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Von Basel in die weite Welt: die bewegte Geschichte der Basler Mission • Im Jahr 2015 feiert die Basler Mission ihr 200-jähriges Bestehen • Ausstellung im Museum der Kulturen Basel: 22. Mai bis 4. Oktober 2015 Die Publikation widmet sich der Basler Mission und deren Wirken seit der Entstehung im Jahre 1815. Nebst den Strategien und Handlungsfeldern und den unterschiedlichen Einsatzgebieten in Afrika und Asien wird auch die Zusammenarbeit mit der Basler Handelsgesellschaf behandelt. Die Publikation ist mit zahlreichen Abbildungen angereichert, wobei es sich zum einen um historische Aufnahmen aus dem Archiv der Basler Mission handelt und zum anderen um Objektaufnahmen der reichhaltigen Sammlung, die in der gleichnamigen Ausstellung im Museum der Kulturen zu sehen ist.
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Museum der Kulturen Basel Christoph Merian Verlag
Mission
Die sammlung der Basler Missionspiegel kultureller Begegnungen
Museum der Kulturen Basel Christoph Merian Verlag
Die Sammlung der Basler MissionSpiegel kultureller Begegnungen
‹200 Jahre unverschämt viel Hoffnung› – die Schenkung der Sammlung 6Pfr. Karl F. Appl
«Mission Possible» dank grosszügiger Unterstützung von vielen Seiten 7Anna Schmid
Das Projekt Basler Mission 8Anna Schmid
Das missionarische Selbstverständnis 14Christian Vandersee
DIE BaSLEr MISSION (BM): ENtStEHUNg UND KONtExtE
Phänomen einer Schwellenzeit 19Michael Bangert
Die BM und ihr internationales Netzwerk 34Matthäus Feigk
anders als die klassischen Kolonialmächte? 39Georg Kreis
Legenden und Schweigen 51Paul Jenkins
Die Missionsstation 69Dagmar Konrad
Frauenleben in der Mission 80Dagmar Konrad
Vorbereitung auf ein nützliches Leben 90Jennifer Jenkins
Christliche rhythmen 114Veit Arlt
MISSIONSFELDEr: StratEgIEN UND PraKtIKEN
Knotenpunkt und Experimentierfeld 121Peter Felber
Missionar Johannes Zimmermann 125Veit Arlt
Sklavenhändler an der goldküste 134Anke Schürer-Ries
Sprache und Währung der goldgewichte 141Lucy Hindermann
«Hindernisse im Land des Hinduismus» 145Anna Schmid
Der alltag eines Missionars in Indien 162Anna Schmid
Missionarische arbeit in China 169Tobias Brandner
Zwischen Kolonialinteressen und Lokalpolitik 180Kathrin Fischer
Ein Missionsarzt als Sammler 191Claudia Hoffmann, Kathrin Fischer
Kostbares Blut 197Adrian Linder
realitäten in den Missionsfeldern 203Kathrin Fischer
Eine ethnografische Missionssammlung 207Anna Schmid
Die Basler Mission: eine Chronologie 225Anke Schürer-Ries, Lucy Hindermann
Bibliografie 229Quellenverzeichnis 236autorinnen und autoren 238
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‹200 Jahre unverschämt viel Hoffnung› – die Schenkung der Sammlung«Mission Possible?» – vor einigen Jahren eine Ausstellung unter diesem Titel zu gestal
ten, hätte – nicht nur am Platz Basel – ziemlich sicher Protest ausgelöst. ‹Mission› war
in weiten Teilen der Gesellschaft zu einem Reizwort geworden. Es wurde sogar überlegt,
das Wort aus dem Namen der ältesten Schweizer Missionsgesellschaft zu streichen.
Nun, so weit ist es nicht gekommen.
Dass wir in diesem Jahr als Basler Mission ‹200 Jahre unverschämt viel Hoffnung›
feiern, ist Ausdruck einer umfassenderen Betrachtung der Bedeutung von Mission
und der Geschichte der Basler Mission (BM). So war den Gründervätern der BM eine
Durchsetzung kolonialistischer Interessen fremd. Ihr Beweggrund war, die Ver kün di
gung des Evangeliums und die Ausbreitung einer ‹wohltätigen Zivilisation› voranzu
treiben, dass Versklavte frei, Hungrige satt und Kranke gesunden würden. Getragen
wurde ihre Hoffnung auf Gelingen vom Versprechen Gottes des Lebens in Fülle für
Alle. Diese Hoffnung zieht sich durch die Geschichte der BM bis heute. Es ist auch eine
Geschichte des gegenseitigen Lernens über sprachliche, kulturelle und auch religiöse
Grenzen hinweg. Dieses Lernen hat für die BM immer eine entscheidende Rolle
gespielt. Für das Direktorium war es wichtig, dass der Basler Missionar sich ganz auf
das Leben der Menschen einlässt, mit denen er lebt – und dass er das Leben dieser
Menschen in Afrika und Asien den Menschen in der Heimat näherbringt. Deshalb
wurden schon früh den von Basel ausgesandten Männern und Frauen Fotoapparate
mitgegeben, um das Leben der Menschen vor Ort festzuhalten. Aber nicht nur Fotos
wurden nach Basel geschickt, sondern auch Kult und Gebrauchsgegenstände als
Anschauungsmaterial für die Heimatarbeit der Mission. Diese Gegenstände legten den
Grundstein für eine ethnografische Sammlung, die zunächst im Missionshaus in Basel
ausgestellt wurde. 1981 wurde die inzwischen umfangreiche Sammlung dem Museum
der Kulturen Basel (MKB) als Leihgabe überstellt. Dabei betonte der damalige Prä
si dent, Daniel von Almen, gegenüber dem MKB, dass die Sammlung weniger einen
materi ellen als einen «sentimentalen Wert» darstelle. Dem kann ich mich nur an
schliessen: Mit jedem Gegenstand sind Geschichten verbunden, von Menschen, die
sie nutzten und von denen, die sie für ‹wert befanden›, nach Basel geschickt zu
werden. Auch das eine Wertschätzung gegenüber den Menschen in den Einsatz
gebieten. Weil hier ein Blick auf die Mission mit anderen Augen geschieht, und weil
sie in einem anderen Rahmen aufzeigt, was die Gründer der BM 1815 bewegte, freue
ich mich ganz besonders auf diese Ausstellung. Sie erlaubt auch einen neuen Blick
darauf, was die BM in diesen zwei Jahrhunderten bewirkt hat. Ich danke dem MKB für
die Initiative zu dieser Ausstellung, die für mich umso wertvoller ist, weil sie aus
schliesslich mit Objekten aus der Sammlung der BM arbeitet.
Im Wissen um die Professionalität im MKB und in Vorfreude auf weitere Präsenta
tionen schenkt die BM dem Museum ihre Sammlung, und wir freuen uns einmal mehr
zu sehen, was 200 Jahren unverschämt viel Hoffnung auf ein Leben in Fülle für Alle
bewirkt hat und hoffentlich noch lange bewirken wird.
