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© 2003 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin • Bauphysik 25 (2003), Heft 6 350 Aufsatz Prof. Dr.-Ing. Helmut V. Fuchs: Stv. Institutsleiter und Leiter der Abteilung Raumakustik/Technische Akustik des Fraunhofer-Insti- tuts für Bauphysik IBP, Nobelstr. 12, 70569 Stuttgart Der Zeitpunkt für eine grundlegende Erneuerung von DIN 18041 „Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen“ könnte nicht passender als gerade jetzt sein. Sie dient der raumakustischen Auslegung für Sprachkommunikation als der anspruchsvollsten Art der Raumnutzung, wenn die in diesem Aufsatz aufgeführten Mängel in der Endfassung der Norm berücksichtigt werden. Daß gute Raumakustik auch unter den ökonomischen Randbedin- gungen der anhaltenden Rezession im Baugeschehen möglich ist, zeigt eine Reihe von ausgeführten Beispielen bei Neubauten wie bei Sanierungen. Revised version of DIN 18041 – a wake-up call for room acous- tics. The timing for a new DIN 18041 – „Acoustical quality in small to medium-sized rooms“ – could not be more appropriate than the present time. The standard is a useful tool for the acou- stic design of rooms for voice communication (representing the most demanding type of space utilisation), provided the short- comings of the current draft – addressed in this article – are con- sidered in its final version. A number of completed new con- struction and refurbishment projects serve as examples to demonstrate that the aims of the standard can be achieved, even under the current economic boundary conditions of conti- nuing recession within the building sector. 1 Einleitung Das Baugewerbe liegt wie „im Koma“ – jedenfalls was z. B. den Büro-, Verwaltungs- und Schulbau angeht. Wo nur noch mit schmalsten Budgets in Gebäude investiert wird, öffnen Archi- tekten, Bauherren und Investoren nur ungern ein Ohr für raum- akustische Maßnahmen beim Innenausbau. Die verbreitete „Bewußtlosigkeit“ und Ignoranz der Bauschaffenden gegenüber fundamentalen akustischen Erfordernissen für kommunika- tionsintensiv genutzte Räume rächt sich aber immer häufiger dadurch, daß Bauleistungen, die dem bestimmungsgemäßen Gebrauch nicht genügen, nicht mehr abgenommen werden. Teure Nachbesserungen sind oft die Folge, nachdem ausgiebig über die in Baubeschreibungen u. ä. Unterlagen meist nur vage formulierten raumakustischen Anforderungen gestritten wurde. 2 Hörsamkeit in Räumen: Neue Norm könnte helfen Oftmals kommt es erst bei der feierlichen Übergabe oder Inbe- triebnahme solcher Kommunikations-Räume mit vielen Perso- nen zu einem bösen Erwachen. Der natürlich für alles verant- wortliche und durch zu vieles überforderte Architekt erinnert sich, unter Druck gesetzt, gf. an seinen Bauakustiker, damit die- ser ihm zumindest einen Teil der Schuldlast abnähme. Landet der Streit gar vor einem Richter, so kann sich dieser nur über sachverständige Gutachter und oft „ohrenbetäubende“ Bege- hungen ein eigenes Urteil bilden. Ein verbindlicher Standard, wie ihn DIN 4109 für die Bauakustik seit langem beschreibt, K. Gösele sei Dank, fehlt für die Raumakustik bisher, so daß und obgleich die Beanstandungen, gerade in Kommunikations- und Dienstleistungszentren häufig und gravierend sind. Viel zu lautes Kommunizieren wird zwar manchmal auf schlechten Schall- schutz z. B. gegen Verkehrslärm geschoben, aber in den meisten Fällen liegt der Grund für hohe Sprachpegel in der schlechten „Hörsamkeit“, d. h. der mangelnden Eignung eines Raumes für Schalldarbietungen, insbesondere sprachliche Kommunikation, d. h. „Austausch von Informationen zur Verständigung zwischen Menschen“ [1]. Die neue Raumakustik-Norm DIN 18041 könn- te eine gefährliche Lücke zur rechten Zeit schließen. Aktuelle Bauweisen und Baustoffe ebenso wie Ausstattung und Möblierung von Räumen provozieren geradezu eine schlechte Raumakustik. Das gilt besonders für die Restaurierung denkmal- geschützter Bauwerke, weil man zwar bemüht ist, ihre Grob- und Feinstruktur nach Skizzen oder Zeichnungen, als „nackte“ Tragstrukturen wiederherzustellen, ohne die oft vielfältigen (reflektierenden) Einbauten und diversen (absorbierenden) Ver- kleidungen zu berücksichtigen, die erst in ihrem Zusammenwir- ken einem Auditorium seine gerühmte „Akustik“ verliehen haben. Man vergleiche dazu mit Vorhängen und Plüsch üppig ausstaffierte alte Säle mit einer zeitgemäß spartanisch eingerich- teten Tagungsstätte (Bild 1). Dabei sind die Anforderungen an die Sprachverständlichkeit (richtig erkannte Silben, Wörter und Sätze [1]) bei dem heute viel höheren Anteil von Schwerhörigen (in Deutschland generell ca. 20%) und Fremdsprechenden, z. B. in Konferenzen oder Schulen (hier nicht selten über 50%), ein- deutig höher als vor 100 Jahren, zumal heute das isolierte Pro- klamieren und frontale Unterrichten zugunsten einer interakti- ven Kommunikation zurück tritt. Helmut V. Fuchs Neufassung von DIN 18041 – ein Weckruf für gute Raumakustik Herrn Prof. Dr.-Ing. habil Dr. h. c. mult. Dr. E. h. mult. Karl Gertis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gewidmet Bild 1 Auch aufwendig restaurierte Versammlungsräume (hier: Aula im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Berlin) sollten hohen raumakustischen Anforderungen genügen, wenn darin z. B. internationale Konferenzen stattfinden

