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20 | Bauwelt 13 2006 Bauwelt 13 2006 | 21
Max Burchartz und das Wehag-Erscheinungsbild Handform-Programm und Einheitsbeschlag
Links: Max Burchartz, Werbegrafik
für Wehag: Prospekt „Handform-
Standardbeschläge, 1929.
Mitte von links nach rechts:
Max Burchartz: Prospekt „Einheits-
Türbeschlag“, 1930; Katalog Wehag
1936; Metallbuchstaben, 1936.
Otl Aicher, Corporate Design für FSB:
Bildzeichen und Schriftzeichen;
Plakat für Buchwerbung „Übergriff“
Max Burchartz, 1887–1951
Der Werbegrafiker Max Burchartz
gestaltete ab 1928 das Erscheinungs-
bild der 1790 gegründeten Firma
Wehag (Wilhelm Engstfeld) in Heili-
genhaus. Prospekte, Kataloge, Ver-
packungen und Signet stammen aus
seiner Hand. Ein 1931 im Stedelijk-
Museum in Amsterdam ausgestellter
Katalog wurde kurz darauf in Leip-
zig in die Liste der 50 schönsten
Industrie-Bücher des Jahres aufge-
nommen, weil er „wie ein gutes po-
puläres technisches Lehrbuch“ ge-
staltet war. 1929 entwarf Burchartz
das Handform-Standardprogramm,
1930 einen Einheits-Türbeschlag.
Die enge Zusammenarbeit zwischen
Burchartz und Wehag nimmt An-
fang der dreißiger Jahre als Modell
vorweg, was Anfang der achtziger
Jahre bei FSB geschah:
Jürgen W. Braun, damals Geschäfts-
führer von Franz Schneider Brakel,
einer 103 Jahre alten, solide agie-
renden Firma, trifft auf Otl Aicher.
Der habe, so wird berichtet, im Vor-
feld ein gewisses Interesse an Tür-
klinken gezeigt. Die Begegnung hat
unvor hersehbare Konsequenzen: Otl
Aicher erwartet, bevor er überhaupt
für FSB tätig wird, eine Definition
der Firmenphilosophie, die er rück-
blickend und vorausschauend defi-
zei chen. Von den Geschäftspapieren
bis zur Verpackung wurde ein abge-
stimmtes System etabliert, in dem
dann auch der Katalog einen zentra-
len Platz einnimmt. Er wurde prä-
miert. Das Erscheinungsbild von FSB
war geboren, aber eben nicht als
Erscheinungsbild schlechthin, son-
dern als Spiegelung dessen, was der
Firma an ihren Produkten das Wich-
tigste schien: Qualität. Und wenn
man es wirklich ernst meint mit dem,
was man tut, nun, dann kann man
sich selbst in der Werbung mit Un-
derstatement und Ironie begegnen.
Dieser Rat von Otl Aicher wurde be-
folgt (vgl. S. 30/31).
niert haben will. Der Rückblick wei-
tet sich zu einem umfangreichen
Buchprogramm rund um das Thema
„Greifen und Griffe“.
Gleichzeitig wurden die Bausteine
für das neue Erscheinungsbild zu-
sammengetragen, mit dem sich FSB
1990 der Öffentlichkeit präsen-
tierte. Das Signet: eine Abstraktion
von „Wittgensteins Griff“, die Signa-
tur: drei Buchstaben, die für Franz
Schneider, den Firmengründer, und
für Brakel stehen, den Ort, zu dem
man sich bis heute bekennt. Dazu
eine Unmenge von Otl Aicher ent-
wickel ten Gebrauchsvorschriften im
Umgang mit den Bild- und Schrift-
Otl Aicher und das Corporate Design von FSB Die vier Gebote des Greifens
Otl Aicher, 1922–1991
Die vier Gebote des Greifens
Am 3. Juni 1985 saß Otl Aicher bei
FSB in Brakel am ehemaligen Ar-
beitsplatz von Johannes Potente.
