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Online first versus Money first Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser Master-Thesis im Masterstudiengang New Media Journalism der Leipzig School of Media Verfasser Benjamin Wagener Betreuer Professor Doktor Michael Haller Zweitgutachter Diplom-Journalist Sebastian Holzapfel

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Online first versus Money first

Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

Master-Thesis im Masterstudiengang New Media Journalism

der Leipzig School of Media

Verfasser Benjamin Wagener

Betreuer Professor Doktor Michael Haller Zweitgutachter Diplom-Journalist Sebastian Holzapfel

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Titel der Arbeit gemäß Themenausgabe durch das Prüfungsamt: „Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser“ Beginn der Bearbeitungszeit: 1. Juni 2010 Ende der Bearbeitungszeit: 19. Oktober 2010 Verfasser: Benjamin Wagener Studiennummer 60/2008

Eisenbahnstraße 33 88212 Ravensburg

Telefon + 49 751 363 88 87 mobil + 49 160 150 8926

E-Mail [email protected]

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand im Sommer 2010 im Rahmen eines berufsbegleitenden Studiums

während meiner Arbeit als Newsdeskmanager in der Regionalredaktion Ravensburg der Schwäbi-

schen Zeitung. Das Medienhaus Schwäbischer Verlag hat mich bei diesem zwei Jahre dauernden

Aufbaustudium sehr unterstützt, wofür ich mich bedanken möchte. Insbesondere Chefredakteur

Ralf Geisenhanslüke und Personalleiter Peter Bender standen der Studienidee von Anfang an auf-

geschlossen gegenüber und haben es mir ermöglicht, dass ich neben meinen redaktionellen Auf-

gaben das Studium antreten und die damit verbundene Arbeit bewältigen konnte.

Herzlich danken möchte ich auch meinen Ravensburger Kollegen, die mich in diesen zwei Jahren

unterstützt haben, indem sie während der Präsenzzeiten in Leipzig, Hamburg, Salzburg und Lu-

zern meine Aufgaben übernommen und umsichtig weitergeführt haben. Dabei haben sie mich –

trotz dieser Mehrbelastung für sie – immer aufgemuntert, wenn Studienarbeiten, Projektberichte,

Referate oder Klausuren anstanden.

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinen Gesprächspartnern bedanken, die mir trotz ih-

rer vollen Terminkalender ausreichend kostbare Zeit zur Verfügung gestellt haben, um mir in den

zehn Leitfadeninterviews Auskunft über die strategischen Ziele ihrer Häuser zu geben.

Gedankt sei auch dem Betreuer dieser Arbeit Professor Doktor Michael Haller und dem Zweitkor-

rektor Diplom-Journalist Sebastian Holzapfel.

Nicht zuletzt gilt mein besonderer Dank meiner Schwester Julia, die mich in den vergangenen

beiden Studienjahren aus der Ferne in Gedanken begleitet und die Arbeit am Ende komplett Kor-

rektur gelesen hat.

Ravensburg, im Oktober 2010 Benjamin Wagener

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ........................................................................................................... 7

2. Grundlagen crossmedialer Vernetzung ........................................................... 11

2.1. Die Entwicklung von crossmedialem Engagement ....................................................... 11

2.2. Zum Begriff Crossmedia-Strategie ............................................................................... 13

2.3. Strategische Ansätze für die Vernetzung von Print und Online .................................... 17

2.3.1. Strategie der Mehrfachverwertung ......................................................................... 21

2.3.2. Strategie der Autonomie ......................................................................................... 22

2.3.3. Strategie der Komplementarität ............................................................................. 23

2.4. Crossmediale Strategien in der deutschen Medienlandschaft ....................................... 25

3. Das Leser/Nutzer-Panel des IPJ ....................................................................... 33

3.1. Struktur und Aufbau des Leser/Nutzer-Panels .............................................................. 33

3.2. Die Ergebnisse aus den ersten fünf Wellen ................................................................... 35

3.2.1. Leser- und Nutzerverhalten .................................................................................... 35

3.2.2. Themeninteresse ..................................................................................................... 36

3.2.3. Kanal Print .............................................................................................................. 37

3.2.4. Kanal Online .......................................................................................................... 38

3.2.5. Kanal Rundfunk ..................................................................................................... 39

4. Methodisches Vorgehen .................................................................................. 40

4.1. Anlage der Untersuchung .............................................................................................. 40

4.2. Forschungsfrage, Leitfragen und Untersuchungsfragen ............................................... 41

4.3. Durchführung und Auswertung der Interviews ............................................................. 45

5. Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview .................................... 49

5.1. Annahmen, Visionen und Ziele ..................................................................................... 51

5.2. Strategische Ansätze, Zielgruppen und Abläufe ........................................................... 57

5.3. Themen, Schwerpunkte und inhaltliche Vernetzung .................................................... 65

5.4. Dachmarkenstrategie und Verweisstruktur ................................................................... 70

6. Crossmedia-Strategien im Spiegel des Leser/Nutzer-Panels .......................... 75

7. Schlussbetrachtung .......................................................................................... 83

8. Literaturverzeichnis ......................................................................................... 86

9. Anhang ............................................................................................................. 89

9.1. Liste der digitalen IPJ-Reports (auf Datenträger geordnet nach Wellen) ..................... 89

9.2. Die Experteninterviews ................................................................................................. 89

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Einleitung

7

1. Einleitung

Das Zauberwort heißt Crossmedia, doch es ist bislang kaum

mehr als ein Etikett. Das Ziel ist klar: Das Runde – dieser

mühsam, aber wunderbar abgestimmte Lese-Zirkel aus Leit-

artikel, Reportage und Glosse – muss ins Eckige, in das un-

ergründliche Bildschirm-Universum.1

Das Runde muss ins Eckige. Es sind die Worte des ehemaligen Trainers des FC St. Pauli, Helmut

Schulte (vergleiche Nowak, Bernstein 2001: 64), mit denen Thomas Becker vor rund acht Jahren

in der Süddeutschen Zeitung das Problem zu beschreiben versucht, das so vielen Strategen der

Medienbranche schlaflose Nächte bereitet hat – und wahrscheinlich auch heute noch bereitet: Wie

geht eine klassische Tageszeitung, dieses im Zeitalter der neuen Medien so anachronistisch anmu-

tende Relikt aus nach Druckerschwärze riechenden bedruckten Papierseiten, mit dem Eckigen,

dem Internet, dem unergründlichen Bildschirm-Universum um? Der Rückgriff auf Schultes Fuß-

ballerweisheit illustriert eine Prämisse, die Thomas Becker im Jahr 2002 scheinbar selbstverständ-

lich gesetzt hat: Das Runde muss ins Eckige. Beim Fußball, klar: Da muss der Ball ins Tor. Doch

heute, zehn Jahre nach dem Platzen der Dotcom-Blase und einer Medienkrise, mit der einige Ver-

lage noch immer zu kämpfen haben, ist die Frage wieder offen, ob die Schulte’sche Regel für den

Medienbereich uneingeschränkte Gültigkeit hat: Muss die Zeitung ins Internet? Und wenn ja,

wie? Vollständig? Oder doch nur zum Teil?

Sicher scheint im Moment nur die Unsicherheit zu sein, und auch Medienhäusern wie der

New York Times, die in vielen Bereichen der neuen Medien stilbildende Standards gesetzt hat, ist

nicht klar, wohin die Entwicklung gehen wird. „I really don’t know whether we’ll be printing ,The

Times‘ in five years, and you know what? I don’t care“ (zitiert nach Meier 2007: 350), erklärt

Arthur Ochs Sulzberger. Der Verleger der New York Times sagt das weder besorgt noch senti-

mental – er will seine Worte trotz aller Ungewissheit optimistisch verstanden wissen. Lars Jesper-

sen hat schon klarere Vorstellungen von der Zukunft: „Choose the best media to launch a story

and the best flow between media. Not all stories to all media, a lot to only one“ (zitiert nach Meier

2007: 358). Indem der Chefredakteur des dänischen Medienhauses „Nordjyske Medier“ für jede

Geschichte den passenden Kanal sucht, liegt die Vermutung nahe, dass der Däne die Ausgangs-

frage nach dem Runden und dem Eckigen mit einem klaren „zum Teil“ beantworten würde.

Diese Arbeit will vorstellen, wie das „zum Teil“ bei Regionalzeitungen in Deutschland

aussieht, wie regionale Medienhäuser in der Bundesrepublik für sich die Frage beantworten: Muss

die Zeitung ins Internet? In der Arbeit sollen grundlegende Annahmen und die daraus abgeleiteten

strategischen Leitentscheidungen vorgestellt werden, mit denen die Unternehmen auf die verän-

derten Voraussetzungen reagieren – und die haben sich mit dem Aufkommen des Internets geän-

dert, weil dort nun „im Prinzip jeder mit geringem Aufwand veröffentlichen kann“ (Neuberger,

Nuernbergk, Rischke 2009a: 9). Eine Tatsache, die das Verständnis vieler Medien und der sie mit

Leben füllenden Medienschaffenden in Frage stellt: „Der Journalist, das Medienhaus als alleiniger

1 Becker (2002): ohne Seite.

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Gatekeeper zur Information, das funktioniert nicht mehr“ (Jakubetz 2008: 31). Vor dem Auf-

kommen des World Wide Web war der Journalismus „jene zentrale und machtvolle Vermittlungs-

instanz der aktuellen Öffentlichkeit, die […] Publikationsentscheidungen treffen konnte und zu-

gleich für eine flächendeckende Qualitätskontrolle sorgen sollte: Was publiziert wurde, sollte zu-

vor den redaktionellen Prüfprozess durchlaufen. Schon die technische Verbreitungskapazität der

traditionellen Massenmedien Presse und Rundfunk machte diese Gatekeeper-Leistung notwendig“

(Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009a: 9). Zudem sind die Unternehmen vor dem Hintergrund

der Einbrüche von Reichweiten und Werbeumsätzen auf der Suche nach tragfähigen Geschäfts-

modellen, die auch in der sich wandelnden Medienwelt funktionieren, denn „den Internetnutzern

mangelt es an Zahlungsbereitschaft, und auch das Prinzip der Querfinanzierung durch Werbeerlö-

se ist infrage gestellt, da es im Internet attraktive Werbeumfelder gibt, die nicht mehr mit hohem

Kostenaufwand von Redaktionen gestaltet werden müssen“ (Neuberger, Nuernbergk, Rischke

2009a: 12). Diese Arbeit untersucht, ob aus dem „Zauberwort Crossmedia“ mittlerweile mehr ge-

worden ist als ein bloßes „Etikett“ (Becker 2002: ohne Seite) – und zwar Crossmedia im Sinne ei-

ner „Kommunikation über mehrere inhaltlich, gestalterisch und redaktionell verknüpfte Kanäle

hinweg“ (Jakubetz 2008: 31). Dabei geht die Studie von dem Grundverständnis aus, dass eine

konstruktive und durchdachte crossmediale Zusammenarbeit für die Medienhäuser sowohl publi-

zistische als auch ökonomische Vorteile bringen kann.2

Vor allem regionale Medienhäuser, die im Gegensatz zu den führenden Medienkonzernen

nicht die wirtschaftliche Potenz haben, aufwändige redaktionelle Doppelstrukturen aufzubauen,

um die Kanäle der neuen Medien zu bespielen, versuchen mit crossmedialen Konzepten auf die

Herausforderungen zu reagieren. Hintergrund ist, dass es eine Verschwendung von Ressourcen

ist, wenn in einem Unternehmen zwei Redaktionen an einem Thema arbeiten, ohne die Möglich-

keiten der Zusammenarbeit zu nutzen. Synergien können dabei sowohl im ökonomischen Sinne

als auch im publizistischen Sinne entstehen, wenn die journalistische Qualität durch eine enge

Verzahnung der verschiedenen Kanäle gesteigert wird. Diese Verzahnung soll in dieser Arbeit

analysiert werden: Es geht um die Fragen, welche Strategien der crossmedialen Vernetzung regi-

onale Medienhäuser in Deutschland verfolgen, wie die Verantwortlichen der Häuser diese Strate-

gien entwickeln und ob sie die Wünsche und Bedürfnisse der Leser und Nutzer in diese Entschei-

dungsprozesse einbeziehen.

Grundlage für die Analyse sind im empirischen Teil der Arbeit zehn Experteninterviews,

die der Verfasser mit Chefredakteuren, stellvertretenden Chefredakteuren, Newsdeskmanagern

und leitenden Redakteuren – also mit Führungskräften, die in ihren Häusern mit der strategischen

Planung befasst sind – geführt hat. Die interviewten Experten sind Rainer Maria Gefeller (Chefre-

dakteur der Frankfurter Neuen Presse), Horst Seidenfaden (Chefredakteur der Hessisch-

Niedersächsischen Allgemeinen), Ralf Geisenhanslüke (Chefredakteur der Schwäbischen Zei-

tung), Stefan Kläsener (Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung), Andreas Mühl (stellvertre-

tender Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers), Lutz Heuken (Newsdeskchef der Westdeut-

schen Allgemeinen Zeitung), Uwe Vetterick (Chefredakteur der Sächsischen Zeitung), Carsten

Fiedler (leitender Redakteur der Rheinischen Post), Lars Haider (Chefredakteur des Weser-

2 Zu diesem Verständnis vergleiche insbesondere die Arbeiten von Klaus Spachmann (2002), Michael Brügge-mann (2002), Kathrin Meyer (2005) und Christian Jakubetz (2008).

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Kuriers) sowie Michael Schröder (stellvertretender Chefredakteur des Mannheimer Morgen) ge-

meinsam mit Tobias Döpker (Projektleiter Online im Ressort Chef vom Dienst beim Mannheimer

Morgen). Auf Grundlage der Aussagen der Experten wurden im Anschluss neben den strategi-

schen Leitmotiven auch die Visionen und Annahmen, die den strategischen Konzepten als Basis

dienen, herausgearbeitet und analysiert. Bei der Beschreibung der Crossmedia-Strategien hat die

Arbeit die von den Unternehmen gesetzten Schwerpunkte herausgearbeitet, um auf diese Art und

Weise ein Gesamtbild zu erhalten, wie regionale Medienhäuser sich crossmedial positionieren.

Diese Crossmedia-Strategien sollen in einem zweiten Schritt in den Wünschen der Leser

und Nutzer gespiegelt werden – die Frage ist, ob die crossmedialen Konzepte überhaupt zu den

Informationsbedürfnissen und Nutzungsgewohnheiten der Rezipienten von regionalen Medien-

häusern passen. Die Arbeit nutzt dabei die ersten Ergebnisse des Leser/Nutzer-Panels, das das

Leipziger Institut für Praktische Journalismusforschung (IPJ) seit September 2009 zusammen mit

der Augsburger Allgemeinen, der Frankfurter Neuen Presse, der Mittelbayerischen Zeitung, dem

Donaukurier, der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen und der Mitteldeutschen Zeitung auf-

baut. In dem Projekt des IPJ wird untersucht, wie Leser und Nutzer zurzeit die Print- und Online-

Angebote von regionalen Medienhäusern nutzen. Es geht um „Einflussgrößen, die zu Nutzungs-

mustern im Alltag der Menschen führen“ (Thomä 2010: 18).

