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MANAGEMENT DES AKUTEN KORONAREN SYNDROMS IM RETTUNGSDIENST DORTMUND PRÄKLINISCHE LYSE U. Schniedermeier / H. Lemke Schulungsskript für Notärztinnen / Notärzte 2. Auflage 2006 SOFORT. VOR ORT.

MANAGEMENT DES AKUTEN KORONAREN SYNDROMS IM … · VES Ventrikuläre Extrasystole VWI Vorderwandinfarkt. 8 2. NOMENKLATUR Das Verständnis der Pathogenese des Koronarverschlusses

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MANAGEMENT DES AKUTEN KORONAREN SYNDROMSIM RETTUNGSDIENST DORTMUND

PRÄKLINISCHE LYSE

U. Schniedermeier / H. Lemke

Schulungsskript für Notärztinnen / Notärzte

2. Auflage 2006

SOFORT. VOR ORT.

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DAS WICHTIGSTE ZUERST

Diagnose des akuten MyokardinfarktesSymptomatikTypischer Infarktschmerz: anhaltend, nicht abhängig von Bewegungen oder Atem-exkursionen, eher drückend, ziehend, brennend, dumpf. Lokalisation: links thorakal, retrosternal mit möglicher Ausstrahlung in den linken Arm / Schulter, Hals / Unterkiefer, Oberbauch. Schmerz ist nicht durch Druck auslösbar.12-Kanal-EKG (möglichst früh, spätestens innerhalb von 10 min ableiten)ST-Streckenhebung ≥ 0,1 mV in ≥ 2 zusammenhängenden Extremitäten und / oder ≥ 0,2 mV in ≥ 2 zusammenhängenden Brustwandableitungen.Frisch aufgetretener Linksschenkelblock (QRS > 0,12 sec)

NotfallbehandlungNasale Sauerstoffgabe, von 4–8 l/min, unterstützend, unabhängig von aktueller Sauerstoffsättigung.Aspirin i.v. (500 mg), Heparinbolus (max. 4000 IE).–Blocker, besonders bei erhöhten Blutdruckwerten und Tachykardien. Bei Tachy-kardie laut Leitlinien (5) (trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherz-insuffizienz) ein langwirksamer –Blocker (z. B. Metoprolol 5 mg langsam i.v.). Glyceroltrinitrat (0,4–0,8 mg s.l) bei einem ausreichenden systolischen Blutdruck als Kapsel oder Spray (1 Hub = 0,4 mg) (Cave: höhergradiger AV-Block). Nitrate können in wiederholten Dosen bis zum Therapieeffekt titriert werden.Analgesie mit Morphin (3–5 mg i.v., ggf. wiederholt bis Schmerzfreiheit) senkt myokardialen Sauerstoffverbrauch und führt zur Senkung der Vorlast. Die begleiten-de sedierende Wirkung macht meist eine zusätzliche Gabe von Sedativa unnötigFibrinolyseAuflösen der Metalyse, gewichtsadaptiert, mit Substanzmenge nach geschätztem Körpergewicht (Skala auf der Spritze) Bolusgabe als rasche Injektion (ca. 10 sec), Zeitpunkt der Gabe auf dem Protokoll notieren!Monitoring der ST-Elevation und Dokumentation bei Rückbildung der Hebung

Kontraindikationen 1. Ischämischer Hirninfarkt innerhalb der letzten 2 Monate 2. Hirnblutung, intrakranieller Tumor, zerebrale arteriovenöse Malformation,

zerebrale Aneurysmen in der Anamnese 3. ZNS OP oder SHT innerhalb der letzten 2 Monate, 4. persistierende unkontrollierte Hypertonie > 180 / 110 mmHg 5. Aktive innere, gastrointestinale oder urogenitale Blutung 6. Blutung aus nicht kompressiblen Gefäßen 7. hämorrhagische Diathese 8. Aortendissektion 9. Akute Endokarditis / Sepsis 10. Akute Pankreatitis 11. Neoplasie mit erhöhtem Blutungsrisiko 12. Schwere Lebererkrankung(Relativ):13. Ischämischer Hirninfarkt oder TIA vor mehr als 2 Monaten14. Kardiopulmonale Reanimation mit Rippen / Sternumfraktur15. Proliferative diabetische Retinopathie16. Schwangerschaft und erste Woche post partal17. i.m. Injektion vor < 24 Stunden18. Antikoagulanzientherapie (Marcumar)

„Achtung: Diese Liste weicht ab von den Leitlinien der ESC* bzw. der Fachinformation von Metalyse.“

*Van de Werf, 2003 (3).

Die Autoren sind für den Inhalt dieser Broschüre verantwortlich. In jedem Fall sind die Fachinformationen der empfohlenen Medikamente zu konsultieren.

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VORWORT ZUR 2. AUFLAGE 2006

Seit 3 Jahren steht dem Notarzt im Rettungsdienst Dortmund die Option der prähos-pitalen Lysetherapie beim STEMI zur Verfügung. Seither wurden etwa 120 Lysen beim Infarkt durchgeführt. Es ist an der Zeit, die gewonnenen Erfahrungen in eine aktuali-sierte Fassung des Schulungsskriptes einfließen zu lassen. Die aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in der Fassung von April 2004 werden erläutert und ein Kapitel mit aktuellen Fallbeispielen schlägt den Bogen zur täglichen Praxis des Notarztes.

Das Wichtigste beim Management des akuten Koronarsyndroms ist, dass es ein zwi-schen Rettungsdienst und Klinik abgesprochenes Konzept gibt. Dem Rettungsdienst kommt dabei eine richtungsweisende Schlüsselrolle zu. Die richtige Diagnose anhand des sofort abgeleiteten 12-Kanal-EKGs gestellt, stellt die Weichen für die folgende opti-male Revaskularisationsstrategie! Das Abwägen von Einschlusskriterien und Kontra-indikationen im Rahmen der regional abgesprochenen Vorgaben führt den Notarzt zur geeigneten Strategie. Die Verfahren der sofortigen prähospitalen Thrombolyse und der PTCA des Infarktgefäßes ergänzen sich!

In Dortmund wurde in Kooperation mit den beiden kardiologischen Kliniken, die jeweils eine 24-stündige PTCA Bereitschaft sicherstellen, ein tragfähiges Konzept entwickelt. Dieses soll exemplarisch vorgestellt werden. Je nach regionalen Gegebenheiten sind Abänderungen der Einschluss und Ausschlusskriterien sinnvoll.

Der Nekroseverlauf ist ein zeitabhängiger Vorgang. Je früher es gelingt, ein Infarktgefäß zu rekanalisieren, umso geringer ist der myokardiale Schaden und damit die Letalität und Morbidität des Patienten.

Dem Notarzt stehen mit dem 12-Kanal-EKG und der typischen Beschwerdesymptomatik alle notwendigen diagnostischen Instrumente zur Verfügung, um einen ST-Strecken-hebungsinfarkt (STEMI) sicher zu erkennen.

Für die Rekanalisation kommen zwei Verfahren in Frage. Gelingt es laut den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, den Patienten innerhalb von 90 Minuten („contact-to-balloon“) ins Herzkatheterlabor zu transportieren und mittels Akut-PTCA das Gefäß zu eröffnen, ist die Intervention vorzuziehen (5). Besonders bei älteren Patienten mit längerer Symptomdauer ist dieses Verfahren sicher von Vorteil. Die Thrombolyse ist in der Frühphase des Infarktes besonders wirksam (5) und als präklinische Lyse vor allem zu erwägen, wenn der Infarkt erst kurz besteht (< 3 Stunden), keine Kontraindikationen für eine Lyse bestehen und der Zeitverlust bis zur Akut PTCA groß ist. Der maximale durch eine PCI bedingte Zeitverlust im Vergleich zum Beginn der Fibrinolyse („Netto-Zeitverlust“) darf 90 Minuten nicht überschreiten (5).

Aufgrund eigener Erfahrungen summiert sich der Zeitverlust zwischen Ankunft des Arztes und PCI durch die Anamnese, Untersuchung, Erstversorgung, Treppenhaustransport, Fahrzeit zum Krankenhaus und schließlich die intrahospitale Verzögerung oft auf 60–90 min. Die eigenen Erfahrungen im Rettungsdienst Dortmund decken sich mit den Erfahrungen in anderen Großstädten. Im ländlichen Bereich mit geringer Dichte an Herz-katheterplätzen wird diese Zeit häufig deutlich überschritten.

Im Rettungsdienst Dortmund konnten wir durch die Einführung des 12-Kanal-EKGs, die Schulung aller Notärzte und Qualitätssicherungsmaßnahmen die Versorgung von Patienten mit Myokardinfarkt weiter verbessern. Neben der Option der präklinischen Thrombolyse erfolgt die Zuweisung zur invasiven Kardiologie nun gezielter.

Durch die Einbeziehung der kardiologischen Kliniken (Prof. Lösse, Klinikum Dortmund gGmbH; Prof. Heuer, Johanneshospital Dortmund) bereits in der Planungsphase konnte eine breite Akzeptanz erreicht werden.

Die Frucht unserer Arbeit ist ein Konzept zum Management des kardialen Thorax-schmerzes, welches in diesem Skript zusammengefasst ist. Es ist die Grundlage für die Schulung der Notärzte im Rettungsdienst Dortmund.

Wir wünschen allen Anwendern viel Erfolg beim Einsatz der kausalen Therapie des Myokardinfarktes.

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Für Rückfragen und Anmerkungen stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.

Dr. med. Udo SchniedermeierProjektleiter präklinische LyseStellv. Ärztl. Leiter RettungsdienstKnappschaftskrankenhausMedizinische KlinikWieckesweg 2744309 Dortmund

[email protected]

Dr. med. Hans LemkeÄrztlicher Leiter RettungsdienstFeuerwehrAbt. 37 / 2–3Steinstraße 2544122 Dortmund

[email protected]

Weitere Info´s finden sich auf www.notarzt-dortmund.de

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INHALT

Das Wichtigste zuerst 3

Vorwort 4

1. Abkürzungsverzeichnis 7

2. Nomenklatur 8

3. Pathophysiologie des akuten Koronarverschlusses 10 • Pathogenese des Koronarverschlusses 10 • Komplikationen des STEMI 11

4. Präklinische Diagnose des akuten Myokardinfarkts 13 • Symptomatik 13 • Das 12-Kanal-EKG 14 – Grundlagen des EKGs 14 – Blockbild, Schrittmacher EKG 17 – Differenzialdiagnose der ST-Hebung 18 – Infarktkriterien im EKG 19 – Infarktkriterien 20 – Die präklinische EKG-Interpretation 21 – EKG-Beispiele 22 • Labordiagnostik, präklinisch sinnvoll? 23

5. Die Therapie des STEMI 24 • Basismaßnahmen und Primärtherapie 24 • Thrombolyse 25 • Woran kann man erkennen, ob die Lyse erfolgreich war? 26 • PTCA / Katheterintervention 26

6. Revaskularisationsstrategien nach den Leitlinien der DGK April 2004 28 • Der Faktor Zeit 29

7. Praktisches Management des ACS 31

8. Konzept Rettungsdienst Dortmund 32 • Einschlusskriterien präklinische Lyse 32 • Kontraindikationen präklinische Lyse 34 • Praktische Durchführung 35

9. Die Rescue-Lyse – immer sinnvoll? 36

10. Der rechtsventrikuläre Infarkt 37

11. Der kardiogene Schock 38

12. Fallbeispiele 36

13. Interpretation der EKG-Beispiele 40

14. Literaturverzeichnis 45

15. Anlagen: 46 • Indikations- und Kontraindikationsliste 46 • Checkliste „präklinische Lyse“ (Fassung 2005) 47 • EKG-Klebeschema 48 • Dortmunder Zuweisungskonzept bei kardialem Brustschmerz 49

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1. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ACS Acute Coronary Syndrome: Akutes Koronarsyndrom

aPTT aktivierte partielle Thromboplastin-Zeit

ASSENT Assessment of the Safety and Efficacy of a New Thrombolytic

CAPTIMComparaison de l’Angioplastie Primaire et de la Thrombolyse préhospitalière à la phase aiguë de l’Infarctus du Myocarde

CPR Cardio Pulmonary Resuscitation

DANAMI IIDanish Multicentre Randomized Trial on Thrombolytic Therapy versus Acute Coronary Angioplasty in Acute Myocardial Infarction

DGK Deutsche Gesellschaft für Kardiologie

ESC European Society of Cardiology

GUSTO Global Utilization of Streptokinase and t-PA for Occluded coronary arteries

HWI Hinterwandinfarkt

LSB Linksschenkelblock

MI Myokardinfarkt

NSTEMI Non ST Elevating Myocardial Infarction

PCI Percutaneous Coronary Intervention

PHL Prähospitale Lyse

PM Pacemaker

PRAGUEPrimary Angioplasty after transport of patients from General community hospitals to catheterization Units with / without Emergency thrombolytic infusion

PTCA Perkutane Transluminale Catheter Angioplastie

RCA Rechte Koronararterie

RIVA Ramus interventricularis anterior

SHT Schädel-Hirn-Trauma

STEMI ST Elevating Myocardial Infarction

TIA Transitorische Ischämische Attacke

TNK-tPA modifizierter tPA (Tenecteplase)

tPA tissue Plasminogen activator

UFH Unfraktioniertes Heparin

VES Ventrikuläre Extrasystole

VWI Vorderwandinfarkt

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2. NOMENKLATUR

Das Verständnis der Pathogenese des Koronarverschlusses hat sich in den letzten Jah-ren gewandelt. War früher der Begriff Herzinfarkt klar, aber etwas unscharf, werden heute die verschiedenen Erscheinungsformen des Myokardinfarktes enger gefasst und meist mit englischsprachigen Abkürzungen bezeichnet. Es ist deshalb wichtig, am Anfang die Begrifflichkeit zu klären:

Alle Zustände, die sich akut am Koronargefäß abspielen, werden als „Akutes Koronar-syndrom“ (ACS) zusammengefasst. Dies macht Sinn, da die Symptomatik zunächst dieselbe sein kann.

