach dem Gebet immeretwas beruhigter war.

Wenn ich gefragt werde, ob ich die von mir began-gene Tat als Sünde im Sinne der protestantischenLehre betrachte, so möchte ich sagen, ,im tieferenSinn, nein!‘ . Ich wollte ja durch ein nochgrößeres Blutvergießen verhindern.“

Gruchmann: Autobiographie, 1970, S. 74

Die Motive

Elser bei seiner Vernehmung:

,,Nach meiner Ansicht haben sich die Verhältnisse inder Arbeiterschaft nach der nationalen Revolution inverschiedener Hinsicht verschlechtert. So z. habeich festgestellt, daß die Löhne niedriger und die Ab-züge höher wurden. Während ich im Jahre 1929 in derUhrenfabrik in Konstanz durchschnittlich DMwöchentlich verdient habe, haben die Abzüge zu die-ser Zeit für Steuer, Krankenkasse, Arbeitslosenunter-stützung und Invalidenmarken ungefähr be-tragen. Heute sind -die Abzüge bereits bei einem Wo-chenverdienst von RM so hoch. Der Stunden-lohn eines Schreiners hat im Jahre 1929 eine RM be-tragen, heute wird nur noch Stundenlohn von 68 Pfg.bezahlt .

Ferner steht die Arbeiterschaft nach meiner Ansichtseit der nationalen Revolution unter einem gewissenZwang. Der Arbeiter kann z.B. seinen Arbeitsplatznicht mehr wechseln wie er will, er ist heute durch dieHJ nicht mehr Herr seiner Kinder und auch in religiö-ser Hinsicht kann er sich nicht mehr frei betätigen . Ich habe . festgestellt, daß deswegen die

gegen die Regierung ,,eine Wut“ hat . Im Herbst 1938 wurde nach meinen Feststellungen inder Arbeiterschaft allgemein mit einem Krieg gerech-net . Auch ich vermutete, daß es wegen der tenfrage ,,schief geht“, d.h. daß es zu einem Kriegkommt . Ich war bereits voriges Jahr um diese Zeit

Überzeugung, daß es bei dem nicht bleibt, Deutschland anderen

Ländern gegenüber noch weitere Forderungen stel-len und sich andere Länder einverleiben wird und daßdeshalb ein Krieg unvermeidlich ist.“

Gruchmann: Autobiographie, 1970, S. 80 f.

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Elsers Ziele

von mir angestellten Betrachtungen zeitigtendas Ergebnis, daß in Deutschland nurdurch die Beseitigung der augenblicklichen Führunggeändert werden könnten. Unter der Führung ver-stand ich die ,,Obersten“, ich meine damit Hitler, Gö-ring und Goebbels. Ich kam zu der Überzeugung, daßdurch die Beseitigung dieser drei Männer andereMänner an die Regierung kommen, die an das Aus-land keine untragbaren Forderungen stellen, die keinfremdes Land einbeziehen wollen und die für eineBesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiter-schaft Sorge tragen werden . Den Nationalsozialismus wollte ich damals nicht be-seitigen. . . Ich war lediglich der Meinung, daß durchdie Beseitigung der genannten Männer eine Mäßi-gung in der politischen Zielsetzung eintreten wird . Ich dachte mir, daß dies nur möglich sei, wenn

die Führung sich bei irgendeiner Kundgebung befin-det

Aus der Tagespresse entnahm ich damals, daß dienächste Zusammenkunft, bei der die Führung teil-nimmt, sich am 8. und 9. November 1938 in Münchenim Bürgerbräukeller abspielt.“

Gruchmann: Autobiographie, 1970, S. 84

Die Vorbereitung

,,Während meines Aufenthaltes in München vom 5.August bis 6. November 1939 war ich insgesamt un-gefähr nachts im Bürgerbräukeller-Saal

[. . An den Tagen, an denen ich nachts im Bürger-bräukeller gearbeitet habe, begab ich mich jedesmalgegen Uhr in den Wirtschaftsraum des Bürger-

um dort mein Abendbrot einzunehmen[. . Gegen 22 Uhr habe ich dort durchwegs bezahlt.Ich verließ anschließend den Wirtschaftsraum, begabmich von da aus durch den Garderobenraum in dennicht verschlossenen Saal, begab mich dort über denhinteren Treppenaufgang auf die Galerie, ging diesebis zur rückwärtigen Front entlang und verstecktemich dort in einem Abstellraum . .] Nach dem Ab-schließen des Saals begab ich mich von meinem Ver-steck aus unmittelbar an die Säule, wo ich den Ein-bau meines Apparates vornahm [. . Ich verbliebständig die ganze Nacht im Saal. Der Saal wurde inder Zeit zwischen 7 und 8 Uhr morgens wieder geöff-net [. . Meine Arbeiten hatte ich zwischen 2 und 3Uhr beendet, anschließend hielt ich mich bis zumver-lassen des Saales wieder in dem bereits erwähntenVersteck auf [. . .] Dort habe ich bis zum Verlassen desVersteckes gedöst [. . Während ich nachts im Saalarbeitete, habe ich tagsüber mich mit der endgültigenKonstruktion meiner Maschine und dem Bau dersel-ben beschäftigt.“

Gruchmann: Autobiographie, S. ff. und S. 133

Planung und Ablauf eines AttentatsHerbst 1938: Entschluß Elsers, auf die Führung derNSDAP ein Attentat zu verüben. Entwendung von Pul-ver und Zündern aus der Fa. Waldenmaier.

8.11.1938: Fahrt nach München und Teilnahme als Zu-schauer an zum Hitlerputsch 1923.

Zweite Fahrt nach München, Skizzeund Foto der Säule.

April 1939: Hilfsarbeiter im Königsbronner Stein-bruch, Kenntnisse in der und Beschaf-fung von Sprengkapseln.

Mai: Nach einem (selbstverschuldeten?) Arbeitsunfallwährend des Krankenurlaubs ausschließlich Vorbe-reitung des Attentats: Zeichnerische Lösung dertechnischen Probleme seiner ,,Höllenmaschine“; Baueines Modells und Experimente mit Sprengstoff im el-terlichen Obstgarten.

58.1939: Übersiedlung nach München. In 30-35Nächten Aushöhlung einer Säule im Bürgerbräukeller.

Einbau der ,,Höllenmaschine“ in dieSäule und Einstellung des

6.11.1939: Besuch bei der Schwester in Stuttgart, umseine Habe unterzustellen.

Fahrt nach München; Überprüfung der Ex-plosionsvorrichtung.

8.11.1939: Elser fährt nach Konstanz.

8.11.: Hitler fliegt nach München.

20.10 Uhr: Beginn der Hitler-Rede.

20.45 Uhr: Festnahme Elsers nur wenige Meter vorder Schweizer Grenze (wegen illegalen Grenzüber-tritts).

21.07 Uhr: Hitler beendet seine Ansprache und ver-läßt den Saal.

21.20 Uhr: Detonation der Bombe.

21.31 Uhr: Hitler fährt wegen Nebels mit einem Son-derzug nach Berlin.

22.00 Uhr: Elser wird zum Grenzkommissariat Kon-stanz gebracht und nach München überstellt.

Hitler will endgültig über Angriffstermin imWesten entscheiden.

Elser gesteht, das Attentat allein ge-plant und durchgeführt zu haben.

Erneute Vernehmung durch die Ge-stapo in Berlin.

1939-1944 ,,Sonderhäftling“ im KZ Sachsenhausen.

1944 1945 Überführung ins KZ Dachau.

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Hitler bei seinerAnsprache

Bild: tein

Text:Vö lk ischer Beobachtervom 23.11.1939, S. 3

Der Führer während seiner Rede an seine ältesten Kämpfer in der Stunde vor dem furchtbarenverbrecherischen Anschlag am 8. November 1939. Während dieser Rede sollten der Führer Groß-deutschlands und seine Getreuesten vernichtet werden; die Vorsehung ließ jedoch denlosen Anschlag zunichte werden. Vorn, am ersten Tisch: Alfred Rosenberg, Max Amann, Dr. Ley,Dr. Goebbels, Karl Fiehler, Konstantin Hierl, Dr. Frick; am zweiten Tisch: Julius Schaub, RudolfHeß, Friedrich Weber, Adolf Hühnlein, Kriebel, Dr. Todt, Ritter von Epp, Adolf Wagner, MartinBormann, dahinter Wilhelm Heinrich Himmler, Ulrich Graf, Christian Weber, dahinterHeinrich Hoffmann, Oberst Karl Wolff

Schnellbrief des Chefs Heinrich Müller vom54.1945 (Auszug)

Archiv des Instituts für te München.

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Elsers Ermordung am 9.4.1945

Spätere Zeugenaussage des ehemaligen Kapos imKrematorium

An einem Abend im April . kam der Verwalter desKrematoriums, SS-Oberscharführer Bongartz, zu mirin meine Wohnstube im Neuen Krematorium. Er sagtemir, wir (Häftlinge vom Krematorium) dürften an die-sem Abend nicht heraus aus dem Krematorium ge-hen, wenn wir aber Schießen hören, sollen wir mit ei-ner Tragbahre sofort herauskommen . So um23.00 sagte mir Geiger, er habe Schießen gehört.Auch ich hatte dies gehört und forderte deshalb Gei-ger und Ziegler auf, mit mir mit einer Tragbahre her-auszugehen. Vor dem Krematorium zögerten die bei-den noch, da sie Angst hatten, sind aber dann mit mirlangsam zu einer Stelle, wo einelampe leuchtete, gegangen . Am Tatort sah ich ei-nen Mann tot auf der Erde liegen, mit dem Gesicht zurErde. Neben ihm stand der Verwalter Bongartz . Zugleich sah ich bei dem kleinen eisernen das in das Krematoriumsgelände führte, drei Männerweggehen. Es waren, wie ich bestimmt erkannt habe,drei SS-Offiziere . Elser hatte einen einzigen

und zwar einen Genickschuß und war bei un-serer Ankunft schon tot. Meiner Ansicht nach war derSchuß aus Unmittelbarster Nähe abgegeben worden.Wir mußten den Elser sofort ins Neue Krematoriumtragen und anschließend sogleich in dem Ofen ver-brennen.Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau. Archiv-Nr. 15.887

Zur Beurteilung der Tat Völkischer Beobachter vom 22. November 1939:

,,Dieser Mann dort hat keine siognomie, sondern leise, vorsich-tig abwägende Ausdrücke, die Vernehmungen deh-nen sich endlos, jedes Wort überlegt er lange und ge-nau, bis er Antwort gibt, und wenn man ihn dabei be-obachten kann, vergißt man einen Augenblick, vorwelchem satanischen Untier man steht, welcheSchuld, welche grausige Last dieses Gewissen dortscheinbar so leicht zu tragen imstande ist.“

Der Reichskriminaldirektor Arthur Nebe, 1945:

,,Nimm diesen Elser das ist ein Kerl! Das ist der ein-zige unter uns, der es erfaßt hatte und demgemäßhandelte. Das ist ein Held unserer Zeit und deswe-gen werden die Nazis, nein, gerade deine feinenLeute alles tun, um jede Erinnerung an ihn auszulö-schen.“

Zitiert nach: Georg- Elser Arbeitskreis (Hrsg.): Gegen Hitlergegen den Krieg! Georg Elser. Heidenheim 1989. S. 8

Der Literaturwissenschafiler Joseph Peter Stern ineiner Ansprache in Heidenheim am 11. November1979:

,,Verstehen wir ihn als einen freien, unabhängigenMenschen, so erkennen wir in ihm auch den fast ab-

soluten Gegenspieler jenes Mannes, den er aus derWelt schaffen wollte. . ein Posaunist und

steht gegen einen stillen Selbstdenker.Selbstdenken ist nie populär. [Damals] hieß es Isolie-rung von allem öffentlichen Umgang und Beschrän-kung auf eine rein private Sphäre der Freundschaftund der Familie . Nicht die Praxis seiner Tat darfuns vorbildlich sein, sondern der Geist, in dem er sievollbrachte . Noch einmal müssen wir Heutigenuns den Geist des Zeitalters vergegenwärtigen, indem Elser die Intelligenz und den Mut zu solchen Ein-sichten fand. Terror brutalisiert und korrumpiert, docher verdummt auch die meisten Menschen einige je-doch macht er tapfer und schlau und stärkt ihr Unter-scheidungsvermögen zwischen Gut und Böse.“

Joseph Peter Stern: Johann Georg Elser zu Ehren. In:org-Elser-Arbeitskreis, 1989, S. 106

Der Pfarrvikar Martin 1989:

Attentat war darum eine reiflich überlegte Ge-wissensentscheidung. Die Alternative war nicht: tö-ten oder schuldlos bleiben, sondern: den Tyrannenbeseitigen oder durch Nichtstun von Millionenmitschuldig werden . Er hat gewagt, was anderenicht konnten oder wozu sie sich nicht durchringenmochten. Er hat das für ihn geringere Übel zum hilflo-sen Geschehenlassen gewählt: den Tyrannenmord.Diese Gewissensentscheidung kann, weil sie um dieSchuld wußte, in die sie mit hineinverstrickt war, auchchristlich genannt werden.“Martin Kreuser: Attentäter? Annäherung aus christlicherSicht. In: Georg- Elser-Arbeitskreis, 1989, S. 82

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D 1 D 16 Die ,,Weiße Rose“ am Beispiel-- von Hans und Sophie Scholl

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Claus Graf Schenkvon Stauffenberg

Das Schloß der Eltern Die Geschwister

Schloß in Lautlingen (heute: Albstadt)

DasFamilienwappen

Berthold, Claus und Alexander mit ihrem Vater, um 1925.

