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Als gewaltige Sturmfluten die Küsten der Nordsee verwüsteten und den dortigen Lebensraum einengten, brachen Kimbern, Teutonen und Ambronen in südliche Gefilde auf. Auf ihrem Marsch in eine vermeintlich lebensfreundlichere Zukunft stießen sie in das römisch besetzte Reich der keltischen Noriker vor - und mit den Römern zusammen, denen sie 101 v. Chr. bei Vercellae schließlich unterlagen. War es nur ihre Suche nac Siedlungsraum oder wollten die Germanen andere Völker unterwerfen?
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ich neuem Land?* M — — ^
121 v. Chr.Die Gründung Roms liegt bereits 600 Jahre zurück, 400 Jahre davon als Republik. Senat und Volk sind zufrieden mit dem Erreichten, nein, stolz: Gefährliche Konkurrenten wie die Etrusker oder Karthago wurden überwunden oder ausgerottet, die iberischen Stämme „pazifiziert“,
Korinth zerstört, Makedonien unterworfen und Pergamon an der kleinasiatischen Küste beerbt.
Überhaupt beherrscht Rom fast alle Küstenstreifen um das Mittelmeer. In Rom beginnt sich allenthalben das Flair des Imperialen auszubreiten. Kurz: Man schickt sich an, Hegemon der bekannten Welt zu werden.
Von derartigen Perspektiven waren hingegen die Völker, die im hohen Norden Europas siedelten, weit entfernt. Die Lebensbedingungen waren hart in Jütland, an der dänischen Nordseeküste.
Durch tektonisch bedingtes Absinken des Landes hatte sich auch der Meeresspiegel verändert, das Meer große Teile des Festlands über-
LANDVERLUSTE AN DER NORDSEEKUSTEHARUDER
Vermutliche Küstenlinienr : I vor Beginn der SenkungÍ..........; 1000 vor Christusà 1500 vor ChristusI I frühhistorisch t ] heutige Küste
Stämmen: Kimbern, Teutonen und Ambronen - so berichten es jedenfalls antike Historiker.
Ein schier unüberschaubarer Treck rumpelte auf der Bernsteinstraße in Richtung Alpen, quer durch den Herky- nischen Wald, einer bewaldeten Mittelgebirgszone, die vom heutigen Schwarzwald bis zu den Karpaten reichte, eine Art Urwald, durch den sich wenige gefährliche Routen schlängelten.
Noch zwei Generationen später berichtet Cäsar in einer Mischung aus wohligem
Schauer und Abscheu, welche gigantesken Tiere - Elche ohne Kniegelenke, meterhohe Hirsche, blutrünstige Eber - hier ihr Unwesen treiben würden. Rom grauste es vor solcher Urwüchsigkeit.
Zu dieser lichtlosen, ewig nebelverhangenen Welt, die ein Abbild der Unterwelt zu sein schien, passte das fremdartige Aussehen der hier hausenden Menschen: baumgroß, blaue Augen, blonde Haare, die zu allerlei aberwitzigen Frisuren geflochten, geknotet und gewunden wurden. Wilde, deren Sprache rau und
Durch die Sturmflut um 120 v. Chr. wurden Tausende von Gehöften vernichtet und große Gebiete von Marsch und Geest mit fruchtbarem Acker- und Weideland überflutet. Mehr als 20.000 Menschen drängten sich flüchtend in den ohnehin schon dicht bevölkerten Geestdörfern ^
schwemmt und Sturmfluten Dörfer vernichtet. Ausbleibende Ernten aber bedeuteten Hunger. Während niemand in Rom Gedanken an die Lebensbedingung irgendwelcher Barbaren am Rand der Welt verschwendete, keimte in den Nordmenschen mehr und mehr die Idee, südwärts zu ziehen.
Sie wollten dorthin, wo die goldenen Kessel der Prieste- rinnen gefertigt wurden, das prunkvolle Geschirr der Häuptlinge, die edlen Waffen der Krieger. Steinerne Häuser sollte es dort geben, ganze Ansiedlungen - unüberschaubar groß.
Kimbern, Teutonen und Ambronen
ziehen südwärts
Tatsächlich befragte man die Götter, stritt, diskutierte und entwarf den Plan, im Süden im Tausch für seine Waffenkraft ein besseres Leben in einem besseren Land beginnen zu können. Viele blieben zurück, viele brachen auf. Rund10.000 Menschen aus drei
kehlig klang und deren Schlachtgeschrei eher dem Gebrüll von Tieren glich als dem menschlicher Wesen.