Aus wichtigen therapeutischen Gründen unterscheidet man den ST-Hebungsinfarkt (STEMI = ST elevating myocardial infarction), den Infarkt ohne ST-Hebungen (NSTEMI = Non ST elevating myocardial infarction) und die Instabile Angina.

Kommt es zu einem (später festzustellenden) Anstieg der herzspezifischen Troponine (I oder T) (als Zeichen einer myokardialen Zellmembranschädigung) sprechen wir vom Infarkt

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Abb. 1: nach C. W. Hamm: Akutes Koronarsyndrom (4).

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Präklinische oder prähospitale Lyse (PHL)

bezeichnet die Gabe des Thrombolytikums im Rettungsdienst am Einsatzort

Stationäre Lyse ist die Thrombolyse in der Klinik

PTCA (percutane transluminale Koronarangioplastie) oder Ballondilatation

bezeichnet die Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes mittels Ballon-aufdehnung mit oder ohne Stent-implantation, allgemeiner deshalb auch perkutane Koronarintervention = PCI genannt)

Zu unterscheiden sind:

Facilitated PCI

(Kombination einer Fibrinolysetherapie mit einer Ballondilatation)

Akut-PCIBeginn mit intravenöser Lyse und sofort anschließende PCI

Frühe PCIPCI am 1. – 2. Tag nach einer Lysetherapie

Späte PCIPCI > 2. Tag nach einer Lysetherapie

„Rescue“ PCIPCI bei „ineffektiver“ Lysetherapie

Die primäre-Dilatation

(Ballondilatation als alleinige Therapie ohne zusätzliche Lyse)

An dieser Stelle sei auch kurz die Terminologie der verschiedenen Therapieverfahren beschrieben, vgl. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.

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3. PATHOPHYSIOLOGIE DES AKUTEN KORONARSYNDROMS

Pathogenese des KoronarverschlussesAuf einem aufbrechenden Plaque in einem Koronargefäß bildet sich ein Thrombus, der das Gefäßlumen verschließen kann.

Abb. 2: Entstehung eines Koronarthrombus.

Plaque-Fissur / -Ruptur

Thrombozyten-Adhäsion

Thrombozytenaktivierung und -aggregation

Thrombotischer Verschluss

Pathogenese des Koronarverschlusses

Kommt es zu einem partiellen Verschluss, zeigt sich klinisch eine instabile Angina pecto-ris oder ein nicht transmuraler Myokardinfarkt. Im EKG können sich ST-Senkungen oder T-Wellenveränderungen in Form von gleichschenkeligen (terminalen) T-Negativierungen im Versorgungsbereich des betroffenen Gefäßes zeigen. Als Prognosemarker ist hier das Troponin wegweisend. Laut den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sind Patienten mit ACS und folgenden Merkmalen als Risikopatienten für Tod / Myokardinfarkt innerhalb von 30 Tagen einzustufen und erfordern eine invasive Abklärung:

• Troponin T- oder Troponin I-Erhöhung,

• ST-Senkung (> 0,1 mV) im EKG,

• Hämodynamische Instabilität (z. B. Schock),

• Rhythmusinstabilität,

• Diabetes mellitus.

Die invasive Abklärung sollte spätestens innerhalb von 24–48 Stunden erfolgt sein.

Kommt es zu einem kompletten Verschluss, entsteht ein transmuraler Infarkt, der sich (meist) durch typische ST-Streckenhebungen im Versorgungsbereich des Gefäßes zeigt. Die Thoraxschmerzen halten oft länger als 15 Minuten an und lassen sich in der Regel nicht oder nur unzureichend durch Nitrogabe bessern.

In Studien ist belegt, dass eine möglichst rasche Rekanalisierung des Infarktgefäßes die Letalität und Morbidität reduziert.

Die Infarktlokalisationen werden im EKG-Kapitel dargestellt.

11

Abb. 3: nach Arntz, 2003. Wavefront-Phänomen (8).

Nach einer initialen funktionellen Störung breitet sich die Nekrose (in Abhängigkeit vom Ausmaß der Kollaterali-sierung) rasch von innen nach außen aus und erreicht ihr Maximum in der Regel innerhalb weniger Stunden.

15 Minuten

40 Minuten

3 Stunden

≥ 6 Stunden

Normal

Ischämie

Nekrose

Beim vollständigen Verschluss eines Kranzgefäßes entsteht zeitabhängig eine Nekrose im entsprechenden Versorgungsgebiet. Die vorbestehende Kollateralisierung, die Lokalisation der Stenose im Koronargefäß und der Versorgungstyp (Linksversorgungstyp mit überwiegender Versorgung über die linke Koronararterie, Rechtsversorgungstyp mit überwiegender Versorgung von rechts und ausgeglichener Versorgungstyp) ist für die Nekrosegröße maßgeblich. Bereits nach 30 min treten erste Nekrosen im Innenschichtbereich auf. Nach 3 Stunden sind etwa 70 % des Infarktgebietes bereits irreversibel nekrotisch (s. Abb. 3). Je früher die Wiedereröffnung in der frühen Phase gelingt, um so mehr Myokard kann gerettet werden.

Komplikationen des STEMIRhythmusstörungen: Mit einer besonderen Häufung in der frühen Phase (höchste Letalität) kann jeder Infarkt durch bradykarde oder tachykarde Rhythmusstörungen kom-pliziert werden. Die elektrische Instabilität des ischämischen Myokards im Randbereich der Nekrose kann zu höhergradigen ventrikulären Störungen (VES, Couplets, kurze Kammertachykardien) bis hin zum Kammerflimmern führen. Dies macht einen Großteil der hohen präklinischen Letalität aus.

Eine Leitungsunterbrechung durch eine Ischämie im Reizleitungssystem kann AV-Blockie-rungen unterschiedlichen Ausmaßes hervorrufen. Bei Beteiligung der AV-Knotenarterie beim Hinterwandinfarkt kann es in 10–15 % der Fälle zu AV-Blockierungen kommen. Prognostisch ungünstigere tiefere AV-Blockierungen können bei Beteiligung des RIVA (Ramus interventrikularis anterior), also beim Vorderwandinfarkt auftreten.

Je nach Ausdehnung und Dauer der Ischämie kann es zu linksventrikulären Funk-tionsstörungen bis hin zum kardiogenen Schock kommen. Eine sehr frühe Revasku-larisation kann der Entwicklung des Schocks vorbeugen. Die hohe Letalität des kardiogenen Schocks kann nur durch eine möglichst rasche und möglichst vollstän-

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dige Wiedereröffnung des Infarktgefäßes positiv beeinflusst werden. Anzustreben ist möglichst der unmittelbare Transport in ein Interventionszentrum mit ggf. vorheriger präklinischer Lyse (Vgl. Fallbeispiel). Laut den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ist bei Patienten im kardiogenen Schock (bis 36 Std. nach Infarktbeginn) eine interventionelle Behandlung auch bei längeren Transportzeiten die bevorzugte Behandlungsmethode.

Durch eine Nekrose von Teilen eines Papillarmuskels kann es zu einer akuten Mitral-insuffizienz durch eine Dysfunktion des Muskels oder einen Sehnenfadenabriss kom-men.

Kommt es zu einer Perforation der Nekrose, kann, je nach Lokalisation, ein akuter Links Rechts Shunt (Septumperforation) oder eine Ventrikelruptur mit Herzbeuteltamponade auftreten. Das Risiko besteht besonders bei großen Infarkten in den ersten Tagen, wenn die Nekrose noch weich ist.

Kommt es zu einer Aussackung der entstandenen Narbe im Ventrikel entsteht ein Aneurysma der Herzwand; die Komplikationen können neben der Beeinträchtigung der Pumpfunktion auch Rhythmusstörungen (ausgelöst in der Randzone) oder die Bildung von linksventrikulären Thromben sein, die wiederum kardiale Embolien auslö-sen können.

Bei 30–40 % der Hinterwandinfarkte liegt eine rechtsventrikuäre Beteiligung vor. Die rechtsventrikuläre Funktionsstörung kann zu einem kritischen Abfall des Herzzeitvolumens führen.

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Beim akuten Koronarsyndrom weist das EKG nur in etwa 50 % der Fälle typische Veränderungen auf. Ein unauffälliges EKG bedeutet also nie, dass eine kardiale Genese ausgeschlossen ist!

Die Treffsicherheit der Kombination aus 12-Kanal-EKG und typischer Symptomatik liegt beim STEMI allerdings bei > 95 % (auch prähospital). Diese Sicherheit ist bei der präkli-nischen (Notärzte aus verschiedenen Fachbereichen) und klinischen Interpretation nicht unterschiedlich! Der geschulte Notarzt kann die richtige Diagnose bereits vor Ort stellen und nimmt insofern eine Schlüsselstellung im Management des STEMI (ACS) ein.

Symptomatik Es gibt einerseits Infarkte, die untypische Thoraxschmerzen bereiten (eine junge Frau beklagte lediglich Schmerzen in der rechten Schulter), auf der anderen Seite können auch nichtkardiale Erkrankungen „typische“ Infarktschmerzen auslösen. Insbesondere ist hier an das dissezierende Aortenaneurysma oder die Lungenembolie zu denken.

Die falsch positive Kombination aus einem typische Infarkt EKG und einer typischen Klinik kommt praktisch extrem selten vor!

4. PRÄKLINISCHE DIAGNOSE DES AKUTEN MYOKARDINFARKTS

Abb. 4: Schema: Schmerzausstrahlung beim Infarkt.

Schema Schmerzausstrahlung beim Infarkt

Der typische Infarktschmerz ist anhaltend, nicht abhängig von Bewegungen oder Atemexkursionen, eher drückend, ziehend, brennend, dumpf. Die Lokalisation ist links thorakal, retrosternal mit einer möglichen Ausstrahlung in den linken Arm / Schulter, Hals / Unterkiefer, Oberbauch. Der Schmerz ist nicht durch Druck auslösbar.

Dies soll nur als Anhalt dienen, Abweichungen gibt es in großer Zahl, sie sind auch vom Empfinden und der Differenzierungs- und Mitteilungfähigkeit des Patienten abhängig.

Untypische Schmerzen sind stechend oder reißend, genau auf einen kleinen Bereich lokalisiert, auf Druck und Bewegung auslösbar.

Blutdruck, Puls, Herzrhythmus können beim akuten Infarkt völlig unauffällig sein!

Die kardiale Anamnese kann selbstverständlich bei Neumanifestation leer sein und ist dann wenig hilfreich. Bei Patienten mit Infarkten in der Vorgeschichte kann ein Vergleich der jetzigen mit den damaligen Beschwerden hilfreich sein. Erstaunlich ist, dass der

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Umstand, schon einmal einen Infarkt erlebt zu haben, die Patientenentscheidungszeit bis zum Notruf eher verlängert. Die Familienanamnese zu kardialen Erkrankungen ist allenfalls ein Hinweis auf ein erhöhtes individuelles Risiko, in der Akutsituation hilft es jedoch eher wenig.