Auf der Werkbank lagen dessen Tür-
klinken. Es galt, deren Qualitäten
zu beschreiben. Otl Aicher skizzierte
die Merkmale der Beschreibung und
beendete die Sitzung mit den Wor-
ten: „Hiermit schenke ich FSB die
vier Gebote des Greifens. So wie für
ERCO das Licht die vierte Dimen-
sion der Architektur ist, hat FSB nun
vier Kriterien, die das Greifen und
die Auswahl der Griffe verständlich
machen.
1 Daumenbremse
Der Daumen sucht stets eine Rich-
tung. Bereits auf den ersten Faust-
keilen lassen sich Spuren dieser Su-
che nachweisen. Viele Gegenstände
des Greifens haben eine ausgespro-
chene Daumenorientierung.
2 Zeigefingerkuhle
Auch der Zeigefinger ist immer auf
Richtungssuche. Der Lotse der Hand
tastet sich suchend vor, lässt die
übrigen Finger nachkommen. Bei ei-
nigen Gegenständen entdecken wir
„Zeigefingerkuhlen“.
3 Ballenstütze
Die Hand als Einheit verlangt „eine
Stütze“. Daumen und Zeigefinger
sondieren den Raum. Dann fasst die
Hand als Ganzes zu. Der Handbal-
len will dabei gestützt werden. Nur
so kann die Kraft aufgebraucht wer-
den.
4 Greifvolumen
Den Griff ins Leere schätzt die Hand
nicht. Sie will ballig geführt werden.
Greifvolumen ist notwendig. Beim
sinnfreien Spielen mit Handschmeich-
lern, meist bunten Steinen in Ei-Form,
verrät der Mensch unbewusst dieses
Grundbedürfnis.
Weil die hand greifen kann, kann auch das denken
begreifen, weil die hand fassen kann, erfassen wir
auch etwas in unserem kopf. Weil die hand etwas vor
uns hinstellen kann, können wir auch etwas durch
denken darstellen, weil die hand legen kann, legen wir
auch im denken etwas dar, . . . wir stellen nicht nur
fest, wir stellen auch auf, eine neue these zum beispiel,
wir erfassen nicht nur, wir befassen uns mit etwas,
wenden und drehen etwas und gelangen schließlich
zu einer auffassung. Otl Aicher, 1983
Die streitbar-nachdenkliche Auseinandersetzung mit
unserem Tun in schriftlicher Form ist zu einer FSB-
Spezialität geworden.
Spötter behaupten sogar, wir seien vermutlich der
einzige Buchverlag der Welt, der sich den Luxus
leiste, nebenbei auch noch Türklinken zu produzieren.
Jürgen W. Braun, 1991
Jürgen W. Braun, Sepp Landsbek,
Visuelle Kommunikation,
Köln 1995
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Humanisierung oder Rationalisierung von Arbeit ? Hand-Griffe Griffhaltungen
Die erste freie Bewegungsmöglichkeit
des Hand-Arm-Systems nach erfolgtem
Zugriff ist im Handgelenk vorhanden.
Bei einer Türblatt öffnung von 15 Grad
ist das Handgelenk bereits gesperrt. Bei
Überschreiten dieser Bewegungsgröße
muss bei der Beugung des Ellenbogens
der Oberarm gehoben werden.
Johannes Solf, Peter Kern, 1986
Manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern.
Werch ein Illtum!