Im Kampf waren diese Barbaren tapfer, sogar tollkühn, voll ungezähmter Wildheit; unbeschreiblich faul jedoch im Müßiggang und zimperlich im Fall von Krankheit. Rom dankte seinen weit gereisten Geografen, die eine so offenkundige Regel formuliert hatten: Je weiter aus dem Norden, desto größer und roher. Der „vir vere romanus“ erschauerte.
Dass es Migranten schwer haben, mussten Kimbern, Teutonen und Ambronen zu ihrem Leidwesen schon bald erfahren. Als sie das Gebiet der Boier erreichten, dachten diese nicht im Entferntesten daran, den Neuankömmlingen auch nur einen Fußbreit zu überlassen.
Grund: Sie waren auf der Suche nach angemessenem Siedlungsraum selbst lange genug umhergezogen. Ergebnislosen Verhandlungen folgten genauso ergebnislose Kämpfe. Man entschloss sich weiterzuziehen.
Germanenfierreichen römisches
Einflussgebiet
Schließlich erreichte der Zug die Ostalpen, das Gebiet des heutigen Kärnten, damals der Siedlungsbereich der Noriker, einem keltischen Stamm. Nun hatten die nordischen Auswanderer ein Problem, denn sie zählten seit 170 v. Chr. zu den Freunden Roms. Und so zögerten die Noriker keinen Moment, die befreundete Großmacht zu Hilfe zu rufen.
Rom gab dem Gesuch umgehend statt. Die Züge der Wilden aus dem Norden waren dem Senat bislang gleichgültig gewesen, doch jetzt drängte sich eine äußerst unliebsame Erinnerung auf: die an den Gallier-Überfall des Brennus nämlich, dessen Hor-
Ipse eorum opinionibus accedo, qui Germaniae populos nullis aliis aliarum nationum conubiis infectos propriam et sinceram et tantum sui similem gentem extitisse arbitrantur. unde habitus quoque corporum, tamquam in tanto hominum numero, idem omnibus: truces et caerulei oculi, ruti- lae comae, magna corpora et tantum ad impetum valida, laboris atque operum non eadem patientia, minimeque sitim aestumque tolerare, frigora atque inediam caelo soloue adsueverunt.Aus Tacitus: Germania
Ich selbst trete deren Meinung bei, die glauben, dass die Völkerschaften Germaniens, ohne je durch eheliche Verbindungen mit anderen Stämmen fremdartige Bestandteile in sich auf- genommen zu haben, ein eigenständiges, reines, nur sich selbst ähnliches Volk geworden sind: Daher ist auch die Körperbeschaffenheit trotz der großen Menschenzahl bei allen die gleiche: blaue Augen mit wildem Ausdruck, rötliches Haar, hochgewachsene und nur für den Angriff starke Leiber; für Mühsal und Arbeiten haben sie nicht in demselben Maß Ausdauer, und am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze. An Kälte und Hunger haben sie sich infolge Klima oder Boden gewöhnt
Germanischer Krieger ^ mit Schild und Schwert
den seinerzeit, d. h. 378 v. Chr., Rom heimgesucht und geplündert hatten.
Die Wiederholung eines solchen Schreckens verbat sich von selbst. Mit zwei Legionen trat ihnen daher Gnaeus Pa- pirius Carbo entgegen. Als er auf die Teutonen traf, war der Konsul fassungslos:
Statt keulenschwingender Barbaren lernte er verständnisvolle Gesandte kennen, die erklärten, man habe nichts von dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen den Norikern und Rom gewusst und bedrohen wolle man die Freunde Roms keinesfalls.
Carbo winkte die Gesandtschaft durch und beging im gleichen Augenblick den größten Fehler seines Lebens: Wortbruch. Er setzte den Teutonen in Eilmärschen nach, stellte Heer und Zug. Und ob-
^ Zug von Kimbern, Teutonen und Ambronen (die Insel Amrum zeugt heute noch vom Wortstamm).Holzschnitt aus dem 19. Jahrhundert nach einer Zeichnung von Otto Knille
wohl - das machte es für die antiken Geschichtsschreiber noch unverständlicher und unverzeihbarer - weder Treck noch Krieger der Barbaren mit einem Angriff gerechnet hatten, ging die römische Legion sang und klanglos unter.
