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1 Migrationstag im Wittelsbacher Land Dialogbühne zum Thema globale Migrationstrends – Herausforderungen für die lokale Politik 2. Oktober 2015 Aichach, Kreisgut des Landkreises Aichach-Friedberg Dokumentation

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Migrationstag im Wittelsbacher LandDialogbühne zum Thema globale Migrationstrends –Herausforderungen für die lokale Politik

2. Oktober 2015Aichach, Kreisgut des Landkreises Aichach-Friedberg

Dokumentation

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Migrationstag im Wittelsbacher LandAichach, 2. Oktober 2015

Schon lange, bevor die aktuelle Lage der Flüchtlings-krise aktuell wurden, hatte der Verein Gesellschaft fürInternationale Entwicklung (Society for InternationalDevelopment, SID) München e.V. in Kooperation mitdem Landkreis Aichach-Friedberg sowie der Engage-ment Global GmbH, ein Service für Entwicklungsini-tiativen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung eine Dialogbühne zumThema Migration geplant und organisiert. Am 2. Ok-tober 2015 diskutierten rund 80 Teilnehmer über diesesbrandaktuelle und -heiße Thema im Kreisgut des Land-kreises.

Die EU hatte schon im Frühjahr 2014 das Jahr 2015 zum„Europäischen Jahr für Entwicklung: Ein Jahr für Alle“,ausgerufen, erläuterte Dr. F.Kayode Salau, Vorsitzenderdes SID-Chapters Mün-chen, in seiner Begrüßung.Jeder Monat stand untereinem Motto, der Septem-ber unter dem nun mehr alstreffenden Thema „Bevöl-kerungsentwicklung undMigration“. Die neuesteEntwicklung ist bekanntund so fand der „Migrati-onstag im WittelsbacherLand“ auch auf große Re-sonanz von rund 80 Teilnehmern aus vielen Bereichen, diegerade mit dem Thema Migration und Flüchtlingen befasstsind – von Lokalpolitikern über Mitarbeiter einschlägig be-troffener Einrichtungen wie Volkshochschulen (VHS),Schulen, Handwerk bis zu Landtagsabgeordneten.

Millionen von Menschen sind unterwegsMdL Martin Neumeyer, seit sieben Jahren Integrationsbe-auftragter der Bayerischen Staatsregierung, stellte dasThema in den globalen Zusammenhang. „Millionen vonMenschen sind unterwegs“, sagte Neumeyer. Allein mitBlick auf Syrien sprach er von sechs Millionen Menschen,die bereits außerhalb des Landes seien. Tausende von Kin-dern gingen nicht mehr in die Schule. Viele Menschen dorthätten „keine Hoffnung mehr, keine Perspektive“. Währendin der Zuwanderung in Deutschland daraus Chancen für diedemografische Entwicklung oder den Arbeits- und Fach-kräftemangel entstehen, fragten viele, wer denn da komme,mit welcher Kultur- und Wertevorstellung? Nicht alle EU-Staaten hätten das „Jahr für Alle“ richtig verstanden, soNeumeyer. Von den 28 EU-Staaten seien nur fünf bereit,Verantwortung „für alle“ zu tragen. Insbesondere europäi-sches Papier sei offenbar geduldig. „Deutschland ist ein of-fenes Land, ein starkes Land – manche Kraft kann aberauch versiegen“, so Neumeyer. Die Willkommenskultursehe er in Folge der Fußball-WM von 2006. Das Wort Will-kommen könne man aber auch zerlegen: „Ich will kommen– und du bist schon da. Da müssen wir überlegen, wie wirmiteinander leben!“

„Die Wertedebatte ist das alles Entscheidende in diesemLand. Denn Werte sind unser Scharnier, damit die Türenauf- und zugehen. Wir dürften nicht einen dieser Werte aufdem Altar der Beliebigkeit opfern!“ Die Werte rief Neu-meyer noch einmal ins Gedächtnis: Demokratie, SozialeMarktwirtschaft, Freiheit, Gleichberechtigung von Mannund Frau. Neumeyer ver-wies auf die National-hymne: Einigkeit undRecht und Freiheit – „mehrbrauchen wir nicht!“, soNeumeyer eindringlich.Das sei Deutschlands An-gebot an die Welt. KeinenDeut dürfe man da ab-schneiden. Denn mit die-sem System habe man esvor 25 Jahren geschafft –Neumeyer bezog sich aufden der Veranstaltung fol-genden Tag der DeutschenEinheit – 17 oder 18 Millio-nen Menschen zu integrieren, auch wenn das heute nochnicht abgeschlossen sei.

Migranten als Arbeitskräfte im demografischen WandelSchon Jahrzehnte lang hat sich Dr. Hans Dietrich von Löf-felholz, Chefökonom a. D. im Bundesamt für Migrationund Flüchtlinge, mit dem Thema Migranten als Arbeits-kräfte im demografischen Wandel beschäftigt. „Migrationund Integration sind heute zwei Seiten einer Medaille“, zi-tierte er aus einer Rede des seinerzeitigen Bundesministersdes Inneren, Wolfgang Schäuble. Vor allem in Bayern undBaden-Württemberg sei die wirtschaftliche Situation ex-zellent. Eine Arbeitslosigkeit, so niedrig seit 25 Jahren nichtmehr. „Das wird überall wahrgenommen“, lenkte von Löf-felholz den Blick auf die extrem schnell gewordene welt-umspannende Information. Die Bilder der Will kom mens -kultur signalisierten: „Kommt nach Deutschland, machteuch auf den Weg!“, soLöffelholz. Er sprach auchvon „sich selbst erfüllendenPrognosen“, wenn man dieZahlen der erwartetenFlüchtlinge immer weiternach oben schraube. Auchdie Aufforderung „Make itin Germany“ der Ausbil-dungseinrichtungen oderdie MINT-Diskussion wür-den motivierend wirken.Sehr wichtig für diese„Pull-Faktoren“ seien auchdie bestehenden Netzwerke bereits hier (oder in anderenLändern) ansässiger Landsleute. „Wie man in Deutschlandlebt, überlebt und einen Job kriegt, sei es in der Schatten-wirtschaft“, werde so schnell unter den Migrantengruppenverbreitet.Zuwanderungsphasen hatte es schon öfter in Deutschland

gegeben, beispielsweise die Anwerbung von Gastarbeitern

Dr. F. Kayode Salau

MdL Martin Neumeyer, Integrati-onsbeauftragter der BayerischenStaatsregierung

Dr. Hans Dietrich von Löffelholz

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Seit 2011 beschäftigt sich THP mit der Frage, welcheRolle Unternehmen und Städte bei der Bewältigung der He-rausforderungen durch Migration spielen. Das Ergebnis derAnalysen: Beide würde wie Silos, wie Türme (Anm.: inDeutschland würde man wohl von Elfenbeintürmen spre-chen), unabhängig voneinander arbeiten. „36 Prozent der Unternehmen finden nicht die richtigen

