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Menschen - LWLjunge Menschen in Münster 2004 Befragung zur Situation von Menschen mit Migrationshintergrund in den Einrichtungen der Suchthilfe in Westfalen-Lippe 2005 …

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  • Menschenmit Migrationshintergrund

    in denSuchthilfeeinrichtungen

    in Westfalen-Lippe

  • 2

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

    Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

    Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    1. Sucht und Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

    1.1. Menschen mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrungin der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

    1.2. Gesundheitliche Belastungen bei Migrantinnen und Migranten . . . . . . 121.2.1 Allgemeine gesundheitliche Situation von Migrantinnen und Migranten 121.2.2 Umfang und Art der Suchterkrankung bei Migrantinnen und Migranten 14

    1.3. Ursachen für die gesundheitliche Situation von Migrantinnenund Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

    1.4. Zugang der Migrantinnen und Migranten zum Gesundheitssytem . . . 19

    2. Konzepte der Sozialen Arbeit und der Suchthilfe . . . . . . . . . . . . . 20

    2.1. Interkulturelle Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

    2.2. Interkulturelle Öffnung der Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

    2.3. Entwicklungen in der Suchthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

    2.4. Interkulturelle Suchthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

    3. Durchführung der Erhebung: Ziele der Befragung, Gestaltungdes Fragebogens und Beschreibung der Stichprobe . . . . . . . . . . 24

    3.1. Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

    3.2. Die Gestaltung des Fragebogens und die Durchführung der Erhebung 25

    3.3 Beschreibung der Nettostichprobe: die Einrichtungender Suchthilfe in Westfalen-Lippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

    3.3.1. An der Befragung beteiligte Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.3.2. Beschreibung der Nettostichprobe: Behandlungsschwerpunkte,

    Klienten- und Patientenzahlen und Mitarbeiterstruktur . . . . . . . . . . . . 29

    4. Ergebnisse der Befragung Teil 1:Analyse der Inanspruchnahme der Suchthilfeeinrichtungenin Westfalen-Lippe durch Personen mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

    4.1. Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund an der Klientel . . . . . 35

  • 3

    4.2. Anteil der Frauen unter den Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

    4.3. Gruppen unter den Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . 40

    4.4. Herkunft der Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

    4.5. Deutschkenntnisse der Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . 41

    4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

    5. Ergebnisse der Befragung Teil 2:Abbau von Zugangsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

    5.1 Zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

    5.2 Zusammenarbeit mit Schlüsselpersonen (Keyperson-Konzept) . . . . . 46

    5.3. Angebot an fremdsprachigem Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

    5.4 Beseitigung der Zugangsbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

    5.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

    6. Ergebnisse der Befragung Teil 3:Interventionsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

    6.1. Besondere inhaltliche Schwerpunkte in der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 52

    6.2. Spezielle Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund . . . . . . . 54

    6.3. Spezielle Verfahren und Regelungen in der methodischen Arbeitmit Menschen mit Migrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

    6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

    7. Ergebnisse der Befragung Teil 4:Konzeptionelle Arbeit und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 58

    7.1. Schriftliche Fixierung der interkulturellen Öffnung . . . . . . . . . . . . . . . . 58

    7.2 Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereichinterkultureller Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

    7.3 Spezielle Kompetenzen für die Arbeit mit Menschen mitMigrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

    7.4 Kultursensible Arbeit in den Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

    7.5 Erfassung der Inanspruchnahme durch Menschen mitMigrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

    7.6 Probleme bei der Kooperation mit anderen Diensten bezogenauf die Klientel mit Migrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

    7.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

  • 4

    8. Ergebnisse der Befragung Teil 5:Pläne und Anregungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

    8.1 Deckung des Bedarfs an Hilfen für Menschen mit Migratonshintergrund 69

    8.2 Pläne und Vorschläge zur Verbesserung und Intensivierung der Arbeit 72

    8.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

    9. Zusammenfassung der Ergebnisse undHandlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

    9.1 Ziele der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

    9.2 Stichprobe und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

    9.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769.3.1 Ergebnisse zur Inanspruchnahme der Suchthilfeeinrichtungen

    in Westfalen-Lippe durch Personen mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrung (Teil 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

    9.3.2 Ergebnisse zum Abbau von Zugangsproblemen (Teil 2) . . . . . . . . . . . 779.3.3 Ergebnisse zur Interventionsgestaltung (Teil 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789.3.4 Ergebnisse zur Konzeptionellen Arbeit und Qualitätssicherung (Teil 4) 809.3 5 Ergebnisse der Befragung zur Situationseinschätzung,

    zu Plänen und Anregungen der befragten Einrichtungen (Teil 5) . . . . . 82

    9.4 Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . 82

    10. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

    11. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

  • Die Ihnen vorliegende Publikation ba-siert auf der Diplomarbeit von AndreaSantel. Die Arbeit wurde im Aufbaustu-diengang Diplom-Pädagogik an derUniversität Siegen von Herrn Prof. Re-gus betreut. Für diese Arbeit wurden imJahr 2004 in Kooperation mit der LWL-Koordinationsstelle Sucht die Suchthil-feeinrichtungen in Westfalen-Lippe zuihrer Arbeit mit Menschen mit Migrati-onshintergrund befragt. Im Zeitrahmender Diplomarbeit war eine vertiefendeAuswertung des umfangreichen Frage-bogens nur eingeschränkt möglich. Wirhaben uns deshalb entschlossen, dievorhandenen Daten durch Sarah Müm-ken, Promotionskolleg Universität Bre-men, neu aufbereiten und auswerten zulassen. Die Diskussion der Ergebnissemit PD Dr. Wichard Puls veranlasste dieKoordinationsstelle Sucht, diese Publi-kation in gemeinsamer Autorenschaft,an der auch Doris Sarrazin beteiligtwar, zu erstellen. Grund hierfür war ei-nerseits die Tatsache, dass es zwi-schenzeitlich keine aktuelleren Studienin dem dargestellten Bereich gibt, an-dererseits gibt es keine Anzeichendafür, dass sich an der Situation von

    2004 zwischenzeitlich Wesentlichesgeändert hat.

    Auch heute noch sind Suchthilfeein-richtungen strukturell und konzeptionellnur unzureichend auf Migrantinnen undMigranten eingestellt. In einer aktuellenVeröffentlichung weisen Heimann, Peb-ka und Heinz1 darauf hin, dass einGrund hierfür auch in unterschiedlichenErklärungsmodellen für Abhängigkeitliegen kann. Das bei jugendlichen Aus-siedlern vorherrschende Gefühl der ver-meintlichen Kontrolle über das Sucht-mittel führt zu einem späten Aufsuchenvon Hilfeeinrichtungen, wenn sie über-haupt dort Hilfe suchen. Andererseitswird durch die Identifikation als Abhän-gigkeitskranker auch mit einer Stigmati-sierung und Ausgrenzung gerechnet,die unerwünscht ist. So ist der hier vor-gestellte Aspekt aus der Sicht des Hil-fesystems eine Seite der Medaille, diewahrscheinlich in nicht zu unterschät-zendem Maße von der kulturellen So-zialisation der Migrantinnen und Mi-granten ebenfalls beeinflusst wird. Hiergenauer hinzuschauen, könnte zu ei-nem Gewinn für beide Seiten führen.

    5

    Vorwort

    1 Heimann et al. Erklärungsmodelle von Migranten für Abhängigkeitserkrankungen, in: Suchttherapie2007;8: 57-62

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    Mit dieser Veröffentlichung führt die Koordinationsstelle Sucht des Landschaftsver-bandes Westfalen-Lippe die im Jahr 2000 begonnenen Aktivitäten zum Thema‚Sucht und Migration’ fort. Die Liste der hierzu durchgeführten Maßnahmen und In-itiativen ist inzwischen recht lang:

    2000-2002 EU-Projekt ‚search’: Suchtprävention für Flüchtlinge und Asylbewer-ber

    2000 -2006 Unterstützung verschiedener Einrichtungen der Wolga-Don-Regionin Samara, Nishnij Nowgorod, Kostroma, Vologda und Rostow amDon im Auftrag der Staatskanzlei NRW, Kennenlernen der Situationin Russland

    2001 „Sucht und Migration“ - Fachtagung on Tour

    2001 Befragung der Suchthilfeeinrichtungen in Westfalen-Lippe zum Fort-bildungsbedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

    2002 –2004 EU-Projekt ‚search II’

    2003 Fachtagung: Best Practices in der Arbeit mit suchtmittelabhängigenRusslanddeutschen in der ambulanten Suchthilfe

    2004 Gründung des Arbeitskreises ‚Sucht und Migration’mit zweimal jährlichen Treffen

    2004-2007 BAMF-Projekt: SeM – Sekundärprävention für spätausgesiedeltejunge Menschen in Münster

    2004 Befragung zur Situation von Menschen mit Migrationshintergrund inden Einrichtungen der Suchthilfe in Westfalen-Lippe

    2005 Deutsch-russischer Fachaustausch zu Drogenfragen

  • Das Zusammenleben verschiedenerKulturen ist in unserer Gesellschaft All-tagsrealität. Wir alle müssen uns dendamit verbundenen Herausforderun-gen stellen. Die Aufgabe wird sein, dieChancen, die uns diese Vielfalt bietetzu nutzen. Eine gute Verortung allerhier lebenden Menschen ist dazu uner-lässlich. Kenntnis und Verständnis fürkulturelle Unterschiede ist und bleibtdaher eine wichtige Kompetenz insbe-sondere in den psycho-sozialen Beru-fen. Insbesondere die direkte Konfron-tation mit der russischen Kultur brach-te allen Beteiligten ein besseres Ver-ständnis für den Erfahrungshintergrundder ausgesiedelten Menschen.

    Mit diesem Band der Reihe ‚ForumSucht’ geben wir schlussfolgernd auchHinweise und Impulse zu einer inter-

    kulturellen Öffnung der Suchthilfeein-richtungen. Wir würden uns freuen,wenn auch Sie neue Ideen finden, diein Ihrer Einrichtung umgesetzt werdenkönnen. Bedanken möchten wir unsinsbesondere bei all jenen Einrichtun-gen, die den doch recht umfangrei-chen Fragebogen beantwortet habenund damit eine erste Bewertung derSituation erst möglich machten.

    Hans MeyerLandesrat

    7

  • 8

    Abbildungsverzeichnis

    Abbildung 1: Migrationshintergrund der Bevölkerung 2005 (Statistisches Bundesamt 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    Abbildung 2: Migrationserfahrung der Bevölkerung 2005 (Statistisches Bundesamt 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    Abbildung 3: Alterspyramide 2005 nach Migrationserfahrung (Statistisches Bundesamt 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

    Abbildung 4: An der Befragung beteiligte Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . 27

    Abbildung 5: Beteiligte Einrichtungen mit der Aufschlüsselung derMehrfachantworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

    Abbildung 6: Schwerpunktsetzungen der Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . 30

    Abbildung 7: Einrichtungen, die Personal mit Migrationshintergrundbeschäftigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

    Abbildung 8: Anteil der Migrant/innen nach Herkunftsländern und -regionen 41

    Abbildung 9: Anteil der Migrant/innen mit unzureichendenDeutschkenntnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

    Abbildung 10: Zielgruppen der Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

    Abbildung 11: Bereitstellung von fremdsprachigem Informationsmaterial(in Prozent) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

    Abbildung 12: Anwendung spezieller Verfahren und Regeln bei derArbeit mit Klientel mit Migrationshintergrund . . . . . . . . . . . . . 56

    Abbildung 13: Schriftlich fixierte Leitlinien in den Einrichtungen . . . . . . . . . . 59

    Abbildung 14: Fortbildungen zum Thema "Sucht und Migration" . . . . . . . . . 61

    Abbildung 15: Anzahl der qualifizierten Beschäftigten pro Institution . . . . . . 61

    Abbildung 16: Einstellung der Einrichtungen darüber, ob spezifischeKompetenzen der Mitarbeiter/innen in der Arbeit mitMigrant/innen notwendig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

    Abbildung 17: Kultursensible Arbeit in den Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . 64

    Abbildung 18: Evaluation und Dokumentation des Hilfeangebots . . . . . . . . 66

  • 9

    Tabellenverzeichnis

    Tabelle 1: Klienten-/Patientenzahlen in den verschiedenen Einrichtungen . 30

    Tabelle 2: Durchschnittliche Anzahl der Vollzeitstellen nach Einrichtungsart 31

    Tabelle 3: Verhältnis Klient/innen/Patient/innen zum Personal . . . . . . . . . . 32

