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60 Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 148 • I/2015 pr pr pr pr projekte. ojekte. ojekte. ojekte. ojekte. initiativen initiativen initiativen initiativen initiativen N ein, das gleich zu Beginn: Wir haben es uns nicht nehmen lassen. Wir ha- ben uns nicht dem sich stetig wan- delnden »Zeitgeist« hingegeben und fern al- ler einmal gefassten kulturpolitischen Grund- sätze dem Kommerz, dem Event, dem Stadtmarketing oder dem Partyhype die Stadt überlassen. Vielleicht, in gewisser Weise schon. Denn die Erwartungen an kommuna- le Kulturprogramme haben sich verändert, neue sind hinzugekommen. Formen und In- halte waren deshalb im Verlauf der vielen Jahre anzupassen, bürgernah weiterzuentwi- ckeln. Auch die seit einigen Jahren anhalten- den Finanzprobleme im städtischen Haushalt haben mittlerweile nachhaltig, insbesondere in quantitativer Hinsicht, ihre Spuren hinter- lassen. Allerdings, entfernt vom sozial-kulturellen Impetus der Neuen Kulturpolitik haben wir uns nicht. Das hieß und heißt für uns, Kunst und Kultur haben »der Entfaltung und Entwicklung der sozialen, kommunikativen und ästhetischen Möglichkeiten und Bedürfnisse aller Bürger- innen und Bürger zu dienen und die aktive Beteiligung aller Schichten der Bevölkerung am kulturellen Leben zu gewährleisten.« (Grundsatzerklärung der KuPoGe 1976) So sind wir den Beispielen aus Wuppertal (Urbs71), dem Bonner Sommer, dem Berg- kamener Bilder Basar oder der Stadt Hanno- ver (Kunst Boulevard) folgend, mit Kunst und Kultur ins städtische Leben eingetaucht, in den Lebensalltag, in vertraute Lebensräu- me, fern von mit Barrieren behafteten Thea- ter- oder Konzertsälen. Ein bis dahin für sehr viele Städte noch völlig unbekanntes kultur- politisches wie programmatisches Terrain. StraßenkünstlerInnen wurden dort noch mit ordnungspolitischen Verboten aus den sau- beren und neugestalteten Fußgängerzonen ferngehalten. Weil als störend empfunden und dem Umsatz nicht förderlich, damals, in den 1970ern! Es waren zunächst nur sechs Veranstaltun- gen, mit denen wir unser Sommerprogramm 1975 versuchsweise auf dem Marktplatz in der historischen Altstadt starteten. Unnas Bürger nahmen das Anfangsprogramm mit Überraschung und wohlwollendem Staunen auf, wenngleich im politisch konservativen Bereich Unverständnis und Ablehnung zu spüren waren. Vor allem dann, wenn die damals noch politischen Aussagen in vielen unserer öffentlichen Programme nicht ihrem Weltbild entsprachen. Also, Kittner auf dem Marktplatz, das ging für einige gar nicht, und man versuchte, durch herbeigerufene Ord- nungshüter diesem linken, vermutlich sogar kommunistischem Treiben, ein Ende zu be- reiten, inklusive heftiger Attacken im Kul- turausschuss der Stadt gegen diese sozio- kulturelle Neue Kulturpolitik. Natürlich blieb das Angebot nicht allein auf den Marktplatz beschränkt. In allen Stadt- teilen, auf allen öffentlichen Plätzen, rund um unsere Bürgerhäuser, in Parks, in Zelten, in Gemeindesälen oder in Schrebergärten war von nun an die städtische Kultur in den Som- mermonaten präsent. Empfahl sich zur Mit- wirkung bei Schützen- und Feuerwehrfeiern, Vereinsjubiläen und Straßenfesten. Wurde Partner für Vereine, Initiativen und Gruppen; für den DGB, die Kirchen, die AWO und für andere Stadtämter wie das Jugendamt, Sozi- alamt, Bauamt, die VHS, das Stadtmuseum und die Bibliothek. Somit kam eine Vielzahl neuer, offen zu- gänglicher Kulturorte hinzu. Die Stadtteilar- beit bildete sich als besonderer Schwerpunkt aus, ebenso fand die Zielgruppenarbeit Ein- gang in das Programm: Angebote für und von Frauen, Jugendlichen, Migranten und Senio- ren. Zu den Programminhalten zählten Kunst- Märkte, Folk-Feste, Chorkonzerte, Stadtfeste, Musik der Welt, internationales Straßenthea- ter, Literatur-Nächte, Filmprogramme, Zelt- theater, Künstlerwerkstätten über mehrere Wo- chen, Wandgestaltungen, Lieder-Abende, Laienaufführungen, Konzerte mit Nachwuchs- Bands. »StadtkünstlerInnen in Residence« (Adam Seide, Dieter Magnus, Christoph Hüb- ner und Mascha Blankenburg) setzten ihrer- seits in den Sommermonaten besondere Ak- zente im kulturellen Geschehen. Es entstanden infolge der Sommeraktivitä- ten Programm-Cafés und Musik-Kneipen. Ver- »Nicht nur einen Sommer lang …« 40 Jahre »Summertime in Unna« Kontaktkunst 1981