Das 12-Kanal-EKGBei der Vielzahl von Patienten mit Brustschmerz im Rettungsdienst ist es für die Prog-nose entscheidend, die STEMI-Patienten sehr früh zu erkennen und einer richtigen, leitlinienkonformen Therapie zuzuführen. Allein das Schreiben des prähospitalen 12-Kanal-EKGs verkürzt die Zeit bis zur Eröffnung des Infarktgefäßes erheblich (prä-zise Voranmeldung verkürzt die door-to-balloon Zeit; Möglichkeit der präklinischen Thrombolyse). Das Nichterkennen führt u. U. zu einer nicht akzeptablen Verzögerung durch notwendige Sekundärtransporte bei primärer Anfahrt der falschen Zielklinik ohne Interventionsmöglichkeit.

Das 12-Kanal-EKG ist die Basisdiagnostik des kardialen Brustschmerzes und gehört wie das Blutdruckmessen an den Anfang der Diagnostik.

Grundlagen des EKGs

Diese Ausführungen ersetzen nicht einen EKG-Kurs, wenn man die kompletten differenzialdiagnostischen Möglichkeiten des EKGs nutzen will. Die dargestellten Grundkenntnisse reichen aus, ein typisches Infarkt-EKG zu erkennen und von vergleich-baren EKG-Veränderungen zu unterscheiden.

Die P-Welle zeigt die Erregung der Herzvorhöfe, sie ist meist in den Ableitungen II oder V2 gut zu sehen. Zu einem Sinusrhythmus gehört eine regelmäßige P-Welle. Bei Vorhofflimmern lässt sich keine P-Welle abgrenzen, die QRS-Komplexe treten bei zufälli-ger Erregung unregelmäßig auf.

Die PQ-Zeit ist die Verzögerung der Reizleitung im AV-Knoten, damit die Vorhöfe ihre mechanische Kontraktion abgeschlossen haben, bevor die Kammern sich kontrahieren. Die PQ-Zeit sollte 0,12–0,2 sec betragen.

Die Q-Zacke ist die erste negative Zacke, sie zeigt den Beginn der Kammererregung an (ein Teil des basalen Septums).

Die R-Zacke zeigt die Erregung der Kammermuskulatur an, wegen der großen Muskelmasse ist ihr Ausschlag am größten. Die S-Zacke ist die nächste negative Zacke, sie gehört noch zur Kammererregung. Der QRS-Komplex soll nicht breiter als 0,12 sec sein. Zeigt sich eine Verbreiterung, ist dies ein Zeichen einer intraventrikulären Leitungsverzögerung (Schenkelblock). Kommt es zu einer Leitungsunterbrechung des lin-ken Tawaraschenkels, erreicht die Erregung zunächst den rechten Ventrikel und verzögert von dort aus die Muskulatur des linken Ventrikels. In den links präkordialen Ableitungen sieht man ein R (Muskulatur des rechten Ventrikels) und ein zweites R´ (Erregung des linken Ventrikels). Bei Vorliegen eines Schenkelblocks ist die Diagnose des Infarktes im EKG erschwert oder sogar unmöglich. Ein neu aufgetretener Linksschenkelblock kann aber, bei entsprechender Klinik, ein Infarktkriterium sein (weiteres s. unten). Die Breite des QRS-Komplexes kann man am Millimeterpapier des Druckers ablesen.

Schreibgeschwindigkeit 25 mm / sec 0,12 sec = 3 mm

Schreibgeschwindigkeit 50 mm / sec 0,12 sec = 6 mm

15

Die QT-Zeit ist frequenzabhängig zu beurteilen, eine Verlängerung kann bei bestimmten Erkrankungen, Medikamenten und Ischämien vorkommen und ein Hinweis auf drohen-de Rhythmusstörungen sein.

Die ST-Strecke zeigt die mechanische Kontraktion der Kammern. Die T-Welle zeigt die Erregungsrückbildung der Kammern.

Die 6 Extremitätenableitungen stellen die elektrischen Phänomene des Herzens in der Frontalebene dar. Der Cabrera-Kreis zeigt die Vektorrichtung der verschiedenen Ableitungen:

Einthoven:

I rechter Arm zu linken Arm (Seitenwand)

II rechter Arm zu linkes Bein (Hinterwand)

III linken Arm zu linkes Bein (Hinterwand)

Goldberger:

aVR rechter Arm zu linker Arm und linkes Bein

aVL linker Arm zu rechter Arm und linkes Bein (Seitenwand)

aVF linkes Bein zu linken Arm und rechter Arm (Hinterwand)

Wichtig ist die richtige Position der Kabel, da sonst Verpolungen die Interpretation unmöglich machen.

Rotes Kabel rechte Schulter (Hand) Gelbes Kabel linke Schulter (Hand) Grünes Kabel linker Unterbauch (Bein) Schwarzes Kabel rechter Unterbauch (Bein)

Mit dem 4-poligen Kabel können also durch unterschiedliche Verschaltung die 6 Extre-mitätenableitungen geschrieben werden. Sie erlauben eine Beurteilung der Hinterwand und der Seitenwand des Herzens.

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Der Cabrera-Kreis hilft auch bei der Bestimmung des Lagetyps. Die Ableitung mit dem größten positiven R-Ausschlag zeigt die Richtung des Lagetyps an.

Die Wilson-Ableitungen werden auf die linke Brustwand geklebt und erlauben eine Beurteilung der Vorderwand bis zur Seitenwand des Herzens. Die Standardposition der Elektroden richtet sich nach dem knöchernen Brustkorb, in der Anlage (Seite 48) ist ein Klebeschema zur Orientierung angefügt.

V1: 4. ICR re parasternalV2 : 4. ICR li parasternalV4: 5. ICR li medioclaviculärV6: 5. ICR li mittlere AxillarlinieV3: zwischen V2 und V4V5: zwischen V4 und V6

Die Hinterwand wird in den Ableitungen, deren Vektor nach caudal zeigt abgebildet (II, III, aVF) bei Ausdehnung auf die Lateralwand kann auch I und aVL, selten auch V5, V6 beteiligt sein. Die posteriore Hinterwand (s. Bild) zeigt sich in spiegelbildlichen Veränderungen in V1, V2.

Die Vorderwand bildet sich in den Brustwandableitungen V(1) 2–V6 ab. Ein eher anterio-septaler Infarkt reicht nach V(1)2, ein eher anteriolateraler Infarkt reicht nach V(5) 6, I, aVL.

Die Lateralwand bildet sich in den Ableitungen I, aVL, V5, V6 ab. Die folgenden Grafiken sollen die Orientierung erleichtern.

Abb. 5: Cabrera Kreis.

17

Abb. 6: a) Schematische Darstellung zur Differenzierung der Infarktlokalisation in inferior (oder diaphragmal) oder posterior (oder strikt posterior). Der posteriore Infarkt ist in den Brustwandableitungen spiegelbildlich in Ableitung V2 zu erkennen.

b) Schematische Darstellung zur Lokalisation der verschiedenen Vorderwandinfarkte.

Infarktlokalisation

a) b)

Lassen sich die EKG-Veränderungen keinem Herzareal zuordnen, ist Vorsicht geboten, möglich wäre z. B. eine Verwechslung der Ableitungskabel (ggf. Neuableitung) oder das Vorliegen einer Myokarditis (s. unten). Bei großen Infarkten zeigen sich spiegelbildliche Veränderungen (ST-Senkungen) in den gegenüberliegenden Ableitungen.

Blockbild, Schrittmacher EKG

Ist die Erregungsleitung eines Tawaraschenkels unterbrochen oder verlangsamt, wird das entsprechende Myokard verzögert über das Myokard der anderen Seite innerviert. Im EKG zeigt sich diese Verzögerung durch eine Verbreiterung des QRS-Komplexes. Oft finden sich zwei R-Zacken (R und R´), sodass der QRS-Komplex die Form eines M haben kann. Befindet sich der R – R´-Komplex rechts (Abl. V1, V2) liegt ein RSB vor, befindet er sich links (V5, V6) liegt ein Linksschenkelblock vor. Das Blockbild heißt inkomplett, wenn die QRS-Breite < 0,12 sec beträgt und komplett, wenn sich eine Verbreiterung auf > 0,12 sec zeigt. Die Breite des Komplexes lässt sich auf dem Millimeterpapier des EKG-Schreibers ablesen. Bei der eingestellten Schreibgeschwindigkeit von 25 mm/s entspricht 0,12 sec einer Strecke von 3 mm.

Da beim kompletten Schenkelblock (insbesondere Linksschenkelblock) durch die dazu-gehörenden Erregungsrückbildungsstörungen die Infarktdiagnose erschwert, bzw. nicht möglich ist, gilt für die präklinische Lyse im Rettungsdienst Dortmund jeder Schenkel-block als infarktuntypisches EKG mit Verzicht auf die Durchführung der Lyse. Laut Leitlinien der DGK ist dennoch ein LSB mit infarkttypischer Symptomatik ein Hinweis auf einen transmuralen Infarkt. In Abhängigkeit von den jeweiligen regionalen Konzepten kann, insbesondere bei fehlender Option der Akut-PTCA, eine Fibrinolyse durchgeführt werden. Gemäß Metalyse Fachinformation ist die Lyse bei Verdacht auf einen akuten Infarkt auch bei neu aufgetretenem LSB indiziert.

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Wie in der Metalyse-Fachinformation beschrieben, ist ein neu aufgetretener Links-schenkelblock mit infarkttypischer Symptomatik ein Kriterium für einen akuten trans-muralen Infarkt. Wir können präklinisch jedoch in der Regel nicht entscheiden, ob das Blockbild bereits bestand. Bei typischer Klinik für einen Infarkt unterbleibt des-wegen im Rettungsdienst Dortmund zwar aus Sicherheitsgründen die (präklinische) Lyse, der Patient sollte jedoch unter der Annahme eines möglichen Infarktes in ein Interventionszentrum gefahren werden.

Schrittmacher-EKGs sind nicht immer einfach zu erkennen. Manchmal sieht man vor dem QRS-Komplex (oder vor der P-Welle) einen schmalen kleinen Strich, der einem Schrittmacherspike entspricht. Bei bestimmten Einstellungen des Schrittmachers ist der Spike jedoch schlecht oder gar nicht wahrnehmbar. Da die Schrittmacherstimulation über eine Sonde im rechten Ventrikel erfolgt, sehen Schrittmacheraktionen im EKG wie ein Linksschenkelblock aus und würden somit den oben genannten Kriterien entspre-chen, was im Rettungsdienst Dortmund bedeutet, auf die Option der Lyse zu verzich-ten. Hat ein Schrittmacherpatient einen schmalen QRS-Komplex, hat er (z. Zt.) einen Eigenrhythmus und das EKG ist auch für die Infarktdiagnostik verwertbar.

Differenzialdiagnose der ST-Hebung

Verschiedene Erkrankungen und Normvarianten können im Oberflächen-EKG ST-Hebungen verursachen. Der mit Abstand häufigste Grund dafür ist der ischämische transmurale Herzinfarkt. In diesem Kapitel sollen die Differenzialdiagnosen und die Abgrenzungsmöglichkeiten zum Infarkt dargestellt werden.

Die Perimyokarditis zeigt aufgrund der Außenschichtschädigung eine ST-Hebung, die jedoch meist aus der S-Zacke hervorgeht und nicht, wie beim Infarkt, aus dem absteigenden Schenkel der R-Zacke. Die Schmerzcharakteristik ist meist stechend und gelegentlich durch Atemexkursionen zu verstärken, kann aber auch dem Infarktschmerz ähneln. Die EKG-Veränderungen finden sich üblicherweise in vielen, nicht selten allen EKG-Ableitungen und lassen sich somit nicht einem Infarktareal zuordnen.

Ein Herzwandaneurysma, vor allem ein Vorderwandaneurysma, kann ebenfalls ST-Hebungen verursachen, die sich dann auch über dem damaligen Infarktareal zeigen (z. B. typische Hebungen mit Verlust der R-Zacke über der Vorderwand). Bei neuerlichen

Fazit: QRS über 3 mm: im Raum Dortmund keine (präklinische) Lyse!

Abb. 7: EKG LSB.

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typischen Beschwerden ist dies sicher schwierig oder gar nicht von einem möglichen Reinfarkt in diesem Bereich zu unterscheiden. Fehlen typische Beschwerden, so fehlt auch ein wichtiges Kriterium für die Diagnose des STEMI.