Pfr. Karl F. Appl
Präsident Basler Mission
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«Mission possible» dank grosszügiger Unterstützung von vielen SeitenWir danken der Basler Mission herzlich für die grosszügige Schenkung dieser wert
vollen Sammlung. Zusammengetragen von Missionaren und Personen aus ihrem Um
feld, zeugt sie von Anstrengungen und Aktivitäten einer herausragenden Basler Institu
tion und von vielfältigen Begegnungen mit dem Anderen. Namentlich möchte ich dem
Präsidenten der Basler Mission, Herrn Pfarrer Appl für die vertrauensvolle Zusammen
arbeit danken. Erst sein Engagement ermöglichte die Schenkung. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Mission 21 scheuten keine Mühen, kurzfristig Archivmaterial bereit zu stellen, uns bei der nicht immer einfachen Lektüre zu unterstützen und die his to
rischen Fotografien zur Verfügung zu stellen. Besonderer Dank gilt Peter Felber, Anke
SchürerRies und Claudia Wirthlin für die fruchtbare Zusammenarbeit bei Aus stellung
und Publikation. Danken möchte ich auch für die grosszügige finanzielle Unter stützung
der Ausstellung durch die Mission 21.
Die Publikation wäre nicht möglich gewesen ohne den finanziellen Beitrag der Christoph
Merian Stiftung; für ihren namhaften Beitrag bedanke ich mich herzlich. Der Dank geht
auch an alle Autorinnen und Autoren, die mit ihren Sachkenntnissen und Er fahrungen
zur Reichhaltigkeit des Buches beigetragen haben. Und schliesslich danke ich dem Team
des MKB für den unermüdlichen Einsatz bei der Realisierung der Aus stellung.
Mission und Ethnologie sind zwei Arbeitsgebiete, deren Beziehung bis heute von Vor
urteilen und Misstrauen geprägt ist. Einerseits hat die Ethnologie – besonders als das
Fach noch Lehnstuhlwissenschaft war – von Arbeiten der Missionare und die Mission
von denen der Ethnologie profitiert; andererseits entwickelte die Ethnologie mit der
teilnehmenden Beobachtung eine Methode, die den Zielen einer Missionsgesellschaft
entgegen stand: Die Ethnologie wollte verstehen, die Mission verändern. Es gab aber
auch Personen, die sowohl missionarisch als auch ethnologisch tätig waren: etwa
Pater Wilhelm Schmidt, Begründer der Kulturkreislehre; der französische Ozeanist
Maurice Leenhardt; oder die britischen Afrikanisten Edwin W. Smith und Thomas C.
Young. Heute sind das Verhältnis zwischen Ethnologie und Mission, missionarische
Aktivitäten sowie Umgang der lokalen Bevölkerung mit Mission Untersuchungsgegen
stand der Ethnologie. Beispiele auf diesem Feld sind John und Jean Comaroff oder
James Clifford.
‹Mission Possible?› will diese Reihe fortsetzen. Wir fragen danach, ob es möglich ist,
dass sich Individuen von ihrem sozialen und ökonomischen Umfeld so isolieren, dass
daraus neue Gemeinschaften mit anderen Formen der Alltagsbewältigung, der Kultur
und Religion entstehen – ein abrupter Bruch, den die Konvertiten selbst herbeifüh
ren. Die Gleichung ‹Mission = Zwangsbekehrung› lässt sich nicht aufrecht halten.
Mission zeichnet sich durch Begegnungen, Diskussionen und Aushandlungsprozesse
aus. In Ausstellung und Publikation gehen wir diesem facettenreichen Phänomen
anhand der Sammlung der Basler Mission nach, die dem Museum nunmehr als Ge
schenk überreicht wird.
Dr. Anna Schmid
Direktorin Museum der Kulturen Basel
8
Das Projekt Basler MissionAnna Schmid
Die Entwicklungen und Veränderungen der Basler Mission während ihrer 200-jährigen
Geschichte sind beeindruckend. Sie entfaltete sich von einer Institution, die zu Beginn
des 19. Jahrhunderts auszog, die Welt nach ihren Vorstellungen zu verändern und die
Menschheit zu ihrer Richtung des christlichen Glaubens zu bekehren, zu einer Part-
nerinstitution des 21. Jahrhunderts, die nicht mehr die Predigt, sondern den Dialog ins
Zentrum stellt. Der Weg der Basler Mission war mitunter steinig und mühsam. Die
Beiträge dieser Publikation zeichnen diesen Weg und entscheidende Wegmarken nach.
Dabei stehen drei Bereiche im Vordergrund: erstens die Umstände und historischen
Gegebenheiten, die bei der Gründung der Missionsgesellschaft eine Rolle spielten;
zweitens Begegnungen, also das Verhältnis zwischen der Missionsgesellschaft und
ihrem ‹Personal› einerseits und den Menschen und Kräften auf den Missionsfeldern
andererseits; drittens die Ergebnisse der Anstrengungen – Scheitern und Erfolge.
Gründung und AnliegenDie Gründung der Basler Mission ist Christian Friedrich Spittler und Nikolaus von
Brunn zu verdanken, die im Pietismus (Erweckungsbewegung) eine authentische Form
der Frömmigkeit gefunden hatten – und dies nicht nur für sich selbst; die ganze
Menschheit sollte daran Anteil haben. Dazu mussten in Basel allerdings viele Wider-
stände ausgeräumt werden: Solle tatsächlich von der Schweiz eine protestantische
Mission ausgehen, wo sie doch für die Schweiz ebenso notwendig wäre? Wäre Basel
dafür der richtige Ort? Müsse es nicht eher eine Stadt in Holland, Dänemark oder
England sein, «wo die Bekanntschaft mit den Ländern, wohin die Missionare gehen,
und mit den Geschäften in denselben nicht aus Büchern, sondern von solchen Män-
nern könnte verlangt werden, die eigene Erfahrungen gemacht haben?» (Schlatter I,
1916: 13f.). Die Bedenken konnten ausgeräumt, die Missionsanstalt 1815 gegründet
und schliesslich vom Staatsrat Peter Ochs genehmigt werden, nachdem ihm versichert
wurde, dass der einzige Zweck «die Verbreitung der evangelischen Religionserkennt nis
und ächt menschlicher Civilisation und Sittenveredlung» (Hauzenberger 1996: 142) sei.
Der Weg von pietistischen und Erweckungsbewegungen zum Missionsauftrag führte
über Modernisierungsprozesse und über die Romantisierung der Mission, wie Bangert
darlegt. Er skizziert die Entstehung der Basler Missionsgesellschaft als Kon se quenz der
Aufklärung und der Französischen Revolution, die beide neue Vorstellungen hinsichtlich
Weltauffassung und Menschenbild mit sich brachten. Ebenso gewichtig waren allerdings
Verbindungen zu gleichgesinnten Gruppierungen – vor allem im deutschsprachigen
Raum und in Grossbritannien. Feigk zeigt in seinem Beitrag, wie sich daraus ein weit-
verzweigtes und tragfähiges Netzwerk entwickelte, das bei Bedarf aktiviert werden
Modell des MissionshausesDas Missionshaus an der Missionsstrasse, finanziert von Christoph Merian, wurde am 4. Juli 1860 eröffnet. In der Eröffnungsrede nannte Inspektor Joseph Josenhans materielle und immaterielle Werte, mit denen das neue Haus gefüllt werden solle: neben Missionsgeist, einer Kan zel und Mobiliar sollten es auch ethnografische Gegen - stände, «Götzenbilder» und «vergoldete Herren», sein. Schweiz, Basel; Papier, Karton, Textil, Kunststoff; H 13,7 cm, L 35,9 cm, B 12,7 cm; private LeihgabeAbb. S. 9
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konnte. Bevor das Basler Missionshaus in den 1820er Jahren selbst Missionare entsandte,
fungierte es zunächst als Ausbildungsstätte für Missionare anderer Gesellschaften. Die
Gründung der Basler Mission war also Teil einer breit gefächerten Strömung, in der
das Bekenntnis zur ‹Heidenmission› und zu einem Sen dungsbewusstsein gemeinsamer
Nenner war. Osterhammel (2013: 1263) bezeichnet die gesamte Palette der protes tan-
tischen Mission als «eine enorme Leistung einer ganz besonderen Art von ‹zivilgesell -
schaftlicher› Organisation und voluntaristischer Initiative.»
