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Werkstattzeitung Das Magazin von und mit Beschäftigten der Göttinger Werkstätten gemeinnützige GmbH Nummer: 16 Ausgabe: Sommer 2017 Eine Welt ohne Hunger ist keine Utopie Foto: FAO/Seyllou Diallo

Nummer: 16 Werkstattzeitung - Göttinger Werkstätten · sehr befremdlich. Das Eyeborg ist kein künstli-ches Auge, das in sich der Augenhöhle befindet, sondern baumelt vor der Stirn

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Page 1: Nummer: 16 Werkstattzeitung - Göttinger Werkstätten · sehr befremdlich. Das Eyeborg ist kein künstli-ches Auge, das in sich der Augenhöhle befindet, sondern baumelt vor der Stirn

WerkstattzeitungDas Magazin von und mit Beschäftigten der Göttinger Werkstätten gemeinnützige GmbH

Nummer: 16

Ausgabe: Sommer 2017

Eine Welt ohne Hunger ist keine Utopie

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Hunger auf der Welt

795 Millionen Menschen hungern auf der Welt, an den Folgen von Mangel- und Unterernäh-rung stirbt alle 10 Sekunden ein Kind. Dabei gibt es genug Nahrung, Wissen und Mittel, um den Hunger zu bekämpfen. Fachleute unter-scheiden zwei Arten von Hunger:1. Akuter Hunger (Hungersnot): Über einen abgegrenzten Zeitraum bestehende Unterer-nährung. Tritt häufig in Zusammenhang mit Krisen (Dürren bedingt durch El Nino), Krie-gen und Katastrophen auf und bezieht sich auf Menschen, die schon unter chronischem Hunger leiden. Von akutem Hunger sind knapp zehn Prozent aller Hungernden betroffen.2. Chronischer Hunger: Hiervon spricht man, wenn dauerhafte Unterernährung vorliegt. In den Medien wird meist nur über akute Hunger-krisen berichtet, dabei ist der weitaus größte Teil aller Hungernden von chronischem Hunger betroffen. Mangelnde Ernährung, oft auch kein sauberes Wasser oder keine Gesundheitsver-sorgung sind die Gründe dafür.

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Leben & Gesellschaft

Es ist ein lösbares Problem, den Hunger welt-weit zu überwinden. Chronischer Hunger ist vermeidbar. Die Fortschritte in den vergange-nen 30 Jahren waren so groß, dass interna-tionale Organisationen wie die Weltbank und die Vereinten Nationen sich zum Ziel gesetzt haben, extreme Armut und Hunger bis 2030 zu überwinden. Es handelt sich um ein hoch gestecktes Ziel, das aber erreicht werden kann, wenn die Politik bei der Verteilung des Wohl-standes für größere Gerechtigkeit sorgt. Bis zum Jahr 2030 könnte der Hunger also über-wunden werden. Es gibt Tatsachen, die diese Prognose stützen: Es wurden große Fortschritte bei der Bekämp-fung des Hungers weltweit gemacht, entge-gen der weit verbreiteten Meinung. Obwohl die Weltbevölkerung um zwei Milliarden Men-schen wuchs, ging die Zahl der Hungernden seit 1990 weltweit um 209 Millionen zurück. In weniger als 25 Jahren ging die Zahl der Hun-gernden in vielen Ländern also stark zurück, in

Bilder: World Food Programme © 2017

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Leben & Gesellschaft

Vietnam sank die Zahl der Hungernden von 45 auf 13 Prozent, in Thailand reduzierte sich die Zahl der Hungernden von 36 auf etwa 7 Pro-zent. China reduzierte die Zahl der Kinder, die in ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung zurückliegen, von 32 auf 8 Prozent. Statistisch gesehen wird der Hunger in Brasilien als über-wunden betrachtet. So wurde das Millennium Entwicklungsziel (MDG), die Anzahl Hungern-der zu halbieren, fast erreicht. Mit weniger als 800 Millionen hungernder Menschen wurde das Ziel zwar knapp verfehlt, aber trotzdem eine Verbesserung deutlich. Es verbessern sich die Ernährung und Gesund-heit von Kindern. Dies ist eine Grundlage für die Überwindung von Hunger. Die Zahl der Kinder, deren körperliche und geistige Entwicklung nicht ihrem Alter entsprach, nahm weltweit in den vergangenen 25 Jahren um 40 Prozent ab. Wissenschaftliche Untersuchungen haben er-geben, dass eine Welt ohne extreme Armut bis 2030 möglich ist. Extreme Armut und Hunger hängen direkt miteinander zusammen. In den Ergebnissen der Hungerbekämpfung würde

sich das Ende extremer Armut wider spiegeln. Berechnungen der Weltbank haben ergeben, dass bei einem jährlichen Wirtschaftswachs-tum von vier Prozent in den Entwicklungslän-dern – dies war dort das durchschnittliche Wachstum zwischen 2000 und 2010 – und gleichbleibender Einkommensverteilung der Anteil der Menschen, die unter extremer Armut leiden, bis 2030 auf drei Prozent sinken würde. Damit wäre – statistisch gesehen – die extreme Armut auf der Welt überwunden.

Verantwortung übernehmen

In der Weltgemeinschaft wird Verantwortung übernommen. Als vorrangig werden – mehr als je zuvor – Investitionen in Ernährungssicherheit und so die Überwindung von Hunger gesehen. An vorderster Stelle ihrer Entwicklungsagenda hat die G8-Gruppe der wohlhabendsten Staa-ten der Welt die Ernährungssicherheit gesetzt. Vom UN-Generalsekretär wurde eine „Zero Hunger Initiative“ gestartet. Bis zum Jahre 2030 haben sich Regierungen in Afrika, Latein-amerika und der Karibik für ihre Staaten zum Ziel gesetzt, den Hunger zu beenden. Auf dem Weg hin zu einer Welt ohne Hunger und extremer Armut zeigen diese Tatsachen ei-nen deutlichen Fortschritt. Es bleibt eine große Herausforderung, dieses Ziel bis 2030 zu errei-chen. Sie muss angenommen werden, vor al-lem angesichts der immer noch fast 800 Millio-nen Menschen, die unter chronischem Hunger leiden. Die Regierungen und die Weltgemein-schaft sind aufgefordert, genügend Ressour-cen zur Verfügung zu stellen und eine Politik zu verfolgen, die die Mitsprache aller Beteilig-ten und weltweite Gerechtigkeit ermöglicht. Es kann eine Welt ohne extreme Armut und Hun-ger geben.

Stephan Knoblauch

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Leben & Gesellschaft

Eine Welt ohne Hunger ist möglich

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795 Millionen Menschen hungern auf der Welt.

An den Folgen stirbt alle 10 Sekunden ein Kind.

Eigentlich gibt es genug Nahrung und Mittel, um den Hunger zu bekämpfen.

Die Fach-Leute unterscheiden 2 Arten von Hunger:

1. Chronischer Hunger:

Wenn man dauernd zu wenig zu essen hat.

In den Nachrichten wird meist nur über akuten Hunger berichtet.

Aber die meisten betroffenen Menschen haben chronischen Hunger.

Das liegt daran, dass sie nicht genug Nahrung haben,

Oft haben sie auch kein sauberes Wasser oder keine Gesundheits-Versorgung.

Es fehlen Medikamente, Ärzte und Krankenhäuser.

2. Akuter Hunger (Hungersnot):

Wenn man eine bestimmte Zeit lang zu wenig zu essen hat.

Das kommt bei Krisen, Kriegen und Katastrophen oft vor.

Die Menschen leiden vorher schon an chronischem Hunger.

Eigentlich kann man den Hunger weltweit überwinden.

Das ist möglich.

