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Nr. 9 · 2. März 2014 Aus den Regionen % 19 E nde August 2000 kam Adam Nash auf die Welt. Er ist der erste Mensch, der im Labor ge- zeugt, getestet und ausgewählt wurde, um als Zellspender seiner sechs Jahre älteren Schwester Molly zu dienen. Ohne das eigens zu diesem Zweck gezeugte Spen- derkind hätte das Mädchen ster- ben müssen. Mit diesem konkre- ten Fall beginnt der in Köln ge- borene Theologe und Germanist, Professor Dr. Thomas Weißer, sei- nen Vortrag zur Präimplantati- onsdiagnostik (PID) aus theolo- gisch-ethischer Sicht. „Gott ins Handwerk pfuschen?“ lautet der Titel einer Veranstaltung in der Nürnberger Akademie Caritas- Pirckheimer-Haus (cph), die sich mit dem Pro und Contra einer umstrittenen Technologie be- fasst. „Gott steht den ,Göttern in Weiß‘ gegenüber“, gibt der Refe- rent zu bedenken. Er ist seit April 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Theologische Ethik an der Otto- Friedrich-Universität Bamberg. Als 1978 Louise Brown, das erste Kind weltweit, das durch die so genannte In-Vitro-Fertili- sation (IVF), entstand, geboren wurde, war das eine medizinische Weltsensation und für die Wis- senschaftler ein großer Durch- bruch: Nie zuvor war Leben in der Petrischale, also eine künst- liche Befruchtung im Reagenz- glas außerhalb des mütterlichen Leibes, gelungen. „Weltweit gibt es inzwischen vier Millionen Kin- der, die auf diese Weise entstan- den sind“, sagt Weißer. Er versteht die künstliche Befruchtung als „segensreiche Methode“ für kin- derlose Paare, sieht aber auch die problemati- sche Seite: Die Methode schaffe (auch) Raum für Experimente – an dieser Stelle setze die PID an, ein Verfahren mit dem Ziel der se- lektierenden Ein- pflanzung von zuvor isoliertem Erbgut. „Dabei kann man Chro- mosomenstörun- gen ausschließen und genetische Erkrankungen di- agnostizieren“, so der Experte. Trotz- dem habe man nie die Garantie auf ein vollkom- men gesundes Kind, betont der 67-Jährige. In Deutschland sind die Bestimmungen für die PID im Rahmen des Embryonenschutz- gesetzes (ESchG) geregelt; die PID, die rechtlich außerordent- lich umstritten ist, darf nur an bestimmten Zentren und in Ausnahmefällen wie bei schwer- wiegenden Erbkrankheiten sowie bei einer genetisch bedingten Anhäufung von Fehl- und/oder Totgeburten umgesetzt werden. Schwierig an der deutschen Position sei ein starrer Blick auf den Embryo, kritisiert Weißer: „Die Situation von Eltern und Geschwistern wird nur wenig berücksichtigt.“ Die PID verweise auf ein Ur-Bedürfnis des Menschen nach einem gesunden Kind, findet der vierfache Vater. Dennoch: „Plötz- lich will der Mensch selbst im Rahmen seiner Möglichkeiten ge- sunde Kinder ,herstellen‘, wobei das Wunder der Natur eigentlich Gott zugeschrieben wird.“ Durch die PID versuche der Mensch, Gottes Schöpfung fortzuführen; dabei müsse man sich immer wieder neu die Frage nach dem jeweils richtigen oder falschen Handeln stellen. Andererseits betrachtet es Weißer als „Anma- ßung“, dass der Mensch über- haupt in der Lage sein könnte, Gott auch nur annähernd ins Handwerk zu pfuschen. Außer- dem greife der Mensch ohnehin tagtäglich in das ein, was Gott erschaffen habe. „Es ist schwierig zu sagen, wo genau unser Ein- greifen in Gottes Plan beginnt“, findet Weißer. Und ist damit bei der schwierigen Frage, ab wann ein Mensch eigentlich ein Mensch ist, ab welcher Schwan- gerschaftswoche der Embryo im Mutterleib als eigenständiges Wesen bezeichnet werden kann. „Es gibt kein Patentrezept für moralisches Handeln“, ist sich Weißer sicher. Dammbruch-Argument und Diskriminierung Die PID wird in der allgemei- nen Diskussion oft als „Damm- bruch-Argument“ bezeichnet. Es zieht eine mögliche Diskriminie- rung behinderter Menschen nach sich. „Wer tritt für die Schutz- rechte des Embryos in der Petri- schale ein?“, fragt Weißer. In einer Welt, in der Kinder nicht mehr ungeplant entstünden, in der der passende Zeitpunkt für ein Kind wieder und wieder abgewogen werde, man im Gegenzug aber auch nicht gut mit Kinderlosig- keit umgehen könne, in einer Welt, in der alles perfekt sein müsse – demnach auch der Nachwuchs – werde nichtbehin- dertes Leben schnell ideologi- siert. „Glück und Gesundheit sind zwei wichtige Pole in unserer Gesellschaft“, so Weißer. „Da ist bei vielen Menschen kein Platz für ein Leben mit Leid.“ Welche Facetten darf das Leben noch haben? Er sieht eine große Gefahr darin, menschliches Leben auf genetische Eigenschaften zu reduzieren. „Stattdessen sollten wir uns vielmehr fragen, welche unterschiedlichen Dimensionen und Facetten Leben haben darf.“ Durch die PID werde die Anato- mie der Eltern erhöht – diese gehe mit einer neuen Verant- wortung einher, die man nicht unterschätzen dürfe. Retortenbabys, Wunschkin- der, gesunder Nachwuchs: Rund um die PID ranken sich nicht nur Wünsche und Visionen, son- dern auch Ängste und kritische Stimmen. Experte Weißer sieht bei diesem Thema viele Frage- zeichen, hält die Technik aber doch – in Grenzen – für disku- tierbar. Die katholische Kirche lehnt die PID grundsätzlich ab, da die Selektion von menschli- chen Embryonen gegen das Ach- tungsgebot der Menschenwürde verstoße. Ulrike Schwerdtfeger Präimplantations-Diagnostik (PID) aus theologisch-ethischer Sicht Gott und die „Götter in Weiß“ Neugeborenes Leben: Viele werdende Eltern verlassen sich heutzutage nicht mehr auf Gott und Schöpfung, sondern setzen ihr Vertrauen auf moderne Verfahren wie die Präimplantationsdiagnostik (PID). – Ein Verstoß gegen die Menschenwürde, sagt die katholische Kirche. Fotos: Schwerdtfeger „Gott ins Handwerk pfuschen?“ fragte Thomas Weißer, Professor für theolo- gische Ethik an der Uni Bamberg.