Leute für eine Stelle“, so Nava Hinrichs. Hier setzt THPan: Unter den Migranten könnte es Menschen geben, diedie Anforderungen an eine bestimmte Stelle fachlich erfül-len könnten. Doch deren Problem sei oft, dass ihnen vieleheutzutage schon fast selbstverständliche „soft skills“ feh-len. Zu diesen Fähigkeiten zählte sie beispielsweise, dassman zwischen den Zeilen lesen könne, den Dress Code unddie Umgangsformen („office culture“) eines Unternehmensverstehen und befolgen sollte. Selbst wann und wie mannach Urlaub fragen könnte, ist zu lernen und praktisch alleUnternehmen sähen es gerne, wenn jemand auch selbst Ini-tiativen ergreife. Städte wiederum profitieren von einerschnellen Integration von Migranten. Wenn die Fähigkeiten

von Migranten genutzt wer-den, so würde das zu weite-ren Investitionen führenund die Lasten von Arbeits-losigkeit mindern. „Die Fähigkeiten von

Migranten herauszufindenund einzusetzen, ist viel Ar-beit. Aber die Lösungenkönnen nachhaltig sein“,versprach Hinrichs. DieWeiterbildung der Asylsu-chenden sei daher einegroße Aufgabe, das „Ups-killing“ (das Vermitteln lan-

desüblicher Verhaltensweisen) eine weitere. Unternehmenmüssten sich dem Projekt öffnen, Städte entsprechende Bil-dungseinrichtungen anbieten. Entsprechende Weiterbil-dungsprojekte müssten kofinanziert sein. „Wenn es nichtskostet, wird es nicht geschätzt“, so Nava Hinrichs. Das Er-gebnis ist simpel: Unternehmen erhalten Leute, die besserauf ihre Stellen passen, Migranten finden einen Job und dieStädte müssen sich weniger um (arbeitslose) Asylbewerberkümmern.Wie überzeugt man nun die Beteiligten? „Facts and figu-

res (also Zahlen, Statistiken) helfen nicht weiter. Mentali-täten kann man nicht über Nacht ändern. Man muss mit po-sitiven Beispielen argumentieren“, so Hinrichs. Migrantenwürden aber auch oft selbst unternehmerisch tätig undschaffen dann selbst Arbeitsplätze.Städte (die in den Niederlanden eine größere Rolle in der

Administration der Asylsuchenden spielen) dürften nichtnur die Analyse dankbar entgegen nehmen, sondern müss-ten sich auch engagieren. Holland stehe vor ähnlichen Pro-blemen wie Deutschland: Das holländische Migrationsamthabe sich verpflichtet, freiwillig bis Ende des Jahres 2015auch an den Wochenenden zu arbeiten. Ein Kontingent von2000 Flüchtlingen hatte Holland im Frühjahr 2015 zuge-sagt, inzwischen kommen 1700 pro Woche.Es sei ein intensiver Kommunikationsprozess, um die

Bedürfnisse der Firmen zu ermitteln. Auch die Überzeu-

in den 1960er Jahren, die Zuwanderung nach dem Militär-putsch 1974 in Griechenland oder einem solchen 1980 inder Türkei. „Die exportorientierte Industriestruktur Bayernserfordert auch in Zukunft Diversität und Interkulturalität“,so von Löffelholz. Ein Problem bleibe es, dass die derzei-tigen Flüchtlinge zwar jung, aber ein wesentlicher Teilkeine formale Ausbildung habe. 20 % hätten einen Hoch-schulabschluss, 30 % überhaupt einen Schulabschluss undder Rest keinen Schulabschluss. Damit sei es sehr schwie-rig, in dem extrem anspruchsvollen deutschen Arbeitsmarktunterzukommen. Aber auch nur zehn Prozent der Arbeits-plätze für ungebildete Leute werde von den bisherigenMigranten ausgefüllt.Selbst wenn bisher den großen Zuwanderungsströmen

(darunter auch Zuzug von Arbeitskräften aus anderen EU-Ländern) erhebliche Abwanderungen gegenüber standen,so rechnet Löffelholz damit, dass viele der neuen Flücht-linge in Deutschland bleiben und integriert werden müssen.„Integrieren heißt investieren“, mahnte von Löffelholz.

Erfahrungen aus niederländischen PPP-Projekten zur Integration von Migranten Über Erfahrungen aus niederländischen PPP-Projekten zurIntegration der Migranten in die Gesellschaft berichteteNava Hinrichs, Geschäftsführerin der Foundation TheHague Process (THP), einer international orientiertenNicht-Regierungsorganisation (NGO) im Bereich Migra-tion. In den Niederlanden, einem ebenfalls von stark zu-nehmender Einwanderung betroffenen Land, bringt THPUnternehmen und Kommunen (insbesondere die großenStädte) zusammen. „Kenntnisse der Situation sind wichtig,nicht nur eine Momentaufnahme“, betonte sie, dass in die-sem Bereich Erfahrung unabdingbar ist. Sie ging auch kurzauf die keine zehn Tage vor der Veranstaltung veröffent-lichte Migrationsstudie der OECD ein. Diese wies Deutsch-land als zweitgrößtes Einwanderungsland nach den USAein. Die folgenden Ziel-Länder der weltweiten Migrationsind demnach die Türkei, Schweden und Italien. Das ge-genwärtige Allzeithoch der Migrationsströme lasse überallRestriktionen bezüglich Einwanderung wachsen, da Res-sentiments und nervöse Reaktionen zunähmen. Interessantwar die Feststellung, dass über viele Jahre hinweg die Wan-derungsbewegungen in Relation zur wachsenden Weltbe-völkerung konstant bei drei Prozent der Gesamtbevölke-rung liegen. Angst vor Einwanderung sei normal, so Hin-richs – aber man müsse diese Angst ernst nehmen unddaran arbeiten, sie zu überwinden.

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Nava Hinrichs

Aufmerksames Publikum beim Migrationstag in Aichach.

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„Im Moment denken wir noch gar nicht an Integration“,freute sich Metzger dennoch, dass über ein so vorausschau-endes Thema in seinem Landkreis diskutiert werde. „Alletun, was sie können“, lobte er seine Mitarbeiter und die vie-len Freiwilligen im Landkreis. Neue Stellen wurden bereitsgeschaffen.