Ernst Jandl, 1974
Rechts: die fünf Versuchsanordnungen
für die wissenschaftliche Prüfung von
Türgriffen: Bowling-Griff, Bügel-Griff,
Kugel-Griff, L- Griff, Konventioneller
Griff – und daraus entwickelt FSB den
Ergo-Türdrücker 7655 Fh
HFG Karlsruhe, Übergriff,
Köln 1993
Hand und Griff, Ausstellung Wien
1951, Köln 1995
Hochschule für Grafik und Buchkunst,
Gesten, Köln 1996
Jürgen Braun, Die Sprache der Hände,
Mainz 2005
Friedrich Herig Die denkende Hand Gesellschaft für Manufaktologie 1930 Ergonomie ist:
Friedrich Herig, 1890–1969
Über seiner Lebensarbeit steht das
Motto „Die denkende Hand“. Als
Ingenieur für Materialprüfung und
Handwerkstechnik etablierte sich
Friedrich Herig 1924 als selbständi-
ger Forscher. Im Jahre 1930 grün-
dete er zusammen mit Interessenten
der Handkultur die „Gesellschaft
für Manufaktologie“ und 1932 in
Karls ruhe die weltweit erste Griff-
for schungsstätte. Herig ging von
der Annahme aus, dass jedes Werk-
zeug eine „Handseite“ und eine „Ar-
beits seite“ aufweise. Er ließ sie ge-
trennt untersuchen, die Handseite
etwa durch Vermessung der Hand-
feuch tigkeit mit Hilfe von Rußspu-
ren. Er klassifizierte zunächst vier
Haltungen: Greifen, Halten, Formen,
Prüfen (vgl. Abb. S. 23). Später diffe-
ren zierte er die verschiede nen Griff-
Haltungen mit eigens dafür gebau-
ten Apparaturen. Für die berühmte
Ausstellung „Hand und Griff“, ein -
ge richtet von Walter Zeischegg und
Carl Auböck, die 1951 in Wien statt-
fand, wurden die neun Griffhaltun-
gen von Lucca Chmel fotografiert.
Ergonomie und Praxis
1985 beauftragte FSB eine Studie
mit dem Titel: „Ergonomische Kenn-
größen zur Gestaltung und Anord-
nung von Türgriffen.“ Johann J. Solf,
der Nachfolger von Friedrich Herig
auf dem Gebiet der Manufaktolo-
gie, und Peter Kern vom Fraunhofer-
Institut für Arbeitswissenschaft, ent-
wickel ten (in Zusammenarbeit mit
der Staatlichen Akademie der Bilden-
den Künste in Stuttgart und dem Kli-
nikum Nürnberg) Griffvarianten, die
in einem Türen-Parcours von Män-
nern, Frau en, Kindern und Roll stuhl-
fah rern erprobt wurden. Neben vier
wissenschaftlich erarbeiteten Test-
grif fen wurde ein so genannter kon-
ventioneller Griff mitgetestet. Die
minutiösen Untersuchungen dauer-
ten bis 1989. Der konventionelle
Griff hielt, mit einigen Verbesserun-
gen, den formulierten Anforderun-
gen am besten stand: Eines der Er-
gebnisse der Studie war die „Ergo-
Türdrücker-Garnitur 7655 Fh“, das
andere die FSB-Publikation „Ergono-
mie und Praxis“.
Die Hände wollen einander treffen, denn so
ist ihre Symmetrie. Aber sie können es nicht,
denn auf ihrem Weg gibt es Gegenstände.
Sie sind also durch ihre Gestalt selbst zum
allmählichen Verständnis, zur fortschreiten-
den Eroberung der Welt genötigt. Die Neu-
gier unserer Hände ist eine der Bedingungen,
die uns auferlegt sind. Vilém Flusser, 1991
Aufgabe der Ergonomie ist es,
durch Aufzeigen der Gestaltungs-
dimensionen die Beeinflussung
von Arbeitssystemen an deren Kri-
terien der Belastung und Bean-
spruchung der eingesetzten Men-
schen darzustellen und damit die
Grundlagen für menschengerech-
tere Gestaltungen zu schaffen.
Walter Rohmert, 1973
Oben rechts: Titelblatt „Ergonomie
und Praxis, FSB-Publikation 1990.
Mitte von links nach rechts:
Aus den FSB-Publikationen: „Über-
griffe“, 1993, und „Gesten“, 1996.
Gerät zur Simulation der Hand-
Finger-Bewegungen am Institut für
Griff-Forschung von Friedrich Herig;
Abdrücke der vier Hand-Griffe:
Greifen, Halten, Formen, Prüfen.
