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– 1 – Mårten Gås – die schonische Martinsgans Von: Annelie Mannertorn Die runde, gutmütige Gans ist zum Symbol für Skåne geworden. Vielleicht liegt es daran, dass die Gans schon seit der Steinzeit in der weiten, offenen schonischen Landschaft zu Hause ist. Vielleicht sind es aber auch ihre kulinarischen Vorzüge, die ihr in dieser ausgeprägten Feinschmeckerregion eine so wichtige Rolle beschert haben. Schon seit dem frühen Mittelalter hat die Gans ihren festen Platz im Kalender: den Martinstag am 11. November. Da wir Schweden aber so ungeduldig sind, feiern wir schon am Abend zuvor. Und so servieren wir zum Abendessen am 10. November die wohl schonischste aller Mahlzeiten, die Martinsgans. Bei diesem sorgfältig vorbereiteten, traditionellen Festessen steht ein saftiger Gänsebraten im Mittelpunkt. Die runde, gutmütige Gans ist zu einem Symbol für Skåne geworden. Der Gasthof Skanörs Gästis hat einen eigenen „Fußgängerüberweg“ für Gänse. Im Sommer kann man hier jeden Nachmittag zusehen, wie die Gänse über die Straße getrieben werden. Auch die eigene Gänsepost kann man hier abschicken. Photo: skane.com ©sydpol.com Der 10. November ist zwar der Geburtstag Martin Luthers, doch hatte dieser mit dem Gänsefestessen nichts zu tun. Der Martinstag erinnert vielmehr an einen römischen Soldaten, der Bischof und schließlich sogar heilig gesprochen wurde: Sankt Martin. Paradoxerweise wäre dieser Asket wohl kaum auf den Gedanken gekommen, ein so opulentes Mahl wie Gänsebraten zu sich zu nehmen. Zudem verabscheute er diese Vögel: Schnatternde Gänse hatten ihn verraten, als er sich vor den Männern des Papstes versteckte, die ihn zum Bischof in Tour bringen wollten. Als Martin dann zum Bischof ernannt war, rächte er sich an den Tieren, indem er zur jährlichen Gänseschlacht aufrief. Ob die Geschichte nun wahr ist oder nicht – auf jeden Fall geht die Tradition der Martinsgans bis auf diese Zeit, das Jahr 371, zurück. Eigentlich ist diese Jahreszeit jedoch seit jeher eine Zeit des Feierns und Schlemmens. Für die Bauern und Fischer ging die Saison zu Ende, die Gänse waren nun am besten genährt und die Getränke lange genug gelagert. Sankt Martin selbst soll gesagt haben: „Nach dem Martinstag schmeckt der Wein gut!“. In der schonischen Bauerngesellschaft war es zu dieser Zeit üblich, die Bücher zu führen, den Dorfschulzen auszutauschen und Löhne in Naturalien auszuzahlen. Viele gute Gründe für Feste also, und hier kam der Martinstag sehr gelegen. Bei diesen Gastmählern, die sich auf den einzelnen Höfen über mehrere Tage hinziehen konnten, kam nicht nur Gänsebraten auf den Tisch, sondern alles, was die frisch aufgefüllten Speisekammern zu bieten hatten. Heutzutage wird der Martinstag meist im Restaurant gefeiert. Ein echtes, traditionsgemäßes Gänseessen erfordert mehrtägige Vorbereitungen. Es beginnt mit dem Einkauf des stattlichen Vogels, der bis zu sieben Kilogramm wiegen kann. Am allerbesten

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Mårten Gås – die schonische Martinsgans

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Mårten Gås – die schonische Martinsgans Von: Annelie Mannertorn

Die runde, gutmütige Gans ist zum Symbol für Skåne geworden. Vielleicht liegt es daran, dass die Gans schon seit der Steinzeit in der weiten, offenen schonischen Landschaft zu Hause ist. Vielleicht sind es aber auch ihre kulinarischen Vorzüge, die ihr in dieser ausgeprägten Feinschmeckerregion eine so wichtige Rolle beschert haben.