Podiumsdiskussion Landrat Dr. Klaus Metzger reihte sich in die Referenten-bank der Podiumsdiskussion ein, die von Dr. Kayode Salaugeleitet wurde. Mitdiskutanten waren Dr. Simone Stroh-mayr, MdL (SPD), Peter Tomaschko, MdL (CSU), UcheAkpulu, Mitglied im Bayerischen Flüchtlingsrat, und Dr.Joy Alemazung, Projektleiter bei Engagement Global.„Integration ist Deutschland teilweise auch uner-

wünscht“, überraschte Uche Akpulu das Publikum. Er war2003 als Flüchtling aus Nigeria gekommen. Nach einemvier Jahre dauernden Asylverfahren hatte er sein heimatli-ches Biochemie-Studium in Deutschland noch um Ergän-zungssemester erweitern – doch nirgends einen Arbeitsplatzin diesem Bereich gefunden.

„Ich fürchte, da kommt nicht viel hier vor Ort an“, ant-wortete Landrat Metzger auf die Frage des ModeratorsSalau, ob ihm nicht angesichts der 6,4 Milliarden Euro, dieder Bund bereitstellen wolle, ein Stein vom Herzen falle.Metzger verdeutlichte, dass er sich dagegen wehre, dassnicht nur die Arbeit bei Kommunen und Landkreisen an-komme, sondern diese auch die finanzielle Last schulternsollen. Inzwischen seien im Landkreis bereits 1200 Flücht-linge in 86 dezentralen Einrichtungen untergebracht. DieseZahl entspreche etwa dem einen Prozent, das als Richtwertfür die Verteilung gelte. „Je kleiner die Einheit, umso besserist die Betreuung vor Ort. Wir werden die dezentrale Un-terbringung aber nicht mehr lange durchalten“, rechneteMetzger mit weiteren Neu-Ankömmlingen.In den damit befassten Einrichtungen seien bereits vier

neue Stellen geschaffen worden. „Wir müssen weiterezwölf Stellen schaffen“, so Metzger. Das seien Kosten, diefür die Kommunen nicht angemessen seien.Der Landkreis habe zwar einen Leitfaden für Ehrenamt-

liche zu diesem Thema herausgegeben. Salau fragte, wasfür die Verbesserung der interkulturellen Kompetenz derMitarbeiter und Ehrenamtlichen getan werde. „Das Tages-geschäft nimmt uns so in Beschlag, dass ich die Kritik zwarannehme. Man kann immer viel wollen, aber wir kriegen

gung der Bevölkerung sei eine große Aufgabe: „Mentalitätkann man nicht über Nacht ändern!“ Man müsse zeigen,welche Vorteile die Arbeit mit Einwanderern bringt. Esgäbe so viele freie Stellen, die Arbeitslose – aus welchenGründen auch immer (Familie, Gesundheit, mangelndeMobilität) – nicht annehmen würden. „Lasst uns nach einerLösung suchen“, argumentierte Hinrichs. „’Lasst sie drau-ßen’ – ist keine Lösung!“

Interkulturelle NahrungNach Begrüßung und den ersten umfassenden Informatio-nen war es an der Zeit, die geistige Nah-rung auch zu unterfüttern. Im Foyer desKreisguts waren dazu mehrere Buffets auf-gebaut. Internationales Dinner war das un-schwer erkennbare Motto. Taco-Salat gabes da, Couscous-Mango-Salat, kleine Wie-ner Schnitzel, gebratene Auberginen, rotenLinsensalat, Yufka-Teigblätter mit Schafs-käse, gefüllte Datteln, karamellisierte Ge-müsezwiebeln, Hummus bi Tahina aus Sy-rien – und Obazda (aus Bayern). Da war esschwer, die Teilnehmer von den internatio-nalen Köstlichkeiten wieder in den Veran-staltungsraum zu bekommen. Doch Dr. Sa-laus Stimme überzeugte letztlich doch.

Die Lage im Landkreis: Alle tun, was sie könnenDer Landrat des Landkreises Aichach-Friedberg, Dr. KlausMetzger (als Hausherr im Kreisgut auch Gastgeber der Ver-anstaltung), war vorher noch bei einem anderen Termin,hatte die ersten Vorträge noch teilweise gehört und begrüßtedie Teilnehmer erst nachder Pause beim Migrations-tag. „Zivilcourage wird einer

der wesentlichen Mark-steine sein, wie sich unsereGesellschaft weiter entwi-ckeln wird“, sagte Metzger.Das „Tagesgeschäft“ drehesich derzeit jedoch darum,wie 50 im Landkreis wö-chentlich ankommendeMigranten untergebrachtwerden können. 1200waren es zum Zeitpunkt der Tagung, die in 86 Einrichtun-gen noch dezentral untergebracht sind. So gäbe es wenigerSpannungen. Diese Situation würde schwer zu halten sein,wenn die jetzige hohe Zahl an Zuwanderung anhalte.

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Landrat Dr. Klaus Metzger

Podiumsdiskussion

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nister aus dem Staatshaushalt in Aussicht gestellt. „Wer be-zahlt das“, fragte Tomaschko. Ein neues Integrationskon-zept solle in Kürze von der Regierung vorgelegt werden.Die Anstrengungen, um den stark gewachsenen Zustromzu bewältigen, seien an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt.Auch von den Schulen kämen Hilferufe. Die Zahl der Be-rufsschulklassen sei bereits um 75 Prozent erhöht worden.„Wir müssen in den Herkunftsländern helfen“, forderte To-maschko. Nur ein Bruchteil derer, die täglich zu uns kom-men, werde im Arbeitsmarkt auch tatsächlich gebraucht,warnte er vor einer Fehleinschätzung aus Sicht der Arbeits-marktpolitik.Simone Strohmayr erwiderte direkt darauf, dass das Ein-

wanderungsgesetz nicht eine neue Tür öffnen solle, sondernEntlastung durch Anträge auf legale Einreise bringen solle.„Wir haben die Zeichen der Zeit verschlafen“, so Stroh-mayr wörtlich. „Wir können nur noch handeln und schauen,dass wir da durchkommen.“