Nr. 9 · 2. März 2014 Aus den Regionen 19 E Gott und die ... · Nr. 9 · 2. März 2014 Aus den Regionen %19 Ende August 2000 kam Adam Nash auf die Welt. Er ist der erste Mensch,

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Page 1: Nr. 9 · 2. März 2014 Aus den Regionen 19 E Gott und die ... · Nr. 9 · 2. März 2014 Aus den Regionen %19 Ende August 2000 kam Adam Nash auf die Welt. Er ist der erste Mensch,

Nr. 9 · 2. März 2014 Aus den Regionen %19

Ende August 2000 kam AdamNash auf die Welt. Er ist der

erste Mensch, der im Labor ge-zeugt, getestet und ausgewähltwurde, um als Zellspender seinersechs Jahre älteren SchwesterMolly zu dienen. Ohne das eigenszu diesem Zweck gezeugte Spen-derkind hätte das Mädchen ster-ben müssen. Mit diesem konkre-ten Fall beginnt der in Köln ge-borene Theologe und Germanist,Professor Dr. Thomas Weißer, sei-nen Vortrag zur Präimplantati-onsdiagnostik (PID) aus theolo-gisch-ethischer Sicht. „Gott insHandwerk pfuschen?“ lautet derTitel einer Veranstaltung in derNürnberger Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus (cph), die sichmit dem Pro und Contra einerumstrittenen Technologie be-fasst. „Gott steht den ,Göttern inWeiß‘ gegenüber“, gibt der Refe-rent zu bedenken. Er ist seit April2012 Inhaber des Lehrstuhls fürTheologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Als 1978 Louise Brown, das

erste Kind weltweit, das durchdie so genannte In-Vitro-Fertili-sation (IVF), entstand, geborenwurde, war das eine medizinischeWeltsensation und für die Wis-senschaftler ein großer Durch-

bruch: Nie zuvor war Leben inder Petrischale, also eine künst-liche Befruchtung im Reagenz-glas außerhalb des mütterlichenLeibes, gelungen. „Weltweit gibtes inzwischen vier Millionen Kin-der, die auf diese Weise entstan-den sind“, sagt Weißer. Er verstehtdie künstliche Befruchtung als„segensreiche Methode“ für kin-derlose Paare, sieht aber auch

die problemati-sche Seite: DieMethode schaffe(auch) Raum fürExperimente – andieser Stelle setzedie PID an, einVerfahren mitdem Ziel der se-lektierenden Ein-pflanzung von zuvor isoliertemErbgut. „Dabeikann man Chro-mosomenstörun-gen ausschließenund genetischeErkrankungen di-agnostizieren“, soder Experte. Trotz-dem habe mannie die Garantieauf ein vollkom-men gesundesKind, betont der67-Jährige. In Deutschland sind die