Begegnungen: Kolonialmächte, Konfrontationen und KonversionenDiese enormen Leistungen sind einerseits in der privaten Finanzierung des Unter-
nehmens ‹Basler Mission› und andererseits in den Begegnungen angesiedelt, denen die
Missionare in ihrem Feld ausgesetzt waren.
Bereits bei der Gründung wurde verbindlich festgelegt, dass die Basler Mission keine
öffentlichen Gelder erhalten würde. Damit war die finanzielle Grundlage des Hauses
ausschliesslich von privaten Zuwendungen abhängig. Um diese zu erhalten, wurde die
Halbbatzenkollekte ins Leben gerufen, es wurden Missionsfeste abgehalten, Publika-
tionen mit Beschreibungen der mühsamen Arbeit aufgelegt, Missionsindustrien in den
Missionsgebieten und eine missionseigene Handlungsgesellschaft gegründet. Ausser-
dem kann die Basler Mission als Pionier in Sachen Marketing gelten. Alles aus den
Missionsgebieten Berichtete und Gesandte wurde für die Sache eingesetzt: Handarbei-
ten aus den verschiedenen Institutionen aus Ghana oder Indien (J. Jenkins) genauso
wie Fotografien; Erfahrungsberichte, Gedenkblätter und Postkarten ebenso wie im Feld
gesammelte Artefakte für das Missionsmuseum (Schmid, Missionssammlung). Handelte
es sich nicht direkt um Verkaufsaktionen, wurde damit die Auf merk samkeit auf das
Tun der Mission gelenkt und gestärkt.
Kolonialmacht und MissionDie Basler Missionare waren angehalten, sich gegenüber Vertretern der Kolonialmächte
zurückhaltend und respektvoll zu verhalten. Einmischung in ‹koloniale Angelegen-
heiten› war nicht vorgesehen. Einerseits waren Mission und Missionare auf das Wohl-
wollen der Kolonialvertreter und gegebenenfalls auch auf ihre Unterstützung – zum
Beispiel in rechtlichen Dingen – angewiesen, andererseits hielten sie Distanz zu Reprä-
sentanten der Kolonialmächte, nicht zuletzt wegen unrechtmässiger oder brutaler
Vorgehensweisen. Das Verhältnis zwischen Mission und Kolonialmacht variierte je
nach Situation, Zielen und involvierten Persönlichkeiten: So war die britische Kolo nial-
verwaltung bei der Vermittlung des Hauses für die erste Missionsstation in Indien
behilflich; der Missionar Ferdinand Kittel wurde wegen «abstossender Eindrücke auf
Engländer» in Indien von Inspektor Josenhans angewiesen, sich den «gehörigen Takt»
(Schmid, Hindernisse) im Umgang mit der Kolonialverwaltung anzueignen. In Kamerun
sprach sich die Basler Mission explizit gegen eine Zusammenarbeit mit Vertretern der
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Kolonialmächte aus. Dann wieder setzten die Missionare mit Hilfe der Kolonialregie-
rung ein Verbot der indigenen Christenmissionierung durch (Fischer, Kamerun).
Zu einem späteren Zeitpunkt reagierten Missionare auf die ungeheuerliche Land -
politik der deutschen Kolonialmacht in Kamerun, um afrikanische Familien vor dem
Ver lust ihres Landes zu schützen (P. Jenkins). Arlt stellt einen Missionar vor, der sogar
zwischen lokalem Herrscher und Kolonialregierung vermittelte.
Auch Kolonialmächte hatten ein zwiespältiges Verhältnis zu Missionen. Solange diese
‹in Schach gehalten› werden konnten, waren Missionen für ihre Bildungs- und Ent wick -
lungsarbeit hoch geschätzt. Die Einrichtung von Schulen bei jeder Missionsstation
war Programm; neben Lesen, Schreiben und Rechnen gehörte auch die Ausbildung
praktischer Fähigkeiten dazu (Konrad, Frauenleben; J. Jenkins; Arlt; Fischer, Kamerun).
Die Kolonialmächte kontrollierten jedoch den Zugang von Missionsgesellschaften zu
ihren Kolonien lange erfolgreich (Schmid, Hindernisse). Erst als diese Praxis unhaltbar
wurde, musste die koloniale Religionspolitik angepasst werden. Kreis spricht dann
auch von den Aktivitäten der Basler Mission als einer «selbstverständlichen Variante
der europäischen Präsenz im Kolonialgebiet». Es ist allerdings definitiv zu kurz ge-
griffen, Mission mit Kolonialismus gleichzusetzen, zumal das Anliegen der Missionen
unberechenbare Konsequenzen für Regierungen haben konnte. Osterhammel (2013:
1266) führt dies darauf zurück, dass Mission einem «Programm zum Umsturz der
bestehenden Verhältnisse» gleichkam. Missionare stellten «bestehende soziale Hierar-
chien in Frage. Sie befreiten Sklaven, scharten marginale Elemente der einheimischen
Bevölkerung um sich, werteten die Position von Frauen auf und untergruben […] das
Prestige von Priestern, Medizinmännern oder Schamanen.»
Konversion und VerstehenÄhnlich zwiespältig gestalteten sich die Begegnungen mit den zu bekehrenden Men-
schen. Konrad legt dar, dass schon die Platzierung und Architektur der Institution
Missionsstation, in dem das Missionspaar mit seinen Kindern lebte, «steingewordenes
Symbol der ‹einzig wahren› Religion» war. Während das Personal des Missionspaares
und Katecheten privilegierten Zugang genossen, mussten andere ihre Anliegen auf
dem Zwischenraum der Veranda vorbringen. Für Konvertiten sollte die Missionsstation
‹geistige und reale neue Heimat› werden (Konrad, Missionsstation). Bevor sie aber
bekehren konnten, standen den Missionaren intensive Sprachstudien, lange Pre digt-
reisen, Bibelunterricht und Hausbesuche bevor. Dabei mussten sie sich beständig
aussetzen – sie führten schwierige Gespräche, mussten oft einsehen, dass ihre Arbeit
nicht fruchtete; oder sie wurden mit heftigen Diskussionen zu Religion im Allge -
meinen konfrontiert. Wichtig ist dabei, dass die protestantische Mission auf die Be keh-
rung des Individuums abzielte, also den Einzelnen zu überzeugen hatte. Massen-
konversionen wurden strikt abgelehnt. Darüber hinaus waren Motivationen für
Konversionen keinesfalls nur religiös begründet, oft spielten wirtschaftliche Über-
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legungen eine wichtige, wenn nicht gar die ausschlaggebende Rolle. Damit blieb auch
die Rückkehr zur alten Religion eine Option, sollten sich die erhofften ökonomischen
Verbesserungen nicht einstellen. Der Anspruch der Mission, neue christliche Lebens-
gemeinschaften aufzubauen, führte unausweichlich zur Verpflichtung, neue Einkom-
mens quellen für die Konvertiten zu erschliessen – in Ghana beispielsweise geschah
dies in Verbindung mit dem Kakaoanbau und -handel, in Indien und China mit dem
Aufbau von Manufakturen; in allen Missionsgebieten wurden Einkommensmöglich-
keiten für Frauen durch Handarbeitserzeugnisse geschaffen (J. Jenkins).