Bilderdienst

Lebenslauf

Geboren: 15. November 1907in Jettingen bei Günzburg/BayrischSchwaben

Gestorben: 21. Juli 1944standrechtlich erschossen, morgens0.30 Uhr in Berlin, im Hof des Blocks

1913

1916

1923

1926

1926

1933

1934

1934

Private Elementarschule in Stuttgart

Eberhard-Ludwig-Gymnasium Stuttgart

Einführung der drei Brüder im Stefan-Ge-orge-Kreis

(März) Reifeprüfung

(April) Eintritt in das Reiterregiment inBamberg

(26. September) in Bamberg Trauung mitNina Freiin von Lerchenfeld

Prüfungsbester der Kavallerie seines

Kavallerieschule in Hannover

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1936-38

1940-43

1943

1943

1943

1944

1944

Kriegsakademie zur Vorbereitung auf diekünftige Generalstabslaufbahn, General-stabsoffizier des Generals Höppner, in Pan-zerdivisionen in den Feldzügen in Polenund Frankreich

In der Organisationsabteilung des Ober-kommandos der Wehrmacht in Berlin

Oberstleutnant, erster Generalstabsoffizier(,,Divisions-Ia“) der 10. Panzerdivision imAfrikafeldzug:

(April) schwere Verwundung durch einenTieffliegerangriff: Verlust des linken Auges,der rechten Hand, zweier Finger der linkenHand(Oktober) Chef des Stabes im allgemeinenHeeresamt unter General in Berlin(1. Juli) Oberst und Chef des Stabes und Er-satzheeres unter Generaloberst Fromm inBerlin

(20. Juli) Hitler-Attentäter im Führerhaupt-quartier Wolfsschanze in Ostpreußen undHauptorganisator der Erhebung gegen dieNS-Diktatur nach dem ,,Walküre“-Plan inBerlin

Hochzeit mit Nina, geborene von Lerchenfeld, am 26. Sep-tember 1933 in der Bamberger Jakobskirche. Nina undClaus von Stauffenberg nach der Trauung.

Bild des Oberleut-nants, etwa 1933

Bild: dpa

Haltung zum Nationalsozialismus

Peter Hoffmann formuliert für das Jahr 1933: ,,DemNationalsozialismus überhaupt stand Stauffenberg

zustimmend gegenüber, die Ernennung Hitlers zumReichskanzler begrüßte er, manchen Berichten zu-folge war er davon begeistert. Er verfolgte leiden-schaftlich die politischen Ereignisse und setzte Hoff-nungen in einen nationalen Umbruch.“ Im April 1932trat Stauffenberg bei der Reichspräsidentenwahl fürdie Wahl Hitlers an Stelle Hindenburgs ein, weil Hin-denburg zu alt und reaktionär sei. Als Reichswehroffi-zier war er nicht wahlberechtigt.

Hoffmann, 1992, S. 123

Die Söhne

Der Vater mit seinen Söhnen Heimeran, Franz Ludwig undBerthold (von links) tein- Bilderdiens t

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Der lange Weg zum AttentatAber auch die mittlere Generation wie . berg hatte erst durch einen Wall von Illusionen undpolitischen Fehleinschätzungen hindurchzustoßenzur Erlangung der inneren Freiheit und Kraft zum Wi-derstand. Stauffenberg glaubte Ende 1941 an eineVerbesserung der militärischen Chancen, weil Hitlerselbst den Oberbefehl über das Heer übernommenhatte. Die Kampfkraft der Roten Armee hielt er umdiese Zeit für schwer angeschlagen. Bei diesen Prä-missen war keine positive Reaktion zu erwarten, alser Ende 1941 auf indirektem Weg von Helmuth JamesGraf v. Moltke auf eine Staatsstreichbeteiligungohne Attentat angesprochen wurde. ,,Während desKrieges“, so meinte er, ,,darf man so was nicht ma-chen, vor allem nicht während eines Krieges gegendie Bolschewisten“. Danach würde man mit der brau-nen Pest aufräumen. Mit dieser Haltung paßten die

Bemühungen Stauffenbergs um die Aufstellungvon Einheiten aus russischen Kriegsgefangenen zu-sammen: Ein Plan, der zwar auch gegen die deutscheBesatzungspolitik gerichtet war, aber doch vor allemauf den Sieg im Osten, also auf einen Sieg mit Hitler,abzielte. Als diese Planungen anliefen, im Jahre 1942,war Stauffenberg die prekäre Ersatzlage des Heeresgenau bekannt. Er sah ein, ,,daß die Sowjetunion nurmit Hilfe der dort lebenden Russen und der anderenvielen zu schlagen war“. . Politi-sches Wunschdenken ist hier beteiligt gewesen undein christlich-nationalistisches Geschichtsbild, dasden Realitäten nach all den deutschen Praktiken imOsten keinesfalls gerecht werden konnte. Auf der an-deren Seite kritisierte Stauffenberg scharf innenpoliti-sche Entwicklungen in Deutschland, so die sich inHitlers Reichstagsrede vom 26. April 1942 ankündi-gende neue ,,Rechtspolitik“. Kritisches Potential warangehäuft. Der zündende Funke sprang über imHerbst 1942. Militärische Einsichten und Kritik amWesen des NS-Systems verbanden sich zu einer nunauch Hitler einbeziehenden Umsturzbereitschaft, dieStauffenberg von nun an stets im Zusammenhang mitder Beseitigung Hitlers gesehen hat. Im Oktober warer innerlich schon bereit zum Attentat. Umsturz undAttentat, wenn auch um diese Zeit keineswegs kon-kret durchdacht, sollten die politischen Chancen wohl auch die militärischen verbessern helfen. Siewaren nicht mit dem Ziel der sofortigen Beendigungdes Krieges verknüpft. Die Erkenntnis, daß in Hitlerdie Wurzel allen Übels gefaßt werden mußte, hatteStauffenberg schon vor Stalingrad gewonnen. DieNiederlage an der Wolga machte ihm klar, daß derKrieg nicht mehr zu gewinnen sei. . Den NS-Staathielt er für unfähig, Frieden zu schließen, weil die ,,Re-volution“ von anderen Völkern stets als Bedrohungempfunden werde. Ihm schwebte ein Verhandlungs-friede vor, solange noch annehmbare Bedingungenzu erreichen seien . Stauffenberg sah . sogarnoch im März 1944 Möglichkeiten, die zwischenDeutschlands Gegnern bestehenden Spannungenauszunutzen. Die ,,Zusammengehörigkeit der

und die Betonung des Christentumsdeuten an, gegen welche Gefahr er operieren zu kön-

nen glaubte: die Sowjetunion. . Stauffenberg hataber auch aus sittlich-moralischen Gründen raschhandeln wollen, etwa zur Verhinderung der Vernich-tung der ungarischen Juden. Damit schälten sich re-lativ deutlich politische und humanitäre Motive fürStauffenbergs Attentatsbereitschaft heraus. Die au-ßenpolitischen Vorstellungen wurden der LageDeutschlands nicht gerecht. Aber aus dieser Illusionhat Stauffenberg gerade die Kraft zu seinem Ent-schluß bezogen. . .Manfred Messerschmidt: Motivationen der nava tiven Opposition und des militärischen Widerstandes seitdem Frankreich- Feldzug. In: Klaus Jürgen Müller (Hrsg.):Der deu tsche Widers tand 1945, 2 . durchgeseheneund ergänzte Auf lage 1990, Ver lag Schöningh, Paderborn

S. 71-76

,,Um jeden Preis”

Generalmajor Henning von antwortet aufStauffenbergs Frage, ob das Attentat auf Hitler nachLandung in der Normandie, Anfang Juni1944, noch notwendig sei:

,,Das Attentat auf Hitler muß erfolgen, um jedenpreis.Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem der Staats-streich versucht werden. Denn es kommt nicht mehrauf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daßdie deutsche Widerstandsbewegung vor der Weltund vor der Geschichte unter Einsatz ihres Lebensden entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andereist daneben gleichgültig.“

Zit. n. Hoffmann, 1992, S. 388

Das aufgeschobeneAttentat

Foto vom 15. Juli 1944: Vor der Lagerbaracke in HitlersHauptquartier ,,Wolfschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen(von links): Stauffenberg, Konteradmiral von Puttkammer,Genera l der F l ieger Bodenschatz , H i t le r , Genera l fe ldmar-schall Keitel (mit Mappe)

Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

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Kriegslage am 20. Juli 1944

Deutsches Reich mitAnnexionen seit 1938

mit Deutschlandverbündete oder vonDeu tsch land bese t z teLänder

A l l i i e r te

Neut ra le Länder

Wolfgang Venohr: Stauffenberg. Symbol der deutschen Einheit. Eine politische Biographie, 1986, S. 410

E 13L a g e b e s p r e c h u n gRekonstruktion des Aufenthaltes der Teilnehmer an der Lagebesprechung in der Lagebaracke im FührerhauptquartierSchanze“ am 20. Juli 1944 um 12.40 Uhr kurz vor der Detonation der Sprengladung.

1 Hitler2 Heusinger3 General der Flieger Korten (tödlich 4 Oberst Brandt ‘(tödlich verletzt)5 der Flieger Bodenschott6 Oberstleutnant7 Generalleutnant verletzt8 Oberstleutnant Borgmann9 General der Infanterie Buhle

10 v. Puttkamer Dr, Berger, Stenograph (tödlich verletzt)

12 Kapitän zur See Assmann13 John v. Frevend14 Generalmajor f15 Voss16 SS-Hauptsturmführer17 Oberstleutnant (Lw) v. 18 SS-Gruppenführer und Generalleutnant

der Waffen-SS Fegelein19 Stenogroph20 (Lw) 21 Gesandter Klasse v. Sonnleithner22 der Artillerie Worlimont23 Generaloberst Jodl24 Generalfeldmarschall Keitel25 Oberst Graf Stouffenberg

.

Katalog ,,Aufs des Gewissens 1984, S. 157

Heinrich Walle, Bonn

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Bilder zum Attentat

Die von Stauffenberg zum Ingangsetzen der Zündungnützte Flachzange, die für ihn so zurechtgebogen war, daßer s ie mi t den dre i F ingern se iner l inken Hand bed ienenk o n n t e

Zweites Sprengstoff Stauffenbergs mit Plastik-Sprengstoff, das eigentlich auch hätte zur Explosion bracht werden sollen

Beschäd ig te H i t le r -Un i fo rm

Der Spiegel 28, 1984, S. 39

Göring besichtigt am Nachmittag des 20. Juli 1944 die zerstörte Lagebaracke.Bild:

Gründe des Scheiterns

Wegen seiner Kriegsverletzung kamfür Stauffenberg nur ein Spreng-stoffattentat in Frage. Am 20. Juli7944 war Stauffenberg zum Vortragins Führerhauptquartierze” nach Rastenburg in Ostpreußenbefohlen. [ Um 10.15 Uhr . landeten Oberst Stauffenberg und[sein Adjutant] Oberleutnant vonHaeften [auf dem nahen Flugplatz] . Mit er wolle sich

noch frisch machen und ein anderesHemd anziehen, verschwand fenberg aus der Vorbesprechungbeim Chef des Oberkommandosder Wehrmacht (OKW), Generalfeld-marschall . Keitel. Tatsächlicheilte er zu Haeften, der mit demSprengstoff im Gästezimmer

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tete. . Beide versuchten aufgeregt, den Zünder,Vorlauf zehn bis 15 Minuten, in Gang zu setzen.Wegen . [der Kriegsverletzung Stauffenbergs]kostete das viel Zeit; es dauerte zu lange. [Bis heuteweiß niemand, warum das nicht Adjutant von Haeftengemacht hat.] Keitels Adjutant [drängte]: berg, so kommen Sie doch!“ Mit einer eigens für ihnzurechtgebogenen Flachzange [E durchkniff derOberst das Glasröhrchen des Säurezünders. . .][Aber das zweite Sprengstoffpaket [E wurde aus

,nicht erklärlichen Gründen nicht mit dem erstenPaket in der Tasche verstaut. Beide Sprengstoff-pakete zusammen wären ausreichend gewesen, allePersonen zu töten, die sich im Raum befanden!]Haeften nahm das Paket an sich, das Pioniere späteram Ausgang ,,Süd“ [des Führerhauptquartiers] find&sollten. [Auf der Flucht nach dem Attentat hatte esHaeften aus dem Auto geworfen.] . ,,Könnten Sie mich bitte möglichst nahe beim

Führer plazieren“, bat der schwerhörige Stauffenbergin der Lagebaracke den Keitel-Adjutanten, ,,damit ichfür nachher alles mitbekomme.“ Hitlerstand an der Längsseite des Tisches, den Ellenbogenauf die Platte, das Kinn in die Hand gestützt. Stauffen-berg zwei Meter neben ihm. Aber es gelang ihm nicht,die Bombe an der Innenseite des dicken, eichenenTischsockels [E zu Hitlers Füßen abzustellen.Folge: Die Holzstütze schützte ausgerechnet den,dem der Anschlag galt. Außerdem war es heiß an die-sem Tag, die Fenster standen sperrangelweit offen.Die gemauerte, mit einer Betondecke versehene Ba-racke hatte unter dem Fußboden einen 60 Zentimetertiefen Hohlraum. Die Druckwelle konnte also entwei-chen. .