Wenn die Politik dafür sorgt, dass der Wohlstand gerecht verteilt wird.

Es wurde schon viel erreicht, um den Hunger zu bekämpfen.

Obwohl es immer mehr Menschen gibt, gibt es weniger hungernde Menschen.

Trotzdem hungern immer noch 800 Millionen Menschen auf der Welt.

Die Ernährung und Gesundheit von Kindern verbessern sich.

Das ist wichtig, um den Hunger zu überwinden.

Große Armut und Hunger hängen direkt miteinander zusammen.

Wenn es keine extreme Armut mehr gibt, dann gibt es auch keinen Hunger mehr.

Die Vereinten Nationen haben eine „Zero Hunger Initiative“ gestartet.

Zero bedeutet Null oder Nichts auf Englisch.

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Leben & Gesellschaft

Welthungerhilfe: Hunger ist keine JahreszeitNach Schätzungen der Ernährungs- und Land-wirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen leidet rund eine Milliarde Menschen an chro-nischer Unterernährung. Der größte Teil der hungernden und unterernährten Bevölkerung lebt südlich der Sahara oder im asiatisch-pa-zifischen Raum. Viele dieser Länder waren früher Kolonien der heutigen Industrienationen. Aber das ist es nicht allein. Das rasche Anwachsen der Weltbevölkerung verschärft nicht nur die Ernährungssituation. Die Butterberge und Milchseen sind längst abgebaut. Bei Missernten oder anderen Nahrungs-engpässe kann man nicht mehr auf Reserven zurück-greifen. Experten der Vereinten Nationen rechnen um das Jahr 2050 herum mit vor-aussichtlich elf Milliarden Menschen.Die Ackerflächen werden knapp und die weltweite Nachfrage nach Nahrungs-mitteln wird in den nächs-ten Jahrzehnten deutlich steigen.Dadurch wird sich unsere

Fortsetzung auf Seite 6

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Hungerkatastrophe in Afrika. Foto: pm-hunger-afrika-Yemane-Gebremedhin

Bis zum Jahre 2030 soll es keinen Hunger mehr geben.

Das ist eine Herausforderung.

Aber es ist möglich.

Ernährung in den darauffolgenden Jahrzehn-ten wandeln. Der Nahrungsmittelbedarf wird sich mehr als verzweifachen. Fisch und Fleisch werden zum Luxusgut, das nur noch sonntags auf den Tisch kommt. Ohne Hunger zu leben ist ein zentrales Men-schenrecht, das weltweit knapp einer Milliarde Menschen verwehrt wird. In vielen Ländern wird das Recht auf angemessene Ernährung sowie auf sauberes Wasser in ihren Verfas-sungen verankert, aber noch längst nicht über-all umgesetzt ̶ auch wenn die betreffende Regierung den UN-Sozialpakt ratifiziert hat.

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Leben & Gesellschaft

Foto ©Welthungerhilfe_Äthiopien2

Fortsetzung von Seite 6

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all umgesetzt ̶ auch wenn die betreffende Regierung den UN-Sozialpakt ratifiziert hat. Häufig wird das Verhungern billigend in Kauf genommen. Oft sind mangelnde Hygienebedingungen so-wie unsauberes Trinkwasser die Ursache für Cholera, Typhus und Ruhr, an denen vor allem Kinder leiden und sterben.Außerdem wird kaum nach den Ursachen für die Flucht der Unter- und Mangelernährten ge-fragt. Daher wundern sich die Leute, warum in den Armenvierteln dieser Welt Deutschland als das „Schlaraffenland“ angesehen wird, in dem Milch und Honig im Überfluss fließen.Neben dieser Sichtweise führen brutale Krie-ge, Naturkatastrophen, menschenverachtende Ausbeutung durch Hungerlöhne und Unterdrü-ckung zum Hunger. Die Arbeitskraft ist oft das einzige Gut, was die Menschen zur Verfügung haben. Experten gehen davon aus, dass Afri-

ka bis zum Jahr 2030 auf 1,7 Milliarden Men-schen wächst. In Afrika lebt ein Großteil der Bevölkerung in ländlichen Regionen und von der Landwirtschaft. Nicht alle sind in der Lage, sich trotz mühseliger Arbeit selbst zu versor-gen. Ein halber Hektar Land reicht nicht aus, um Überschüsse für den Verkauf herzustellen und den Lebensunterhalt der Familie befriedi-gend zu sichern. So müssen große Teile des afrikanischen Kontinents landwirtschaftlich nutzt werden. Daher muss Afrika einen Teil sei-ner benötigten Lebensmittel einführen. Demgegenüber produzieren die USA und die EU zu viele Lebensmittel, um sie selbst auf-essen zu können. Um diese Berge abzubauen setzten sie den Entwicklungsländern die Pisto-le auf die Brust: Entweder Afrika unterzeichnet das Freihandelsabkommen oder ihr Marktzu-gang zur EU wird eingeschränkt. Damit ma-chen sie die Preise der afrikanischen Klein-

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Leben & Gesellschaft

Foto ©Grossmann_Welthungerhilfe_Äthiopien2

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bauern kaputt. Um den Kleinbauern zu helfen, müssen diese in die Lage versetzt werden, ihr Land wieder in Eigenregie bewirtschaften können, um sich selbst versorgen zu können. Doch das ist nicht allein mit technischen An-sätzen zu lösen. Die tägliche Ration Reis oder Mais würde zwar die Mägen der Unterernähr-ten füllen, zum Sattwerden reicht die Portion bei weitem nicht aus. Den Menschen fehlen nährstoffreiche Nah-rungsmittel, aus denen der Körper seine Ener-gie gewinnt. Dabei geht es um weit mehr, als um die ausreichende Zufuhr von wertvollen Nährstoffen. Wer arm ist, leidet an Hunger und wer ge-schwächt ist, kann meist nur eingeschränkt ar-beiten, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Die Schlüsselaufgabe ist der weltumspannen-de Abbau der Armut mit verbesserten und an-gepassten Anbaumethoden sowie durch das Anlegen von Saatgutbanken. Ohne Geld oder die Möglichkeit, selbst Nahrung zu kultivieren, kann der Mensch sich nicht ernähren.

Die Selbstversorger bestellen ihre Felder oft nur mit Handarbeit ohne Hilfe von Zugtieren oder Traktoren. Aber wie viel sind wir bereit, vom angesammelten Wohlstand abzugeben? Um die Flüchtlingsströme nach Europa zu be-enden, darf keine Entwicklungshilfe nach dem Gießkannen-Prinzip gewährt werden. Vielmehr müssen Zukunftsperspektiven vor Ort geschaf-fen werden. Für viele Kleinbauernhaushalte liegt die nach-haltige Lösung in der modernen Landwirtschaft und im fairen Handel. Mit Hilfe von kleinen, ro-busten aber billigen Traktoren könnten brach-liegende Ackerflächen bestellt werden.Um das zu erreichen, würde ein europäischer „Marshall-Plan“ für Afrika helfen. Dann würde ein Großteil der Gewinne auch in Afrika ver-bleiben. Die Verschwendung von Lebens-mitteln muss in diesem Zusammenhang ver-schwinden. In Frankreich ist das Zerstören oder das Weg-werfen von unverdorbenen Lebensmitteln ein Straftatbestand. Marcus Urban

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Medizintechnik

Cyborg Neil Harbisson mit seinem Eyeborg, October 2012. Foto: Dan Wilton/The Red Bulletin / Wikime-dia Commons