Die Arbeit wird die Strategien auf Grundlage der Experteninterviews vorstellen und be-

schreiben, im Zentrum stehen also die Aussagen der Experten über die Strategien und Ziele ihrer

Häuser. Die Arbeit kann in diesem Zusammenhang nicht überprüfen, ob und inwieweit die Strate-

gien bei den einzelnen Unternehmen in die Praxis umgesetzt werden oder schon umgesetzt wor-

den sind. In der Analyse geht es zudem in erster Linie um die inhaltliche Dimension der Strate-

gien, Fragen der redaktionellen Organisation der vorgestellten Medienhäuser werden nur in die

Argumentation mit einbezogen, wenn es unbedingt erforderlich ist.

Die für die Analyse ausgewählten Tageszeitungen sind genauso wie die sechs Blätter des

Leser/Nutzer-Panels des IPJ regionale Abonnementzeitungen, die den Fokus ihrer Berichterstat-

tung auf ihr Verbreitungsgebiet und ihre Region legen, eine Auflage von mindestens 80 000

Exemplaren haben, in mindestens sieben Lokalausgaben erscheinen und ihren Online-Auftritt als

eigenständigen journalistischen Distributionskanal betrachten. Obwohl crossmediale Konzepte al-

le Medienteilmärkte (Fernsehen, Radio, Print, Online, Mobile) mit einbeziehen, werden in dieser

Arbeit in der Hauptsache nur die Kanäle Print und Online betrachtet, weil dies die beiden Medien

sind, die alle untersuchten Medienhäuser bespielen.

Der empirische Teil der Arbeit baut auf einem theoretischen Teil auf, der die für das The-

ma maßgeblichen wissenschaftlichen Arbeiten vorstellt und die wichtigsten Begriffe und Definiti-

onen erläutert. Wichtig waren insbesondere die Studie „The Missing Link. Crossmediale Vernet-

zung von Print und Online“ von Michael Brüggemann (2002), die Arbeit „Crossmediale Koopera-

tionen von Print- und Online-Redaktionen bei Tageszeitungen in Deutschland. Grundlagen, Be-

standsaufnahme und Perspektiven“ von Kathrin Meyer (2005) sowie die Studien von Christoph

Neuberger und Klaus Spachmann. Die Arbeit übernimmt die von Michael Brüggemann vorge-

schlagene Einteilung der grundsätzlichen Strategien crossmedialer Kooperation: die Strategie der

Mehrfachverwertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Die

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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methodische Herangehensweise basiert auf dem Lehrbuch „Experteninterviews und qualitative

Inhaltsanalyse“ von Jochen Gläser und Grit Laudel (2009).

Gegliedert ist die Arbeit in fünf Hauptkapitel. Kapitel zwei behandelt die theoretischen

Grundlagen crossmedialer Vernetzung: In diesem Abschnitt geht es um die historische Entwick-

lung crossmedialen Engagements in Deutschland sowie um die Definition der wichtigsten Begrif-

fe und die Beschreibung der verschiedenen Strategiekonzepte. Das darauffolgende Kapitel stellt

das Leser/Nutzer-Panel des IPJ vor und erläutert, wie die Daten in dem Projekt erhoben worden

sind und auf welche Art und Weise aus den aus dem Panel übernommenen Daten die für diese

Arbeit wichtigen Trendaussagen abgeleitet wurden. Kapitel vier beschreibt das methodische Vor-

gehen: Neben der Darstellung der Forschungsfrage, den Leitfragen und den einzelnen Untersu-

chungsfragen geht es darum zu verdeutlichen, wie die theoretischen Grundlagen in die einzelnen

Fragen für das Leitfadeninterview eingeflossen sind. Zudem beschreibt dieses Kapitel die Durch-

führung und Aufbereitung der Experteninterviews.

In Kapitel fünf geht es um die crossmedialen Strategien der zehn vorgestellten regionalen

Medienhäuser, der Abschnitt beschreibt die Konzepte und nimmt eine inhaltliche Gliederung vor,

damit die Schwerpunkte der strategischen Planung deutlich werden. Im folgenden Kapitel werden

diese Ergebnisse dann vor dem Hintergrund der in Kapitel vier beschriebenen Trends aus dem Le-

ser/Nutzer-Panel des IPJ betrachtet: Ziel – wie weiter oben beschrieben – ist, die Strategien der

Medienhäuser in den Nutzungsgewohnheiten der Rezipienten zu spiegeln, um herauszufinden, ob

die Konzepte der vorgestellten Medienhäuser sich vor dem Hintergrund der sich wandelnden Me-

dienwelt als tragfähig erweisen. Im Anhang der vorliegenden Arbeit sind alle zehn Experteninter-

views vollständig abgedruckt.

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Grundlagen crossmedialer Vernetzung

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2. Grundlagen crossmedialer Vernetzung Das Internet hat sich seit Mitte der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts so rasant zu ei-

nem Massenphänomen entwickelt wie noch nie ein anderes Medium zuvor: Innerhalb von nur

zehn Jahren ist es aus einer kleinen Nische mit minimaler privater Verbreitung zu einem Gegen-

stand des täglichen Gebrauchs geworden. Klassische Massenmedien, allen voran die Tageszei-

tung, stehen 20 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Internetseite3 vor einer Herausforde-

rung: Sie müssen sich mit den neuen digitalen Medien auseinandersetzen, eigene Konzepte entwi-

ckeln und nicht zuletzt ihre Online- und Offline-Angebote aufeinander abstimmen. Viele Tages-

zeitungsverlage bemühen sich zurzeit, Synergien zwischen ihren Print- und Online-Redaktionen

herzustellen und Crossmedia-Strategien im redaktionell-publizistischen Bereich zu etablieren. Das

folgende Kapitel erörtert die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für die crossmediale Koopera-

tion von Print- und Online-Kanälen bei Tageszeitungen.

2.1. Die Entwicklung von crossmedialem Engagement Crossmediale Zusammenarbeit, verstanden als Engagement einer Medienteilbranche in einer an-

deren, ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts (vergleiche Meyer 2005: 129), auch wenn sie für

die Medienunternehmen in der Vergangenheit nicht die Rolle spielte, die sie heute innehat. Bis

Mitte der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren Crossmedia-Strategien in der

deutschen Medienbranche insgesamt nur von eingeschränkter Bedeutung. Die Unternehmen der

Zeitungs- und Zeitschriftenbranche fokussierten sich überwiegend auf ihre Stammgeschäftsfelder

(vergleiche Sjurts 2002: 7). Das Engagement in neuen Geschäftsfeldern beschränkte sich haupt-

sächlich auf den Zukauf oder die Gründung von Druckereien oder Vertriebsunternehmen in den

jeweiligen Medienteilmärkten. Eine Ausnahme bildete der Axel-Springer-Verlag, der sich sowohl

im Zeitungs- als auch im Zeitschriftenmarkt engagierte (vergleiche Sjurts 2002: 7).

Strategien zur crossmedialen Zusammenarbeit bekamen mit der Zulassung privater Radio-

und Fernsehsender eine größere Bedeutung. Print-Unternehmen beteiligten sich auf lokaler und

regionaler Ebene an Radiosendern oder gründeten in Kooperation mit anderen Verlagen neue

Sender, um in den neuen konkurrierenden Werbemärkten selbst präsent zu sein (vergleiche Sjurts

2002: 8). Aus den gleichen Gründen engagierten sich Verlage auch mehr und mehr im Fernsehbe-

reich. „Hier wollten die Printunternehmen am wachsenden Erfolg des Privat-TV infolge steigen-

der technischer Reichweite stärker partizipieren“ (Sjurts 2002: 8). Von 1990 an erwarben viele

westdeutsche Medienunternehmen zudem ostdeutsche Zeitungen und Zeitschriften oder gründeten

in den neuen Bundesländern neue Titel. Neben dem Ausbau von Senderbeteiligungen „entwickel-

ten die Verlagshäuser im Wege einer brand extension Ablegerprodukte erfolgreicher Printtitel in

Form von TV-Sendungen. […] Die Verleger wurden damit zu Contentproduzenten und

Contentlieferanten für die Fernsehsender“ (Sjurts 2002: 8).

In den Jahren um die Jahrtausendwende rückten die neuen elektronischen Medien in den

Fokus der Diversifikationsbestrebungen der Unternehmen. Mit dem Internet und den neuen mobi-

len Kommunikationsangeboten und der sehr schnellen Verbreitung dieser Technologien entstand

3 Im Mai 1990 erstellte der britische Informatiker Tim Berners-Lee für das europäische Kernforschungszentrum CERN die erste Webpräsenz (vergleiche http://info.cern.ch/, Downloaddatum: 24. Juni 2010).

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für die traditionellen Medien sehr schnell eine neue Substitutionskonkurrenz (vergleiche Meyer

2005: 130). Nicht nur Tageszeitungen, sondern so gut wie alle Medien sind seitdem mit eigenen

Angeboten im Internet vertreten. „Im Zuge der Krise der New Economy wurden allerdings eine

Vielzahl von im Zuge der Online-Euphorie gegründeten Beteiligungen und Joint Ventures wegen

erheblicher Verluste oder mangelnder Erfolgsaussichten wieder aufgehoben“ (Meyer 2005: 130).

Das Aufkommen der neuen Medien brachte in der Medienbranche die Auswirkungen ei-

nes Paradigmenwechsels, der nur in erster Linie technischer Natur war, voll zur Entfaltung: der

Übergang von analoger zu digitaler Technik. Diese Digitalisierung war nicht nur die technische

Voraussetzung für das Internet als Publikationsplattform, sondern sie veränderte auch die Welt

der Medien in grundlegender Weise. Im analogen Journalismus waren Medieninhalte an eine be-

stimmte Übermittlungsform gebunden. „Diese Bindung zwischen Inhalt und technischem Medium

löst sich in der digitalen Medienwirtschaft zunehmend auf: Beiträge liegen digitalisiert vor, kön-

nen einfach kopiert, mehrfach umgebaut und verwertet sowie zeit- und ortsunabhängig genutzt

werden“ (Meier 2007: 351). Vor diesem Hintergrund ist die Digitalisierung, also das Vorhanden-

sein aller Zeitungsartikel, Bilder, Radiobeiträge und Fernsehsendungen in digitaler Form, die Vo-

raussetzung für crossmediales Engagement über mehrere Kanäle. „Während früher aus techni-

schen Gründen strikt lineare und monomediale Abläufe vorgegeben waren, werden mit digitaler

Technik Abläufe und Tätigkeiten vernetzt. Die Digitalisierung der journalistischen Produktion

und Distribution ist die technische Basis für Mehrkanalstrategien“ (Meier 2007: 351).

Christian Jakubetz beschreibt diese digitale Medienrevolution so: „Mit ihr [der Digitalisie-

rung] wurden auf einmal Dinge möglich, die vorher schlicht unmöglich waren. Plötzlich werden

Medien hypermobil, lassen sich in wenigen Sekunden beliebig über den ganzen Erdball hinweg

nutzen, publizieren, teilen. Auf einen Schlag lassen sich mit den einfachsten und billigen Mitteln

Dinge produzieren, deren Herstellung bis dahin komplex und kostspielig war. Plötzlich kann jeder

publizieren, der will. Mediengattungen, Trägermedien und deren unterschiedliche Bedeutung

spielen keine Rolle mehr“ (Jakubetz 2008: 18). Nach Auffassung von Christian Jakubetz kenn-

zeichnen drei grundlegende Veränderungen die sich zurzeit vollziehende Entwicklung: die sin-

kende Bedeutung linear strukturierter Medien, die Emanzipation des Konsumenten von Journalis-

ten und den von ihren veröffentlichten Inhalten sowie die zunehmende Mobilität.4

Wenn Medien künftig ihre Nutzer erreichen wollen, müssen sie neben der Qualität nicht

nur im Auge haben, wen sie, sondern auch wo sie denjenigen erreichen wollen. „Mit den unter-

schiedlichen Nutzungssituationen und den künftig sehr stark differenzierenden Anforderungen der

Nutzer an Inhalte ändert sich auch das Verhältnis zwischen linearen und nicht-linearen Medien

grundlegend. Abzusehen ist, dass der Gedanke, Medien ständig und überall nach den individuel-

len Wünschen von Nutzern verfügbar zu machen, in den Vordergrund rücken wird“ (Jakubetz

2008: 154). Zudem werden sich die Position von Journalisten, die Bedeutung ihrer Themen sowie

das Verhältnis von Journalisten und Konsumenten zueinander ändern. „Die Zeiten sind vorbei, als

auf einem Markt ein verhältnismäßig knappes Angebot auf ein vergleichsweise großes Interesse

und damit eine dementsprechende Nachfrage gestoßen ist. […] Niemand muss mehr die Zeitung

lesen. Man kann natürlich, wenn man möchte und wenn man […] von der Zeitung ein so gutes

4 Vergleiche dazu und den folgenden Passagen über die Veränderungen der Medien Jakubetz 2008: 152 bis 162.

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Angebot bekommt, dass man ihr einen Teil seiner Aufmerksamkeit widmet. Machen es andere

besser, relevanter oder was auch immer – dann bekommen sie diese Aufmerksamkeit“ (Jakubetz

2008: 154 bis 155). Die immer weitere Verbreitung von mobiler Kommunikation bedeutet für

Medienhäuser, dass „sie sich über potenzielle Inhalte für eine neue Form von Medien und eine

Millionenzahl von neuen Endgeräten und Plattformen Gedanken machen müssen. […] Man mag

in diesem Zusammenhang eventuell beklagen, dass der Journalismus schneller, atemloser, hekti-

scher und vielleicht auch oberflächlicher wird. Man wird es aber kaum ändern können, zumindest

nicht, wenn es um Schnelligkeit und Aktualität geht“ (Jakubetz 2008: 157).

Diese Entwicklungen, bei denen der „point of no return“ (Jakubetz 2008: 12) schon über-

schritten ist, erfordern eine grundsätzliche Änderung der Perspektive, die die „Bedürfnisse des

Publikums anstelle von Beschränkungen einer Mediengattung an den Ausgangspunkt der redakti-

onellen Arbeit stellt“ (Spachmann 2003a: 232). Nach Claudia Mast und Klaus Spachmann sind

die Konsequenzen dieses Wandels weitreichend und lassen eine Neudefinition des Selbstver-

ständnisses der Verlage als Medienunternehmen erforderlich werden. „Ausgangspunkt sind nicht

mehr Möglichkeiten und Beschränkungen eines Mediums wie die Tageszeitung, sondern die In-

formationsbedürfnisse des Publikums in bestimmten Situationen, die über verschiedene Verbrei-

tungskanäle angesprochen werden. Die Perspektive verlässt die monomediale Betrachtung und

wendet sich crossmedialen Aspekten zu – aus der Perspektive des Lesers die Nutzung verschiede-

ner Medien im Verbund, aus der Perspektive des Produzenten die mehrmediale Verwendung von

Inhalten für verschiedene Medien“ (Mast, Spachmann 2003: 12).

Medienunternehmen stellen sich dieser Herausforderungen durch „die Entwicklung und

Implementierung von Crossmedia-Strategien. Sie erhoffen sich dadurch eine Integration auf Pro-

dukt- und Prozessebene, die strategische Wettbewerbsvorteile im digitalen Medienwettbewerb um

Content und Werbekunden sichern soll“ (Müller-Kalthoff 2002: 19). Für Björn Müller-Kalthoff

ist Crossmedia die entscheidende strategische Herausforderung, weil sich erstens der Content-

Kunde crossmedial verhält, weil zweitens der Werbemarkt eine Crossmedia-Strategie erfordert

und weil drittens Crossmedia-Konzepte zur Nutzung von Synergien unumgänglich sind (verglei-

che Müller-Kalthoff 2002: 21). Müller-Kalthoff argumentiert hier zwar vorrangig aus betriebs-

wirtschaftlicher Sicht, entscheidend ist jedoch der erste Punkt, der gerade auch aus redaktionell-

publizistischer Sicht ein crossmediales Handeln der Unternehmen unabdingbar macht. Die Frage

kann daher auch nicht sein, „ob Cross-Media als Publishing-Thema von Bedeutung ist, sondern

viel mehr wie mit geeigneten Crossmedia-Strategien auf geänderte Nutzungsgewohnheiten rea-

giert werden kann“ (Müller-Kalthoff 2002: 22).