    Tabelle 4: Qualifikation des Personals mit Migrationshintergrund . . . . . . . 34

    Tabelle 5: Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund am gesamtenKlientel differenziert nach Einrichtungsarten im Jahr 2003 . . . . . 38

    Tabelle 6: Prozentualer Anteil der Frauen am gesamten Klienteldifferenziert nach Einrichtungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

    Tabelle 7: Gruppenzugehörigkeit bei Personen mit Migrationshintergrund 40

    Tabelle 8: Öffentlichkeitsarbeit für Menschen mit Migrationshintergrund . . 44

    Tabelle 9: Zielgruppenspezifische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

    Tabelle 10: Zusammenarbeit mit Schlüssel-/Brückenpersonen . . . . . . . . . . 46

    Tabelle 11: Zusammenarbeit mit Schlüssel-/Brückenpersonen . . . . . . . . . . 47

    Tabelle 12: Einrichtungen hinsichtlich ihrer Aktivitäten bei derBeseitigung von Zugangsbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

    Tabelle 13: Einrichtungen mit besonderem Einsatz bei derBeseitigung von Zugangsbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

    Tabelle 14: Besondere inhaltliche Schwerpunkte nach Einrichtungen (prozentuale Angaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

    Tabelle 15: Besondere Angebote für Personen mit Migrationshintergrund . 55

    Tabelle 16: Bedarfseinschätzung nach Bereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

    Tabelle 17: Bedarfsdeckung im ambulanten Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

    Tabelle 18: Bedarfsdeckung im stationären Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

    Tabelle 19: Bedarfsdeckung im komplementären Bereich . . . . . . . . . . . . . . 72

  • 1. Sucht und Migration

    1.1. Menschen mit Migrations-hintergrund und Migrationser-fahrung in der BundesrepublikDeutschland

    Die Zuwanderung nach Deutschlandkennt unterschiedliche Formen. DieEinwanderergruppen unterscheidensich in vielfältiger Hinsicht, so dass ge-nerelle Aussagen über Einwanderer,selbst über Einwanderergruppen starkeVereinfachungen darstellen. Die Worte„Migrant“ und „Migration“ leiten sichaus dem lateinischen migrare (wan-dern, wegziehen) oder migratio (Wan-derung) ab. Der Begriff „Migration“ alsSammelbegriff für dauerhafte Verände-rungen des Lebensumfeldes hat sichallerdings nur in der sozialwissen-schaftlichen Terminologie und mit Ein-schränkungen in der Epidemiologiedurchgesetzt (Razum, Geiger, Zeeb &Ronellenfitsch 2004). Nach der UNO-Definition ist Migration die ständigeLändergrenzen überschreitende Wohn-sitzverlagerung von Personen. Ständigbedeutet dabei ein Aufenthalt am neu-en Standort von mindestens einemJahr.

    Allgemein werden unter den Begriffen„Migrantin“ und „Migrant“ alle in dieBundesrepublik eingewanderten Men-schen zusammengefasst, also glei-chermaßen Arbeitsmigranten, Flüchtlin-ge und Aussiedlerinnen und Aussiedler.Bei Kindern und Jugendlichen, die seit

    ihrer Geburt in Deutschland leben, wer-den häufig Bezeichnungen wie „Ju-gendliche mit Migrationhintergrund“,„mit ausländischem Pass“ verwendet.Andere Begriffe sind „Einwanderer“oder „Zuwanderer“, die auf Grund ihrerpolitischen Konnotationen nicht ver-wendet werden sollten. Der Begriff„Ausländer“ hat aufgrund seiner rechtli-chen Bestimmung einen besonderenStatus. Er bleibt unverzichtbar, da vieleStatistiken noch nicht ausreichend dif-ferenziert sind und lediglich Staatsan-gehörigkeiten als Unterscheidungs-merkmal bieten1.

    Bei der Diskussion um die Migrations-problematik wird heute berücksichtigt,dass die Migrantinnen und Migrantenkeine homogene Einheit bilden, son-dern sich aus heterogenen Gruppenzusammensetzen. Die Heterogenitätlässt sich am Einreisegrund, an der Na-tionalität, am Alter und vielen anderenIndikatoren festmachen. Diese Indika-toren stehen zum Teil mit Erkrankungs-formen und Krankheitsbildern in Zu-sammenhang (Collatz 2001, S. 53;Wiedl & Marschalck 2001, S. 9).

    Das Statistische Bundesamt hat imRahmen des Mikrozensus 2005 einePräzisierung der Begrifflichkeit und derDatenlage erreichen wollen. Zunächsteinmal muss man zwischen Auslän-dern, Deutschen ohne Migrationshin-tergrund und Deutschen mit Migrati-onshintergrund unterschieden werden(siehe Abbildung 1).

    10

    1 So zum Beispiel die gängigen Dokumentationssysteme in der Suchthilfe, wobei sogar der DeutscheKerndatensatz als Minimalkonsens des Fachausschusses „Statistik“ der Deutschen Hauptstellegegen die Suchtgefahren lediglich zwischen Deutschen, Bürgern eines EU-Landes und Sonstigendifferenziert.

  • Abbildung 1:Migrationshintergrund der Bevölkerung2005 (Statistisches Bundesamt 2006)

    Bei der Aufgliederung der Migrationser-fahrung ergibt sich das folgende Bild(siehe Abbildung 2):2

    Abbildung 2:Migrationserfahrung der Bevölkerung2005 (Statistisches Bundesamt 2006)

    Die Gruppe mit Migrationserfahrungsetzt sich aus sehr heterogenen Popu-lationen zusammen, wobei das Merk-mal der Migrationserfahrung starkenVariationen unterliegt. In naher Zukunftwird der Anteil der Personen mit Migra-tionshintergrund - ohne jedoch eigeneMigrationserfahrung zu besitzen – zu-nehmen (siehe Abbildung 3). Insofernwird sich die gesundheitliche Versor-gung noch weiter ausdifferenzieren undsich auf drei sehr unterschiedliche Ziel-gruppen einstellen müssen.

    11

    2 Das Statistische Bundesamt fasst die folgenden Gruppen als „Personen mit Migrationserfahrung“zusammen: 1. Ausländer (Zugewanderte Ausländer , Ausländer der 1. Generation, in Deutschlandgeborene Ausländer, Ausländer der 2. und 3. Generation) 2. Deutsche mit Migrationshintergrund(zugewanderte Deutsche mit Migrationshintergrund – Spätaussiedler, eingebürgerte zugewanderteAusländer, nicht zugewanderte Deutsche mit Migrationshintergrund, eingebürgerte nicht zugewan-derte Ausländer, Kinder zugewanderter Spätaussiedler, Kinder zugewanderter oder in Deutschlandgeborener eingebürgerter ausländischer Eltern, Kinder ausländischer Eltern, die bei Geburt zusätz-lich die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben (ius soli), Kinder mit einseitigem Migrationshin-tergrund, bei denen nur ein Elternteil Migrant oder in Deutschland geborener Eingebürgerter oderAusländer ist).

  • 1.2. Gesundheitliche Belastungenbei Migrantinnen und Migran-ten

    1.2.1 Allgemeine GesundheitlicheSituation von Migrantinnenund Migranten

    Die Intensität der wissenschaftlichenAuseinandersetzung mit den Migran-tengruppen stellt sich sehr unter-

    schiedlich dar. Während die Aussiedlerseit Mitte der 90er Jahre intensiv unter-sucht werden, ist über Flüchtlinge undAsylbewerber kaum etwas bekannt.Mittlerweile lässt sich allerdings inDeutschland – gemessen an der Publi-kationszahl – eine durchaus rege For-schungsaktivität zum Komplex Migrati-on und Gesundheit feststellen (Zeeb &

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    Abbildung 3: Alterspyramide 2005 nach Migrationserfahrung (Statistisches Bundesamt 2006)

  • Razum 2006). Eine orientierende Lite-raturrecherche von Zeeb und Razum inder Datenbank PubMed mit denSchlüsselwörtern „Migrant*“ OR „Immi-grant“, „Epidemiology“, „Germany“ er-gab über 280 Treffer (Stand: Ende März2006). Hinzu kommen viele, vor allemdeutschsprachige, in PubMed nicht ge-listete bzw. die mit dieser grobenSuchstrategie nicht auffindbare Veröf-fentlichungen. Nur ein kleinerer Teil be-schreibt jedoch epidemiologische Stu-dienergebnisse (Zeeb & Razum 2006).

    Das ist zum Teil eine Konsequenz deroben beschriebenen Probleme, Migra-tionserfahrung und Migrationshinter-grund exakt zu präzisieren. Für jedeepidemiologische Untersuchung ist dieDefinition der Zielgruppe eine zentraleVoraussetzung (Zeeb & Razum 2006).Obwohl sich der Oberbegriff „Migrant“allmählich für die vielen verschiedenenGruppen wie Asylsuchende, Flüchtlin-ge, internationale Arbeitsmigranten,Aussiedler usw. durchsetzt, ist es den-noch schwierig, wie der bereits be-schriebene Mikrozensus 2005 gezeigthat, diese extrem heterogene Perso-nengruppe mit der für epidemiologi-sche Studien nötigen Präzision und Re-produzierbarkeit einzugrenzen (ebd.).Die Frage nach der Nationalität hilft an-gesichts der zunehmenden Zahl vonEinbürgerungen nur noch wenig bei derUnterscheidung zwischen Migrantenund Nicht-Migranten. Anstelle dessensetzt sich zunehmend durch, das Her-kunftsland (eigenes oder der Eltern), diegesprochenen Sprachen oder auchden Namen als Indikator für den Migra-tionsstatus zu verwenden. Die Vielzahlder mittlerweile publizierten Studien er-gibt in Bezug auf die Morbidität und diesubjektive Einschätzung der Gesund-heit ein heterogenes Bild (möglicher-weise als Folge des Definitionspro-

    blems), das hier nur angedeutet wer-den kann.

    Die „Gastarbeiter“ bilden mit mehr als 7Millionen Menschen die größte Gruppemit Migrationshintergrund. Die ersteGeneration kommt in das Rentenalter,wobei besondere Probleme deutlichwerden (Marschalck 2000). Das Maßder gesundheitlichen Beeinträchtigungliegt teilweise wesentlich höher als beider deutschen Bevölkerung. So schät-zen beispielsweise 40,4% den Ge-sundheitszustand als „eher schlecht“und 13,6% als „sehr schlecht“ ein,während in einer vergleichbaren Befra-gung älter Deutsche nur 22,9% ihrenGesundheitszustand als eher oder sehrschlecht bezeichneten (Dietzel-Pa-pakyirakou & Obermann 2001).

    Die Befundlage ändert sich allerdings,wenn nicht mehr im engeren Sinne„Gastarbeiter“ untersucht werden, son-dern Aussiedler oder Personen mit Mi-grationshintergrund. Zu Risikofaktorenwie Übergewicht, Rauchen und erhöh-te Blutfette liegen Ergebnisse aus einerReihe von Surveys vor, die allerdingsnicht immer repräsentativ sind (Zeeb &Razum 2006). Bei Kindern mit Migrati-onshintergrund findet sich in vielen Stu-dien eine erhöhte Prävalenz des Über-gewichts, gemessen als Body-Mass-Index (BMI) (Will, Zeeb & Baune 2005);für Erwachsene liegen keine entspre-chenden Daten vor. Auch zum ThemaRauchen ist die Datenlage aus epide-miologischen Studien unbefriedigend.Bei einem Vergleich der Rauchpräva-lenz von Aussiedlern mit dem der übri-gen deutschen Bevölkerung im KORA-Survey 2000 fanden sich keine Diffe-renzen (26,0% vs. 26,5%) (Aparicio,Döring, Mielck & Holle 2005). Psychi-sche Gesundheitsbelastungen von Mi-granten sind in Deutschland bisher nur

    13

  • selten mit epidemiologischen und vorallem bevölkerungsbezogenen Designsuntersucht worden, so dass hierzu kei-ne belastbaren Informationen vorliegen.