Die Prinzmetal-Angina ist ein vasospastischer Verschluss eines Herzkranzgefäßes. Die Symptomatik entspricht der typischen Angina pectoris und es zeigen sich typische ST-Hebungen im EKG. Somit ist dieser Zustand zunächst nicht vom STEMI durch einen thrombotischen Verschluss zu unterscheiden. Oft verschwindet der Vasospasmus spon-tan, der Patient ist (ohne spezifische Therapie) schlagartig beschwerdefrei und das EKG-Bild normalisiert sich. Meist entsteht der Spasmus in Gefäßen, die eine höhergradige Koronarstenose aufweisen. Die vasospastische Angina ist selten! Bei typischer Klinik und typischem EKG wird man die Diagnose eines STEMI stellen und ggf. präklinisch lysieren. Zeigt sich später ein offenes, stenosiertes Gefäß, wird es sich in den allermeis-ten Fällen um eine erfolgreiche Lyse handeln! An das Vorliegen einer Prinzmetal-Angina sollte man denken, wenn die Angina pectoris schlagartig verschwindet und das Kontroll-EKG dann unauffällig ist.

Das Aneurysma dissecans der thorakalen Aorta bietet eine Schmerzcharakteristik, die eher reißend und zwischen die Schulterblätter ausstrahlend ist. Nur selten schildert der Patient einen thorakalen Druck, der an eine Angina pectoris erinnert. Das typische Infarkt-EKG fehlt, es finden sich gelegentlich unspezifische präterminale ST-Senkungen über der Hinterwand. In den seltenen Fällen, wenn die Dissektion in der Aorta ascen-dens beginnt und eine Koronararterie mit einschließt, zeigt sich aufgrund der Ischämie auch ein typisches Infarkt-EKG. Diese Konstellation ist jedoch glücklicherweise extrem selten. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn ein eher reißender Schmerz mit Ausstrahlung zwischen die Schulterblätter geboten wird.

Elektrolytstörungen, Digitalis(über)medikation, Contusio cordis, Pankreatitis und Lungen-embolien können mit EKG-Veränderungen einhergehen. Infarkttypische EKG-Verände-rungen finden sich jedoch in der Regel nicht und im Zusammenhang mit der Klinik ergeben sich hier kaum Abgrenzungsprobleme zum Infarkt.

Infarktkriterien im EKG

Durch den Verletzungsstrom der geschädigten Myozyten bilden sich im EKG reversible Erregungsrückbildungsstörungen. In den Ableitungen, deren Vektor ins Infarktgebiet zeigt (s. oben) zeigen sich Hebungen der ST-Strecke, die typischerweise aus dem abstei-genden Schenkel der R-Zacke entspringen (Katzenbuckel). Eine Hebung von 0,1 mV (1 mm) in den Extremitätenableitungen (I, II, III, aVL, aVF) und / oder 0,2 mV (2 mm) in den Brustwandableitungen (V1–V6) gilt als signifikant, wenn sie in zwei benachbarten Ableitungen auftritt. Der Begriff benachbart bezieht sich auf das ischämische Areal. Anhand der Zahl der betroffenen Ableitungen kann man in etwa die zu erwartende Infarktgröße abschätzen, das Ausmaß der ST-Hebung lässt keinen sicheren Rückschluss auf die Größe zu.

Die EKG-Ableitungen, die dem ischämischen Areal gegenüber liegen, können spie-gelbildliche Veränderungen (also ST-Senkungen) zeigen, bei großen Infarkten ist dies regelmäßig der Fall.

Zum Thema „Linksschenkelblock“ s. o.

Eine erfolgreiche Reperfusion führt zur Rückbildung der reversiblen EKG-Veränderungen (s. nächste Seite), dies kann sehr zuverlässig als Parameter für den Lyseerfolg gebraucht werden.

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Linksschenkelblock (LSB) – siehe Seite 17!

ST-Streckenhebung ≥ 0,1 mV in ≥ 2 zusammenhängenden Extremitäten und / oder ≥ 0,2 mV in ≥ 2 zusammenhängenden Brustwandableitungen

Zuordnung zu einem Gefäßversorgungsbereich

oder

Infarktkriterien

Im Verlauf des STEMI lassen sich weitere EKG-Bilder unterscheiden, die jedoch für die präklinischen Erfordernisse selten eine Rolle spielen.

In der sehr frühen Phase (bis zu 20 Minuten) kann sich ein hohes spitzes T im Ischämie-areal zeigen, man bezeichnet es als „Erstickungs-T“. Dieses EKG-Bild ist unspezifisch und somit für die Diagnose nur hinweisend. Durch den Verletzungsstrom zeigt sich dann die oben beschriebene ST-Hebung.

Im weiteren Verlauf senkt sich die Hebung ab und es bildet sich eine gleichschenke-lige spitz negative T-Welle als Ausdruck der abgelaufenen Nekrose. Mit zunehmender Ausbildung der Narbe entwickelt sich eine Q-Zacke und die R-Zacke reduziert sich je nach Verlust der Muskelmasse.

Normales EKG

Erstickungs-T

Frischer MI

Übergangsstadium

Alter Infarkt

Abb. 8: EKG-Verlauf Infarkt.

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Die präklinische EKG-Interpretation

Wie analysiert man als Notärztin / Notarzt ein präklinisches EKG mit dem Ziel der siche-ren Infarktdiagnose?

Hierzu ist es zunächst wichtig, das Schenkelblock-EKG zu erkennen. Der QRS-Komplex ist auf über 120 ms (0,12 sec) verbreitert. Im Millimeterpapier mit einer Schreibgeschwin-digkeit von 25 mm/s (Standardeinstellung präklinisches EKG) entspricht dies einer Breite von 3 mm.

Ist der QRS-Komplex breiter als 3 mm liegt ein Schenkelblock vor. Zum Vorgehen bei Schenkelblock s. oben.

Haben wir schmale (< 3 mm) QRS-Komplexe, ist die ST-Strecke zu analysieren. Findet sich eine katzenbuckelartige Hebung, die aus dem absteigenden Schenkel der R-Zacke entspringt, ist diese um ≥ 0,1 mV (Extremitätenableitung), bzw. ≥ 0,2 mV (Brustwandableitungen) gehoben, ist dies zumindest sehr verdächtig für das Vorliegen eines infarkttypischen EKGs (1 mV entspricht 10 mm). Lassen sich die Ableitungen mit den entsprechenden Hebungen einem Infarktareal zuordnen ( z. B.: II, III, aVF, oder V2–V6) und sind mindestens zwei benachbarte Ableitungen betroffen, ist das EKG als typisch zu werten. Bei gleichzeitiger typischer Klinik steht die präklinische Diagnose eines STEMI.

Bei Unsicherheiten in der Beurteilung sollte selbstverständlich die präklinische Lyse eher unterbleiben! Vielleicht gibt eine Nachbesprechung des EKG-Befundes für die Zukunft mehr Sicherheit.

12-Kanal-EKG

QRS-Breite

> 0,12 sec (3 mm)< 0,12 sec (3 mm)

ST-Analyse Untypisches EKG

ST-Hebung≥ 0,1 mV / ≥ 0,2 mV

KeineST-Hebung

Untypisches EKGLokalisation

Gefäß-versorgungstyp Untypisches EKG

Typisches EKG

Abb 9: Vorgehen bei der EKG-Interpretation im Rettungsdienst Dortmund.

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Labordiagnostik, präklinisch sinnvoll?Durch die Herzmuskelnekrose werden spezifische Proteine ins Blut freigesetzt.

Schnelltests stehen auch für die Präklinik zur Verfügung und erlauben den raschen qua-litativen Nachweis des Troponin I oder T.

Leider ist das Troponin erst 3–4 Stunden nach dem Ischämieereignis im Blut nachweis-bar, in der frühen Phase des Infarktes, in der die Lyse besonders gut wirkt, verwirrt ein (noch) negativer Test. Eine Lyse durchzuführen bei negativem „Herztest“, muss also zu Missverständnissen führen. Die Entscheidung zur Lyse sollte deshalb ausschließlich durch Klinik und EKG begründet sein.

Der Test erlaubt (wenn die Symptomatik länger als 3–4 Stunden besteht) auch für NSTEMI-Patienten eine Risikoeinschätzung. Eine Koronarintervention soll bei Patienten ohne ST-Streckenhebung, jedoch mit Troponinerhöhung (NSTEMI) spätestens inner-halb von 48 Stunde erfolgen (4). Um einen Verlauf darstellen zu können, benötigt die weiterbehandelnde Klinik einen quantitativen Troponin-Test, die bloße Info „Troponin positiv“ ändert zunächst nichts am klinischen Procedere. Sinn könnte eine präklinische Blutabnahme machen, um den Ausgangswert später bestimmen zu können.

Weitere Laborwerte beim Infarkt:

CK steigt nach 4 – 8 Stunden an, nicht herzspezifisch

CK MB steigt nach 4 – 8 Stunden an, herzspezifisch

LDH steigt nach 6–12 Stunden an, Maximum nach 24–26 Stunden

Troponin I / T steigt nach 3 – 4 Stunden an, streng herzspezifisch

EKG-Beispiele (Interpretation Seite 44)

Die vorgestellten EKG-Beispiele sind präklinische Ableitungen aus dem Rettungsdienst Dortmund, die Interpretation findet sich auf der Seite 44.

Beispiel 5

Beispiel 4

Beispiel 3

Beispiel 2

Beispiel 1

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5. DIE THERAPIE DES STEMI

Die möglichst schnelle Wiedereröffnung des Infarktgefäßes ist das vorrangige Ziel der Therapie des STEMI in den ersten Stunden. Daneben gilt es eine Ökonomisierung der Herzarbeit zu erreichen und Einfluss auf die Blutgerinnung zu nehmen. Die Möglichkeiten sind unterschiedlich, je nach regionalen Gegebenheiten und Absprachen können die Schwerpunkte unterschiedlich liegen.

Basismaßnahmen und PrimärtherapieDie Ableitung des 12-Kanal-EKGs gehört an den Anfang und sollte möglichst schnell erfolgen, möglichst vor den therapeutischen Maßnahmen. Nur so können Erregungs-rückbildungsstörungen als Hinweis auf eine Ischämie erfasst werden. Ist die Angina pectoris z. B. nach Nitrogabe vorüber, ist ein dann normales EKG diagnostisch ohne Aussagekraft. Die ST-Senkungen mit Angina pectoris, die nach Therapie verschwinden, geben hingegen einen wichtigen diagnostischen Hinweis auf die kardiale Genese der Schmerzen!

Die Gabe von Glyceroltrinitrat (0,4–0,8 mg s. l). ist bei ausreichendem systolischen Blutdruck als Kapsel oder Spray (1 Hub = 0,4 mg) zu erwägen (Cave: höhergradiger AV-Block). Nitrate können in wiederholten Dosen bis zum Therapieeffekt titriert werden. Glyceroltrinitrat wirkt antianginös, senkt die Vorlast und hat eine diagnostische Funktion (nitrorefraktäre Angina pectoris). Bei schwerer Linksherzinsuffizienz ist eine Infusion von 1–6 mg/h zu erwägen.

-Blocker sind antiischämisch wirksame Medikamente, besonders wenn erhöhte Blutdruckwerte und Tachykardien vorliegen. Bei Tachykardie wird laut Leitlinien (2) (trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherzinsuffizienz) ein langwirksamer -Blocker (z. B. Metoprolol 5 mg langsam i.v.) empfohlen.

Die nasale Sauerstoffgabe, von 4–8 l/min, ist unterstützend immer sinnvoll, unabhän-gig von der aktuellen Sauerstoffsättigung.

Die Analgesie mit Morphin (3–5 mg i. v., ggf. wiederholt bis Schmerzfreiheit) senkt den myokardialen Sauerstoffverbrauch und führt zudem zu einer Senkung der Vorlast. Die begleitende sedierende Wirkung macht meist eine zusätzliche Gabe von Sedativa unnötig.