Stauffenberg verließ den Raum, Kommen und Gehenwährend der Lage war üblich, fiel nicht auf. Zu Keitelsagte er: ,,Feldmarschall, ich erledige noch rasch einTelefongespräch und komme gleich wieder“, und zuOberst Heinz Brandt? ,,Ich lasse meine Mappe lange hier.“ Dann ging er ohne Mütze und Koppel.200 Meter von der Lagebaracke entfernt stieß er aufden Mitverschworenen General Fellgiebel . Daging, gegen 12.50 Uhr, die Bombe hoch. . Die 24Männer in der Lagebaracke wurden fast alle zu Bo-den geschleudert, vielen, auch Hitler, platzten dieTrommelfelle, manchen standen die Haare in Flam-men, vier wurden getötet oder starben an den Folgenihrer Verletzungen, etliche . kamen ins Lazarett.

Aber Hitler lebte. Er trug einen Bluterguß am rechtenEllenbogen, Prellungen und leichte Hautabschürfun-gen am linken Handrücken davon, seine Haare warenangekokelt, die Uniform hing ihm vom Leibe, er jam-merte um die kaputte Hose.Wolfgang Malanowski über den 20. Juli 1944 Attentat undStaatsstreich, in: Der Spiegel 28, 1984, S. 42

,,Der Führer lebt”

[Der Mitverschwörer General] Fellgiebel sagte späteraus, er und Stauffenberg hätten gesehen, wie ein un-ter dem Umhang des ,,Führers“ liegender Verletzter

herausgetragen wurde, und hätten daraus geschlos-sen, daß Hitler tot sei. Stauffenberg war davon über-zeugt; denn fünfeinhalb Stunden später, als er [in Ber-lin] in sein Zimmer in der Bendlerstraße trat, sagte er,Hitler sei tot, er habe gesehen, wie man ihn hinausge-tragen habe.“ Die Attentäter hatten offensichtlich kei-nen Plan für den Fall, daß das Attentat fehlschlage.(Hoffmann, 1992, S. 425 ff.)

gelang es mit seinem Adjutanten Ober-leutnant von Haeften, trotz der sofort einsetzendenAlarmmaßnahmen das Führerhauptquartier zu ver-lassen und nach Berlin zurückzufliegen. Dort waren inder Bendlerstraße wegen ausbleibender genauer In-formationen über die Durchführung des Attentats die,,Walküre“-Maßnahmen [Verhängung des militäri-schen Ausnahmezustands und Ubernahme der voll-ziehenden Gewalt durch die Wehrmacht unter demBefehl der Verschwörer] erst gegen 16.00 Uhr dreiStunden nach dem Anschlag ausgelöst worden.Damit konnte wertvolle Zeit nicht genutzt werden.Nachdem Stauffenberg gegen 16.30 Uhr in der lerstraße eingetroffen war, versuchte er die Alarm-maßnahmen beschleunigt in Gang zu setzen. Diesgelang noch am besten in Paris, wo der Militärbe-fehlshaber Frankreichs, General der Infanterie vonStülpnagel, Herr der Lage war, teilweise auch in Wienund Prag. In den übrigen Wehrkreisen trafen dieNachrichten- vom Überleben Hitlers und die Gegen-befehle zum Teil schon vor den ,,Walküre“-Befehlender Verschwörer oder gleichzeitig mit diesen ein undverhinderten die Ausführungen der Staatsstreich-maßnahmen. ,

Auch in Berlin brach der Staatsstreichversuch baldzusammen, nachdem der Kommandeur des Wachba-taillons ,,Großdeutschland“, Major Remer, der an derRechtmäßigkeit der ,,Walküre“-Befehle zu zweifelnbegann, durch Vermittlung von Goebbels mit Hitler te-lefoniert und von diesem den Befehl erhalten hatte,den Putsch niederzuschlagen.

Da Hitler das Attentat überlebt hatte, war der ,,eid-freie“ Zustand nicht eingetreten.

tsangehörigen waren auf Hitler persönlich verei-digt.] Sobald sein Überleben nach 18.45 Uhr überRundfunk und Fernschreiben allenthalben bekanntwurde, blieben die Anordnungen der Verschwörer un-beachtet. Dies war die entscheidende Ursache fürdas Scheitern des Staatsstreichs.“

Heinrich Walle: Ein Rundgang durch die Ausstellung. In: Auf-stand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegenHitler und das NS-Regime 1945. Wander-ausstellung herausgegeben vom Militärgeschichtlichen For-schungsamt. und Bonn 1984, S. 156

Das Ende der Erhebung

Gegen 21.00 Uhr begann der Staatsstreichversuchzusammenzubrechen. Die ersten Verhaftungen au-ßerhalb des Zentrums in der lerstraße erfolgten. Kurz vor 23.00 Uhr wurden auch

in den Diensträumen des

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bers des Ersatzheeres von hitlertreuen Offizieren fest-genommen. Generaloberst Beck [der nach gelunge-nem Umsturz Reichsverweser hätte werden sollen,]wurde nach einem sich das Le-ben zu nehmen, im Dienstzimmer des Befehlshabersdes Ersatzheeres erschossen. Nach Verkündung ei-nes Standgerichtsurteils durch GeneraloberstFromm wurden in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli1944 General der Infanterie die Obersten i.[m] Ritter Mertz von Quirnheim undGraf von Stauffenberg sowie dessen Adjutant, Ober-leutnant Werner von Haeften, im Hof des

durch ein [zwischen0.15 und 0.30 Uhr] hingerichtet.

Walle: Ein Rundgang durch die Ausstellung, 1984, S. 159

,,Aufruf an das deutsch6 Volk”

(Dieser Aufruf der Verschwörer des 20. Juli 1944 istn ich t zur Verbreitung gekommen.)

Deutsche!Hitlers Gewaltherrschaft ist gebrochen.Ungeheuerliches hat sich in den letzten Jahren vorunseren Augen abgespielt. Nicht vom deutschen Volkgerufen, sondern durch Intrigen schlimmster Art andie Spitze der Regierung gekommen hat Hitler durchdämonische Künste und Lügen, durch ungeheuerli-che Verschwendung, die allen Vorteile zu bringenschien, in Wahrheit uns aber in Schulden und Mangelstürzte, in unserem Volke Geist und Seelen verwirrt, jaselbst außerhalb Deutschlands verhängnisvolle Täu-schungen erzeugt. . Er hat Ehre und Würde, Frei-heit und Leben anderer für nichts erachtet. ZahlloseDeutsche, aber auch Angehörige anderer Völkerschmachten seit Jahren in Konzentrationslagern, dengrößten Qualen ausgesetzt und häufig schrecklichenFoltern unterworfen. Viele von ihnen sind zugrundegegangen. Durch grausame Massenmorde ist unserguter Name besudelt. .

Wider den Rat der Sachverständigen hat Hitler ganzeArmeen seiner Ruhmsucht, seinem Machtdünkel,seiner gotteslästerlichen Wahnidee geopfert, berufe-nes und begnadetes Werkzeug der Vorsehung zusein. .

Wir wollen unsere Ehre und damit unser Ansehen inder Gemeinschaft der Völker wiederherstellen. Wirwollen mit besten Kräften dazu beitragen, die Wun-den zu heilen, die dieser Krieg allen Völkern geschla-gen hat und zwischen ihnen wieder neuzu beleben.

Wir wollen der Hoffnungslosigkeit, daß dieser Kriegnoch unendlich weitergehen müsse, ein Ende ma-chen. Wir erstreben einen gerechten Frieden, der andie Stelle der Selbstzerfleischung und Vernichtungder Völker friedliche Zusammenarbeit setzt. Ein sol-cher Friede kann sich nur auf Achtung vor der Freiheit

und der Gleichberechtigung aller Völker gründen. . Die Aufgabe ist ungeheuer schwer. . Erfülle

jeder seine Pflicht! Helfe jeder mit, das Vaterland zuretten!

(Der Aufruf sollte die Unterschrift von GeneraloberstBeck tragen, der als Staatsoberhaupt vorgesehen

Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.): ,,Spiegelbild einerrung Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreichvom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung. Geheimekumen te aus dem ehemaligen ßeichssicherheitshaup tarnStuttgart 1984, Bd. S. 140

E20

Das amtliche Kommunique des GroßdeutschenRundfunks über das Attentat auf 20.21944 (ab78.45 Uhrgesendet): ,,Auf den Führer wurde heute ein

verübt. Aus seiner Umgebungwurden hierbei schwer verletzt: Generalleutnant

Oberst Brandt, Mitarbeiter Berger. Leich-tere Verletzungen trugen davon: Generaloberst Jodl,die Generale Kotten, Buhle, Bodenschatz, Heusinger,Scherff, die von Puttkarner, Kapitän zur

und Oberstleutnant Borgmann. Der Füh-rer selbst hat außer leichten Verbrennungen und Prel-lungen keine Verletzungen erlitten. Er hat unverzüg-lich darauf seine Arbeit wieder aufgenommen und wie vorgesehen den zu einer längeren Be-sprechung empfangen. Kurze Zeit nach dem An-schlag traf der Reichsmarschall beim Führer ein.“

Wolfgang Michalka (Hrsg.): Deutsche Geschichte 1945. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Frank-

furt a. M. 1993, S. 328 (Fischer-TB 11251)

Radiorede Hitlers

Hitlers Rundfunkrede zum Attentat, 21.21944, ausge-strahlt nachts kurz vor 1.00 Uhr: ,,Deutsche Volksge-nossen und Volksgenossinnen! . Eine ganz kleineClique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich ver-brecherischer, dummer Offiziere hat ein Komplott ge-schmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mitmir den Stab der deutschenauszurotten. . Ich selbst bin völlig unversehrt bisauf ganz kleine Hautabschürfungen, Prellungen oderVerbrennungen. Ich fasse das als eine Bestätigungdes Auftrages der Vorsehung auf, mein Lebenszielweiter zu verfolgen, so, wie ich es bisher getan habe. . Es hat sich in einer Stunde, in der die deutschen

Armeen in schwerstem Ringen stehen, wie inItalien nun auch in Deutschland eine ganz kleineGruppe gefunden, die nun glaubte, wie im Jahre 1918den Dolchstoß in meinem Rücken zu führen. .

Michalka, 1993, S. 328-330

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E 22A n n e E23

Reaktion bei den Jungmädeln ihrem Versteck in einem Hinterhaus in Amsterdamin den von den Deutschen besetzten Niederlandenschreibt die Anne Frank am 21. Juli 7944 inihr Tagebuch

Liebe Kitty!Freitag, 21. Juli 1944

Nun werde ich hoffnungsvoll, nun geht es endlich gut.Ja, wirklich, es geht gut! Tolle Berichte: Ein Mordan-schlag auf Hitler ist ausgeübt worden, und nun malnicht durch jüdische Kommunisten oder englischeKapitalisten, sondern durch einen hochgermani-schen deutschen General, der Graf und außerdemnoch jung ist. Die hat dem Füh-rer das Leben gerettet, und er ist leider, leider mit einpaar Schrammen und einigen Brandwunden davon-gekommen Ein paar Offiziere und Generäle aus sei-ner nächsten Umgebung sind getötet oder verwun-det worden. Der Haupttäter wurde standrechtlich er-schossen

Der beste Beweis doch wohl, daß es viele Offiziereund Generäle gibt, die den Krieg satt haben und Hitlergern in die tiefsten Tiefen versenken würden, umdann eine zu errichten, mit deren HilfeFrieden mit den Alliierten zu schließen, erneut zu rü-sten und nach zwanzig Jahren wieder einen Krieg zubeginnen. Vielleicht hat die Vorsehung mit Absichtnoch ein bißchen gezögert, ihn aus dem Weg zu räu-men. Denn für die Alliierten ist es viel bequemer undauch vorteilhafter, wenn die fleckenlosen Germanensich gegenseitig totschlagen. Um so weniger Arbeitbleibt den Russen und Engländern, und um soschneller können sie wieder mit dem Aufbau ihrer ei-genen Städte beginnen. Aber so weit sind wir nochnicht, und ich will nichts weniger, als den glorreichenTatsachen vorgreifen. Trotzdem merkst Du wohl, daßdas, was ich sage, die Wahrheit ist, nichts als dieWahrheit. Ausnahmsweise fasele ‘ich nun mal nichtüber höhere Ideale.