    1.2.2 Umfang und Art der Suchter-krankung bei Migrantinnenund Migranten

    Die schlechte Datensituation zur ge-sundheitlichen Lage von Menschen mitMigrationshintergrund setzt sich im Be-reich der Suchterkrankungen fort. Ausden Einrichtungen der Suchthilfe, dieeher die behandelte Prävalenz abbil-den, wird berichtet, dass der Anteil anMigrantinnen und Migranten mit Sucht-problemen steigt, wobei manchmal einkausaler Zusammenhang zwischen Mi-grationsverlauf und Suchterkrankungvon Menschen mit Migrationshinter-grund impliziert wird. Die wenigen re-präsentativen empirischen Untersu-chungen akzentuieren demgegenübereher, dass Migrantinnen und Migrantenweniger anfällig für Suchtprobleme sindals die Bevölkerung des Zuwande-rungslandes, also eine geringere Präva-lenz aufweisen, wobei über möglicheprotektive Faktoren der zugewandertenBevölkerungsgruppen diskutiert wird.Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auchdie Erhebung im Rahmen des von derEU finanzierten Projektes Searchs I undII ‚Suchtprävention für ‚Flüchtlinge,Asylbewerber und illegale Migranten’,das die LWL-Koordinationsstelle Sucht2000 - 2004 durchführte. Hier zeigtesich ein relativer sozialer Schutz durchdie enge Verbindung innerhalb der Mi-grantengruppe. Als besonders gefähr-det erwies sich die Gruppe der alleinstehenden Männer.3

    Im Folgenden werden zuerst einigeStudien zur Prävalenz von Suchter-krankungen bei Menschen mit Migrati-onshintergrund referiert.

    Grundsätzlich bieten diverse Informa-tionen Möglichkeiten zur Analyse desSuchtkonsums der zugewanderten Be-völkerung. Repräsentativerhebungen,Einzelstudien, Daten aus Suchthilfeein-richtungen sowie Daten aus der Polizei-statistik können untersucht werden,wobei jede Quelle ihre Vor- und Nach-teile hat. Bei Repräsentativerhebungenfehlt es oft an der Miterhebung einesmöglichen Migrationshintergrundes,Daten aus Suchthilfeeinrichtungen oderpolizeiliche Quellen sind hochselektiv,weil lediglich Konsumentinnen bzw.polizeilich auffällig gewordene Konsu-mentinnen aufgenommen werden.Spezialstudien bieten Detailinformatio-nen, deren Erkenntnisse sich allerdingsaufgrund der meist fehlenden Reprä-sentativität nur schwer generalisierenlassen.

    Es existieren Schätzungen über dasAusmaß des Suchtmittelkonsums, diedie generelle Abhängigkeitsrate derGesamtbevölkerung von drei bis fünfProzent auf Migranten übertragen. Die-se Schätzungen kommen zu dem Er-gebnis, dass zwischen 300.000 (Czy-choll 1998, S. 7) und 400.000 Migran-ten (Hüllinghorst & Holz 1998) sucht-mittelabhängig sind. Czycholl folgertdeshalb, dass alleine von den 2,5 Mil-lionen innerhalb der letzten Jahre zuge-wanderten Aussiedler zwischen 75.000und 125.000 Personen wegen ihresSuchtmittelkonsums einer Therapie be-dürfen (Czycholl 1998, S. 44).

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    3 S. Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.) (2002): Suchtprävention für Flüchtlinge, Asylbewer-ber und illegale Einwanderer. Ein Handbuch. Münster, Eigenverlag

  • Salman konstatiert, dass nach der offi-ziel len pol izei l ichen Statist ik imGroßraum Hannover ca. 20% derSuchmittelabhängigen nicht-deutscherHerkunft sind (Salman 1998, S. 32). Ererweitert diese Aussage: „Nach Anga-ben von Fachkräften der Suchthilfe undnach Abfrage von offiziellen Polizeida-ten liegt der Anteil von Drogenkonsu-menten ausländischer Herkunft in denmeisten Ballungszentren, so auch inBerlin, Frankfurt, Hannover, Stuttgartund Köln, bei ca. 20%. Die Tendenz iststeigend.“ (Salman 1999, S. 11). Hier-bei ist festzustellen, dass durch die po-lizeilichen Statistiken nicht eindeutig aufeinen Suchtmittelkonsum geschlossenwerden kann. Es handelt sich um einereine Hellfeldstatistik, d.h., dass die Da-ten nur aufgrund von polizeilicher oderstaatsanwaltschaftlicher Ermittlungenerfasst werden. Zudem kann die Poli-zeistatistik verzerrt sein, weil die Polizeisich möglicherweise selektiv verhält,z.B. verursacht durch ausländischesAussehen. Da die strukturelle Zusam-mensetzung der Bevölkerungsgruppennicht vergleichbar ist – ein Beispiel istdie Altersgruppierung –, erweist sichdie Polizeistatistik als Indikator fürSuchtprobleme von Menschen mit Mi-grationshintergrund als insgesamt un-brauchbar (Boos-Nünning 2002, S.13f).

    Die Zunahme der Todesfälle jugendli-cher Aussiedlerinnen und Aussiedler in-folge von Drogenkonsum von 36 imJahr 1999 auf 162 im Jahr 2000 sorgtefür großes Aufsehen. Die Zahl hattesich vervierfacht. 2001 starben 142Aussiedlerinnen und Aussiedler an Dro-genkonsum, dies entspricht 7,7% der1835 Drogentoten. 2002 betrug derAnteil der Aussiedlerbevölkerung ander Gesamtzahl der Rauschgifttodes-fälle 1.513 (bzw. 8,7%). Sie sind immer

    noch gegenüber ihrem Bevölkerungs-anteil (5%) überrepräsentiert (Bundes-ministerium für Gesundheit 2003,2002, 2001). Es zeigt sich des Weiterenein Problem, das als „Turbokarriere“beschrieben wird. Innerhalb kurzer Zeitsind diese Konsumentinnen und Kon-sumenten hochgradig abhängig. Als re-levante Gründe für die hohe Repräsen-tation werden die nicht ausreichendeInanspruchnahme von Therapieange-boten und die zu geringen Kenntnisseim Umgang mit Drogen disputiert. Sowerden Drogen in hohen Dosierungenzusammen mit Alkohol konsumiert,was sich als gefährlich erweist (Die Dro-genbeauftragte der Bundesregierung,Drogen- und Suchtbericht 2002, S.138ff und 2004 S. 63). Die bisher vorgestellten Daten konntenden Eindruck erwecken, dass diePrävalenz von Suchtmittelkonsum beiMenschen mit Migrationshintergrundmindestens ebenso hoch, wenn nichtsignifikant höher ist als die in der einhei-mischen Bevölkerung. Es gibt jedocheine Reihe von Hinweisen, die ein ge-genteiliges Bild zeichnen. Vor allem be-finden sich darunter einige fundierteStudien, die eine objektive Perspektiveund einen wissenschaftlich fundiertenErkenntnisgewinn versprechen.

    Bei einem Vergleich des Alkoholkon-sums von Aussiedlern mit dem derübrigen deutschen Bevölkerung im KO-RA-Survey 2000 ergab sich ein deutlichgeringerer Konsum bei den Aussiedlern(Aparicio, Döring, Mielck & Holle 2005).

    Die Untersuchung von Strobl und Küh-nel umfasst die Befragung von 2376Aussiedlerjugendlichen, von 989 jun-gen Deutschen sowie 191 Ausländerju-gendlichen. Ein wichtiges Ergebniswar, dass die Aussiedlerjugendlichenim Gegensatz zur Vergleichsgruppe der

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  • deutschen Jugendlichen und der aus-ländischen Jugendlichen weniger häu-fig illegale Drogen konsumieren. DerAnteil der Haschisch bzw. Marihuanakonsumierenden Jugendlichen liegt beiden Aussiedlern mit 21% stark unterden 34% konsumierenden Deutschen.Die deutschen Befragten lagen auchbeim Alkoholkonsum bezogen sowohlauf die Häufigkeit als auch auf die Men-ge des Konsums vorne (Strobl &Kühnel 2000, S. 153ff).In einer Studie an der FachhochschuleFrankfurt am Main wurden 2001 560deutsche und 76 ausländische Studie-rende nach ihrem Alkohol- und Dro-genkonsum befragt. Beim Alkoholkon-sum waren nur geringfügige Unter-schiede zwischen deutschen und aus-ländischen Befragten sichtbar. DerAnteil der Studierenden, die nie Alkoholzu sich nehmen, ist bei den ausländi-schen Studierenden etwas höher alsbei den deutschen. Auch bei der Le-benszeitprävalenz von illegalen Drogenzeigen sich kaum Unterschiede, dieKonsumneigung ist bei ausländischenStudierenden wiederum geringer alsbei deutschen (Schmid 2002, S. 135ff). In einer repräsentativen Studie zur ge-sundheitlichen Lage und zum Risiko-verhalten von Jugendlichen zeigte sich,dass die Herkunftskultur weniger ein-flussreich einzuschätzen ist als die Le-bensbedingungen im Aufnahmeland.Es wurden 1998 insgesamt 6.801Schülerinnen und Schüler im Alter von10-18 Jahren in Nordrhein-Westfalenbefragt. Als spezifischer Risikofaktor fürZigaretten- und Alkoholkonsum kannnicht die Migration an sich, sondern diesoziale Lage gelten. Insbesondere Fak-toren des Elternhauses und der Schulebefördern riskantes Verhalten (Setterto-bulte 2001, S. 182ff).

    In einem weiteren Schritt können Er-gebnisse aus dem Behandlungssystem

    analysiert werden. In ambulantenSucht- und Drogenberatungsstellenwerden jährlich ca. 20.000 Klientinnenund Klienten dokumentiert. Für dasJahr 1999 zeigte sich dabei, dass dieausländischen Klientinnen und Klientenbeim Alkoholkonsum unterrepräsentiertsind, während ihr Anteil bei illegalenDrogen wesentl ich höher ist. Zuberücksichtigen sind dabei die unter-schiedlichen Geschlechts- und Alters-strukturen der deutschen und der aus-ländischen Bevölkerung. Selbst wennder größere Anteil jüngerer Menschenbei den Menschen mit Migrationshin-tergrund berücksichtigt wird, bleibt einleicht erhöhter Anteil an männlichenAusländern übrig, die wegen illegalerDrogen eine Einrichtung aufsuchen(Strobl & Lange 2000 nach Schmid2002, S. 136).

    Die Statistik des Verbandes DeutscherRentenversicherungsträger gibt Hin-weise auf die Situation in den sta-tionären Entwöhnungseinrichtungen.Die Daten sind allerdings nicht differen-ziert nach Alkohol- oder anderemSuchtmittelkonsum. Auch hier sindausländische Männer und Frauen ge-genüber ihrem Bevölkerungsanteil un-terrepräsentiert. Zu berücksichtigen istjedoch auch, dass Aussiedler aufgrundihrer deutschen Staatsbürgerschaftstatistisch nicht separat erfasst wer-den. Aus den allgemeinen Daten desSuchthilfesystems lässt sich also ledig-lich bei männlichen Ausländern auf ei-nen erhöhten Konsum illegaler Drogenschließen (Schmid 2002, S. 137).

    Insgesamt lässt sich kein eindeutigerZusammenhang zwischen einem Mi-grationshintergrund und einer Suchter-krankung feststellen. Auffällig ist zu-dem, dass es bei früheren Migrations-wellen keine Berichte über intensiveSuchtprobleme gab. Eine empirische

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  • Basis für die Beobachtungen der The-rapeuten des Suchthilfesystems übermassive Suchtprobleme bei Menschenmit Migrationshintergrund ist nicht zuerkennen, was aber nicht zwangsläufigbedeuten muss, dass diese Einschät-zungen falsch sind. Empirisch gesehensind lediglich jüngere Ausländer bezüg-lich des Konsums illegaler Drogenüberrepräsentiert. Den Studien stehenallerdings Einschätzungen der Praktikergegenüber, die zu einer anderen Be-wertung kommen4.