Der Eyeborg: das elektronische AugeCyborgs, Mischwesen aus Mensch und Ma-schine, bevölkern die Science-Fiction-Welt, Eyeborgs sind weniger bekannt. Ein Eyeborg ist sozusagen ein elektronisches „Kunstauge“, das in einem Menschen steckt. Das erste dieser Kunstaugen bekam Neil Har-bisson. Seit seiner Geburt leidet der Künstler und Komponist unter einer vollständigen Far-benblindheit. Deshalb ist er nicht in der Lage, Farben zu sehen. Bei dieser Krankheit handelt es sich um eine seltene Farbsinnstörung. Der Patient kann keine Farben, sondern nur Kont-raste (hell-dunkel) wahrnehmen.Diese neue Technik wirkt auf viele Menschen sehr befremdlich. Das Eyeborg ist kein künstli-ches Auge, das in sich der Augenhöhle befindet, sondern baumelt vor der Stirn von Harbisson. Auf den ersten Blick sieht er dadurch aus wie ein Tiefsee-Anglerfisch. Wie der Tiefseeang-ler besitzt Harbisson eine „Angel“ in Form ei-nes dünnen Bügels, der an seinem Hinterkopf angebracht ist. Der anhängte „Köder“ ist ein Farbsensor und sieht aus wie eine Träne. Er

hat die Größe eines Autoschlüssels und nimmt die angepeilten Farben aus dem Sichtfeld von Neil Harbisson wahr. Der Sensor wandelt die Farben in Klänge um. Die Klänge überträgt er an einen eingepflanzten Chip. So verwandelt sich ein Supermarkt in einen Nachtclub und Gemälde werden zu Melodi-en. Harbisson muss lernen, die Klänge den Farben zuzuordnen. Im Jahr 2004 wurde Neil Harbisson von der britischen Regierung als Cyborg anerkannt und gehört damit zu einer gesellschaftlichen Randgruppe.Eine Videokamera als Auge ist ebenso unge-wöhnlich wie das Kunstauge von Neil Harbis-son. Mit neun Jahren verlor der kanadische Dokumentarfilmer Rob Spence auf dem Bau-ernhof seines Großvaters sein rechtes Auge. Er hatte mit einer Schrotflinte auf einen Hau-fen Kuhmist geschossen. Dabei passierte ihm ein Missgeschick, wodurch er sein rechtes Auge verlor. Nach dem Unfall erhielt Spence zunächst ein Glasauge, später beschloss er, den Augapfel gegen eine Videokamera mit Mi-niatursender einzutauschen.Die Minikamera wurde in Form eines Auges in die leere Augenhöhle eingesetzt und kann mittels der Augenmuskulatur bewegt werden. Sie ist nicht mit dem Sehnerv verbunden und sendet ihre Bilder drahtlos an einen kleinen Computer. Das Augenimplantat war für Spen-ce eine logische Konsequenz gewesen. Er wollte seine gewohnte Arbeit fortsetzen und gleichzeitig etwas Neues machen. Gelegent-lich leuchtet sein Kameraauge schon mal wie beim Kampfroboter „Terminator“ im stylischen Rot.

Marcus Urban

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Göttingen

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Meine schöne Zeit im AsklepiosIch war mehrere Male in der Asklepios-Klinik, wie es seit ein paar Jahren heißt. Früher hieß es Landeskrankenhaus (LKH).So um das Jahr 2000 war ich dort das erste Mal und fand das in der geschlossenen Station nicht so schön. Auch in der halb offenen Sta-tion fühlte ich mich nicht so wohl, aber in der offenen Station ging es dann bergauf. Das war die Station 6. Erst war ich in der ersten Etage untergekommen. Da fand ich schon, dass ich einen sehr großen Fortschritt gemacht habe, denn ich konnte dort alleine entscheiden, wann ich was machen wollte, hauptsächlich habe ich meine Termine eingehalten, die dort angesagt waren (Ergotherapie, Stationsversammlung, Morgenrunde, Lesegruppe). Wir mussten uns dort teilweise selbst verpfle-gen, das heißt, wir haben einen Kühlschrank zugewiesen bekommen (es gab drei an der Zahl) und da mussten wir uns untereinander verständigen, was wir in der nächsten Woche zum Frühstück und Abendbrot essen wollten.

Dafür gab es Geld für jede Gruppe. Das muss-ten wir dann bei einem Supermarkt in der Nähe einkaufen! Dann gab es noch den Kaffeedienst und den Obstdienst. Das heißt: Eine Woche lang hat man für die gan-ze Gruppe eingekauft und dafür gesorgt, dass alle zufrieden waren. Wer am gesamten Wochenende da war, musste sogar ei-

nen Kuchen oder eine Torte backen, damit die gegessen werden konnten. Aber bevor wir in das Wochenende gingen, ha-ben wir immer ein gemeinsames Frühstück ge-macht. In der Zweiten Etage der Station 6 war das so, dass wir alles alleine gemacht haben.Wir mussten uns um die WG kümmern, das heißt die Räume wöchentlich abwechselnd säubern. Einer das Badezimmer, einer die Kü-che, genauso den Flur und das Wohnzimmer. Um das Essen mussten wir uns ebenfalls küm-mern, so wie in der ersten Etage, aber hier in der zweiten auch um das Mittagessen.Das ging so, dass sich auch dort abgewechselt wurde. Dafür gab es auch dort Geld dafür.Wir hatten zu der Zeit, wo ich da war, so viel Geld über, weil wir richtig gehaushaltet hatten, dass wir drei Mal hintereinander Essen gehen konnten und uns dafür sogar ein Taxi bestellt haben. Ich erinnere mich an die Zeit heute sehr gerne. Claudia Grosse

Asklepios-Fachklinik. Foto: Henrik Dochhorn,wikimedia

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Aus der Werkstatt

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Die sprechende Litfaßsäule Seit einigen Monaten ist ein neues technischen Hilfsmittel im Einsatz und von den Werkstatt-beschäftigten heiß begehrt: CABito, die „spre-chende Litfaßsäule“. Das Kunstwort Cabito leitet sich von der „Ca-ritas Augsburg Betriebsträger gGmbH“ ab, die das Gerät entwickelt hat. Das Cabito funktio-niert wie eine Art elektronisches Schwarzes Brett. Es ist ein computergestütztes Informati-onssystem mit berührungsempfindlichem Bild-schirm, vergleichbar einem Tablet-PC. Ähnlich wie über eine App (Das ist eine Abkürzung für das Wort Applikation und bezeichnet ein klei-nes Computerprogramm) können die Werk-stattbeschäftigten auf der Startseite der CABi-to-Geräte verschiedene Themen durchsuchen. Durch Antippen von großen Schaltflächen mit leicht verständlichen Bildsymbolen lässt sich der Bildschirm einfach bedienen. Das Cabito-Programm liefert die gewünschte Information durch Bilder und Schrift. Die Texte sind in einfacher Sprache verfasst und werden sogar vorgelesen. Über einen Lautsprecher am Gerät kann die Lautstärke für schwerhörige Klienten ange-passt werden. Das Gerät ist für Menschen mit Schwierigkeiten in den Bereichen Lese-, Text- und Sprachverständnis gemacht worden.Von den meisten Werkstattbeschäftigten wird es kurz und treffend als „sprechende Infotafel“ bezeichnet. Es ist ein unproblematisches In-formationssystem. Je ein Infopoint mit diesem digitalen Auskunftsdienst wurde im Empfangs-bereich des Hauptgebäudes der Werkstatt für behinderte Menschen (vor dem Speisesaal der WfbM) und im Berufsbildungsbereich auf-

gestellt. Er ist höhenverstellbar und lässt sich ganz ohne technisches Wissen per Tipp auf den Bildschirm von jedem bedienen. So zeigt der berührungsempfindliche Bildschirm dem rollstuhlfahrenden Werkstattbeschäftigten die wichtigsten Neuigkeiten aus dem Internet und der Göttinger Werkstätten wie Speisepläne, Zeiten des Fahrdienstes, Busfahrpläne oder aktuelle Veranstaltungen und Projekte an.Damit sich jeder an der „sprechenden Litfaß-säule“ informieren kann, werden die wichtigs-ten Informationen in der Druckerei zusammen-getragen und sinnvoll aufbereitet.Die Informationen werden Themenbereichen zugeordnet, um sie dann auf dem CABito an ihren Platz zu stellen. Hans-Jürgen Nolte hört sich gern neue Ideen dazu an. Marcus Urban