»Nicht nur einen Sommer lang - kupoge.de · 2019. 4. 10. · ter, Literatur-Nächte, Filmprogramme, Zelt-theater, Künstlerwerkstätten über mehrere Wo-chen, Wandgestaltungen, Lieder-Abende,

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60 Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 148 • I/2015

PROJEKTE UND INITIATIVEN

prprprprprojekte.ojekte.ojekte.ojekte.ojekte.initiativeninitiativeninitiativeninitiativeninitiativen

Nein, das gleich zu Beginn: Wir habenes uns nicht nehmen lassen. Wir ha-ben uns nicht dem sich stetig wan-

delnden »Zeitgeist« hingegeben und fern al-ler einmal gefassten kulturpolitischen Grund-sätze dem Kommerz, dem Event, demStadtmarketing oder dem Partyhype die Stadtüberlassen. Vielleicht, in gewisser Weiseschon. Denn die Erwartungen an kommuna-le Kulturprogramme haben sich verändert,neue sind hinzugekommen. Formen und In-halte waren deshalb im Verlauf der vielenJahre anzupassen, bürgernah weiterzuentwi-ckeln. Auch die seit einigen Jahren anhalten-den Finanzprobleme im städtischen Haushalthaben mittlerweile nachhaltig, insbesonderein quantitativer Hinsicht, ihre Spuren hinter-lassen.

Allerdings, entfernt vom sozial-kulturellenImpetus der Neuen Kulturpolitik haben wir unsnicht. Das hieß und heißt für uns, Kunst undKultur haben »der Entfaltung und Entwicklungder sozialen, kommunikativen und ästhetischenMöglichkeiten und Bedürfnisse aller Bürger-innen und Bürger zu dienen und die aktive

Beteiligung aller Schichten der Bevölkerungam kulturellen Leben zu gewährleisten.«(Grundsatzerklärung der KuPoGe 1976)

So sind wir den Beispielen aus Wuppertal(Urbs71), dem Bonner Sommer, dem Berg-kamener Bilder Basar oder der Stadt Hanno-ver (Kunst Boulevard) folgend, mit Kunstund Kultur ins städtische Leben eingetaucht,in den Lebensalltag, in vertraute Lebensräu-me, fern von mit Barrieren behafteten Thea-ter- oder Konzertsälen. Ein bis dahin für sehrviele Städte noch völlig unbekanntes kultur-politisches wie programmatisches Terrain.StraßenkünstlerInnen wurden dort noch mitordnungspolitischen Verboten aus den sau-beren und neugestalteten Fußgängerzonenferngehalten. Weil als störend empfundenund dem Umsatz nicht förderlich, damals, inden 1970ern!

Es waren zunächst nur sechs Veranstaltun-gen, mit denen wir unser Sommerprogramm1975 versuchsweise auf dem Marktplatz inder historischen Altstadt starteten. UnnasBürger nahmen das Anfangsprogramm mitÜberraschung und wohlwollendem Staunen

auf, wenngleich im politisch konservativenBereich Unverständnis und Ablehnung zuspüren waren. Vor allem dann, wenn diedamals noch politischen Aussagen in vielenunserer öffentlichen Programme nicht ihremWeltbild entsprachen. Also, Kittner auf demMarktplatz, das ging für einige gar nicht, undman versuchte, durch herbeigerufene Ord-nungshüter diesem linken, vermutlich sogarkommunistischem Treiben, ein Ende zu be-reiten, inklusive heftiger Attacken im Kul-turausschuss der Stadt gegen diese sozio-kulturelle Neue Kulturpolitik.