In den Beiträgen zu den Wirkungsregionen der Basler Mission – in chronologischer Rei-
hen folge Ghana, Indien, China, Kamerun und Indonesien – werden sowohl allgemeine
als auch regionalspezifische Probleme thematisiert. Dabei kann es sich um unterschied-
liche Auffassungen zwischen dem Missionshaus in Basel und den Mis si onaren im Feld
zu Sklaverei handeln (P. Jenkins, Schürer-Ries); oder um Meinungs ver schiedenheiten
zwi schen diesen beiden Instanzen in Bezug auf die Ausübung der Mis si onarstätigkeit wie
bei Johannes Zimmermann. Nicht nur hatte Zimmermann Regeln der Mission gebrochen,
indem er ohne vorherige Erlaubnis heiratete; er unter hielt auch kein «segregiertes Chris-
ten dorf, in dem sich die Regeln eines christlichen Zusam menlebens leichter vollziehen
und kontrollieren liessen» (Arlt). Zimmermann gehörte wie sein Kollege Ferdinand Kittel
zu einer Gruppe von Missionaren, die sich dem Diktum des Basler Hauses nicht um-
standslos fügten. Zimmermann war dennoch erfolgreich; dagegen musste sich Kittel
von missionarischen Tätigkeiten fernhalten, stattdessen konzentrierte er sich auf seine
Sprach forschungen zum südindischen Kannada.
In Briefen aus Basel werden Missionare immer wieder nach Fortschritten in ihrer
Sprachkompetenz befragt. Auf diesem Gebiet haben einige Missionare herausragende
Leistungen erbracht, indem sie nicht nur die Sprache hervorragend beherrschten,
sondern diese zuweilen erstmals verschriftlichten und damit auch standardisierten,
Grammatiken und Wörterbücher verfassten sowie Übersetzungen – keineswegs nur
von christlicher Literatur – anfertigten und publizierten. In diese Reihe gehört auch
Johann Gottlieb Christaller, der zudem eine Publikation zu Twi-Sprichwörtern vorlegte
(Hindermann). Ganz allgemein ist mit Spracherwerb immer ein bestimmtes Mass an
kultureller Kompetenz verbunden; diese wiederum war unabdingbar, um potenzielle
Konvertiten bei ihrem Religions- und Weltverständnis abzuholen (Fischer, Realitäten).
Gleichzeitig waren die Missionare beim Erwerb dieser Kompetenz auf lokale Sprach-
lehrer angewiesen und ihnen mitunter auch ausgeliefert. Vielleicht speist sich daraus
das ständige Misstrauen gegenüber den Katecheten, mit denen sie zusammen reisten
und predigten. Das Eintauchen in die jeweilige Kultur geschah mal offener, wie es
bei den ersten nach China entsandten Missionaren scheint, die «ganz in die fremde
Welt eintauchen und zu Chinesen werden sollten – in sprachlichem Ausdruck, in Klei -
dung und auch in Essgepflogenheiten» (Brandner). Mal scheint es ein langsamer, fast
un merk licher Prozess gewesen zu sein wie etwa bei Gustav Peter in Indien.
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Der Erste Weltkrieg stürzte die Basler Mission in eine ernsthafte Krise. Ihre Mis-
sionsgebiete waren davon ebenso betroffen wie die europäischen Nationen. Missionare
und ihre Familien «wurden entweder inhaftiert oder gezwungen, die Missionsfelder in
den britischen Kolonien und den von der Entente eroberten Gebieten Afrikas zu
verlassen. Somit verblieben nur noch in China Basler Missionare. Erst ab Mitte der
1920er Jahre konnte die Tätigkeit in den früheren Arbeitsgebieten langsam, aber in
deutlich geringerem Umfang wieder aufgenommen werden» (Feigk). In der Zwischen-
zeit wurde ein weiteres Missionsfeld erschlossen. 1920 nahm Basel seine Missions-
tätigkeit auf Borneo, Indonesien auf und führt sie bis heute fort (Hoffmann, Fischer).
Daran zeigt sich zwar, dass sich sowohl das Missionsverständnis als auch die Tole -
ranz gegenüber synkretistischen Religionsformen über ein Jahrhundert verändert
haben. Allerdings macht der Beitrag von Linder deutlich, dass eine ernsthafte Part-
nerschaft erst noch zu erarbeiten ist.
ResultateLange herrschte in Bezug auf die Mission das Bild vor, dass die Anderen von den
Missionaren ‹überrumpelt› wurden. Diese Sicht vernachlässigt, dass protestantische
Mission auf Begegnung und Veränderung des Lebens ausgerichtet war. Zwar gab es
für Konvertiten Anreize wie Anstellungen und Verdienstmöglichkeiten aufgrund von
Bildung, die von der Mission zur Verfügung gestellt wurde. Aber eine auf das Indi-
viduum zielende Bekehrung erfordert eine individuelle Entscheidung, die nicht von
der Mission aufgezwungen ist. Aus den Beiträgen dieser Publikation wird deutlich,
dass die protestantische Mission es mit Menschen und Gruppen zu tun hatte, die über
einen eigenen Willen und Handlungsmöglichkeiten verfügten.
Die Basler Mission nahm für sich in Anspruch, Konversionen nach Qualität zu messen.
Allerdings zeigen Berichte, dass der Faktor Quantität nicht völlig nebensächlich war.
Felber zeichnet die Prozesse nach, wie sich die Mission mit ihren unerschrockenen
Missionaren «als Katalysatoren und engagierten Akteuren» in komplexen Lernpro-
zessen entwickelte und dadurch zu einem Pionier der Modernisierung wurde. Eine
strikt hierarchisch aufgebaute Institution versuchte von Basel aus, die Geschicke ihrer
Mitarbeiter in China, Indien, Ghana, Kamerun und Indonesien zu lenken. Mal mehr,
mal weniger erfolgreich. Die Institution Basler Mission und ihre Tätigkeiten stehen für
eine Form der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. Die Ethnologie mit ihren
Methoden und ihrem spezifischen Modus der Datengenerierung steht dagegen für eine
wissenschaftliche Auseinandersetzung, nicht nur mit anderen Kulturen, sondern auch
mit dem Fremden in der eigenen Gesellschaft. Die Missionssammlung und ihr Einsatz
für die Zwecke der Mission (Schmid, Missionssammlung) legen beredtes Zeugnis für
die erste Form ab. Ausstellung und Publikation erheben den Anspruch, diese Form vor
dem Hintergrund ethnologischer Erkenntnisse kritisch zu reflektieren.
14
Das missionarische SelbstverständnisChristian Vandersee
Als sich vor etwa 200 Jahren die ersten Missionare der Basler Missionsgesellschaft
auf den Weg in ihre Entsendungsgebiete machten, hatten sie zwar jede Menge Unge
wiss heiten im Gepäck: Wie sind die Verhältnisse? Welche Kräfte wirken für und gegen
uns? Wie werden wir empfangen? Welchen Gefahren muss ich mich stellen? Aber das
Selbst verständnis ihrer Aufgabe stand ausser Frage, wie die vorliegenden Beiträge
zeigen.
200-jähriger KontrastMissionare wurden entsandt (und verstanden sich) als ‹ReichGottesArbeiter›, die an
der Wiederkehr Christi mitwirken konnten, waren durchdrungen vom Evangelium als
absolute und einzige Heilsbotschaft und sahen aus einer durchweg eurozentrischen
Perspektive in der Bekehrung der ‹Heiden› – im Einklang mit ihrer Entsendungs orga
nisation – einen ganzheitlichen Vorgang der Seelenrettung der ‹Fremdvölker›, Erzie
hung zum rechten Glauben und zum besten Gemeinschaftssystem sowie Ver mittlung
zahlreicher praktischer Kompetenzen für das tägliche Leben (J. Jenkins). An der Recht
mässigkeit ihres Vorhabens oder ihres ehrgeizigen Anspruchs bestand in der Anfangs
zeit weder im Basler Entscheidungskomitee noch bei den Missionaren ein Zweifel.