    Jenseits der Diskussion um erhöhtePrävalenzen bei Menschen mit Migrati-onshintergrund scheinen sich Unter-schiede bezüglich der Art des Kon-sums bemerkbar zu machen. Bätz be-richtet aus der stationären Entzugsbe-handlung von illegalen Drogen, dassder Frauenanteil bei den drogenabhän-gigen Aussiedlern mit 8% deutlich nied-riger liegt als bei den Deutschen mit21,7% (Bätz 2002, S. 27). Auch Stroblund Kühnel gelangen zu der Ansicht,dass Migrantinnen eher unterdurch-schnittlich häufig mit Alkohol- und/oderDrogensucht in Verbindung gebrachtwerden. Allerdings ist zu untersuchen,ob und inwieweit Mädchen und Frauenmit Migrationshintergrund höherePrävalenzraten bei anderen Süchtenaufweisen (Strobl & Kühnel 2000, S.172). Diesbezüglich gibt es bisherkaum Forschungsergebnisse, aller-dings scheint die Annahme gerechtfer-tigt, Migrantinnen zumindest als Risiko-gruppe für die Entstehung von Ess-störungen anzusehen (Offermann2001, S. 205).Es zeigen sich weiterhin Anhaltspunk-te, dass Menschen mit Migrationshin-

    tergrund vom Behandlungssystem –zumindest vom stationären – früher er-reicht werden als deutsche Drogenab-hängige. Die Zeit des Opiatkonsumswar bei ausgesiedelten und ausländi-schen Drogenabhängigen signifikantkürzer bis zur Aufnahme in der Ent-zugsstation als bei deutschen Drogen-abhängigen. Aussiedlerinnen undAussiedler vollzogen die erste Ent-zugsbehandlung nach durchschnitt-lich 2,93 Jahren, während deutscheDrogenabhängige 5,84 Jahre Opiatekonsumierten und ausländische Dro-genabhängige 4,7 Jahre (Bätz 2002,S. 29). Tendenziell scheinen Men-schen mit Migrationshintergrund jün-ger zu sein als Deutsche, wenn sie mitdem Behandlungssystem in Berüh-rung kommen.

    Riecken untersuchte die behandeltenAussiedlerinnen und Aussiedler im Nie-dersächsischen LandeskrankenhausOsnabrück und fand heraus, dass essich bei den in Deutschland erkranktenAussiedlerinnen und Aussiedlernhauptsächlich um Jugendliche und jun-ge Erwachsene handelt, die unter 25Jahre alt sind. Riecken bezeichnet die-se Generation als die „mitgenomme-ne“, womit sie sich auf eine möglicher-weise geringe Einreisemotivation be-zieht (Riecken 2001, S. 161). Bei derwissenschaftlichen Begleitung desBundesmodellprogramms „Drogennot-fallprophylaxe/Nachgehende Sozialar-beit“ kristallisierte sich eine überpropor-tionale Häufung von ausländischenDrogenab- hängigen in jüngeren Alter-sklassen heraus, die auch der Berück-sichtigung der unterschiedlichen Alters-struktur stand hält (Schmid 1998, S.82). Auch Bätz konstatiert:

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    4 Eine Zusammenstellung von verschiedenen Autoren, die Migration mit einem erhöhten Suchtrisiko inVerbindung bringen findet sich bei Bätz 2002, S. 20ff.

  • „Das Alter der drogenabhängigen Mi-granten beim stationären Entzug wargeringer als das der drogenabhängigenDeutschen. Die Aussiedler als Gruppewaren dabei jünger als die anderen Mi-granten; allerdings waren die Aussied-ler aus Polen älter als die anderen Aus-siedler.“ (Bätz 2002, S. 33)

    Es ist also kein eindeutiger kausaler Zu-sammenhang zwischen einem Migrati-onshintergrund und einer Suchterkran-kung festzustellen. Hinweise gibt es je-doch auf gewisse Differenzen in der Artdes Konsums und in der „Rasanz“ derSuchtkarriere.

    1.3. Ursachen für die gesundheitli-che Situation von Migrantinnenund Migranten

    Die manchmal festgestellte schlechteregesundheitliche Situation von Personenmit Migrationserfahrung wird durch denStress erklärt, der mit dieser Erfahrungverbunden ist (Kirkcaldy, Wittig, Furn-ham, Merbach &·Siefen 2006). Migrati-on wird als ein kritisches Lebensereig-nis beschrieben, das die bis dahin er-worbenen Anpassungsfähigkeiten, Be-wältigungs- und Problemlösungsstra-tegien überlasten kann. Stress entstehtin dieser Perspektive als unmittelbareFolge des Akkulturationsprozesses5.Dabei können Faktoren des Herkunfts-landes (der Herkunftskultur oder -ge-sellschaft) sowie Faktoren des An-kunftslandes als Stressoren wahrge-nommen werden. Die Liste der mit Mi-gration verbundenen Stressoren istlang (Haasen & Yagdiran 2000): Unsi-cherheiten hinsichtlich der Lebensbe-

    dingungen/ Wohnverhältnisse sowieder gesetzlichen Aufenthaltsrechte,chronische berufliche Belastung, dro-hende oder eingetretene Arbeitslosig-keit, Orientierungsschwierigkeiten auf-grund unberechenbarer und unsichererPerspektiven auf dem Arbeitsmarkt,Stigmatisierung, gesellschaftliche Ab-lehnung und Ausländerfeindlichkeit, un-gelöste Trennungsängste in Bezug aufdie nächsten Angehörigen, Entfrem-dung und Isolation aufgrund anhalten-der Trennung und sich verändernderBeziehungen, eheliche und intergene-rationale Normen und Rollenkonflikte,Ambivalenz und Zerwürfnisse, wider-sprüchliche Lebensstile und Ziele dereinzelnen Familienmitglieder sowie Ent-täuschungen über die schulischen Lei-stungen der Kinder. Mit Migration ver-bundener Stress ist somit häufig Folgewirtschaftlicher und beruflicher Bela-stungen. Weitere Stressoren resultierenaus der veränderten sozialen und fami-liären Situation.

    In der Suchtforschung wird die Theoriedes Kulturkonfliktes zur Erklärung vonSuchterkrankungen bei Migranten ver-wendet, bei der – wie oben bereits be-schrieben - die Problematik des Aufein-andertreffens der mitgebrachten undder vorgefundenen Kultur als stresser-zeugende Belastung gesehen wird. DieKulturen gelten nicht als gleichwertig,die Migranten werden ethnifiziert, dersoziale Alltag und beiderseitige Integra-tionskonflikte bleiben außen vor (Weiss2003). Diese Theorie wurde seit derKulturalismusdebatte kaum mehr an-gewendet, gelangt jedoch im Zusam-menhang mit der Entstehung von

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    5 Der Begriff Akkulturation bezeichnet das Hineinwachsen einer Person in ihre kulturelle Umwelt. Inder Regel bezieht sich der Begriff auf Heranwachsende, also Kinder und Jugendliche in der Phaseder Adoleszenz. Es kann aber auch der Assimilationsprozess Erwachsener gemeint sein, die sichals Immigranten mit einer ihnen fremden Kultur vertraut machen. (s.www.wikipedia.de)

  • Sucht wieder an Aktualität (Boos-Nün-ning 2002). Der alleinige Blick auf Defi-zite der Migrantinnen – die Unfähigkeitmit der fremden Kultur umzugehen, dieUnfähigkeit eine eigene, klare Identitätherauszubilden - ist nicht als konstruk-tiv zu bewerten. Zudem ist die Theoriedes Kulturkonfliktes nicht empirisch be-legt (Boos-Nünning 2002).

    Die These von der Marginalisierung alsUrsache für abweichendes Verhaltenbezieht sich auf drei Dimensionen. Mar-ginalisierung kann aus den objektivenLebensbedingungen, den Formen derBenachteiligung und Diskriminierungund drittens aus der Antizipation vonDiskriminierung und Chancenlosigkeitder Migranten selbst. Marginalisierungzeigt sich in schlechteren Wohnverhält-nissen, sozialräumlicher Segregation,schlechteren Perspektiven in Schuleund Beruf und Diskriminierungserfah-rungen (Boos-Nünning 2002).

    Im Wegfall protektiver Faktoren wird einweiterer möglicher Grund für die Ent-stehung von Sucht bei Migranten gese-hen. Unter protektiven Faktoren wer-den insbesondere die familialistischeOrientierung und der Wegfall der Zu-kunftsperspektiven diskutiert. Aller-dings sind noch kaum empirische Un-tersuchungen vorhanden. Bei jugendli-chen Migranten wird als zusätzlicherFaktor die Freiwilligkeit der Migrationdiskutiert. Auch Sprach- und Verstän-digungsschwierigkeiten werden als zu-sätzlicher Belastungsfaktor gesehen.

    1.4. Zugang der Migrantinnen undMigranten zum Gesundheits-sytem

    Die Befundlage lässt nur den Schlusszu, dass Migranten die psychosozialenund medizinischen ambulanten Ange-

    bote generell, d.h. bei allen Erkrankun-gen weniger nutzen als die übrige deut-sche Bevölkerung (Razum, Geiger,Zeeb & Ronellenfitsch 2004; Kirkcaldy,Wittig, Furnham, Merbach & Siefen2006). Die Ursachen für diese Distanzzum Versorgungssystem sind aberkomplexer Natur:

    „Die bestehenden Unterschiede im Zu-gang zur Gesundheitsversorgung las-sen sich vor allem auf drei Ursachenzurückführen: Diese sind Kommunika-tionsprobleme (einschließlich Sprach-barrieren und Informationslücken), un-terschiedliche Krankheitskonzepte so-wie im Zusammenhang mit der Migrati-on gemachte Erfahrungen (…). DerAbbau dieser Zugangsbarrieren ist einevordringliche Aufgabe des Gesund-heitssystems“ (Razum, Geiger, Zeeb &Ronellenfitsch 2004, S. 2885).

    Als Beispiel für differierende Krank-heitskonzepte kann der im Mittelmeer-raum verbreitete „böse Blick“ gelten,der im dortigen Kulturkreis unter ande-rem für seelische Störungen, körperli-che Missempfindungen sowie Frucht-barkeits- und Schwangerschaftspro-bleme verantwortlich gemacht wird(ebd.). Die erlebte gesundheitliche Be-einträchtigung durch äußere Kräfte läs-st sich weiterhin oft auf einen Rollen-oder Normenkonflikt zurückführen. ImZuge der Migration werden Erfahrun-gen gemacht, die der Nutzung von Ge-sundheitsdiensten nicht förderlich sind,wie etwa Traumatisierungen im Zugeder Migration.

    Allerdings lässt sich feststellen, dassniederschwellige Versorgungszentrenfür Suchtpatienten in einem gutenMaße von Migranten in Anspruch ge-nommen werden, während Beratungs-und Therapieangebote sehr viel weni-ger frequentiert werden. Gleichfalls sind

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  • Migranten bei den eingreifend/kontrol-lierenden sozialen Diensten überreprä-sentiert, während sie bei den präventi-ven und bildenden Einrichtungen starkunterrepräsentiert sind (Gaitanides2003a).

    Insgesamt gibt es einige Barrieren, dieden Migranten den Weg in die Einrich-tungen erschweren. Dabei handelt essich um die schon angesprochenen In-formationsdefizite, die noch durchAngst und Misstrauen gegenüberBehörden verstärkt werden, wenn Ein-richtungen der psychosozialen Versor-gung nämlich für solche gehalten wer-den. Sprachliche Mängel auf beidenSeiten und die Annahme von Migran-ten, dass Vorurteile bei den Helfernherrschen und diese nicht parteilichsind verhindern ebenso den Zugangzum Hilfesystem wie das ethnozentri-sche, mittelschichtorientierte Bera-tungssetting, das schon viele einheimi-sche Deutsche abschreckt. Es gibt je-doch auch auf Helferseite Überlegun-gen, die ihnen den Zugang zu Migran-ten erschweren. Dies kann Angst vorÜberforderung sein, die Annahme,dass das Klientel als schwierig gilt, aberauch entweder die Leugnung von kul-turellen Unterschieden oder die Über-betonung der Unterschiede (Gaitanides2003b; Collatz 2001).

    Zusammenfassend ist deshalb davonauszugehen, dass es von den kulturel-len Hintergründen des Patienten, desHelfers und der übrigen Gesellschaftabhängt, wie ein belasteter und krankerMensch die unterschiedlichen profes-sionellen Helfer einschätzt, bzw. wieder Helfer das Problem diagnostischbewertet und welche Behandlungsformschließlich zur Anwendung gelangt (Kir-kcaldy, Wittig, Furnham, Merbach &Siefen 2006).

    2. Konzepte der SozialenArbeit und der Sucht-hilfe

    Die Ideen, wie den dargelegten Proble-men zu begegnen ist, sind vielgestaltigund reichen von isolierten Angebotenwie zum Beispiel muttersprachlicherBeratung und Therapie, der Einstellungvon Fachkräften fremder Herkunft alskulturelle Vermittler und der Modifikati-on der beraterischen Praxis hin zukomplexen Konzepten wie der Forde-rung nach interkultureller Kompetenzbei den Mitarbeitern und nach interkul-tureller Öffnung der Institutionen (Friese1999).