2.2. Zum Begriff Crossmedia-Strategie „Über kaum ein Thema ist im Journalismus in den letzten fünfzehn Jahren so viel diskutiert wor-

den wie zunächst über Online-Medien und in der Folge über crossmediale Optionen und Entwick-

lungen sowohl für Journalisten als auch für Medienhäuser“ (Jakubetz 2008: 11). Mit dieser Dis-

kussion gehe eine begriffliche Unschärfe einher, die viele Studien immer wieder konstatieren. Uli

Gleich schreibt: „Der Begriff Crossmedia wird inzwischen zwar häufig und in unterschiedlichen

Zusammenhängen verwendet, selten jedoch hinreichend definiert“ (Gleich 2003: 510). Insa Sjurts

beklagt ebenfalls, dass der Begriff Crossmedia-Strategie „inflationär gebraucht, aber nicht einheit-

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lich verstanden“ (Sjurts 2002: 4) wird. Sprachlich ist der Begriff Crossmedia eine Kombination

aus dem englischen Verb cross für kreuzen, überkreuzen oder auch durchsetzen und dem meist als

Pluralphrase gebrauchten Substantiv media für Medien und Werbeträger. Im Deutschen ergibt

sich also eine Bedeutung für Crossmedia, die mit dem Überkreuzen von Medien oder Mediengat-

tungen zu beschreiben ist (vergleiche dazu auch Apollonio 2007: 13).

Sjurts versteht Crossmedia-Strategien in erster Linie als betriebswirtschaftliche Hand-

lungsoption: „Dahinter verbirgt sich die Idee, durch Präsenz in verschiedenen Medienteilmärkten

– also durch Diversifikation – ein Portfolio von Geschäftsfeldern aufzubauen und die Erlösabhän-

gigkeit von einzelnen Medienmärkten zu verringern. Ferner sollen Synergieeffekte genutzt und

Kostendegressionsvorteile realisiert werden. Die Aktivitätsfelder reichen dabei von der Präsenz in

verwandten Medienteilmärkten – zum Beispiel von Zeitungsverlagen im Zeitschriftenbereich –

über den Einstieg in andere klassische, aber nicht unmittelbar technologisch verwandte Medien-

teilbranchen – so zum Bespiel von Verlagen im Rundfunkbereich – bis hin zur Tätigkeit von klas-

sischen Medienunternehmen bei den neuen elektronischen Medien Internet und Mobilkommuni-

kation“ (Sjurts 2002: 3). Sjurts versteht Strategie als Oberbegriff für langfristig orientierte Ent-

scheidungen über die Geschäftsfelder eines Unternehmens und die Art und Weise, wie der Wett-

bewerb in diesen Geschäftsfeldern bestritten werden soll (vergleiche Sjurts 2002: 4), was dem

klassischen Strategiebegriff der betriebswirtschaftlichen Strategielehre entspricht, der Strategie

definiert als „die grundsätzliche, langfristige Verhaltensweise (Maßnahmenkombination) der Un-

ternehmung und relevanter Teilbereiche gegenüber ihrer Umwelt zur Verwirklichung der langfris-

tigen Ziele“ (Hadeler, Winter, Arentzen 2000: 2949). Entsprechend können nach Auffassung von

Sjurts Crossmedia-Strategien definiert werden als „Diversifikationsentscheidungen von Medien-

unternehmen, die als Zielbranchen andere Medienteilmärkte fokussieren, also cross-mediär sind.

Als Medienteilmärkte sind dabei zunächst die klassischen Medienmärkte Zeitungen, Zeitschriften,

Hörfunk und Fernsehen zu unterscheiden. Im Zuge der technologischen Entwicklung sind als

neue Medienmärkte Internet und mobile Kommunikation hinzugekommen und hier entsprechend

zu berücksichtigen“ (Sjurts 2002: 5).5

Eine sehr knappe und einprägsame Definition von Crossmedia stammt von Björn Müller-

Kalthoff: „Crossmedia umfasst alle Vermarktungskonzepte eines Unternehmens, die sich auf

mindestens zwei Medienformen beziehen“ (Müller-Kalthoff 2002: 20). Versteht man unter den

Vermarktungskonzepten eines Unternehmens auch die inhaltlichen Angebote eines Unterneh-

mens, trifft die Definition nach Meinung von Kathrin Meyer den Kern des crossmedialen Wesens

recht gut (vergleiche Meyer 2005: 144).

Aufbauend auf diese ökonomisch orientierten Definitionen von Crossmedia-Strategien un-

tersuchen viele Studien auch die für diese Arbeit wichtige publizistisch-redaktionelle Dimension

des Gegenstands, den der Begriff zu fassen sucht. Crossmedia wird „sowohl als unternehmerische

Strategie als auch als redaktionelles Konzept umschrieben, da es die inhaltliche Vernetzung der

5 In ihrer Studie „Cross-Media Strategien in der deutschen Medienbranche“ versteht Insa Sjurts „Diversifikation“ als „Präsenz in verschiedenen Medienteilmärkten“ und unterscheidet für Medienunternehmen drei grundlegende Diversifikationsvarianten: die intramediäre, die intermediäre und die extramediäre Diversifikation. Kriterien für die Einteilung der Diversifikationsvarianten sind zum einen der Verwandtschaftsgrad von Ressourcen, Techno-logie und Risiko in Ausgangs- und Zielbranchen und zum anderen das Verhältnis von Ausgangs- und Zielbran-che im Hinblick auf ihre Position in der Wertschöpfungskette (vergleiche dazu Sjurts 2002: 3 bis 7).

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Medienangebote und die Organisationsstrukturen der Aussagenproduktion umfasst“ (Stark, Kraus

2008: 307). Für Christoph Neuberger steht ebenfalls die publizistisch-redaktionelle Bedeutung des

Crossmedia-Begriffs im Mittelpunkt seiner Forschungen. Als crossmedial werden „der Transfer

von Inhalten in ein anderes Medium (Mehrfachverwertung, ,Probenutzer‘, ,Versioning‘), die funk-

tionale Kombination von Angeboten unterschiedlicher Medien (,Doppelnutzer‘) sowie die Wer-

bung des einen Mediums für ein anderes bezeichnet“ (Neuberger 2003b: 164). Crossmedial im

engeren Sinne sei also die funktionale Kombination von Angeboten, die als medienübergreifende

Einheit präsentiert werden (vergleiche dazu auch Neuberger 2003a: 40).

Karin Borowski erwähnt in ihrer Crossmedia-Definition explizit die Inhaltsebene, sie ver-

steht unter Crossmedia „sowohl eine unternehmerische Strategie als auch ein redaktionelles Kon-

zept, das über die Vernetzung der Inhalte verschiedener Medienangebote bis in die Organisations-

strukturen der Aussageproduktion hineinreicht“ (Borowski 2003: 237). Die crossmediale Vernet-

zung findet in einer Einteilung von Borowski auf drei verschiedenen Ebenen statt, der Kathrin

Meyer zwei weitere hinzufügt: auf der Marketing-Ebene, auf der inhaltlichen Ebene und auf der

redaktionellen Ebene sowie auf der kaufmännischen Ebene und auf der Werbeebene.6

Auf der Marketing-Ebene integrieren crossmedial agierende Unternehmen verschiedene

Medienangebote in verschiedenen Kanälen unter einer Dachmarke. Im Rahmen dieser sogenann-

ten Dachmarkenstrategie überträgt sich das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den

Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transferprozesses auf die Marke eines anderen Kanals.

Durch crossmediales Handeln auf der Marketing-Ebene in Form von Cross-Promotion und Cross-

Selling versucht das Unternehmen, seine Kunden an die eigene Markenfamilie zu binden (verglei-

che Borowski 2003: 236). Unter Cross-Promotion versteht man zum Beispiel die Eigenwerbung

für das Online-Produkt in der gedruckten Zeitung sowie die verdeckte Werbung durch Berichte

im redaktionellen Teil, Cross-Selling meint die Bestellmöglichkeit eines Print-Abonnements in

der Online-Ausgabe (vergleiche dazu Neuberger 2003a: 42).

Auf der inhaltlichen Ebene werden die journalistischen Inhalte im Rahmen einer

Crossmedia-Strategie zu einer Art Informationsrohmaterial, das den jeweils spezifischen Präsenta-

tionsformen der verschiedenen Ausgabekanäle angepasst wird. Eine enge inhaltliche Verzahnung,

gegenseitige Ergänzungen, wechselseitige thematische Bezugnahmen und Verweise auf Zusatzin-

formationen kennzeichnen Crossmedia-Strategien auf der inhaltlichen Ebene (vergleiche Meyer

2005: 147). „Dadurch zieht die Rezeption des einen Mediums eine anschließende Nutzung des

anderen Mediums nach sich, es entsteht ein Push-Effekt. Wird diese inhaltliche Verknüpfung kon-

sequent durchgeführt, kann dies zu einer dauerhaften komplementären Nutzung beider Medien,

beziehungsweise aller beteiligten Medien des Medienverbundes führen“ (Borowski 2003: 237).

Auf der redaktionellen Ebene verändern Crossmedia-Strategien die journalistische Arbeit

und die Workflows in den Redaktionen. Geschichten werden nicht mehr nur für ein Medium ent-

wickelt, sondern gleichzeitig für mehrere Mediengattungen recherchiert. Dies bringt grundlegende

Veränderungen in der organisatorischen und personellen Struktur der Redaktionen mit sich.

„Themen müssen frühzeitig geplant werden. Von vornherein muss klar sein, in welchen Formaten

auf welchen Plattformen eine Geschichte veröffentlicht werden soll. Im Nachhinein wird es

6 Vergleiche zu der folgenden Passage über die Einteilung von crossmedialer Vernetzung Borowski 2003: 236 bis 237 und Meyer 2005: 149.

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schwierig, Material mediengerecht zu verteilen und aufzubereiten“ (Meier 2007: 360). Damit ver-

bunden ist „für die alte produktionsorientierte Zeitungsredaktion mit der Ausrichtung auf Redak-

tionsschluss und Andrucktermin eine Neuorientierung hin zur Nachrichtenbearbeitung rund um

die Uhr“ (Meier 2007: 360). Karin Borowski prognostiziert, dass es durch die Überschneidungen

in der Aussagenproduktion zu einer Mehrfachverwertung der in einem traditionellen Medienhaus

schon vorhandenen redaktionellen Ressourcen kommt, „wodurch sich auch hier Synergien erge-

ben können“ (Borowski 2003: 237). Um die Auswirkungen dieser veränderten Strategien auch in

der Redaktionsorganisation aufzufangen, stellen viele Medienhäuser seit einigen Jahren ihre

Workflows um. Mittlerweile scheint sich das Konzept des Newsrooms, der von einem Newsdesk

gesteuert wird, durchzusetzen.7

Zu den oben aufgezeigten drei Ebenen von Karin Borowski fügt Kathrin Meyer wie schon

erwähnt zwei weitere Ebenen hinzu, auf denen crossmediale Vernetzung möglich ist: die kauf-

männische Ebene und die Werbe-Ebene. Die kaufmännische Ebene von Crossmedia-Strategien

ist eng an die Marketing-Ebene gekoppelt. „So könnten Verwaltungs- oder Abrechungsvorgänge

etwa im Abonnement-Bereich für Print- und Online-Zeitung […] zusammengelegt werden. Dies

betrifft auch Zusatzdienste, so genannte Added-Values, wie etwa Archivdienste, die es beim

Print- und Online-Produkt gibt. Auf diese Weise können ebenfalls Synergien genutzt und Kosten

gesenkt werden. Zudem entstünde ein gemeinsamer kaufmännischer Blickwinkel für das Gesamt-

produkt“ (Meyer 2005: 149).

Auf der werblichen Ebene haben Crossmedia-Strategien das Ziel, die verschiedenen Ka-

näle im Hinblick auf den Werbeerfolg bei Werbekunden aufeinander abzustimmen (vergleiche

Meyer 2005: 149). Die Bestrebungen gehen dahin, „durch die Vernetzung unterschiedlicher Me-

dienkanäle und Werbeträger einen maximalen werblichen Erfolg über eine mehrkanalige Anspra-

che zu realisieren“ (Hesse 2003: 110). Dies setzt voraus, dass „Print und Online den jeweiligen

Stärken entsprechend eine klar definierte Rolle spielen, so dass sich beide in ihrer Werbewirk-

samkeit ergänzen und Synergiepotenziale nutzen“ (Hesse 2003: 110). Eine solche Vernetzung be-

steht aus Kombinationsangeboten für Werbung im jeweiligen Print- und Online-Medium.

Für die Beantwortung der Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit sind besonders die

inhaltliche Ebene und die redaktionelle Ebene wichtig, weshalb im Folgenden diese Perspektiven

im Zentrum der Ausführungen stehen. In diesem Zusammenhang hat Claudia Mast ein Modell der

crossmedialen Produktion entwickelt.8 Am Anfang steht die Phase des Themenmanagements, in

der die relevanten Themen nach Ereignislage und Interessen der Zielgruppen ausgewählt werden.

In der zweiten Phase, die Claudia Mast „Content-Pool“ (Mast 2003: 34) nennt, werden die Inhalte

vorgeplant, bereit gestellt, verwaltet und verteilt. Diese Inhalte „müssen unabhängig vom jeweili-

gen Autor weiterverarbeitet werden können, deshalb ist es notwendig, Zusatz- und Kontextinfor-

mationen zu den Beiträgen zu erfassen“ (Spachmann 2003a: 219). In der dritten Produktionsphase

entscheidet die Redaktion, in welchen Kanälen die Inhalte erscheinen sollen und wie die Beiträge

der jeweiligen Kanäle miteinander vernetzt werden, bevor die Inhalte in der folgenden vierten

Produktionsphase für die einzelnen Verbreitungskanäle medienspezifisch bearbeitet werden. In

7 Vergleiche zu diesen Aspekten der redaktionellen Organisation insbesondere Meier 2006 und Kaltenbrunner, Meier, Avilés, Kraus, Carvajal 2009. 8 Vergleiche zum Modell der crossmedialen Produktion und den folgenden Ausführungen Mast 2003: 31 bis 36.

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der abschließenden fünften Produktionsstufe werden die Inhalte dokumentiert und archiviert (ver-

gleiche Mast 2003: 34.). In dieser Produktionsabfolge liegt für Klaus Spachmann das große

Synergiepotenzial von crossmedialer Vernetzung, denn digital aufbereitete und mit Metainforma-

tionen versehene redaktionelle Inhalte seien nicht mehr an einen bestimmten Kanal gebunden und

werden so zur kostbaren Ware, die nicht nur in den Medien der eigenen Markenfamilien genutzt,

sondern auch an externe Partner verkauft werden kann (vergleiche Spachmann 2003a: 218).