Beschäftigter vor dem Cabito. Foto: Marcus Urban

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Unterwegs

Mein Urlaub in Grömitz

Ich war in diesem Jahr mit meinen Eltern in Grömitz. Die Unterkunft war eine Wohnung in einem Hotel. Grömitz hat als Erkennungszei-chen die Sonne.Trotzdem hat es auch geregnet, gestürmt oder gewittert. Der Urlaub dauerte fünf ganze Tage.Am Anfahrtstag fuhren wir um 10.30 Uhr bei mir in der Martin-Luther-Straße los. Wir waren mit dem Auto und dem Navigationssystem un-terwegs. Die Fahrt ging sehr zügig voran. Am Ziel angekommen waren wir schon um 15 Uhr, aber wir konnten erst um 16 Uhr in unsere Un-terkunft gehen.In Grömitz packten wir als erstes die Koff er aus, dann erkundeten wir die Umgebung. Es gab viele Geschäfte und Restaurants zu se-hen. In den Geschäften gab es Lebensmittel zu kaufen, aber auch Anziehsachen und Sou-venirs. Zum Abendbrot gingen wir in einem Restaurant. Es war ein Jugoslawe, wie man früher sagte. Ich aß Cevapcici.Am nächsten Tag waren wir mit dem Auto in Travemünde, im Maritimhotel.Dort gingen wir in das Café im obersten Stock-werk, um Kaff ee und Kuchen zu essen.So konnten wir auch die Umgebung von ganz oben betrachten. Man konnte ganz weit schau-en. Ein Tag später waren wir hauptsächlich am Strand und genossen das Meer und die Leute

um uns. Der Strand war auch für Rollstuhlfah-rer geeignet.Überall gab es Holzstege, auf denen man überallhin gelangte. Wir genossen die Ruhe. Es waren Familien vor Ort, die haben die Ruhe auch nicht gestört.Eigentlich wollten wir mit einem Schiff fahren, aber das war nicht möglich, denn an diesem Tag fuhren in Grömitz keine Schiff e und zu ei-nem anderen Hafen wollten wir nicht. Am vierten Tag fuhren wir dann letztendlich mit dem Schiff nach Dänemark. Wir gingen nicht von Bord, weil es zu der Zeit regnete, aber wir waren auf dem Schiff einkaufen. Das war auch ganz schön.Bei der Rückfahrt mit dem Auto fuhren wir an einer Kunstausstellung vorbei und hielten an, um uns dort die Bilder anzusehen. Die Bilder waren von der Umgebung, vor allem Meer und Strand.Am fünften Tag waren wir hauptsächlich in un-serem Dorf unterwegs. Das war sehr steil in der Umgebung. Mit dem Rollstuhl war das schwie-rig. Wir mussten auch dann schon wieder pa-cken, denn unser Urlaub endete am nächsten Tag. Abends spielten wir manchmal Rommé. Mein Vater gewann an allen Abenden.Wir standen am Abfahrtstag so auf, dass wir nach dem Frühstück um Punkt 10 Uhr aus dem Appartement waren.Dann fuhren wir los und merkten, dass sich ein Stau bildete. Somit waren wir letztendlich erst um 17.30 Uhr wieder bei mir zu Hause ange-kommen. Es war ein schöner Urlaub.

Claudia Grosse

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Leben & Gesellschaft

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Es ist bekannt, dass durch zu viel Kohlendio-xid (CO²) in der Luft die Erderwärmung immer schlimmer wird und damit auch die Meeres-spiegel ansteigen. Außerdem gibt es in man-chen Gebieten der Welt kaum oder kein Essen. Die Gründe dafür liegen oft auch am Klima-wandel, etwa weil Ernten durch Dürren oder Überschwemmungen vernichtet werden. Oft kommen auch noch Kriege hinzu, die um Land, Nahrung oder Wasser geführt werden. So lange das so bleibt, kommen mehr und mehr Menschen hierher zu uns, wo es noch nicht so schlimm ist und alle meckern dann herum, dass diese fremden Leute kommen. Dabei haben die Meckerer möglicherweise selbst Schuld daran, weil sie den Klimawandel mit verursacht haben. Somit braucht keiner zu meckern, der nicht gegen den Klimawandel arbeitet. Ich finde, man kann eine Menge tun. Früher habe ich mehr Radio gehört und mehr ferngesehen. Heute hingegen schalte ich auch mal aus und gehe früher ins Bett oder mache andere Dinge, schon deshalb, weil ich eine eigene Wohnung habe. Schließlich muss ich den Haushalt machen, sonst bleibt alles lie-gen. Aber auch dabei achte ich darauf, dass ich nicht zu viel Strom oder Wasser verbrau-che. Mein Handy schalte ich am Abend aus. Auch beim Einkaufen achte ich darauf, dass ich nicht so viel Müll verursache und nicht zu viele medizinische Dinge benutze, wie zum Beispiel Einlagen und Dauerkatheter. Schließ-lich geht der Müll zum Teil in die Entwicklungs-länder und verschmutzt dort die Umwelt. Das finde ich nicht nett den Leuten dort gegenüber. Schließlich haben die auch ein Recht auf ein vernünftiges Leben ohne Sorgen um Essen und CO². Auch in der Werkstatt ist es so, dass

Gegen den Klimawandelwir schonend mit der Umwelt umgehen, da wir durch viel Handarbeit sehr wenig Strom ver-brauchen. Das ist ein Zusatzpunkt hier und in anderen Werkstätten für die Verlangsa-mung des Klimawandels. Außerdem kann ich mit dem Stadtbus zur Arbeit fahren, das finde ich auch positiv an der Werkstatt. Aber auch die Autofahrer können Leute mitnehmen und somit CO² sparen. Es ist nicht so, dass man schlecht ist, weil man Auto fährt, auch da gibt es Sparmaßnahmen wie zum Beispiel ein neu-es und damit CO² sparendes Auto kaufen oder mal nach der Arbeit zu Fuß nach Hause ge-hen. Es braucht sich heutzutage keiner für ein Auto schämen, sondern muss genauso wie bei den anderen Dingen im Leben überlegen, wie man damit umgeht. Das ist heutzutage überall so. Außerdem haben am Anfang des Jahres Studenten aus Göttingen Mehrwegbecher mit Pfand für Kaffee zum Mitnehmen eingeführt, sodass die leeren Becher nicht weggeworfen, sondern wieder abgegeben werden.Seit letztem Jahr gilt auch in Göttingen, wie ich schon in einem anderen Artikel berichtete, dass Plastiktragetaschen nur noch gegen Geld zu kaufen sind und nicht mehr so mitgenom-men werden dürfen. Auch der Umwelt zuliebe. Also, es ist nicht so, dass nichts getan wird, aber noch lange nicht genug. Wie man merkt, kann jeder etwas tun.Ich war auch aus diesem Grund bei einem Vortrag, bei dem es darum ging, wie man am besten Strom spart. Da habe ich viel für mein Leben mitgenommen und in dieses integriert.Ich hoffe, Ihr seht und macht das genauso, schließlich geht es uns alle etwas an, denn es geht hier um uns und unsere Zukunft!