Hitler ist ferner noch so freundlich gewesen, seinemtreuen und anhänglichen Volk mitzuteilen, daß alle Mi-litärs von heute an der Gestapo zu gehorchen habenund daß jeder Soldat, der weiß, daß sein Komman-dant an diesem feigen und gemeinen Attentat teilge-nommen hat, ihn abknallen darf.

Eine schöne Geschichte wird das werden. Der kleineMichel hat schmerzende Füße vom langen Laufen,sein Herr, der Offizier, staucht ihn zusammen. Derkleine Michel nimmt sein Gewehr, ruft: ,,Du wolltestden Führer ermorden, da ist dein Lohn!“ Ein Knall, undder hochmütige Chef, der es wagte, Michel Stand-pauken zu halten, ist ins ewige Leben (oder ist es derewige Tod) eingegangen.

Deine Anne M. Frank”

Anne Frank Tagebuch. Einzig autorisierte Fassung von OttoH. Frank und Mirjam S. Fischer Verlag GmbH Frank-furt a. M. 1997, S. 310 f. 1991 Anne-Frank-Fonds Basel

Bericht einer “Jungmädel “-Gruppe an die Jungmädelbeauftragte bei der HJ

,,Am 20. Juli ist ein Attentat auf unseren Führer verübtworden . . [Der Bericht beschreibt zunächst einenSpiel- Nachmittag, den eine Jungmädelgruppein Mähringen für Dorfkinder durchgeführt hat undfährt dann fort:]

, beinahe am Dorfausgang kommt uns der sichtbar aufgeregt entgegen und erzählt uns,

daß soeben folgendes im Radio gekommen ist: Am20. Juli ist ein Attentat auf unseren Führer im Hauptquartier verübt worden. Einige Generäle sindschwer verletzt, der Führer selbst aber hat außer eini-gen Schürfungen und Prellungen keine gefährlicheVerletzung. Wie ein Blitzschlag uns diese Nach-richt, und mit einem Mal ist all unsere Ausgelassen-heit verflogen. Im Schweigemarsch geht es den Hanghinauf. Inzwischen ist es dunkel geworden, und dieersten Sterne stehen bereits am Himmel; da stehenwir vor unserer Fahne. Alle geben wir uns

stets mag kommen, wasda wolle. Die Zweifler und Zager sollen es sehen undspüren, die Jugend steht geschlossen hinter ihremFührer. In dieser Stunde schämen wir uns vor unsselbst, wenn wir an all die Streite und Händeleiendenken, die wir wegen Nichtigkeiten geführt hatten.Nein, solche Dinge dürfen nie, nie wieder vorkom-men, solche dummen Kleinigkeiten gehören nicht indiese große Zeit. .

Zit. n. Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm (Hg.):Die Hitlerjugend am Beispiel der RegionEin Aspekt im Umfeld der ,,Weißen Rose“, Ulm1993, [Manuskript] S. 83.

Die Redaktion von ,,Politik und Unterricht freut sich über Zuschriften von Lesern undBenutzern dieser Zeitschrift. Besonderswillkommen sind te überdie Verwendbarkeit des Mediums im

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,,Deutscher Herbst”

Zeichnung: ThomasTheodor Heine, 1944

VG Bild-Kunst,Bonn 1994

E 25A u f s t a n d d e s G e w i s s e n s

Aus der Rede ,,Das Gewissen steht auf Zum 20. Juli gehalten am 20. Juli 1980, von Richard von

Weizsäcker

. Was fortwirkt, sind nicht historische Zusam-menhänge oder politische Berechnungen bei den Ver-schworenen, sondern ihr Charakter, ihr Gewissenund ihre Tat.

Als das Attentat am 20. Juli 1944 ausgeführt wurde,war die politische und militärische Lage Deutsch-lands hoffnungslos. Wenige Wochen zuvor war dermittlere Abschnitt der deutschen Ostfront zusam-mengebrochen. Nur noch hundert Kilometer vomHauptquartier Hitlers in Ostpreußen entfernt befan-den sich die Spitzen der russischen Armee. In Frank-reich war die Invasion der westlichen Alliierten schonso erfolgreich, daß Rommel fünf Tage vor dem Atten-tat Hitler nahezu ultimativ aufforderte, die Front bis indie Nähe der deutschen Grenzen zurückzunehmen.Die Alliierten waren sich darüber einig, mit größterMaterialüberlegenheit weiterzukämpfen bis zur be-dingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches.Keine wie immer geartete deutsche Regierung solltesich Hoffnung machen dürfen, von außen unterstütztzu werden oder auch nur mit erträglicheren

gungen den Krieg beenden zu können, als Hitler siezu erwarten hatte. .

Claus Stauffenberg und seine Freunde kannten dievielen Bedenken. Es gab für den Staatsstreich keinengünstigen Zeitpunkt mehr. Es fehlten berechenbareAussichten sowohl für den Erfolg des Anschlagsselbst als auch für eine ausreichende Ordnung da-nach. Auch waren tiefe Zweifel empfunden worden.Mußte sich das Böse nicht selbst widerlegen, anstattgewaltsam beseitigt zu werden, damit danach einneuer Anfang gemacht werden könne? Würde etwasanderes als die unbeschönigte totale Niederlage inder Lage sein, uns alle aus der mehr oder minder be-wußten Selbstbelügung moralisch zu befreien?

Das alles war bedacht worden. Und dennoch ent-schlossen sich die Verschwörer, den Wurf zu wagen.Wichtiger als alle Bedenken war es ihnen, unter Ein-satz des Lebens ein Zeichen aufzurichten. Sie wolltennicht länger fatalistisch zusehen, auf daß das Unrechtund Unglück bis zur Neige ausgekostet werden. Siewußten, daß jeder immer mehr unschuldigeLeben forderte. Es galt der ständig fortschreitendenZerstörung der menschlichen Substanz Einhalt zu ge-bieten. So setzten einige Menschen ihr Leben dafürein, um das Böse zu bekämpfen, welches so vielenMitmenschen unaufhörlich widerfuhr. .

Richard von Weizsäcker : Von Deutsch land nach Europa,Berlin 1991, S. 48 ff.

Saupe
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schnitte im Leben von Eugen Bolz können Sie fest-stellen?

B 10: Versuchen Sie der Menge in Stutt-gart am 19. Juni 1933 zu erklären.

Stellen Sie Motive und Schritte des Widerstands imLeben Eugen Bolz‘ zusammen (B 2, B 11 bis B 14) underklären Sie seine aufrechte Haltung als Gefangener(B 15 und B 21).

Suchen Sie in dem SD-Bericht (B 16) nach Anklage-punkten und Stellen Sie diesen diePositionen Bolz’ gegenüber. Nehmen Sie persönlichStellung zum Vorwurf des ,,Verrats“. Vergleichen Siedie Motive von Bolz mit denen anderer Widerstands-kämpfer aus diesem Heft.

Georg Elser

Der Attentäter aus dem Volk

Er war kein ,,Student, kein Offizier und kein Graf; erwar kein Intellektueller, er gehörte keinem Kreis an,und nicht einmal die Kommunisten können ihn sichan den Hut stecken“. Diese Einschätzung durch denaus Königsbronn stammenden Rektor i.R. HermannKrauß führt die Schwierigkeit den Attentä-ter vom 8. November 1939 und einzuordnen.Es fällt auf, wie schwer sich das demokratischeDeutschland mit dem Mann tut, der nicht bis zum 20.Juli 1944 gewartet hat, sondern das ihm Mögliche un-ternommen hat, um den Diktator zu beseitigen und ei-nen Krieg zu verhindern.

Dabei ist der ,,Fall Elser“ gut geeignet, das in den Bil-dungsplänen geforderte ,,Interesse an der Lokal- undRegionalgeschichte“ zu wecken. Die Schüler könnenan diesem konkreten Beispiel den Mut eines Unange-paßten kennenlernen, der es sich auch nach 1933nicht nehmen ließ, seinen Verstand zu benutzen undseinem christlichen Gewissen zu folgen.

Seit den Untersuchungen Anton Hochs (1969) gilt dieEinzeltäterschaft Georg Elsers als gesichert. Die Ver-sion der Nationalsozialisten, Elser habe den Anschlagim Auftrag des britischen Service in Zusam-menarbeit mit Otto Strasser durchgeführt, konnte da-mit ebenso in das Reich der Legenden verwiesenwerden wie die zeitgenössische Behauptung, das At-tentat sei von der Gestapo selbst inszeniert worden,um den Mythos des von auserwähltenFührers zu festigen. Der es habe bei demAnschlag im 1939 neben den Totenund Verletzten 60 Millionen Verkohlte gegeben, gibtvon dem Gerücht beredt Zeugnis.

Die meisten Einzelheiten über die Person Elsers, vorallem aber den genauen Tathergang, kennen wir ausden Vernehmungsprotokollen der Gestapo in Berlin.Im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) wiederholteElser in der Zeit vom 19. bis das Geständ-nis, das er in der Nacht vom 13. auf den 14.11. in Mün-chen abgelegt hatte. Die Protokolle dieser Verneh-mung sind nach dem Krieg nicht mehr aufgetaucht.Der Herausgeber der erstgenannten Protokolle, Lo-thar hat in seiner Einleitung ihre Echtheithinreichend dargelegt.

Mit dem Spielfilm von Klaus Maria Brandauer ,,GeorgElser einer aus Deutschland“ (1989) und der Ta-schenbuchausgabe der Elser-Biographie von HelmutOrtner (1993) liegen breitenwirksame Publikationenvor. Dennoch sind Person und Motive des Querden-kers Elser einer breiten Öffentlichkeit bis heute weit-gehend unbekannt geblieben. Auch in der neuesten

(1988) wird der Schreineraus Königsbronn nicht erwähnt.

Vor wenigen Jahren hat man in der Stadtbücherei sei-ner Heimatgemeinde immerhin eine ,,Elser-Ecke” ein-gerichtet. In Hermaringen, seinem Geburtsort, wurdeAnfang der achtziger Jahre eine Straße nach GeorgElser benannt. Seit den siebziger Jahren gibt es inSchnaitheim, einem nördlichen Vorort von Heiden-heim, die Elser-Anlage mit einem Gedenkstein. EineErinnerungstafel hat man in Konstanz aufgestellt, woes seit kurzem auch einen Georg-Elser-Platz gibt. Esist das Verdienst des ,,Georg-Elser-Arbeitskreises“ inHeidenheim, daß er mit einem materialreichen Paper-back und zahlreichen Aktivitäten zum 50. Jahrestagdes Attentats gegen das Vergessen und Verdrängengearbeitet hat.

1. Das Attentat (C 1 bis C 6)Die Fotos und der Zeitungsausschnitt (C 1 -C 3) kon-frontieren mit der Tat. Die aufgeworfenen Fragen nach dem Attentäter, seinen Motiven, seinem Schick-sal, der Durchführung und den möglichen Konse-quenzen eines erfolgreichen Anschlags könnenden weiteren Unterrichtsgang strukturieren.

Foto C Hinter dem Rednerpult,von der Hakenkreuzfahne verdeckt, befindet sich dieSäule, die für die Decke eine entscheidende statischeFunktion hatte. Von der Galerie aus (oben links) hatteElser die Säule angebohrt und mit einer Sprengla-dung versehen. Zu den Utensilien 5): Elser wolltenoch vor der Explosion in der Schweiz sein. Die Un-terlagen über Munitionsherstellung und Rüstungsfa-briken, die er 1939 während seiner Arbeit in der Firma

zusammengestellt hatte, wollte erwenn nötig dem Schweizer militärischen Nachrich-tendienst aushändigen, um einer Auslieferung zu ent-gehen. Die Metallteile, die einer der beiden Zollbeam-ten als Teile eines erkannte, hatteElser vergessen wegzuwerfen. Er leugnete zunächstdie Täterschaft, legte allerdings ein Geständnis ab,nachdem der Vernehmungsbeamte sich Elsers Kniehatte zeigen lassen. Diese waren vom nächtelangenArbeiten im Knien am Sockel der Säule aufgeschürftund geschwollen.