Die neun Griffhaltungen nach
Friedrich Herig: Schreibhaltung,
Bohrhaltung, Schneidhaltung,
Klemmhaltung, Schlaghaltung,
Drück- und Drehhaltung, Hebelhal-
tung, Kurbelhaltung, Radhaltung
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Otl Aicher adelt ihn zum anomymen Designer Das Modell 1020
Wenn man plötzlich auf einen designer stößt wie
johannes potente und sich über ihn freut und überall
seine spuren vorfindet, gute und schlechte, und
sieht, wie er vor allem den 50er jahren seinen stempel
aufdrückte, dann nicht, um ihn der anonymität der
geschichte zu entreißen und ihn gar in die geschichte
des designs einzubringen. Er soll bleiben, der er war,
ein anonymer designer . . . ein anonymer designer
pflegt nicht seinen stil. Er hat keinen. Er ist wie ein
handwerker allein in seiner werkstatt, ihn interessiert,
was herauskommt. Auf dieser haltung ruht die
menschliche kultur . . . mag sein, daß er manches nicht
gemacht hätte, wenn er davon ausgegangen wäre:
die menschheit, wenigstens die kulturelle, blickt auf
mich. So bewahrte er eine unkontrollierte lässigkeit.
Aber gerade sie ist bestandteil seines eifers und
dokumentiert den unablässigen umgang mit der sache
selbst, nicht ihre wirkung. Otl Aicher, 1989
gemeißelt. Dabei musste überlegt
werden: Wo trennt man den Drücker,
welche Seite legt man in den obe-
ren, welche in den unteren Teil der
Kokille? Bei einer einfachen Form ist
die Trennebene glatt und auf der
Mitte. Umso komplizierter die Form,
desto komplizierter die Trenn ebene.
Anfangs bestand die Kokille für das
Modell 1020 aus drei Teilen, heute
sind es zwei. Doch wegen der asym-
metrischen Form ist zur Herstellung
dieser Klinke immer noch viel Arbeit
von Hand nötig.
1954 waren die ersten Klinken der
Linie 1020, die damals noch aus
drei verschiedenen Größen bestand,
gegossen und wurden im gleichen
Jahr auf der Eisenwarenmesse in
Köln für 8,50 Mark angeboten. Die
Statistik weist nach, dass FSB das
Modell 1020 bis zum Jahr 1997
etwa drei Millionen Mal verkaufte,
das heißt, im Schnitt weit mehr als
50.000 Türdrücker dieses einen
Modells pro Jahr.
Oben links: die Hände von
Johannes Potente.
Mitte von links nach rechts:
Johannes Potente, Zeichnung zu
Modell 1020, 1958/59; die Griffe
1020 im Eloxierbad; Modell 1020
im Handbuch 2005.
Unten: Glastisch von Isamu
Noguchi, 1945
Johannes Potente, Brakel
Design der fünfziger Jahre,
Köln 1989
Andrea Scholtz, Die Türklinke 1020
von Johannes Potente,
Frankfurt 1998
Johannes Potente Die Werkspur der Hände Sechzig Arbeitsjahre im Weserbergland
Johannes Potente, 1908–1987
Wer, bitte, ist Johannes Potente?
„Er war ein Arbeiter“, sagte Otl
Aicher von ihm, „er machte Modelle
für Türgriffe, weil das gebraucht
wurde und er dazu Anlagen hatte.“
Johan nes Potente war kein ausge-
bildeter Designer, von Beruf war er
Stahlgraveur und als solcher dafür
zuständig, die Werkzeuge und For-
men für die Fertigung der Beschläge
bei FSB herzustellen. Stahlgraveure
mussten gut zeichnen können und
große Handfertigkeiten besitzen.
1922 hatte Potente seine Lehre bei
FSB in Brakel begonnen, wurde ge-
fördert und 1932 auf die Badische
Kunstgewerbeschule in Pforzheim
geschickt. Von 1940 bis 1945 kam
er an die Ostfront, zeichnete Minen-
karten und kehrte danach wie selbst-
verständlich an seinen alten Arbeits-
platz zurück. Er hat später seine ost-
westfälische Heimatstadt Brakel
im Weserbergland nie wieder für län-
gere Zeit verlassen. 1950 wurde Jo-
hannes Potente Leiter der Bereiche
Entwicklung, Entwurf, Werkzeugbau,
Graviererei und gewerbliche Ausbil-
dung und entwarf seinen ersten Tür-
drücker: das Modell 1034 (S. 27).