Neufassung von DIN 18041 - ein Weckruf für gute Raumakustik

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© 2003 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin • Bauphysik 25 (2003), Heft 6

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Aufsatz

Prof. Dr.-Ing. Helmut V. Fuchs: Stv. Institutsleiter und Leiter derAbteilung Raumakustik/Technische Akustik des Fraunhofer-Insti-tuts für Bauphysik IBP, Nobelstr. 12, 70569 Stuttgart

Der Zeitpunkt für eine grundlegende Erneuerung von DIN 18041„Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen“ könnte nichtpassender als gerade jetzt sein. Sie dient der raumakustischenAuslegung für Sprachkommunikation als der anspruchsvollstenArt der Raumnutzung, wenn die in diesem Aufsatz aufgeführtenMängel in der Endfassung der Norm berücksichtigt werden. Daßgute Raumakustik auch unter den ökonomischen Randbedin-gungen der anhaltenden Rezession im Baugeschehen möglich ist,zeigt eine Reihe von ausgeführten Beispielen bei Neubauten wiebei Sanierungen.

Revised version of DIN 18041 – a wake-up call for room acous-tics. The timing for a new DIN 18041 – „Acoustical quality insmall to medium-sized rooms“ – could not be more appropriatethan the present time. The standard is a useful tool for the acou-stic design of rooms for voice communication (representing themost demanding type of space utilisation), provided the short-comings of the current draft – addressed in this article – are con-sidered in its final version. A number of completed new con-struction and refurbishment projects serve as examples todemonstrate that the aims of the standard can be achieved,even under the current economic boundary conditions of conti-nuing recession within the building sector.

1 Einleitung

Das Baugewerbe liegt wie „im Koma“ – jedenfalls was z. B. denBüro-, Verwaltungs- und Schulbau angeht. Wo nur noch mitschmalsten Budgets in Gebäude investiert wird, öffnen Archi-tekten, Bauherren und Investoren nur ungern ein Ohr für raum-akustische Maßnahmen beim Innenausbau. Die verbreitete„Bewußtlosigkeit“ und Ignoranz der Bauschaffenden gegenüberfundamentalen akustischen Erfordernissen für kommunika-tionsintensiv genutzte Räume rächt sich aber immer häufigerdadurch, daß Bauleistungen, die dem bestimmungsgemäßenGebrauch nicht genügen, nicht mehr abgenommen werden.Teure Nachbesserungen sind oft die Folge, nachdem ausgiebigüber die in Baubeschreibungen u. ä. Unterlagen meist nur vageformulierten raumakustischen Anforderungen gestritten wurde.

2 Hörsamkeit in Räumen: Neue Norm könnte helfen

Oftmals kommt es erst bei der feierlichen Übergabe oder Inbe-triebnahme solcher Kommunikations-Räume mit vielen Perso-nen zu einem bösen Erwachen. Der natürlich für alles verant-wortliche und durch zu vieles überforderte Architekt erinnertsich, unter Druck gesetzt, gf. an seinen Bauakustiker, damit die-ser ihm zumindest einen Teil der Schuldlast abnähme. Landetder Streit gar vor einem Richter, so kann sich dieser nur über

sachverständige Gutachter und oft „ohrenbetäubende“ Bege-hungen ein eigenes Urteil bilden. Ein verbindlicher Standard,wie ihn DIN 4109 für die Bauakustik seit langem beschreibt, K.Gösele sei Dank, fehlt für die Raumakustik bisher, so daß undobgleich die Beanstandungen, gerade in Kommunikations- undDienstleistungszentren häufig und gravierend sind. Viel zu lautesKommunizieren wird zwar manchmal auf schlechten Schall-schutz z. B. gegen Verkehrslärm geschoben, aber in den meistenFällen liegt der Grund für hohe Sprachpegel in der schlechten„Hörsamkeit“, d. h. der mangelnden Eignung eines Raumes fürSchalldarbietungen, insbesondere sprachliche Kommunikation,d. h. „Austausch von Informationen zur Verständigung zwischenMenschen“ [1]. Die neue Raumakustik-Norm DIN 18041 könn-te eine gefährliche Lücke zur rechten Zeit schließen. Aktuelle Bauweisen und Baustoffe ebenso wie Ausstattung undMöblierung von Räumen provozieren geradezu eine schlechteRaumakustik. Das gilt besonders für die Restaurierung denkmal-geschützter Bauwerke, weil man zwar bemüht ist, ihre Grob-und Feinstruktur nach Skizzen oder Zeichnungen, als „nackte“Tragstrukturen wiederherzustellen, ohne die oft vielfältigen(reflektierenden) Einbauten und diversen (absorbierenden) Ver-kleidungen zu berücksichtigen, die erst in ihrem Zusammenwir-ken einem Auditorium seine gerühmte „Akustik“ verliehenhaben. Man vergleiche dazu mit Vorhängen und Plüsch üppigausstaffierte alte Säle mit einer zeitgemäß spartanisch eingerich-teten Tagungsstätte (Bild 1). Dabei sind die Anforderungen andie Sprachverständlichkeit (richtig erkannte Silben, Wörter undSätze [1]) bei dem heute viel höheren Anteil von Schwerhörigen(in Deutschland generell ca. 20%) und Fremdsprechenden, z. B.in Konferenzen oder Schulen (hier nicht selten über 50%), ein-deutig höher als vor 100 Jahren, zumal heute das isolierte Pro-klamieren und frontale Unterrichten zugunsten einer interakti-ven Kommunikation zurück tritt.