Im Rahmen der Diskussion über die Vernetzung von Mediengattungen wie Print und On-

line, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, fällt immer wieder das Schlagwort Konvergenz.9

„Man kann nicht über crossmediale Medienwelten sprechen, ohne sich […] auch noch einmal

über Medienkonvergenz Gedanken zu machen. Möglicherweise ist Konvergenz sogar der schöne-

re und treffendere Ausdruck für das, was momentan passiert. Er hat nur ein Problem: Er wurde in

den Zeiten der New Economy um die Jahrtausendwende zu Tode zitiert“ (Jakubetz 2008: 22).

Jakubetz fasst hier die Tatsache zusammen, dass in der Mediendiskussion der Begriff Konvergenz

in vielen Bedeutungen gebraucht wird. Matthias Karmasin und Carsten Winter definieren in ihrem

Lehrbuch „Konvergenzmanagement und Medienwirtschaft“ Konvergenz als „die inhomogene In-

tegration von Verschiedenem“ (Rummel 2006: 225) und führen technische Konvergenz, ökono-

mische Konvergenz, intramediale oder inhaltliche Konvergenz, intermediale Konvergenz und re-

gulatorische Konvergenz als Spezialbedeutungen ein (vergleiche dazu Rummel 2006: 225).

Diese Arbeit verwendet den Begriff Konvergenz in erster Linie im Sinne von technischer

Konvergenz, bei der Michael Latzer zwei Entwicklungsstufen beschrieben hat: die Telematik als

das Zusammenwachsen von Telekommunikations- und Computertechnik und die Mediamatik als

das Zusammenwachsen von Medien und Telematik (vergleiche Latzer 1997: 16 bis 90). Wenn

von Konvergenz die Rede ist, „so ist damit also meist das Zusammenwachsen beziehungsweise

die Annäherung verschiedener Medienarten gemeint – etwa dass das Internet mit Text-, Audio-

und Bildformaten Kompetenzen der Zeitung, des Hörfunks und des Fernsehens übernimmt und

integriert“ (Meyer 2005: 199). Der Prozess der technischen Konvergenz hat sich im Verständnis

dieser Arbeit aus der Digitalisierung ergeben und ist damit die grundlegende Voraussetzung für

Crossmedia-Strategien: Nur auf Grundlage des Zusammenwachsens verschiedener Medienarten

können Medienunternehmen ihre Entscheidungen langfristig crossmedial ausrichten.

2.3. Strategische Ansätze für die Vernetzung von Print und Online Klassische Medien wie die Tageszeitung stehen vor der Herausforderung, ihre Online- und Off-

line-Angebote zu vernetzen – und zwar aus ökonomischen und publizistischen Gründen. „Erstens

ist es eine Verschwendung von Ressourcen, zwei verwandte Produkte herzustellen, ohne Mög-

lichkeiten kostensparender Zusammenarbeit auszuloten. Zweitens kann auch die journalistische

Qualität der Online- und Print-Ausgaben von einer engen Vernetzung profitieren“ (Brüggemann

2002: 8). Zudem sind Tageszeitungen aufgrund einer durch das Aufkommen der neuen Medien

erweiterten Wettbewerbssituation unter Druck geraten und gezwungen, ihre bestehenden Strate-

gieansätze zu überprüfen. Mittels übergreifender Medienkompositionen, neuer Vertriebskanäle

und veränderter Informationszugänge müssen die Verlage auf der Grundlage von Nutzerwünschen

9 Konvergenz bedeutet allgemein Annäherung oder Zusammenstreben als Gegensetz zu Divergenz (vergleiche dazu Rummel 2006: 225).

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ihre Adressaten exakter erreichen als jemals zuvor, um im Wettbewerb um die Gunst der Nutzer

bestehen zu können (vergleiche Apollonio 2007: 16). Martin Gläser beschreibt die veränderte

Ausgangssituation für die klassischen Medien so: „Fest steht, dass die Digitalisierung aller Ele-

mente und Stufen der Wertschöpfungskette die Verlage vor bislang nicht gekannte, existentielle

und historisch einmalige Herausforderungen stellt“ (Gläser 2010: 173). Tageszeitungen stehen

nicht nur mit anderen Tageszeitungen im Wettbewerb, sondern auch mit allen Anbietern, die die

Kanäle der neuen Medien für ihre Inhalte nutzen. Für Medienunternehmen ergibt sich daher die

Notwendigkeit, den Konsumenten Zugang zu allen relevanten Distributionswegen zu verschaffen

– auch vor dem Hintergrund, dass die Konsumenten mehr und mehr ein auf ihre Interessen und

Bedürfnisse zugeschnittenes Medienangebot präferieren. Oder kurz gesagt: „Wer keine Aufmerk-

samkeit bekommt, wird nicht existieren können“ (Jakubetz 2008: 155).

Vor diesem Hintergrund betrachten Michael Brüggemann und Björn Müller-Kalthoff Sy-

nergien als Motivation für Zeitungsverlage für eine crossmediale Kooperation (vergleiche Müller-

Kalthoff 2002: 21.). „Unternehmen haben ein Motiv zusammenzuwachsen: Es heißt: Synergien“

(Brüggemann 2002: 20). Der Begriff Synergie stammt aus der Betriebswirtschaftslehre und be-

schreibt „das Zusammenwirken verschiedener Kräfte zu einer Gesamtleistung. Häufig wird erwar-

tet, dass diese Gesamtleistung höher liegt als die Summe der Einzelleistungen“ (Hadeler, Winter,

Arentzen 2000: 2994). Für die Zielrichtung dieser Arbeit heißt das, dass bei einer crossmedialen

Kooperation zwischen Print und Online bessere Produkte günstiger realisiert werden im Vergleich

zu einer Arbeitsweise, bei der die Kanäle Print und Online nicht miteinander vernetzt werden. Mi-

chael Brüggemann verweist zudem darauf, dass Zeitungsverlage durch diese Synergieeffekte

möglicherweise die mittelfristig defizitär arbeitenden Online-Ausgaben stützen könnten. „Dank

der zu erwartenden Kostenersparnis bietet sich eine Crossmedia-Strategie auch angesichts der

Tatsache an, dass viele Online-Angebote in absehbarer Zeit keine Gewinne abwerfen werden und

Quersubventionierung nötig bleibt“ (Brüggemann 2002: 46).

Ein Problem, mit dem viele Tageszeitungsverlage teilweise noch immer kämpfen, ist die

Tatsache, dass viele Online-Angebote Mitte der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts

ohne publizistische Strategien gegründet wurden. „Im Zuge des Internet-Booms wurden die Onli-

ne-Ableger in den allermeisten Fällen ohne strategische Vorgaben ins Leben gerufen“ (Meyer

205: 157). Noch im Jahr 2000 stellt Klaus Dieter Altmeppen fest, dass das Interesse von Verlagen,

als Vorreiter oder Innovator zu agieren, kaum ausgeprägt sei, und fordert, dem Internet endlich

mit Strategien zu begegnen (vergleiche Altmeppen 2000: 190). Unter Strategie versteht diese Ar-

beit, wie schon ausgeführt, die „grundsätzliche, langfristige Verhaltensweise (Maßnahmenkombi-

nation) der Unternehmung und relevanter Teilbereiche gegenüber ihrer Umwelt zur Verwirkli-

chung der langfristigen Ziele“ (Hadeler, Winter, Arentzen 2000: 2949).10 Zur strategischen Aus-

richtung von Medienunternehmen gibt es viele Studien, die den Schwerpunkt auf betriebswirt-

schaftliche Zusammenhänge legen. Diese Arbeit legt den Fokus allerdings auf die redaktionell-

inhaltlichen Gesichtspunkte, die Strategien von Verlagen aufweisen. Vorausgesetzt wird, dass die 10 Vergleiche dazu das Kapitel 2.2. dieser Arbeit. Eine Strategie „trifft Aussagen zu folgenden vier Bereichen: (1) dem Tätigkeitsbereich, das heißt dem Ausmaß der Umweltbeziehungen der Unternehmung (Scope/Domain), (2) den Ressourcen der Unternehmung und den damit verbundenen Fähigkeiten, die strategischen Ziele zu errei-chen (Distinctive Competence), (3) den Wettbewerbsvorteilen der Unternehmung (Competitive Advantage) und (4) der Synergie, die durch die strategischen Entscheidungen entsteht“ (Hadeler, Winter, Arentzen 2000: 2949).

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wirtschaftliche Hauptstrategie eines jeden Medienunternehmens ist, einen möglichst hohen Ge-

winn zu erzielen, um im Wettbewerb langfristig zu bestehen (vergleiche Wirtz 2006: 79).

Die wirtschaftliche Komponente ist jedoch nur ein Teilbereich der Strategieentwicklung,

der eigentliche Prozess der Bildung einer Strategie umfasst die Stufen Vision, Mission und kon-

krete Ziele (vergleiche Wirtz 2006: 79). Dabei beschreibt die Vision der Unternehmung „die Idea-

le, die hinter ihrem Handeln stehen und die die Berechtigung für ihre Existenz darstellen. […] Auf

der Basis dieser Vision entsteht die Mission, welche die langfristigen Ziele der Unternehmung de-

finiert“ (Wirtz 2006: 79). Auf dieser Ebene ist die Definition der strategischen Geschäftsfelder

angesiedelt, auf denen das Unternehmen aktiv ist oder künftig aktiv werden will. Aufbauend auf

die Mission formuliert die Unternehmung Ziele, die sie mittel- bis langfristig erreichen will (ver-

gleiche Wirtz 2006: 79). Der Axel-Springer-Verlag formuliert sein strategisches Ziel mit diesen

Worten: „Unsere Strategie: Ausbau der führenden Marktstellung im deutschsprachigen Kernge-

schäft, Internationalisierung und Digitalisierung.“11 Dieses auf der Visionsebene beschriebene

Ziel muss im nächsten Schritt durch die Nennung von strategischen Geschäftsfeldern operationa-

lisiert werden, um im Folgenden konkrete Ziele und Handlungsrichtlinien festlegen zu können.

Vor dem Hintergrund müssen Online-Aktivitäten im Hinblick darauf hinterfragt werden,

ob die Unternehmen die neuen Medien als echtes strategisches Geschäftsfeld begreifen. „Wenn

der eigene Auftritt nur Mittel der Unternehmenskommunikation ist, also der Werbung für das be-

stehende Produkt dient, kann noch nicht von einem strategischen Geschäftsfeld Online-Auftritt

gesprochen werden“ (Brüggemann 2002: 37). Besonders in der Anfangszeit hatte das Online-

Engagement vor allem das Ziel, die bestehenden Zeitungen und Zeitschriften zu stärken, erst nach

und nach setzte sich bei den Medienhäusern die Überzeugung durch, das Internet als strategisches

Geschäftsfeld zu sehen. In ihrer Dissertation kommt Christiane Henkel, die in dem Zusammen-

hang zwischen instrumentellen und strategischen Vorgehensweisen unterscheidet, 1999 zu fol-

gendem Schluss: „Das Online-Engagement wird weniger als Instrument gesehen, um das Print-

Produkt zu schützen, sondern als eigenständige neue Leistung“ (zitiert nach Meyer 2005: 159).

Aus heutiger Sicht muss aber festgehalten werden, dass dieser Trend im Zuge der Medienkrise

des vergangenen Jahrzehnts wieder rückläufig ist – ein Befund, den neuere Studien von Christoph

Neuberger bestätigen: „Betrachtet man die Motive des Internetengagements, dann fällt auf, dass

sich hier die Tageszeitungen gegenüber dem neuen Medium relativ defensiv verhalten: Sie wollen

ihr Muttermedium schützen und halten sich zurück, um einer ,Selbstkannibalisierung‘ zu entgehen

oder um Anlaufverluste zu vermeiden“ (Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 265). Damit ist

die Frage, ob Medien ihre Online-Angebote „als Trutzburg zur Verteidigung der alten Marke im

neuen Zeitalter betrachten oder eher als trojanisches Pferd, das den Zugang in einen neuen Markt

ebnet“ (Brüggemann 2002: 37), noch immer aktuell.

Bernd Wirtz nimmt neben der Einteilung in instrumentelle und strategische Vorgehens-

weisen eine weitere Differenzierung vor: Er unterscheidet anhand der Medienwertkette die Strate-

gieoptionen Fokussierung, Integration und Netzwerk (vergleiche Wirtz 2006: 86). Die Entschei-

dung für eine der drei Optionen stellt die Grundlage für die Wahl einer konkreten crossmedialen

Strategie dar. Im Rahmen einer Fokussierungsstrategie „beschränkt sich das Medienunternehmen

11 Vergleiche zur Formulierung des strategischen Ziels des Axel-Springer-Verlages die Eigenpräsentation im In-ternet unter http://www.axelspringer.de/Unternehmen_39232.html, Downloaddatum: 26. Juni 2010.

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auf eine Stufe der medialen Wertkette und versucht, in diesem Bereich eine herausragende Stel-

lung zu erreichen“ (Wirtz 2006: 86). Die Medienunternehmen konzentrieren sich auf ihre Kern-

kompetenzen,12 denkbar wäre das Beispiel, dass sich eine Zeitung bewusst vollkommen gegen ei-

nen Online-Auftritt entscheidet. Agiert ein Verlag in dieser Weise, „entfällt eine crossmediale

Strategie, da der Verlag entweder kein Online-Angebot betreibt oder dies kaum redaktionelle In-

halte enthält, weil die Kernkompetenz des Verlages im Printprodukt liegt“ (Meyer 2005: 160).13

Im Gegensatz zu Fokussierungsstrategien zielen Integrationsstrategien auf eine Erweite-

rung des Leistungsspektrums. „Dabei können Integrationsstrategien sowohl durch den Aufbau

neuer Leistungen (interne Ausdehnung) als auch durch den Zukauf von bestehenden Anbietern

(externe Ausdehnung) verfolgt werden“ (Wirtz 2006: 86). Im Falle von Medienunternehmen be-

deutet ein solches Vorgehen, „dass die Verlage Online-Angebote gründen […] oder dass der Zei-

tungsverlag bestehende funktionierende Online-Auftritte erwirbt“ (Meyer 2005: 161).