Glücklicherweise für die Römer beendete ein nächtliches Gewitter das Debakel, sodass
Archäologische Zeugnisse dieses um 120 v. Chr. begonnenen Zuges sind bis auf eine Steinsäule nicht mehr vorhanden, die auf dem Schlossberg oberhalb Miltenbergs am Main gefunden wurde und einst als Grenzstein gedient haben muss. Die ersten beiden Zeilen lauten „Inter Toutonos“, von den anderen sind nur noch die Anfangsbuchstaben C, A und H erhalten: C für Cimbern,A für Ambronen und H stand vermutlich für den ursprünglich im Elbgebiet siedelnden Stamm der Hermunduren, der später in den Thüringern und Alemannen aufging und den Weg nach Süden mit antrat.
sich die Legionäre in die umliegenden Wälder flüchten konnten. Doch die siegreichen Germanen zogen nicht in das fruchtbare Oberitalien, sondern begaben sich vielmehr westwärts, in das Gebiet der Helvetier. Warum, weiß niemand. Bis heute bleibt diese Wendung rätselhaft.
Droht ein Einfall der Barbaren? Rom ist
in heller Aufregung
113 v. Chr.: Mittlerweile brodelt in Rom die Gerüchteküche. Dass es sich bei den Barbaren, die scheinbar ohne jede Probleme Papirius Carbo nebst zwei Legionen in die Flucht geschlagen hatten, um Germanen handelte, w usste man nicht. Erst Cäsar versuchte die Unterschiede zwischen Germanen und Kelten in „De Bello Gallico“ zu erläutern.
Für den gemeinen Römer machte es ohnehin keinen Unterschied, welcher Barbar die Omnipotenz der Tiberstadt
anzweifelte. Im Übrigen erklärten die Römer, der Volksname der Kimbern stamme aus dem Keltischen und b edeute „Plünderer“.
Tatsächlich schlossen sich den Auswanderern aus dem hohen Norden immer mehr nicht minder unternehmungslustige Gruppen an - Sueben, Kelten aus Süddeutschland, Boier, helvetische Tiguriner. Nach ein paar Jahren - so überliefern antike Historiker - befanden sich 300.000 Menschen auf der Wanderschaft.
Manch kleinere Verbände fanden eine neue Heimat und blieben zurück, neue kamen hinzu, die Ethnizität schien keine Rolle zu spielen.
Was hingegen zählte, war das gemeinsame Ziel: eine neue, ertragreiche Heimat. Von einer straff organisierten Unternehmung kann jedoch nicht gesprochen werden, man arrangierte sich bestenfalls. Häuptlinge trafen Übereinkünfte - mehr jedoch nicht. Es wundert also kaum, dass sich der Hauptzug der
Germanen nach der Schlacht von Noreia zwar anschickte, den Rhein zu überqueren, sich aber dann in viele Teile zersplittert durch Gallien bewegte - mal verhandelnd, mal kämpfend. Hier erreichten die Menschenmassen schließlich die römische Grenze, die Provinz Gallia Narbonensis südlich des Genfer Sees.
Doch auch diesmal wollte das Auftreten der Barbaren so gar nicht der Vorstellung der Römer entsprechen, wie sich Wilde zu verhalten hätten: Kimbern, Teutonen und ihre Mitstreiter baten freundlich um Land. 109 v. Chr. wurde dieses Ersuchen vor dem Senat Roms verhandelt, der kurzerhand ablehnte.
Und nicht nur dies: Er sandte Konsul Marcus Iunius Sila- nus, um das Problem ein für alle Mal zu beseitigen. Es kam zum Kampf - und abermals
zur Niederlage der Römer, die im wuchtigen Ansturm der Barbaren ihre Schlachtordnung nicht rechtzeitig entfalten konnten. Doch auch nutzten die siegreichen Germanen die Gunst der Stunde nicht. Da auch andere Aufeinandertreffen negativ für die Römer verliefen, musste Rom energischer werden.
Plündernd und brandschatzend hatten die Germanen - so die jüngste Information - unter ihrem König Boiorix ihren Weg durch die römische Provinz genommen, das Rhönetal verwüstet und waren sogar gewalttätig nach Innergallien vorgedrungen.
Jetzt traten ihnen in Arau- sio, einer Siedlung an der Rhône, dem späteren Orange in der Provence, gleich zwei römische Heere entgegen: unter Führung von Consul Gnaeus Manlius und Procon-
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sul Quintus Servilius Caepio. Doch was sich nun ereignete, ist angesichts der Bedrohung, in der sie sich befanden, kaum fassbar:
Consul Manlius jagte die Gesandten der Kimbern, die ein weiteres Mal um Frieden nachgesucht und um Ackerland und Saatgut gebeten hatten, empört davon, woraufhin diese gekränkt zu den Waffen griffen. Darüber hinaus brach zwischen den beiden Befehlshabern Streit aus. Caepio prahlte - dies überliefert der Historiker Cassius Dio - mit seinen Erfahrungen und Fähigkeiten und weigerte sich, mit Manlius zu kooperieren.