Es brachte FSB einen immensen Ver-
kaufserfolg und erhielt deshalb den
Beinamen „Millionendrücker“. 1953,
ein weiterer, vielleicht der schönste
Entwurf von Potente: das Modell
1020. Auffällig an diesem Türdrü-
cker ist sein organischer Schwung,
der wie eine weiche, lang gestreckte
Welle das Modell durchzieht. In der
Aufsicht verbreitert sich die Hand-
habe unmerklich, um dann gegen
Griffende stark anzuschwellen. Für
das Modell hatte Potente zunächst
eine Skizze gezeichnet, dann ein
Holzmodell gefertigt und schließlich
die Form in Aluminium vorarbeiten
lassen. Danach habe er, so erzählt
man, die Klinke tagelang in der Ta-
sche seines Arbeitskittels herumge-
tragen, um sie zu betasten und zu
befühlen. Die Klinke 1020 steht in
der Tradition der organisch gestalte-
ten Handformgriffe, deren Form
aus dem Griffvolumen der Hand ent-
wickelt ist. Der Nachteil ist, dass
sie zu sehr auf bestimmte Handgrö-
ßen abgestimmt sind und eine be-
stimmte Greifhaltung vorgeben. Ein
Handformgriff ist nicht doppelseitig
zu verwenden, das Drückerpaar be-
steht immer aus einem rechten und
einem linken Teil. Die Fertigung des
Modells 1020 war nicht einfach: Die
Kokillen aus Grauguss wurden, be-
vor es Kopierfräsen gab und das Mo-
dell maschinell abgetastet werden
konnte, in mehreren Teilen von Hand
Um zu verstehen, wie wir denken, muss man
unsere Hände anschauen: Wie der Daumen
sich den anderen Fingern entgegensetzt; wie
die Fingerspitzen sich berühren; wie die Hand
sich als Handteller öffnet und als Faust
schließt; wie eine Hand sich der anderen ent-
gegensetzt. Vilém Flusser, 1991
26 | Bauwelt 13 2006 Bauwelt 13 2006 | 27
Die Sammlung des Museum of Modern Art in New York bewahrt vier seiner Modelle
Mehr denn je verlangt heute der Käufer, und dazu
wird er erzogen, selbst von den alltäglichsten
Gebrauchsgegenständen neben einer guten Funktion
und funktionellen Ausführung auch ein angenehmes
Äußeres, eine gute Formgestaltung. Ja, oftmals ist
diese sogar das Primäre . . . Man will keine überlieferte,
dem vergangenen Stilempfinden entsprungene
Form oder Linie, sondern eine zeitgemäße, sachliche,
zweckmäßige . . . Johannes Potente, 1957
Johannes Potente, Brakel
Design der fünfziger Jahre,
Köln 1989
1981–1991, Die ersten zehn Jahre
des zweiten Jahrhunderts von FSB,
Brakel 1991
Jürgen Braun, Die Sprache der
Hände, Mainz 2005
FSB Handbuch 2005
Die fünfziger Jahre wurden die Jahre
der großen Erfolge für Johan nes
Potente. Auf den Millionen-Drücker
1034 von 1954 und das Handform-
Modell 1020 von 1958 folgten klare,
nüchterne, beinahe geometrische
Entwürfe. 1958 kam der „Schneider-
Drücker“ als Modell 1051 auf den
Markt, der mit seinem Namen vor-
übergehend zum Synonym für das
ganze Unternehmen wurde. Die Dau-
menbremse hat die Form eines Drei-
ecks, das an einer Seite abgerundet
ist und an der anderen in den schma-
len, gradlinigen und sich verjüngen-
den Handgriff übergeht. Der Griff be-
sitzt eine ausgeprägte Zeigefinger-
kuhle, und auch die anderen beiden
„Gebote des Greifens“ von Otl Aicher,
Ballenstütze und Greifvolumen, sind
berücksichtigt. Etwa zwei Jahre spä-
ter überarbeitete Johannes Potente
den Schneider-Drücker noch einmal,
und das Ergebnis war das verein-
fachte Modell 1058, angeblich Poten-
tes Lieblingsklinke. Weggefallen war
der dreieckige Akzent am Drehpunkt,
übrig blieb eine schmale Form, die
sich sanft nach hinten verjüngt. Zeit-
gleich mit dem Schneiderdrücker war
der so genannte Schnabel-Drücker
entstanden, das Modell 1046, das in
der Ansicht durch ein spitzwinkli ges,
lang gestrecktes Dreieck und in der
Aufsicht durch eine breite Greifflä-
che auffällt, die sich zum Drehpunkt
hin verjüngt.