Zudem können sich Medienunternehmen zu einem Netzwerk zusammenschließen, um be-

stimmte Aufgaben gemeinsam zu meistern. Netzwerkstrategien beinhalten „die Bildung von Un-

ternehmensgruppen, die gemeinsam und kooperativ an einem Wertschöpfungsprozess arbeiten“

(Wirtz 2006: 88). Auf diese Weise sind Unternehmen in der Lage, mit der zunehmenden Innova-

tionsgeschwindigkeit in ihrer Branche Schritt zu halten und unter Umständen selbst als Innovati-

onsführer aufzutreten (vergleiche Wirtz 2006: 88). „Im Falle von Zeitungsverlagen kommt die

Netzwerkstrategie bei sogenannten Verbundangeboten im Internet zur Anwendung – also wenn

mehrere Zeitungsverlage gemeinsam einen Online-Auftritt betreiben“ (Meyer 2005: 161).14

Der nächste Abschnitt des Kapitels stellt in drei Unterkapiteln konkrete crossmediale Ver-

netzungsstrategien vor, die dem Integrationsbereich zuzuordnen sind. Grundsätzlich unterscheiden

viele Studien die Strategie der Mehrfachverwertung, die Strategie der Autonomie und die Strate-

gie der Komplementarität.15 „Die prinzipielle Entscheidung für die jeweilige Strategie basiert auf

einer Entscheidung der Verlagsführung hinsichtlich der Zielgruppe des Online-Angebots“ (Meyer

2005: 162). Wichtig in dem Zusammenhang ist der Hinweis von Christoph Neuberger, der aus-

führt, dass die Medienunternehmen bei Strategiefragen immer als Subjekte, die Entscheidungen

treffen, betrachtet werden müssen: „Es sind nicht Medientypen als technische Medien, die mitei-

12 Bernd Wirtz führt für diese Strategie das Beispiel des Unternehmens Yahoo an, das in der Anfangszeit zu-nächst eine reine Suchmaschine war und erst später weitere Informationsdienstleistungen und Servicefunktionen in sein Angebot aufgenommen hat (vergleiche Wirtz 2006: 86). 13 Beispielhaft für einen Verlag, der sein Print- und Online-Angebot im Sinne einer Fokussierungsstrategie aus-richtet, ist das Badische Tagblatt. Der Fokus liegt ganz klar auf der Print-Ausgabe, während die Online-Ausgabe nur sehr wenige Artikel im Volltext und überwiegend Anreißer des Print-Angebots bietet (vergleiche dazu http://www.badisches-tagblatt.de, Downloaddatum: 26. Juni 2010). 14 Ein Beispiel für ein solches Verbundangebot ist das Schweizer Newsnetz. Das Online-Angebot ist der gemein-same Internet-Auftritt des Tagesanzeigers, der Basler Zeitung, der Berner Zeitung, des Bunds und der Thurgauer Zeitung (vergleiche http://www.newsnetz.ch/, Downloaddatum: 26. Juni 2010). 15 Vergleiche dazu unter anderem Brüggemann 2002 und Meyer 2005. Auch Christoph Neuberger teilt die Stra-tegieoptionen in ähnlicher Weise ein – auch wenn er sie anders bezeichnet und sie aus einer ökonomischeren Perspektive beurteilt. „Einige der hier unterschiedenen Strategien sind crossmedial angelegt, das heißt, dass sich Print- und Online-Angebote ein- oder wechselseitig ergänzen. Als ,crossmedial‘ werden hier der Transfer von Inhalten in ein anderes Medium (Mehrfachverwertung, ,Probenutzer‘, ;Versioning‘), die funktionale Kombinati-on redaktioneller Angebote in unterschiedlichen Medien (,Doppelnutzer‘) sowie die Werbung des einen Medi-ums für ein anderes bezeichnet“ (Neuberger 2005: 173). Zudem führt Neuberger die Strategie der Diversifikation auf, bei der ein neues Produkt für einen neuen Markt als vom Muttermedium abgelöstes, autonomes Angebot entwickelt wird (vergleiche Neuberger 2005: 172).

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nander konkurrieren und kooperieren, sondern die Anbieter als Akteure, die sich – je nach Strate-

gie – eines aber auch mehrerer technischer Medien bedienen können“ (Neuberger 2003b: 156)

2.3.1. Strategie der Mehrfachverwertung

Mit dem Aufkommen des Internets verband sich sehr schnell die Hoffnung, dass die technischen

Möglichkeiten der neuen Medien die redaktionell aufbereitete Information als Kernressource der

klassischen Medien in einem völlig neuen Erscheinungsbild darstellen würden: Die unbegrenzte

Aktualität, die Multimedialität, die Interaktivität, die Hypertextualität und nicht zuletzt die unbe-

grenzte Speicherkapazität sollten sich zu einer noch nie dagewesen Form des Storytellings ver-

binden und die bis dahin klassisch in Text und Bild präsentierten Geschichten neu erzählen (ver-

gleiche Meyer 2005: 42 bis 47). Die Realität sah bei vielen Online-Angeboten deutscher Medien-

unternehmen anders aus. „Die Geburt eines völligen neuen Journalismus im Internet, der durch

Video, Audio und Hypertext das Erzählen perfektionieren und durch Interaktivität eine größere

Publikumsnähe erreichen soll, lässt noch auf sich warten“ (Neuberger 2000b: 318), schreibt Chris-

toph Neuberger im Jahr 2000. Dies hatte vor allem ökonomische Gründe, da die meisten Zei-

tungsverlage ein komplettes journalistisches und kanalgerecht aufbereitetes Online-Angebot nicht

finanzieren konnten, woraus sich eine Strategie der Mehrfachverwertung zwangsläufig ergab

(vergleiche Neuberger 2000a: 106). „Die Lösung, bereits vorhandene Artikel mehrfach und damit

online zu verwerten, liegt also mangels der Refinanzierbarkeit der meisten Online-Zeitungen na-

he: Zusätzlich zur Print-Zeitung werden die vorhandenen Beiträge auch online gestellt“ (Meyer

2005: 163). In diesem Zusammenhang fordert Michael Brüggemann, dass ein „dem Ausgabegerät

gerechtes Informationsdesign“ entwickelt werden muss und dass die „Inhalte um die sogenannten

Mehrwerte“ angereichert werden müssen (vergleiche Brüggemann 2002: 42). Wesentliches

Merkmal der Strategie der Mehrfachverwertung zwischen Print- und Online-Kanal ist jedoch,

dass dieser Mehrwert sich in Grenzen hält und dass die vorhandenen Inhalte „mehr oder weniger

unverändert über verschiedene Kanäle verbreitet werden“ (Neuberger 2003a: 40). Für die redakti-

onelle Kooperation zwischen Print und Online bedeutet die Mehrfachverwertung, dass die Inhalte

von der Print-Redaktion bereitgestellt und dann für die Online-Ausgabe modifiziert werden. „Die

Online-Redaktion nimmt höchstens journalismusverwandte auswählende, wesentlich aber tech-

nikorientierte Aufgaben wahr“ (Brüggemann 2002: 42). Als Beispiel für diese Organisation führt

Michael Brüggemann die New York Times an, die genau diese Arbeitsteilung in den Jahren zwi-

schen 2000 und 2005 entwickelt hat. An der inhaltlichen Struktur eines Print-Artikels wurde für

die Online-Ausgabe nichts verändert, er wurde nur durch Links, Audio- und Video-Angebote und

interaktive Elemente internetfähig gemacht, denn „a well-written article is a well-written article

and there is no reason you need to rewrite a well-written article for the web“, wie die Online-

Redakteurin der New York Times, Meredith Artley, erklärt (zitiert nach Brüggemann 2002: 99).

Da sich bei der Strategie der Mehrfachverwertung Print-Ausgabe und Online-Ausgabe in-

haltlich ähneln, macht diese Vorgehensweise nur Sinn, wenn das Medienunternehmen mit den

beiden Angeboten unterschiedliche Zielgruppen ansprechen will. „Denn wer die Zeitung schon

hat, will sie im Web nicht noch einmal lesen (Brüggemann 2002: 41). Eine Mehrfachverwer-

tungsstrategie bedeutet also für den Verlag eine Diversifikation der Zielgruppe. Kathrin Meyer

erwähnt in diesem Zusammenhang den Versuch einiger Zeitungen, über das Online-Angebot Ju-

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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gendliche zu erreichen, die die Print-Zeitung wenig nutzen, dafür aber online sehr aktiv sind. Da-

hinter steckt das Ziel, die Jugendlichen langfristig als Nutzer der Zeitungen zu gewinnen. Aller-

dings erweise sich die Ansprache solcher sehr spezieller Zielgruppen als sehr schwierig (verglei-

che Meyer 2005: 165). „Generell gilt: Ein inhaltlich identisches Angebot im Netz erschließt keine

völlig neuen Zielgruppen, denn die Inhalte sind für eine bestimmte Leserschaft geschrieben. Es ist

unwahrscheinlich, dass sie auch eine in Interesse und Soziodemographie völlig gegensätzliche

Nutzerschaft ansprechen können“ (Brüggemann 2002: 42). Christoph Neuberger unterscheidet bei

der Mehrfachverwertung zwischen dem sogenannten „Windowing“, also der zeitlich gestaffelten

Verbreitung, und dem sogenannten „Versioning“, also der medienspezifischen Aufbereitung (ver-

gleiche Neuberger 2003a: 40). Ziel beider Strategien ist „aus Anbietersicht eine größere Reich-

weite der Inhalte, aus Nutzersicht eine höhere zeitliche und räumliche Disponibilität, unterschied-

liche Rezeptionsmodalitäten für gleiche Inhalte, unter denen gewählt werden kann, sowie ein

Mehrwert durch das Hinzufügen medienspezifischer Funktionalitäten“ (Neuberger 2003a: 40).

Dennoch, so das Fazit Kathrin Meyers und Michael Brüggemanns, ist die Strategie der

Mehrfachverwertung vor allem für kleinere und damit finanziell weniger potente Medienunter-

nehmen sehr attraktiv (vergleiche Meyer 2005: 165 und Brüggemann 2002: 42), denn „sie ver-

heißt maximale Synergien durch die Wiederverwendung der Marke im Webangebot und Kosten-

ersparnis bei der Inhaltsproduktion“ (Brüggemann 2002: 42). Das gilt besonders vor dem Hinter-

grund der Tatsache, dass weiterhin unumstritten ist, „dass Online-Zeitungen vor allem aufgrund

der mangelnden Refinanzierbarkeit in absehbarer Zukunft nicht zu großen, eigenständigen unter-

nehmerischen Einheiten anwachsen werden“ (Meyer 2005: 168).16

2.3.2. Strategie der Autonomie

Wählt ein Unternehmen die Strategie der Autonomie für seine Print- und Online-Angebote, kann

von einer „Diversifikation im eigentlichen Sinne“ (Brüggemann 2002: 44) gesprochen werden:

Die Online-Ausgabe ist in Bezug zur Print-Ausgabe ein „anderes Angebot an eine andere Ziel-

gruppe“ (Brüggemann 2002: 44). Eine Vernetzung gibt es zwischen beiden Kanälen so gut wie

nicht, „das Online-Angebot präsentiert sich – unter dem Dach einer gemeinsamen beziehungswei-

se durch die Print-Zeitung etablierten Dachmarke – als vom Print-Produkt weitgehend losgelöstes,

inhaltlich eigenständiges Medium, das sich an eine andere Zielgruppe richtet; gleichzeitig wird

angesichts des gemeinsamen Dachmarkennamens deutlich, dass die beiden Medien verwandt sind

und etwa für den gleichen journalistischen Anspruch stehen“ (Meyer 2005: 166). In diesem Sinne

setzen zum Beispiel das Nachrichtenmagazin Spiegel und das Nachrichtenportal Spiegel Online

im Rahmen einer autonomen Strategie häufig unterschiedliche Themenschwerpunkte, verfolgen

aber im Hinblick auf die Strategie der gemeinsamen Dachmarke bei der redaktionellen Arbeit die

gleichen Richtlinien der journalistischen Sorgfalt (vergleiche Brüggemann 2002: 103 bis 106).17

Das autonome Verhältnis zwischen einzelnen Kanälen steht für „eine strategische Stoß-

richtung mit aus Unternehmersicht neuen Produkten in neue Märkte (Zielgruppen) und wird gene-

rell mit einem Vorstoß in Bereiche verbunden, die mit dem angestammten Geschäft in keinerlei

16 Vergleiche zu der Thematik der Refinanzierbarkeit von Online-Zeitungen auch Meyer 2005: 98 bis 106. 17 Gerade bei Wochenzeitungen oder Zeitschriften scheint sich die Strategie der Autonomie anzubieten, da das Online-Angebot tagesaktuell gehalten werden muss, während die Print-Ausgabe nur einmal in der Woche er-scheint.

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sachlichem Zusammenhang stehen“ (Meyer 2005: 166 bis 167). Eine integrierte Berichterstattung

ist unmöglich, Synergieeffekte entstehen bei der Recherche und Aufbereitung der Inhalte so gut

wie nicht. Medienunternehmen wählen diese Strategie, wenn sie ein neues Angebot für eine kom-

plett neue Zielgruppe in den Markt einführen wollen. Die Redaktionen der beiden Kanäle Print

und Online arbeiten unabhängig voneinander und bieten nur sehr allgemeine Informationen über

ihr Geschwistermedium an. „Entscheidendes Argument für eine autonome Organisation von

Print- und Online-Redaktionen ist, dass sich die zwei Vertriebswege Print und Online in ihren

Charakteristika bezüglich Produktion ganz erheblich unterscheiden“ (Meyer 2005: 167).

2.3.3. Strategie der Komplementarität

Verfolgt ein Unternehmen die Strategie der Komplementarität, sind Print und Online gleichbe-

rechtigte Teile eines publizistischen Gesamtkonzepts. Beide Kanäle sind unter dem gleichen Mar-

kennamen miteinander verknüpft und aufeinander bezogen. Im Vordergrund steht dabei, dass die

jeweiligen inhaltlichen und technischen Potenziale von Print- und Online-Zeitung voll ausgenutzt

werden (vergleiche Neuberger 2003a: 40). Der Online-Kanal kann die Print-Themen durch die

multimedialen und interaktiven Möglichkeiten des Internets ergänzen. „Wesentlicher Vorteil der

Online-Zeitung ist, dass sie, bedingt durch die hohe Aktualität des World Wide Web, kontinuier-

lich neue Nachrichten für die Nutzer bereitstellen kann. Die Print-Ausgabe, die bedingt durch den

Redaktionsschluss beziehungsweise das Trägermedium Papier dies nicht leisten kann, hat im Ge-

gensatz die Möglichkeit, sich mehr auf ihre Stärken zu konzentrieren, nämlich Orientierung und

Analysen über die schnelle Information hinaus zu bieten“ (Meyer 2005: 170).

Zentral für die komplementäre Strategie ist die Tatsache, dass die Print-Ausgabe und die

Online-Ausgabe jeweils auf ihren Geschwisterkanal verweisen. Es geht um die Vernetzung „re-

daktioneller Inhalte und Produktionsprozesse unterschiedlicher Medien“ (Spachmann 2003a:

217). Dahinter steckt die Idee, dieselben Nutzer über mehrere mediale Verbreitungskanäle gezielt

anzusprechen (vergleiche Spachmann 2003a: 217). Die Leser sollen sich angeregt von ihrer Zei-

tung ins Netz begeben, dort weitergehende und multimedial aufbereitete Informationen finden und

die aktuellen Nachrichten konsumieren, um Analysen und Hintergründe zu den Newsmeldungen

des vergangenen Tages am nächsten Morgen in der Zeitung zu lesen. Dies ist ein ambitionierter

Wunsch vieler Zeitungen, die komplementäre Strategien verfolgen: Viele Tageszeitungleser, die

im Internet unterwegs sind, nutzen allerdings nicht die Online-Angebote ihrer Tageszeitungen.18

„Die Medienanbieter liefern im World Wide Web ein ergänzendes Angebot an die gleiche

Zielgruppe: Es handelt sich also um eine reine Angebotsdiversifikation“ (Brüggemann 2002: 45).

Während bei der Strategie der Mehrfachverwertung und bei der Strategie der Autonomie eine

Zielgruppendiversifikation vorliegt, ist dies bei der Komplementär-Strategie nicht der Fall – hier

werden die Inhalte entsprechend den Vorteilen der einzelnen Trägermedien auf die jeweiligen

Kanäle – also Print, Online oder auch mobile Trägermedien – verteilt. „Mit einer neuen Leistung,

nämlich der Online-Zeitung, die mit der bestehenden Leistung verwandt ist, wird prinzipiell die

gleiche Zielgruppe angesprochen“ (Meyer 2005: 171).

