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Mein schönstes Bier Besonders gut schmeckte es nicht, mein schönstes Bier. Zumindest nicht der erste Schluck. Die Erinnerung ist klar und setzt ein mit diesem bitteren Geschmack von Zahnpasta und Bier. Es ist Juli in Berlin, ein trockener, heißer Sommertag um 13.30, wir haben gerade erst gefrühstückt. Doch das ist nicht das Schlimmste: In einer Stunde werde ich gestriegelt und mit einer Krawatte verknotet über glühende Kohlen gehen, in die Hölle der potentiellen Versager. In einer Stunde habe ich das wichtigste Vorstellungsgespräch meines jungen Lebens. Zum Glück hat Mann einen besten Freund. Der Wissenstest am Tag davor ist gut gelaufen, aber die Angst, im Zwiegespräch auf die Obersten des Verlages zu treffen, hält mich wie gelähmt. Mein Freund Martin, bei dem ich mich einquartiert habe, hat es längst bemerkt: „Jetzt hast Du Dir zwar schon die Zähne geputzt, aber Du musst auf jeden Fall noch ein Kölsch trinken, bevor Du los gehst, mein Junge“, meint er grinsend und umarmt mich kernig. Seine Fahne vom Vorabend ist trotz Kaffee noch nicht ganz verflogen, denn schon in der letzten Nacht gab 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

Mein Schönstes Bier

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Eine Hymne auf das Bier. Rettet die guten Biere!

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Page 1: Mein Schönstes Bier

Mein schönstes Bier

Besonders gut schmeckte es nicht, mein schönstes Bier. Zumindest nicht der erste Schluck. Die Erinnerung ist klar und setzt ein mit diesem bitteren Geschmack von Zahnpasta und Bier. Es ist Juli in Berlin, ein trockener, heißer Sommertag um 13.30, wir haben gerade erst gefrühstückt. Doch das ist nicht das Schlimmste: In einer Stunde werde ich gestriegelt und mit einer Krawatte verknotet über glühende Kohlen gehen, in die Hölle der potentiellen Versager. In einer Stunde habe ich das wichtigste Vorstellungsgespräch meines jungen Lebens.

Zum Glück hat Mann einen besten Freund. Der Wissenstest am Tag davor ist gut gelaufen, aber die Angst, im Zwiegespräch auf die Obersten des Verlages zu treffen, hält mich wie gelähmt. Mein Freund Martin, bei dem ich mich einquartiert habe, hat es längst bemerkt: „Jetzt hast Du Dir zwar schon die Zähne geputzt, aber Du musst auf jeden Fall noch ein Kölsch trinken, bevor Du los gehst, mein Junge“, meint er grinsend und umarmt mich kernig. Seine Fahne vom Vorabend ist trotz Kaffee noch nicht ganz verflogen, denn schon in der letzten Nacht gab es das ein oder andere frische Kölsch, um die gelungene erste Runde des Bewerbungsmarathons zu feiern.

Fast die gesamte Kiste hatten wir mit Freunden bei einem lauen Grillabend verfeuert, und das Gute-Nacht-Kölsch gab es beim Nacktbaden im Mondschein am Heiligen See in Potsdam. Als ich mit einem leichten Frösteln aus dem Wasser stieg und mich auf die Wiese im milchfarbenen Licht legte, war ich mir eigentlich schon sicher: Dieses ist das schönste Bier seit langem. Doch weit gefehlt, es sollte anders kommen.

„Na komm, mach Dich mal locker,

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so nervös kannst Du da nicht hingehen.“ Martin hat Recht. Ich stehe schon im Flur und kämpfe mit der neuen, teuren, sogar italienischen, aber trotzdem verhassten Krawatte, als er mit der Stange Kölsch um die Ecke kommt. Widerwillig wechselt meine Hand von der Seide der Krawatte zum dünnen Glas der kölschen Stange. Der erste Schluck tut noch weh, beim dritten sitze ich schon wieder verhältnismäßig entspannt auf dem Sofa. „Das kann man keinem erzählen, saufen vor dem Vorstellungsgespräch“, denke ich bei mir während ich nachgieße. Doch schon ist die Zeit zum überflüssigen Nachdenken vorbei, schnell noch mal die Zähne geschrubbt, Fisherman hinterher, und ab geht es zum Verlagshaus!

Nie hätte ich gedacht, in einem Bewerbungsgespräch genau so entspannt zu plaudern wie abends in einer Bar, schon gar nicht, nachdem ich das zerknirschte Gesicht des Scheitelträgers, der vor mir dran war, gesehen hatte. Nichtsdestotrotz hörte ich mir plötzlich dabei zu, wie ich dem Chefredakteur und dem bohrenden Ausbildungsleiter ohne Zögern Themen vorschlug, locker über Börse und Geldanlage parlierte, und mich ohne mit der Wimper zu zucken als Supertyp verkaufte. „Ich würde mich freuen, mit Ihnen zusammen zu arbeiten“, sagte ich zum Abschied mit einem beschwingten Handschlag. Die Zusage kam eine Woche später. Seitdem habe ich nie wieder Bier zum Frühstück getrunken, aber dieses eine Bewerbungsbierchen war im Nachgeschmack das schönste, das ich je getrunken habe.

HILMAR POGANATZ

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