Helmut V. Fuchs

Neufassung von DIN 18041 – ein Weckruf für guteRaumakustikHerrn Prof. Dr.-Ing. habil Dr. h. c. mult. Dr. E. h. mult. Karl Gertis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gewidmet

Bild 1 Auch aufwendig restaurierte Versammlungsräume (hier:Aula im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Berlin)sollten hohen raumakustischen Anforderungen genügen, wenndarin z. B. internationale Konferenzen stattfinden

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3 Mängel im Entwurf zu DIN 18041

Damit die neue Norm [1] aber mehr Klarheit über aktuelleAnforderungen und praktikable Maßnahmen zu ihrer Erfüllungbringt und nicht die selbst in Fachkreisen verbreitete Unsicher-heit noch vergrößert, sollte sie gegenüber dem Entwurf vomApril d. J. in einigen Punkten präzisiert und aktualisiert werden.Wenn zwei der drei wesentlichen Änderungen gegenüber derFassung aus dem Jahre 1968 [1, S. 4] die „Frequenzabhängigkeitder Nachhallzeiten“ und die ebenfalls stark frequenzabhängige„Einschränkung des Hörvermögens“ betreffen sollen, dann darfbeim Lesen der 42 langen Seiten das Vorurteil nicht bestätigtwerden, daß raumakustische Probleme am besten mit den kon-ventionellen Mitteln zur Dämpfung hoher und mittlerer Fre-quenzen gelöst werden, wenn es „nur um Sprache“ geht. Wenndie Norm schließlich für so kommunikationsintensive Räumewie Gaststätten, Mehrpersonen- und Großraumbüros, Anwalts-und Arztpraxen oder Operationssäle (Räume der Gruppe B„über geringere Entfernungen“ [1]) nicht einmal die Einhaltungeines Sollwertes der Nachhallzeit nach [1, Bild 1], geschweigedenn des Toleranzbandes nach [1, Bild 2] für erforderlicherklärt, dann ist beim Rat suchenden Leser, der ein Problem derSprachkommunikation in seiner Umgebung oder bei seinemKunden zu lösen hat, die Verwirrung perfekt.

Stattdessen sollte die Norm klarer unterscheiden zwischen(a) Musik (obere Sollkurve),(b) Sprachdarbietung (mittlere Sollkurve, wenn in der Regel nur

eine Schallquelle im Raum sendet) und(c) Sprachkommunikation (untere Sollkurve, wenn regelmäßig

mehrere Quellen (Sprecher) im Raum gleichzeitig sendenund empfangen)

Der Kategorie (c) sind die auch in [1] explizit erwähnten Räume,gemäß Tabelle 1 und Räume mit ähnlich hohen Anforderungenan die Sprachverständlichkeit eindeutig zuzuordnen und für allediese Räume das aus der Literatur hinreichend bekannte Tole-ranzband für die Nachhallzeit (zwischen 63 und 8000 Hz gemäßBild 2) zu Grunde zu legen.In einer auf Kommunikation und Interaktion aufbauendenDienstleistungsgesellschaft sollten schwächere Anforderungen(z. B. die Kurve (b) in Bild 2) allenfalls für Arbeitszimmer mit einbis zwei Personen und solche Räume, in denen in der Regel nureine(r) zu reden gewohnt ist, gelten (also keine Kommunikation,nur Darbietung von Sprache). Wenn ein Bistro- oder Call-Cen-ter-Betreiber meint, seinen Gästen bzw. Agenten raumakustischwidrige Freizeit- bzw. Arbeitsumgebungen zumuten zu können,weil das Essen so gut bzw. das Gehalt ausreichend hoch sei, dannwird er in Verhandlungen mit seinem Architekten einen Weg fin-den, um mit ihm auch eine schwächere Anforderung zu vereinba-ren. Überhaupt sollte man nicht erwarten, daß das Erscheineneiner Norm wie ein neues Gesetz wirkt. Aber das eine wie dasandere sollte in sich schlüssig sein, und eine Norm muß denaktuellen Stand des Wissens und der Technik richtig abbilden.

4 Januskopf tiefe Frequenzen: wenig Information mit hoherStörwirkung

Es ist zwar allgemein üblich, sich bei der Charakterisierung desNachhalls eines Raumes auf seine Nachhallzeit „zwischen 500und 1000 Hz“ zu beziehen. Aber bereits vor 50 Jahren forderte E.Skudrzyk [2, S. 675], „daß die Nachhallzeit für die tiefen Fre-quenzen nicht wesentlich größer sein soll, als für mittlere undhohe Töne“. Vor ihm empfahl G.v.Békésy [3] „einen frequenzun-abhängigen Verlauf der Nachhallzeit als günstigsten“ sogar auchfür Musikdarbietungen. Damit begegneten beide Altmeister derAkustik dem Vorurteil, daß man die tiefen Frequenzanteile wegender geringeren Empfindlichkeit des menschlichen Ohres (Bild 3)diesem gegenüber auch raumakustisch schwächer zu bewertenhabe. Eine starke Bedämpfung der Tiefen durch Holztäfelungenund andere „schwingungsfähige Absorber“ wird in [2] ausdrück-lich positiv beurteilt, selbst wenn dadurch die Nachhallzeit zu tie-fen Frequenzen absinken würde. H. Winkler und W. Reichardt[4] führten schon 1984 den in Bild 2 unten reproduzierten Tole-ranzbereich einheitlich für Unterrichts-, Seminar- und Kongreß-räume sowie Hörsäle, Sprechtheater und, mit gewissen Ein-

Bild 2 Anzustrebende Nachhallzeit Tsoll, gemittelt zwischen 500und 1000 Hz, für Musikdarbietung (a), Sprachdarbietung (b), kommunikationsintensive Raumnutzung (c), in Abhängigkeitvom Raumvolumen (oben) und Toleranzbereich als Funktionder Frequenz (unten) nach [1]

Tabelle 1 Kommunikationsintensiv genutzte Räume, für welchedie Anforderungen nach Kurve (c) in Bild 2 gelten sollten.