Die Gabe eines Thrombozytenaggregationshemmers reduziert die Sterblichkeit nach Infarkt. Bei verlässlicher kontinuierlicher Gabe (anamnestisch) von ASS 100 als Dauermedikation ist diese Dosierung als ausreichend anzusehen. Im Rahmen einer Lyse mit Metalyse® sollte sobald die Diagnose Herzinfarkt gestellt wurde ASS i. v. 500 mg ver-abreicht werden. Die Dosis von Heparin variiert je nach Reperfusionsstrategie bzw. der zum Einsatz kommenden thrombolytischen Substanz. Laut ESC-Leitlinien (3) wird z. B. bei einer Lyse mit Metalyse als UFH-Begleittherapie (UFH = unfraktioniertes Heparin) ein i. v. Bolus von 60 U/kg (maximal 4000 U) empfohlen. „Laut Fachinformation von Metalyse wird bei Patienten mit einem Körpergewicht von < 67 kg die Reduktion des initialen Heparinbolus auf maximal 4000 U empfohlen. Eine anschließende kontinuier-liche Infusion von 800 U/h (< 67 kg), bzw. 1000 U/h (> 67 kg) wird für 48 h empfohlen. Die Ziel-aPTT ist 50–75 Sekunden, bzw. eine 1,5- bis 2,5-fache Verlängerung des Kontrollwertes.

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ThrombolyseDas Konzept des Auflösens des Blutgerinnsels, welches kausal für den Verschluss einer Koronararterie und somit des Herzinfarkts verantwortlich ist, wurde in den siebziger Jahren des letzten Jahrhundert entwickelt. Es war länger bekannt, dass bestimmte Enzyme aus Streptokokken in der Lage sind, Blutgerinnsel aufzulösen. Als erstes Medikament konnte die Streptokinase für die fibrinolytische Therapie des Herzinfarktes eingesetzt werden.

Mit dieser bahnbrechenden Entwicklung der Reperfusionstherapie konnte die Infarkt-sterblichkeit dramatisch gesenkt werden. Die Nachteile dieses aus Streptokokken stam-menden Enzyms wie indirekte Wirkung über einen Aktivator-Komplex, die Allergenität und die paradoxe Gerinnungsaktivierung schränkten den breiten klinischen Gebrauch stark ein.

Anfang der 80er Jahre wurde t-PA, der humane Plasminogen-Aktivator rein dargestellt und kurz darauf als eines der ersten gentechnisch hergestellten Produkte (rt-PA) kli-nisch geprüft und für die Behandlung des akuten Myokardinfarkts zugelassen. Aufgrund der identischen Struktur mit dem körpereigenen Plasminogen-Aktivator und der im Vergleich zu Streptokinase deutlich höheren Fibrinspezifität konnte dieses Medikament auch in klinischen Studien überzeugen und wurde damit zum Goldstandard in der Fibrinolysetherapie.

Allerdings war die Anwendung dieses 2. Generations-Fibrinolytikums im prähospitalen Bereich durch das 90-minütige Infusionsschema beschränkt. Aus diesem Grund wur-den dann Reteplase (eine Deletionsvariante von rt-PA mit längerer Halbwertszeit) und schlussendlich das 3. Generationsthrombolytikum Tenecteplase (Metalyse®) enwickelt. So stellt Tenecteplase (Metalyse® ) das einzige zugelassene Fibrinolytikum dar, welches als Einfachbolus innerhalb von 5 s appliziert werden kann. Auch konnte Tenecteplase (Metalyse®) als einziges Thrombolytikum in klinischen Studien zeigen, dass seine noch höhere Fibrinspezifität zu weniger schweren Blutungen bei Risikopatienten im Vergleich zum Goldstandard rt-PA führt.

Auch empfehlen die aktuellen Leitlinien der DGK den Einsatz von fibrinspezifischen Fibrinolytika wie rt-PA, r-PA und TNK, weil eine gegebenenfalls notwendige Notfall-PCI bei nicht erfolgreicher Thrombolyse mit weniger Blutungskomplikationen als mit Streptokinase verbunden ist.

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Die primäre PTCA sollte bevorzugt werden, wenn

• eine Symptomzeit von 2 (– 3) Stunden überschritten ist,

• Kontraindikationen gegen die Lyse vorliegen (das sind in der Regel keine KI gegen die PTCA),

• ein höheres Alter des Patienten vorliegt (erhöhtes cerebrales Blutungsrisiko; In Dortmund wird das biologisch 75. Lj. als Grenze gesehen),

• der Zeitverlust bis zur Durchführung der PTCA gering ist (weiteres s. unten,

• die mutmaßliche Zeit bis zur Wiedereröffnung des Gefäßes seit Erstkontakt mit dem Patienten beträgt < 90 min.

Woran kann man erkennen, ob die Lyse erfolgreich war?Die ST-Hebungen stellen reversible EKG-Veränderungen dar. Ist die Perfusion wieder hergestellt und die Nekroseausbreitung gestoppt, bilden sich die Hebungen zurück. In angiografisch kontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass ein Rückgang der ST-Hebung um mehr als 70 % mit einem vollständig eröffneten Gefäß korreliert. Bildet sich die Hebung um weniger als 30 % zurück, ist das Gefäß wahrscheinlich weiter ver-schlossen. Das EKG sollte 60–90 Minuten nach Beginn der (präklinischen) Lysetherapie abgeleitet werden. Bei Hinweis auf einen persistierenden Gefäßverschluss ist unmittelbar eine Rescue-PTCA anzustreben.

PTCA / KatheterinterventionDie primäre PTCA führt häufiger zur erfolgreichen Revaskularisation, die Reinfarktrate ist aufgrund der Beseitigung des malignen Plaques im Koronargefäß deutlich niedriger als bei der alleinigen Thrombolyse. Obwohl auch gerinnungsaktive Substanzen (GP- IIb /IIIa Blocker, Heparin) gegeben werden, treten Blutungskomplikationen seltener auf. Die Durchführung ist jedoch an die Verfügbarkeit eines erfahrenen Katheterlabors mit 24-stündiger Bereitschaft gebunden. Für einen Großteil der Bevölkerung Deutschlands ist ein Katheterlabor rund um die Uhr nicht primär erreichbar. Welcher Zeitverlust bis zur Durchführung der PTCA in Kauf genommen werden kann, hängt von der Dauer des Gefäßverschlusses, dem Komplikationsrisiko des Patienten und dem klinischen Zustand ab.

Durch eine präzise Voranmeldung des Patienten und genaue logistische Absprachen zwischen Präklinik und Kardiologie kann der unvermeidbare Zeitverlust in der Klinik („door-to-balloon“ Zeit) weiter reduziert werden.

In Dortmund führt die Voranmeldung „ST-Hebungsinfarkt“ zu einer Vorab-alarmierung des Katheterteams, sodass der Rettungsdienst das Katheter-labor oft direkt anfahren kann. Voraussetzung hierfür ist natürlich das Schreiben und die korrekte Interpretation des 12-Kanal-EKGs.

Durch das präklinische 12-Kanal-EKG kann wertvolle Zeit für das Myokard und damit für den Patienten gewonnen werden, auch wenn die regionale Revaskularisationsstrategie die PTCA vorsieht.

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Während die Lyse in der frühen Phase des Infarktes besonders gut wirkt, kann die PTCA noch bis zur 12. (24.) Stunde des Gefäßverschlusses erwogen werden.

Der Grund für den Vorteil einer späten Intervention (die Nekrose ist größtenteils abge-schlossen) liegt darin, dass bei einem wiedereröffneten Gefäß das Remodeling besser und das Myokard elektrisch stabiler ist.

In Ergänzung zur Lyse kann die PTCA als Rescue oder symtomgeleitete PCI notwen-dig sein. Nach erfolgreicher lytischer Wiedereröffnung des Infarktgefäßes wird das Fortschreiten der Nekrose gestoppt, der maligne Plaque bleibt aber bestehen, sodass die PTCA im Intervall durchgeführt werden muss, um einen Reinfarkt zu verhindern. Bei ineffektiver Lyse muss die PTCA als zweite Strategie unmittelbar durchgeführt werden, um das Gefäß doch noch zu eröffnen. Je nach Zeitpunkt der Lyse ist dies in 15–20 % der Fälle notwendig.

Nach einer Lyse mit den fibrinspezifischen modernen Thrombolytika kann ohne erhöh-tes Risiko eine Katheterintervention direkt angeschlossen werden, das Blutungsrisiko ist nicht erhöht!

Patienten mit Troponin-positivem akuten koronaren Syndrom haben ein erhöhtes Risiko einen STEMI zu entwickeln. Eine invasive Diagnostik und ggf. PTCA ist nach derzeitiger Studienlage im Zeitraum von 24–72 h sinnvoll. Diese Patienten können also (je nach Möglichkeit) primär in eine Klinik ohne Katheterlabor gefahren werden und bei posi-tivem oder ansteigendem Troponin sekundär, zum Beispiel am nächsten Morgen, zur Koronarangiografie mit evtl. anschliessender PTCA verlegt werden.

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6. REVASKULARISATIONSSTRATEGIEN NACH DEN LEITLINIEN DER DGK APRIL 2004

In Metaanalysen und klinischen Studien (z. B. DANAMI II) zeigt sich ein Vorteil für die primäre PTCA im Vergleich zur intrahospitalen Lyse, wenn die Endpunkte Reinfarkt, Schlaganfall und Tod zusammengefasst werden. Dabei wurde die Therapie zum Teil über eine Symptomzeit von bis zu 12 Stunden randomisiert und in einigen Studien noch Streptokinase verwendet. Untergruppenanalyse und weitere Studien, die eine Unter-scheidung nach der Symptomzeit vorsehen, zeichnen ein anderes Bild. In der Lyse-gruppe ist die Letalität am geringsten, je kürzer der Gefäßverschluss besteht (ASSENT 2, GUSTO, PRAGUE-2, CAPTIM). In der Gruppe bis 2 Stunden Symptomzeit der CAPTIM-Studie liegt die Letalität bei bis zu 2,5 %. In der PRAGUE-2 Studie zeigte sich kein Unterschied der Letalität zwischen Lyse und PTCA, wenn die Symptomzeit < 3 h war (der Zeitvorteil der präklinischen Gabe ist hierbei nicht berücksichtigt). Für die Wahl des Revaskularisationsverfahrens kommt es also entscheidend darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Intervention gestartet werden kann.

In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie vom April 2004 werden diese Daten berücksichtigt. Die Lyse ist in der frühen Phase des Infarktes (< 3 h) beson-ders wirksam und im Punkt Letalität der PTCA vergleichbar. Hier kommt es also auf ein besonders gutes Zeitmanagement an. „Time is muscle!“ Eine Übersicht von Boersma (14) zeigt, dass bei früher Therapie in der ersten Stunde bis zu 80 Leben pro 1000 behandelte Infarkte gerettet werden können.

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) unterstreicht die Schlüsselfunktion des Notarztes und die Notwendigkeit, ein 12-Kanal-EKG bereits präklinisch abzuleiten. Es sollen Netzwerkstrukturen aufgebaut werden mit dem Ziel, die verschiedenen Bereiche der Patientenversorgung ohne große Reibungsverluste zu verbinden.

Es ergeben sich 4 mögliche Strategien, in Dortmund wird ein Mix aus Strategie I und II durchgeführt.

Die verschiedenen Strategien richten sich im Wesentlichen nach den regionalen Gegebenheiten. Die Rolle der präklinischen Lyse ist dabei klar. Fehlt es an der Möglich-keit primär ein Katheterzentrum anzufahren, sollte die präklinische Lyse mit ähnlichen Einschlusskriterien wie eine klinische Lyse durchgeführt werden. Aber auch bei Verfüg-barkeit eines Katheterzentrums in der Nähe hat die präklinische Thrombolyse ihren Stel-lenwert! Dies gilt für Patienten, die ein niedriges Komplikationsrisiko bei maximalem Benefit aufweisen und vor allem vom Zeitvorteil profitieren.

Eine klare Empfehlung der DGK ist das Vorhalten eines modernen Thrombolytikums auf jedem notarztbesetzten Rettungsmittel, die DIVI unterstreicht in einem gemeinsamen Positionspapier diese Forderungen.

I: Primäre PTCA sollte vorgezogen werden, wenn die Zeit von möglicher präklini-scher Lyse bis zur Balloninsufflation im Katheterlabor 90 Minuten nicht über-schreitet. (Anmerkung: Die Dauer des Gefäßverschlusses sollte mit einbezogen werden, je kürzer die Symptomzeit, umso eher (vorher) die Lyse).

II: Durchführung der präklinischen Lyse und anschließend Transport in eine Klinik mit Katheterlabor, um eine frühe PTCA (oder Rescue-PTCA) zu ermöglichen.

III: Durchführung der präklinischen Thrombolyse und Transport in eine Klinik ohne Katheterlabor. Bei fehlender Verfügbarkeit bleibt sicher oft nur dieser Weg, es sollte aber eine Absprache getroffen sein, wie im Fall einer ineffektiven Lyse (persistierende Hebungen) eine Rescue-PTCA organisiert werden kann.