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2. Herkunft und Sozialisation (C 7 bis C 10)

Die Lebensdaten (C 7) zeigen den Werdegang desschwäbischen Handwerkers von der Elserwächst in bescheidenen, aber gesicherten Verhältnis-sen auf. Von Kindesbeinen an müssen Georg undseine Geschwister auf dem Feld und im Stall mithel-fen. Georg ist ein mittelmäßiger Schüler, aber ein ex-zellenter Handwerker, der die Gewerbeschule in Hei-denheim als Jahrgangsbester verläßt. Elser verstehtsich als Kunstschreiner, d. h. er sieht den Wert seinerArbeit nicht allein in der Existenzsicherung, sondernin weit höherem Maße in der Selbstverwirklichung. Esgeht ihm darum, ,,schöpferisch tätig zu sein“ und da-bei selbständig arbeiten zu können. Gerade bei hand-werklichen Arbeiten fällt sein übersteigert wirkenderPerfektionismus auf. Oft ist er es, der kündigt, weil erseine Arbeitskraft nicht für einen unangemessenenLohn verkaufen will. In den Zeiten der Arbeitslosigkeitist es für ihn selbstverständlich, gegen freie Kost undLogis seiner Mutter zu helfen, um das durchsucht des Vaters verschuldete Anwesen der Familiezu retten. Im Zuge der Aufrüstungspolitik findet ereine Anstellung bei einer Heidenheimer Fabrik, wo ersich die ersten Materialien für das Attentat beschafft.Elsers politische Einstellung (C eine eher diffuselinke Orientierung, fußte auf seinem Zugehörigkeits-gefühl zur Arbeiterschicht. Seine oppositionelle Hal-tung resultierte nicht aus einer ideologischen Bin-dung, sondern aus einer kritischen Beobachtung sei-ner Umwelt.

3. Elsers Motive (C 11 bis C 13)

Seine Motive bilden einen weiteren Schwerpunkt. Da-bei sollte nicht so sehr Elsers Einzelgängerturn im Vor-dergrund stehen, sondern vielmehr die Zivilcourageeines Mannes, der sich auch angesichts der blenden-den Erfolge Hitlers von 1938 das Recht auf eine nüch-terne Beurteilung nicht nehmen ließ. Daß darin ein ge-wisser bodenständiger Dickschädel zum Ausdruckkommt, kann ebenfalls erörtert werden.

Über Elsers ethisch-religiöse Einstellungen (vgl. C 11)urteilt der Historiker Lothar ,,Daß HitlersLeben geopfert werden müsse. . beherrschte seineVorstellung von Anfang an. . Aber wie die Offizieredes 20. Juli mußte er dabei in Kauf nehmen, daß beieinem Sprengstoffanschlag auch Menschen getötetwurden, denen das Attentat nicht galt. Elser hat unterder Belastung seines Gewissens durchaus gelitten.Als ihm die Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße denWochenschaufilm von der Trauerfeier für dieseines Anschlags vorführte . . brach er unter demEindruck dieser Bilder zusammen, wurde vonSchluchzen geschüttelt und konnte nur noch hervor-bringen: ,Das hab’ ich nicht gewollt!“‘ (Lothar mann [Hrsg.]: Autobiographie eines Attentäters, Jo-hann Georg Elser. Stuttgart Neuauflage 1989, S. 23)

Elsers Ansichten über die Verschlechterung der wirt-schaftlichen Verhältnisse (C 12) waren insoweit rich-tig, als bis Ende 1938 die tatsächlich un-ter dem Niveau von 1929 lagen. Die Grundlagen fürdie von ihm beobachteten Einschränkungen

ten: die Verordnung über Arbeitskräfteverteilung die die freie Arbeitsplatzwahl beschränkte,

das ,,Gesetz über die Hitlerjugend“ das dieH J zur Staatsjugend mit weitreichenden Zuständig-keiten für die Erziehung außerhalb von Schule und El-ternhaus erklärte, sowie die Durchführungsverord-nung zum Gesetz die eine Dienstverpflich-tung aller Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahrenenthielt.

4. Planung und Ablauf des Anschlags(C 14 bis C 16)

Die außerordentlich spannende Vorbereitungsphasedes Attentats (C 14) kann als Lehrererzählung darge-boten werden. Die Zusammenstellung von Planungund Ablauf (C 15) verdeutlicht die pedantische Sorg-falt und Akribie, mit denen Elser bei der Durchführungzu Werk ging, sowie den Umstand, daß er seit Mai1939unterordnete. Er bekam dabei nicht einmal mit, daßHitler seinen Auftritt im zunächst ab-gesagt hatte. Am 22.10.1939 hatte Hitler nämlich den12.11. als für den Beginn der Offen-sive im Westen festgesetzt. Am Morgen des 9.11.sollte eine Entscheidung über den Angriffstermin ge-troffen werden. Infolge des schlechten Flugwetterswollte Hitler einen Sonderzug nach Berlin nehmen.Um diesen zu erreichen, hielt er eine verkürzte Redeund verließ früher als je zuvor den Saal.

Während seiner Rede war Hitler von nahezu der ge-samten Parteiprominenz umgeben (C 16). Unmittel-bar vor ihm sitzen J. Goebbels, H. Himmler, A. Rosen-berg, R. Heß, M. Bormann, R. Ley u. v. a.; mithin einGroßteil derer, die während des Krieges als einzige je-derzeit beim ,,Führer“ vorstellig werden konnten.

Als Dokumentation geeignet ist auch der Filmtentäter“ von Rainer Erler (1969). Er vermittelt durchdie Kombination von Spielszenen und Zeitzeugenbe-fragung ein atmosphärisch dichtes und historisch ge-naues Bild von Person und Tat Georg Elsers. Derneunzigminütige Spielfilm von Klaus Maria

ist weniger geeignet.

5. Die Ermordung Elsers (C 17, C 18)

Hitler und Himmler wollten nicht glauben, daß dastentat das Werk eines Einzelgängers war. Elser wurdedaher nach Berlin überstellt und von Gestapo-Beam-ten einer ,,verschärften Vernehmung“ unterzogen,d. h. brutal verprügelt. Dessen ungeachtet blieb er beiseiner Aussage. Er wurde allerdings nicht vor Gerichtgestellt. Man hoffte, ihn nach Kriegsende in einemgroßen Schauprozeß als Zeugen gegen die vermeint-lichen englischen Hintermänner des Attentats auftre-ten lassen zu können. So wurde Elser auf Geheißlers als Sonderhäftling in das KZ Sachsenhausen ge-bracht und Ende 1944 oder Anfang 1945 nach Da-chau verlegt. Der Schnellbrief (C 17) mit Datum vom54.1945 ging am 9.4.1945 im KZ Dachau ein (sieheEingangsstempel links). Der Erschießungsbefehlwurde noch am selben Tag vollzogen; am gleichenTag, an dem so prominente Widerstandskämpfer wie

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Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, General Oster oderral Canaris hingerichtet wurden.

Die Beschreibung über Elsers Ermordung (C 18) istTeil der Zeugenaussage Emil Mahls, ,der mit Unterbre-chungen von 1939 bis 1945, zuletzt als Kapo im Kre-matorium, in Dachau inhaftiert war. Die Aussage ent-stand im Zuge der Ermittlungen, die die Staatsanwalt-schaft München über die Ermordung Elsers an-stellte.

6. Zur Beurteilung der Tat (C 19)

Die in den Texten dokumentierten Urteile über den At-tentäter bilden die Grundlage für eine abschließendeDiskussion darüber, ob Georg Elser richtig gehandelthat .

Die ,,Weiße am Beispiel vonHans und Sophie Scholl

Der Begriff ,,Weiße Rose”,,Flugblätter der Weißen Rose“, so lautet die Über-schrift der vier mit Schreibmaschine getippten undvervielfältigten anonymen Texte. Sie tauchen in einerGesamtzahl von einigen hundert Stück im Juni undJuli 1942 auf, in und um München herum. Von einer,,verantwortungslosen Herrscherclique“, vom ,,Be-trug der nationalsozialistischen Weltanschauung“,von Verbrechen“, von der ,,Schuldder Deutschen“, von ,,Widerstand“ gegen diesenStaat ist da die Rede. Solche Worte, nicht geflüstert,sondern schwarz auf weiß, sind ungeheuerlich 1942,im zehnten Jahr der NS-Diktatur und im drittenKriegsjahr. ,,Heimtücke“, ,,Hochverrat“, Iinge“, unschädlich machen“ , ,,liquidieren“ sind dieHerrschafts-Begriffe für solche Taten und Täter.

Welche Wirkung diese Blätter zur Zeit ihres Erschei-nens hatten, ist heute weitgehend unbekannt. Feststeht, daß mit ihnen die Bezeichnung ,,Weiße Rose“erstmals öffentlich wird. Und zwar für eine Gruppevon Menschen, die in radikaler Weise den NS-Staatangegriffen und einen Umsturz gefordert hat.

Die Herkunft des Namens ,,Weiße Rose“ ist nicht ein-deutig zu bestimmen. Hans Scholl nennt imVerhör am 20. Februar 1943 die ,,Rosa blanca“, eine,,spanische Romanze“ des deutschen Schriftstellersder Romantik, Clemens von Brentano; und er fügthinzu, die Bezeichnung sei unwesentlich gewesen.Dennoch ist daran zu erinnern, daß die weiße Rose inder antiken Tradition Verschwiegenheit und in derchristlichen Tradition Reinheit und Märtyrertum sym-bolisieren. Vor allem aber war die Rosenblüte als

Symbol der Musen in Gebrauch bei der 1937 verbote-nen Jungenschaft 1.11.“ (= Deutsche Jungen-schaft vom die für Hans Scholl sehr wichtigwar.

1. Die Gruppe und ihr Umfeld (D 1 D 6)

Wer gehörte der Widerstandsgruppe ,,Weiße Rose“an? Der Kreis der Eingeweihten bestand aus sechsPersonen: den Studenten Hans Scholl, AlexanderSchmorell, Christoph Probst, Willi Graf, SophieScholl sowie dem Professor Kurt Huber, der im De-zember 1942 zum Kreis dazukam. Diese sechs wur-den ab 18. Februar 1943 verhaftet und in den Tagenbzw. Monaten danach hingerichtet. Zum Kreis derWeißen Rose im weitesten Sinn zählen die maximal80 im Jahr 1943 und danachverhafteten, unter ihnendie Mitglieder der Familien und enge Freunde und Be-kannte.Die ,,Weiße Rose“ ist keine ausschließlich auf eine Wi-derstandsaktion orientierte, festgefügte Organisa-tion gewesen. Der Kern und sein Umfeld waren ver-bunden durch die gemeinsame geistige Distanz zumNationalsozialismus und freundschaftliche Beziehun-gen. Sehr unterschiedlich aber waren einerseits diejeweiligen Beweggründe dieser Distanz und anderer-seits die ständig in Entwicklung begriffenen, prakti-schen Konsequenzen, die daraus gezogen wurden.Der Kern der Weißen Rose, die fünf Studenten Hansund Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf,Christoph Probst, hatte bei großen individuellenUnterschieden noch die größte Übereinstimmung:das ungefähr gleiche Alter, die Herkunft aus einer bür-gerlich-humanistisch geprägten geistigen Umwelt,Ideale der Jugendbewegung, christliche Wertmaß-stäbe, den privilegierten Status als Studenten, dieBereitschaft zur Tat gegen das NS-System und dieFreundschaft.

2. Die Entwicklung der Geschwister Scholl(D 7 bis D 9)

Für Sophie und Hans Scholl sind Eltern und Geschwi-ster das prägende Fundament. Die Eltern bieten ne-ben emotionaler Zuverlässigkeit eine unverrückbarantinationalsozialistische, religiöse und politischeOrientierung im Sinne von Christentum und Demo-kratie. Beide Eltern stammen aus Württemberg undsind evangelisch. Die Mutter Magdalene (1881-1958)ist von Beruf Krankenschwester und Diakonisse. DerVater, Robert Scholl, (1891-1973) ist von 1917 bis1930 Bürgermeister zweier kleiner Gemeinden imhenlohischen Teil Württembergs und dann Steuerbe-rater und Wirtschaftstreuhänder. Von 1932 bis Juni1944 lebt die Familie in Ulm.

Für die Geschwister Scholl fallen Aufbruch undMachtergreifung der Nazis 1933 mit dem ,,Aufbruch“von der Kindheit zur Jugendzeit zusammen. In Oppo-sition zum Elternhaus schließen sich die fünf Ge-schwister mit Begeisterung der Hitlerjugend an, wer-den zum Teil mit 14, 15 Jahren Jugendführer, im Fallvon Hans bis hin zum Fähnleinführer von etwa 140Zehn- bis 14jährigen. Aus der Faszination wird nachdrei, vier Jahren Distanz gegenüber der Hitlerjugend

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und dem NS-Staat. Konfliktpunkte liegen in der büro-kratischen, parteigesteuerten Fremdbestimmungdes Einzelnen und der Gruppe. Hans Scholl schließtsich einer zunächst halblegalen Organisa-tion aus der Jugend“ der Weimarer Zeitan. Sie wurde von dem Stuttgarter Eberhard Köbelals ,,Deutsche Jungenschaft vom 1. November 1929“gegründet, abgekürzt ,,dj. 1.11.“. Die Gruppe wird ver-boten, die Scholl-Geschwister werden im November1937 verhaftet. Hans kommt drei Wochen in Untersu-chungshaft, eine Amnestie beendet sein Verfahrenvor dem Sondergericht Stuttgart im Juni 1938.Als Hans im Mai 1939 in München Medizin zu studie-ren beginnt, gewinnt er neue Freunde, die auch phies Freunde werden, als sie im Mai 1942 zu studie-ren anfängt. Hans lernt sie vor allem in der Münchener

Studentenkompanie“ kennen. Deren Angehörigesind Soldaten, die während des Semesters studierenkönnen. Die Studentenkompanie bietet im NS-Staateinen gewissen Freiraum. So kann der Freundeskreiszusammenwachsen und den weltanschaulichen Wi-derspruch in vielfältigen Gesprächen und kulturellenAktivitäten vertiefen.