Den Ball, den ihm Salau zugespielt hatte, nahm Dr. Ale-mazung auf. Der Wohlstand in Europa und in Deutschlandhänge stark davon ab, dass die wertvollen Ressourcen inden afrikanischen Ländern ausgebeutet werde, die Folgeist Elend, Armut und Flucht, ein Zitat aus einer Rede desBundesministers für Zusammenarbeit und Entwicklung,Gerd Müller (Tagesschau 11.9.2015)*. Alemazung sprachRohstoffe für Handys oder Computer an. Verantwortlichseien dafür sowohl die Herrscher der Industrieländer wieauch der Länder Afrikas. „Heute sind aktuelle Fragen wich-tig, besonders Fragen, wie die Kommunen die Herausfor-derungen der Migration und Flucht überwinden können“,bog er die Diskussion über historische Ursachen ab. „Wirmüssen erstmal schauen, dass wir diese Menschen unter-bringen, dann können wir sie integrieren“, so Alemazung.„Welche Rolle spielen die Migranten, die schon hier sind,

in der Migrationsdiskussion“, lenkte er den Blick auf eineandere Gruppe. „Sie sind viele – und sie beherrschen beideKulturen und können sich hier als Mittler und Experten ein-bringen!“ Der Kameruner hatte seine ersten Erfahrungenin Bremen gemacht. Migranteneltern und Lehrer hätten sich

es so nicht hin. Alle tun, was sie können. Wir dürfen abernicht in eine Überforderungssituation kommen“, warnte derLandrat, der mit der bisherigen Bewältigung der sich zu-letzt schnell verändernden Situation in seinem Landkreiszufrieden ist. „Die SPD fordert seit vielen Jahren ein Einwanderungs-

gesetz“, sagte Dr. Simone Strohmayr, Landtagsabgeordneteder SPD aus dem benachbarten Landkreis Augsburg. Esgäbe viele Möglichkeiten,nach Deutschland zu kom-men – „aber die Lage istunübersichtlich“. In denvergangenen Jahren sei esnicht gelungen, für „Man-geljobs“ Leute zu finden,auch nicht im Ausland. EinParameter, an den man hierdenken müsse, sei die de-mografische Entwicklung.Es gäbe Regionen, in denender Altersdurchschnittsteige, Schulen mangelsKindern zusammengelegt werden müssen. 6,7 MillionenErwerbstätige werde man verlieren. „Wie können wir dieseArbeitsplätze auffüllen?“, fragte Strohmayr. Es reiche nicht,nach Menschen im Land zu suchen, die das auffüllen könn-ten, etwa Frauen oder Langzeitarbeitslose. GegenseitigeAkzeptanz müsse geschaffen werden. „Ein Einwande-rungsgesetz ist erforderlich, um klares Recht zu schaffen,wer zu uns kommen kann“, so Strohmayr. Bedingung seiein tarifgebundenes Arbeitsverhältnis.

Diskussions-Moderator Dr. Kayode Salau skizzierte dieZahlen einer Arbeitsmarktstudie von Prognos: Über eineMillion Fachkräfte würden in Bayern bis zum Jahr 2030fehlen, darunter etwa 330.000 Hochschulabsolventen. Dieswürde zu einem kumulierten Wertschöpfungsverlust von650 Milliarden Euro führen, in Folge dessen auch einementsprechenden Verlust von Steuereinnahmen in Milliar-denhöhe.

CSU-Landtagsabgeordneter Peter Tomaschko (Lkr. Aich-ach-Friedberg) verwies auf die Blue Card, die als Arbeits-Einwanderungsinstrument funktioniere. „Wenn ich eineneue Tür aufmache, kriegeich die andere ja nicht zu“,war Tomaschko wenig be-geistert von einem neuenEinwanderungsgesetz. Ernannte die Flüchtlingszah-len, die Ende Septemberkommuniziert wurden.Über 200.000 Flüchtlingeseien in diesem Monat nachBayern gekommen, in Nie-derbayern wurden täglichrund 10.000 Neu-An-kömmlinge gezählt. „Wirhaben eine Situation, die nicht mehr leistbar ist“, warnteTomaschko vor einer Überforderung der Beteiligten. VierMilliarden Euro hatte kurz zuvor der bayerische Finanzmi-

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Peter Tomaschko. MdL

* Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller kritisierte das Verhaltender Industriestaaten gegenüber Afrika scharf. Er sagte im rbb: Unser Wohl-stand fuße auf der Ausbeutung der Ressourcen dort. Bedingung für eineEntwicklung Afrikas sei fairer Handel.

Dr. Simone Strohmayr, MdL

Moderator Dr. Kayode Salau (r.)

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oft nicht verstanden. Erstwenn er als Vermittler aktivgeworden sei, wurde aucheine Lösung gefunden(Kattenturm Stadtteil-Pro-jekt: Eltern College). „Wiekönnen wir Migranten, diesich schon integriert habenund beide Kulturen undSysteme beherrschen, in diekommunale Entwicklungbzw. Überwindung der He-rausforderung von Migra-tion und Flucht einsetzen?Für diese Menschen geht es nicht um Integration sondernum Anerkennung und Teilhabe“, stellte Alemazung die zen-trale Frage.Die Engagement Global gGmbH (EG) hat Programme

mit Beratung und Förderungsmöglichkeiten für entwick-lungspolitische Bildung und Projekte für kommunale Ent-wicklung. Besonders die Abteilung „Servicestelle Kommu-nen in der Einen Welt“ (SKEW) würde beispielsweise Un-tersuchungen zur Bestandsaufnahme und Vernetzung vonentwicklungspolitischen Akteuren in den Kommunen vorOrt auch finanziell unterstützen.

Innerhalb des Flüchtlingsrates betreut Uche Akpulu dasProjekt „Bleib in Bayern“, das den Bildungszugang auchin ländlichen Regionen imBlick hat: Zugang zu Bil-dung und Arbeit für Flücht-linge – wie geht das? „Inden vergangenen zwölfMonaten gab es sehr vieleVeränderungen“, so Ak-pulu. Auch für Behörden-mitarbeiter sei das einegroße Herausforderung.„Was sagt die Beschäfti-gungsverordnung?“ sei eineder Fragen, zu denen derFlüchtlingsrat die Mitarbei-ter von Behörden und Arbeitsagenturen ausbilde. Mit Verwunderung sehe er auf die aktuelle „Willkom-

menskultur“. „Wir tun so, als ob fremde Menschen eineSeltenheit sind“, bemerkte der Schwarzafrikaner. WieWesen aus dem All würden die Flüchtlinge gesehen. Dabeihabe Deutschland sehr viel Erfahrung mit fremden Leuten.„Deutschland war beteiligt an der Eroberung von Afrika“,wies er auf die Zeitder Kolonialisierungzurück. Es sei Ottovon Bismarck gewe-sen, der seinerzeit dieAfr ika-Konferenz(Anm.: 1884/85 inBerlin. Die AufteilungAfrikas in Kolonienwurde beschlossen)einberufen habe. „Die bayerische

Staatsregierung verhindert Integration“, kam er in die Neu-zeit zurück. Der Flüchtlingsrat erhalte viele Anrufe vonLeuten, die Wohnungen oder ganze Häuser als Unterkünftebereitstellen wollten – aber nicht berücksichtigt würden.„Es besteht ein Interesse daran, den Notstand zu inszenie-ren“, klagte er an. Weiter gebe es viele Flüchtlinge aus demSenegal (Westafrika), dieschon Arbeit hatten, aberaufgrund neuer Verordnun-gen wieder aufhören muss-ten. Auch mit Blick auf dieständig ändernden kommu-nizierten Flüchtlingszahlensagte Akpulu: „Man ver-sucht Hysterie zu erzeu-gen!“. Flüchtlinge hättenzudem keinen Anspruch aufDeutsch-Kurse, benannte erein Problem. Zwar seiMünchen trotzdem in die-sem Bereich gut versorgt – aber in den Landkreisen werdedas Angebot schon knapp.