IV: Transport zur klinischen Lyse. Wenn dem Notarzt präklinisch keine Strukturen zur Verfügung stehen bleibt nur diese Option. Das Risiko einer präklinischen Lyse ist vergleichbar mit einer klinisch durchgeführten Lyse. Der Zeitverlust ist also nicht durch eine bessere Therapie gerechtfertigt.

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Wird der Transport zur primären PTCA erwogen, sind die Zeitverluste abzuschätzen. Präklinisch addieren sich folgende Zeiten:

• die Versorgungszeit des Patienten,

• der Transport zum RTW (ein aufwendiger Treppenhaustransport im Tragestuhl kann bis zu 20 Minuten bedeuten),

• die Fahrzeit bis zur Klinik.

Auch in einer Großstadt summieren sich diese Zeiten schnell auf 45 – 60 Minuten. Die reine Fahrzeit ist dabei oft der geringste Faktor!

Es ist wohl eher eine dynamische Einschätzung:

Je kürzer die Symptomzeit, je jünger der Patient und je geringer das individuelle Komplikationsrisiko, umso kürzer ist der akzeptable Zeitverlust zwischen präklini-scher Lyse und primärer PTCA.

Die klinischen Zeitverluste bis zur Durchführung einer PTCA („door-to-balloon time“) set-zen sich aus verschiedenen Faktoren zusammen: Übergabezeit, Zeit im Schockraum, Aktivierung des Katheterteams, Verbringen des Patienten ins Katheterlabor, Angiografie und schließlich Insufflation des Ballons im Gefäß. Die „sportliche“ Zeitvorgabe der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ist, bei vorangemeldetem Infarkt 30 Minuten vom Eintreffen in der Klinik bis zur Dilatation zu erreichen. In der Praxis wird diese Vorgabe oft nicht erreicht.

Der akzeptable Zeitverlust soll nach den Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) 90 Minuten nicht überschreiten; gemeint ist hier die Zeitspanne vom Erstkontakt (Notarzt) bis zur Insufflation des Ballons im Gefäß! Die DGK akzeptiert hier 120 Minuten, schränkt aber ein, dass keinesfalls mehr als 90 Minuten nach mögli-cher präklinischer Lyse vergehen dürfen (3).

Die Empfehlung für die Transport- und Versorgungszeiten gilt für alle STEMI mit einer Symptomzeit von bis zu 6 Stunden. In den ersten 2–3 Stunden, wo es um die Verhin-derung der Nekrose geht und die Lyse besonders gut wirkt, muss der akzeptable Zeit-verlust deutlich kürzer gesehen werden.

Der Faktor Zeit Der Zeitfaktor spielt also die entscheidende Rolle in der Therapie des STEMI. In der frü-hen Phase des Infarktes geht es darum, durch eine möglichst rasche Reperfusion das Fortschreiten der Nekrose zu verhindern. Dabei spielt natürlich die Patientenentschei-dungszeit eine große Rolle. Die (potentiellen) Patienten sollten so aufgeklärt werden, dass sie den Notarzt rufen, wenn Brustschmerzen länger als 15–20 Minuten anhalten. Bei plötzlich auftretenden stärksten Schmerzen mit dem Gefühl der vitalen Bedrohung, oft ohne entsprechende Anamnese, warten viele Patienten nicht lange, um den Notarzt zu rufen. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass der Notarzt in 50–80 % der Fälle innerhalb von 1–2 Stunden nach Symptombeginn beim Patienten ist.

Wir haben eine Selektion von Patienten mit kurzer Symptomzeit im Rettungsdienst. In dieser Phase ist die Thrombolyse besonders wirksam!

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Abb. 11: nach Boersma et al., 1996. Metaanalyse von Studien zu früher thrombolytischer Therapie des MI.

Aufgetragen sind gerettete Leben pro 1000 behandelte Patienten zur Symptomzeit. In den ersten 3 Stunden ist der Effekt am größten.

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Aus den Leitlinien der DGK läßt sich zusammenfassend eine praktische Empfehlung ableiten. Die Thrombolyse gehört als Therapieoption in die Hand jedes Notarztes. Die Anwendung sollte in regional festgelegten Konzepten mit besonderer Qualitätssicherung durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst geregelt sein. Eine Schulung und Auffrischung der Kenntnisse ist regelmäßig erforderlich.

Die präklinische Lyse ist mindestens als Rescue-Lyse (s.unten) im Rettungsdienst vor-zusehen. Für Patienten mit STEMI sollten Zuweisungsstrategien mit den regionalen kar-diologischen Kliniken abgestimmt werden. Die Einschlusskriterien richten sich nach den lokalen Möglichkeiten. Steht eine Klinik mit Katheterlabor zur Verfügung, kommt die Lyse in der frühen Phase bei niedrigem Komplikationsrisiko in Frage, wenn die Zeit bis zur Katheterintervention nicht kurz ist. Je kürzer die Symptomzeit, je geringer das Kompli-kationsrisiko und je jünger der Patient, um so geringer sollte der akzeptierte Zeitverlust sein!

Ist kein Katheterlabor primär erreichbar, kann die Lyse präklinisch bis zur 6. Stunde des Gefäßverschlusses durchgeführt werden. Im regionalen Krankenhaus sollte anhand des EKGs der Erfolg der Lyse beurteilt werden und bei Hinweisen auf einen persistierenden Verschluss rasch eine Rescue-PTCA angestrebt werden. Hierzu sind Absprachen mit den umliegenden kardiologischen Kliniken zu treffen.

7. PRAKTISCHES MANAGEMENT DES ACS

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Zwei Kliniken mit 24-stündiger Katheterbereitschaft stehen im Stadtgebiet Dortmund zur Verfügung. Das Konzept „Management des ACS Dortmund“ wurde in Zusammen-arbeit mit beiden Kliniken entwickelt. Seit April 2003 verfügen alle 5 NEF in Dortmund über ein 12-Kanal-EKG und ein Thrombolytikum. Zu Beginn wurden Schulungen der Notärzte durchgeführt, die weiterhin 3 x pro Jahr angeboten werden (nähere Infos unter www.notarzt-dortmund.de).

Die Ableitung des 12-Kanal-EKGs ist bei kardialem Brustschmerz zur weiteren Therapie-planung möglichst früh durchzuführen. Zeigt sich ein typisches Infarkt-EKG und besteht eine typische Angina pectoris, ist das Zeitfenster für den weiteren Ablauf entscheidend. Bei einer Symptomdauer < 3 h ist eine präklinische Lyse in Erwägung zu ziehen, sofern die übrigen Kriterien erfüllt sind. Um bei Lyseversagern unverzüglich eine Rescue-PTCA durchführen zu können, werden diese Patienten in eines der kardiologischen Zentren (K1 oder K4) gebracht (Strategie I + II der DGK).

Liegen Kontraindikationen für die präklinische Lyse vor, wird mit entsprechender Voran-meldung das Katheterlabor angefahren.

Da sich bei Patienten bis zu 12 (–24) Stunden Symptomdauer noch ein Vorteil für die primäre PTCA zeigt, sind die Patienten mit einer Symptomdauer von bis zu 24 Stunden ebenfalls ins kardiologische Zentrum einzuweisen.

Der neu aufgetretene Linksschenkelblock kann ein Infarktkriterium sein. Bei typischer Klinik werden Patienten mit LSB wie ein STEMI behandelt, die Lyse wird aber nach unse-rem Zuweisungskonzept aufgrund der Unsicherheit und bestehender Möglichkeiten zur Akut-PTCA ausgeschlossen.

Patienten mit unspezifischen EKG-Veränderungen, aber möglichem kardialen Thorax-schmerz können zur weiteren Diagnostik / Überwachung in die nächste Medizinische Klinik, ggf. mit Intensivbett, gefahren werden. Eine weitere Risikoabschätzung sollte anhand des Troponin-Verlaufs getroffen werden. Patienten mit akutem koronaren Syn-drom und erhöhtem Troponin sollten dann sekundär einer Koronarintervention zugeführt werden.

Die Einhaltung dieser Vorgaben wird im Zuge der Qualitätssicherung überwacht um eine gleichbleibende Qualität sicherstellen zu können.

Einschlusskriterien präklinische LyseDie Kenntnisse in der EKG-Diagnostik und der thrombolytischen Therapie sind bei Not-ärztinnen und Notärzten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen naturgemäß verschieden ausgeprägt. Die präklinischen Verhältnisse sind manchmal unübersichtlicher als die kli-nische Situation, deshalb ist es wichtig, besonderen Wert auf die Diagnose- und Thera-piesicherheit zu legen. Das Auftreten einer möglichen Komplikation (z. B. Hirnblutung) wird unter präklinischen Bedingungen sicher anders gewertet als unter klinischen, wobei Studien belegen, dass die Komplikationsrate gleich niedrig ist.

Wir haben uns deshalb entschlossen, die Einschlusskriterien für die präklinische Lyse sowie die Kontraindikationen enger zu fassen, als dies für die Thrombolyse unter kli-nischen Bedingungen mit erfahrenem Personal und aufwendigeren diagnostischen Möglichkeiten gilt.

• Eindeutiges 12-Kanal-EKG

das infarkttypische EKG erlaubt die Diagnose des transmuralen Infarktes (STEMI). Es gibt zwar selten Infarkte, die ohne ein eindeutiges EKG auftreten; deren Diagnose ist jedoch unter den präklinischen Voraussetzungen nicht sicher zu stellen, so dass die spezifische Diagnostik /Therapie der (kardiologischen) Klinik vorbehalten bleibt. Typisch ist ein EKG mit schmalem QRS-Komplex, deutlichen ST-Hebungen um mindes-tens 0,1 mV (Extremitäten), bzw. 0,2 mV (Brustwandableitungen), in mindestens zwei Ableitungen, die einem möglichen Infarktareal zugeordnet werden können.

8. KONZEPT RETTUNGSDIENST DORTMUND

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• Typische Infarktsymptomatik

mit drückendem, oder ziehendem, anhaltenden linksthorakalen oder retrosternalen Schmerzen mit möglicher Ausstrahlung in den linken Arm (Schulter), Oberbauch (nicht auf Druck auslösbar), Unterkiefer, nicht atemabhängig, nicht auf Thoraxdruck auslös-bar.

• Sichere Zeitangabe des Infarktschmerzes < 3 Stunden

Die Wirksamkeit der Thrombolyse ist in der frühen Phase des Infarktes besonders groß. Da innerhalb von 3 Stunden 70 % des Myokards nekrotisch sind, kann innerhalb die-ser Frist revaskularisiertes Myokard gerettet werden. Eine Metaanalyse vieler Studien zeigt (Boersma et al., 1996), dass bei Revaskularisation innerhalb von 3 Stunden 65 Leben pro 1000 Behandelte gerettet werden können.

Der Zeitvorteil der präklinischen Thrombolyse zeigt sich durch ein verbessertes Outcome in den ersten 3 Stunden besonders deutlich und überwiegt die höhere Wiedereröffnungrate bei der PTCA. Bei älteren Infarkten ist das Nutzenrisikoverhältnis nicht so deutlich.

• Alter des Patienten

Gerade der ältere Patient mit möglicherweise vorgeschädigtem Herzen profitiert beson-ders von einer verhinderter Narbe und damit erhaltener Pumpfunktion. Das Risiko einer Blutung unter Lyse, insbesondere einer Hirnblutung, steigt jedoch jenseits des 75. Lebensjahres an (1,1 % vs 0,5 % < 75. Lj.). Wir haben deshalb die Grenze für die Lyse in Dortmund beim biologisch 75. Lebensjahr gesetzt.

• Fehlen von relativen und absoluten Kontraindikationen (nach Checkliste)

Für die präklinische Thrombolyse werden im Sinne der Therapiesicherheit auch die relativen Kontraindikationen immer berücksichtigt und eine (präklinische) Lyse wird nicht durchgeführt.

• Situationsangepasste kurze Aufklärung und (mündliches) Einverständnis des Patienten

In der Notfallmedizin richtet sich der Umfang der Aufklärungspflicht nach der Dringlich-keit der Maßnahme und dem Zustand des Patienten. Der lebensbedrohliche Zustand alleine rechtfertigt jedoch nicht den völligen Verzicht auf die Aufklärung. Es ist jedoch sicher nicht angebracht, den akuten Infarktpatienten bis ins Kleinste über mögliche Blutungen und Arrhythmien aufzuklären.