Gegenüber den etablierten Kirchen aber, aus deren Gemeinden sich die Missionare
ebenso rekrutierten wie die Komiteemitglieder, entwickelte sich eine skeptische Dis
tanz, die andauern sollte.
Schaut man sich heute Definitionen und Selbstzeugnisse von Mission allein im
Schweizer Kontext an, trifft man auf ein vielfältigeres, um nicht zu sagen viel stärker
desorientiertes Bild: Mission sei Zeugnis von Christus, Zeigen dessen, was man
liebt, Solidarität mit den Armen, Anteilnahme, Austausch und gemeinsames Lernen,
Ein treten für Pluralität und Religionsfreiheit, Leben in Fülle, Kampf und Wider
stand, Heilung und Suche nach Ganzheit. Eine solche Gegenüberstellung ist zwar
selektiv und plakativ, wirft aber ein Licht auf den eklatanten Unterschied des
Selbstverständ nisses kirchlicher und gesellschaftlicher Identität zwischen damals
und heute.
Kultureller KontextNach der Französischen Revolution, eingebettet in eine gesamteuropäische Auf bruchs
bewegung zwischen rationalistischem Denken der Aufklärung und der schwär me
rischen Weltöffnung pietistischer Erweckungspredigt, war eine bibeltreue Missions
bewegung kraftvoll und überzeugend (Bangert). Und sie war dies in einem gros sen
Zusammenhang kulturellen Ausdrucks und wirtschaftlichen Handelns: In der Lite ra
15
tur bildeten die Werke des Sturm und Drang diese Stimmung ebenso ab wie die Früh
und Hochromantik in der Musik. Die Vernetzung der von der Missionsgesel lschaft
gegründeten Basler Handelsgesellschaft schaffte später sogar die Strukturen für das
evangelische Sendungsbewusstsein.
Die heutigen Voraussetzungen einer Veräusserung christlicher Überzeugung sind
ungleich schwieriger: Wirtschafts und Staatenbünde sind eher veränderungs resis tente
Apparate denn wegbereitende Hoffnungsträger, das europäische Erbe einer men schen
verachtenden Kolonialgeschichte in Ländern des Südens schliesst auch einen Teil der
Missionsaktivitäten ein; der Begriff ‹Mission› ist in Verruf geraten und gilt weithin als
unzeitgemäss. Literatur, Kunst und Musik helfen auch nicht aus dem Dilemma, es gibt
keine mehrheitsfähige, geschweige denn eine enthusiastische Weg weisung. Warum
auch? Das vergangene Jahrhundert hat zwar eine Fülle philo so phischer und moralischer
Reflexionen hervorgebracht, die aber keine der krie ge rischen, wirtschaftlichen oder
migrationsbedingten Katastrophen verhindern oder ihnen einen Sinn geben konnten.
‹Entwicklung› – von Bekehrung zum AustauschEine Anpassung der missionstheologischen Terminologie und damit auch der in
haltlichen Ausrichtung des Missionsauftrags erfolgte Mitte des 20. Jahrhunderts.
War schon in den Anfangsinitiativen der Missionsgesellschaft die Ermächtigung
der bereisten Kulturen zu selbständiger Predigt, Lehre, Handwerks und Landwirt
schafts arbeit angelegt (Fischer, Kamerun; Brandner), so hielt nach dem Zweiten Welt
krieg der Begriff ‹Entwicklungspolitik› Einzug in den missionarischen Kontext. Der
Ter minus entstammt dem offiziellen Jargon der Aussenministerien westlicher Indus
trieländer. Im Zuge des offensichtlichen Handlungsbedarfs nach den verheerenden
Kriegsjahren wurden zahlreiche Hilfswerke gegründet, die ihren zunächst inner
europäischen Fokus bald auf die Südländer ausdehnten. Spätestens nach den Unab
hängigkeits erklärungen vieler ehemaliger Kolonialstaaten in den 1960er Jahren kon
zentrierten sich die Hilfswerke auf Gebiete, die bis dahin angestammte Missions
regionen waren. Teilweise von der Politik mitgetragen, entstanden grossformatige
Projekte der ‹Entwick lungshilfe›: vom Bau einer Brunnenanlage über Lehrerausbil
dung, Handwerkskurse und Krankenversorgung bis zu Demokratisierungspro gram
men und Frauenförderung. Missionsorganisationen, zunehmend in Konkurrenz druck
zu den Hilfswerken, eigneten sich das Vokabular dieser Werte, die für sie keines
wegs neu waren, an, legitimierten sie vortrefflich durch die jüdischchristlichen
Grundwerte und reihten die humanitären Tätigkeiten in die Kernaufgaben neben
Bibelunterweisung, Predigt und Schulbildung ein. Unter Mission wurde bald der
gesamte Katalog verstanden – nur der ursprüngliche Aspekt der Bekehrung zum
Christentum fehlte: Er war nicht mehr vertretbar und hinterliess zunächst eine Lücke.
Die Sinnkrise einer Missionsorganisation ohne ihre ursprüngliche Kernaufgabe war
unausweichlich.
16
Erst als seit den 1990er Jahren auch die ‹Entwicklungshilfe› als selbstherrlicher An
satz gebrandmarkt wurde und im gesellschaftspolitischen Diskurs dem Konstrukt der
‹Entwicklungszusammenarbeit› weichen musste, erhielt auch die verschwundene Be
kehrung ein würdiges Substitut: Mission sollte neu als Austausch und gegensei tiger
Lernprozess verstanden werden, aus Bekehrung wurde folgerichtig das Eintreten für
Glaubenspluralität und Religionsfreiheit. Die Basler Institution, mittlerweile um be
nannt in Mission 21, bezeichnet sich nun als ‹Lerngemeinschaft›.
Kirchen und Mission in der SelbstfindungDie Kirchen, die protestantischen sowie die ökumenisch verbundenen (hauptsächlich
evangelischen) Denominationen, reagieren inzwischen ebenfalls auf die Krise: Der
Mitte des 20. Jahrhunderts gegründete Weltkirchenrat in Genf (Ökumenischer Rat
der Kirchen) publiziert regelmässige ökumenische Missionserklärungen. Die jüngste,
2013 bei der Vollversammlung auf Kreta eingebracht, setzt Akzente verstärkt auf
soli darische Gerechtigkeit, multireligiöse Toleranz und interkulturelle beziehungs
weise religiöse Verständigung. Proaktive Bekehrung kommt nicht mehr vor; die eigene
Über zeugung entfaltet sich aber umso mehr im steten, ganzheitlichen und lebendigen
‹Zeugnis› von Christus.
Die Dachorganisation der protestantischen Kirchen der Schweiz (der Schweizer Evan
gelische Kirchenbund SEK), die traditionell die Beschäftigung mit Mission eher ihren
kantonalen Mitgliedskirchen überlassen hat, bearbeitet nunmehr ein anderes, jedoch
in der Sache sehr verwandtes Projekt: Das 500jährige Reformationsjubiläum gibt
Anlass zu Selbstreflexion und Standortbestimmung. Auch wenn es hier eine andere
Geschichte aufzuarbeiten gilt, und obwohl die Mission in Ländern des Südens lange
kein reformatorisches Thema war, finden sich Kirchen und Missionen beim Stichwort
Zeugnis an der gleichen Stelle wieder: Zeugnis wovon, an wen, und wozu sind zwar
scheinbar lapidare Fragen; gleichwohl spiegeln sie die Identitätskrise der Kirchen und
des säkularisierten Glaubens ebenso wider wie die Grundsatzfrage, was den Sinn einer
missionarischen Entsendung aus christlichem Beweggrund ausmacht.