Stefan Schiele, Geschäftsführer von Migranet Augsburg,warf aus dem Publikum zum Thema „Kapazitäten“ ein,dass in Augsburg heute nur ein Drittel der Fläche mitFlüchtlingen belegt seien wie in den 1990er Jahren. ZumThema Einwanderungsgesetz merkte er an, dass Deutsch-land bereits die weltweit besten Standards für Arbeitsein-wanderung habe. „Wir können alles machen, was nötig ist– nur ist es ein komplizierter Flickerlteppich, juristisch un-durchschaubar“, so Schiele. Dafür brauche man vielleichteine Ordnung (Anm: Schiele meinte Struktur, nicht Verord-nung), nicht unbedingt Gesetze. Er verglich Kanada undDeutschland. Dort würden 16.000 Menschen mit einer BlueCard im Land arbeiten, hier seien es 2.500. Einen Job voreinem Einreisantrag zu haben, sei eine massive Hürde.„Viele aus dem Balkan könnten als Fachkräfte kommen,statt als Flüchtlinge“, so Schiele. „Wir müssen mehr überdie Visa-Praxis diskutieren als über ein Einwanderungsge-setz!“

Enttäuscht von der bisherigen Diskussion zeigte sichAnne Glas, Zweite Bürgermeisterin von Dasing. Die Auf-nahme der Flüchtlinge sei zwar eine logistische Mammut-aufgabe, aber der kleinere Teil der Herausforderungen.„Wenn die Leute anerkannt werden, da beginnt die Auf-gabe! Wir müssen längst den nächsten Schritt überlegen.“Verfahren müssten beschleunigt, Personal in den Ämtern

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Landrat Dr. Klaus Metzger

Uche Akpulu

Dr. Joy Alemazung

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gestellt und ausgebildet werden. Ein großes Problem sei dieWohnungssuche, die sie in Konkurrenz mit anderen sozialschwachen Gruppen sehe. Sie forderte dringend einenAbbau der Bürokratie – nicht nur für Flüchtlinge, sondernauch in Bezug auf Hartz-IV.

Kreishandwerksmeister Thomas Meier ging auf eineLehrstellenbörse ein, die als App offene Stellen aufliste undimmer weiter wachse. „Die Zahlen sind mit Vorsicht zu ge-nießen“, so Meier – denn viele besetzte Lehrstellen werdenin dieser App nicht gelöscht, das treibe unberechtigt dieZahl angeblich freier Stellen nach oben. Die Praxis seheanders aus: Nur wer schon Erfahrung mit dem Handwerkhatte, käme in einen Betrieb. Dort sehe man sehr schnell,ob Kenntnisse und Talent zum Handwerk passen würden.Die erforderliche Arbeitserlaubnis würde dann schnell er-teilt, so die Erfahrungen aus den Kreishandwerksbetrieben.„Wir haben keine Beschwerden“, so Meier.

Ex-Kreisrat Georg Hermann führte das Beispiel einer ge-lungenen Integration an. Vor vielen Jahren habe er sich miteiner Familie angefreundet, die afrikanische Wurzeln hat.Er habe sie eingeladen, man habe sich kennen gelernt – undbald hatte die Familie ihn auch bei Veranstaltungen beglei-tet. Zuerst hatten die Schwarzen natürlich neugierige Blickeauf sich gezogen – aber heute sind sie selbstverständlichdabei.

Martin Schmid von der Berufsschule Aichach berichtetevon vier Eingangs- und zwei Aufstiegsklassen für Migran-ten. Er berichtete vom Fall eines hervorragenden Schülers.Doch dieser habe keine Chance, nach Ausbildung und Be-rufsschule einen Job in Deutschland zu bekommen. Denner kommt aus dem Senegal – einem „sicheren Herkunfts-land“ – und muss nach dem Ausbildungsabschluss zurückin die Heimat. „Wir sind sehr frustriert“, so Meier. VieleBerufsschüler mit Migrationshintergrund sind stolz auf ihrKönnen, habe er aber auch viele positive Beispiele in seinerBerufsschule.

Die Diskussion wurde nun wieder aufs Podium verlagert.Dr. Joy Alemazung zeigte sich unzufrieden mit der Darstel-lung der Migrationsproblematik im Fernsehen. Kleine Aus-nahmen schafften es mühelos auf den Bildschirm, über diewunderbare Arbeit vieler Bürger/innen werde nicht viel be-richtet. Man dürfe nicht unterschätzen, was schon erreichtwurde, dank der Leistung vieler Ehrenamtlicher. DieseMenschen bräuchten die Unterstützung von uns allen und

der Medien. Simone Strohmayr hatte die Beiträge zum Ein-wanderungsgesetz aufgenommen: „Das Ziel ist das Wich-tige, bei den Wegen muss man locker sein.“ Landrat Metz-ger drängte: „Wir müssen priorisieren.“ Vor Ort müsse allesausgebadet werden, was die große Politik versäumt habe.

„Wir sind hier schon zwei Schritte weiter“, warer mit dem Stand in seinem Landkreis zufrie-den. Auch Flüchtlingskinder würden schon inSchulen gehen, ohne dass dafür ein Auftrag be-stehe. „Wir müssen gemeinsam vorwärts den-ken, städtische und gemeindliche Egoismenzurückstellen.“ Tomaschko merkte an, dass„wir durch solche Diskussionen weiter kom-men“. Allerdings erreichten ihn auch Hilferufeder Ursprungsländer, beispielsweise dem Ko-sovo, die eine Ausblutung befürchten. Einegute Ausbildung hier helfe auch dem Heimat-land, wenn die Leute wieder zurückkehren.Uche Akpulu ergänzte noch, dass er ein Pro-

blem damit habe, dass die Willkommenskultur „immernoch von Ehrenamtlichen getragen wird“. Deutschlandhabe auch genug Geld, um Deutschkurse anzubieten. Alser nach Deutschland gekommen sei, habe ihm die StadtMünchen erst Deutsch-Kurse angeboten, „als ich schondeutsch konnte“ und er bereits als Laienschauspieler beiden Kammerspielen mitgewirkt habe.