Schon seit dem frühen Mittelalter hat die Gans ihren festen Platz im Kalender: den Martinstag am 11. November. Da wir Schweden aber so ungeduldig sind, feiern wir schon am Abend zuvor. Und so servieren wir zum Abendessen am 10. November die wohl schonischste aller Mahlzeiten, die Martinsgans. Bei diesem sorgfältig vorbereiteten, traditionellen Festessen steht ein saftiger Gänsebraten im Mittelpunkt.

Die runde, gutmütige Gans ist zu einem Symbol für Skåne geworden. Der Gasthof Skanörs Gästis hat einen eigenen „Fußgängerüberweg“ für Gänse. Im Sommer kann man hier jeden Nachmittag zusehen, wie die Gänse über die Straße getrieben werden. Auch die eigene Gänsepost kann man hier abschicken. Photo: skane.com ©sydpol.com

Der 10. November ist zwar der Geburtstag Martin Luthers, doch hatte dieser mit dem Gänsefestessen nichts zu tun. Der Martinstag erinnert vielmehr an einen römischen Soldaten, der Bischof und schließlich sogar heilig gesprochen wurde: Sankt Martin. Paradoxerweise wäre dieser Asket wohl kaum auf den Gedanken gekommen, ein so opulentes Mahl wie Gänsebraten zu sich zu nehmen. Zudem verabscheute er diese Vögel: Schnatternde Gänse hatten ihn verraten, als er sich vor den Männern des Papstes versteckte, die ihn zum Bischof in Tour bringen wollten. Als Martin dann zum Bischof ernannt war, rächte er sich an den Tieren, indem er zur jährlichen Gänseschlacht aufrief. Ob die Geschichte nun wahr ist oder nicht – auf jeden Fall geht die Tradition der Martinsgans bis auf diese Zeit, das Jahr 371, zurück.

Eigentlich ist diese Jahreszeit jedoch seit jeher eine Zeit des Feierns und Schlemmens. Für die Bauern und Fischer ging die Saison zu Ende, die Gänse waren nun am besten genährt und die Getränke lange genug gelagert. Sankt Martin selbst soll gesagt haben: „Nach dem Martinstag schmeckt der Wein gut!“. In der schonischen Bauerngesellschaft war es zu dieser Zeit üblich, die Bücher zu führen, den Dorfschulzen auszutauschen und Löhne in Naturalien auszuzahlen. Viele gute Gründe für Feste also, und hier kam der Martinstag sehr gelegen. Bei diesen Gastmählern, die sich auf den einzelnen Höfen über mehrere Tage hinziehen konnten, kam nicht nur Gänsebraten auf den Tisch, sondern alles, was die frisch aufgefüllten Speisekammern zu bieten hatten.

Heutzutage wird der Martinstag meist im Restaurant gefeiert. Ein echtes, traditionsgemäßes Gänseessen erfordert mehrtägige Vorbereitungen. Es beginnt mit dem Einkauf des stattlichen Vogels, der bis zu sieben Kilogramm wiegen kann. Am allerbesten

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lässt sich die Martinsgans auf einem der schönen ländlichen Gasthöfe in echter schonischer Atmosphäre genießen. Hier werden althergebrachte Traditionen besonders liebevoll gepflegt. Auf dem Gasthof Skanörs Gästis beispielsweise gehört die Gans zum idyllischen Landschaftsbild: Hier finden im Sommer jeden Nachmittag Gänsevorführungen statt. Ein kleines Gänsehirtenpaar in traditionellen Hirtenkleidern führt die Gänseherde über den Gänseüberweg, der natürlich mit einem speziellen Verkehrsschild gekennzeichnet ist!

Für das Gänseessen zum Martinsfest empfiehlt sich besonders einer der schönen ländlichen Gasthöfe mit echter schonischer Atmosphäre. Das Martinsfest wird an vielen verschiedenen Orten in Schweden gefeiert. Die Schonen halten an dieser Tradition allerdings am meisten fest. Photo: skane.com ©sydpol.com

Wie genau die Gänse im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, als das Gänseessen beim schwedischen Adel im ganzen Lande hoch in Mode war, zubereitet und gegessen wurden, ist nicht bekannt. Die vielen traditionsreichen Gewürze, die bis heute bei der Zubereitung einer echten Martinsgans verwendet werden, zeugen jedoch von ihrem uralten Ursprung.