Claudia Grosse

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Unterwegs

Hannover: CeBIT 2017

Am 21. März habe ich die Gelegenheit bekom-men, die fünftägige Technologiemesse „Ce-BIT“ in Hannover zu besuchen. Die Eintritts-karte habe ich von der Werkstatt bekommen, so dass ich mir nur die Fahrkarte für den Zug kaufen brauchte. Ursprünglich wollte ich vor neun Uhr fahren, aber das musste ich mir aus dem Kopf schlagen. Dafür hätte ich mir das Flexticket für 23,10 Euro kaufen müssen, aber das wäre nur für die Hinfahrt gewesen. Für die Rückfahrkarte hätte ich genauso viel bezahlen müssen. Letztendlich habe ich mir das Nieder-sachsenticket für 23 Euro (Hin- und Rückfahrt) gekauft und bin nach neun Uhr gefahren. Ich bin mit dem Bus zum Bahnhof und später mit dem Metronom nach Hannover fahren. Die Zugfahrt dauerte gut eine Stunde. Der Metro-nom war nicht so voll wie ich anfangs vermutet hatte. Er hält ausschließlich zu Messezeiten in Hannover Messe/Laatzen. Kurz nach zehn Uhr hatten wir den Messebahnhof erreicht. Um auf das ausladende Messegelände zu kommen, mussten die Besucher durch einen fast vier-hundert Meter langen Tunnel zum westlichen

Eingang des Messegeländes gehen. Der Tun-nel hat drei Rollbahn und schützt die Besucher vor Wind und Wetter. Gleich zu Anfang war der selbstfahrende Minibus „Olli“ in der „Halle 13“ zu sehen - für viele Besucher war das Mitfah-ren ein spannendes Erlebnis. Das diesjährige Partnerland der Messe war Ja-pan. Deshalb waren fast zweihundert japani-sche Firmen vertreten. Insgesamt waren über dreitausend Aussteller aus siebzig Ländern auf der Messe. Es wurden rund 200 000 Besucher erwartet. Es gab nicht an allen Ständen etwas zu sehen, sodass man sich dort lange aufhal-ten konnte. In den Ausstellungshallen waren viele Besucher unterwegs. Der Geländeplan half den Besuchern, sich schnell und einfach auf dem Messegelände zurechtzufinden. Wer alle zwölf Hallen an einem Tag besuchen will, muss gut zu Fuß sein. Es gab einen Fachhandelsbereich, zu dem nicht alle Besucher Zutritt hatten. Ich fand den Tag sehr anstrengend. Noch am nächsten Tag habe ich meine Beine gespürt. Marcus Urban

Ausstellungshallen auf dem Messegelände. Foto: Marcus Urban

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Geschichte

Jubiläum: 150 Jahre Bethel Vor 150 Jahren wurden die Bodelschwingh-schen Anstalten in Bethel gegründet. Den An-stoß gab der „Rheinische Westfälische Provin-zausschuß für Innere Mission“, der in Bethel die „Rheinisch-Westfälische Anstalt für Epilep-tische“ gründete. 1867 konnten die ersten drei „anfallskranken“ Jungen auf einen ehemaligen Bauernhof im Kantensiektal ziehen.Heute ist Bethel eine soziale Einrichtung für mehrere tausend Menschen mit Behinderun-gen, psychischen Beeinträchtigungen, sozia-len Problemen sowie für wohnungslose Men-schen. Heute heißt die größte diakonische Einrichtung Europas „von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel“ (vBS-Bethel) und setzt sich für alle ein, die auf Hilfe, Unterstützung oder Assistenz angewiesen sind.Der Name Bethel hat nichts mit dem in der Bibel erwähnten Ort zu tun. Das Wort Bethel stammt aus der Hebräischen Sprache und heißt ins Deutsche übersetzt „Haus des El“ oder „Haus Gottes“. Damit benennt man den biblischen Ort Bet-El (Gen 28,16-19). Bethel hat auch nichts mit dem Zentrum der Zeugen Jehovas zu tun, das auch diesen biblischen Namen trägt.Vielmehr steht Bethel für eine Ortschaft im Stadtbezirk Gadderbaum der Stadt Bielefeld in Nordrhein-Westfalen. Die Betheler Stiftung engagiert sich in acht Bundesländern, derzeit arbeiten rund 18 000 Beschäftigte dort.Das christliche Gebot der Nächstenliebe be-stimmte früher wie heute die Arbeit der Ein-richtung. Den Schwächsten soll geholfen wer-den. Der umtriebige Theologe Freidrch von Bodelschwingh glaubte, dass jeder Mensch Fähigkeiten besitzt, die er in die Gemeinschaft

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einbringen kann. So wollte er aus Bethel eine Kolonie machen, in der Gesunde wie Kranke gemeinsam leben und arbeiten. Betreut wurden in Bethel „Menschen, die nie-mand haben will“, wie der Namensgeber der Einrichtung, Pastor von Bodelschwingh der Äl-tere, sagte ̶ dazu gehörten nicht nur kranke und behinderte Menschen, sondern auch pfle-gebedürftige oder auf der Schattenseite des Lebens stehende Menschen wie „Trunkenbol-de, Landstreicher und Taugenichtse“, wie es früher hieß.

1882 wurde Bethel um die erste landwirtschaft-liche Arbeiterkolonie erweitert. Einige Jahre später hörte der Bethel-Leiter, dass in Belgien bereits Arbeiterkolonien oder ländliche Arbeits-häuser für Arme bestanden und er fand, dass dieses Modell auch im Deutschen Reich sinn-voll sein könnte. Der Hintergrund der Überle-gung war die vielerorts als Landplage empfun-dene Wanderbettelei. Friedrich von Bodelschwingh entschloss sich, den Obdachlosen und Tippelbrüdern eine Ar-beit zu geben. Um das Ziel der Vermittlung in ein festes Arbeitsverhältnis zu erreichen,

100 Jahre Briefmarkenspendenaktion für Bethel.

wikimedia, Entwurf : Erwin Poell

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Geschichte

musste er die Wanderarbeiter und Obdachlo-sen an ein geregeltes Leben gewöhnen. Sein Leitmotiv lautete in diesem Zusammenhang: „Arbeit statt Almosen“. Aus den bescheidenen Anfängen wandelte sich die Anstalt für Epileptische allmählich zu einer Ortschaft mit Werkstätten, Handwerks-betrieben, Schulen sowie einer Kirche und ei-nem Friedhof. Heute ist Bethel ein Sozialunter-nehmen. In jedem Jahr kommen bis zu fünfzig Millionen Euro an Spenden zusammen. Damit gehört Bethel zu den größten spendensam-melnden Organisationen in Deutschland. Die vBS-Bethel bestehen heute aus vier unabhän-gigen Stiftungen. Es sind die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, Stiftung Bethel, Stiftung Na-zareth und die Stiftung Sarepta. Die Stiftung Sarepta (bibl.: die Schmelzhüt-te) wurde 1869 von Bielefelder Bürgern als „Westfälische Diakonissenanstalt Sarepta“ ge-gründet. Acht Jahre später wurde die Stiftung Nazareth von elf jungen Männen als „Westfäli-sche Bruderschaft Zoar“ (hebr.: die Kleinigkeit) in Bethel gegründet. 1905 gründete der evangelische Pastor Fried-rich von Bodelschwingh der Ältere den „Verein Hoffnungtal für die Obdachlosen der Stadt Ber-lin e. V.“ und pachtete in Rüdnitz bei Bernau ei-nen Hof, um dort mit seinen „Brüdern der Land-straße“ die erste Arbeiterkolonie „Hoffnungstal“ zu errichten. Heute bietet die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal ein breites Spektrum quali-fizierter Hilfen an, welches den modernsten Standards entspricht.Besonders spannend ist der Stiftungsbereich Arbeit und berufliche Rehabilitation „proWerk“. Der Stiftungsbereich ist ein Teil der vBS-Bet-hel und entstand im Jahr 2001. Er umfasst unter anderem die Werkstatt für behinderte