Die Strategie der Komplementarität bringt einen hohen Abstimmungsbedarf für die Jour-

nalisten mit sich, die die Vernetzung der Print- und Online-Angebote in den Redaktionen realisie-

18 Vergleiche dazu das Kapitel 3.2. dieser Arbeit.

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ren – sei es in einer integriert arbeitenden Redaktion, die beide Kanäle aus einer Hand heraus be-

spielt, oder sei es eine Redaktion, in der Print und Online als unabhängige Abteilungen fungieren.

„Crossmediale Konzepte, die auf die Inhalte übergreifen, zielen demgegenüber auf eine sich aus-

drücklich ergänzende Berichterstattung und umfassen Themen, die zwischen beiden Medien ab-

gestimmt sind. In diesem Fall verhalten sich auch die Inhalte komplementär – und eine gemein-

same Nutzung von Tageszeitung und Online-Angebot drängt sich auf“ (Spachmann 2003a: 228).

Wenn die technischen und inhaltlichen Potenziale von Print und Online optimal genutzt

werden, kann die Verzahnung der Kanäle auf diese Weise publizistische Vielfalt schaffen (ver-

gleiche Meyer 2005: 172). Während das bei der Strategie der Autonomie auch der Fall ist, ent-

steht bei der Strategie der reinen Mehrfachverwertung keine publizistische Vielfalt, weil dieselben

Inhalte nur mehrmals in gleicher Weise ohne journalistische Zusatzleistung veröffentlicht werden.

Vor dem Hintergrund der Strategie der Komplementarität hat Karin Borowski die Financi-

al Times Deutschland untersucht. Sie wurde 2000 mit der Philosophie „One Brand – All Media“

gegründet. Ziel ist eine enge Verzahnung von Print und Online, jeder Redakteur sollte für beide

Kanäle arbeiten. Die Herausforderung besteht in den Worten Borowskis darin, „alte und neue

Nachrichtenkanäle zu integrieren und die Inhalte so aufeinander abzustimmen, dass der Nutzer in

verschiedenen Rezeptionssituationen – zu Hause, am Arbeitsplatz, unterwegs – zwar das Endgerät

oder das Trägermedium, aber möglichst nicht den Anbieter wechselt“ (Borowski 2003: 236).

Die Tatsache, dass die Kanäle so unmittelbar aufeinander bezogen sind, soll einen Push-

Effekt auslösen, durch den die Rezeption des einen Kanals die Nutzung des anderen Kanals nach

sich zieht. Ziel ist die dauerhafte komplementäre Nutzung beider Medien (vergleiche Borowski

2003: 237). Um sie zu erreichen, „muss sichergestellt werden, dass durch crossmediale journalis-

tische Aussagenproduktion ein Nachrichtenstrom entsteht, bei dem sich jede medienvermittelte

Botschaft auf die jeweils vorherige, über einen anderen Kanal vermittelte Botschaft bezieht“ (Bo-

rowski 2003: 245). Zentral ist eine „klare inhaltliche Aufgabenteilung zwischen der gedruckten

Financial Times Deutschland und ihrer Internetausgabe“ (Borowski 2003: 261).19

Allerdings merken Kathrin Meyer und Klaus Spachmann an, dass die vollkommene Reali-

sierung des komplementären Prinzips auch bei der Financial Times Deutschland immer wieder an

Grenzen stößt. Die klassische Print- und Online-Redaktion mit getrennten Konferenzen, Themen-

absprachen und Schwerpunktsetzungen existiert auch bei der Financial Times Deutschland ver-

gleiche Meyer 2005: 173), es ist zu keiner „vollständigen Verschmelzung von Print- und Online-

19 Die Aufgabenteilung zwischen der Print-Ausgabe und der Online-Ausgabe der Financial Times Deutschland beschreibt Karin Borowski so: „Weil die Financial Times Deutschland im Internet aktueller sein kann als die Tageszeitung, entlastet es diese in ihrer Unterrichtsfunktion, indem auch tagsüber kontinuierlich Nachrichten ins Netz gestellt werden. Dies ist gerade im schnelllebigen Geschäft der Wirtschaftsberichterstattung von Bedeu-tung. Besonders Börsenberichte und Finanzmarktinformationen haben sich weitgehend in die Onlineausgabe verlagert, wo im Verlauf des Tages mehrere Zwischenberichte vom Börsenparkett gegeben werden. Dadurch ist die Tageszeitung freier für ihre eigentliche Stärke, über schnelle Information hinaus vor allem Orientierung zu bieten. Bewertende Kommentare und interpretierende Magazingeschichten sind in erster Linie Sache des ge-druckten Blattes. Aber auch die Onlineausgabe bietet Orientierung. Die Zusammenhänge zu vorangegangenen Entwicklungen, die zu der aktuellen Nachricht geführt haben, können im dreidimensionalen Raum des Internets gleichsam hinter dem Beitrag auf einer tiefer gelegenen Informationsebene angeordnet werden und durch Links verknüpft werden, so dass der Leser die Ereignisentwicklung beliebig weit zurück verfolgen kann. Orientierung zu bieten, bedeutet für ein Internetangebot auch, die Informationsflut zu kanalisieren und dem Leser gezielt auch externe Anlaufstellen zur weiteren Recherche zu nennen. Zur größeren Informationstiefe tritt also im Internet eine größere Informationsvielfalt durch Multiperspektivität“ (Borowski 2003: 261).

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Redaktion gekommen, wie es das idealtypische Modell einer medienneutralen Produktion vor-

sieht“ (Spachmann 2003a: 219). Das räumt auch Karin Borowski ein, indem sie erklärt, dass „die

grundsätzliche Trennung der Print- und Online-Redaktion nur im Einzelfall durchbrochen wird“

(Borowski 2003: 245), kommt aber dennoch zu einem positiven Fazit, wenn sie festhält, dass bei

einer komplementären, integrativen Ausrichtung von Print- und Online-Zeitung eine Arbeitstei-

lung in zweifacher Hinsicht stattfindet: „Die schnelle Information der Onlineausgabe wird in der

gedruckten Zeitung täglich durch die einordnende Information ergänzt. Die Analysetiefe der ge-

druckten Zeitung wird durch die Webdossiers der Onlineausgabe täglich um zusätzliche Informa-

tionstiefe und -breite ergänzt“ (Borowski 2003: 261).

2.4. Crossmediale Strategien in der deutschen Medienlandschaft Bei der Beurteilung der crossmedialen Strategien in der deutschen Medienlandschaft ergibt sich

ein heterogenes Bild: Die vorliegenden Studien und empirischen Befunde zeigen, dass sich die

Ausrichtung und Inhalte der strategischen Leitentscheidungen bei deutschen Medienunternehmen

stark voneinander unterscheiden. „Manche Verlagshäuser wandeln sich zu plattformübergreifen-

den Medienhäusern und räumen ihrem Onlineauftritt inzwischen Priorität ein, andere nutzen ihren

Onlineauftritt nach wie vor lediglich als Vermarktungsplattform des Offlineproduktes“ (Stark,

Kraus 2008: 307). Letzteres kennzeichnete vor allem die Herangehensweise, die viele Medien

Mitte der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wählten: „In der Frühphase haben Mas-

senmedien das Internet vor allem als weiteren technischen Vertriebsweg genutzt, über den weit-

gehend unverändert das für Presse und Rundfunk bestimmte Material zweitverwertet werden

konnte“ (Neuberger 2000b: 310). Die Erstellung eigenständiger Inhalte für Online spielt eine un-

tergeordnete Rolle: In seiner Studie aus dem Jahr 2000 stellt Christoph Neuberger fest, dass nur

7,6 Prozent der Online-Inhalte originär für den Online-Kanal produziert worden sind. Der inhaltli-

che Schwerpunkt lag auf Artikeln des Print-Produktes, die mit 56,5 Prozent den Großteil des On-

line-Angebotes bei Tageszeitungen ausmachen (vergleiche Neuberger 2000b: 313).

2003 konstatiert Klaus Spachmann in einer Befragungsstudie, dass es „zur konkreten stra-

tegischen Ausrichtung […] keine sehr präzisen Vorstellungen gibt“ (Spachmann 2003b: 17). Hin-

sichtlich der anvisierten Zielgruppen geben gut ein Drittel der in der Studie befragten Chefredak-

teure an, dass sie sich auf die Ansprache von Doppelnutzern konzentrieren – also Leser und Nut-

zer, die sowohl die Zeitung als auch die Online-Plattform eines Medienhauses nutzen. Dies ent-

spricht der Strategie der Komplementarität und hat eine gemeinsame Zielgruppe von Print- und

Online-Kanal als Grundlage. Zudem wollen über 60 Prozent der befragten Chefredakteure auch

potenzielle Leser außerhalb der Nutzerschaft des Print-Kanals, also jüngere Menschen oder au-

ßerhalb des Verbreitungsgebietes lebende Leser, ansprechen, was einer Zielgruppendiversifikation

und der Strategie der Mehrfachverwertung entspricht (vergleiche Spachmann 2003b: 20). Auch

aktuellere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass „eher allgemeine, vage Motive für das Enga-

gement im Internet“ (Stark, Kraus 2008: 307) ausschlaggebend sind und dass „sich der überwie-

gende Teil der Tageszeitungen nicht auf eine einzige Strategie festlegt, sondern […] Mischkon-

zepte im Internet verfolgt“ (Neuberger 2005: 156).

Im Jahr 2005 bemängelt Christoph Neuberger, dass Zeitungen trotz vieler Reaktionen auf

die Medienkrise eine klare strategische Ausrichtung im Hinblick auf ihr Engagement im Internet

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fehlt (vergleiche Neuberger 2005: 156). Ein Ergebnis, das Neuberger im Jahr 2009 bestätigt: Ta-

geszeitungen „sind zwar in der Breite im Internet vertreten, lassen aber nur einen vergleichsweise

geringen Aufwand bei der Produktion ihrer Websites erkennen. […] Darüber hinaus sind sie am

ehesten defensiv gegenüber dem Internet eingestellt, arbeiten selten kostendeckend und spüren am

deutlichsten Verdrängungseffekte. Dieses Ergebnis hinterlässt den Eindruck, dass bei den Tages-

zeitungen das angesprochene Dilemma zur Unentschlossenheit geführt hat: Sie müssen den An-

zeigenkunden und dem Publikum ins Internet folgen, andererseits lassen sich dort aber kaum Um-

sätze erzielen. Ihr wirtschaftliches Standbein ist nach wie vor das Printmedium, mit dem sie aber

ins Stolpern geraten sind“ (Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 266).

In der Studie, die auf einer Befragung von 413 Anbietern journalistischer Internetangebote

beruht (vergleiche Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 233), führt Neuberger aus, dass „tra-

ditionelle Massenmedien mittlerweile auch überwiegend bereit sind, dem Motto ,Online first!‘ zu

folgen und Exklusivmeldungen zuerst im Internet zu veröffentlichen“ (Neuberger, Nuernbergk,

Rischke 2009b: 237). Im Hinblick auf die organisatorische Anbindung ist die Beziehung zwischen

Online-Kanal und Print-Kanal eng geblieben, und auch die inhaltliche Abhängigkeit ist groß:

Rund die Hälfte der Tageszeitungen bezieht ihr Material überwiegend von der Printredaktion

(vergleiche Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 265). Zudem kommt Neuberger zu dem

Schluss, dass das crossmediale Publizieren aufgrund der „fast einhelligen Zustimmung“ (Neuber-

ger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 247) zu der Aussage, dass die Redaktionen nicht mehr nur über

einen, sondern über mehrere Kanäle ihr Publikum informieren, zum journalistischen Alltag ge-

worden ist. Neuberger konstatiert aber dennoch „eine relativ defensive Haltung“, die Tageszei-

tungen gegenüber dem Internet einnehmen (vergleiche Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b:

249). Tageszeitungen haben das Interesse, „den Anschluss im Internet nicht zu verlieren und dort

Erfahrungen zu sammeln. Außerdem hoffen sie, ihr Publikum – vor allem unter den jungen Men-

schen – zu vergrößern“ (Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 251).20 Im Hinblick auf das

Ausschöpfen des technischen Potenzials des Internets hält die Studie fest, dass Diskussionsforen

in fast zwei Dritteln der Angebote zu finden sind, dass Videos und Audiospuren als Zusätze zu

journalistischen Beiträgen sowie Video-Nachrichtensendungen selbst bei lokalen und regionalen

Tageszeitungen große Verbreitung finden und dass Fotogalerien für die traditionellen Massenme-

dien ein gängiges Angebotselement sind (vergleiche Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b:

252). Zudem kommt Neuberger zu dem „paradoxen Befund: Journalismus im Internet wird so-

wohl schneller als auch langsamer“ (Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 253), womit einer-

seits das Streben nach zeitlicher Aktualität in Form von Nachrichtentickern und Live-Text-

Tickern gemeint ist und andererseits die Möglichkeiten der Archivierung und den Aufbau von

Schwerpunkten zu längerfristig bedeutsamen Themen – gerade vor dem Hintergrund der Flüch-

20 Weiter heißt es bei Neuberger: „Die Vorstellung, dass es zu einer kompletten Verlagerung der Aktivitäten von den alten Medien ins Internet kommen wird, mag heute noch wenig realistisch klingen. Gleichwohl kann sich ein Fünftel der Befragten von Tageszeitungen und rund ein Zehntel der Vertreter von Publikumszeitschriften und Wochenzeitungen sowie der Rundfunkanbieter zumindest langfristig einen solchen Wechsel des Mediums für das eigene Unternehmen vorstellen“ (Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 251).

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tigkeit der traditionellen Massenmedien.21 Mobile Dienste spielen bei einem Viertel aller Tages-

zeitungen eine Rolle (vergleiche Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 253).

Bei der Gestaltung und inhaltlichen Ausrichtung ihrer Internetangebote orientieren sich

Medienhäuser statt an abstrakten Qualitätsvorstellungen eher an konkreten Vorbildern – und da

vor allem an dem Internetableger des Magazins Spiegel (vergleiche Neuberger, Nuernbergk,

Rischke 2009b: 256). Am häufigsten nannten die Befragten Aktualität, Übersichtlichkeit und Be-

nutzerfreundlichkeit, Größe und Breite sowie Multimedialität als Qualitätsmerkmale (vergleiche

Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 266). In ökonomischer Hinsicht stehen alle Medienhäu-

ser vor demselben Problem: Die Zahlungsbereitschaft des Publikums im Internet ist gering, und

die Zahl konkurrierender Werbeträger ist groß – in der Befragung gaben 70 Prozent der Tageszei-

tungen an, dass sie im neuen Medium trotz Einnahmen nicht kostendeckend arbeiten und dass die

Kostendeckung für viele noch in weiter Ferne liegt (Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 260

bis 261). Wenn es Einnahmen im Internet gibt, sind das meist Erlöse aus Werbung und Sponso-

ring, während Nutzergebühren so gut wie immer von nachrangiger Bedeutung sind (vergleiche

Neuberger, Nuernbergk, Rischke 2009b: 261).

Birgit Stark und Daniela Kraus kommen bei der Beurteilung crossmedialer Strategien von

deutschen Medienhäusern zu dem Schluss, dass „bislang die Orientierung an der publizistischen

Strategie des Printmediums im Vordergrund steht. Synergien werden in erster Linie durch Mehr-

fachverwertung, durch gegenseitige Verweise und durch die Interaktivität des Webs erhofft“

(Stark, Kraus 2008: 307). Insgesamt werde deutlich, dass die Suche nach den Funktionsprinzipien,

mit denen sich die angestrebten crossmedialen Ziele angemessen umsetzen lassen, anhält und die

medienneutrale Redaktion noch nicht gefunden ist. Für Österreich kommen Stark und Kraus zu

dem Fazit, dass übergeordnete Unternehmensstrategien in Bezug auf crossmediales Engagement

fehlen. „Während international über ,transmedia storytelling‘ diskutiert wird, findet sich hier eher

das Modell der Mehrfachverwertung oder jenes der Autonomie als echter Komplementarität. Das

Zusammenspiel zwischen Print und Online scheint, etwa im Hinblick auf Zielgruppendefinitionen

und inhaltliche Schwerpunktsetzung, eher von bestehenden Strukturen, Routinen und Workflows

geprägt zu sein als von systematischen strategischen Überlegungen“ (Stark, Kraus 2008: 315).