Unterrichtsräume Interaktionsräume

Kindergärten Mehrpersonenbüros

Hörsäle Call Centers

Tagungsräume Anwalts- und Arztpraxen

Konferenzräume Operationssäle

Versammlungsräume Gaststätten

Seminarräume

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schränkungen, auch für Mehrzweckräume ein mit Begründungenwie: „Bei Frequenzen < 250 Hz ist ein Abfall(!) anzustreben“,„meist ist eine frequenzunabhängige Nachhallzeit optimal“, „ZurKorrektur des Frequenzganges bei tiefen Frequenzen sind stetsspezielle Schallabsorber erforderlich“. So wurden die frühenErkenntnisse bis in jüngste Ausgaben von Standardwerken wie [5]tradiert und von Praktikern als allgemein anerkannte Regelgenutzt. Aber erst in [6, S. 617] gibt es dazu eine wichtige Begrün-dung: „Nach tiefen Frequenzen zu sollte die Nachhallzeit ehernoch etwas kürzer sein, da sonst die für die Sprachverständlich-keit wichtigsten höheren Komponenten des Sprachspektrumsverdeckt werden. Dies kann durch die Anwendung richtig dimen-sionierter Resonanzabsorber erreicht werden.“ Ähnlich wird esauch im demnächst in 3. Auflage erscheinenden Taschenbuch [6]von H. Kuttruf und E. Mommerz geschrieben stehen. Es gibt alsoeigentlich keinen belegten Grund dafür, daß die Norm zwar diefundierten Anforderungen (Bild 2) endlich aufnimmt, sie abergleichzeitig entwertet, indem Kurven teilweise strichliert erschei-nen und für viele kommunikationsintensive Nutzungsarten dochwieder nicht gelten sollen.

Dabei schwingen wohl immer noch die „Kurven gleicher Laut-stärke“ (Bild 3) mit, die kleinere Empfindlichkeit bei tiefen undgrößere bei hohen Frequenzen signalisieren. Weiter wird oftargumentiert, daß die menschliche Stimme unter 250 Hz (weib-lich) bzw. 125 Hz (männlich) nur noch wenig Energie abstrahlt(Bild 4). Auch hat man gelernt, daß i.w. die Frequenzanteileoberhalb 500 oder 1000 Hz zur Sprachverständlichkeit beitragen(Bild 5), man sich also mit schalltechnischen Maßnahmenbevorzugt auf den kHz-Bereich konzentrieren sollte. Da die vonSprechern mehr oder weniger artikulierten Konsonanten aber imMittel mit 20 bis 40 dB geringerer Energie abgestrahlt werden alsdie Vokal- und Grundton-Anteile der Sprache (Bild 6), liegt es

Bild 3 Kurven gleicher Lautstärkepegel LN für Sinus-Töne imFreifeld nach DIN 45630 Bl. 2 bzw. ISO 226

Bild 4 Mittlere relative Schall-Spektren von Sprache nach [5];männliche ( ) bzw. weibliche ( ) Stimme

Bild 5 Abhängigkeit der Silbenverständlichkeit von der unterenFrequenzgrenze eines Hochpaßfilters bei Sprache nach [7] ( )bzw. [8] ( )

Bild 6 Lage der für die Sprachverständigung wichtigen „For-manten“ und unwichtigen „Grundtöne“ in der „Hörfläche“ nach[9]

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natürlich nahe, alle Störgeräusche gerade in diesem für dieSprachverständigung so wichtigen Frequenzbereich durch Maß-nahmen an den Quellen möglichst niedrig zu halten. Schließlichmuß Sprache gegenüber jedem Störschall mindestens um 10 bis15 dB lauter beim Empfänger ankommen, damit dieser wenig-stens 80% der Silben versteht [10, Kap. 52]. Je lauter der Grund-geräuschpegel ist, desto lauter wird gesprochen, auch wenn die-ser von anderen, gleichzeitig Sprechenden verursacht wird. EineUnterhaltung in Gruppen in einem Unterrichts- oder Konferenz-raum schwillt daher schnell auf Pegel über 80 dB(A) an, selbstwenn nach [1, Tab. E.1] ein einzelner Sprecher „normal“ mit 60dB(A) in 1 m Abstand die Unterhaltung beginnt. Mit einer Anhe-bung auf über 75 dB(A) nimmt aber nicht nur die Anstrengungfür den Sprechenden zu, sondern auch die Verständlichkeitdurch Verzerrungen ab.Hier setzt die raumakustische Behandlung ein, naheliegend vorallem oberhalb 500 Hz, besonders unter Breücksichtigung vonca. 20% Schwerhörigen nach [1], die gemäß Bild 7 mit einerAnhebung ihrer „Hörschwelle“ gerade in diesem so wichtigenoberen Frequenzbereich leben müssen. Es ist z. B. üblich – undbesonders in raumakustisch schlecht konditionierten Umgebun-gen auch notwendig, bei der elektroakustischen Verstärkung vonSprachdarbietungen die tiefen Frequenzanteile unter 100 Hzoder sogar unter 250 Hz nur reduziert über die Beschallungsan-lage abzustrahlen. Oberhalb 250 Hz würde sich allerdings dieentsprechende „Verfärbung“ der Sprache negativ bemerkbarmachen. Außerdem werden Geräusche, die die Sprachverständ-lichkeit im Raum reduzieren, nicht nur über die Anlage, sondernbei größeren Menschenansammlungen auch oder überwiegenddurch Unterhaltungen untereinander (z. B. als vielstimmiges„Murmeln“) sowie durch Nutzergeräusche (z. B. Stühlerücken,Hantieren und Räuspern) abgestrahlt. Was aber die weitere Ver-breitung aller Schallanteile unter 500 Hz durch Reflexionen imRaum angeht, so gibt Bild 5 den wertvollen Hinweis, daß bei tie-fen Frequenzen die Raumrückwürfe mindestens ebenso starkbedämpft werden sollten wie bei mittleren und hohen. Die Ver-ständlichkeit kann verbessert werden, selbst wenn mehrere Per-sonen gleichzeitig sprechen. Den Direktschall in der Nähe einesSprechers oder Lautsprechers lassen derart optimierte raumaku-stische Maßnahmen nur um so unverfälschter erklingen.Sicher ist es sinnvoll, einen Raum bei hohen Frequenzen zubedämpfen, es genügt jedoch nicht. Allein schon durch Möbelund Personen wird jeder Raum in diesem Frequenzbereichschon etwas bedämpft. Ein schallhart belassener Versammlungs-