In der Schlacht bei Arausio unterliegen
die Römer
Die Römer waren also ohne einheitliche Planung, und als der Ansturm der Germanen begann, hatten sie dem nichts entgegenzusetzen.
Die röm ischen V erteidigungslinien brachen auseinander, als hätte es sie nie gegeben. Das Ergebnis war furchtbar: Beide Heere existierten faktisch nicht mehr. Angeblich lagen mehr als
^ Germanen bitten den römischen Konsul Gnaeus
Papirius Carbo (geb. um 135 v. Chr., gest. 82 v. Chr.
in Lilybaeum [Marsala]) um Siedlungsland
4 Waffen und Ausrüstung von Kelten und Germanen
bis ca. 500 n. Chr.
1 Dän. Rundschild2 Rüstärmel aus Bronze
3 Vergoldeter Bronzebeschlag
4 Germ. Pfeilspitze5 Germ. Frameaklinge
6 Bronzeaxt 7 Irisches Kriegshorn
8 Dänisches Skramasax 9 Kelt. Kurz-Schwert
10 Burgund. Eisenschwert mit langem Griff
11 Scramasax, eisern. Hiebmesser
12 Germ. Eisen-Schwert 13 Germ. Schwert
14 Germ. Kriegshammer
Wo lag Noreia?
Bis in die Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts nahm man an, dass das Noreia der Kimbernschlacht 113 v. Chr. in der Steiermark läge. Erst archäologische Untersuchungen wiesen auf Kärnten hin. Nachstehend ein Auszug aus der Grazer „Tagespost“ Nr. 349 vom 18. Dezember 1929:
„Die uralte Begehung des Vierber- gelaufens in Mittelkärnten u/eist auf einen zugleich geographischen und kultischen Mittelpunkt hin, der in Hohenstein, westlich von St. Veit a.d. Glan, liegt. Dort sind auch die zahlreichsten inschriftlichen Zeugen für den Kult der Isis Noreia, der Landesrätin von Noricum, ans Tageslicht gekommen. Die vergleichende Analyse der Nachrichten Cäsars über die Gallier und der Strabos über die kleinasiatischen Galater lässt im Gebiet von Hohenstein ein keltisches Neme- ton erkennen, das als Hauptheiligtum des norischen Landes als Dryne- meton oder Vernemeton bezeichnet werden muss.*
Um das Drynemeton bewegte sich jährlich einmal, entweder zur Frühlingstag- und -nachtgleiche oder am 1. Mai, dem Tage der keltischen Bel- tane-Feuer, die Vierbergefahrt im Sinne des Sonnenlaufes von Ost nach West und endete nördlich des Neme- ton am Laurenziberg. Da Drynemeton ein Gattungsbegriff ist, musste eine an den Rändern des heutigen Haines entstehende Siedlung, die doch mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, einen eigenen Namen erhalten, als welcher der Name der Göttin angenommen werden darf.Die Nachrichten aus dem Altertum sind nicht so eindeutig, wie es mit Rücksicht auf die heimatkundliche und weltgeschichtliche Bedeutung
des Namens Noreia, an den sich die Erinnerung an die Kimbernschlacht des Jahres 113 v. Chr. knüpft, wünschenswert wäre. Der von Strabo angegebene Abstand von Aquileia, 1200 Stadien, führt keineswegs zwingend auf einen bestimmten Ort, da die Größe dieses Maßes wechselte. Mit dem niedrigsten Stadienmaß kommt man von Aquileiy an den Ostrand des Ossiachersees, mit dem höchsten in die Gegend von Pölling, nicht aber bis Obersteiermark. Die berühmte „Tabula Peutingerianau kennt zwei Noreia unmittelbar hintereinander, von denen indessen eines auf einer irrtümlichen Doppelschreibung beruhen dürfte. Doch ist zu bemerken, dass zwischen dem Noreia der Kimbernschlacht und der Verfassung jener römischen Weltkartefast 500 Jahre liegen, dass das An- toninische Reisebuch, das älter ist als die Tabula, Noreia nicht nennt und dass Plinius (gestorben 79 n. Chr.) es unter den untergegangenen Städten im Tauriskerland auf zählt.
