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Q 62 Donnerstag, 24. Dezember 1981 Nr. 299 WOCHENENDE 31cnc ^iirdjcr 3cHung Aus allen, halhverrostelen Oelfässern stellt der antiguanische Instrumentenbauer Vincent Freeland hellklingende, fein abgestimmte Trommeln her. Freeland besitzt zwar eine Art Atelier, arbeitel aber meist auf der Strasse. Musik aus Oelfässern Von Peter Figlestahler (Text) und Kurt Schollenberger (Photos) Vincent Freelands Haus und Werkstatt auf der kleinen Antil- leninsel Antigua sehen auf den ersten Blick nicht wie die eines international hochangesehenen Instrumentenbauers aus. Seine Werkzeuge und Arbeitsmaterialien liegen kreuz und quer umher, einige sogar auf einem einer Müllhalde ähnlichen Platz. Aber Vincent Freeland macht sich nicht sehr viel daraus, dass sein Arbeitsplatz an eine Gerümpelkammer oder die Hinterhof- idylle einer vergammelten Tankstelle erinnert. Seine Arbeit ver- richtet er meistens auf der Strasse, im wärmenden Licht der karibischen Sonne. Und seine Inspirationen bezieht er primär aus der Idylle, die ihn umgibt . Vincent Freeland stellt aus Abfall, wenn man so will, eines der wunderbarsten Instrumente karibischer Populärmusik her. Die hell wie Stahl klingenden «oil drums» oder «oil pans» der auch hierzulande immer bekannter werdenden Steelbands wer- den von ihm in präziser Feinarbeit mit Klöppelhammer und kleinem Eisenmeissel aus alten, halbverrosteten Oelfässern an- gefertigt. Die Fässer besorgt er sich im Hafen von Antigua, bei befreundeten Tankstellenbesitzern oder auf dem nahe gelege- nen amerikanischen Militärstützpunkt. Jedes Fass, so sagt er, ergebe je nach Grösse und Beschaffen- heit des Materials ein anderes Instrument. Der obere Teil, «pan» oder Pfanne genannt, wird meist für Tenor und Sopran abgetrennt, für den Bass verwendet man fast immer das ganze Fass. Damit aus den Fässern Töne gezaubert werden können, werden sie zunächst mit einem grossen Hammer sanft einge- buchtet. Dabei kann manches Fass, falls es zu rostig ist oder aus unnachgiebigem Material besteht, springen und somit un- brauchbar werden. In die brauchbaren Fässer werden schliess- lich die einzelnen Töne mit einem kleinen Eisenmeissel einge- ritzt: die tiefen am Rand, die hohen in der eingebuchteten Mit- te. Die Feinabstimmung erfolgt mit einem kleineren Hammer und einem Mundklavier. Bei der Anordnung der Tonleiter rich- tet sich der Instrumentenbauer oft nach den individuellen Be- dürfnissen einzelner Musiker oder bestimmter Bands. Kein Mu- siker, keine Band könne auf den Instrumenten der anderen spielen. Das hänge mit dem individuellen Stil zusammen, den jeder Musiker und jede Band pflege. Und es habe mit der enor- men Rivalität zu tun, die unter den Steelbandorchestern herrsche. Allein auf Antigua gebe es zwischen dreissig und vier- zig, die sich gegenseitig konkurrenzieren, in der gesamten Kari- bik gar mehrere tausend! Diese Rivalität hängt eng mit der Geschichte der Steelband- musik zusammen. Steelbands wurden, so berichtete im vergan- genen Mai der Musikhistoriker Dalton James Narine in der Zeitschrift «Caribbean Life and Times», Ende der dreissiger Jahre auf den Nachbarinseln Trinidad und Tobago als «Stief- kinder der Strassenfeste» geboren. Die britische Kolonialregie- rung hatte kurz zuvor die Bambustambourine verboten, angeb- lich weil für deren Bau zuviel Bambus verschwendet wurde; der wahre Grund für das Verbot war wohl eher der, dass die Musik der Regierung allzu aufrührerisch laut erschien. Aber da sich viele Einheimische ihrer Musik nicht berauben lassen wollten, suchten sie Ersatz und begannen auf blechernen Keksschach- teln, kleineren Benzinfässern und Salatöldosen ihre Rhythmen zu trommeln. Anfang der vierziger Jahre brachte der Schlagzeuger Ellie Manette Melodie und Harmonie in den blechernen Klang, als er in ein kleineres Oelfass mit Hammer und Meissel fünf ver- schiedene Töne eingravierte. Manette hatte zuvor schon seine Mitstreiter überrascht, weil er sein «Schlagzeug» ausbuchtete, um den Klang besser kontrollieren zu können. Seine Konkur- renten fühlten sich in ihrem Ehrgeiz angestachelt, noch bessere Instrumente mit noch mehr Tönen herzustellen. Die neun- und dreizehntönigen «oil drums» entstanden. Und mit ihnen auch die ersten grösseren Orchester wie das Trinidad All Stars Phil- harmonic Orchestra, das seinen Instrumenten sogar symphoni- sche Töne entlockte. Heute bemüht man sich jedoch, den Konkurrenzneid der zahlreichen Orchester und Bands abzubauen. Das Beharren auf individuell angefertigten Instrumenten hat nicht nur die Weiter- gabe origineller Sounds, sondern auch die weitere Verbreitung der Musik erschwert. Erst seit angelsächsische Rock- und Jazz- musiker und nicht zuletzt zahlreiche schweizerische Karibiktou- risten an der Steelbandmusik den Narren gefressen haben, wer- den die Instrumente mehr und mehr standardisiert. Für die Feinabstimmung der Instrumente eines Orchesters braucht Free- land ein Mundklavier und einen kleinen Hammer. Mit Klöppelhammer und Eisenmeissel werden die einzelnen Töne in die eingebuchtete Trommelfläche graviert. Angeordnet werden die Klänge in- dividuell, je nach den Wünschen des Musikers. Steelbands bestehen heule meist aus zehn bis fünfzehn Musikern. Es gibt aber auch grössere Orchester mit bis .u vierzig Mann, die ihren Blechinstrumenten geradezu symphonische Klänge entlocken. Neue Zürcher Zeitung vom 24.12.1981