Nach kurzer Information und schonender Aufklärung über die Risiken unter Betonung des Nutzens der frühzeitigen Therapie, reicht das mündlich erklärte Einverständnis aus. Eine Unterschrift des Patienten ist in dieser Ausnahmesituation nicht erforder-lich.

Zur forensischen Absicherung des Notarztes wird auf der Checkliste die Unterschrift des Rettungsassistenten (als Zeuge) erwartet.

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Kontraindikationen präklinische LyseIm Wesentlichen sind hier Erkrankungen und Zustände zu berücksichtigen, die zu einer erhöhten Blutungsneigung führen könnten, oder bei denen ein erhöhtes Risiko einer Blutung / Einblutung besteht. Die relativen Kontraindikationen werden präklinisch auch als absolute betrachtet, um die Therapiesicherheit zu erhöhen (s. vorne). Die Kontraindikationen im einzelnen sind anhand der Checkliste abzufragen und abzuha-ken, dies geschieht in erster Linie zur forensischen Absicherung des einzelnen Notarztes und ist deshalb sorgfältig durchzuführen.

Die normale Regelblutung der Frau und ein Diabetes mellitus ohne Retinopathie stellen keine Kontraindikation dar. Im Zweifel (z. B. Zustand nach Sturz mit Kopfplatzwunde) sollte die Thrombolyse eher unterbleiben. Eine bestehende Antikoagulanzientherapie (z. B. Marcumar®) ist eine relative Kontraindikation. Eine Blutdruckerhöhung steigert das Risiko einer cerebralen Einblutung, lässt sich ein anfangs erhöhter Blutdruck mit einfachen Maßnahmen (z. B. Nitro-Gabe) senken, stellt es keine Kontraindikation dar. In den Leitlinien wird die traumatische Reanimation weiterhin als relative Kontraindikation gesehen, dies trifft allerdings nur auf die Lyse bei STEMI nach Reanimation zu. Zur Rescue-Lyse verweise ich auf das entsprechende Kapitel (S. 36).

Die Kontraindikationen im Einzelnen:

Absolut:

1. Ischämischer Hirninfarkt innerhalb der letzten 2 Monate

2. Hirnblutung, intrakranieller Tumor, zerebrale arteriovenöse Malformation, zerebrale Aneurysmen in der Anamnese

3. ZNS OP oder SHT innerhalb der letzten 2 Monate,

4. persistierende unkontrollierte Hypertonie > 180 / 110 mmHg

5. Aktive innere, gastrointestinale oder urogenitale Blutung

6. Blutung aus nicht kompressiblen Gefäßen

7. hämorrhagische Diathese

8. Aortendissektion

9. Akute Endokarditis / Sepsis

10. Akute Pankreatitis

11. Neoplasie mit erhöhtem Blutungsrisiko

12. Schwere Lebererkrankung

Relativ:

13. Ischämischer Hirninfarkt oder TIA vor mehr als 2 Monaten

14. Kardiopulmonale Reanimation mit Rippen / Sternumfraktur

15. Proliferative diabetische Retinopathie

16. Schwangerschaft und erste Woche post partal

17. i.m. Injektion vor < 24 Stunden

18. Antikoagulanzientherapie (Marcumar)

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Praktische DurchführungDas 12-Kanal-EKG gehört im Rahmen der Basisdiagnostik an den Anfang der Behand-lung eines Patienten mit kardialem Brustschmerz. Das EKG wird doppelt ausgedruckt, eine Ausfertigung verbleibt beim Patienten, eine wird mit der Checkliste und dem DIVI-Protokoll zur Qualitätssicherung dem Stellv. Ärztlichen Leiter Rettungsdienst zugeleitet.

Parallel zu den Basismaßnahmen (s. dort) werden die weiteren Einschlusskriterien überprüft und die Checkliste abgefragt. Für die Qualitätssicherung ist die Angabe der Symptomzeit im Kopf der Checkliste wichtig!

Zur begleitenden Therapie bei Metalysegabe gehört Heparin und auch ASS (Aspisol®) (weiteres s. oben).

Die Metalyse wird erst aufgelöst, wenn die Indikationsstellung gesichert ist und der Patient einverstanden ist. Nach Injektion des Lösungsmittels kann die benötigte Substanz-menge nach geschätztem Körpergewicht (Skala auf der Spritze) aufgezogen werden. Die Bolusgabe erfolgt als rasche Injektion (ca. 10 sec), der Zeitpunkt der Gabe ist auf dem Protokoll zu notieren!

Am Rückgang der ST-Elevation (beurteilt etwa 60 Minuten nach Lysegabe) kann der Erfolg der Lyse abgelesen werden (s. oben).

Wichtig ist ein kontinuierliches Monitoring während des gesamten Transports, um Rhythmusstörungen, die auch als Reperfusionsarrhythmien auftreten können, sofort zu erkennen und rechtzeitig behandeln zu können. In den meisten Fälle ist keine antiarrhyth-mische Therapie notwendig. Die Voranmeldung sollte einfach und präzise sein (ST-Hebungsinfarkt mit (ohne) präklinische Lyse). Bei Ankunft in der Klinik (erfahrungsgemäß 45–60 Minuten nach Lyse) ist über die anliegenden Kabel nochmals ein Verlaufs-EKG abzuleiten, um wichtige Informationen zum Erfolg der Lyse sofort mitteilen zu können. Dieses EKG bitte als Doppel ebenfalls mit den Unterlagen zur Qualitätssicherung geben. Dem Klinikarzt ist neben dem DIVI-Protokoll, dem Ausgangs- und Kontroll-EKG auch die Checkliste zu übergeben. Die dritte Seite der Checkliste (s. Anhang) möchte bitte vom Klinikarzt ausgefüllt und dem Stellv. Ärztlichen Leiter Rettungsdienst zugeleitet werden.

„Achtung: Diese Liste weicht ab von den Leitlinien der ESC* bzw. der Fachinformation von Metalyse.“

Zur Qualitätssicherung geben:

• Zweitausdruck des initialen EKGs

• Zweitausdruck des EKGs bei Klinikaufnahme

• Checkliste

• Durchschlag Notarztprotokoll mit Angabe des Lysezeitpunktes

• Klinik: Zufaxen des Klinikbogens der Checkliste mit Angaben zum Outcome

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9. DIE RESCUE-LYSE – IMMER SINNVOLL?

Als Grund für eine kardiopulmonale Reanimation liegt beim Erwachsenen in den meis-ten Fällen eine fulminante Lungenembolie oder ein großer Herzinfarkt zugrunde. Bei beiden Erkrankungen hat die Thrombolyse einen kausalen Ansatz. Viele Kasuistiken und kleinere Fallserien belegen die Wirksamkeit der Rescue-Lyse unter Reanimation bei nur geringem Blutungsrisiko. Das cerebrale „no reflow“-Phänomen, ausgelöst durch Mikrothromben in den Hirnkapillaren bei Kreislaufstillstand, wird ebenfalls als Grund für einen schlechten neurologischen Befund nach erfolgreicher CPR diskutiert; hier bietet die Lyse eine mögliche Therapieoption.

Möglicherweise werden neue Daten die Diskussion um die Lyse unter CPR aufleben lassen, eine generelle Empfehlung kann jedoch (noch) nicht ausgesprochen werden! (7)

In manchen Situationen wird der Notarzt als Rettungsversuch die Durchführung der Rescue-Lyse erwägen. Ich möchte hier einige Empfehlungen aussprechen, die sich an dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Diskussion orientieren:

Unter Reanimation kann oft nur eine Vermutung über die mögliche Ursache des Kreis-laufstillstands gestellt werden. Viel wichtiger für die Entscheidung zur Durchführung der Rescue-Lyse ist die Beurteilung des prognostischen neurologischen Outcomes! Die Arbeitsgruppe Lyse des Arbeitskreises der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst Deutschland (ÄLRD) hat eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen. Der Erfolg der Rescue-Lyse bei Asystolie (oft ein Zeichen eines länger bestehenden Stillstands) ist in Studien fraglich.

Entscheidend ist ein prognostisch gutes neurologisches Outcome!

Indikationen zur Rescue-Lyse im Rettungsdienst:

• Fulminante Lungenembolie (unter Reanimation)

• Frustane Reanimation mit therapierefraktärem VF bei Infarkt

• Kardiogener Schock, konservativ nicht zu stabilisieren

• STEMI nach erfolgreicher Reanimation

Für die notfallmedizinische Praxis sollte die Rescue-Lyse unter Reanimation nur erwo-gen werden, wenn die Standardreanimation keinen ROSC (return of spontaneous circu-lation) erzielen kann und nach den Umständen (Alter, Begleiterkrankungen) ein gutes neurologisches Outcome zu erwarten ist

und

der Kollaps entweder im Beisein des Rettungsdienstpersonals auftritt oder von Laien beobachtet wurde und eine suffiziente Laien-CPR durchgeführt wurde.

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10. DER RECHTSVENTRIKULÄRE INFARKT

Eine rechtsventrikuläre Beteiligung liegt bei 30–40 % der Patienten mit linksventriku-lärem Hinterwandinfarkt vor. Besonders bei proximalem Verschluss einer dominanten RCA kann es zu einer kritischen Herabsetzung des Herzzeitvolumens kommen. Ein Rechtsherzinfarkt ohne Beteiligung des linken Herzens kommt praktisch kaum vor.

Diagnostisch zeigen sich typische ST-Hebungen in den Ableitungen V3r und V4r von > 0,1 mV (1 mm). Hierzu werden die entsprechenden Ableitungspositionen spiegelbild-lich rechtsthorakal aufgeklebt und das EKG entsprechend eindeutig beschriftet! Klinisch hinweisend ist die Trias aus

arterieller Hypotonie,

erhöhtem Jugularvenendruck und

fehlendem Hinweis auf eine Lungenstauung.

Die Prognose der Infarkte mit rechtsventrikulärer Beteiligung ist deutlich schlechter, es kommt häufiger zu kardiogenem Schock, AV-Blockierung und ventrikulären Rhythmus-störungen.

Neben den Reperfusionsmaßnahmen steht die (am besten invasiv kontrollierte) Volumen-gabe im Vordergrund. Präklinisch kann bei Hypotonie und fehlender Lungenstauung ein Volumen von 500–1000 ml notwendig werden. Es müssen erhöhte Drücke im rech-ten Herzen aufrechterhalten werden, um ein adäquates Herzzeitvolumen zu erzielen. Rechtsatriale Drücke von 20–25 mmHg können erforderlich werden. Die Gabe von Diuretika und Vasodilatantien (z. B. Nitro-Spray) führt bei diesen Patienten zum kritischen Abfall des Herzzeitvolumens und ist deshalb kontraindiziert!

Nach den aktuellen ERC (European Resuscitation Council)-Leitlinien sollte eine Throm-bolyse bei Herzstillstand bei Verdacht auf eine Lungenembolie oder einem Myokardinfarkt in Erwägung gezogen werden (7).

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Der instabile Patient mit kardiogenem Schock sollte also eben nicht auf die nächste Intensivstation gebracht, sondern der möglicherweise weitere Weg ins kardiologische Zentrum zur Intervention gewählt werden.

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Kommt es durch einen großen Infarkt zum Pumpversagen, spricht man vom kardio-genen Schock, oft ist der Zustand noch durch einen AV-Block oder eine rechtsventri-kuläre Beteiligung kompliziert. Eine Thrombolyse ist insbesondere indiziert, wenn es nicht gelingt, den Patienten transportfähig zu machen. Treffen die üblichen Kriterien für die Lyse zu, kann sie selbstverständlich auch im kardiogenen Schock als präklini-sche Maßnahme durchgeführt werden. Einige Fallbeispiele aus dem Rettungsdienst Dortmund zeigen, dass durch eine rasch durchgeführte Lyse der Schock erfolgreich behandelt werden kann. Einige Patienten erreichten ohne ST-Hebungen beschwerdefrei und kreislaufstabil die Klinik. In der französischen CAPTIM-Studie konnte für die frühe präklinische Lyse (< 2 Stunden Symptomzeit) eine signifikant niedrigere Rate an kardio-genem Schock gezeigt werden.

Gelingt es jedoch nicht, das Gefäß mittels Lyse zu öffnen, ist es nur möglich die hohe Letalität von über 60 % auf etwa die Hälfte zu reduzieren, wenn möglichst schnell eine möglichst vollständige Wiedereröffnung des Gefäßes erreicht wird.