3. Die Aktionen der Weißen Rose (D 10 bis D 12)

Auf dieser Grundlage entstehen ab Mai 1942 die er-wähnten vier ,,Flugblätter der Weißen Rose“, verfaßtvon Hans Scholl und Alexander Schmorell. Aus konformität und Dissidenz, Verweigerung und be-wußter politischer Opposition werden nun konkreteWiderstandshandlungen, die die Abschaffung desNS-Systems und die Wiederherstellung der persönli-chen Freiheit zum Ziel haben. Die Weiße Rose will dieDeutschen aufwecken, sie ihrer ,,Mitschuld“ bewußtmachen, sie zum ,,passiven Widerstand“ in allen Le-bensbereichen mobilisieren (D 10).

Von Ende Juli bis Anfang November 1942 sind die bei-den Autoren der ersten vier Flugblätter, und Scholl, zusammen mit Willi Graf und anderenFreunden als Sanitäter bzw. Hilfsärzte der Studenten-kompanie an die russische Front abkommandiert.Alle Widerstandsaktivitäten sind damit unterbrochen.Doch die Erfahrungen mit dem Krieg, mit Rußlandund seiner Bevölkerung Erfahrungen, die der Propaganda völlig entgegenstehen lassen ab No-vember 42 neue Pläne reifen.Das fünfte Flugblatt, in der Formulierung von HansScholl, entsteht Mitte Januar 1943 in einer Auflagevon mehreren tausend Stück (D 11). Die Überschriftlautet jetzt ,,Flugblätter der Widerstandsbewegung inDeutschland“, und die Unterzeile ,,Aufruf an alle Deut-sche“. Darin, aber auch in der Sprache und den Argu-menten zeigt sich der Anspruch, die Sphäre der Mün-chener Universität zu überschreiten, politisch konkre-ter zu werden und Menschen in ganz Deutschland zuerreichen. Zu den fünf Studenten kommt der etwa 25Jahre ältere Professor Kurt Huber. Erste Kontaktewerden nun hergestellt zu den Widerstandskreisender ,,Roten Kapelle“, der ,,Bekennenden Kirche“ unddes späteren Juli“ sowie in die Städte Hamburg,Berlin, Freiburg, Saarbrücken, Ulm, Stuttgart.

Die Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad (31.1. und2.2.1943) prägt die letzten Wochen der MünchenerWeißen Rose. Schlagzeilen der NS-Presse sind z. B.,,Heldenlied Stalingrad“ oder ,,Heiliges Fanal für dieHeimat“. Die Weiße Rose hält mit Mauerinschriftenam am und Februar dagegen. DieWorte ,,Freiheit“, Nieder mit Hitler“ und rot durchge-strichene Hakenkreuze pinseln sie nachts an vieleGebäude in München.

Dann erscheint das sechste und letzte Flugblatt. Ver-faßt von Kurt Huber, gerichtet an die deutschen Stu-denten und beginnend mit den Sätzen ,,Erschüttertsteht unser Volk vor dem Untergang der Männer vonStalingrad. . Führer wir danken dir!“ Über tausendExemplare werden verschickt. Am Donnerstag, dem18. Februar 1943, als Goebbels im Berliner Sportpa-last seine Durchhalte-Rede hält ihr den totalenKrieg?“), legen kurz vor 11 Uhr im Lichthof der Univer-sität München Hans und Sophie Scholl die letzten Ex-emplare dieses Flugblattes aus. Sie werden vomHausmeister beobachtet und kurz danach verhaftet.Es folgen die Verhaftungen der Freunde.

4. Fünf Prozesse (D 13)

Schon am 22. Februar 1943 findet im Münchener Ju-stizpalast vor dem aus Berlin angereisten 1. Senatdes ,,Volksgerichtshofes“ der erste Prozeß statt. In ei-ner Art Schauprozeß werden die drei Angeklagten,Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst, nachknapp vier Stunden zum Tod verurteilt ,,wegen lan-desverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitungzum Hochverrat, Wehrkraftzersetzung“. Drei Stundenspäter, gegen 17 Uhr werden sie im Zuchthaus ehen-Stadelheim enthauptet. Hans letzteWorte waren: ,,Es lebe die Freiheit“. Sie sind beispiel-haft für den Mut aller Angeklagten, sowohl in den Ge-stapo-verhören, als auch in den Prozessen.

Im zweiten Weiße-Rose-Prozeß, am 19. April 1943,ebenfalls vor dem Volksgerichtshof in München, sind14 Personen angeklagt. Willi Graf, Kurtder werden zum Tod verurteilt und hinge-richtet, die anderen, darunter drei Gymnasia-sten und eine Studentin, die bei der Verbrei-tung des fünften Flugblattes geholfen hatten, werdenzu Gefängnisstrafen verurteilt, einer wird freigespro-chen.

Am 13. Juli 1943 in München, am 3. April 1944 in Saar-brücken sowie am 13. Oktober 1944 in Donauwötth,kommt es zu drei weiteren Prozessen gegen zwölfPersonen aus dem Umfeld der Weißen Rose, wobeidie Prozesse gegen den Hamburger Zweig der Wei-ßen Rose nicht mitgerechnet sind.

Im Abspann des Films ,,Die Weiße Rose“ von MichaelVerhoeven (1982) war darauf aufmerksam gemachtworden, daß die Urteile gegen die Weiße Rose bis1982 nicht aufgehoben seien. Mit Wirkung vom1.1.1985 erklärte der Deutsche Bundestag in einer,,Entschließung“ alle Urteile des ,,Volksgerichtshofes“für nichtig, was allerdings streng juristisch betrach-tet keine Konsequenzen hat.

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5. Nachwirkungen (D 14 bis D 16)

So gering die unmittelbare Wirkung der Aktionen aufdie deutsche Bevölkerung, im besonderen auch aufdie Münchener Studenten ist, so nachhaltig ist sie aufdas NS-Regime. Intensive Nachforschungen der Ge-stapo vor und nach dem 18. Februar 1943 und dieProzesse mit ihren drakonischen Urteilen beweisendas. Die Provokation des NS-Staates liegt in derForm und in der historischen Situation der Aktionen.Das heißt, Flugblätter und Mauerinschriften hattenden absoluten Monopolanspruch auf die veröffent-lichte Meinung gebrochen, und dies wenige Tagenach der für Staat und Bevölkerung sichtbar gewor-denen Wende von Stalingrad. Als nun auch ein Um-bruch an der ,,Heimatfront“ spürbar wird, wird ein,,Dolchstoß“ wie im November 1918 unterstellt. So ar-gumentiert Freisler in seiner Urteilsbegründung am22. Februar, und so argumentiert diePresse, als im Herbst 1943 Vater Robert Scholl verur-teilt wird (D 14).

Über verschiedene Kanäle kommen das sechsteFlugblatt und Nachrichten von den Prozessen undHinrichtungen ins Ausland. Thomas Mann z.B. sagtam 2% Juni 1943 im englischen Rundfunk (BBC): ,,Esdämmert [in Deutschland] ein neuer Glaube an Frei-heit und Ehre“. Und im 1943 werdenZehntausende von Kopien des sechsten Flugblattesvon englischen Flugzeugen vor allem über Nordwest-deutschland abgeworfen.

Seit Kriegsende werden die Münchener Studenten,ihre Taten und ihr Sterben zum Inbegriff des Wider-stands. Sie dienen oft zum Beweis eines ,,anderenDeutschland“ vor 1945. Und sie dienen zur Selbstle-gitimation unterschiedlichster politischer und weltan-schaulicher Konzepte. So ist die Weiße Rose z. B. dieeinzige Widerstandsgruppe aus der NS-Zeit, diegleichzeitig in der Bundesrepublik und in der DDR allerdings in unterschiedlicher Akzentuierung in dieTradition der Werte des jeweiligen Staates aufgenom-men worden ist.

Die Weiße Rose als ,,universell nutzbarer Bezugs-punkt“ (Kißener), schlägt sich auch darin nieder, daßHunderte von Schulen, Straßen, Institutionen nachHans und Sophie Scholl benannt sind. Ein paar hun-dert Abhandlungen samt Erinnerungs- und Doku-menten-Bänden wurden publiziert, der Stoff wurde in allen Kunstgattungen, vom Film überdie Plastik bis hin zur Oper mehrfach verarbeitet. Eineder wichtigsten Einrichtungen, die sich um die welt-weite Bewahrung und Verbreitung der Botschaft derWeißen Rose bemüht, ist die 1987 gegründete,,Weiße-Rose-Stiftung“ in München.

Mögliche Aufgaben1. Vergleichen Sie die gesellschaftliche Herkunft vonsechs Mitgliedern der ,,Weißen Rose, ihren Werde-gang und ihre Haltung zum Nationalsozialismus(D 1 -D 6).

2. Was war an der Hitlerjugend verführerisch undwas davon könnte auch heute bei der Jugend wirk-sam sein (D 7-D

3. Welche Konflikte zwischen den Ideen von HansScholl und den Strukturen der Hitlerjugend werdenvon Inge Scholl genannt (D 4. Welche Begründung und welche Formen des pas-siven Widerstands im Krieg nennt das 3. Flugblatt derWeißen Rose (D

5. Wer sind jeweils im Blickwinkel des Nationalsozia-lismus und des fünften Flugblattes die ,,Feinde derNation“? Welche gesellschaftlichen und staatlichenVorstellungen für Deutschland nach dem Untergangdes Nationalsozialismus entwirft der Text? Welchedieser Vorstellungen erscheinen Ihnen heute inDeutschland verwirklicht bzw. nicht verwirklicht(D

6. Warum wird der Vater als Auslöser der Taten seinerKinder dargestellt? Wozu ruft der Artikel im Umgangmit der Familie indirekt auf? ,,Kein vollwertiges Mit-glied der Volksgemeinschaft“: Nennen Sie andereBeispiele aus der NS-Zeit für diese Wertung (D 14).

Claus Graf Schenkvon Stauffenberg

1. Herkunft und Ausbildung (E 1 bis E 8)

Wesentliche Zeiten seiner Kindheit und Jugend, aberauch späterer Jahre verbrachte Claus Graf Schenkvon Stauffenberg im elterlichen Schloß in Lautlingen(E heute Ortsteil von Albstadt. Seit 1970 gehörtdas Schloß der Gemeinde und enthält außer dermusikhistorischen Sammlung im einstigen soge-nannten gelben Salon einerungsstätte.Der Vater war bis 1918 Oberhofmarschall des letztenwürttembergischen Königs und bis 1925 Präsidentder Herzoglich Württembergischen Rentkammer. Erlebte in den Ferien und später im Ruhestand ständigin Lautlingen. Die Mutter, eine geborene Gräfin

war früher Hofdame in Stuttgart. Diedrei Söhne (E 3) werden humanistisch erzogen undbesuchen alle das Eberhard-Ludwig-Gymnasium inStuttgart. Der Bruder Berthold von Stauffenberg wirdspäter Völkerrechtler und gehört im Krieg dem Ober-kommando der Kriegsmarine an. Wegen seiner Betei-ligung an des 20. Juli wird Bertholdam 10. August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Das Foto (E 5) zeigt Nina und Claus von Stauffenbergnach ihrer Trauung. trug die Uniformmit dem Stahlhelm Hochzeit sei Dienst, hatte er sei-ner Braut erklärt“. (Hoffmann, 1992, S. 127) ,,Auf dieFrage der Siebzehnjährigen [vor der Verlobung],warum er gerade sie erwählt habe, erklärte berg ebenso direkt, er habe gleich gemerkt, daß sie

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die richtige Mutter für seine Kinder sein werde.“ (ebd.,s. 97)

2. Der lange Weg zum Attentat (E 9 bis E 12)

Für die politischen ist der,,Schwur“ von 1944 am aufschlußreichsten. Als Urhe-ber gilt Claus von Stauffenberg. An be-teiligten sich zwei Mitglieder desKreises: der Bruder Berthold Stauffenberg und Ru-dolf Fahrner. Der ,,Schwur“ war nur für die Augen we-niger Gleichgesinnter bestimmt, noch nicht einmalfür ein Dutzend Menschen. ,,Aber Stauffenberg lagviel daran, daß seine Vorstellungen ihn überlebten.“(Hoffmann, 1992, S. 471 f.) Auch nach Georges Todfühlte sich Stauffenberg dem elitären Kreis zugehörig. Stauffenbergs letzte Worte vor derErschießung ,,Es lebe das geheime Deutschland!“oder ,,Es lebe das geheiligte Deutschland“ werdenauf Georges nationalkonservative, elitäreVorstellungen zurückgeführt, die zwar antidemokra-tisch, aber nicht nationalsozialistisch waren. (Vgl. Ein-leitung zu diesem Heft, S. 3 ff.)