Ein traditionelles Gänseessen ist nicht nur für den Koch, sondern auch für die Gäste eine echte Herausforderung. Bei diesem Fest isst man viel und lange, und daran sind wir heutzutage nicht mehr gewöhnt. Der Auftakt der Mahlzeit sollte möglichst aus einer mittelalterlichen Spezialität bestehen: Schwarzsauer aus Gänse- oder Schweineblut, das man mit vielen Gewürzen wie Ingwer, Zimt, Piment, Lorbeer und Apfelschale sieden lässt – ein Schuss eines edlen Tropfens rundet das typische süß-saure Aroma dieser Delikatesse ab. Die Suppe krönt das zäh-knusprige Gänseklein, also alles, was beim Ausnehmen der Gans vor dem Braten anfällt: Haut, Eingeweide und andere Teile. An dieser Stelle sollten wir der Ehrlichkeit halber zugeben, dass die Verbindung des Schwarzsauers mit dem Gänseessen erst im 19. Jahrhundert in dem Stockholmer Restaurant Piperska Muren geknüpft worden sein soll. Die schonischen Bauern schickten dem kräftigen Gänseessen ursprünglich vernünftigerweise den leicht verdaulichen Lutfisk (in Lauge eingelegter Fisch) voraus, der nun jedoch zum Weihnachtsbüfett gehört.

Auf den Schwarzsauer folgt die gebratene Gans, gefüllt mit duftenden schonischen Äpfeln, Thymian und vielleicht auch ein paar Backpflaumen. In appetitliche Scheiben aufgeschnitten, gesellt sie sich zu noch mehr Äpfeln und mit Gewürznelken verfeinertem Rotkohl. Natürlich gehören auch große, feine Kartoffeln dazu, die gerne mit Gänsefett glasiert sein dürfen. Die Krönung bildet eine delikate Sahnesauce mit etwas säuerlichem Gelee.

Die abschließende Nachspeise sollte möglichst aus einem saftigen Apfelkuchen mit Vanillesauce oder aus echtem schonischen Baumkuchen mit typischem Zubehör wie Eis,

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Sahne und Beeren bestehen. Wer es ganz genau nimmt, verwendet für den Kuchen natürlich schonische Äpfel. Das Gänseessen ist also eine sehr reichhaltige Mahlzeit, so wie es sich für die schonische Küche gehört – aber denken Sie deshalb nicht, dass die Martinsgans nur in Skåne gegessen wird.

Das Martinsfest wird an vielen verschiedenen Orten in Schweden gefeiert. Die Schonen halten an dieser Tradition allerdings am meisten fest. Wahrscheinlich weil die Gans, der älteste Hausvogel überhaupt, noch heute untrennbar mit der schonischen Landschaft verbunden ist. Im übrigen Schweden verschwand die Gänsezucht Ende des 18. Jahrhunderts mit der Wechselwirtschaft. Zuvor hatten die Gänse ihren natürlichen Platz in der Landwirtschaft, da sie sich auf den brachliegenden Feldern besonders wohl fühlten. Aber in der offenen Landschaft Skånes lebt die Gänsezucht weiter, denn hier gibt es reichlich Platz. Skåne hat sogar eine eigene Gänseart: Die Skåne-Gans ist größer und prächtiger als alle anderen Gänsearten Schwedens. Die schonischen Gänse leben frei und glücklich im Freien von Getreide und Gras – im Gegensatz zu ihren französischen Artgenossen, wie wir vielleicht hinzufügen sollten.

In Skåne gehört die Gans, unser allererster Hausvogel, bis heute zum idyllischen Landschaftsbild.Photo: skane.com © Gunnar Magnusson

In Frankreich werden Gänse bekanntermaßen zwangsgefüttert, um die als Delikatesse geltende „fois gras d’oie“ zu produzieren, die „Fettleber von der Gans“. Die schonischen Gänse sind also artgerecht gehaltene, glückliche Tiere – kein unwichtiges Argument in einer Zeit, in der ökologische Aspekte und Tierschutz an Bedeutung gewinnen. Wer weiß, vielleicht trägt diese Information dazu bei, dass man den Gänsebraten noch ein klein wenig mehr genießt?