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Menschen, die Qualifizierungen von langzeit-arbeitslosen Menschen, den Integrationsfach-dienst sowie die Integrationsfirma proJob.Bet-hel gGmbH mit vier Geschäftsbereichen: Café und Kulturbetrieb der Neuen Schmiede, Lie-ferservice und CAP-Lebensmittelmarkt Tamar und Gebäudereinigung proClean Bethel.Zudem hat der Stiftungsbereich den Auftrag, Menschen mit Behinderung oder Benachteili-gung, die nicht oder noch nicht auf dem allge-meinen Arbeitsmarkt tätig sein können, beruf-liche und damit verbundene soziale Teilhabe zu ermöglichen. Wer mehr über die v. Bodel-schwinghschen Stiftungen Bethel wissen will, kann sich auf www.bethel.de/startseite.html weitere Informationen holen. Marcus Urban

Gemälde von Friedrich von Bodelschwingh (1831 bis 1910); 1906; 68:53 cm. wikimedia, Benutzer: MichaelSchoenitzer

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Göttingen

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Inklusionsgruppe: MobilitätIch war jetzt beim Sommerfest in der VHS Göt-tingen zum Grillen der Inklusionsgruppen ein-geladen und habe dort erfahren, dass ich in die Gruppe Mobilität einsteigen kann.Die Gruppe trifft sich im Neuen Rathaus, wo ich auch schon den Kursus über das Thema „Wohnen“ hatte. Wir sprachen darüber, dass wir die Busse in Göttingen und Umgebung für behinderte Menschen verbessern wollen. Ich habe mich schon eine Menge in den ver-

schiedenen Bussen umgeschaut und gesehen, dass wir noch Arbeitsbedarf bei dem Thema haben. Drei andere behinderte Menschen und ich werden auch Busfahrer und Mechaniker auf diesem Gebiet „unterrichten“. Ich habe mit der Gruppe vor, die Bahn und die Behörden dazu zu bringen, dass sie ihre Kun-

Berufsbilder: Busfahrer Foto: Stefan Bayer/pixelio.de

den auch mit Gebärdensprache und Blinden-unterstützung informieren. Leute von der Bahn waren auch bei der Sitzung und wollen einen Kursus in Gebärdensprache machen. Wir wol-len von einem Gebärdendolmetscher ein we-nig die Sprache erlernen. Ich habe schon im Internet nach Gebärdensprache nachgesehen und ein paar Beispiele für Anfänger herausge-sucht. Auch das Alphabet. Ich hoffe, dass ma-chen auch andere Städte in Deutschland.

Beim letzten Treffen habe ich meine Gedanken zu den Bus-sen in Göttingen den Göttin-ger Verkehrsbetrieben, die auch bei der Sitzung waren, mitgeteilt. Sie meinten, es wäre schon alles in Arbeit und ich bräuch-te mich nicht zu sorgen. Ich war dabei nervöser, als ich eigentlich sein musste, denn ich habe noch nicht so oft vor einer Gruppe gesprochen. Ich werde auch das nächste Mal im neuem Jahr über Gebär-densprache reden und noch Seiten aus dem Internet aus-drucken, die dazu passen. Wir haben auch besprochen, dass ab sofort Rampen für die

Göttinger Geschäfte angeboten werden, aber nicht jedes Geschäft eine solche Rampe kau-fen will.Außerdem haben wir noch über das Thema Touristeninformation für behinderte Menschen in Göttingen geredet und wie es damit weiter-geht. Claudia Grosse

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Schabowskis ZettelEs geschah auf einer Pressekonferenz der DDR am 9. November 1989. Diese Pressekon-ferenz nahm einen ungewohnten Verlauf. Und Schuld war Schabowkis Zettel.Dieser Zettel war ein Stück liniertes Papier, krakelige Handschrift mit schwarzem Kuli, dazu zwei spitze rote Pfeile. Auf diesem Zet-tel, mit dem Günter Schabowski in die Presse-konferenz in Ostberlin am 9. November 1989 ging, wurde der wohl wichtigste Moment der Wende angekündigt. Auf dem Zettel stand, dass Günter Schabowski eine neue Reisere-gelung vorstellen sollte. Das tat er dann auch, aber dann fragte ein Journalist, ab wann denn nun die neue großzügige Regelung gelten soll. Das war eine für ihn ungewöhnliche Situation. Er sagte dann:„Äh, haben wir uns dazu entschlossen, heu-te äh eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, äh über Gren-zübergangspunkte der DDR auszureisen. Der Ministerrat hat beschlossen, dass bis zum In-krafttreten einer entsprechenden gesetzlichen Regelung durch die Volkskammer diese Über-gangsregelung in Kraft gesetzt wird.“ - „Gilt das auch für Berlin-West?“„Doch, doch. Ständige Ausreise. Alle Gren-zübergangsstellen der DDR zur BRD bezie-hungsweise Berlin-West erfolgen."Die Mauer war offen und das sofort und ohne Verzögerung. Die Welt hat sich in wenigen Minuten vollkommen verändert. Sie war nicht mehr so, wie sie mal war.Schabowskis Sprechzettel war lange ver-schwunden. Er tauchte wieder auf und wurde durch Steuermittel ersteigert und wird nun in einem Museum ausgestellt.

Und es entstehen jeden Tag neue Zettel, die vielleicht die Welt verändern. Wenn man wie jedes Jahr bei der Werkstatträtekonferenz der SPD Bundestagfraktion den Otto-Wels-Saal betritt, liegt auf jedem Platz ein kleiner Notiz-block mit Kugelschreiber, damit jeder Teilneh-mer die Chance hat, einen weltpolitisch wichti-gen Zettel zu produzieren.Letztes Jahr war ich bei einer Veranstaltung der CDU/CSU. Man hatte auf meinen Platz ei-nen Notizblock gelegt, in dem schon ein Scha-bowski-Zettel enthalten war. Aber ich habe nur ein Wort entziffern können: „Brexit“. Vielleicht sollte ich ihn auch mal bei eBay einstellen. Mal schauen, wieviel so geboten wird. Kristina Schulz

Günter Schabowski, Mitglied des Politbü-ros des ZK der SED und 1. Sekretär der Be-zirksleitung Berlin der SED, Chefredakteur des Neuen Deutschlands (ND), DDR.

Foto: wikimedia

Geschichte

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Leben & Gesellschaft

Veganer gegen Fleischesser

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Fleischlose Ernährung ist keine moderne Er-scheinung. Sie begleitet die Menschen schon seit Jahrhunderten. Allerdings müssen die Menschen sich dafür einiges an Ernährungs-wissen aneignen und eine ausgewogene Mahlzeit zusammenstellen, um den Körper mit den wichtigsten Nährstoff en zu versorgen. Sie verzichten oft freiwillig ohne gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Grund auf bestimmte Le-

bensmittel. Vegetarisch lebende Mitmenschen haben weniger Probleme mit Herzleiden, ho-hem Blutdruck und Zuckerkrankheit als fl eisch–essende Menschen.Meist treiben sie Sport und verzichten auf Ta-bak- und Alkoholkonsum. Doch nicht alle Men-schen wissen mit Bezeichnungen wie „Vega-ner, Vegetarier, Flexitarier, Freeganer, Frutarier, Pescetarier“ etwas anzufangen.