Einerseits enthält der Schwur das Bekenntnis zurRechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit, andererseitsenthält er elitäre Vorstellungen, die einer positivenEinschätzung des offenen Austragens von Interes-sengegensätzen in der heutigen pluralistischen Ge-sellschaft zuwiderlaufen. Zudem propagiert er dasabendländisch-germanische Sendungsbewußtsein,demzufolge Deutschland die Völker Europas auchkünftig ,,zu schönerem Leben zu führen“ habe. Dies1944, auf dem Höhepunkt des Völkermordens durchdie Deutschen formuliert zeigt, wie fest die national-konservativen Vorstellungen Stauffenbergs verwur-zelt gewesen sind. Und dennoch: die Rückbesinnungauf humanistische Ideale und den Freiheitsgeist derpreußischen Reformer Gneisenau und Arndt war es,die Stauffenberg und viele andere Nationalkonserva-tive zu ihrem Widerstandshandeln befähigten.

Das Attentat auf Hitler und die Erhebung waren be-reits für den 15. Juli 1944 geplant (E 11). Das Attentatwurde aber nach Peter Hoffmann deswegen nichtausgeführt, weil die Mitverschwörer im Führerhaupt-quartier, die Generäle Wagner, Fellgiebel und Stieff,Stauffenberg am Attentat hinderten, weil sie daraufbestanden, das Attenat nur bei Anwesenheit vonHimmler durchzuführen. Als sich Stauffenberg dar-über hinwegsetzen wollte, ,,waren die Besprechun-gen zu Ende, und Hitler war weggegangen“ (Hoff-mann, 1992, S. 418).

Wieder zurück in Berlin berichtet Stauffenberg demMitverschwörer Generaloberst Beck, General Stieffhabe ihm die Tasche mit dem Sprengstoff in derWolfsschanze zeitweise entwendet, um so das Atten-tat zu verhindern. Bei der nächsten Gelegenheit willer keine Rücksicht mehr auf zögernde Mitverschwö-rer nehmen (Hoffmann, 1992, S. 418

Diese Forschungsergebnisse von 1992 zeigen dieUnentschlossenheit der Verschwörer und den im Ge-gensatz zu Stauffenberg bei etlichen Verschwörernnicht zureichenden Mut zum Handeln. Die

Der ,,Schwur“ Claus von Stauffenbergs von 1944:

,,Wir

Wir

Wir

Wir

Wir

Wir

Wir

Wir

glauben an die Zukunft der Deutschen.

wissen im Deutschen die Kräfte, die ihn berufen,die Gemeinschaft der abendländischen Völker zuschönerem Leben zu führen.

bekennen uns im Geist und in zu den gro-ßen Überlieferungen unseres Volkes, das durchdie Verschmelzung und christlicherUrsprünge in germanischem Wesen das abend-ländische Menschentum schuf.

wollen eine Neue Ordnung, die alle Deutschen zuTrägern des Staates macht und ihnen Recht undGerechtigkeit verbürgt, verachten aber dieGleichheitslüge und beugen uns vor den naturge-gebenen Rängen.

wollen ein Volk, das in der Erde der Heimat ver-wurzelt den natürlichen Mächten nahebleibt, dasim Wirken in den gegebenen Lebenskreisen seinGlück und sein Genüge findet und in freiemStolze die niederen Triebe des Neides und derMißgunst überwindet.

wollen Führende, die aus allen Schichten kes wachsend, verbunden den göttlichen Mäch-ten, durch großen Sinn, Zucht und Opfer denanderen vorangehen.

verbinden uns zu einer untrennbaren Gemein-schaft, die durch Haltung und Tun der neuen Ord-nung dient und den künftigen Führern die Kämp-fer bildet, derer sie bedürfen.

gelobenuntadelig zu leben,im Gehorsam zu dienen,unverbrüchlich zu schweigen,und füreinander einzustehen.“

Zit. n. Hoffmann, 1992, S. 396 f.(Stefan-George-Archiv, Stuttgart)

den Schwierigkeiten standen einem gelungenen At-tentat entgegen und belegen, wie hoch der MutStauffenbergs zur Tat einzuschätzen ist.

3. Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944(E 13 bis E 20)

Die Bildquellen (E 14, E 15) schaffen Interesse undMotivation für die Fragen nach den Gründen für dasScheitern des Attentats: 1. Warum mußte ein Schwer-behinderter (Stauffenberg hatte nur noch eine einzigeHand mit drei Fingern!) die Bombe scharf machen?Warum konnte ihm dabei niemand helfen? 2. Warumhat Stauffenberg nicht das zweite Sprengstoffpäck-chen in die Tasche gesteckt, ohne es scharf zu ma-chen? Explodiert wäre es ja ohnehin, und damit wäresichergestellt gewesen, daß alle Anwesenden in derBaracke einschließlich Hitler durch die Sprengwir-kung getötet worden wären. 3. Warum hat Hitler nurmit leichten Verletzungen das Attentat überlebt?Fazit: 1. Die für Stauffenberg zurechtgebogeneZange richtet das Interesse auf die Schwerbehinde-rung des Attentäters und regt damit die Frage danachan, warum sich unter den Verschwörern kein andererfür diese Aufgabe bereitgefunden hat. (Thema ,,Mut

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zum Handeln“!) 2. Das Sprengstoffpäckchen zeigt,was zu einem erfolgreichen Attentat gefehlt hat.3. Die beschädigte Uniform Hitlers gibt Auskunft überdie relativ schwache Sprengwirkung, bei stärkererSprengwirkung wäre sie wohl in einzelne Partikel zer-fetzt worden.

Die Meldung über das Ende der Verschwörung (E 20)soll die volle Handlungsfähigkeit des Führers und sei-nes engsten Mitarbeiters Reichsmarschall Göring de-monstrieren. Der d.h. Benito Mussolini, hieltsich zu diesem Zeitpunkt im Führerhauptquartier auf.

4. Nachwirkungen (E 21 bis E 24)

Der Auszug aus Anne (E 22) stammtvom 21. Juli 1944. Am 4. August wird Anne Frank mitihrer Familie verhaftet und wenig später inswitz deportiert. Die Familie Frank war wegen der folgung jüdischer Deutscher aus Frankfurtnach Holland emigriert. Zusammen mit ihrer Schwe-ster Margot stirbt Anne Frank Ende Februar oder An-fang März 1945 im KZ Bergen-Belsen an einerTyphusepidemie. (Anne Frank Tagebuch. Fassungvon Otto H. Frank und Mirjam Pressler, Frankfurt a. M.1992, S. 310 f., S. 315 f. Fischer-TB 11 377)

Die Jungmädelberichte (vgl. E 23) ,,sind im Originalvon den jeweiligen Gruppen-Führerinnen hand-schriftlich gefaßt . ,,Fahrten“ und ,,Lager“ inner-halb der HJ . waren straff organisiert . So sehrdie Fahrten auch gewisse Freiräume ließen und in derRegel beliebt waren, waren sie praktisch und ideolo-gisch vollständig für das NS-System funktionalisiert,wie auch den folgenden Berichten entnommen wer-den kann.“ (Dokumentationszentrum Oberer Kuh-berg, Ulm (Hg.): Die ,,Hitlerjugend” am Beispiel derRegion Ulm/Neu-Ulm. Ein Aspekt im Umfeld der,,Weißen Rose“, Ulm 1993, [Manuskript]S. 83).

Die Karikatur (E 24) gibt Anlaß zum Unterrichtsge-spräch über das große Sterben und Morden, dasnach dem gescheiterten Attentat fortgesetzt wird und

die fortschreitende Zerstörung Nazi-Deutschlandsbis Kriegsende. Der Karikaturist Thomas TheodorHeine war Mitbegründer der Münchener satirischenZeitschrift und emigrierte 1933nach Prag und von dort aus nach Schweden, wo erdieses bitter-elegische Bild der Zerstörung zeich-nete. (Das Dritte Reich in der Karikatur, München1984, S. 88 und 210, Heine-TB Nr.

Mögliche Aufgaben

E 1 bis E 8: Beschreiben Sie die gesellschaftliche Her-kunft Stauffenbergs, seinen Werdegang und seineHaltung zur Machtergreifung der Nationalsozialisten1933.E 9, E 10: Erklären Sie, warum Stauffenberg sich erstallmählich zum aktiven Widerstand entscheidet. Wel-che Motive hat er? Warum unternimmt er das Attentatschließlich trotz aussichtsloser außenpolitischer Si-tuation?E 11: Beschreiben Sie das Foto vom 15. Juli 1944 vorder Lagerbaracke in Hitlers HauptquartierSchanze“ im Zusammenhang mit den Ereignissendes 15. Juli 1944. Was könnte in Stauffenberg wäh-rend der Aufnahme vorgegangen sein?

E 13 bis E 21: Erläutern Sie die Gründe für das Schei-tern des Attentats vom 20. Juli 1944. Zeigen Sie, ge-gen wen sich die Erhebung vom 20. Juli 1944 richtetund welche Ziele sie verfolgt. Worauf zielt die Rund-funkmeldung vom Überleben Hitlers propagandi-stisch ab?

E 21 bis E 23: Vergleichen Sie Anne Franks Stellung-nahme zum gescheiterten Attentat des 20. Juli 1944mit dem Jungmädelbericht und Hitlers Rundfunkredevom 21. Juli.

E 25: Welche Bedeutung sieht Richard von ker in Attentat und Erhebung des 20. Juli Wel-che Lehre zieht er aus dem Handeln der Widerstands-kämpfer für die Gegenwart? Nehmen Sie Stellung zuvon Weizsäckers Urteil.

Formen des Widerstandes im Südwesten 1933-1945Scheitern und Nachwirken Herausgegeben von der Landeszentrale für politische BildungBaden-Württemberg und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Stuttgart 1994

Am 15. Februar 1933 konnte ein Teil der Rede Adolf Hitlers in Stuttgart nicht übertragen werden,weil ein Kabel durchgeschnitten war. Sowohl die als auch die württembergische Regie-rung konnte im März 1933 nur gewaltsam ihrer exekutiven Gewalt beraubt werden. Namhafte Mit-glieder der Weißen Rose stammten ebenso aus Südwestdeutschland wieführende Köpfe des 20.Juli 1944.Trotzdem gab es auch in Baden und Württemberg keinen breiten Widerstand gegen den National-sozialismus, Denunziationen und Anpassung bestimmten den Alltag. Umso wichtiger ist es, andie Menschen zu erinnern, die sich trotz anfänglicher Erfolge, Propaganda und Terror der Natio-nalsozialisten nicht gleichschalten ließen, die widerstanden, indem sie aktiv gegen das Regimearbeiteten, Zivilcourage zeigten, Menschlichkeit bewiesen oder auch, vor allem am Ende desKrieges, die Mitarbeit verweigerten.Woran scheiterte dieser Widerstand bzw. wie konnte er, soweit vorhanden, so schnell gebrochen werden? Neben demUnterdrückungsapparat spielte dabei die Bereitschaft vieler Menschen, andere zu denunzieren, eine wichtige Rolle.Beinahe 50 Jahre nach Kriegsende hat der Umgang mit dem Widerstand gegen das ,,Dritte Reich“ in der Bundesrepublikund im Südwesten schon wieder eine eigene, höchst interessante Geschichte, an der sich politische Grundströmungen derjeweiligen Zeit sehr deutlich festmachen lassen.Aus Anlaß der fünfzigsten Wiederkehr des 20. Juli soll an jene Menschen erinnert werden, die den Mut zum Widerstand auf-brachten. Gleichzeitig wird die Frage gestellt, woran der Widerstand gescheitert ist, aber auch wie das Thema direkt nachdem Krieg und später behandelt wurde.

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zum ThemaZusammengestellt von Hanns-Georg Helwerth,

Landesbildstei le Württemberg

Da ist nirgends nichtsgewesen außer hier

1983, Video, 37 Min., SWAdressaten: SI, J, E

Dieser Dokumentarfilm über den einzi-gen Genera ls t re ik im Re ich an läß l i chder Machtergreifung Hitlers ingen erzählt mittels Fotodokumentenund vor allem Interviews mit damals Be-teiligten die Vorgeschichte, den Ablaufund die Folgen des Streiks.