    2.1. Interkulturelle KompetenzDas Konzept der interkulturellen Kom-petenz, so wie es heute noch diskutiertwird, wurde 1994 von Hinz-Rommelentworfen. Schon vorher gab es Über-legungen zur Arbeit mit Ausländern,die Ausländerpädagogik, die sichdurch eine Überbetonung der kulturel-len Differenzen auszeichnete. Die„Ausländerkultur“ wurde dabei alsrückständig und defizitär beurteilt (Gai-tanides 2003a). Auch dem Konzeptder interkulturellen Kompetenz wirdvorgeworfen, an der Umdeutung poli-tisch oder sozial bedingter Problememitzuwirken und somit Problemlagenzu ethnifizieren und damit zu entpoliti-sieren (Gaitanides 2003a; Simon-Hohn2002). Im Gegensatz zu dem damali-gen statischen Kulturbegriff der „Aus-länderpädagogik“ versucht die inter-kulturelle Pädagogik jedoch den Blickauf die interaktiven Prozesse zwischenMehrheit und Minderheit zu lenken.Dabei werden die Machtverhältnissekritisch hinterfragt und ein fließender,individueller Kulturbegriff benutzt(ebenda).

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  • Simon-Hohn versteht unter interkultu-reller Kompetenz „ein komplexes Bün-del von Kompetenzen, das Reflexions-vermögen und Handlungsfähigkeit inkulturellen Überschneidungssituationenermöglicht“ (Simon-Hohn 2002, S. 41).Interkulturelle Kompetenz beinhaltet dieIdee von Verständnis, Verstehen undVerständigung. Dazu werdengrundsätzlich folgende Kernelementeals notwendig beschrieben: Einfüh-lungsvermögen, Bewusstsein der eige-nen kulturellen Identität, Rollendistanzsowie Ambiguitätstoleranz. Sprach-kenntnisse und Hintergrundwissenüber Tradition, Kultur und Lebensweiseder jeweiligen Klient/innen sind eben-falls relevant, Vorrang hat jedoch derAspekt der Selbstreflexion. Eine Ver-ständigung lässt sich notfalls auch übereinen Dolmetscher erreichen (Gaita-nides 2003; Simon-Hohn 2002; Friese1999). Kritisch angemerkt wird, dassdiese Kataloge im Prinzip nur eine Er-weiterung der allgemein notwendigensozialen Kompetenzen seien (Filsinger2002). Dies ist etwas zu kurz gegriffen,da antirassistische und ethische Kom-ponenten sowie die Bewusstheit umMachthintergründe und die Auseinan-dersetzung mit der eigenen Kulturge-bundenheit sehr viel mehr betont wer-den. Zentraler Bezugspunkt der inter-kulturellen Kompetenz ist die selbstre-flexive Auseinandersetzung mit eigenenkulturellen Werten. Aus dem Blick auf die Vorwürfe und derErkenntnis, dass interkulturelle Kompe-tenz kein Allheilmittel ist und nur als„halbe“, „unfertige“ Kompetenz in dersozialen Arbeit beinhaltet eine Definition„die Fähigkeit in „ethnifizierten“ Situatio-nen des Alltagsleben die kulturellen Zu-schreibungen und Festlegungen aktivund effektiv aufzulösen und sie in Situa-tionen des offenen und gleichberech-tigten „Konfliktmanagements“ durch

    die Akteure selbst umzumünzen“ (Lan-ge & Pagels 2000, zitiert nach Simon-Hohn 2002, S. 39).Interkulturelle Kompetenz kann als Wei-terentwicklung von allgemeinen Kom-petenzkatalogen verstanden werden,wobei allerdings die Schwerpunkte ei-ne andere Gewichtung bzw. Ergänzungerfahren. Somit ist interkulturelle Kom-petenz auch an anderen Orten als derinterkulturellen Arbeit mit Ausländernals Kompetenz förderlich. Seit einigen Jahren gibt es zahlreicheWeiterbildungsveranstaltungen in ver-schiedenen Bereichen der Sozialen Ar-beit, in denen interkulturelle Kompetenzvermittelt werden soll. Dabei wird Wis-sen vermittelt und Kommunikationgeübt. Interkulturelle Kompetenz, diefür die professionelle Ausübung der Ar-beit notwendig ist, kann auch in infor-mellen Lernprozessen im Alltag erwor-ben werden. Im Alltag hat jeder MenschBegegnung mit anderen Kulturen, daskann im Urlaub sein oder in einer ande-ren Gesellschaftsschicht (Simon-Hohn2002). Weiterhin wird auf die Vermitt-lung von interkultureller Kompetenzschon im Studium oder in multikulturellbesetzten Arbeitsteams verwiesen(Gaitanides 2003).

    2.2. Interkulturelle Öffnung der In-stitutionen

    Die Vermittlung von interkulturellerKompetenz durch Weiterbildungenstellt neben der Forderung nach metho-disch betriebenen interkulturellenTeams den Kernpunkt der Forderungnach interkultureller Öffnung der Institu-tionen. Interkulturelle Öffnung wird alsOrganisationsentwicklung betrachtet,die Personalentwicklung mit einschließt(Hinz-Rommel 2002; Jungk 2001) AlsElemente der Organisationsentwicklungwerden unter anderem die Entwicklung

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  • eines Leitbildes, das die interkulturelleAusrichtung beinhaltet, die Sichtbarma-chung derselben nach außen, die Un-tersuchung der Nutzergruppen und diedarauf folgende Anpassung der Schlüs-selprozesse genannt (Pavcovic 2002;Handschuck & Schröer 2000). Dabeiwird deutlich, dass die interkulturelleÖffnung immer sowohl eine Aufgabeder Leitung ist als auch eine Aufgabeder Mitarbeiterschaft. Interkulturelle Öff-nung beinhaltet weiterhin die Kooperati-on mit anderen Diensten, speziell Mi-grationsdiensten, und Gemeinwesenar-beit. Im Rahmen der Personalentwick-lung ist darauf zu achten, dass Personalmit interkulturellen Fähigkeiten einge-stellt wird, dass das vorhandene Perso-nal sich fortbildet und dass kompetenteDolmetscher gegebenenfalls vorhan-den sind (Pavcovic 2002).

    2.3. Entwicklungen in der SuchthilfeDie Forderung nach interkultureller Öff-nung hat wie die anderen Bereiche dersozialen Arbeit auch die Suchthilfe er-reicht. Seit Mitte der 90er Jahre wirddie Problematik von suchtmittelkonsu-mierenden Migrantinnen und Migrantendiskutiert. Schon in den 80er Jahrengab es Spezialeinrichtungen, wie dieFachklinik Hohenrodt, in der alkohol-oder drogenabhängige Männer ausdem ehemaligen Jugoslawien und Aus-siedler stationär entwöhnt werden oderdie Einrichtung Dönüs bei Nürnberg, inder Männer orientalischer Herkunft be-handelt werden. Später wurde auchversucht, die fremden Patienten in dieStationen zu integrieren. Zum Teil wirdvon Problemen berichtet, wie z.B. vonGruppenrückfällen von Aussiedlern imEntzug, die eine „Quotierung“ der Aus-siedler nach sich zogen.Auch im ambulanten Bereich gibt esEntwicklungen: In Duisburg wurde ein

    Projekt zur Suchtprävention und –bera-tung für junge Spätaussiedlerinnen undSpätaussiedler 1998 durchgeführt, inMünster gibt es seit 2001 aufsuchende,stadteilorientierte, psychosoziale Beglei-tung und Betreuung von russlanddeut-schen Drogenkonsumenten (Landes-zentrum für Zuwanderung NRW 2002)sowie aktuell das Projekt SeM – Sekun-däre Suchtprävention für spätausgesie-delte junge Menschen (Landschaftsver-band Westfalen-Lippe, Koordinations-stelle Sucht in Kooperation mit der StadtMünster), um nur einige Beispiele zunennen. Die Drogenbeauftragte derBundesregierung widmet der Arbeit mitMigranten viel Aufmerksamkeit. VomBundesministerium des Innern sind eineReihe von Projekten speziell für Aus-siedler gefördert worden und das Bun-desamt für die Anerkennung von aus-ländischen Flüchtlingen vergibt ebensoFinanzhilfen. Ausländer und Aussiedlerfinden Beachtung, für Asylbewerber undFlüchtlinge gilt dies jedoch nicht. DasHilfssystem hat sich dermaßen ausdiffe-renziert, dass es mittlerweile eher umVernetzung und Kooperation der beste-henden Hilfeeinrichtungen geht als umNeuentwicklungen.

    2.4. Interkulturelle SuchthilfeAus den Konzepten der interkulturellenKompetenz und der interkulturellen Öff-nung der Institutionen lassen sich dieErfordernisse für eine interkulturelleSuchthilfe ableiten. Im Allgemeinen fälltauf, dass in der Literatur kaum Defini-tionen interkultureller Suchthilfe zu fin-den sind. Es wird häufig berichtet, wasin der Praxis verändert wurde und eswerden die am weitesten entwickeltenEinrichtungen in der Arbeit mit Migran-tinnen und Migranten vorgestellt. Diesgeschieht allerdings unsystematisch,lediglich Salman und seine Mitautoren

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  • formulieren in ihrem Buch zur interkul-turellen Suchthilfe etwas, das einer De-finition und einem Konzept nahekommt.

    „Suchthilfe kann als interkulturell be-zeichnet werden, wenn regelhaft inihren Angeboten sprachliche, kulturelleund migrationsspezifische AspekteBerücksichtigung finden. Integrativeund kultursensible Suchthilfe basiert aufemanzipatorischen Grundlagen.Deshalb ist es notwendig, den jeweili-gen lokalen Anteil der Migranten unterden Süchtigen bei der Einstellungs-praxis neuer Mitarbeiter in den Fach-diensten zugrunde zu legen. Vorhande-ne Versorgungskonzepte müssen hin-sichtlich ihrer interkulturellen Qualitätüberprüft und um migrantenspezifischeKomponenten ergänzt werden. Dies giltin besonderer Weise für die Schaffungvon kulturspezifischen und sprachlichgesicherten Präventionsangeboten so-wie einer verstärkten Aufklärung überArt, Sinn und Umfang vorhandener An-gebote. Hierzu ist der konzeptionelleAbbau von Zugangsbarrieren erforder-lich….“ (Salman, Tuna & Lessing 1999,S. 17, Hervorhebung im Original).

    Weiterhin ist die Motivation, Beteiligungund Vernetzung von Migrantenorgani-sationen und von relevanten Einzelper-sonen im Rahmen des Handlungsfel-des der Suchthilfe integraler Bestandteilder interkulturellen Suchthilfe. Der Pla-nung und Koordinierung entwickelterAngebote kommt eine wichtige Rollezu, damit die Angebote nicht vereinzeltbleiben und die Wirkung verpufft. Zu-dem sollen Anstrengungen unternom-men werden, damit sich Methoden undKonzepte interkultureller Therapie in derSuchthilfe etablieren. Dazu sind ver-bindliche und einheitliche Mindeststan-dards im Rahmen der Regelversorgungunverzichtbar. Die interkulturelle Öff-

    nung von Regeldiensten ist zu fordern,wobei migrantenspezifische Einrichtun-gen sinnvoll bleiben, wenn die Regel-versorgung kurzfristig keine ausrei-chenden Effekte erzielen kann. Interkul-turelle Kompetenz ist als fester Be-standteil der Fachkompetenz in dersozialen Arbeit anzuerkennen. Die be-rufliche Weiterbildung von Migrantinnenund Migranten ist anzustreben, diedann zusammen mit deutschen Mitar-beitern interkulturelle Teams bilden.(Salman, Tuna & Lessing 1999, S. 17ff). Ein Konzept, das innerhalb der Sucht-hilfe Anerkennung gewonnen hat, istdas Keyperson-Konzept, das von Stim-son, Fitch und Rhodes im Rahmen des‚Rapid Assessment and Response’(RAR) entwickelt wurde, um den Zu-gang zu ‚versteckten Bevölkerungs-gruppen’ (hidden population) zu ermög-lichen (Stimson et al 1998a). Keyper-sons im Migrationsbereich sind Mitglie-der aus den Gruppen von Migrantinnenund Migranten, zu denen man Zugangerreichen möchte. Diese Menschen sol-len allgemein akzeptierte Personensein, z.B. Lehrer, Ärzte, etc., so dasssie eine Autorität darstellen und dieMenschen sich an diese Person gernewenden. Die Keypersons sind also in-nerhalb ihrer Community anerkannt,gleichzeitig sollen sie sich auch in demAufnahmeland zurechtfinden, so dasssie als Bindeglied zwischen Communityund Suchthilfe fungieren können. DieKeypersons haben den Vertrauensvor-schuss, der den Beschäftigten derSuchthilfe fehlt, außerdem können sieden Menschen mit Migrationshinter-grund in situativen Gesprächen helfen(s. auch Tuna 1999, S. 108).