Weiter zeige sich, dass das Online-Engagement noch nicht in ein publizistisches Gesamtkonzept

übersetzt wurde und inhaltliche Synergieeffekte einer crossmedialen Zusammenarbeit nicht aus-

geschöpft werden (vergleiche Stark, Kraus 2008: 315 bis 316). „Den Printprodukten wird, obwohl

die Bedeutung des Onlinekanals anerkannt wird, nach wie vor ein höherer Stellenwert beigemes-

sen. […] Insgesamt wird offensichtlich, dass selbst eine Neuorganisation von Strukturen und Ab-

läufen […] nicht gleichzusetzen ist mit dem wirklichen Zusammenwachsen von Print- und Onli-

neredaktionen“ (Stark, Kraus 2008: 316).

In diesem Zusammenhang weist Wiebke Loose darauf hin, dass die dargestellte Entwick-

lung zur Konvergenz auf einer Ebene gegenläufige Entwicklungen auf anderen Ebenen zur Folge

hat: „Insgesamt legen die Befunde die Einschätzung nahe, dass überall dort, wo es an der einen

Stelle zu Entdifferenzierungen kommt […], an anderer Stelle Redifferenzierungen zu beobachten

21 Vergleiche zu diesem Aspekt auch Neuberger 2005: 161. Dort heißt es: „Zeitungen verlieren also Leser be-sonders in jenen Bereichen, in denen es auf Aktualität und auf die selektive Nutzung großer Datenmengen an-kommt. Hier scheinen die Stärken des Internets aus der Nutzersicht zu liegen.“

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sind […]. Dabei handelt es sich dann um den Versuch, zum anderen Medium komplementäre

Leistungen anzubieten. Auch wenn die Differenzen zwischen den Medientypen technisch an Ge-

wicht verlieren, werden sie funktional offensichtlich umso relevanter“ (Loose 2005: 317).

Wesentlich positiver beurteilt Klaus Meier die Entwicklung in den vergangenen Jahren.

Zwar teilt er die Ansicht vieler anderer Forscher, dass die Verlage lange zögerten, das Internet als

umfassende Publikationsplattform zu akzeptieren: „Zu groß war die Angst, durch das Internet das

Print-Produkt zu ,kannibalisieren‘ und (zahlende) Leser an das (kostenlose) Online-Angebot zu

verlieren“ (Meier 2007: 354). Im Jahr 2006 konstatiert Meier jedoch eine „Trendwende“, die er

unter anderem damit belegt, dass der britische Guardian begann, alle Auslands- und Lokalbeiträge

kostenlos ins Netz zu stellen – und „zwar sobald sie geschrieben sind, also noch vor dem Druck“

(Meier 2007: 354). Viele Zeitungen – auch in Deutschland – seien dem Beispiel gefolgt, was ei-

nen Strategiewechsel mit weit reichenden Konsequenzen für das redaktionelle Arbeiten zur Folge

gehabt habe: „Insbesondere bei Tageszeitungen – aber auch bei Zeitschriften, Radio und Fernse-

hen – muss sich das Denken und Handeln weg vom Andruck- oder Sendetermin hin zu einem 24-

Stunden-Service wandeln“ (Meier 2007: 355).

Meier ist davon überzeugt, dass Medienhäuser die sich verändernden Bedingungen in der

Medienwelt produktiv und kreativ nutzen können, wenn sie ihre Produkte konsequent crossmedial

ausrichten. „Wer sich intensiv im Internet engagiert, kann die Reichweitenverluste der Tageszei-

tung nicht nur ausgleichen, sondern erreicht neue Zielgruppen auf einem anderen Markt. Erste

Zwischenbilanzen von Konvergenz-Konzepten zeigen, dass Zeitungen, die das Prinzip ,News On-

line first‘ einführten, die Print-Auflagen stabilisieren oder steigern konnten“ (Meier 2007: 362).

Das intensive Engagement darf dabei aber nicht als Sparstrategie missverstanden werden, da man

sonst schnell an Innovationsgrenzen stoße. Die Potenziale entwickeln sich erst in Wachstumsstra-

tegien: „Der ökonomische Druck auf Redaktionen ist nicht beliebig steigerbar, sonst gerät die

Qualität unter die Räder […]. Es muss schon sehr viel Optimierungspotenzial in der Organisation

einer Redaktion stecken, wenn man mit dem gleichen Personal mehr Kanäle als bisher bedienen

und gleichzeitig die Qualität steigern will“ (Meier 2007: 362).

In einem IFRA22 Special Research Report hat Klaus Meier im Frühjahr 2007 mit Studie-

renden des Studiengangs Online-Journalismus der Hochschule Darmstadt fünf crossmedial arbei-

tende Redaktionen in Deutschland porträtiert. Untersucht wurden die Redaktionen der Welt in

Berlin, der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel, des Stadt-Anzeigers in Köln, des

Handelsblattes in Düsseldorf und des Südkuriers in Konstanz. Auch in dieser Studie, in deren Mit-

telpunkt eher organisatorische Strukturen von Redaktionen standen und weniger strategische Zie-

le, konstatiert Meier die für Medienhäuser positiven Entwicklungspotenziale crossmedialer Aus-

richtung (vergleiche Schantin, Juul, Meier 2007: 7). Entscheidend seien dabei die organisatori-

schen Strukturen als Voraussetzung für die crossmediale Arbeitsweise. „Themen müssen frühzei-

tig geplant werden. Von vornherein muss klar sein, in welchen Formaten auf welchen Plattformen

eine Geschichte veröffentlicht werden soll. Im Nachhinein ist es schwierig, Material medienge-

recht zu verteilen und aufzubereiten“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 5). Grundlegend ist für Meier

die strategische Entscheidung, dass Nachrichten über den schnellsten Kanal sofort veröffentlicht

22 Die IFRA ist ein internationaler Verband von Unternehmen der Zeitungs- und Medienbranche mit über 300 Mitgliedern in 70 Ländern. Der Hauptsitz des Verbands ist in Darmstadt.

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werden müssen, wobei er den Leitsatz „Online first“ zu „News Online first“ verschiebt. „Nicht

jedes Thema, nicht jede Geschichte muss sofort online gehen. Besser wäre das Motto ,News Onli-

ne first‘ – denn Nachrichten sollten rund um die Uhr zuerst online veröffentlicht werden. Aber

Hintergrundstücke, Kommentare oder längere Features können auch zuerst in der Zeitung ge-

druckt – und dann im Internet längerfristig zum Abruf bereitgehalten werden“ (Schantin, Juul,

Meier 2007: 6). Die Frage, ob auch exklusiv für das eigene Medium recherchierte Geschichten

unmittelbar online veröffentlicht werden sollten, muss nach Auffassung Meiers auch im Hinblick

auf die Konkurrenzsituation und die Gefahr beantwortet werden, die Exklusivität der Geschichte

zu verlieren. Mittelfristig werde sich aber der Trend zu „Scoops online first“ durchsetzen (verglei-

che Schantin, Juul, Meier 2007: 6).

Im Folgenden werden aus dem oben genannten IFRA Special Research Report die Aussa-

gen der interviewten Redaktionsmitglieder und Chefredakteure gefiltert, die sich explizit mit stra-

tegischen Fragestellungen beschäftigen. Klar zu „Online first“ bekennt sich Oliver Michalsky, der

Redaktionsleiter von Welt Online. „Und unsere Devise hierbei heißt ,Online first‘. Wir fragen uns

zuerst, was eine Story online nutzen kann. Und unter Tagesordnungspunkt 1b) fragen wir uns, wie

die Printredaktion von der Vorleistung bei Online profitieren kann“ (Schantin, Juul, Meier 2007:

10). Über die Abstimmung der Kanäle Print und Online sagt Michalsky: „Beide schöpfen aus

demselben Textpool. Die große Kunst liegt darin, das Beste für die jeweiligen Märkte und Ziel-

gruppen zuzuschneiden“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 10).

Zur Dachmarkenstrategie seines Hauses erklärt Handelsblatt-Redakteur Peter Pfister: „Die

Zeitung ist die Marke. Die Nachrichten, die wir im Internet anbieten, werden gelesen, weil sie den

Qualitätsstempel des Handelsblatts haben“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 13). Wie Klaus Meier

glaubt auch Pfister, dass der Trend zu „Scoops online first“ gehen wird: „Bei exklusiven Ge-

schichten war die Entscheidung früher klar: Man hat die Informationen unter dem Deckel gehal-

ten, hatte am nächsten Morgen den Scoop und ist zitiert worden. Mittlerweile ist der Trend aber

eindeutig so, dass die Information direkt herausgegeben wird“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 13).

Im Zusammenspiel der Kanäle müssen die Klickraten nach Meinung Pfisters in die Gewichtung

der Print-Ausgabe mit einbezogen werden. „Diese direkte Rückmeldung empfinde ich als Berei-

cherung. Da gibt es Klickraten, die gehen durch die Decke. Und diese Beobachtung ist durchaus

befruchtend für die Zeitung“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 14). Zudem stimmt das Handelsblatt die

in den einzelnen Kanälen veröffentlichten Inhalte aufeinander ab, wie Pfisters Kollege Hans

Eschbach erläutert: „Crossmedialität bedeutet, dass wir schneller online sind mit qualitätsvollen

Inhalten. Es bedeutet andererseits aber auch mehr Arbeit, denn was wir online gestellt haben, wol-

len wir in der Printausgabe dann noch weiterdrehen. Damit bieten wir unseren Lesern einen

Mehrwert“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 14).

Auch Horst Seidenfaden, dem Chefredakteur der Hessisch-Niedersächsischen Allgemei-

nen, geben die Nutzervorlieben im Internet Hinweise für die Gestaltung der Print-Ausgabe. „Ich

kann checken, wie oft ein Artikel angeklickt wurde, das kann meine Arbeit bei der Themenaus-

wahl enorm erleichtern“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 17). In Zukunft werde sich die Nutzung der

Medienangebote weiter ins Internet verlagern. „Das Verhältnis zwischen den beiden Plattformen

sehe ich eins zu eins. Im Augenblick ist die Printausgabe der HNA das Medium, was am meisten

genutzt wird. Die Mediennutzung wird sich jedoch in den nächsten Jahren noch weiter zur Onli-

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

30

neausgabe verschieben. Deshalb ist es umso besser, dem eigenen Onlineangebot von Anfang an

den gleichen Stellenwert einzuräumen“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 17). Ziel der HNA ist es,

Themen über alle Kanäle hinweg zu erzählen: „Wenn wir exklusive Geschichten haben, stellen

wir sie relativ zügig online und verweisen auf weitere Informationen in der gedruckten Zeitung“

(Schantin, Juul, Meier 2007: 16). In Bezug auf die Frage nach journalistischer Qualität sieht Sei-

denfaden die Online-Inhalte im Vergleich zu den Print-Inhalten noch im Hintertreffen: „Ich den-

ke, was den Printbereich angeht, hat die journalistische Qualität nicht gelitten. Im Onlinebereich

ist sie meiner Meinung nach noch extrem ausbaufähig“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 17).

Der Kölner Stadt-Anzeiger hält exklusive Meldungen zurück und veröffentlicht sie nicht

sofort online, um der Print-Ausgabe nicht zu schaden, stimmt die veröffentlichten Inhalte beider

Kanäle aber aufeinander ab, wie Jürgen Oehler, der Leiter des Online-Ressorts, erklärt: „Themen,

die Print-Journalisten recherchiert haben, finden grundsätzlich auch online statt. Es sei denn, sie

sind so exklusiv, dass es nicht angebracht wäre, sie vorher zu veröffentlichen. Aber das ist selten

der Fall. Normalerweise informiert ein Print-Journalist das Online-Ressort über eine interessante

Geschichte, indem er gleich einen kurzen Text darüber verfasst. Das Online-Ressort veröffentlicht

diesen Text und verweist dabei auf das Printprodukt. Das Printprodukt wiederum verweist auf die

Zusatzinformationen, die es online zu diesem Thema gibt“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 22).

Für den Südkurier in Konstanz ist es „strategisches Ziel, die Nummer eins in der Region

zu sein“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 24), wie Chefredakteur Thomas Satinsky erklärt. Dabei ist

Reichweite „die Printauflage und die Klickzahlen unseres Internetauftrittes“ (Schantin, Juul,

Meier 2007: 23). Crossmediales Arbeiten, zu dem die Umsetzung von „Online first“ (Schantin,

Juul, Meier 2007: 23) gehört, heiße, „die Kanäle, die bedient werden, nach Sinn so auszufüllen,

dass der Leser entweder möglichst aktuell oder auch hintergründig erreicht wird“ (Schantin, Juul,

Meier 2007: 25). Es bringe nichts, „manche Inhalte eins zu eins ins Netz zu stellen. Wenn man

dagegen ein Video oder Bilder hat, ist man sicherlich online stärker aufgestellt. Das muss Print

nicht bringen, hier erklärt man eher hintergründig“ (Schantin, Juul, Meier 2007: 26).

In einer grundlegenden Studie hat Kathrin Meyer im Jahr 2005 die crossmediale Koopera-

tion von Print- und Online-Redaktionen bei Tageszeitungen in Deutschland untersucht. Für die als

Vollerhebung angelegte Untersuchung hat Kathrin Meyer alle bundesdeutschen Tageszeitungen –

also alle Chefredakteure und Redaktionsleiter von Print- und Online-Zeitungen in Deutschland –

befragt. Das waren insgesamt 288 Befragungen, von denen 136 Personen Chefredakteure bei Ta-

geszeitungen waren (vergleiche Meyer 2005: 220). Im Hinblick auf die journalistischen Ziele

stellt die Studie fest, dass die Online-Angebote im Vergleich zu den Print-Angeboten ihre

Schwerpunkte im aktuell-nachrichtlichen Bereich setzen. Im Gegensatz dazu sind journalistische

Ansprüche wie eine intensive Hintergrundberichterstattung, ausführliche Reportagen und Inter-

views, Umsetzung von Themen auf regionaler oder lokaler Ebene, Ratgeberfunktion sowie Pla-

nung und Umsetzung von Themen unabhängig der Nachrichtenlage bei den Print-Angeboten

deutlich häufiger zu finden als bei Online-Angeboten (vergleiche Meyer 2005: 300).