Inschriftliche Belege für den Namen Noreia, wie sie der mittelkärntische Boden in reicher Zahl bietet, fehlen im obersteirischen Gebiet bisher völlig. Die Berichte über die Schlacht von Noreia, besonders der ausführliche bei Appian, weisen durch die geschilderten strategischen Bewegungen des römischen Heeres auf ein Gebiet, das, nicht allzu weit von den Grenzen Italiens entfernt, eine Umgehungsmöglichkeit bietet, wie sie nur durch die Ossiacher- und Wörthersee-Senkung und das Glantal gegeben ist. Das aus der „Tabula Pautigeriana(< für Obersteiermark erschlossene Noreia verdankt seine Benennung einer Übertragung des kärntischen Noreia- Namens, die in die Zeit nach der Kimbernschlacht anzusetzen ist."
100.000 römische Soldaten verstümmelt, sterbend oder tot auf dem Schlachtfeld. Wer überlebte, durfte nicht mit Gnade rechnen, denn die Sieger opferten ihre Feinde nach traditionellem Ritus.
Der griechische Geograf Strabo berichtet, wie kimbri- sche Priesterinnen die Gefangenen zu einem riesigen Bronzekessel führen ließen. Dort hatte bereits eine barfüßige Priesterin eine Leiter erklommen. Einem Gefangenen nach dem anderen wurde nach ihrer Handbewegung die Kehle durchgeschnitten. Aus dem ausströmenden Blut deutete sie nunmehr die siegreiche Zukunft der Kimbern.
Keine Überlebenden! Nichts sollte von dem
Feind übrig bleiben
Anderen Gefangenen wiederum schlitzte man den Leib auf, um aus den vorquellenden Gedärmen den Willen der Götter zu lesen. Eine dritte Gruppe fand ihr Ende aufgeknüpft an Ästen. Kleider wurden zerrissen, Pferdegeschirre zerhackt, selbst prächtige Beutegüter zertrümmert und im Fluss versenkt. Nicht einmal vor den Pferden machte man halt, die kaltblütig ertränkt wurden. Nichts sollte vom Feind übrig bleiben.
Als ,einer der wenigen Überlebenden dieses Spektakels, ein hochrangiger Offizier, die Germanen vor der Vergeltung Roms warnte, fühlte man sich unerträglich provoziert und erschlug ihn kurzerhand.
6. Oktober 105 v. Chr., der Tag vor den Nonen des Oktober. Dieses Datum steht für eine der größten Niederlagen der Römer und sollte als Unglückstag in die römische Geschichte eingehen.
Da half es auch nicht, dass der Senat Konsul Caepio nach dessen Rückkehr seines Postens enthoben und sein Vermögen konfisziert hatte. Der Weg nach Rom stand und
blieb offen. Aber auch diesmal ereignete sich, was niemand ahnen konnte: Die Römer hielten es für Tollheit, um nicht zu sagen barbarische Dummheit, dass die Germanen nicht ostwärts gen Italien zogen, sondern sich Richtung Massa- lia wandten, dem heutigen Marseille.
Wieder einmal zeigte sich, dass ein derartig riesiger Menschenzug nur schwer führ- und schon gar nicht kontrolliertbar war. Die Wege von Kimbern, Teutonen und all der anderen sie begleitenden Stämme trennten sich.
Während die Teutonen den Weg Richtung Norden Galliens einschlugen, überquerten die Kimbern die Pyrenäen und drangen in die Iberische Halbinsel ein.
Rom atmete auf, aber nicht lange. Drohten im Norden die Wilden, unternahmen im Süden, genauer Sizilien, 30.000 Sklaven einen Aufstand, und
darüber hinaus brach in Numidien ein gefährlicher Thronstreit aus, in den Rom involviert wurde.
Rom suchte nach einem Retter. Ein Jahr nach der Niederlage von Arausio hatte es ihn gefunden: Gaius Marius - als aufstrebender „homo novus“ und Vertreter populärer Politik zwar nicht unumstritten, aber ein gewiefter Stratege, der sogar den Numidier Ju- gurtha besiegt hatte.
Marius reformiert das Heer und führt neue
Waffen einMarius schuf binnen zwei Jah ren, was zur Basis der römischen Weltherrschaft werden sollte: ein von grundauf reformiertes, hoch motiviertes Berufsheer, dessen Veteranen nach 16 Jahren Dienst ein Stück Land erhalten würden. Er veränderte die Binnen
struktur des nun für den Dienst zunehmend attraktiveren Heeres und führte neue Waffen ein wie den gefürchteten Speer („pilum“).
Unterdessen waren die Kimbern in Spanien auf den erbitterten Widerstand der Keltiberer gestoßen und wieder nach Gallien zurückgekehrt. Mit den Teutonen zunächst wiedervereint, beschlossen sie, in Oberitalien sesshaft zu werden.