    Aus der obigen Definition und den Aus-führungen der anderen Kapitel ergebensich die Anforderungen der interkultu-rellen Suchthilfe: Notwendig ist die Be-

    23

  • seitigung der Zugangsbarrieren. Dieskann sich nicht auf die rechtlichen bzw.strukturellen Barrieren beziehen, dieeher politischen Entscheidungsprozes-sen unterworfen sind, sondern fokus-siert auf die folgenden Problemberei-che:

    � Sprachbarriere� mangelnde Informationen über das

    Suchthilfeangebot

    � Informationsdefizit und mangelndeinterkulturelle Kompetenzen der Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter

    � verschiedene kulturelle Konzepte� unterschiedliches Gesundheits-,

    Krankheits- und Suchtverständnis

    � segmentierter Ansatz� Erfahrungen mit öffentlichen Institu-

    tionen und Ämtern im Herkunftsland

    � Behördenimage, Diskriminierungund Angst vor rechtlichen Folgen imAufnahmeland

    � Übergang von der traditionalen Le-benswelt in die individualisierte Ge-sellschaft (siehe Geiger 1997, S.87ff)

    Wohl als Reaktion auf die Berichte ausder Praxis wurden zahlreiche Fachta-gungen und Workshops zum Themaveranstaltet. Aus diesen Fachtagungenheraus sind viele Dokumentationen zumThema „Sucht und Migration“ erschie-nen, in denen berichtet wurde, welcheVeränderungen vorgenommen wurdenund welche Erfolge dabei zu beobach-ten waren. Auch die KoordinationsstelleSucht des LWL führte verschiedene Ak-tivitäten durch zu denen es teilweiseVeröffentlichungen gibt. Leider wurdenin all diesen Initiativen nur Einzelaspektebeleuchtet, die nur begrenzt zu einemGesamtbild verdichtet werden können.Unklar bleibt, ob eine interkulturelle Öff-nung stattfand oder zumindest ansatz-weise umgesetzt wurde.

    Daraus hat sich die für die im Folgen-den dargestellte Studie zentrale Frageentwickelt, wie weit die interkulturelleArbeit in der Suchthilfe inzwischen Ver-breitung gefunden hat und an welchenStellen noch Entwicklungsbedarf be-steht. Wie ist überhaupt der Bedarf aninterkultureller Arbeit? Wie hoch sinddie Anteile von Menschen mit Migrati-onshintergrund in der Regelversor-gung? Auf diese Fragen versucht dieempirische Erhebung erste Antwortenzu geben.

    3. Durchführung der Er-hebung: Ziele der Be-fragung, Gestaltungdes Fragebogens undBeschreibung derStichprobe

    3.1. ForschungsfragenNachdem der Forschungsstand zumThema Sucht und Migration einleitendskizziert wurden, soll nun beschriebenwerden, welchen spezifischen Leitfra-gen sich die Erhebung widmete:

    (1) Wie hoch ist der Anteil der Personenmit Migrationshintergrund und Migrati-onserfahrung in den befragten Einrich-tungen?Das erste Ziel der Befragung besteht inder Analyse der Inanspruchnahme derEinrichtungen der Suchthilfe in Westfa-len-Lippe durch Personen mit Migrati-onshintergrund und Migrationserfah-rung, insbesondere hinsichtlich ihrerHerkunft, ihrer Sprachfähigkeiten. Essoll auf Schätzungen der Einrichtungenzurückgegriffen werden. Damit die In-formationen interpretiert werden kön-nen, ist es notwendig, auch Daten über

    24

  • die Einrichtungen zu erheben. Dabeisind insbesondere die Art, die Größesowie die Personalstruktur der Einrich-tung von Belang.

    (2) Wie ist die Arbeit mit Personen mitMigrationshintergrund und Migrations-erfahrung konzeptionell und praktischgestaltet?Weiterhin wird erhoben, inwieweit sichdie Institutionen der Suchthilfe auf eineinterkulturelle Orientierung eingelassenhaben, d.h. es wird die Beseitigung derZugangsbarrieren und die interkulturel-le Kompetenz in der Selbsteinschät-zung der Einrichtung erhoben.

    (3) Existieren spezifische Angebote zurÜberwindung der Zugangsprobleme?Ein zweites Ziel besteht darin, die An-gebote der Einrichtungen für Migrantenund ihre Konzepte zur Überwindungder Zugangshindernisse, zur Förderungder interkulturellen Kompetenz der Mit-arbeiter und zur interkulturellen Öffnungder Einrichtung insgesamt zu erfassen.

    (4) Welche Vorschläge und Anregun-gen existieren seitens der Einrichtun-gen zur Verbesserung der Arbeit mitPersonen mit Migrationshintergrundund Migrationserfahrung?Die Beschäftigten in der Praxis derSuchthilfe für Menschen mit Migrati-onshintergrund arbeiten können wichti-ge Hinweise zur Situationseinschät-zung und zur Verbesserung der Arbeitgeben. Fragen zur Bedarfsabdeckungsowie die Bitte um Anregungen undVorschläge stehen am Ende des Frage-bogens.

    3.2. Die Gestaltung des Fragebo-gens und die Durchführung derErhebung

    Da eine ähnliche Untersuchung mit ei-nem ähnlichen Fragebogen bisher un-serem Wissen nach noch nicht publi-ziert worden ist6, wurde im Rahmen ei-ner Diplomarbeit ein neues Instrumentgeschaffen. Es handelte sich um einenFragebogen mit offenen und geschlos-

    25

    6 Eine empirische, bundesweite Studie zu interkulturellen Angebote in der Suchtprävention stammtvon Boos-Nünning und Otyakmaz (Boos-Nünning & Otyakmaz 2002).In einer kleineren Studie wer-den Beschäftigte eines Vereins nach der Bewertung der eigenen Kompetenzen, nach der Bewer-tung der Institution in der Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund und nach Unterstützungs-bedarf gefragt (Macek 2003). Eine weitere Untersuchung, die einen ähnlichen Schwerpunkt hat, sichaber auf allgemeine Beratungsstellen bezog, wurde 2001 in Bielefeld durchgeführt (Mecheril, Mian-dashti, Plößer & Raithel 2001).Im Jahr 2001 entstand im Auftrag der Koordinationsstelle Sucht eine ähnliche Erhebung, die sichdem Ziel widmete, die vorhandenen migrantenspezifischen Angebote/Fortbildungsbedarf zu erhe-ben. Außerdem sollte festgestellt werden, wie groß der Anteil an Migrantinnen und Migranten in denSuchthilfeeinrichtungen ist. Zu diesem Zweck wurde an 478 Adressen in Westfalen-Lippe ein Frage-bogen mit sowohl geschlossenen als auch offenen Fragestellungen geschickt. Unter den Einrichtun-gen waren Adaptions- und Entzugseinrichtungen, stationäre Therapieeinrichtungen, Beratungsstel-len, Präventionsfachstellen, betriebliche Suchtberatungen, Bewährungshilfen und Justizvollzugsan-stalten. Die Einrichtungen wurden auf der Grundlage des Verteilers der Koordinationsstelle Suchtangeschrieben. Von den 478 angeschriebenen Adressen kamen 202 Fragebögen zurück, das ent-sprach einer Quote von 42,3%. Die Ergebnisse der Studie wurden nicht veröffentlicht, auf ihrerGrundlage setzte die Koordinationsstelle Sucht ihre Bemühungen um eine Verbesserung und Inten-sivierung der Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund verstärkt fort. Dies zeigte sich in derErarbeitung eines Fortbildungsmoduls, in dem Angebot von Fachtagungen und Workshops sowieder Initiierung eines Arbeitskreises „Sucht und Migration“ in Westfalen-Lippe. Im Text wird – wennmöglich - Bezug genommen zu den Ergebnissen aus dem Jahr 2001. Dies ist jedoch nicht immermachbar, bzw. es kann nicht immer ein direkter Vergleich gezogen werden, da sich beide Erhebun-gen in ihrem inhaltlichen und strukturellen Aufbau voneinander unterscheiden.

  • senen Fragen, der sich inhaltlich in vierTeile gliedern lässt, die den oben for-mulierten thematischen Komplexenentsprechen bzw. diese operationali-sieren. (1) Nach der Erhebung von rele-vanten Daten der Einrichtung folgtenFragen zu den Menschen mit Migrati-onshintergrund, die als Klientel die In-stitution aufsuchen. Es wurden die An-teile dieser Klientel gegenüber den ein-heimischen Deutschen erfragt, der An-teil der Frauen sowie die Herkunfts-länder. (2) Anschließend wurden ver-schiedene Fragen zu der Öffnung derInstitution der Suchthilfeeinrichtung fürMigrantinnen und Migranten gestellt. (3)Danach wurde die inhaltliche und kon-zeptionelle Gestaltung im Rahmen ei-nes umfangreichen Fragenkomplexeserhoben. (4) Eine Bewertung der Be-darfsdeckung sowie eine Frage nachAnregungen bezüglich der Arbeit mitMenschen mit Migrationshintergrundschlossen den Fragebogen ab. Im Anschreiben wurde darum gebeten,dass der Leiter oder die Leiterin derEinrichtung oder eine gleichermaßenkompetente Person den Fragebogenausfüllt. Es wurde zugesichert, dass dieErgebnisse anonymisiert werden, dieAngabe eines Ansprechpartners wurdejedoch erbeten.Die Studie wurde in Kooperation zwi-schen der Koordinationsstelle Suchtdes Landschaftsverbands Westfalen-Lippe und dem Zentrum für Planungund Evaluation der Universität Siegenerstellt. Die LWL-KoordinationsstelleSucht stellte die logistischen Faktorenbereit, die wissenschaftliche Betreuunggeschah durch Herrn Prof. Dr. Regusvom Zentrum für Planung und Evaluati-on der Universität Siegen. Auf einemTreffen des von der LWL-Koordinati-onsstelle Sucht initiierten Arbeitskreises‚Suchtarbeit und Migration’ im Oktober2004 wurde die geplante Erhebung

    vorgestellt und für die Beantwortunggeworben. Es konnten jeweils fünf Ein-richtungen aus der stationären und derambulanten Arbeit für einen Pretest-Durchlauf gewonnen werden. Aus denRückmeldungen der Antwortenden er-gaben sich Veränderungen des Frage-bogens, die hauptsächlich aus einerVerringerung detailgenauer Fragen so-wie einer Vereinfachung der Fragestel-lungen bestand.Die Fragebögen wurden von der Koor-dinationsstelle Sucht verschickt, wobeijeweils ein Anschreiben der Koordinati-onsstelle Sucht und des Zentrums fürPlanung und Evaluation beilag. Insge-samt wurden 289 Fragebögen ver-schickt, die an die Universität Siegenzurückgesandt werden sollten. Für das Ausfüllen und Zurücksendenwurden lediglich zwei Wochen veran-schlagt, danach wurde ein Nachfass-brief versandt. Der erste Versand erfolg-te Ende November, die NachfassaktionMitte Dezember, wobei darum gebetenwurde, dass der Fragenbogen bis zurzweiten Woche im Januar 2005 zurück-gesendet wird. Auf die Nachfassaktionmeldeten sich 19 Institutionen, die umeine erneute Zusendung des Bogensbaten. Bis zum 19. Februar 2005 wur-den ausgefüllte und zurückgeschickteFragebogen berücksichtigt. Danachwurden keine Fragebögen mehr in dieAuswertung einbezogen und die Erhe-bungsphase abgeschlossen.