Was trennt die Ernährungsstile?Vegan lebende Menschen essen wie Vegeta-rier keinerlei Fleisch oder Fisch und „Meeres-früchte“ wie Muscheln und Garnelen. Veganer sind reine Pfl anzenesser und konsumieren kei-ne tierischen Produkte wie Honig oder Gummi-bärchen mit Gelatine etc. Doch auch wer auf Fleisch verzichtet, möchte manchmal trotzdem das Kaugefühl von Fleisch haben. Deshalb greifen diese Menschen, zum Beispiel Vegetarier oder Menschen mit einer Allergie gegen Milcheiweiß bewusst auf Flei-schersatzprodukte wie Tofu und Seitan zurück. Seitan ist manchen sicher als „vegetarische Ente“ oder „Hackfl eisch“ bekannt. Es ist bes-tens geeignet, um Mahlzeiten mit fl eischarti-gem Biss herzurichten. Die vegetarische Er-nährung besteht fast immer aus pfl anzlichen Esswaren. Einige Menschen hantieren mit lie-ber Milchersatzprodukten als mit Kuhmilch.

Milchersatzprodukte

Zu den Milchersatzprodukten zählen Sojamilch, Reismilch, Mandelmilch und Getreidemilch.„Ovo-Lacto-Vegetarier“ gehen Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten aus dem Weg, dulden aber Milch, Käse und Eier auf ihrem Teller. „Ovo-Vegetarier“ werfen Milchprodukte wie Käse oder Joghurt wegen Unverträglichkeit oder Allergie über Bord, dafür essen sie Eier (ovo) und Eierspeisen wie Eierkuchen und Omeletts. Die „Lacto-Vegetarier“ essen neben pfl anzlichen Lebensmitteln auch Milch (lacto), Milchprodukte und Käse, verzichten darüber hinaus noch auf Eier oder Eierspeisen. Bei den „Pollo-Vegetariern“ ist Hühnerfl eisch erlaubt,

Veganismus logo.

Urheber / Nutzungsrechtinhaber: wikimedia.

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Leben & Gesellschaft

ansonsten kein Fisch und kein rotes Fleisch. Beim Verzicht auf rotes Fleisch ist man auf pflanzliche Eisenquellen wie dunkelgrüne Ge-müsesorten und Frühstücksmüsli mit Eisenzu-satz angewiesen. „Semi-Vegetarier“ enthalten sich beim roten Fleisch wie Rind-, Kalb- oder Schweinefleisch, verzehren jedoch weißes Fleisch wie Geflügelfleisch. Dabei bietet die pescetarische Ernährung einen leichten Ein-stieg in die fleischlose Ernährung. Die „Pesce-tarier“ peppen ihren pflanzenlastigen Speise-plan nicht nur mit Fleischersatzprodukten wie Tofu- oder Seitan-Schnitzel auf, sondern auch mit etwas Fisch (pesce) auf. Einige ergänzen ihren Ernährungsplan mit Schalen- und Krus-tentieren und Meeresfrüchte – dabei wird dar-auf geachtet, dass diese nicht aus einer Mas-sentierhaltung stammen.

Obstesser und Teilzeitvegetarier

„Fructarier“ schützen nicht nur Tiere, sie leh-nen es auch ab, Pflanzen Schaden zuzufügen. Sie ernähren sich nur von Obst, Nüssen und Samen, die bereits vom Baum oder Strauch gefallen sind oder von der Pflanze gepflückt werden können. Dazu gehören Gemüsefrüch-te wie Tomaten und Kürbisse oder Hülsen-früchte wie Erbsen. Kartoffeln, Rüben, Lauch oder Spinat sind dagegen ausgeschlossen. Die meisten von uns können sich mit den „Fle-xitariern“ anfreunden, da sie Teilzeitvegetarier und, wie der Name sagt, flexibel sind. Bei ih-nen geht es weniger um den Erhalt tierischen Lebens, als um eine gesunde Ernährung. Ein Teil von ihnen wird nur ein bis zweimal in der Woche Fisch oder Fleisch essen. Manche von ihnen verzichten in der Woche auf Fisch oder Fleisch, dafür lassen sie sich den Sonntags-

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braten schmecken. „Freeganer“ sind oft sehr gut gebildete Aussteiger, die Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden versuchen und auf selbst angebaute, geschenkte, gefun-dene oder von anderen weggeworfene Pro-dukte beziehungsweise abgelaufene Ware oder Fallobst zurückgreifen. Mit anderen Worten: „Freeganer“ kaufen nichts im Laden ein, sondern wühlen nach Laden-schluss in den Abfall-Containern von Super-märkten und Discountern nach essbaren Le-bensmitteln, die aufgrund des Verfallsdatums entsorgten wurden. Aber nicht, weil sie ein-kommensschwach sind, sondern weil sie so gegen die als zu hoch empfundenen Lebens-mittelpreise protestieren wollen. Sie bedienen sich auch in guter alter Adam und Eva-Tradition gerne mal am Obstbaum. Neben der vegan/vegetarischen Küche gibt es auch noch andere Ernährungskonzepte wie Diäten unterschiedliche Küchen sowie eine cholesteri-narme Ernährung. Viele Allesesser befürchten, dass es bei der pflanzenbasierten Ernährung zu Eiweißmangel und Eisenmangel kommt.

Marcus Urban

Vorspeise. Foto:I-vista / pixelio.de

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Otto Bock geht an die Börse

Medizintechnik

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Schon länger will der weltgrößte Rollstuhl- und Prothesenhersteller Otto Bock an die Börse. Ende 2018 oder Anfang 2019 soll es nun so-weit sein. Das Unternehmen verspricht sich vom Börsengang einen Geldsegen von mehr als einer halbe Milliarde Euro. Mit dem Geld will der Unternehmenschef Hans Georg Nä-der seine Stellung auf dem Weltmarkt ausbau-en. Auch für Forschung und Entwicklung will er mehr Geld ausgeben. Duderstadt soll der Hauptsitz des Unternehmen bleiben.Das Medizintechnik-Unternehmen Otto Bock hat mit dem Zukauf einer 5-Finger-Prothesen-hand sein Angebot ergänzt. Neben der eigenen Prothese namens „Michelangelo-Hand“ bietet Otto Bock auch die Prothesenhand „BeBionic“ an. Um das Leben von Menschen mit fehlen-den Körperteilen zu verbessern, haben die Entwickler in sieben Jahre eine fortgeschritte-ne Handprothese geschaffen, die den betrof-

fenen Menschen fast natürliche Bewegungen ermöglicht. Die naturnahe Prothesenhand hat 337 mechanische Teile und wiegt 390 Gramm. Gleichzeitig ist sie stark genug, um ein Gewicht von 45 kg zu meistern.Otto Bock vertreibt seit 2016 auch eine mecha-tronischen Prothesenfuß. Das Modell „emPo-wer“ ahmt die Funktion der verlorenen Mus-keln und Sehnen über ein aktiv angetriebenes Knöchelgelenk nach und sorgt dafür, dass der Nutzer durch zusätzliche Energiezufuhr beim Gehen unterstützt wird.Damit hat Otto Bock sein Angebot an Prothe-senfüßen erweitert.Einen Werkstattbeschäftigten wird der Börsen-gang nicht im Geringsten interessieren, weil er sich nicht in der Situation befindet, sich Akti-en zu kaufen. Mit der Einführung von Neuhei-ten wie gedankengesteuerten Prothese und dem „emPower“-Prothesenfuß will sich das

Der „emPower“-Prothesenfuß in Aktion. Fotos: Ottobock

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Das 1919 in Berlin-Kreuzberg gegründe-te Unternehmen Otto Bock hat seit 1946 seinen Hauptsitz im niedersächsischen Duderstadt.Aus den Anfängen entwickelte sich das Unternehmen über fast hundert Jahre hin-weg zu einem Giganten der Medizintech-nik, der Hightech-Prothesen über Banda-gen und Schienen bis hin zu Rollstühlen und Produkten wie Stehhilfen, Sitzsyste-men und Sitzkissen herstellt. Mit diesen Hilfsmitteln soll Kriegsversehrten und Menschen mit eingeschränkter Mobilität die räumliche Beweglichkeit zurückgeben beziehungsweise erhalten werden.Hans Georg Näder ist Honorarprofessor an der privaten Fachhochschule Göttin-gen und geschäftsführender Gesellschaf-ter der Otto Bock Firmengruppe sowie Eh-renbürger von Duderstadt.