Um ihre Marschgeschwindigkeit zu erhöhen oder den Feind zu verwirren und kein einheitliches Ziel zu bieten, zogen sie (wieder einmal) Oberitalien getrennt entgegen: Teutonen und Ambronen auf dem kürzeren Weg entlang der Westalpen, die Kimbern entlang den nördlichen Alpen, um direkt in die Po- ebene einzufallen.
102 v. Chr. wandte sich Marius zunächst den Teutonen zu, anders gesagt: Er erwarte-
Nach dem Sieg der Kimbern und Teutonen bei
Arausio vergingen wiederum drei Jahre.
Die Kimbern versuchten, über die Pyrenäen ans
Meer zu gelangen. Teutobod und seine
Teutonen waren in Nordgallien und Belgien
eingefallen, die Besetzung aber gelang nicht.
Beide Völker hatten sich daher wiedervereint und
verbrachten im Raum des heutigen Paris ihr
18. Winterlager. In einer letzten Anstrengung
wollten sie Rom angreifen und beschlossen,
getrennt zu marschieren: Die Kimbern rückten
gegen Obertitalien vor, die Teutonen folgten dem
Lauf der Rhône, um von Südwesten her über die
Alpen zu gelangen
4 Der römische Feldherr Gaius Marius (geb. 158
oder 157 v. Chr. in Cereatae nahe Arpinum,
gest. 13. Januar 86 v. Chr. in Rom) lässt die Kimbern
an seinem Feldlager vorbeiziehen, um ihnen in
den Rücken zu fallen. Nachkolorierter Holzstich
um 1860
ZUG DER KIMBERN UND TEUTONENGOTE«Zug der Kimbern
Zug der Teutonen Schlachten Siedlungsversuch
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te sie in seinem befestigten Lager, das er inmitten des Rhönetals hatte errichten lassen - für 35.000 römische Soldaten. Seine Strategie war, den Germanen stets zuvorzukommen, um seinen Männern die Furcht vor dem „ furor teutoni- cus“ zu nehmen.
Als der teutonische Häuptling Teutobos erkannte, die Römer nicht aus ihren befestigten Lagern herauslocken und zum Kampf stellen zu können, beschloss er, sein Volk am Gegner vor-
4 Nach germanischem Brauch wurden die römischen Gefangenen von Priesterinnen geopfert, um aus dem Blut die eigene Zukunft zu deuten. Holzstich nach einer Zeichnung von Wilhelm von Lindenschmitt, 19. Jahrhundert
bei direkt nach Italien zu führen. Dies war der eigentliche Auftakt zur Verfolgung.
Marius brach das Lager ab und folgte dem Feind mit seinem Heer in einiger Entfernung und unter ständiger Beobachtung.
Die Römer stellen Teutonen zur Ent
scheidungsschlachtJede Nacht ließ er seine Legionäre ein Lager errichten, gesichert durch Palisaden aus Pfählen, die ein jeder von ihnen im Marschgepäck mit sich führte, und durch Schanzen, die täglich in mühevoller, aber lohnender Arbeit angelegt werden mussten.
Schließlich erreichten die Germanen Aquae Sextiae, das heutige Aix-en-Provence. Von hier aus war der Weg nach Italien nicht mehr weit. Nun bot Marius den Teutonen endlich die lang ersehnte Entscheidungsschlacht an.
^ Um ihr Ziel schneller zu erreichen, sollen Kimbern die Alpen auf ihren Schilden herunterrutschend überquert haben.Nachkolorierter Holzstich von Johann Nepomuk Geiger
Während er sein Lager oberhalb eines kleinen Flusses aufschlug, kampierten die Ambronen und Teutonen am Ufer, genossen die heißen Quellen, die sie für göttliches Wunderwerk hielten, und ließen es sich gut gehen.
All das erregte den Zorn der Legionäre, da - sei es ein Missgeschick in der Planung oder taktische Gerissenheit Marius’ - ihr Lager keinen Zugang zum Wasser hatte. Mit dem Verweis, dass seine Männer eben Wasser gegen Blut tauschen müssten, stachelte
sie Marius erfolgreich an. Immer wieder trafen die Römer mit kleinen Germanentrupps zusammen, forderten sie heraus und bedrängten sie.
Tatsächlich war das Gros des Feindes nicht kampfbereit. In der Provence hatten sie trotz aller kriegerischer Strapazen ein allzu gutes Leben geführt und zeigten sich „heiteren und ausgelassenen Sinnes“, was vom unver- mischt genossenen Wein herrührte (gemäß antiker Meinung untrügliches Zeichen für Säufer). Möglicherweise neigten sie in ihrer Stimmung zur Selbstüberschätzung oder zu überhöhter Risikobereitschaft.