    3.3 Beschreibung der Nettostich-probe: die Einrichtungen derSuchthilfe in Westfalen-Lippe

    3.3.1. An der Befragung beteiligteEinrichtungen

    Der Fragebogen wurde an 289 Adres-sen versandt. Grundsätzlich wurdenEinrichtungen angeschrieben, dieprimär der Suchthilfe angehören:

    26

  • Sucht- und Drogenberatungsstellen,Institutsambulanzen, niederschwelligeEinrichtungen wie Cafés und Konsum-räume oder ambulant betreutes Woh-nen aus dem ambulanten Bereich. Ausdem stationären Bereich wurden Kran-kenhausabteilungen, Rehabilitations-einrichtungen sowie Übergangswohn-einrichtungen angeschrieben. Die Adressen, die die Grundlage für dieBruttostichprobe bildete, stammtenvon der Koordinationsstelle Sucht desLandschaftsverbandes Westfalen-Lip-pe und setzten sich aus Angaben desMinisteriums für Gesundheit, Soziales,Frauen und Familie des Landes Nord-rhein-Westfalen, der eigenen ständigaktualisierte Datenerfassung der KS,aus Angaben der Deutschen Haupt-stelle für Suchtfragen, aus Daten von

    Versicherungsträgern sowie von Ar-beitsgemeinschaften und Verbändender Suchthilfeeinrichtungen zusam-men. Insofern kann angenommen wer-den, dass die Bruttostichprobe die Ver-sorgungsstruktur für den Bereich West-falen-Lippe in hohem Maße abbildet. Insgesamt wurden 125 von 289 Bögenzurückgeschickt, das entspricht einerQuote von 43%. Dies kann für eineschriftliche Befragung als zufriedenstellend bewertet werden. Aus Telefo-naten und E-Mail-Kontakten mit Ein-richtungen, die sich nicht beteiligt hat-ten, wurde deutlich, dass sich viele Ein-richtungen nicht zuständig fühlten, dasie entweder nur eine sehr geringe An-zahl von Menschen mit Migrationshin-tergrund betreuten oder aber einenspeziellen Migrationsdienst unter glei-

    27

    Abbildung 4: An der Befragung beteiligte Einrichtungen

  • cher Trägerschaft haben, der sich umMigrantinnen und Migranten kümmert. In einer früheren Erhebung zeigte sich,dass das Antwortverhalten sehr unter-schiedlich war. Zum Teil hatten mehre-re kleinere Untereinheiten für sichselbst geantwortet, zum Teil gab es nureine Antwort von einem Suchthilfezen-trum, das aus mehreren verschiedenenEinrichtungen bestand. Aus diesemGrund wurde darum gebeten, dass dieAntwortenden jeweils angeben, umwelche Einrichtungsart oder welcheverschiedenen Einrichtungsarten essich handelt. Es stellte sich heraus, dass 36 Frage-bögen von Einrichtungen beantwortet

    wurden, die sich aus mehreren Einrich-tungsteilen zusammensetzten. Diesentspricht einem guten Drittel der Ant-wortenden, siehe Abbildung 4. DieseEinrichtungen setzten sich zum Teil ausso verschiedenen Institutionen zusam-men, dass es schwierig war, sie kate-gorial zutreffend zu erfassen.

    In den 36 Mehrfachangaben sind ver-schiedene Einrichtungen des ambulan-ten Bereichs enthalten: 15 nieder-schwellige Einrichtungen, 24 Sucht-und/oder Drogenberatungsstellen, 16Institutionen, die ambulant betreutesWohnen anbieten. Insofern bietet sichfolgendes korrigiertes Bild: Insgesamt

    28

    Abbildung 5:Beteiligte Einrichtungen mit der Aufschlüsselung der Mehrfachantworten

  • sind Angaben von 178 Einrichtungender Suchthilfe vorhanden, siehe Abbil-dung 5.

    Die Berücksichtigung der Mehrfachin-stitutionen bei der Auswertung stellt einerhebliches Problem dar, beispielswei-se bei der Mitarbeiterstruktur. Da hiernicht aufzuschlüsseln ist, welche Ein-richtungsteile welchen Anteil haben,werden diese Einrichtungen dort wie ei-ne eigene Einrichtungskategorie be-handelt, so dass die folgenden Anga-ben sich an den Werten der Abbildung4 orientieren.

    In der Erhebung sind einige Einrich-tungsarten überproportional vertreten,vor allem Beratungsstellen und Mehr-facheinrichtungen, während andere,z.B. Institutsambulanzen oder nieder-schwellige Einrichtungen, einen deut-lich geringeren Anteil ausmachen. Hier-bei sind die Nennungen innerhalb derMehrfachinstitutionen zu berücksichti-gen, doch bleibt das Problem, dass derRücklauf nicht ausgewogen ist. Für dieAuswertung wurden alle Rückmeldun-gen hinzugezogen7. Die Ergebnisse derAuswertung können somit eine höch-stens eingeschränkte Repräsentativitätbeanspruchen. Trotzdem ist vor allemüber die Beratungsstellen eine fundierteAussage möglich.

    3.3.2. Beschreibung der Nettostich-probe: Behandlungsschwer-punkte, Klienten- und Patien-tenzahlen und Mitarbeiter-struktur

    Am Anfang des Fragebogens wurdeneinige Daten über die Einrichtung erho-ben. Dazu wurde auch gefragt, welcheBehandlungsschwerpunkte in den Ein-richtungen zu finden sind. Es zeigtesich, dass Alkohol am häufigsten alsSchwerpunktproblematik und als rele-vant in der Arbeit benannt wurde. Da-nach werden Medikamente und illegaleDrogen als relevant eingestuft. Dies istüberraschend, da es für die Behand-lung der Medikamentabhängigkeitkaum verbreitete Behandlungskonzep-te gibt. Die Behandlung von Tabakab-hängigkeit, pathologischem Glücks-spiel sowie von Essstörungen (AnorexiaNervosa, Bulimie) wird als wenigerwichtig eingestuft. Die meisten Einrich-tungen sind auf mehrere Störungsbe-reiche ausgerichtet. Dabei fällt auf,dass tabakabhängige Menschen alsZielgruppe eine geringere Bedeutungeingeräumt wird als den Spielabhängi-gen. Dies ist interessant, weil in denletzten Jahren dem Tabakkonsum mitseinen Schäden und Folgen innerhalbder Wissenschaft große Aufmerksam-keit gewidmet wurde und auch die Po-litik hier den Schwerpunkt verstärkte.8

    29

    7 Hier wurden auch Auswertungen über eine einzige Einrichtung innerhalb einer Kategorie einbezo-gen, da auch diese Ergebnisse heuristisch wertvoll und fruchtbar sind.

    8 Über diese Relevanzeinschätzungen wurde eine Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse) ge-rechnet. Dabei zeigte sich überraschenderweise, dass in der Faktorenmatrix die folgenden Werteauftraten: Medikamentenabhängigkeit: 0,856; Alkoholsucht: 0,753, Spielsüchte: 0,744, Tabaksucht:0,71, Essstörungen: 0,678, illegale Drogen: 0,576. Dies könnte inhaltlich darauf hindeuten, dass dieBefragten der Medikamentenproblematik einen erstaunlich hohen Stellenwert im Patientengut bei-gemessen haben. Daran ändert sich auch nichts, wenn bei der Faktorenanalyse keine Mittelwerter-gänzung vorgenommen wurde.

  • Es wurde weiterhin ermittelt, wie vieleKlienten/Patienten im Kalenderjahr2003 behandelt oder beraten wurden.Entsprechend der Heterogenität derEinrichtungen zeigen sich große Diffe-renzen. Drei Einrichtungen gaben an,weniger als 10 Personen behandeltoder beraten zu haben. Der Großteilder Institutionen hat allerdings zwi-schen 50 und 600 Personen betreut.Drei Einrichtungen gaben an, mehr als7.000 Personen versorgt zu haben. Für

    die Darstellung der Mittelwerte wurdendiese extremen Beispiele als Ausreißerbetrachtet und ausgeschlossen, da siesich extrem verzerrend auswirken. Die Sucht- und Drogenberatungsstel-len hatten im Durchschnitt 512 Klientin-nen und Klienten, Von den beiden nie-derschwelligen Einrichtungen gab esnur eine Angabe über Klientenzahlen,diese lag bei 13.500 Personen, wobeiman hier eher von einem Versorgungs-gebiet sprechen sollte.

    30

    9 Versorgungsbiet der Einrichtung

    Abbildung 6: Schwerpunktsetzungen der Einrichtungen

    Art der Einrichtung Anzahl der Patienten Einrichtungen gesamt Mittelwert

    Niederschwellige Einrichtungen 1 13.5009 13.500

    Sucht- und/oder Drogenberatungsstelle 39 19.973 512

    Institutsambulanz, Fachambulanz 1 146 146

    Ambulantes betreutes Wohnen 8 219 27

    Tagesstätte, Tagesklinik 1 59 59

    Stationär betreutes Wohnen 9 277 31

    Krankenhaus, -abteilung 10 3.260 326

    Rehabilitationseinrichtung 14 3.092 221

    Sonstige 1 24 24

    Mehrfachnennungen 34 24.124 710

    Insgesamt 118 51.174

    Tabelle 1: Klienten-/Patientenzahlen in den verschiedenen Einrichtungen

  • Es zeigt sich bei den Mehrfachnennun-gen sehr deutl ich, dass dorthauptsächlich ambulante und nieder-schwellige Einrichtungen vertretensind. Die Zahlen liegen im Durchschnittsehr hoch. Insgesamt 64.674 Menschen wurdenim Kalenderjahr 2003 von den Institu-tionen betreut, die an der Befragungteilnahmen.

    Die Auswertung der Angaben zur Mitar-beiterstruktur betont wiederum Unter-schiedlichkeit der Institutionen. Die Ta-belle 2 zeigt den Durchschnitt der Voll-zeitstellen pro Einrichtungsart. Von 0,5bis hin zu 91,7 Vollzeitstellen reicht dieSpanne, die sich natürlich sowohl ander Art der Einrichtung wie auch an derAnzahl der Klientinnen und Klienten ori-entiert. Bei der Analyse der Mitarbeiter-struktur sind die Teilzeitstellen jeweils inVollzeitstellen umgerechnet worden.

    In den Sucht- und Drogenberatungs-stellen sind durchschnittlich 3,9 Voll-zeitstellen besetzt, Fach- und Verwal-tungspersonal ist hierbei zusammenge-fasst. Diese Zahl liegt erheblich unterden 6 Vollzeitstellen, die laut DeutscherSuchthilfestatistik in den ambulantenBeratungsstellen vorhanden sind (vgl.Sonntag & Welsch 2004a). Gründehierfür sind nicht ersichtlich.

    Leider ist kein Rückschluss durch einenVergleich der Klientenzahlen möglich,da diese Erhebung diesbezüglich an-ders konstruiert als die DeutscheSuchthilfestatistik.

    In einem weiteren Schritt wurde dieZahl der Beschäftigten in Relation zuden Klienten/Patienten gestellt, um ei-nen Eindruck bezüglich der Betreu-ungsdichte zu erhalten (siehe Tabelle3).

    31

    Tabelle 2: Durchschnittliche Anzahl der Vollzeitstellen nach Einrichtungsart

    Art der Einrichtung Durchschnittliche N % der Standard-Anzahl der Gesamt- abwei-Vollzeitstellen anzahl chung(Mittelwerte)

    Niederschwellige Einrichtung 6,3 2 1,6% 1,13

    Sucht- und/oder Drogenberatungsstelle 3,9 38 31,2% 1,90

    Institutsambulanz/Fachambulanz 6,3 1 0,8% .

    Ambulantes betreutes Wohnen 2,2 9 7,4% 0,75

    Tagesstätte, Tageklinik 4,5 1 0,8% .

    Stationär betreutes Wohnen 14,0 10 8,2% 8,94

    Krankenhaus/-abteilung 15,9 10 8,2% 5,05

    Rehabilitationseinrichtung 21,8 14 11,5% 25,02

    Sonstiges 8,5 1 0,8% .

    Mehrfachangaben 10,2 36 29,5% 9,13

    Insgesamt 9,6 122 100,0% 11,72

  • In den acht Einrichtungen, die ambu-lant betreutes Wohnen anbieten, sindzwischen 1,5 und 4 Vollzeitstellen be-setzt, dies entspricht einem Durch-schnitt von 2,2 Personalstellen. Bei 8bis 73 Bewohnerinnen und Bewohnerndifferenziert der Personalschlüssel von1:5,3 bis hin zu 1:18,3, der Durch-schnitt beträgt 1:12,5 (siehe Tabelle 3).Bei dem stationär betreuten Wohnenist der Personaleinsatz erwartungs-gemäß höher, in den zehn Institutionensind zwischen 8,27 und 38 Personal-stellen besetzt, im Durchschnitt 14,0.Es werden zwischen 8 und 48 Bewoh-nerinnen und Bewohner betreut, mit ei-nem Personalschlüssel von 1:0,9 und1:3,9, dabei liegt der Mittelwert bei 2,2Personen pro Mitarbeiterin und Mitar-beiter.