Natürlich blieb das Angebot nicht alleinauf den Marktplatz beschränkt. In allen Stadt-teilen, auf allen öffentlichen Plätzen, rundum unsere Bürgerhäuser, in Parks, in Zelten,in Gemeindesälen oder in Schrebergärten warvon nun an die städtische Kultur in den Som-mermonaten präsent. Empfahl sich zur Mit-wirkung bei Schützen- und Feuerwehrfeiern,Vereinsjubiläen und Straßenfesten. WurdePartner für Vereine, Initiativen und Gruppen;für den DGB, die Kirchen, die AWO und fürandere Stadtämter wie das Jugendamt, Sozi-alamt, Bauamt, die VHS, das Stadtmuseumund die Bibliothek.

Somit kam eine Vielzahl neuer, offen zu-gänglicher Kulturorte hinzu. Die Stadtteilar-beit bildete sich als besonderer Schwerpunktaus, ebenso fand die Zielgruppenarbeit Ein-gang in das Programm: Angebote für und vonFrauen, Jugendlichen, Migranten und Senio-ren. Zu den Programminhalten zählten Kunst-Märkte, Folk-Feste, Chorkonzerte, Stadtfeste,Musik der Welt, internationales Straßenthea-ter, Literatur-Nächte, Filmprogramme, Zelt-theater, Künstlerwerkstätten über mehrere Wo-chen, Wandgestaltungen, Lieder-Abende,Laienaufführungen, Konzerte mit Nachwuchs-Bands. »StadtkünstlerInnen in Residence«(Adam Seide, Dieter Magnus, Christoph Hüb-ner und Mascha Blankenburg) setzten ihrer-seits in den Sommermonaten besondere Ak-zente im kulturellen Geschehen.

Es entstanden infolge der Sommeraktivitä-ten Programm-Cafés und Musik-Kneipen. Ver-

■■■■■ »Nicht nur einen Sommer lang …«

40 Jahre »Summertime in Unna«

Kontaktkunst 1981

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61Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 148 • I/2015

PROJEKTE UND INITIATIVEN

schiedene Großbetriebe stellten ihre Lehrwerk-stätten für die gemeinsame Arbeit von Lehrlin-gen mit Künstlern zur Verfügung. Straßen-,Stadtteil- und Vereinsfeste setzten sich im Sin-ne und in Folge der impulsgebenden Summer-time-Veranstaltungen in eigener Regie fort.

Anfänglich bestimmten Einzelveranstal-tungen das Programm. Mit wachsender Er-fahrung und ständig neuen Überlegungen zuden Inhalten und zu den Formen der Angebo-te entwickelte sich das Herzstück unsererKulturarbeit zu einem sehr breiten und viel-fältigen Angebotsspektrum. Mehr und mehrtraten in den Mittelpunkt der sommerlichenVeranstaltungsreihe Projektangebote, zumTeil über mehrere Monate. Damit verändertesich das Profil der Reihe nach und nach vonder Aneinanderreihung einzelner Veranstal-tungen zu einem Veranstaltungsdach ver-schiedenster Projekt- und Angebotsreihen.

Ein 40-jähriges Sommerprogramm mit zumTeil 30 bis 40 Veranstaltungen in unterschied-lichen Programmreihen pro Sommer, vonMai bis Oktober, lässt sich natürlich an dieserStelle allenfalls andeutungsweise hinreichendbeschreiben. Deshalb nur einige, repräsenta-tive Beispiele zur Anschauung:• Mit ihrer animierenden Zeltwerkstatt ar-

beiteten die Hildesheimer Bildhauer derGruppe »Kontakt Kunst« (Kalkmann, Bor-mann, Almstadt) drei Mal öffentlich anverschiedenen Standorten in Unna. Wil-lem Breuker und sein Kollektiv kompo-nierten die Unnaer Stadtmusik und brach-ten sie nach monatelanger Probenarbeitmit zehn unterschiedlichen Musikgrup-pen und Orchestern auf dem Marktplatzzur gemeinsamen Aufführung.

• Das »Hoffmans Comic Theater« (u.a. mitPeter Möbius, Claudia Roth, Rio Reiser,Ingeborg Wunderlich und Rainer Pause),die erste bundesrepublikanische Schau-spieler-Truppe, die im Rahmen einer zwei-jährigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmearbeiten durfte, brachte in Unna die Zelt-produktion »Märzstürme 1920« heraussowie weitere große Sommertheater-Ins-zenierungen, in einer Mischung von pro-fessionellen und Laiendarstellern.