raum bleibt aber für die Kommunikation untauglich, selbst wenner mit einer Person pro Quadratmeter Grundfläche belegt wird.Auch eine hoch absorbierende „Akustikdecke“ herkömmlicherBauart könnte allenfalls eine vergleichbare Bedämpfung desRaumes besorgen. Da es aber auch Räume gibt, die trotz dieser Maßnahme undeines zusätzlichen Teppichbodens bei voller Belegung nurschlecht zur Kommunikation taugen, geht die Konzentration aufmittlere und hohe Frequenzen stets am eigentlichen Problemvorbei. Es kann gezeigt werden, daß auch eine geringere Absorp-tionsfläche einen solchen Raum (z. B. nur 50% seiner Grundflä-che), unabhängig von der Belegung für kommunikationsintensi-ve Nutzung ertüchtigen kann, wenn der Frequenzbereich unter500 Hz, bis etwa 63 Hz, richtig bedämpft wird. Im Vordergrundsteht dabei die bisher viel zu wenig beachtete Kehrseite der tief-frequenten Anteile der Sprache.Beim Ertönen eines lauten Geräusches wird ein leiserer Ton imgleichen Frequenzbereich erst dann wahrgenommen, wenn seinPegel einen Wert etwa 20 dB unterhalb des lauteren erreicht.Diese scheinbare Anhebung der Hörschwelle (vgl. Bild 3), die„Mithörschwelle“, ist auf eigenartige Weise abhängig von der Fre-quenz: Bei niedrigen Störpegeln und hoher Störfrequenz fälltdiese „Verdeckung“, wie zu erwarten, fast symmetrisch zu tieferenwie höheren Frequenzen stark ab; die Mithörschwelle mündet,weitab von der Störfrequenz, in die individuelle Hörschwelle, s.Bild 8. Bei der Einwirkung starker Töne der Frequenz f1 entstehenaber nach [8] in dem vielschichtigen nichtlinearen Mechanismusder Schallwahrnehmung zusätzliche „Harmonische“

(1)

Wirken mehrere starke Töne z. B. bei f1 und f2 ein, so werdenneben den Harmonischen auch noch „Kombinationstöne“gehört:

(2)

Diese zusätzlichen Töne entstehen im Hörorgan und werdendeshalb nach [8] „subjektiv“ genannt, weil sie in dem auf dasOhr treffende Tongemisch, nicht enthalten sind. Menge undLautstärke der subjektiven Töne nehmen mit dem Pegel des tat-sächlich einwirkenden Tones überproportional stark zu. Bei tie-

f nf mf mK = ± = …1 2 1 2 3 ; , ,

f n f nH = +( ) = …1 1 2 31 ; , ,

Bild 7 Hörschwellen Normalhörender und mittelgradig Schwer-hörender [11]

Bild 8 Mithörschwellen L für verschieden starke Störtöne Lstör(Angaben in dB) nach [12], fstör = 1 kHz

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fen Tönen mit Pegeln oberhalb 80 dB können nach [8] die sub-jektiven „Obertöne“ bei höheren Frequenzen sogar lauter wahr-genommen werden als der Grundton. Diese „harmonische“ Ver-lagerung der Wahrnehmung zu höheren Frequenzen findet zwarnur im Hörorgan statt, erinnert aber an die Schallerzeugung voneinem Kontrabaß, dessen Obertöne beim Streichen der tieferenSaiten tatsächlich stärker abgestrahlt werden als die Grundtöne.Trotzdem kann auch das ungeübte Ohr den Klang eines Kontra-basses sehr wohl von dem eines Cellos unterscheiden. BeimErtönen starker Klänge oder Geräusche führt die besagte Nicht-linearität hingegen nur zu einem unharmonischen Klang-Wirr-warr mit einem entsprechend breiten Frequenzband, auch nochweit oberhalb der eigentlichen Anregung. Wenn hochfrequenter Schall gleichzeitig mit starkem Störschallbei tieferen Frequenzen ertönt, so kann der „subjekte“ Schallden hochfrequenten ebenso stark verdecken wie jenen in derNähe der Störfrequenz. Wie Bild 9 andeutet, entstehen sounsymmetrische Mithörschwellen. Frequenzanteile unterhalbder Störfrequenz werden dagegen vergleichsweise wenig ver-deckt. Diese Unsymmetrie wird offenbar umso stärker, je niedri-ger die Störfrequenz ist. Für fstör = 200 Hz und 60 dB wird eingestörter Ton mit derselben Frequenz bei 40 dB, mit 400 Hz abererst bei 50 dB wahrgenommen, wie Bild 10 zeigt. Hebt man den-selben Störton auf 80 dB an, also auf einen bewerteten Pegel von69 dB(A) weit unterhalb der Gehörschädigung, so verschiebtsich das Maximum der Verdeckung bereits so weit, daß ein Tonvon 1000 Hz nach [8] erst mitgehört wird, wenn er ebenfalls mitca. 80 dB ertönt. Nach Slawin [8] wirken Geräusche noch stärker verdeckend alsTöne, weswegen sich jede Anregung bei tiefen Frequenzen stö-rend auf jede Art der Kommunikation – Sprache oder Musik –auswirken kann. Nach W. Reichardt wirken diese Verdeckungs-erscheinungen in dem Sinne, daß mit höherer Lautstärke „dietieferen Frequenzen immer mehr hervortreten und die für dieVerständlichkeit so wichtigen hohen Töne auslöschen“ [10, S.430]. Reichardt weist auch bereits darauf hin, daß die beschrie-bene Verdeckung beim binauralen Hören schwächer ausgeprägtist als beim monauralen. Dies könnte erklären, warum einohrig