Medizintechnik

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Der „emPower“ Prothesenfuß.

Unternehmen zusätzliche Geldgeber mit ins Boot holen. Für Otto Bock ist das ein wichtiger Wachstumstreiber. Die Aktionäre sind nur am Unternehmenserfolg beteiligt und treffen keine unternehmerischen Entscheidungen.

Marcus Urban

Die 5-Finger-BeBionic-Hand öffnet eine Geldbörse.

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Aus der Werkstatt

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Zukunftsmesse für Bildung und ArbeitIm Herbst 2017 ist eine Messe für Arbeit und Bildung geplant.

Die Messe ist vor allem für behinderte Menschen.

Sie bekommen dort Bildungs-Angebote.

Auch Kontakt-Möglichkeiten werden angeboten.

Jeder bekommt seine persönlichen Informationen.

Über seine beruflichen Möglichkeiten.

Und über Möglichkeiten zur Unterstützung dabei.

Ziel ist ein selbstbestimmtes Berufs-Leben.

Und die Möglichkeit, auf dem freien Markt zu arbeiten.

Dazu stellen sich Arbeitgeber und Unternehmen vor.

Auch sie erhalten Informationen.

Darüber, wie man behinderten Menschen einen Arbeitsplatz gibt.

Und darüber, welche Möglichkeiten zur Förderung es gibt.

Die Messe dauert einen Tag lang.

Sie ist am 23. September 2017 bei den Göttinger Werkstätten.

Dazu sind viele Vereine, Verbände, Behörden und Unternehmen eingeladen.

Es gibt nicht nur Informations-Stände.

Auch Mitmach-Aktionen soll es geben.

So sollen sich behinderte Menschen ein Bild machen.

Ein Bild davon, was sie in der Zukunft für einen Beruf machen können.

Die Räume sind Barriere-frei.

Auch Gebärden-Dolmetscher und andere Helfer sind dabei.

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Göttingen

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Der AngstpapstAn der Göttinger Universitätsmedizin (UMG) lehrt und arbeitet seit vielen Jahren der Psychi-ater und Psychologe Prof. Dr. Borwin Bandelow. Er hat sich auf die Angstforschung spezialisiert und vor über 20 Jahren die Angstambulanz ge-gründet. Bandelow ist des Weiteren der stell-vertretende Direktor der Klinik („Chefarzt“), seitdem Prof. Dr. Jens Wiltfang die Einrichtung verantwortlich leitet. Vorher war Bandelow „Geschäftsführender Oberarzt“.Er ist außerdem als Talkshowgast und Buch-autor bekannt. Bandelow ist einer der meist–interviewten Mediziner im deutschen Fernse-hen. Es ist klar, dass Bandelow im Sommer 2017 in den Ruhestand geht, weil er das Alter erreicht hat (65 Jahre). Es ist allerdings davon auszugehen, dass Bandelow als außerordent-licher Professor weiterarbeiten wird. Das heißt, dass er zwar weiterhin Mitglied der Klinik sein wird, aber direkt keine Patienten behandeln darf. Zumindest wird er weiterhin Vorträge im Hörsaal halten. Bandelow hat, wie bereits er-wähnt, auch mit vielen Büchern von sich re-den gemacht. Ein Klassiker des Gebrauchs ist das „Angstbuch“, das im Jahr 2004 erstmals erschien. In diesem Werk erklärt er allgemein-verständlich, was es an Angststörungen gibt und wie man dem entgegenwirken kann.Bandelow beschäftigt sich u. a. damit, wie Kriege und Naturkatastrophen sich auf das all-gemeine Seelenleben auswirken. Zudem rät er davon ab, zu viele Ängste zu hegen. Bandelow erläutert beispielsweise, dass die Furcht vor einem Terroranschlag teilweise unbegründeter ist als ein Fahrradunfall oder ein Schlaganfall.Darüber hinaus begegnet Bandelow vielen

Angstpatienten damit, dass sie sich bei minder schweren Angststörungen (z. B. Platz- oder Höhenangst) einer Psychotherapie unterzie-hen sollen. Bei einer Psychotherapie ist die Verhaltenstherapie in allererster Linie am wirk-samsten und erfolgreichsten.Ferner gibt es noch die Konfrontationsthe-rapie. Darunter versteht man, dass man bei-spielsweise Menschen mit Höhenangst auf einen Kirchturm führt. Der Therapeut, in dem Fall Bandelow, begleitet einen dort hinauf. Und vom Patienten wird auch erwartet, dass er eini-ge Augenblicke über die Balustrade blickt, was ihm sicherlich nicht leichtfällt.

Borwin Bandelow (2012) aus Wikimedia Commons.

Fortsetzung auf Seite 24

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Termin: 23. September 2017 Zukunftsmesse für Menschen mit Behinderung im Elliehäuser Weg 20

www.goettinger-werkstaetten.de

ImpressumHerausgeber :

Elliehäuser Weg 20, 37079 GöttingenTelefon : 0551 / 5065 - 0Fax : 0551 / 5065 - 200

Homepage : www.goettinger-werkstaetten.de

E-Mail: [email protected]

Vi.S.d.P.: Holger Gerken – Geschäftsführer –

Redaktion: Udo Angerstein (Leitung / Fotos), Jan Hendrik Gotthardt, Ursula Schreiber, Kristina Schulz, Mar-cus Urban, Claudia Grosse, Stephan Knob-lauchGestaltung, Layout, Satz:Marcus Urban und Udo AngersteinDruck: Göttinger Werkstätten gemeinnützige GmbH Auflage: 800 ExemplareMit Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Göttinger Werkstätten gGmbH wieder. Die Re-daktion behält sich Kürzungen, Überarbeitung und (auszugsweise) Abdruck von eingesendeten Beiträgen. Kopie und Nachdruck nur mit Geneh-migung der Redaktion.

Fortsetzung von Seite 23

Die andere Säule bei der Behandlung von Angsterkrankungen bilden selbstverständlich Medikamente, wobei man sagen muss, dass viele psychisch kranke Menschen Angst vor starken Nebenwirkungen haben. In dem Punkt gibt der Professor aber Entwarnung. Die ver-abreichten Substanzen werden grundsätzlich so niedrig wie möglich angesetzt und machen in fast allen Fällen nicht süchtig. Bandelow und viele andere Ärzte sagen, dass die Benzo-Diazepine (z. B. Valium und Tavor) angstlösend wirken, aber nicht zu lange gege-ben werden sollten, weil sie ein Suchtpotential in sich birgen. Jan Hendrik Gotthardt

Das ist ein neues Geschäft, wo man Ketten, Armbänder und Ohrringe selbst herstellen kann. Dafür gibt es die verschiedensten Perlen und Form und Farbe. Das Band oder der Draht dafür kostet noch extra, so wie der Verschluss für später. Allerdings muss man sich anmelden, weil es nur wenige Arbeitsplätze zum Gestalten des Schmucks gibt. Das Ganze hat nur eine Tücke, die Frau in dem Laden sieht es nicht so gerne, wenn man mit einer Betreuung kommt, weil die Kunden dort nach Zeit bezahlen sollen. Claudia Grosse

Der Perlenplanet

Göttinger Werkstätten