Arbeitsgruppen-InputAngesichts der fortgeschrittenen Zeit wurden die vorgese-henen Input-Referate zu kurzen Statements.Tassew Shimeles von der Göttinger Stiftung Interkultur

stellte die wechselseitige Integration in einem „Interkultu-rellen Garten“ in den Mittelpunkt (mehr dazu unten). EineIrakerin, die dort mitarbeitet, schilderte kurz ihre ersten Er-fahrungen mit Deutschland. Als sie vor 25 Jahren gekom-men sei, durfte sie fünf Jahre lang keinen Sprachkurs ma-chen. „Ich hatte zuhause studiert und gearbeitet, hier wurdeich als Analphabetin behandelt!“ Sie sah nur vier Wände,konnte den ganzen Tag nur essen, trinken und schlafen –„das Ende vieler Menschen!“ – „Gott sei Dank ist das heuteanders“, sagte sie wörtlich, heute dürfe man schnellerDeutsch lernen und arbeiten. „Es ist heute ein Traum imVergleich zur damaligen Zeit!“ Sie hatte dann in dem Pro-jekt des Interkulturellen Gartens mitarbeiten können. „Eswar ein Kampf, in diese Gesellschaft zu kommen“, fasstesie zusammen.Kreishandwerksmeister Thomas Meier verwies noch ein-

mal auf die relativ schnell erteilten Arbeitserlaubnisse,wenn ein Migrant in einen Betrieb gezeigt habe, was erkann und weiß – und die Zusage für einen Arbeitsplatz er-halten habe. Dr. Hans Dietrich von Löffelholz gab die Zahlder selbstständigen Migranten in Deutschland mit 700.000bis 800.000 an. Diese hätte 2,3 Millionen Beschäftigte –also ein Potenzial im Unternehmensbereich.Stefan Schiele verwies auf eigene Projekte für Existenz-

gründer unter den Migranten. „Aber viele sind nicht infor-miert“, bedauerte er, dass die sehr einfache Förderungwenig bekannt sei. Unternehmen fänden auch keine Unter-stützung, wenn sie Migranten einstellen wollten, müsstenselbst Sprachkurse organisieren und Wohnungen suchen.Das sei jedoch nicht die Aufgabe von Unternehmen. Ver-

Landrat Dr. Klaus Metzger auf dem Podium, eingerahmt von den LandtagsabgeordnetenDr. Simone Strohmayr und Peter Tomaschko.

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breitet sei auch die Unsicherheit, wie man mit Migrantenim Betrieb umgehe. „Hier sind Beratungsangebote erfor-derlich!“Auf die Frage, ob Werte in der Berufsschule vermittelt

werden, antwortete Gerhard Kestner: Von den 27 StundenUnterricht in der Woche würden in 20 Stunden nur Deutschund Informationen über das Land und sein System gelehrt. Ein Integrant aus München lenkte den Blick noch einmal

auf „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“: „Die sindvon weither alleine hierher gekommen. Die sind sehr intel-ligent“, deutete er deren Potenzial für Arbeitsmarkt und Ge-sellschaft an.„Information erleichtert Integration“, brachte es Dr. Joy

Alemazung auf den Punkt. Er bot noch einmal die Unter-stützung durch Engagement Global für Maßnahmen für einglobales, gerechtes Miteinander an.

Brainstorming in der ArbeitsgruppeIn einer Arbeitsgruppe, die aufgrund der fortgeschrittenenZeit nur noch von einem Teil der Teilnehmer gebildetwurde, wurden vorausschauende Konzepte, Projekte undIdeen gesammelt. Dr. Hans Dietrich von Löffelholz gab zu beachten, dass

nicht erst die 2. und 3. Generation der Einwanderer einenschulischen Abschluss erreiche. In Kanada erreiche bereitsdie 1. Generation der Einwanderer einen Schulabschluss.Die Schulen hier müssten das stärker beachten, die Infra-struktur müsste angepasst werden undmehr Lehrer mit interkultureller Erfah-rung seien nötig.Informationen über Angebote seien

nötig, sollten auch in den Volkshoch-schulen vermittelt werden, so der all-gemeine Tenor. In den Niederlanden sei der Begriff

„Integration“ mittlerweile schon belas-tet, informierte Nava Hinrichs. Sieempfehle, stattdessen den Begriff„Partizipation“ zu verwenden. Wennman von Sprache und Sprachkursenrede, sollte man sich bewusst sein, dasseine technische Sprache (für die Be-griffe in einer Branche) und der All-tagssprache gibt. Sie nahm auch denBegriff der Diskriminierung in dem Mund, wenn sie vonden – wohl nicht nur – in ihrer Heimat durchaus vorkom-menden Konkurrenz-Situationen bei der Bewerberauswahlberichtete. Wenn bei gleicher Qualifikation ein Einheimi-scher und ein Migrant zur Auswahl stünden – wen nähmeman dann? Gerade in Holland sei der Zugang zu Netzwer-ken wichtig. Schon von Löffelholz hatte vorher von einerstarken Abgrenzung zwischen „Insidern“ und „Outsidern“hingewiesen. Die Vertreterin der Volkshochschule (VHS) im Wittels-

bacher Land betonte, dass sie immer Räume suche, wo sichMigranten treffen könnten. Leicht zugänglich sollten dieRäume sein – und angesichts der Größe des Landkreiseshielt sie mehrere solcher Einrichtungen für sinnvoll. Ale-mazung berichtete von einem „Welthaus“ bzw. GlobalenKlassenzimmer, das Engagement Global in Stuttgart unter-stützt habe. Verschiedene Vereine nutzen das Haus – für