Musik aus Oelfässern

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Page 1: Musik aus Oelfässern

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62 Donnerstag, 24. Dezember 1981 Nr. 299 WOCHENENDE 31cnc ^iirdjcr 3cHung

Aus allen, halhverrostelen Oelfässern stellt der antiguanische Instrumentenbauer Vincent Freeland hellklingende, fein abgestimmte Trommeln her. Freeland besitzt zwar eine Art Atelier, arbeitel aber meist aufder Strasse.

Musik aus OelfässernVon Peter Figlestahler (Text) und Kurt Schollenberger (Photos)

Vincent Freelands Haus und Werkstatt auf der kleinen Antil-leninsel Antigua sehen auf den ersten Blick nicht wie die einesinternational hochangesehenen Instrumentenbauers aus. SeineWerkzeuge und Arbeitsmaterialien liegen kreuz und querumher, einige sogar auf einem einer Müllhalde ähnlichen Platz.Aber Vincent Freeland macht sich nicht sehr viel daraus, dasssein Arbeitsplatz an eine Gerümpelkammer oder die Hinterhof-idylle einer vergammelten Tankstelle erinnert. Seine Arbeit ver-richtet er meistens auf der Strasse, im wärmenden Licht derkaribischen Sonne. Und seine Inspirationen bezieht er primär

aus der Idylle, die ihn umgibt.

Vincent Freeland stellt aus Abfall, wenn man so will, einesder wunderbarsten Instrumente karibischer Populärmusik her.Die hell wie Stahl klingenden «oil drums» oder «oil pans» derauch hierzulande immer bekannter werdenden Steelbands wer-den von ihm in präziser Feinarbeit mit Klöppelhammer undkleinem Eisenmeissel aus alten, halbverrosteten Oelfässern an-gefertigt. Die Fässer besorgt er sich im Hafen von Antigua, beibefreundeten Tankstellenbesitzern oder auf dem nahe gelege-

nen amerikanischen Militärstützpunkt.