Dieser Band zu Aspekten der Missionsgeschichte erscheint in einer Zeit, in der eine
grundlegende christliche Selbstbestimmung ansteht. Aus welchem Selbstverständnis
heute Kirche gelebt, oder in den Partnerländern und mit ihnen ‹missioniert› wird, ist
keineswegs klar.
19
Phänomen einer SchwellenzeitMichael Bangert
Mit dem Begriff ‹Schwellenzeit› hat der Germanist John Fetzer (2000) die je drei bis vier
Jahrzehnte vor und nach 1800 charakterisiert. Diese Formulierung Fetzers beschreibt
die Epoche, in der sich die Gründung der ‹Basler Missionsgesellschaft› ereignete. In
dieser geschichtlichen Phase kam es zu einer teils abrupten, teils schleichenden Um
wälzung Europas und damit der westlichabendländischen Kultur. Es wurden histo
rische Grenzen überschritten, und neue Paradigmen prägten von nun an eine nahezu
vollständig veränderte Welt. Diese Veränderung geschah nicht linear. Sie erfolgte in
einem komplexen Prozess der gegenseitigen Beeinflussung aller beteiligten Faktoren
wie Menschenbild, Staatsverständnis, Gesellschaftsaufbau, Denksysteme, Weltauff as
sung etc. Der tiefgreifende Wandel hatte eine weitgehende Neudefinition der Staaten
und Gesellschaften zur Folge. De facto waren alle Lebensbereiche davon betroffen. Der
Mentalitätswechsel zeigte sich exemplarisch in Frankreich, wo der Bruch mit dem
monarchischen Staatssystem gerade deshalb massive Verwerfungen hinterliess, weil
sich die Monarchie unter Louis XIV. zu einer singulären Totalität ausgewachsen hatte.
Das autonome, allgewaltige Königtum, in dem es zu einer seinshaften Identität von
Herrscher und beherrschtem Staat gekommen war (‹L’état, c’est moi!›), endete nicht
nur metaphorisch mit der Enthauptung Louis XVI. am 21. Januar 1793 auf dem Scha
fott. Die alte Lebensordnung war zerbrochen.
So mannigfaltig die Gründe für diese radikale Verwerfung waren, so einheitlich war
die prinzipielle Veränderung aller Lebensvollzüge und Weltauffassungen. In diesem
Beitrag sollen diese Entwicklungslinien sowie einige kausale Motive und Ideen, die
zu dem Schwellenphänomen ‹Basler Missionsgesellschaft› geführt haben, in bündiger
Form skizziert werden.
Die Umwälzungen infolge der Französischen Revolution1
Die historischen Verwerfungen der Revolution in Frankreich, die sich in Phasen unter
schied licher Intensität von 1789 bis ca. 1799 erstreckte, betrafen die Schweiz besonders,
da die Eidgenossenschaft im Mai 1777 ein Sold und Militärbündnis mit Frankreich
ab geschlossen hatte. Obwohl das Verhältnis offiziell keine Abhängigkeit der Schweiz
von Frankreich beinhaltete, war der finanzielle und politische Einfluss Frankreichs auf
die Schweizer Politik im 18. Jahrhundert derart dominant, dass die Eidgenossenschaft
als «französischer Klientelstaat» bezeichnet wurde (Oechsli 1903: 84f.).
Innerhalb der komplexen Entwicklungen und Prozesse der Schwellenzeit kann die
Französische Revolution als eine Art kumulatives Gründungsereignis der Moderne
verstanden werden.2 Vor allem das neue, dominierende Menschenbild, das von allge
meinen, unveräusserlichen Rechten aller ausgeht, forderte die christlichen Deno mi
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nationen heraus. Der Blick weitete sich zudem in Richtung auf Völker ausserhalb des
europäischen Kulturraums, für die ebenfalls die Menschenrechte gelten sollten. Der
sich verändernde anthropologische Hintergrund brachte die bisherigen Formen der
Feudalgesellschaft an ihr Ende.
Die Veränderungen der revolutionären Freiheit zeigten bald Wirkungen in Basel und
der gesamten Eidgenossenschaft. Nicht zuletzt die Untertanengebiete – wie das kolo
nial beherrschte Veltlin – suchten die politischen Veränderungen für eine neue Form
staat licher Integrität zu nutzen. Die Ereignisse im Nachbarland fanden in der Eid
ge nossenschaft ein breites Echo. Am 17. Januar 1798 wurde in Liestal ein Freiheits
baum errichtet, um den Forderungen der Französischen Revolution auch im Kanton
Basel Nachdruck zu verleihen. Die Ereignisse gewannen eine so gewaltige Eigendyna
mik, dass sich die politische Ordnung auflöste und die alte Eidgenossenschaft bis zum
März 1798 flächendeckend zusammenbrach. Die staatstheoretischen Überlegungen des
Basler Oberstzunftmeisters Peter Ochs (1752 –1821) dienten als Grundlage für eine
streng zentralistisch ausgerichtete Verfassung, die die Basis für die kurzlebige ‹Helve
tische Republik› wurde. Die heftigen, bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwi
schen aristokratischföderalen und revolutionärunitarischen Kräften führten rasch
zum Niedergang der Einheitsrepublik und ab 1803 zur Rückkehr zu einem Staatenbund
der Kantone mit einer permanenten, zentralen Bundesbehörde. Der Zweite Koalitions
krieg zwischen Österreich, Russland und Grossbritannien auf der einen, sowie Frank
reich auf der anderen Seite, verwüstete weite Teile der Schweiz. Die Verpflichtung,
grosse Militärkontingente für den Allianzpartner zu stellen, beförderte die Verelendung
ganzer Regionen. Nach der Niederlage Napoleons und den Verhandlungen des Wiener
Kongresses schlossen nunmehr 22 souveräne Kantone im Jahr 1815 einen Bundesver
trag, der in mancher Hinsicht die alte Ordnung wiederherstellte, doch zugleich
wesentliche Forderungen der Revolution berücksichtigte. Mit der Rückkehr zu einer
zwar restaurativen, aber sicheren Staatsordnung war die Basis für Handel, Wirtschaft
und weltweite Unternehmungen – wie der Ausbildung und Entsendung von Missio
naren nach Übersee – gegeben. Eine weitere, spezielle Ausprägung der schweizerischen
Grundmentalität während dieser Schwellenzeit hielt im Hintergrund das Entsenden
von Missionaren in andere Länder widerspruchsfrei. Der bis weit ins 19. Jahrhundert
praktizierte ‹Sold dienst› von Schweizer Männern bei ausländischen Mächten beförderte
eine gewisse Normalität des ‹Kämpfens in der Fremde›. Noch 1815 verpflichtete sich
die Mehrheit der Kantone, dem Königreich der Niederlande 10 000 Soldaten zu stellen.
Die Vorstellung vom ‹miles christianus› (‹christlicher Streiter›) entsprach der aposto
lischen Vorgabe des EpheserBriefes (Eph 6,10 20), für die Verbreitung des Evange
liums Jesu Christi einzutreten und zu kämpfen. In Bezug auf die histo rische Praxis des
‹Solddienstes› war der Einsatz in der Mission ohne Weiteres an schlussfähig. Die Ent
sendung von Missionaren als ‹Kämpfer für das Evangelium› in andere Welt regionen
war in diesem Kontext schlüssig und die ent sprechende Argu men tation konsistent.