• Unter der Leitung des Dramaturgen Wal-ter Hollender erarbeiteten in einem dreimo-natigen Sommer Camp über 45 Studieren-de europäischer Schauspielschulen undFree Landser die Theaterstücke »Die letz-ten Tage der Menschheit« (Regie HelmutPalitsch), »Die Hamletmaschine« (RegieNada Kokotovic) und »No Te Escapa-ras«, nach Werken von Francisco deGoya(Regie Eddy Vereycken), und führ-ten sie im Zirkusbau des Zirkus Travadosrund um die Stadtkirche und in den Ge-wölbekellern der Lindenbrauerei auf.

• Mit dem Kunsthistoriker und Denkmal-schützer Roland Günter, einer Raumpla-

nerin und einer Graphikerin eröffnetenwir in einer Sommerperiode die »UnnaerStadtbauhütte« in einem Ladenlokal imältesten Teil der Altstadt. Gemeinsam mitden Bewohnern wurden Gestaltungs- bzw.Veränderungsvorschläge entwickelt undumgesetzt. In einem weiteren Ladenlokalrichteten wir in den Sommermonaten eineDruckwerkstatt ein mit der Aufforderung»druckt was euch drückt«, und in einergroßen Hochhaussiedlung widmeten wiruns mit einer »Zukunftswerkstatt« nachRobert Jungk den Wünschen und Bedürf-nissen der dort lebenden Menschen unter-schiedlicher Herkunftsländer.

Die sozio-kulturellen Zielsetzungen derUnnaer Kulturpolitik (»Kultur für alle – Kul-tur von allen«) fanden mit dem Summertime-Programm ihre deutlichste kulturpraktischeAusprägung und wirksamste Erfüllung. Eine

Studie der Universität Münster, Institut fürSoziologie, die sich auf »die sozio-kulturellePraxis am Beispiel des Summertime Pro-gramms der Stadt Unna« bezieht, belegt, dasswir mit unserem Sommerprogramm weitge-hend ein junges Publikum erreichten. Insgesamtgesehen wurden in den Sommermonaten zwi-schen 50 und 60 Prozent der Unnaer Bevölke-rung erreicht. In absoluten Zahlen ausgedrückt:25.000 Besucher durchschnittlich.

Die Qualität bzw. die nachhaltige Wir-kung des Summertime-Programms lässt sichnatürlich nicht allein aus den Besucherzah-len ableiten. Der kulturpolitische wie derkulturpraktische Erfolg im Hinblick auf dieLebensqualität in der Stadt liegt in der sehrhohen Erfolgsquote, die sich auf die eigen-schöpferische Beteiligung der Bürger bei ein-zelnen Projekten bezieht, und – besondershervorzuheben – in der Selbstorganisation

und eigenständigen Weiterführung nach Ab-schluss der Projekte. Es zeigte sich insoweit,dass die Bürger bereit sind, teilzuhaben undsich kulturell zu engagieren, wenn das Ange-bot in einer für sie gewohnten Weise undUmgebung angeboten wird, durch unkon-ventionelle Zugangsformen mit Treffpunkt-charakter sowie in animatorischer Vermitt-lung, möglichst durch die beteiligten Künst-lerInnen selbst. Das heißt: Je stärker dasjeweilige Projekt in den Erfahrungshorizontder Teilnehmer integriert wurde, umso eherwurden damit überkommene kulturelle Par-tizipationsmuster überwunden und Kunst undKultur als wichtiger Lebensinhalt verstan-den.

»Summertime in Unna« hat nicht nur nachinnen, in die Stadt hinein gewirkt, hat dievielen kulturellen Aktivitäten der Bürger ge-stärkt und immer wieder neue kulturelle Initia-

tiven entstehen lassen, sondern hat der Stadt zueinem attraktiven Profil verholfen. Damit ge-wann sie die Anziehungskraft für viele Men-schen, NeubürgerInnen in Unna zu werden.

Dieser kulturpolitisch sehr engagierteSchwerpunkt der Kulturarbeit der Stadt Unna,ist mit Sommerprogrammen anderer Städte,die erst in späteren Jahren im Rahmen vonVerkaufsförderungen oder zur Erreichungtouristischer Zielsetzungen begonnen wur-den, nicht vergleichbar. Die für diese Som-merprogramme oft genannte Charakterisie-rung »umsonst und draußen«, erschien unsimmer als kulturpolitische Botschaft bzw. alsprogrammatische Grundlage am Kern derSache vorbei zu gehen. Uns ging es vorrangigum aktive Teilnahme und – daraus resultie-rend – Identifikation mit der Stadt und ihremkulturellen Angebot.

Axel Sedlack

Stadtmusik 1982