Büroarbeit ebenso wie für Treffen. Dr. Kayode Salau er-wähnte in diesem Zusammenhang das „Eine-Welt-Haus“in der Münchner Schwanthalerstraße. Alemazung empfahl,eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Vereine und Ein-richtungen zu machen. Auch eine Informationsveranstal-tung zu diesem Zweck könne unter die Projekte fallen, dievon der SKEW der Engagement Global unterstützt und fi-nanziert werden. Thomas Meier berichtete vom Helferkreisin Augsburg, der immer dienstags eine Stunde intern tageund dann für Fragen von Jedermann zur Verfügung stehe.Das Handwerk habe eine lange Historie mit guten Erfah-rungen in Sachen Ausländern, verdeutlichte Meier. Neu seidie Situation einer großen Zahl von minderjährigen unbe-gleiteten Flüchtlingen. Erste Betriebe würden bereits nach-fragen (mit Blick auf Ausbildungsverhältnisse), die Hand-werkskammer habe dafür eine eigene Abteilung. „Es gibtnur eine Arbeitserlaubnis, keine Ausbildungserlaubnis“,wies Meier auf eine Lücke in den Verordnungen hin. Bisherhatte das Handwerk drei Jahre Ausbildung und eine an-schließende Arbeitserlaubnis für weitere zwei Jahre von derPolitik gefordert. Diese Forderung habe man inzwischenfallen gelassen, da das gesellschaftliche Umfeld und dasKlima so seien, dass man keine Anreize für einen Zuzugmehr bieten wolle. Auch soll einem Missbrauch vorgebeugtwerden. Bei „echtem Bedarf“ habe die Politik kurze Wegein den Ämtern für eine Verlängerung im Einzelfall zuge-sagt.

Die IHK ziehe bei diesem Thema der Handwerker mit,sagte Kestner, die Betriebe hätten ein gesteigertes Interessean jungen Leuten. Wohl kaum einer dieser Jugendlichenunter den Flüchtlingen habe seine Heimat wegen einer Aus-bildung in Deutschland verlassen, wandte Stefan Schieleein. Auch er wies darauf hin, dass Jugendliche im Asylver-fahren keine dauerhafte Arbeitserlaubnis hätten. Bei einemAusbildungsverhältnis gehe es um die Chemie zwischenLehrherren und dem Jugendlichen, nicht um Noten undHerkunft.Nava Hinrichs warnte davor, nur um der Hilfe willen

einen Flüchtling einzustellen. „Wir wollen keinen Charity-Gedanken!“ Vielmehr gehe es um das Talent eines Men-schen, um sein Können. „Was braucht das Unternehmen?“,sei die wesentliche Frage. Und diese Kenntnisse müsseman unter vielen Flüchtlingen eben finden.Dolmetscherin Dorothea Saur kann ebenfalls auf einen

Viele Ideen wurden in einer Arbeitsgruppe diskutiert.

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großen Erfahrungsschatz mit Ausländern zurückgreifen. Siestufte den größten Teil der Flüchtlinge als Menschen ausden Oberschichten ihrer Heimatländer ein. „Die Leute wis-sen was“, ist auch sie von deren Fähigkeiten und Talentüberzeugt. Kritik übte sie aber an den Hürden, um hierzu-lande lehrend aktiv zu werden: „Die Auflagen des Bundes-amts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Deutsch-lehrer sind zu hoch.“ Der indirekt angesprochene ehemaligeBAMF-Mitarbeiter von Löffelholz betonte, dass seit einemParadigmenwechsel im Jahre 2005 Migranten als Potenzialgesehen werden. Er empfehle jedoch, auch Selbstorganisa-tionen der Migranten einzubeziehen. Tassew Shimeles überraschte etwas mit der Behauptung:

„Diese Fragen wurden alle vor 20 Jahren schon einmal ge-stellt!“ Man habe es ständig mit entwurzelten Menschen zutun. „Jede Gesellschaft bräuchte eineKultur der Verwurzelung“, nahm erbildhaft Bezug zu seinem Projekt, denInterkulturellen Gärten. „Was ist derBeitrag der Migranten“, fragte er – undführte abermals das Garten-Projekt an.Dort würden Menschen aus 19 Natio-nen mitarbeiten, vom Max-Planck-Professor bis zur Frau, die geradeLesen und Schreiben lernt – „einekleine Weltgesellschaft!“ Das Konzeptder interkulturellen Gärten lasse sichan die Bedingungen vor Ort anpassen.Auch intern müsse man sich da austau-schen, es gehe um wechselseitige Inte-gration – bis „alte“ Migranten dannDeutsche sind. Ein solcher interkultu-reller Garten sei ein Ort der Begeg-nung, des Austausches. „Wir würden beraten und unterstüt-zen, Wir haben ein Pool von Fachleuten, auch Kontakt zukleineren Firmen. Die Richtung und Inhalte werden selberbestimmt“, bot Shimeles an. Veranstalter Dr. Kayode Salauberichtete vom mühseligen Start eines solchen Projektes inMering. Mal habe man den idealen Zeitpunkt der Anpflan-zung versäumt, dann kein geeignetes Grundstück gefunden.Vielleicht könnte man so ein Projekt in Zusammenhang miteinem Begegnungshaus initiieren.Kurz vor dem Projektstart mit Informationsveranstaltun-

gen steht Migranet, berichtete Stefan Schiele. Zuerst werdeman mit den Mitarbeitern des Landratsamts sprechen, dannmit den Vertretern der Kommunen, insbesondere Bürger-meistern, und schließlich mit Leuten aus der Wirtschaft inder Region. Inhalt sind Unterstützungs- und Förderange-bote. Darüber hinaus sah er Bayern in „Richtung Lehrer-mangel stolpern“. Der Freistaat würde die Qualifikation derLehrer unter den Migranten nicht anerkennen, „eine sehrgroße Gruppe der Flüchtlinge“. Berufs- und Privatschulenkönnten flexibler agieren und selbst Lehrer einstellen. In Deutschland habe man sich gerade damit angefreun-

det, ein Einwanderungsland zu sein, so Schiele. Erste In-strumente wie das Berufsqualifizierungsfeststellungsgesetz(Anm: Aufenthaltsgesetz v. 2015, §17a) seien entwickeltworden. Doch damit habe man eigentlich geeignete Fach-kräfte selber heraussuchen wollen. Nun stoße man aber aufdie Herausforderung, dass praktisch von heute auf morgeneine große Gruppe Migranten da sei, die in kurzer Zeit in

den Arbeitsmarkt integriert werden solle. „Viele der Syrerhaben im Sinne des Berufsqualifizierungsfeststellungsge-setzes keine formalen Qualifikationen“, so Schiele. „Jetztmüssen wir versuchen, nonformales Lernen auf einmal zuformalisieren – das wird eine große Herausforderung!“ VorOrt mit dem Betrieb und den Kammern zusammen, insbe-sondere mit dem Handwerk, sei man im pragmatischenFeld schon weiter als in allen anderen Bereichen. Qualifi-kationsanalysen – ursprünglich von der HandwerkskammerAugsburg entwickelt – werde man in Zukunft öfters einset-zen müssen. Flexible Lösungen seien gefragt.Eine ganz andere Richtung hat die Volkshochschule

(VHS) im Wittelsbacher Land im Visier: Ein Argumentati-ons-Seminar für Ehrenamtliche wird durchgeführt, damitdiese gegen Stammtischparolen gewappnet sind.