Jedenfalls beschlossen die Ambronen, als Erstes gegen die Römer anzutreten. Zuerst beabsichtigten sie, den Gegner zu zermürben. Der Gegner wurde so Zeuge eines beeindruckenden Kampf rituals:
Die germanischen Krieger bildeten eine Linie und begannen, rhythmisch Speere, Schilde und Schwerter aufeinanderzuschlagen, sich dabei
unter Furcht einflüßendem Gesang gleichmäßig in hohen Sprüngen vorwärts zu bewegen. Allerdings ließen sich die Römer mittlerweile von derartigem Gebaren nicht mehr beeindrucken, was der psychologischen Schulung ihres Feldherrn Marius zuzuschreiben war.
Als die Ambronen den Fluss überquerten, geriet ihr Schauangriff in Unordnung, und genau in diesem Moment stürzten die mit Rom verbündeten Ligurer ihnen entgegen.
Totale Niederlage von Ambronen und
Teutonen
Die Reihen der Angreifer wankten bereits, als die Legionäre eingriffen. Ihre Attacke machte das Chaos perfekt. Die Ambronen flohen, taumelten zurück zum Fluss und behinderten sich gegenseitig.
Wer es bis zur Wagenburg schaffte, wurde von den dort verschanzten Frauen
mit Schwertern und Äxten erwartet, die sich ihren Männern, Vätern und Brüdern schreiend in den Weg stellten, damit sie umkehrten, um die nachsetzenden Legionäre zurückzudrängen. Vergebens. Für die Römer war es der erste große Sieg. Aber noch war der weitaus größere Teil des Feindes nicht bezwungen.
Die Nacht verbrachten die Römer in ihrem provisorischen Lager, voller Sorge über einen Ansturm der Teutonen, den sie in dieser Phase kaum überstanden hätten. Doch diese ergingen sich zunächst nur in Totenklagen, Weinen, Wutgebrüll und Drohungen - so-
^ Kimbrische Frauen in der Schlacht bei Vercellae am 30. Juli 101 v. Chr. In der Tat ist der selbstlose und mutige Einsatz von Germaninnen überliefert. Nachkolorierter Holzstich von Johann Nepomuk Geiger
gar Marius soll über das Ausmaß bestürzt gewesen sein.
Erst bei Tagesanbruch war es so weit. Während der Gegner blindwütig gegen die Römer anstürmte, nutzte Marius die geografischen Gegebenheiten und ließ seine Soldaten vor dem Lager Stellung beziehen. Nur die Reiterei schickte er ihnen entgegen.
Sonne, Staub, Wind und Höhe - die Teutonen hatten kaum eine Chance. Schild an Schild rückten die Legionäre in eingeübten Formationen vorwärts, lichteten mit ihren „pila“ die Reihen der Gegner, den sie immer weiter zurückdrängten.
Als 3000 Legionäre aus dem Hinterhalt hervorbrachen - Marius hatte sie am Vorabend in den Rücken des Feindes entsandt - war das Schicksal der Teutonen besiegelt.
Die meisten wurden niedergemetzelt, nur wenigen gelang die Flucht; viele Frauen begingen Selbstmord, um nicht in die Hände der Soldaten zu fallen. Stürmisch feier
te Rom das Ende von Teutonen und Ambronen.
Im Triumph führte Marius den gefangen genommenen König der Teutonen vor und
^ Marius auf einem Beobachtungsturm in
seinem Lager
Nun wird es sich zeigen, ob wir aus den 50.000 Bauern, Hafenarbeitern und Tagedieben, die Rom mir mitgegeben hat, ein brauchbares
Kriegsheer gemacht haben. Wir versperren den anrückenden Feinden keine Furt und keinen Weg.
Wir lassen sie bis an den Graben unseres Lagers heran. Über die Brustwehr unseres Walles
hinweg sollen sich unsere Soldaten die blonden Wüteriche erst einmal anschauen und sich
an ihren Anblick gewöhnen!
Der römische Feldherr Marius in der fiktiven, aber wirklichkeitsnahen Erzählung „Die Kimbern und Teutonen“
„Schlacht des Marius.“ } Kupferstich nach einem Gemälde von Johann Michael Mettenleiter
Catulus sollte mit seinen jungen Soldaten den Stoß des germanischen Heeres auffangen und den Feind in der Front so lange binden, bis Marius mit Altgedienten durch Einschwenken die Umfassung gelingen würde. Der Kimbernkönig Boiorix versuchte indessen durch ein geschicktes Manöver, die Römer auf der rechten Seite zu iiber- berflügeln und zwischen seine Reiterei und sein links stehendes Fußvolk zu bringen
mit ihm Tausende von Gefangenen. Dies hielt den Zug der Kimbern jedoch nicht auf. Im Gegenteil, und Marius erhielt unangenehme Nachrichten.