    In den Krankenhäusern und Kranken-hausabteilungen sind Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter mit einem Umfang zwi-schen 3,7 und 20,4 Personalstellen be-

    schäftigt, der Mittelwert liegt bei 15,9Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die-se betreuen je nach Einrichtung zwi-schen 40 und 1040 Patientinnen undPatienten, was einem durchschnittli-chen Personalschlüssel von einer Voll-zeit-Beschäftigten auf 20,5 betreutePersonen entspricht. In den Rehabilitationseinrichtungensind zwischen 4,4 und 91,7 Personal-stellen besetzt. Der Personalschlüsselist jedoch im Verhältnis homogener alsbei den Krankenhäusern und Kranken-hausabteilungen, er liegt zwischen1:1,1 und 1:18,2, wobei der Mittelwert10,1 beträgt. Der Tabelle 3 können weitere Personal-schlüssel entnommen werden. Insge-samt wird deutlich, dass die Einrichtun-gen in sehr unterschiedlichem Maßeüber personelle Ausstattungen verfü-gen und insoweit einer spezifischen Ar-beit mit Personen mit Migrationshinter-grund zum Teil sehr enge Grenzen ge-setzt sind.

    32

    Tabelle 3: Verhältnis Klient/innen/Patient/innen zum Personal

    Art der Einrichtung Durchschnittliche Durchschnittliche Anzahl der Anzahl der Anzahl Klient/innen/ Vollzeitstellen Klienten/innen/ Patient/innen, (Mittelwerte) Patient/innen die durch-

    schnittlich aufeine Vollzeitstelle kommen

    Niederschwellige Einrichtung 6,3 13.500 2142,9(Versorgungsgebiet) (Versorgungsgebiet)

    Sucht- und/oder Drogenberatungsstelle 3,9 512 131,7

    Institutsambulanz/Fachambulanz 6,3 146 23,4

    Ambulantes betreutes Wohnen 2,3 27 12,5

    Tagesstätte, Tageklinik 4,5 59 13,1

    Stationär betreutes Wohnen 14,0 31 2,2

    Krankenhaus/-abteilung 15,9 326 20,5

    Rehabilitationseinrichtung 21,8 221 10,1

    Sonstiges 8,5 24 2,8

    Mehrfachangaben 10,2 710 69,5

  • Als ein weiterer relevanter Faktor be-züglich der Umsetzung interkulturellerOrientierung kann die Einstellung vonFachpersonal mit eigener Migrations-geschichte bzw. Migrationshintergrundangesehen werden. Bei der Erhebungwurde innerhalb der Frage bezüglichder Mitarbeiterstruktur der Einrichtungauch nach dem Anteil an Fachpersonalmit Migrationshintergrund gefragt.

    Von den befragten 123 Institutionenbeschäftigten 24 Mitarbeiterinnen undMitarbeiter mit Migrationshintergrund.Dies entspricht einem Anteil von knapp20% der Einrichtungen. Innerhalb die-ser Institutionen waren zwischen 0,25

    und fünf Vollzeitstellen mit Menschenmit Migrationshintergrund besetzt. Insiebzehn der 24 Institutionen sind 0,26bis zu 2,0 Vollzeitstellen mit Migrantin-nen und Migranten besetzt. In den Einrichtungsarten, die jeweils nurein oder zwei Mitarbeitern beschäfti-gen, sind mit einer Ausnahme keine Mi-grantinnen oder Migranten unter denAngestellten.10 Von den stationären Ein-richtungen, Rehabilitationseinrichtun-gen, Krankenhäusern und stationär be-treuten Wohnen, haben jeweils zwi-schen 30% und 50% Migrantinnen undMigranten als Angestellte. Bei den Be-ratungsstellen, komplexen Einrichtun-gen sowie dem ambulant betreuten

    33

    Abbildung 7: Einrichtungen, die Personal mit Migrationshintergrund beschäftigen

    10 Bei der Einordnung „Institutsambulanz, Fachambulanz“ hat zu dieser Frage eine Einrichtung ge-antwortet und angegeben, dass sie für zwei Stunden Personal mit Migrationshintergrund beschäf-tigt. Wegen des sehr geringfügigen Umgangs wurde diese Einrichtungsart nicht in die Abbildung.aufgenommen.

  • Wohnen ist der Anteil deutlich geringer,zwischen 7,5% und etwa 21% (sieheAbbildung 7). Die stationären Institutio-nen scheinen also über mehr Personalmit Migrationshintergrund als die am-bulanten Einrichtungen zu verfügen. Inetwas mehr als 20% der Institutionengibt es also Mitarbeiterinnen und Mitar-beiterinnen mit eigenem Migrationshin-tergrund. Im Durchschnitt beträgt der Anteil derMigrantinnen und Migranten am Perso-nal 4,4%. Es ist schwierig diesen Anteilzu bewerten. Das LandesarbeitsamtNordrhein-Westfalen hat für das Jahr2001 konstatiert, dass der Anteil aus-ländischer Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer im Bereich Sozialarbeit undKinderbetreuung bei 3% liegt (Weiland;Rommel & Raven 2003, S. 89ff). Diesentspricht nicht ihrem Bevölkerungsan-teil, insbesondere wenn die weite Defi-nition des Mikrozensus von Menschenmit Migrationshintergrund dieser Arbeitzugrunde gelegt wird und die Gruppeder Migranten nicht nur auf Ausländerreduziert wird (s.o. Kapitel 1). Dann wä-re ein Anteil von etwa 19% anzustre-ben.

    Bei einer Analyse der Berufsgruppenwird deutlich, dass die Menschen mitMigrationshintergrund zumeist alsFachpersonal angestellt sind. Die ver-schiedenen Berufsgruppen schlüsseltTabelle 4 auf.

    Grundsätzlich ist die interkulturelleTeamarbeit als Herzstück für eine in-terkulturelle Öffnung der sozialen Dien-ste zu bezeichnen. Mittlerweile wurdenbereits Qualitätsstandards zur interkul-turellen Teamentwicklung erarbeitet.Auf der Praxisebene muss jedoch fest-gestellt werden, dass nur relativ seltenein interkulturelles Team zu finden ist.Es ist grundsätzlich eine Einstellungvon Menschen mit Migrationshinter-grund weiter zu fördern und zu wün-schen.

    Diesbezüglich ist allerdings zu konsta-tieren, dass bei Stellenvakanzen nurselten „interkulturelle Kompetenz“bzw. Migrationserfahrungen als Qualifi-kationsmerkmal formuliert werden,wenn es sich nicht um eine explizit mi-grationsspezifische Arbeitsstelle han-delt.

    34

    Berufsgruppen Vollzeitstellen

    Ärzte 5,0

    Diplom-Psychologen 3,0

    Diplom-Pädagogen/Diplom-Sozialwissenschaftler/Diplom-Soziologen 6,0

    Diplom-Sozialarbeiter/Diplom-Sozialpädagogen 10,5

    Erzieher/sonstige Fachkräfte für soziale Arbeit 4,5

    Krankenschwester/-pfleger/Krankenpflegehelfer 12,0

    Ergo-/Arbeits- und Beschäftigungstherapeuten 0,5

    Sport- und Bewegungstherapeuten 1,0

    Büro-/Verwaltungspersonal 2,3

    technisches Personal/Wirtschaftsbereich 3,4

    Insgesamt 48,2

    Tabelle 4: Qualifikation des Personals mit Migrationshintergrund

  • 4. Ergebnisse der Befra-gung Teil 1: Analyse derInanspruchnahme derSuchthilfeeinrichtun-gen in Westfalen-Lippedurch Personen mit Mi-grationshintergrundund Migrationserfah-rung

    Das erste Ziel der Befragung besteht –wie oben bereits ausgeführt wurde - inder Analyse der Inanspruchnahme derEinrichtungen der Suchthilfe in Westfa-len-Lippe durch Personen mit Migrati-onshintergrund und Migrationserfah-rung, insbesondere hinsichtlich ihrerHerkunft, Gruppenzugehörigkeit, ihresGeschlechtes und ihrer Sprachfähigkei-ten (s.o. Kapitel 3.1).

    (1) Wie hoch ist der Anteil der Perso-nen mit Migrationshintergrund undMigrationserfahrung in den befrag-ten Einrichtungen?

    (2) Wie hoch ist der Anteil weiblicherPersonen mit Migrationshinter-grund?

    (3) Welche Gruppen sind besondersstark vertreten?

    (4) Wie ist die Verteilung der unter-suchten Gruppe bezüglich der un-terschiedlichen Herkunftsländer?

    (5) Wie werden die Sprachkenntnisseder Personen mit Migrationshinter-grund eingeschätzt?

    Dieser deskriptiven Ausdifferenzierungder Daten liegt die Annahme zugrunde,dass die Homogenität der untersuch-ten Gruppe vermutlich gering ist undnoch einmal durch die Variablen Ge-schlecht, Gruppengröße, Herkunftslän-der und Sprachkompetenz eine diffe-

    renzierten Betrachtung erfahren muss,um eine Grundlage für konkrete Hand-lungsempfehlungen schaffen zu kön-nen.

    4.1. Anzahl der Menschen mit Mi-grationshintergrund an der Kli-entel

    In der aktuellen Diskussion zum Zusam-menhang von Migration und Sucht wirdeinerseits die Ansicht vertreten, dassMenschen mit Migrationshintergrundvom Suchthilfesystem nicht erreichtwerden und dass ihr Anteil in den Bera-tungsstellen zu niedrig ist. Andererseitsgeben Einrichtungen an, dass sie zumehr als 30% von Migrantinnen und Mi-granten aufgesucht werden. Zudem gibtes Behauptungen, dass in Großstädtender Anteil ausländischer Drogenabhän-giger um die 20% liegt und die Tendenzsteigt (Salman 1999, S. 11). Um den Anteil der Menschen mit Mi-grationshintergrund erfassen zu kön-nen, ist eine komplexe Operationalisie-rung notwendig (Zeeb & Razum 2006).Wie schon erläutert, existieren ver-schiedene Oberbegriffe, die entwederkeine klaren Grenzen haben, wie „Zu-wanderer“ oder „Migrant“, oder zu engbegrenzt sind wie „Ausländerin“ und„Ausländer“. Für die hier dargestellte -im Jahr 2003 durchgeführte Befragung- wurde die folgende operationale Defi-nition verwendet.

    „Dabei meint der Begriff ‚Menschen mitMigrationshintergrund` solche Men-schen, die sich eindeutig erkennbarhinsichtl ich kulturel ler Tradit ionund/oder Sprache und/oder Religionvon Klienten ohne Migrationshinter-grund unterscheiden und entweder

    (a) eine ausländische Staatsbürger-schaft ohne deutsche Staatsbürger-schaft oder

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  • (b) ausländischer Herkunft sind und ei-ne deutsche Staatsbürgerschaft haben(z.B. Aussiedler oder Kinder von Aus-ländern) oder

    (c) eine doppelte Staatsbürgerschafthaben, wovon eine deutsch ist“ (Frage-bogen zur Studie, Seite 4, siehe An-hang)

    Mit dieser Definition – die im Fragebo-gen abgedruckt wurde - werden dieUnterschiede bezüglich der kulturellenTradition, der Sprache und oder Religi-on betont, die Staatsangehörigkeit wirdeher vernachlässigt. Bei einer Studie inSchleswig Holstein hatte sich gezeigt,dass allein durch die Mitauswertungder zweiten Staatsangehörigkeit, derZuwandererantei l um 30% stieg(Brucks & Wahl 2002, S. 46). Hier wirddeutlich, dass die alleinige Betrachtungder Staatsangehörigkeit nicht aus-reicht. Im Text werden neben dem Be-griff „Mensch mit Migrationshinter-grund“ in gleichem Sinne auch Zuwan-derin und Zuwanderer sowie Migrantinoder Migrant benutzt. Der Begriff „Aus-länder“ oder „Ausländerin“ wird ledig-lich benutzt, wenn – etwa bei Statisti-ken – tatsächlich Menschen mit auslän-discher Staatsbürgerschaft gemeintsind. Damit folgt die Untersuchung einerseitsdem bereits erwähnten Trend in derepidemiologischen Forschung, anstelleder Nationalität das Herkunftsland (ei-

    genes oder der Eltern) und die gespro-chene Sprachen als Indikator für denMigrationsstatus zu verwenden (Zeeb &Razum 2006), andererseits wurde eineVergleichbarkeit zu dem Konzept derMigrationserfahrung im Rahmen desMikrozensus hergestellt (Statist