21
Neue Kommunikationsfelder: Die GesellschaftenBildung und Freundschaft: Die säkular-aufgeklärten GesellschaftenIm Verlauf des 18. Jahrhunderts entstanden an vielen Orten in Mitteleuropa neue
Formen der sozialen Begegnung.3 Zünfte, militärische Bruderschaften und geistliche
Kooperationen verloren an Bedeutung. Es bildeten sich sogenannte ‹Gesellschaften›
mit unterschiedlichen Intentionen und Inhalten, die die Freundschaft in einer neuen
Qualität als den wesentlichen Grund des sozialen Zusammenhalts pflegten. Die freie
Wahl des Freundes ersetzte in ideeller Weise die Verbindungen, die sich aufgrund einer
Berufszugehörigkeit, des Bürgerrechts oder der familiären Abstammung ergaben. So
traten an die Stelle der Zunftstuben und Bürgerwirtschaften vermehrt neue Salons,
Logen, Klubs und GesellschaftsHäuser, in denen sowohl Männer als auch Frauen
zwecks gemeinsamer Lektüre, Gespräche und Diskussionen zusammenkamen. Allen
Formen dieser neuen Gesellschaften ist der Ursprung in der europäischen Aufklä
rung gemeinsam. Bildung und humanistische Ideale waren allenthalben die Grund
lage für ihre Entstehung. Diese neuen Sozietäten wollten im Sinne der Aufklärung
nationale, religiöse und kulturelle Grenzen überwinden und hielten daher engen
Kontakt in Europa und nach Übersee: «Europa und beide Amerika sind zu Ende des
18. Jahrhunderts von einem Netz vielfältiger gesellschaftlicher Zusammenschlüsse
überspannt, ein Netz, das einen gewichtigen Faktor in der Geschichte des Jahrhun
derts darstellt» (Im Hof 1982: 10).
In der Schweiz entstanden diese Gesellschaften ab Mitte des 18. Jahrhunderts mehr
heitlich in der städtischen Kultur der reformierten Landesteile. Ganz dem Staats wesen
der alten Eidgenossenschaft entsprechend, fand sich in der Zeit bis 1798 eine födera
listische Vielfalt von Gesellschaften. Die 1777 in Basel vom Freundeskreis um den
dortigen Ratsschreiber und Geschichtsphilosophen Isaak Iselin (1728 –1782) gegrün
dete ‹Gesellschaft zur Aufmunterung und Beförderung des Guten und Gemein nüt
zigen› kann als exemplarisch für die Funktion und das Selbstverständnis dieser neuen
Kommunikations und Handlungsgemeinschaften gelten. Sie lassen sich in ge lehrte,
gemeinnützige und literarische Gruppen klassifizieren. Die Sozietäten wurden ergänzt
durch militärische und quasireligiöse Gesellschaften. Eine besondere Stellung nahm
die formell 1762 gegründete ‹Helvetische Gesellschaft› ein, da sie sich nicht nur lokal
oder regional, sondern schweizweit orientierte. Zudem war sie ein Ort der konfes
sionsübergreifenden Gespräche. Im Sinn eines ‹Helvetismus›, der kantonale, konfes
sionelle und sprachliche Unterschiede überwölbte und sich an universellen Werten
ausrichtete, wollten die Aufklärer in der ‹Helvetischen Gesellschaft› ein Reform pro
gramm entwerfen, das der besonderen, republikanischen Verfassung des Landes ent
sprach und sogar den Ruf nach einem Einheitsstaat zuliess (Maissen 2010: 140). In
diesem Zusammenhang spielten christliche Glaubensfragen eine geachtete, aber in der
Regel zweitrangige Rolle, wobei die Tendenz zum Bedeutungsverlust – indu ziert vor
allem durch Deismus und Rationalismus – über Jahrzehnte ungebrochen anhielt.
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Mit dem neuen Weltbild der Aufklärung, in dem der einzelne Mensch und seine per
sönlichen Fähigkeiten im Mittelpunkt standen, rückten göttliche Gnade und bi blische
Bildung in den Hintergrund, wo sie bestenfalls zu einem initiatorischen Impuls
beziehungsweise einem abstrakten Auftrag für die Entwicklung des Menschen mu
tier ten. Die Verbindung von christlichem Glauben und aufgeklärter Pädagogik zur
Melioration des Menschen förderte die Stärke des Individuums. Die Individualisie
rung aber bewirkte zugleich eine zunehmend kirchenunabhängige Weltsicht.
In den aufgeklärten Gesellschaften erlangte das Lesen einen ausgesprochen hohen
Stellenwert. Lesen als Bildungsinstrument wurde in der Folge zu einem festen Be stand
teil eines gehobenen Lebensgefühls und zu einem zentralen Postulat der Auf klärung.
Die Lektüre ‹frommer› Literatur aber geriet ins Hintertreffen. Hier reagierten die
protestantischen Kirchen stringent und rasch, indem sie christliche Literatur und
entsprechende Erbauungsschriften massiv förderten und für ihre Verbreitung sorgten.
Diesem publizistischen Anliegen war später auch die Basler Missionsgesel lschaft –
dann aber in weltweiter Perspektive – verpflichtet.
Die Verbesserung der Welt konnte nur durch eine grundlegende Erziehung und Bildung
des Einzelnen erzielt werden. Damit trat aber auch das genuin religiöse Bildungsideal
der Reformation in den Hintergrund. Religion und Glaube wurden zum Thema des
gelehrten Gesprächs. Dass Religion und Glaube zum Objekt wurden, das heisst im
Kontext der Bildung thematisiert wurden, förderte allerdings weniger den traditionellen
Glaubensvollzug als vielmehr die Reduktion der Konfession zu einer bürgerlichen
Bildungsattitüde.
Verteidigung und Frömmigkeit: Die ChristentumsgesellschaftDie Grundideen, Methoden und Kommunikationsformen der neuen Gesellschaften
übernahm auch eine Assoziation, die sich bei ihrer Gründung 1780 in Basel zunächst
‹Deutsche Gesellschaft zur Beförderung reiner Lehre und wahrer Gottseligkeit› und
ab 1786 ‹Deutsche Christentumsgesellschaft› nannte. In Bezug auf die Inhalte aber zei
gten sich gegenüber den säkularaufgeklärten Gesellschaften markante Unterschiede.
Die neue Gesellschaft konstituierte sich vornehmlich aus dem Mitgliederkreis der
‹Gesellschaft der Freunde›, die unter dem Einfluss des begabten Predigers Hieronymus
Annoni (1697–1770) eine innerliche und zugleich caritative Frömmigkeit pflegte. Ins
ge samt lässt sich festhalten, dass sich in Annonis Haltung die Grundpositionen der
Christentumsgesellschaft und ihrer Tochtergründungen präfigurierten. Annoni ver
band eine pietistische Frömmigkeit sui generis mit einem aufgeklärten Lebensgefühl.
Obwohl seine seelsorglichen Aktivitäten von den kirchlichen Behörden mit Argwohn
betrachtet wurden, blieb er bei seiner konsequent kirchentreuen Haltung. Die – für
die Gründung der Missionsgesellschaft überaus bedeutsame – Beheimatung des Basler
Pietismus innerhalb der verfassten Kirche kann als sein Verdienst angesehen werden.