Jedes Fass, so sagt er, ergebe je nach Grösse und Beschaffen-heit des Materials ein anderes Instrument. Der obere Teil,«pan» oder Pfanne genannt, wird meist für Tenor und Sopranabgetrennt, für den Bass verwendet man fast immer das ganze

Fass. Damit aus den Fässern Töne gezaubert werden können,

werden sie zunächst mit einem grossen Hammer sanft einge-

buchtet. Dabei kann manches Fass, falls es zu rostig ist oder ausunnachgiebigem Material besteht, springen und somit un-brauchbar werden. In die brauchbaren Fässer werden schliess-

lich die einzelnen Töne mit einem kleinen Eisenmeissel einge-

ritzt: die tiefen am Rand, die hohen in der eingebuchteten Mit-te. Die Feinabstimmung erfolgt mit einem kleineren Hammerund einem Mundklavier. Bei der Anordnung der Tonleiter rich-tet sich der Instrumentenbauer oft nach den individuellen Be-

dürfnissen einzelner Musiker oder bestimmter Bands. Kein Mu-siker, keine Band könne auf den Instrumenten der anderenspielen. Das hänge mit dem individuellen Stil zusammen, denjeder Musiker und jede Band pflege. Und es habe mit der enor-

men Rivalität zu tun, die unter den Steelbandorchesternherrsche. Allein auf Antigua gebe es zwischen dreissig und vier-zig, die sich gegenseitig konkurrenzieren, in der gesamten Kari-bik gar mehrere tausend!

Diese Rivalität hängt eng mit der Geschichte der Steelband-musik zusammen. Steelbands wurden, so berichtete im vergan-genen Mai der Musikhistoriker Dalton James Narine in derZeitschrift «Caribbean Life and Times», Ende der dreissiger

Jahre auf den Nachbarinseln Trinidad und Tobago als «Stief-kinder der Strassenfeste» geboren. Die britische Kolonialregie-rung hatte kurz zuvor die Bambustambourine verboten, angeb-

lich weil für deren Bau zuviel Bambus verschwendet wurde; derwahre Grund für das Verbot war wohl eher der, dass die Musikder Regierung allzu aufrührerisch laut erschien. Aber da sichviele Einheimische ihrer Musik nicht berauben lassen wollten,

suchten sie Ersatz und begannen auf blechernen Keksschach-teln, kleineren Benzinfässern und Salatöldosen ihre Rhythmen

zu trommeln.Anfang der vierziger Jahre brachte der Schlagzeuger Ellie

Manette Melodie und Harmonie in den blechernen Klang, als

er in ein kleineres Oelfass mit Hammer und Meissel fünf ver-schiedene Töne eingravierte. Manette hatte zuvor schon seine

Mitstreiter überrascht, weil er sein «Schlagzeug» ausbuchtete,

um den Klang besser kontrollieren zu können. Seine Konkur-renten fühlten sich in ihrem Ehrgeiz angestachelt, noch bessere

Instrumente mit noch mehr Tönen herzustellen. Die neun- unddreizehntönigen «oil drums» entstanden. Und mit ihnen auchdie ersten grösseren Orchester wie das Trinidad All Stars Phil-harmonic Orchestra, das seinen Instrumenten sogar symphoni-

sche Töne entlockte.

Heute bemüht man sich jedoch, den Konkurrenzneid derzahlreichen Orchester und Bands abzubauen. Das Beharren aufindividuell angefertigten Instrumenten hat nicht nur die Weiter-gabe origineller Sounds, sondern auch die weitere Verbreitung

der Musik erschwert. Erst seit angelsächsische Rock- und Jazz-musiker und nicht zuletzt zahlreiche schweizerische Karibiktou-risten an der Steelbandmusik den Narren gefressen haben, wer-den die Instrumente mehr und mehr standardisiert.

Für die Feinabstimmung der Instrumente eines Orchesters braucht Free-land ein Mundklavier und einen kleinen Hammer.

Mit Klöppelhammer und Eisenmeissel werden die einzelnen Töne in dieeingebuchtete Trommelfläche graviert. Angeordnet werden die Klänge in-

dividuell, je nach den Wünschen des Musikers.

Steelbands bestehen heule meist aus zehn bis fünfzehn Musikern. Es gibt aber auch grössere Orchester mit bis .u vierzig Mann, die ihren Blechinstrumenten geradezu symphonische Klänge entlocken.

Neue Zürcher Zeitung vom 24.12.1981