Schwerhörige sie offenbar als besonders erschwerend für ihreKommunikation erleben müssen. Sie verlassen nämlich z. B.einen Stehempfang mit großer Menschenmenge in akustischuntauglicher Umgebung (z. B. einem glas- oder betonumschlos-senen Foyer) meist als erste, weil sie die „Tortur“ auch mit dembesten Hörgerät nicht länger ertragen können.In schwach bedämpften Räumen wird Schall bei allen Frequen-zen entsprechend ihrem Nachhall geschwächt oder verstärkt[13]. Durch Schallabsorption oberhalb 500 Hz wird zwar derPegel im so wichtigen kHz-Bereich gesenkt. Mit einer beinaheregelmäßig zu tiefen Frequenzen ansteigenden Nachhallzeit tre-ten aber gerade die für die Verdeckung und Sprachverständlich-keit mitverantwortlichen tieffrequenten Schallanteile um so stär-ker hervor. Insbesondere in kleineren Räumen werdenaußerdem Eigenresonanzen angeregt, die den Schall bei tiefenFrequenzen unwillkürlich und unharmonisch verstärken [14]und so – den Klangeindruck verfälschen,– eine unnötige Lautstärke provozieren,– die Verdeckung der hohen Frequenzen vorantreiben.Als Folge dieses dreifachen negativen Einflusses des nicht oderfalsch bedämpften Raumes setzt sich, z. B. in Konferenzräumenoder Orchestergräben, eine verhängnisvolle Lautheitsspirale inGang (Bild 11): Eine einzelne Stimme fühlt sich u. U. durcheinen solchen Raum gestützt und wird von allen anderen nochgut gehört und verstanden. Wenn aber mehrere Stimmen oderInstrumente gleichzeitig erklingen, steigt der Pegel kontinuier-lich an. Dabei wird nicht nur für alle die Hörschwelle über dasgesamte Frequenzspektrum gleichmäßig angehoben. Wegen derBetonung der Tiefen verschlechtert die oben geschilderte Ver-deckung zusätzlich die Verständigung untereinander. Dies führtunvermeidbar dazu, daß alle lauter intonieren. Dabei handelt essich nach dem sog. Lombard-Effekt um den unbewußten Ver-such, durch lauteres Sprechen oder Musizieren das Ver-deckungsphänomen zu durchbrechen [15, S. 340]. Dies endetdann regelmäßig in einem „Wirrwarr“, in welchem die eigeneStimme oder das eigene Instrument kaum noch gehört wird,wenn kein Moderator oder Dirigent diesem Tun Einhalt gebietet.

Bild 9 Mithörschwellen L für verschieden starke Störtöne Lstör(Angaben in dB) nach [8], fstör = 800 Hz

Bild 10 Mithörschwellen L für verschieden starke Störtöne Lstör(Angaben in dB) nach [8], fstör = 200 Hz

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Aufsatz

Dies heißt aber gleichzeitig, daß im Gespräch oder Ensemblewirklich jeweils nur einer reden oder spielen darf oder daß ebenalle nur unter erheblichen Lärm- und Konzentrationsbelastun-gen ihre Arbeit verrichten können.

5 Problemlösung am Beispiel des BMWA, Berlin

Zahlreiche Untersuchungen [16] stellen fest, daß die akusti-schen Probleme in Großräumen (z. B. Schulen oder Büros) sichsehr ähneln:(1) hohe Lärmpegel, die den Arbeitsstreß generell erhöhen,(2) schlechte Sprachverständigung, die die Kommunikation

unter den Nutzern, aber auch am Telefon behindert,(3) ungewollte Spracherkennung, die die Konzentration auf die

individuelle geistige Tätigkeit (ohne linguistisches Kommuni-kationsbedürfnis) erschwert.

Man ist sich grundsätzlich klar darüber, daß der Konflikt zwi-schen (2) und (3) eigentlich in jedem Großraum immanent ist.Deswegen wird das Konzept der konsequenten Offenheit undTransparenz aller Tätigkeiten auch selten wirklich durchgängigauf einer Geschoßfläche oder sogar über mehrere Etagen reali-siert. Als Kompromiß bieten sich die Ausbildung von Kommuni-kationsinseln (Meeting Points) und die Integration von Glaska-binen mit ausreichender Schalldämmung zur Abtrennungbesonders lauter oder leiser Arbeitsbereiche nach [17] an. Es besteht immer wieder der Wunsch, Arbeitsplätze durch halb-hohe Stellwände oder Schrankmöbel akustisch gegeneinanderabzuschirmen. Man sollte sich klar darüber sein, daß– ein ausreichender Sichtschutz noch keinen Schallschutz

bedeuten muß,– ein Schallschirm ohne daran applizierte oder darin integrier-

te Schallabsorber oft enttäuscht,– ohne absorbierende Behandlung aller benachbarten Decken,

Wände und Fassaden der Schall Nebenwege zum Nachbarnfindet.