Schwarzsauer8-10 PortionenDer Schwarzsauer schmeckt am besten, wenn er bereits am Tag zuvor zubereitet wird. Gänseherz und -magen säubern. Flügel und Hals zerkleinern und mit Halshaut, Leber und Suppengemüse in leicht gesalzenem Wasser etwa 30 Minuten kochen. Während der ersten 5-10 Minuten den Schaum abschöpfen und die Bouillon abseihen, wenn sie richtig kräftig ist. Mit Hühnerbrühe auf 2 Liter auffüllen. 2 saure Äpfel und 4-6 Backpflaumen in Würfel schneiden, mit Wasser bedeckt 15-20 Minuten kochen, herausnehmen und zur Seite stellen. Die Bouillon aufkochen und mit 4-6 EL Mehlbutter abbinden. Mit dem Apfelkochwasser verdünnen, bis die Bouillon säuerlich schmeckt. Mit Thymian, Majoran, einigen ganzen Gewürznelken, 1 TL Zimt und 1 TL Ingwer würzen. Mit 100 ml Rotwein, 40-50 ml Portwein und der gleichen Menge Weinbrand abschmecken. Die Suppe 20-30 Minuten kochen lassen, dann auf kleine Hitze zurückstellen und langsam 400 ml frisches Gänse- oder Schweineblut dazugießen, wobei die Suppe nur noch schwach sieden darf. Den fertigen Schwarzsauer 10-12 Stunden „reifen“ lassen, dann auf kleiner Flamme vorsichtig erwärmen und mit weiteren Gewürzen oder mehr Apfelkochwasser noch einmal abschmecken. Dazu warmes Gänseklein, gekochte Apfelschnitze und Backpflaumen servieren.

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Gänsebraten8-10 Portionen5-6 kg Gans1 Zitrone2 BrühwürfelSalz, weißer Pfeffer6-8 Äpfel20 kernlose Backpflaumen2 EL Weizenmehl

Den Ofen auf 175 ºC stellen. Die Gans ausnehmen, waschen und abtrocknen. Die Zitrone halbieren und ins Innere der Gans auspressen. Die Gans innen und außen mit Salz und Pfeffer würzen. Die Äpfel in Schnitze schneiden, mit den Backpflaumen mischen und den Vogel damit füllen. Dann die Gans mit der einen Keule nach oben auf den Rost in der Backpfanne legen.

Die Gans in den Ofen schieben. Die Brühwürfel in Wasser aufkochen. Die Gans auf jeder Keulenseite 20 Minuten braten und dann die Brust nach oben drehen. Die Bouillon in die Backpfanne gießen und die Gans alle 10 Minuten damit begießen. Nach etwa 2 Stunden im Ofen mit einer Nadel in die Keule stechen. Wenn der Fleischsaft klar ist und die Nadel leicht durch die fleischigste Stelle gleitet, ist der Vogel gar. Den Bratensaft abgießen, die Temperatur auf 225 ºC erhöhen, die Gans mit einigen Esslöffeln kaltem Wasser begießen und dann bei leicht geöffneter Ofentür nachbraten lassen, damit die Haut schön knusprig wird. So viel Fett wie möglich aus dem Bratensaft abschöpfen und in eine Tasse geben. Das Weizenmehl in etwas kaltes Wasser ausrühren, zum Andicken in den Bratensaft geben und aufkochen. Einige Esslöffel der Füllung herausnehmen, in der Sauce mitkochen lassen und diese mit etwas Gänseschmalz, Salz und Pfeffer abschmecken. Den Gänsebraten aufschneiden und mit gewürztem Rotkohl, Sahnesauce, Gelee und Kartoffeln servieren.

Rezepte aus der Kochsendung Menu des schwedischen Radios.

Annelie Mannertorn ist freiberufliche Journalistin, Ökonomin und Beraterin mit einer besonderen Vorliebe für kulinarische Spezialitäten aus Schonen.