42 51495

Du sollst dich nie vor einem lebendenMenschen bücken

35 Min., FarbeAdressaten: SI, E

Willi Bleicher, ein Antifaschist und ehe-maliger Bezirksleiter der IG-Metall, er-zählt von der Arbeiterbewegung. Die Er-zählung wird mittels hineinmontierterDokumente veranschaulicht.

Produzent: Richter

32 52080

Fünf letzte Tage

114 Min., FarbeAdressaten: SI, J, E

Der Spielfilm schildert die letzten fünfTage von Sophie Scholl, die als Mitgliedder Widers tandsgruppe , ,We iße Rose“am 22. Februar 1943 hingerichtetwurde. Grundlagen waren neben Doku-menten und Interviews diegen von Else Gebel, Sophies Zellenge-nossin jener Tage.

Produzent: Bayerischer Rundfunk

32 03675

Geheime Reichssache

1979, Video, 110 Min., FarbeAdressaten: SI, J, E

Hitler befahl, den Prozeß vor dem Volks-gerichtshof gegen die Männer des 20.Juli mit versteckter Kamera aufzuneh-men, um ihn zu Propagandazwecken öf-fentlich zeigen zu können. Die erschüt-te rnde Dokumenta t ion veran laßte d ieNazis jedoch, den Film zurückzuziehenund zur ,,Geheimen Reichssache“ zu er-klären.

Produzent : Chronos42 51446

Ich habe nie Heil Hitler gesagt

1990, Video, 43 Min., FarbeAdressaten: J, E

Videopor t rä t der ehemal igen kommuni -stischen Untergrund- und Widerstands-kämpferin Gertrud Keen, die als Zeit-zeugin über die unspektakulären Aktio-nen ihrer Widerstandsgruppe berichtet.

Produzent: Erwin Leiser

42 54261

ein Stuttgarter Jugendlicherim Widerstand

1990, Video, 23 Min., FarbeAdressaten: Sll, J14, E

Bericht von und über Hansder als Jugendlicher aktiven Widerstandgegen den Nationalsozialismus leisteteund deswegen zehn Jahre im Gefängnisbzw. KZ saß.

Produktion: Schüler der Schule Stuttgart

42 54265

48 Min., SWAdressaten: J14, E, L

Kurt Schumacher, Sozialistund Patriot

Eine im Auftrag des ZDF erstellte Doku-mentation, die das Bild des Menschenund Politikers Kurt Schumacher anhandvon dokumentarischem Material undvon Statements zeichnet.

Produzent : Chronos32 51678

Widerstand im Dritten Reich,es gab nicht nur den 20. Juli

1978, vier SWAdressaten: SI, J, E

1. Verteidigung der Republik, 43 Min.In diesem Teil der Reihe kommen Men-schen zu Wort, die bereits vor derMachtergreifung aus politischen, mora-lischen und religiösen Gründen aktiv ge-gen die Nazis gekämpft haben.

2. Menschen an der Basis, 41 Min.Über den Widerstand vor Ort berichtenzwei Frauen, Mitglieder der ,,Bekennen-den Ki rche“ , dann e in Soz ia ldemokratund die Frau eines ten. Den Schluß bilden die Erinnerungendes 80jährigen Gewerkschafters Jakob

Schiefer, der den Widerstand an der Ba-sis sehr bewußt mitgemacht hat.

3. Jugend, 32 Min.Zunächs t ber ich te t e in ehemal iger Ju-gendkap lan über se ine Versuche, Ju-gend l iche gegen den Nat iona lsoz ia l is -mus e inzus te l len . Dann w i rd über d ieKölner ,,Edelweißpiraten“ berichtet. Die-ser lange verdrängte und nach wie vorumstrittene Teil des Widerstandes wirdin Erzählungen von Hinterbliebenen derBeteiligten deutlich.

4. Im Dienste des Glaubens, 35 Min.Teil 4 der Serie berichtet vom Wider-stand der Katholiken, insbesondere vondem der katholischen

Produzent: Westdeutscher Rundfunk

32 19

Widerstand gegen Hitler, 20. Juli 1944

1980, 21 Min., SWAdressa ten :

Der Film dokumentiert mit Originalauf-nahmen aus dem Dritten Reich und mitInterviews aus dem Jahre 1979 Motive,Schwier igke i ten , Vorbere i tungen undDurchführung des Attentats vom 20. Juli1944. Die Ausschnitte aus dem Prozeßvor dem Volksgerichtshof sind Beispielevon Fre is le rs E inschüch te rungsmetho-den u.a.m.

Produzent: FWU32 03375

Die weiße Rose

1982, 123 Min., FarbeRegie Michael VerhoevenAdressaten: SI, J, E

D ie Gesch ich te der s tuden t i schen Wi -ders tandsgruppe um d ie Geschwis te rScholl, genannt ,,Die Weiße Rose“, die inMünchen gegen das Ter ror reg ime derNa t iona lsoz ia l i s ten kämpf ten , b i s s ie1943 von der Gestapo aufgespürt undhingerichtet wurden. Mit Lena Stolze,

Kessler u.a. Ausgezeichnet u.a.mit dem Bundesfilmpreis 1983 und demFilmband in Silber.

32 55562-6342 50032

Ein Heiliger, der konspiriert

1989, Video, 45 Min., FarbeAdressaten: J, E

Ehemal ige Schüler , Freunde und Be-kannte erinnern sich an den MenschenBonhoeffer, seine Lehrveranstaltungen,die Situation im Elternhaus, seine Rolleinnerhalb der ,,Bekennenden Kirche“und die Zeit der Illegalität und des politi-schen Widerstands.

42 52811

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Aktuelle Themen, attraktive PreiseDer Schülerwettbewerb des Landtags

Komm heraus mit beim Schülerwettbewerbdes Landtags!

Landtagspräsident Dr. Fritz ruft die Schüle-rinnen und Schüler aller Schularten des Landes vonKlasse 9 an zur Teilnahme am Schülerwettbewerbdes Landtags von Baden-Württemberg auf.

Er bietet die Möglichkeit, sich in selbständiger Arbeitin vielfältiger Weise mit den unterschiedlichsten politi-schen Problemen auseinanderzusetzen.Lehrerinnen und Lehrer der Fächer Gemeinschafts-kunde, Deutsch, Bildende Kunst sollten Ihre Schüle-rinnen und Schüler auf diesen Wettbewerb aufmerk-sam machen. Der Landtag will die politische Bildungfördern, indem er zu Auseinandersetzung mit aktuel-len politischen Problemen aufruft und dafür attraktivePreise aussetzt.

Von der Landeszentrale für politische Bildung, der Or-ganisatorin des Wettbewerbs, wurde eine Broschüremit ,Tips zum Mitmachen“ herausgebracht. Diesegibt Ratschläge zu den Arbeitsformen und will dasMitmachen erleichtern.Die Ausschreibungsunterlagen wurden an alleSchulen des Landes geschickt;Nachforderungen richten Sie bitte an

Landeszentrale für politische Bildung Schülerwettbewerb

Staff lenbergstraße 3870184 Stuttgart

Einsendeschluß: 25. November 1994

Folgende Themen stehenzur Auswahl:

Plakat1 . Gestalte ein Plakat, das zur Gerechtigkeit aufruft

oder das Ungerechtigkeit anprangert.

Reportage

2. Im Rathaus.Von der Hörfunk- oder Filmreportage sendet unsbitte die Kassette mit einer Laufzeit von höch-stens zehn Minuten. Bitte nur VHS-Kassetten fürVideoaufnahmen verwenden. Ansonsten geltendie Bedingungen für schriftliche Arbeiten.

Umfrage

3. Was gehört zu unserem Lebensstandard undworauf können wir verzichten?

Auswertung

4. Suche eine Karikatur, ein Bild, eine Bildge-schichte, einen kurzen Text, ein Zitat aus. Wertedie Vorlage aus und stelle das dort angespro-chene politische Problem vor. Nimm Stellungdazu. Lege Deine Vorlage der Arbeit bei.

Erörterung, Kommentar, Reportage, Umfrage,Wandzeitung, Facharbeit

5. Müssen Menschen streiten?

6. Macht Macht korrupt?

Das Superwahljahr ein Streß für alle?

8. Risiko Droge gegen die Öde des Alltags.

9. Pressefreiheit Freibrief für alles?

Freies Thema

Welches politische Problem brennt Dir am mei-sten auf den Nägeln? Grenze es ein und stelle esin einer der aufgezählten Formen dar: Dialog, Ge-dicht, Kurzgeschichte, Sketch, Kommentar,Brief, Briefwechsel, Flugblatt, Plakat.

Was gibt es zu gewinnen?

Zwei Drittel aller Arbeiten erhalten einen Preis. Förderpreis des Landtags für herausragende Ar-

beiten im Wert bis zu DM Einwöchige Studienfahrt mit Vorbereitungssemi-

nar nach Brüssel für rund 50 Erste Preisträgerin-nen und Preisträger.Empfang durch den Landtagspräsidenten und dieLandesregierung.

Über 1000 Buchpreise. Dreitägige Reise für die besten Sonderschülerin-

nen und Sonderschüler. Empfang durch den Landtagspräsidenten.

KOMM HERAUS MIT!

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Themen der nächsten Hefte:

Mobilität

Recht und Gesellschaft

LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHEBILDUNG BADEN-WÜRTTEMBERG

Stafflenbergstraße StuttgartTelefon 07 53-0, Telefax 07 53-496

Durchwahlnummern:

Direktor: Siegfried Schiele -385Assistenz: Sabine Keitel -387Öffentlichkeitsarbeit: Joachim Lauk -484

Abteilung Verwaltung (Klaus Jentzsch)F a c h r e f e r a t e

Partnerfragen: Klaus Jentzsch -379Organisation und Haushalt: Jörg Harms -383

*** Haus auf der Alb: Erika HöhneBad Urach 0 71 EDV Stuttgart: Wolfgang -492

Bad Urach: Siegfried Kloske, 0

A b t e i l u n g A d r e s s a t e n ( N . N . , s t e l l v . D i r e k t o r )F a c h r e f e r a t e

Erwachsenenbildung: Gudrun Moritz -381Frieden und Sicherheit: Wolfgang HesseBad Urach 0 71 Lehrerfortbildung: N. N. -390Schule, Hochschule, Reinhard Gaßmann -373, Ass. Monika Greiner -373Außerschulische Jugendbildung: Wolfgang Berger -369Öffentlicher Dienst: Eugen Bad Urach 0 71

Abteilung Schwerpunkte (Konrad Pflug)F a c h r e f e r a t e

*Dr. Angelika Hauser-Hauswirth -392Frauenbildung: Christine Herfel -487Zukunft und Entwicklung: Gottfried BöttgerBad Urach 0 71 Ökologie: Dr. Markus HugBad Urach 0 71 Freiwilliges Ökologisches Jahr: Konrad Pflug -494Deutschland und Europa: Bruno Zandonella -488Massenkommunikation und Medienpädagogik: N. N.

A b t e i l u n g I V P u b l i k a t i o n e n ( P r o f . D r . H a n s - G e o r g W e h l i n g )F a c h r e f e r a t e

Wissenschaftliche Publikationen:P r o f . D r . H a n s - G e o r g W e h l i n g -371Redaktion ,,Politik und Unterricht“: Otto Bauschert -380

Redaktion ,,Deutschland und Europa“:Dr. Walter-Siegfried -380Didaktik politischer Bildung: Siegfried Frech -482Dokumentation: Dr. Dietmar Gohl -485Arbeitshilfen: Werner Bad Urach 0 71

Abteilung V Regionale Arbeit (Hans-Joachim Mann)F a c h r e f e r a t e

Außenstelle Freiburg: Michael WehnerFreiburg 07 90 24Außenstelle Heidelberg: Dr. Ernst Heidelberg 0 62 06 15Außenstelle Stuttgart: Hans-Joachim MannStuttgart 07 53-375Außenstelle Tübingen: Rolf MüllerTübingen 0 70 00 29 96

DienststellenZentrale in Stuttgart s. 0.* 70184 Stuttgart, Stafflenbergstraße 16

Telefax 07 53-483** 70178 Stuttgart, Hauptstätter Straße 112

Telefax 07 40 01 92*** Haus auf der Alb, Hanner Steige 1

72574 Bad Urach, Tel. 0 71Telefax 0 71 100

Außenstelle Freiburg, Friedrichring 29,79098 Freiburg, Tel. 07 90 24, Telefax 07 70 41Außenstelle Heidelberg, Friedrich-Ebert-Anlage 22-24,69117 Heidelberg, Tel. 0 62 06 15, Telefax 0 62 15 10(Postfach 10 37 Heidelberg)

Stuttgart, Stafflenbergstraße 38,70184 Stuttgart, Tel. 07 53-3 74, Telefax 07 53-4 96Außenstelle Tübingen, Herrenberger Straße 36,72070 Tübingen, Tel. 0 70 00-29 96, Telefax 0 70 00-29 93

B i b l i o t h e k e nBibliothek/Mediothek Haus auf der AlbBad Urach, Gordana Schumann, 0 71

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