Selbst wenn alle in Bild 12 skizzierten Flächen alle auftreffendenSchallwellen vollständig absorbieren könnten, würde die Min-derung der Schallübertragung zwischen den beiden Arbeitsplät-zen nach DIN ISO 17 624 gemäß

(3)

mit heff effektive Schirmhöhe, s Abstand Sender bzw. Empfängerund λ Schallwellenlänge abhängig von der Geometrie stets in

∆L

hs

dBseff≅ +

[ ]10 1 202

lg λ

engen Grenzen bleiben. Bei einer Kopfhöhe von Sender undEmpfänger von 1,2 m und einem Abstand beider zum Schirmvon 1,0 m kann erst bei einer Schirmhöhe von 1,6 m für 1 kHztatsächlich eine Abschirmwirkung von ∆Ls = 10 dB, für 100 Hzaber lediglich 3 dB erwartet werden. Um diese Pegelminderun-gen zu erreichen, müßten gemäß [18, Bild 4] die in Bild 12 ange-deuteten Absorber allerdings mindestens 50 bzw. 400 mm dickausgeführt werden. Deswegen und weil die hier als wichtig erkannten tiefen Fre-quenzanteile ohnehin über jeden Schirm hinweg ihren Weg fin-den und stets den Raum (zumindest zwischen Decke undBoden) als Ganzes erfassen, wird die Problemlösung in einerkonsequenten Verfolgung des in [19] propagierten Konzeptesgesehen: Wenn es nicht um die Minderung von Fremdgeräu-schen im kHz-Bereich, sondern um die raumakustische Kondi-tionierung von Umgebungen für kommunikationsintensive Nut-zungen geht, dann sollte für ausreichende Absorption vor allemunter 500 Hz, bis zu 63 Hz, gesorgt werden. Deswegen sollteauch in der neuen Norm [1] ohne Einschränkung gefordert wer-den, daß die Nachhallzeit zu tiefen Frequenzen um nicht mehrals 20 % gegenüber dem Mittelwert bei 500 und 1000 Hz anstei-gen darf.Die strikte Befolgung dieser Anforderung würde nicht nur, aberbesonders den bereits Schwerhörigen zugute kommen. Dazugehört selbstverständlich, daß eine neue DIN 18041 nicht nur imText den gesamten relevanten Frequenzbereich von 63 bis 4000oder 8000 Hz artikuliert, wo es nötig ist, sondern auch bei derKennzeichnung von Schallabsorbern in den Tabellen B.1 undB.2 die Absorptionsgrade für 63 Hz ergänzen muß. Als Vorbildkönnen z. B. die Tafeln 7 und 8 in [20] dienen, in denen ca. 30verschiedene Resonanzabsorber bis 63 Hz gekennzeichnet sind.Nur wenn zu den zweifellos hohen Anforderungen der neuen

Bild 11 Modell für das Zustandekommen unnötig hoher Schall-pegel im Raum

Bild 12 Unter optimalen Bedingungen (alle Flächen voll absor-bierend) maximal erreichbare Pegelminderung ∆Ls durch einenSchallschirm nach Gl. (3)

a)

b)

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Aufsatz

Norm auch entsprechende Materialien und Bauteile angebotenwerden, kann ihre Umsetzung gelingen. Im eingangs erwähntenKonferenzraum (Bild 1) wurde dieses Ziel erreicht, indem– das mittlere Deckenfeld (63 m2) mit 150 mm dicken Breit-

band-Kompaktabsorbern BKA nach [21] belegt wurde (Bild14),

– 6 Stück 2 × 1 m bzw. 4 Stück 1,25 × 1 m große und 100 mmdicke Verbundplatten-Resonatoren VPR nach [19] jetzt überden Türen bzw. über der Medienwand den stellenweise auf-gebrachten Akustikputz ersetzen (Bild 15),

– hinter der „Medienwand“ (14 m2) 250 mm dicke BKA hintereiner schalldurchlässigen Wand „versteckt“ wurden (Bild 15),

– an den Fenstern (oberhalb der Balkontüren) 38 m2 mikro-perforierte Acrylglasplatten vorgesetzt wurden (Bild 16).

Die Nachhallzeit konnte gemäß Bild 17 breitbandig abgesenktwerden auf unter 1,8 s. Dieser Wert entspricht für den 4.400 m3

großen Raum etwa dem Sollwert nach Kurve a in Bild 2. DerAnstieg unterhalb 125 Hz ließe sich unter den strengen Denk-malschutzauflagen z. B. durch mobile 2,0 × 1,5 m große VPR-Module verhindern, die etwa zwischen und neben den großenFensterflächen vor der Außenwand eingeplant waren. Dieserarchitektonisch einzigartige Raum bietet nicht nur für Konferen-zen und Empfänge ein jetzt auch akustisch funktionierendes

Ambiente. So wie ihre Raumakustik eingestellt wurde, dürfte die„Aula“ des BMWA darüber hinaus auch hervorragende Spielbe-dingungen für kleine bis mittelgroße Musikensembles abgeben,deren Anforderungen an den Raum für das Zusammenspiel sichkaum von denen für die Sprachkommunikation unterscheiden.