11. DER KARDIOGENE SCHOCK

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12. FALLBEISPIELE

Fall 1: 56-jähriger Patient mit kardiogenem Schock

Ein 56-jähriger Patient beklagt seit 30 Minuten stärkste akut aufgetretene Schmerzen retrosternal und ausgeprägten Schwindel. Er ist schweißig und blass, macht einen schwer-kranken Eindruck. Bisher war er „herzgesund“, keine ernsthaften Vorerkrankungen. Der ersteintreffende RTW misst einen RR von 70 systolisch bei einer HF von 42 BPM.

Im 12-Kanal-EKG findet sich folgendes Bild:

Das EKG zeigt einen AV-Block II Typ Mobitz (2:1) mit deutlichen ST-Hebungen inferior und spiegelbildlichen ST-Senkungen über der Vorderwand. Die präklinische Diagnose lautet: akuter Hinterwandinfarkt mit AV-Block II, cardiogener Schock. Nach Aufklärung und Abfrage der Checkliste wird Metalyse® gegeben.

10 Minuten später zeigt sich im EKG ein SR, der Blutdruck stabilisiert sich zunehmend. In der Klinik wird ein RR von 120 / 80 mmHg gemessen, es zeigt sich folgendes EKG:

Die ST-Hebungen sind komplett zurückgebildet. In der Coro zeigt sich eine 40–50 %ige RCA (rechte Coronararterie) Stenose, die nach Lyse rekanalisiert ist.

Abb. 12: EKG Fall 1 (Präklinik).

Abb. 13: EKG Fall 1 a und b (Klinik).w.

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Fall 2: 44-jährige Patientin im Hinterwandinfarkt

Seit 90 Minuten beklagt die Patientin retrosternalen Druck, der zunächst intermittierend, seit 45 Min. stärker und anhaltend ist. Keine Vorerkrankungen, als Risikofaktor besteht Rauchen.

Im EKG zeigen sich die typischen ST-Hebungen in II, III, aVF als Zeichen des akuten Hinterwandinfarktes. Nach Thrombolyse im Wohnzimmer der Patientin und Treppen-haustransport in der RTW (3. Etage) zeigt sich im Monitorbild 20 Minuten später ein deutlicher Rückgang der ST-Hebungen, die Patientin ist beschwerdefrei.

Die Koronarangiografie erfolgte am Folgetag, es konnte eine 70 %ige RCA-Stenose erfolgreich dilatiert und gestentet werden. Die Gesamt CK stieg im Referenzbereich nur leichtgradig an. Am nächsten Tag konnte die Patientin entlassen werden.

Abb. 14: EKG Fall 2 (Präklinik).

Abb. 15: EKG Fall 2 (nach 20 Minuten).

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Fall 3: 62-jähriger Patient mit Hinterwandinfarkt

Seit 20 Minuten hat der Patient einen thorakalen Vernichtungsschmerz und Schweißaus-bruch. Die Kreislaufparameter sind unauffällig. Im 12-Kanal-EKG zeigt sich folgender Befund:

Es finden sich deutliche ST-Hebungen über der Hinterwand. Nach Abfragen der Check-liste erfolgt die präklinische Lyse. Auf dem Transport beklagt der Patient stärker werden-de Schmerzen, eine wiederholte Morphingabe ist erforderlich. Bei Ankunft in der Klinik zeigt sich folgendes EKG:

Die ST-Hebungen sind eher zunehmend, dies ist ein Hinweis auf ein weiterhin verschlos-senes Gefäß. Unmittelbar wird eine Rescue-PTCA durchgeführt die rasch eine erfolgrei-che Rekanalisation erreichen konnte.

Leider gehörte der Patient zu den ca. 15 % Lyseversagern in der ersten Stunde nach Gefäßverschluss. Das Beispiel zeigt aber, dass es ohne zusätzlichen Zeitverlust möglich ist, die Wiedereröffnung durch die PTCA zu erreichen. Wäre keine Lyse versucht wor-den, wären die Zeitabläufe ähnlich gewesen. So hatte der Patient jedoch die Chance von etwa 85 % mit einem offenen Gefäß die Klinik zu erreichen.

Abb. 16: EKG Fall 3 (Präklinik).

Abb. 17: EKG Fall 3 (Klinik).

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Fall 4: Patientin mit Vorderwandinfarkt

Eine Stunde nach Symptombeginn ist der Notarzt vor Ort und leitet bei der älteren Patientin folgendes EKG ab:

Es finden sich ausgedehnte ST-Hebungen über der gesamten anterolateralen Wand, ein sehr ausgedehnter Vorderwandinfarkt. Nach Lyse ist die Patientin rasch beschwerdefrei. Das klinische EKG zeigt folgendes Bild:

Das Infarktgefäß konnte erfolgreich eröffnet werden. Die CK max. erreichte einen Wert von 200 U / l. In der später durchgeführten Coro zeigte sich eine diffuse hochgradige 3-Gefäß-KHK mit zum Teil langstreckigen Stenosen, eine Intervention war nicht möglich.

Abb. 18: EKG Fall 4 (Präklinik).

Abb. 19: EKG Fall 4 (Klinik).

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Beispiel 1: Sinusrhythmus, Indifferenzlagertyp, Verbreiterung des QRS-Komplexes auf > 3 mm (25 mm Schreibgeschwindigkeit), M-förmige Aufsplittung des QRS-Kompexes in V 5 / V 6 mit entsprechenden Erregungsrückbildungsstörungen: Kompletter Linksschenkelblock.

Beispiel 2: Keine P-Welle erkennbar, regelmäßiger Rhythmus, Verbreiterung des QRS-Komplexes auf > 3 mm, somit Schenkelblock. Vor jedem QRS-Komplex findet sich ein strichartiger Schrittmacherspike: VVI Schrittmacher-EKG

Beispiel 3:Sinusrhythmus, Indifferenzlagetyp, schmale QRS-Komplexe (< 3 mm), ST-Hebung um > 2 mm (mV) in V 4, V 5, I, aVL. Spiegelbildliche ST-Senkung in III und aVF. Die Ableitung V 6 ist wahrscheinlich zu weit nach hinten geklebt:EKG eines anterolateralen Infarktes (Vorderseitenwand)

Beispiel 4:Sinusrhythmus, Indifferenztyp, schmaler QRS-Komplex, signifikante ST-Hebung in V 2–V 5:EKG eines Vorderwandinfarktes.

Beispiel 5:Regelmäßiger Rhythmus, am ehesten Sinusrhythmus (P-Welle in V 4), Steiltyp, schmaler QRS-Komplex, signifikante ST-Hebung in II, III, aVF; spiegelbildliche ST-Senkung in (I) und aVL:EKG eines inferioren (Hinterwand-) Infarktes.

13. INTERPRETATION DER EKG-BEISPIELE:

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Leitlinien (deutsche Leitlinien)

1) Arntz HR et al.: Initiales Management von Patienten mit akutem Koronarsyndrom. Notfall und Rettungsmedizin, 2006.

2) ACC / AHA Guidelines for the Management of Patients With ST-Elevation Myocardial Infarction – Executive Summary. J Am Coll Cardiol 2004;44:671–719

3) Van de Werf F et al.: Management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. The Task Force on the Management of Acute Myocardial Infarction of the European Society of Cardiology. EHJ (2003) 24, 28–66

4) Hamm CW et al.: Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS); Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung. Z Kardiol (2004) 93:72–90

5) Hamm CW et al.: Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS); Teil 2: Akutes Koronarsyndrom mit ST-Hebung. Z Kardiol (2004) 93:324–241

6) Arntz HR et al.: Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des akuten Herzinfarktes in der Prähospitalphase. Z Kardiol (2000) 89:364–327

7) Nolan JP et al.: Erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Erwachsene (ALS) Notfall und Rettungsmedizin (2006) 9:38–78

8) Arntz HR, Fibrinolyse News, 1. Jahrgang, Heft 1/2003, S. 5

Studien und Lehrbücher

Einige exemplarisch ausgewählte Studien:

9) Bonnefoy E. et al. Primary angioplasty versus prehospital fibrinolysis in acute myocardial infarction: a randomised study. Lancet 360:825–29 (2002)

10) Khan IA. et al. Clinical perspectives and therapeutics of thrombolysis. Int J Cardiol 91:115–127 (2003)

11) Moser M, et al. Platelet Function During and After Thrombolytic Therapy for Acute Myocardial Infarction With Reteplase, Alteplase, or Streptokinase. Circulation 100: 1858–1864 (1999)

12) ASSENT-2 Investigators. Incidence and predictors of bleeding events after fibrinolytic therapy with fibrin-specific agents: a comparison of TNK-tPA and rt-PA. Eur Heart J 22:2253–2261 (2001)

13) ASSENT-2 Investigators. Single-bolus tenecteplase compared with front-loaded alteplase in acute myocardial inarction: the ASSENT-2 double-blind randomised trial. Lancet 354:716–22 (1999)

14) Boersma et al: Early thrombolytic treatment in acute myocardial infarction: reappraisal of the golden hour. Lancet 348: 771–775(1996)

15) Gerd Herold: Innere Medizin (2003)

Fachinformationen

Fachinformation Metalyse, Stand: Januar 2004

Fachinformation Rapilysin, Stand: August 2003

Fachinformation Actilyse, Stand: Dezember 2003

Fachinformation Streptase, Stand: Juni 2004

Fachinformation Liquemin N, Stand September 2004

14. LITERATURVERZEICHNIS

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Indikations- und Kontraindikationsliste

15. ANLAGEN

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Checkliste „präklinische Lyse“ (Fassung 2005)

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EKG-Klebeschema

1. 4-poliges Kabel (wie gewohnt)

a. rot (I): rechte Schulter b. gelb (II): linke Schulter c. grün (III): linker Unterbauch d. schwarz: rechter Unterbauch

2. 6-poliges Kabel (zusätzlich)

a. rot (V1): 4. Zwischenrippenraum, rechts, an der Grenze zum Brustbein b. gelb (V2): gegenüber, links an der Grenze zum Brustbein c. grün (V3): zwischen 2 und 4

d. braun (V4): 5. Zwischenrippenraum in der mittleren Schlüsselbeinlinie e. schwarz (V5): vordere Axillarlinie auf gleicher Höhe f. violett (V6): mittlere Axillarlinie auf gleicher Höhe

3. EKG Kabel anschließen, Ausdruck starten

Mit dem Finger vom rechten Schlüsselbein abwärts tasten, man rutscht über die verdeck-te erste Rippe und landet automatisch im 1. Zwischenrippenraum (ICR). Am Brustbein-rand entlang tasten, man erreicht den 2., 3. und schließlich den 4. ICR. An der Grenze zum Brustbein liegt der erste Punkt V1 Gegenüber (4. ICR links) liegt V2 .

Einfacher ist es nun zunächst V4 aufzusuchen. Man tastet einen ICR tiefer, im 5. ICR in der mittleren Schlüsselbeinlinie liegt der Punkt V4 . V3 liegt in der Mitte zwischen V2 und V4 .

Auf der Höhe von V4 liegen die Punkte V5 und V6 , V5 in der vorderen Axillarlinie, V6 in der mittleren Axillarlinie, also im 5. ICR am seitlichen Brustkorb.

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Dortmunder Zuweisungskonzept bei kardialem Brustschmerz

12-Kanal-EKG

ST-Hebungen um 0,1 / 0,2< mV

in zwei benachbarten Ableitungen

Andere EKG-Veränderungen

(ST-Senkungen, T-Negati-vierungen, Schenkelblockbild)

Keine (sicheren) EKG-Veränderungen

Symptomdauer < 3 h

KardiogenerSchock

Symptomdauer 3 – 24 h

PräklinischeThrombolyse

KardiologischesZentrumK 1 / K 4

Nächste internistische Klinik

(ggf. mit Intensivbett)

Troponin-I-TestSekundäre

Verlegung nach Rücksprache

Kontraindikationengegen Thrombolyse(nach Checkliste)

Ggf. vorher präklinische Lyse(nach Checkliste)

Positiv Negativ

Nein Ja

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NOTIZEN

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ABCDBEI AKUTEM HERZINFARKTinnerhalb 6 h nach Symptombeginn

Im Vergleich zu Actilyse® (Alteplase)

EINFACHinjizierbar als Bolus i. v. in ca. 10 Sekunden

SCHNELLERvereinfachtes Anwendungssystem

SICHERERsignifikant weniger nichtzerebrale Blutungen (ASSENT-2 Investigators, Lancet 1999; 354:716-22)

xxxx

x/xx

/05