Johannes Potente starb 1987 in
Brakel. Er durfte nicht mehr erleben,
dass vier seiner Klinken 1998 in die
ständige Sammlung des Museum of
Modern Art in New York aufgenom-
men wurden.
Johannes Potente bei FSB: Ein Werkzeugmacher entwirft Türdrücker, weil sie gebraucht werden
1881 hatte der Gürtlermeister Franz
Schneider in Iserlohn sein Unterneh-
men in den Kellerräumen des eige-
nen Hauses gegründet. Knapp drei-
ßig Jahre später, 1909, zog er mit
seiner Firma ins Weserbergland nach
Brakel. Das Westfälische Metallwerk
Franz Schneider – so hieß die Firma
damals – war mit ihren 100 Beschäf-
tigten zu jener Zeit der größte Ar-
beitgeber am Ort. Das gilt bis heute.
Ende der zwanziger Jahre hatte FSB
damit begonnen, neben Möbelbe-
schlägen auch Baubeschläge, und
Mitte der dreißiger Jahre die ersten
Türbeschläge aus Leichtmetall zu
produzieren. Der Zweite Weltkrieg
unterbrach Aufstieg und Weiterent-
wicklung. Nach der Währungsre-
form 1948, als der Nachholbedarf
der Verbraucher groß war, die Schau-
fens ter sich wieder füllten und der
Nachkriegs-Bauboom seine Wirkung
zeigte, wurde in kürzester Zeit in
den Industriebetrieben der Produk-
tions stand der Vorkriegszeit wieder
erreicht. Zwischen 1949 und 1960
entstanden in der Bundesrepublik
rund fünf Millionen Wohnungen,
das heißt, die Beschläge-Industrie
konnte ohne große Anstrengungen
am Wirtschaftswunder teilhaben.
1956 war die Belegschaft von FSB
auf 400 Per sonen angewachsen.
Johannes potente dachte an türgriffe, nicht an
kulturgeschichte. Er blieb beim thema, bei der sache
und benahm sich so trivial wie der gegenstand
selbst. Nicht als ob ihm tür griffe gleichgültig gewe-
sen wären. Er lebte für sie . . . Otl Aicher, 1989
Erst wenn aus unseren Geräten jede sicht bare Spur
der technischen Bearbeitung geschwunden ist und wir
sie so natürlich und selbstverständlich wie vom Meer
gerundete Kieselsteine ergreifen, wird man langsam
vergessen, daß es sich überhaupt um so et was wie
eine neue Maschine handelt.
Antoine de Saint-Exupéry, 1939
Oben rechts: Johannes Potente am
Reißbrett.
Mitte von links nach rechts: Bleistift-
skizzen von Johannes Potente;
Gießautomat im FSB-Werk in Brakel;
die Türklinken des Johannes Potente:
Modell 1051, „Schneiderdrücker“,
Mitte 50er Jahre; Modell 1058,
um 1960; Modell 1046; „Schnabel-
Drücker“, Mitte 50er Jahre; Modell
1034, „Millionendrücker“, 1953
1951/52 wurde bei FSB eine zeitge-
mäße Leichtmetallgießerei aufge-
baut. Aluminiumgießen war zwar
schon vorher bekannt, aber noch
nicht weit verbreitet. Die neue Tech-
nik eröffnete ungeahnte Gestal-
tungsräume. Formen wurden mög-
lich, die mit herkömmlichen Techni-
ken nie denkbar gewesen wären.
Die Modelle der Vorkriegszeit waren
nicht mehr gefragt, die Nachfrage
nach neuen Formen lag in der Luft,
und der Werkzeugmacher Johannes
Potente machte sich pflichtgemäß
daran, neue Türdrücker zu entwer-
fen, weil sie gebraucht wurden.