6 Gute Akustik für diverse Nutzungen

E. McCue führt in [22] ähnliche Klage über die leider auch bei Übungsräumen vorherrschende, die tiefen Frequenzen vernach-lässigende akustische Behandlung: „Such design criteria havemisled many architects into designing ,boomy’ environmentswith no control over low frequency sound energy from percus-sion and bass instruments. A room with uneven response upsetsthe balance between sections of the ensemble and masks manyof the sounds that define timbre and articulation“ [22,S.36], undweiter: „In order for the timbre of an instrument to be true andevenly responsive throughout its playing range, it is importantthat the sound-absorbing materials within the room collectivelyaffect a broad range of musical frequencies. The musicians’bodies and performance equipment absorb primarily high andmiddle frequencies of sound. ,Acoustical’ finishes used in stan-

�Bild 14 Verbundplatten-Resonatoren(VPR) über Medienwand und Türen, Aulaim BMWA, Berlin (s. Bild 1)

Bild 15 Breitband-Kompaktabsorber (BKA) hinter Medien-wand, Aula im BMWA, Berlin (s. Bild 1)

Bild 16 Mikroperforierte Acrylglasplatten in Rahmen vor denFenstern, Aula im BMWA, Berlin (s. Bild 1)

� �Bild 13 Breitband-Kompaktabsorber(BKA) hinter einer Stoffbespannung undDeko-Molton als Staub- und Rieselschutzauf einem Holzgitter an der Decke, Aula im BMWA, Berlin (s. Bild 1)

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dard construction, such as carpet and most ceiling tiles, reduceprimarily high-frequency sound energy without adequately con-trolling middle or low frequencies. If an environment is treatedonly with conventional acoustical materials, the environmentwill be overly reverberant and loud in the lower frequencies. Asa result, an acoustical correction for a ,boomy’ rehearsal envi-ronment usually strives to flatten the room’s response at all fre-quencies and increase communication among the musicians andconductor.” [22, S.40].Daß aber die raumakustischen Anforderungen für Sprache undMusik auch in einem Mehrzweckraum nicht zu einem Wider-spruch oder gar einer „variablen“ Akustik führen müssen, wieimmer wieder behauptet wird, zeigt das vor kurzem fertiggestell-te Große Haus des Staatstheaters Mainz [23]. Nach Pressestim-men über seine Eröffnung „klang das Orchester anders, so arti-kuliert und stilgerecht, als hätte man die Barockmusik in Mainzgerade noch einmal erfunden“.

7 Zusammenfassung

Nur bei einer konsequenten Umsetzung der Zielvorgaben nachBild 2 wird es möglich, den „idealen“ Raum für die Sprachkom-munikation als der anspruchsvollsten Art der Raumnutzung zukonzipieren, in welchem– weder hochfrequente Geräusche noch tieffrequentes Dröh-

nen den Raum erfüllen,– alle Stimmen so weit abgesenkt werden können, daß sie nur

in einem gewissen Nahbereich, z. B. in einer Gesprächsrun-de oder beim Telefonpartner, gut verstanden werden,

– in größerer Entfernung die einzelnen Stimmen im Grundge-räusch untergehen, welches sich beim Aufenthalt oder Arbei-ten von mehreren Personen einstellt,.

Daß dies auch in einer anhaltenden Rezession im Baugeschehenmöglich ist, zeigt eine Reihe von ausgeführten Beispielen beiNeubauten wie bei Sanierungen [24]. Da aber die Umsetzungdieser Erfahrungen das Zusammenwirken vieler BeratenderIngenieure und Bauschaffender erfordert, die noch sehr unter-schiedlichen Vorstellungen von optimaler Raumakustik folgen,haben das Fraunhofer IBP und die Zeitschrift Trockenbau –Akustik für den 3. und 4. Februar 2004 ein Fachkolloquium mit

diesem Thema als Schwerpunkt geplant. Mehr zu dieser Veran-staltung, bei der Räume mit unterschiedlich gestalteter Akustikvon den Teilnehmern praxisnah getestet werden können, unterwww.pia-alfa.de.

Literatur

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[2] Skudrzyk, E.: Die Grundlagen der Akustik. Wien: Springer, 1954

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[5] Fasold, W., Veres, E.: Schallschutz und Raumakustik in der Praxis. Berlin:Verlag Bauwesen, 1998

[6] Kuttruff, H.: Raumakustik. In: Taschenbuch der Technischen Akustik(Hrsg.: Heckl, M., Müller H.A.) Berlin: Springer, 1994

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[13] Fuchs, H. V., Hunecke, J.: Der Raum spielt mit bei tiefen Frequenzen. DasMusikinstrument 42 (1993), H. 8, S. 40-46

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[17] Fuchs, H.V., Zha, X., Zhou, X., Castor, F.: Raum-Akustik mit System.Glas-Verarbeitung 8 (2001), H. 3, S. 59-64

[18] Fuchs, H. V.: Schallabsorber und Schalldämpfer. Innovatorium für Maß-nahmen zur Lärmbekämpfung und Raumakustik. Teil 1: Überblick, Passi-ve Absorber. Bauphysik 24 (2002), H. 2, S. 102-113

[19] Fuchs, H. V., Zha, X.: Raum-Akustik: Neue Bauteile für besseres Hörenund weniger Lärm. GesundheitsIngenieur 124 (2003), H. 2, S. 45-56

[20] Fasold, W., Sonntag, E., Winkler, H.: Bau- und Raumakustik. Berlin: Ver-lag für Bauwesen, 1987

[21] Fuchs, H.V., Eckoldt, D., Zha, X., Babuke, G.: Schallabsorber undSchalldämpfer. Innovatorium für Maßnahmen zur Lärmbekämpfung undRaumakustik. Teil 6: Hochintegrierte Absorber. Bauphysik 25 (2003),H. 5, S. 261-270

[22] McCue, E.: Rehearsal room acoustics. In: Acoustical design of music edu-cation facilities (Eds: McCue, E. and Talaske, R.H.). New York: Acoust.Soc. Amer., 1989, S. 36 – 41.

[23] Zha, X., Fuchs, H. V., Drotleff, H.: Eine neue Akustik für vier Sparten –das Große Haus des Staatstheaters Mainz. Bauphysik 25 (2003) Heft 3, S.111-121.

[24] Drotleff, H., Zhou, X.: Attractive room acoustic design for multi-purposehalls. ACUSTICA 87 (2001), H. 4, S. 500-504.

Bild 17 Ergebnis der akustischen Nachbesserung der Aula imKongreßzentrum des BMWA, Berlin, s. auch Bild 1 und 13 bis 16