Das Verteidigungskonzept von Quintus Lutatius Catulus hatte sich als untauglich erwiesen, die Kimbern waren völlig unbeeindruckt von jedweder militärischen Maßnahme auf ihren Schilden die Abhänge der Alpen heruntergeschlittert. Italien lag offen vor ihnen.
Schlacht bei Vercellae im Jahr 101 v. Chr.
führt zum Untergang
M ittlerweile hatten sie die Etsch erreicht und um ihren Mut und ihre Stärke zu demonstrieren vis-à-vis zum Lager des Konsuls Bäume, Felsbrocken und Erde zu einem eigenen Lager aufgetürmt und schließlich die Römer aus ihrer Verschanzung vertrieben.
In Eilmärschen begab sich Marius an die Etsch, zeitgleich marschierten Truppen aus der Gallia Narbonensis heran.
Die Kimbern wichen jedoch immer wieder einer Entscheidungsschlacht aus - angeblich um sich mit den Teutonen zu vereinigen.
Doch weshalb sollten sie nach einem Dreivierteljahr nicht längst von deren Untergang erfahren haben? Auf den Raudischen Feldern bei Ver
cellae, südwestlich vom heutigen Mailand, kam es am 30. Juli 101 v. Chr. schließlich zur Begegnung, nachdem der kimbrische König Boiorix seinem Widersacher Marius die Wahl von Ort und Zeit überlassen hatte.
Die Römer nahmen Aufstellung im Osten (Catulus im Zentrum, Marius auf beiden Flügeln), die Kimbern rückten in zwei getrennten Heerhaufen (Fußvolk links, Reiterei rechts) im Westen an - und damit gegen die Sonne, was sich in der gleißenden Som
merhitze als nachteilig auswirken sollte. Über die Stärkeverhältnisse gibt es zwar einheitliche Angaben, die aber geschönt sein dürften, um den Sieg im Nachhinein zu glorifizieren.
Plutarch berichtet von 52.300 Römern (20.300 unter Catulus, 32.000 unter Marius), denen 160.000 Kimbern (mit Frauen und Kindern) und15.000 Mann Reiterei gegenübergestanden haben sollen.
Die kimbrische Reiterei eröffnete den Angriff nicht in der Front, sondern gegen den
„Nachdem der kimbrische Heerbann niedergemacht worden war, griffen die Römer die Wagenburg an, die sie bis dahin
nicht hatten einnehmen können. Denn alles, was nur eine W affe halten und werfen, hauen oder stechen konnte, hatten
die Kimbern zur Verteidigung aufgeboten.Jungen und Mädchen standen zwischen Frauen au f den Wagen,
und auch viele Verwundete hatten ihre Strohlager verlassen und kämpften m it“
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Dr. Tanja von Werner,
Frankfurt a.M.
Gefangene } Germaninnen.
Nach einer Zeichnung von Ferdinand Leeke
linken römischen Flügel, um den Gegner - taktisch durchaus klug - zwischen sich und das eigene schlagkräftige Fußvolk zu bringen.
Die Feldherren Marius und Catulus erkannten die List zwar, konnten aber nicht energisch genug eingreifen, da die in der trockenen Ebene durch das Kampfgetümmel aufgewirbelten Staubmassen eine lagegerechte Reaktion nicht zuließen.
Extreme Trockenheit und Hitze waren zweifellos mächtige Verbündete der Römer, die in der Unübersichtlichkeit der Schlacht und im Kampf Mann gegen Mann den von Strapazen und die genannten äußeren Einflüsse geschwächten Germanen zweifellos überlegen waren.
Nicht römische Taktik besiegelte die Niederlage der Barbaren, sondern Geschick und Tapferkeit des einzelnen Legionärs, wobei die Truppen des Catulus die größere Last des Kampfes zu tragen hatten.
Catulus und Marius streiten über ihren
Anteil am Sieg
Die erbarmungslose Verfol- gung des Feindes und die Konsequenz der Kimbern, sich und die Angehörigen selbst zu töten, führte zu dem entsetzlichen Blutbad, dessen glücklichen Ausgang sowohl Marius als auch Catulus für sich verbuchten - und sich darüber zerstritten.
Mit dem Sieg bei Vercellae begann eine vierhundertjährige Auseinandersetzung zwischen Rom und den germanischen Völkerschaften. ■