Die kirchenkritische Kompetenz des Pietismus, der seinen wesentlichen Lebensraum
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in kleineren Konventikeln und Zirkeln hatte, wurde in Basel durch eine Integration in
das kirchen und staatstragende Bürgertum deutlich entschärft bzw. zu alternativen
Aufbrüchen genutzt: Für diese erfolgreiche und effektive Integration der Erweckung
in Bürgertum und Ökonomie stehen beispielhaft die beiden Basler Seidenband fabri
kanten und Magistraten Adolf Christ (1807–1877) und Carl Sarasin (1815–1886). Christ
wurde 1873 erster Präsident des Deutschschweizer Zweigs der Schweizerischen Evan
gelischen Allianz. Sarasin engagierte sich in der Missionsgesellschaft, präsidierte die
Stadtmission und stand der Evangelischen Allianz vor.
Der Tradition des schwäbischen wie des speziellen Basler Pietismus verpflichtet, sah
die Christentumsgesellschaft auch vor, katholische Christen aufzunehmen, denn ihr
Zweck und Ziel war es, die Zusammenführung aller ‹lebendigen Christen› und Bibel
treuen unabhängig von ihrer aktuellen Konfession zu fördern. Mit den modernen Kom
munikationsformen von Monatszeitschriften, weitgestreuten Korrespondenzen und der
Organisation von regelmässigen Zusammenkünften entstand – analog zu den säkularen
Gesellschaften – ein über Europa und Nordamerika verzweigtes Netzwerk (vgl. dazu
Feigk in diesem Band).
Die Initiative zur Gründung der ‹Deutschen Christentumsgesellschaft› ging vom ehe ma
ligen Augsburger Pfarrer Johann August Urlsperger (1728 –1806) aus. Urlsperger wollte
mit der Gründung dem glaubenskritischen Geist der Aufklärung entgegen treten. Seine
vorrangige Absicht war, eine Art von defensiver Vereinigung zu gründen. Die Chris ten
tumsgesellschaft begann zunächst mit apologetischer Intention, preis gün stig pietis
tische Literatur zu verbreiten. Zudem wurden die Kontakte zu den Per sonen, die eben
falls eine Frömmigkeit im Sinne des Pietismus kultivierten, verstärkt und verstetigt.
Auf diesem Handlungsfeld blieb Urlspergers Sozietät konservativ: «Die Chris tentums
gesellschaft war in geistiggeistlicher Hinsicht retrospektiv orientiert und lebte vom
Rückgriff auf das ältere pietistische Erbe» (Benrath 1982: 93). Im Gegen satz dazu
waren die Sozialarbeit, die Bildungsprojekte und die Missionsinitiative zukunfts fähig.
In diesem Kontext gewannen verschiedene Gründungen beziehungs weise Filiationen
der Deutschen Christentumsgesellschaft wie die Basler Bibel gesel lschaft (gegr. 1804),
die Missionsgesellschaft (gegr. 1815), die Anstalt zur Ausbildung von Armenschulleh
rern auf Schloss Beuggen (gegr. 1820), der Traktatverein (gegr. 1835), die Taub stum
menanstalt in Riehen (gegr. 1838) sowie die Pilgermission St. Chrischona (gegr. 1840)
eine grosse Bedeutung.
Die Erweckungsbewegung als Generator4
Ein entscheidender Faktor, der das Spektrum der Deutschen Christentumsgesellschaft
in Basel wesentlich erweiterte, war die spirituelle Potenz der Erweckungsbewegung.
Dieses geistliche Phänomen erweiterte die Aktivitäten der Christentumsgesellschaft um
die Missionsaktivitäten. Die strukturelltheologisch begründete Selbstbeschränkung
der protestantischen Kirchen in Bezug auf die offensive Mission nach aussen kommt
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erst mit dem Aufbruch der Erweckungen an ein Ende: «Innere und äussere Mission im
modernen Sinne entstehen erst, als [...] auf dem Kontinent die ‹religious societies›, [...]
der Pietismus und später die Erweckung um sich greifen» (Blaser 1982: 138). Die
frommen Initiativen der Erweckungen, die bisweilen ganze Regionen ergriffen, akzentu
ierten das Selbstverständnis zahlreicher Protestanten neu und führten unter anderem
zu einem veränderten Verhältnis zur Evangelisierung und Glaubensverbreitung in
fremden Ländern. So verdankte sich die Gründung der protestantischen Missions
gesellschaften substanziell dem Geist der Erweckungen. Die Basler Missionsgesel l
schaft war mit ihrer Gründung im Jahr 1815 eine der ersten Institutionen mit dem
Bewusstsein einer Erweckungsinitiative. Es folgten 1824 in Berlin die ‹Gesellschaft zur
Beförderung der evangelischen Mission unter den Heiden› mit einem Arbeitsfokus in
Süd und Ostafrika, sowie im Jahr 1828 die ‹Rheinische Missionsgesellschaft›, die
aus dem Zusammenschluss einiger konfessionsverschiedener Vorgängerorganisationen
(Calvinisten, Lutheraner, Reformierte) hervorging und sich in ihrer Wirkung auf das
südliche Afrika, China und Indonesien konzentrierte. Die relative Ferne zu den Staats
kirchen beziehungsweise den staatskirchenrechtlich verfassten Organisationen bildet
ein durchgängiges Merkmal dieser missionsorientierten Kooperationen. Darin ist zu
einem guten Teil das Erbe der ‹erwecklichen› Ursprünge zu sehen. Wie kritisch die
Aktivitäten der Erwecker gerade nach den Kriegswirren und Leiden der Jahre 1797 bis
1815 betrachtet wurden, zeigt der rigide Umgang von Kirche und Staat mit der Erwe
ck ungspredigerin Juliane von Krüdener (1764–1824), die als Gefährdung der öffent
lichen Sicherheit angesehen und an verschiedenen Orten mit Ausweisung bestraft
wurde.
Unter den Begriffen ‹Erweckung› und ‹Erweckungsbewegung› werden religiös moti
vierte Erneuerungsbemühungen im Bereich der protestantischen Kirchen im west
lichen Kulturbereich beginnend im 18. Jahrhundert verstanden. Die Schwerpunkte
dieser geistlichen Phänomene dauern bis weit ins 19. Jahrhundert fort. Die Erwe
ckungsbewegungen in Deutschland und in den angelsächsischen Ländern hatten
wegen ihres zeitlichen Vorsprungs und ihrer inhaltlichen Dynamik durchaus Vor bild
charakter für die Schweiz und für die Christentumsgesellschaft in Basel. Durch Karl
F. A. Steinkopf (1773–1859), der von 1795 bis 1801 als Sekretär der Chris ten tums
gesellschaft wirkte, entwickelten sich intensive, anregende Beziehungen zur englischen
Erweckungsbewegung.
Zwar verlor in den protestantisch geprägten Ländern die fromme, gottunmittelbare
Lebensdeutung des Pietismus ab 1730 ihre überragende und prägende Kraft. Doch
insgesamt ist die Erweckung als Teil des neuzeitlichen Modernisierungsprozesses der
europäischen und nordamerikanischen Gesellschaft zu verstehen. Im Verlauf des 18.
Jahrhunderts setzte sich die Aufklärung immer mehr durch und bestimmte das all
gemeine Bewusstsein. Die Mitgliederzahlen der pietistischen Gemeinschaften gingen
‹Altes Paar›; Beschriftungen der Fotografien sind mitunter unspezifisch. Die Verschlagwortung ordnet dieses Bild der Ethnologie des Körpers, Gender, Sozialstrukturen und Bekleidungsformen zu. China; zwischen 1881 und 1910; BMA QQ30.022.0075Abb. S. 25