Bestimmungen für die PID imRahmen des Embryonenschutz-gesetzes (ESchG) geregelt; diePID, die rechtlich außerordent-lich umstritten ist, darf nur anbestimmten Zentren und in Ausnahmefällen wie bei schwer-wiegenden Erbkrankheiten sowiebei einer genetisch bedingtenAnhäufung von Fehl- und/oderTotgeburten umgesetzt werden.Schwierig an der deutschen Position sei ein starrer Blick aufden Embryo, kritisiert Weißer:„Die Situation von Eltern undGeschwistern wird nur wenig berücksichtigt.“Die PID verweise auf ein

Ur-Bedürfnis des Menschen nacheinem gesunden Kind, findet dervierfache Vater. Dennoch: „Plötz-lich will der Mensch selbst imRahmen seiner Möglichkeiten ge-sunde Kinder ,herstellen‘, wobeidas Wunder der Natur eigentlichGott zugeschrieben wird.“ Durchdie PID versuche der Mensch,Gottes Schöpfung fortzuführen;dabei müsse man sich immerwieder neu die Frage nach demjeweils richtigen oder falschenHandeln stellen. Andererseits betrachtet es Weißer als „Anma-ßung“, dass der Mensch über-haupt in der Lage sein könnte,

Gott auch nur annähernd insHandwerk zu pfuschen. Außer-dem greife der Mensch ohnehintagtäglich in das ein, was Gotterschaffen habe. „Es ist schwierigzu sagen, wo genau unser Ein-greifen in Gottes Plan beginnt“,findet Weißer. Und ist damit beider schwierigen Frage, ab wannein Mensch eigentlich einMensch ist, ab welcher Schwan-gerschaftswoche der Embryo imMutterleib als eigenständiges Wesen bezeichnet werden kann.„Es gibt kein Patentrezept fürmoralisches Handeln“, ist sichWeißer sicher.

Dammbruch-Argument und DiskriminierungDie PID wird in der allgemei-

nen Diskussion oft als „Damm-bruch-Argument“ bezeichnet. Eszieht eine mögliche Diskriminie-rung behinderter Menschen nachsich. „Wer tritt für die Schutz-rechte des Embryos in der Petri-schale ein?“, fragt Weißer. In einerWelt, in der Kinder nicht mehrungeplant entstünden, in der derpassende Zeitpunkt für ein Kindwieder und wieder abgewogenwerde, man im Gegenzug aberauch nicht gut mit Kinderlosig-keit umgehen könne, in einerWelt, in der alles perfekt seinmüsse – demnach auch der

Nachwuchs – werde nichtbehin-dertes Leben schnell ideologi-siert. „Glück und Gesundheit sindzwei wichtige Pole in unserer Gesellschaft“, so Weißer. „Da istbei vielen Menschen kein Platzfür ein Leben mit Leid.“

Welche Facetten darfdas Leben noch haben?Er sieht eine große Gefahr

darin, menschliches Leben aufgenetische Eigenschaften zu reduzieren. „Stattdessen solltenwir uns vielmehr fragen, welcheunterschiedlichen Dimensionenund Facetten Leben haben darf.“Durch die PID werde die Anato-mie der Eltern erhöht – diese gehe mit einer neuen Verant-wortung einher, die man nichtunterschätzen dürfe. Retortenbabys, Wunschkin-

der, gesunder Nachwuchs: Rundum die PID ranken sich nichtnur Wünsche und Visionen, son-dern auch Ängste und kritischeStimmen. Experte Weißer siehtbei diesem Thema viele Frage-zeichen, hält die Technik aberdoch – in Grenzen – für disku-tierbar. Die katholische Kirchelehnt die PID grundsätzlich ab,da die Selektion von menschli-chen Embryonen gegen das Ach-tungsgebot der Menschenwürdeverstoße. Ulrike Schwerdtfeger

Präimplantations-Diagnostik (PID) aus theologisch-ethischer Sicht

Gott und die „Götter in Weiß“

Neugeborenes Leben: Viele werdende Eltern verlassen sich heutzutage nicht mehr auf Gott undSchöpfung, sondern setzen ihr Vertrauen auf moderne Verfahren wie die Präimplantationsdiagnostik(PID). – Ein Verstoß gegen die Menschenwürde, sagt die katholische Kirche. Fotos: Schwerdtfeger

„Gott ins Handwerk pfuschen?“ fragteThomas Weißer, Professor für theolo-gische Ethik an der Uni Bamberg.