Anne Glas fragte direkt nach, wie denn so ein internatio-nales Haus aussehen würde, bzw. so ein interkulturellerGarten – oder ein internationaler Spielplatz. „Was ist mitälteren Leuten“, wollte die zweite Bürgermeisterin von Da-sing auch wissen. Berufsschulleiter Kestner wies daraufhin, dass es an den Berufsschulen kein Höchstalter gäbe.Jeder, der einen Ausbildungsplatz habe, könne auf die Be-rufsschule gehen – „auch wenn er 40 Jahre alt ist“, so Kest-ner. Tassew Shimeles erläuterte mit ein paar Stichwortendas Spektrum der interkulturellen Gärten: Das könnte einGemüse-, Kräuter-, Blumen- oder auch Honiggarten in Ko-operation mit einer Imkerei sein. Seine Einrichtung würdesich so weit einbringen, wie das vor Ort gewünscht sei.Eine Dame von der Arbeitsagentur merkte an, dass Fach-

arbeitskräfte nach einer gewissen Zeit auf einer Helferstelleauch eine externe Prüfung ablegen könnten. „Was gibt esfür fachlich versierte Analphabeten“, fragte aber auch sie.Es gibt zu viele individuelle Angebote, von Patenschaften

bis zu Kursen, die aufgrund ihrer Fülle derzeit von nieman-dem überschaut werden können und daher nicht vermitteltwerden, warf eine Teilnehmerin ein. Angebot und Nach-frage zu managen könnte doch eine Aufgabe für die neueStelle in der Freiwilligenagentur des Landkreises werden,war eine Reaktion darauf. Nava Hinrichs, die THP-Ge-schäftsführerin aus den Niederlanden, berichtete daraufhinvon einem „Tool kit“, das THP für Städte individuell ent-wickle. In zwei bis drei Monaten intensiver Forschungsar-beit werde mit zuvor identifizierten Partnern vor Ort die

Ein Begegnungsort, interkulturelle Gärten oder flexible Lösungen bei der handwerklichen Integrationwaren einige der Themen in der Arbeitsgruppe.

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komplette Situation in einer Stadt/Region bezüglich Ange-boten und Bedürfnissen erforscht und durchleuchtet. Ein„Manual“ sei das Ergebnis, in dem die Realität in der Re-gion abgebildet sei und jeder nachlesen könne, welche He-rausforderungen (Diskriminierung, Sprache, Arbeitsmarkt-zugang) es gibt, wie man dies bisher angegangen ist (lau-fende Projekte), was läuft oder nicht läuft und was nun ge-braucht wird (mögliche Problemlösungen). Die Arbeit fürso eine Rahmenstudie wird nicht gratis geleistet, aber werInteresse an einer solchen Untersuchung und dem „Toolkit“ habe, könne sich an THP wenden. Die Gesellschaft fürInternationale Entwicklung (SID) wird mit Nava Hinrichsweiter über die Umsetzung der Idee beraten, kündigte SID-Vorsitzender Salau an.Nachdem die Diskussion in Bezug auf die Migranten bis-

her recht männlich orientiert war, brachte eine Nigerianerinein Angebot für Frauen ins Spiel: Als Mode-Designerinkönnte sie Unterricht für Frauen geben. Ein Raum, eineNähmaschine – und schon könnte man miteinander etwasauf die Beine stellen.

Als nächste Schritte wurden die Projektierung eines in-ternationalen Hauses für Bildung und Begegnung und eineonline-Plattform als Informationsbörse (für beide Seiten)ins Auge gefasst. Mit der neuen angekündigten Kraft in derFreiwilligen-Agentur des Landkreises wollten sich einigeAkteure zusammensetzen, um zu besprechen, welche Ideenund Anstöße aus dem Migrationstag in die Projektarbeiteinfließen könnten.

Mit einem Run auf die neu formierten Reste des interna-tionalen Buffets endete der erste Migrationstag im Wittels-bacher Land. Eine Wiederholung scheint aufgrund der Ent-wicklung der Lage nicht ausgeschlossen, eher wahrschein-lich ... Im Landkreis Augsburg ist eine Fortsetzung der Dialog-

bühne bereits im Gespräch. Auch die VHS des Landkreises Aichach-Friedberg wird

voraussichtlich im kommenden Sommersemester (Februarbis Juli 2016) das Veranstaltungsthema aufgreifen. Der in-haltlichen Fortsetzung der Tagung soll im Rahmen einesoffiziellen Kurses (ein monatliches Treffen, z.B. im Fried-berger Wasserturm) ein Forum geboten werden. Zusammenmit der Gesellschaft für Internationale Entwicklung (SID)Chapter München/Bayern soll im Rahmen einer Bürgerini-tiative ein Konzept für ein Haus der Begegnung und Bil-dung im Wittelsbacher Land entwickelt werden, das imzweiten Schritt mit den Akteuren aus Politik, Wirtschaftund Verwaltung umgesetzt werden soll.

Vernetzt - verlinkt

www. ...SID Chapter Münchensid-munich-chapter.org

Dokumentation des hier beschriebenen Migrationstagesinkl. Handout der Keynote-Vorträgesid-munich-chapter.org/presse/

Freiwilligenagentur des Landkreises Aichach-Friedberglra-aic-fdb.de/landratsamt/Sachgebiete/engagement/frei-willigenagentur/die-freiwilligenagentur-201emiteinand-und-fuereinand-im-wittelsbacher-land201c

Engagement Global GmbHengagement-global.de

Foundation The Hague Process THPthehagueprocess.org

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMFbamf.de

Bayerischer Flüchtlingsratfluechtlingsrat-bayern.de

Migranetmigranet.org

Kreishandwerkerschaft Augsburgkh-augsburg.de

Berufliche Schulen Wittelsbacher Landbs-wittelsbacherland.de

Internationale Gärten e. V. Göttingeninternationale-gaerten.de

Mit freundlicher Unterstützung vonImpressum

V.i.S.d.P.: Gesellschaft für Internationale Entwicklung (SID) München e.V.Dr. F. Kayode Salau; Peter-Rosegger-Straße 29, 86415 [email protected] Global gGmbH, Außenstelle StuttgartDr. Joy [email protected]

Alle Aussagen, auch zu rechtlichen Aspekten, geben die Äußerungender jeweiligen Redner(innen) bei der Veranstaltung am 2. Oktober 2015wieder und sind weder sachlich noch juristisch geprüft.