Im Hinblick auf die Veröffentlichung von Artikeln im jeweiligen Geschwistermedium

zeigt sich, dass „Artikel des Print-Produktes täglich bei ausnahmslos allen entsprechenden Online-

Zeitungen veröffentlicht werden, während im Unterschied hierzu in gedruckten Zeitungen kaum

Artikel der Online-Ausgabe publiziert werden“ (Meyer 2005: 301). Allgemeine Hinweise auf das

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Grundlagen crossmedialer Vernetzung

31

Geschwistermedium gibt es so gut wie bei allen Medien täglich, wohingegen die expliziten Hin-

weise in Print auf eine ergänzende Online-Berichterstattung häufiger zu finden sind, als das um-

gekehrt der Fall ist (vergleiche Meyer 2005: 302). Die online-spezifische Aufbereitung von Print-

Artikeln für den Online-Kanal spielte zur Zeit der Befragung kaum eine Rolle: „Mehr als die

Hälfte der befragten Online-Redaktionsleiter gab nämlich an, dass die Print-Artikel generell un-

verändert ins Netz gestellt werden“ (Meyer 2005: 302). Auch hinsichtlich des Veröffentlichungs-

zeitpunkts nutzten die Häuser die Möglichkeiten der neuen Medien nicht, zwei Drittel der Befrag-

ten gaben an, die Artikel erst nach Redaktionsschluss der Print-Ausgabe ins Netz zu stellen (ver-

gleiche Meyer 2005: 302). Als Grund für dieses Vorgehen führten die meisten der Befragten die

Kannibalisierungsthese an: „So meinten zwei Drittel der befragten Print-Chefredakteure, dass Ex-

klusivberichte in der Print-Zeitung zu einer höheren Auflage führen sollen und deshalb nicht onli-

ne vorab im Netz publiziert werden“ (Meyer 2005: 303). Trotz dieser nicht ausgeschöpften

crossmedialen Möglichkeiten hielten rund zwei Drittel der Befragten die Vernetzung zwischen ih-

ren Print- und Online-Kanälen für erfolgreich (vergleiche Meyer 2005: 305).

Bei der Frage nach der crossmedialen Ausrichtung kam Kathrin Meyer zu einem eindeuti-

gen Ergebnis: „Die crossmediale Strategie der Komplementarität ist bei den Tageszeitungsverla-

gen in Deutschland mit Abstand am häufigsten zu finden“ (Meyer 2005: 305). Knapp drei Viertel

halten diesen Ansatz für ihr Haus am ehesten für zutreffend. Deutlich weniger Befragte gaben an,

die Strategie der Mehrfachverwertung zu verfolgen, während der Strategie der Autonomie so gut

wie keine Bedeutung zu kam. Ausgeprägt war das Bewusstsein für die sogenannte Dachmarken-

strategie: „Durch einen gemeinsamen Markennamen für Print- und Online-Zeitung beziehungs-

weise den Transfer bestimmter Charakteristika des Print-Produktes (wie etwa Glaubwürdigkeit)

auf die Online-Zeitung können Vorteile auf dem Leser- und Werbemarkt erzielt werden“ (Meyer

2005: 310). Dabei sind die Online-Angebote der Medienhäuser nach Auffassung der Befragten in

einem hohem Maße wirtschaftlich abhängig von ihrem jeweiligen Muttermedium: Mehr als die

Hälfte der Online-Redaktionsleiter gab an, dass das Online-Angebot weitgehend von der Print-

Ausgabe querfinanziert werde, und kein einziger Online-Redaktionsleiter erklärte, dass seine On-

line-Ausgabe sich selbst finanziere oder gar Gewinne erziele (vergleiche Meyer 2005: 307).

In ihrer Bewertung der crossmedialen Realität bei deutschen Medienhäusern kommt Kath-

rin Meyer 2005 zu dem Schluss, dass „erheblicher Aufholungsbedarf“ (Meyer 2005: 311) besteht.

Als zentrale Probleme benennt sie unter anderem die ungleiche personelle Stärke von Print- und

Online-Redaktionen, die wenig ausgeprägte konkrete journalistische Zusammenarbeit, die Vorur-

teile zwischen Print- und Online-Redakteuren, die Tatsache, dass mögliche Synergien beim Be-

spielen der beiden Kanäle nicht genutzt werden, die unzureichende multimediale Aufbereitung der

Artikel, die von Print nach Online übernommen werden, und das überwiegende Fehlen von

Crossmedia-Beauftragten, die die crossmediale Zusammenarbeit koordinieren (vergleiche Meyer

2005: 311). Der Hauptgrund für diese Defizite liegt für Meyer in der getrennten Struktur von

Print- und Online-Redaktionen, die im Zuge des Internet-Booms als unabhängige Redaktionen in-

nerhalb der jeweiligen Verlage gegründet wurden, wodurch kostenintensive Parallelstrukturen

entstanden. Vor diesem Hintergrund entwickelt Kathrin Meyer das „Crossmediale Rotationsmo-

dell der integrierten Print- und Online-Redaktionen bei Tageszeitungen“, weil der Separatismus

mittel- bis langfristig keine Zukunft mehr habe. „Denn Online-Redaktionen werden und können

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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es aufgrund ihrer vor allem personellen und finanziellen Unterlegenheit wohl nicht schaffen, für

den Nutzer publizistisch-optimale Online-Zeitungen zu generieren“ (Meyer 2005: 313). Im Rah-

men des sich vollziehenden Paradigmenwechsels, der die „Bedürfnisse des Publikums anstelle

von Beschränkungen einer Mediengattung an den Ausgangspunkt der redaktionellen Arbeit stellt“

(Spachmann 2003a: 232), ist die Abkehr vom Separatismus der getrennten Einheiten Print und

Online für Kathrin Meyer die logische Folge. „Es erscheint also die vollständige Integration bei-

der Einheiten zu einem kraftvollen Verbund, der sich an den Bedürfnissen der Leser beziehungs-

weise User orientiert, sinnvoll“ (Meyer 2005: 313). Diese Forderung Meyers zielt genau in jene –

schon angesprochene – Richtung, die auch Claudia Mast und Klaus Spachmann als Leitziel für

Medienhäuser aufgezeigt haben. „Die Perspektive verlässt die monomediale Betrachtung und

wendet sich crossmedialen Aspekten zu – aus der Perspektive des Lesers die Nutzung verschiede-

ner Medien im Verbund, aus der Perspektive des Produzenten die mehrmediale Verwendung von

Inhalten für verschiedene Medien“ (Mast, Spachmann 2003: 12).

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Das Leser/Nutzer-Panel des IPJ

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3. Das Leser/Nutzer-Panel des IPJ In dem Projekt „Crossmediale Mediennutzung“ untersucht das Leipziger Institut für Praktische

Journalismusforschung (IPJ), wie Leser und User die Print- und Online-Angebote von regionalen

Medienhäusern nutzen. Es geht um „Einflussgrößen, die zu Nutzungsmustern im Alltag der Men-

schen führen“ (Thomä 2010: 18). Diese Kenntnisse werden auf die Kernfrage, wie sich die Medi-

en in kommenden Jahren entwickeln, bezogen. In der Projektbeschreibung formuliert Michael

Haller das Forschungsziel so: „In welche Richtung also müssen wir beide Medienwelten entwi-

ckeln, damit die Printprodukte wie auch die Onlineangebote einander stützen, ergänzen und ver-

stärken“ (Haller 2009: 2). Zurzeit kooperieren sechs Medienhäuser mit dem IPJ – und zwar die

Augsburger Allgemeine, die Frankfurter Neue Presse, die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine,

die Mittelbayerische Zeitung, die Mitteldeutsche Zeitung und der Donaukurier. Das IPJ will den

Verlagen aktuelle Informationen über die „Nutzungsmuster, Nutzungslaunen und Nutzungsände-

rungen ihrer Kunden zur Verfügung stellen“, damit die Medienhäuser in die Lage versetzt wer-

den, „die Rezeption ihrer Inhalte und deren Präsentationsformen kontinuierlich zu überprüfen und

anzupassen“ (Haller 2009: 3). Neben den auf die einzelnen Anbieter bezogenen Erkenntnissen

über die aktuellen Mediengewohnheiten lassen die Daten auch auf der Makroebene Rückschlüsse

zu: „Zum anderen analysieren wir die Nutzungsdaten sämtlicher Verlage, die hier mitmachen, und

gewinnen so Strukturaussagen über aktuelle Trends in der Online-/Offline-Mediennutzung, die

der gesamten Branche der Regionalzeitungen zugutekommen“ (Haller 2009: 3).

3.1. Struktur und Aufbau des Leser/Nutzer-Panels Das IPJ hat das Leser/Nutzer-Panel in Zusammenarbeit mit den oben genannten sechs Medien-

häusern aufgebaut. Dabei hat das Institut in einem ersten Schritt im Frühjahr 2009 mit einer tele-

fonischen Statusbefragung alle wichtigen Parameter der Mediennutzung ermittelt, um erste Er-

kenntnisse zu gewinnen, wie die Leser und User der teilnehmenden Häuser die Angebote der ver-

schiedenen Kanäle ihrer Tageszeitung nutzen und bewerten. Aufgrund der bei dieser Befragung

ermittelten soziodemographischen Daten hat das IPJ die Leser und Nutzer in das Panel integriert

(vergleiche Thomä 2010: 18). Die Projektverantwortlichen haben die Zeitungsleser aus dem

Abonnenten-Stamm der sechs Blätter generiert, Eckdaten waren die Kriterien Alter zwischen En-

de 20 Jahren und Mitte 50 Jahren, Berufstätigkeit, als Schulabschluss mindestens mittlere Reife

und Internetzugang zu Hause (für die Teilnahme an der Mail-Befragung). Die Online-Nutzer hat

das IPJ über Aufrufe auf dem Online-Auftritt der fraglichen Zeitung generiert – und dabei die

Nutzer ausgeschlossen, die regelmäßige Leser der Print-Ausgabe oder Abonnenten der fraglichen

Zeitung sind. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist in diesem Zusammenhang immer die Gene-

rierung der Probanden zu berücksichtigen: Aufgrund der Erhebungsmethode (Fragebogen per

Mail) ist davon auszugehen, dass die befragten Leser und Nutzer im Vergleich zum tatsächlichen

Durchschnittsleser und Durchschnittsnutzer der sechs Medienhäuser wohl online-affiner sind. Seit

Herbst 2009 befragt das Leipziger Institut die Panel-Teilnehmer in sogenannten Wellen über ihre

aktuellen Informationswünsche und über ihre Mediennutzung.23

23 Die Methode beschreiben die Projektverantwortlichen auf der Homepage des IPJ (vergleiche dazu Institut für Praktische Journalismusforschung 2010: www.D: 17. Juni 2010).

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Dieser Arbeit liegen die ersten fünf Wellen des Leser/Nutzer-Panels zugrunde, in jeder

Welle hat das IPJ für jedes teilnehmende Medienhaus einen Report verfasst. Diese 30 Ergebnisbe-

richte sind den Medienhäusern zwischen Dezember 2009 (erste Welle) und April 2010 (fünfte

Welle) zugegangen.24 Geplant war, dass für jedes Medienhaus jeweils 120 Zeitungsabonnenten

und 40 regelmäßige Online-Nutzer zur Teilnahme an den Befragungen gewonnen werden. Diese

Zahlen hat das IPJ nicht erreicht, besonders im Online-Bereich war die Akquise von Teilnehmern

schwierig. Aus diesem Grund haben das Institut und die teilnehmenden Medienhäuser versucht,

auch während der ersten Befragungswellen die Teilnehmerzahlen für das Leser/Nutzer-Panel suk-

zessive auszubauen. Bei der fünften Welle setzte sich das Panel bei der Augsburger Allgemeinen

aus 138 Lesern und 32 Online-Nutzern zusammen, bei der Frankfurter Neuen Presse waren es 155

Leser und 39 Online-Nutzer, bei der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen 157 Leser und 22

Online-Nutzer, bei der Mittelbayerischen Zeitung 113 Leser und fünf Online-Nutzer, bei der Mit-

teldeutschen Zeitung 128 Leser und zehn Online-Nutzer und beim Donaukurier 129 Leser und

drei Online-Nutzer. Aus den Zahlen folgt, dass einige Thesen, die sich ausschließlich auf den On-

line-Bereich beziehen, wegen der geringen Fallzahlen weniger valide sind als die Ergebnisse, die

sich auf Print-Tendenzen beziehen. Dennoch lassen sich allgemeine Trends ablesen, weil das IPJ

viele Fragen zu Nutzungsgewohnheiten und Themenpräferenzen bei allen sechs Medienhäusern in

gleicher Weise gestellt hat, so dass sich die Stichproben insgesamt aus 820 Lesern und 111 Onli-

ne-Nutzern zusammensetzen – bei Rücklaufquoten der Fragebögen zwischen 38 und 65 Prozent.

Die vom Leipziger Institut befragten Leser und Nutzer gehören überwiegend den als wich-

tigste Zielgruppe definierten Altersgruppen an25 – das heißt, die Teilnehmer sind bevorzugt be-

rufstätige Erwachsene im Alter zwischen Ende 20 Jahren und Mitte 50 Jahren (vergleiche Haller

2009: 4). Ein Schwerpunkt liegt bei den 40- bis 45-Jährigen. Die Teilnehmer sind formal besser

gebildet als die durchschnittliche Erwachsenenbevölkerung, was der tendenziell höheren formalen

Bildung von Zeitungslesern gegenüber der übrigen Bevölkerung entspricht: Über die Hälfte der

befragten Leser und Nutzer der sechs Regionalzeitungen hat nach eigenen Angaben das Abitur

oder das Fachabitur gemacht, rund ein Drittel der Leser und Nutzer besitzt die Mittlere Reife,

zwischen acht und 15 Prozent haben einen Hauptschulabschluss. Von den befragten Teilnehmern

stehen zwischen 80 und 95 Prozent der Leser und Nutzer im Berufsleben: Die Mehrzahl ist in ei-

nem Angestelltenverhältnis tätig (zwischen 50 und 70 Prozent), zwischen sieben und 14 Prozent

sind Beamte, zwischen sechs und 17 Prozent sind selbständig und zwischen fünf und 15 Prozent

sind Hausfrauen. Der Anteil von Rentnern, Erwerbslosen und Auszubildenden ist gering (zwi-

schen ein und sieben Prozent). Der verbleibende Rest setzt sich aus Studierenden und Arbeitern

zusammen (zwischen sieben und 15 Prozent).26

24 Alle 30 für diese Arbeit verwendeten Reports sind im Anhang dieser Arbeit als digitale Datei auf einem Da-tenträger zu finden. Das neunte Kapitel beinhaltet eine Aufstellung der verwendeten Reports, die zudem in der Bibliothek des IPJ in Leipzig einzusehen sind. Die Verweise beziehen sich auf einzelne Kapitel in den Reports der fünf Wellen, da das IPJ die Fragen und die Kapiteleinteilung der Ergebnisberichte in den einzelnen Befra-gungswellen bei allen Medienhäusern immer gleich gehalten hat. 25 Zur Frage der „als wichtigste Zielgruppen definierten Altersgruppen“ sowie zu den folgenden Ausführungen vergleiche insbesondere die Kapitel „Beschreibung der Stichprobe“ in den sechs Reports der ersten Welle. 26 Die Schwankungsbreiten kommen dadurch zustande, dass das IPJ die soziodemographischen Daten jeweils für die Stichproben der sechs Medienhäuser aufbereitet hat.

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Das Leser/Nutzer-Panel des IPJ

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3.2. Die Ergebnisse aus den ersten fünf Wellen Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die 30 Ergebnisberichte der ersten fünf Wellen

und sind Thesen, die sich aus der Zusammenfassung der Daten der sechs Einzelauswertungen als

Trends ergeben haben. Die Reports der einzelnen Wellen sind in ihrer Frage- und damit auch Ka-

pitelstruktur gleich aufgebaut, so dass die Trendaussagen dadurch generiert werden, dass die Er-

gebnisse der Panelgruppen der sechs teilnehmenden Blätter aufeinander gelegt werden, um struk-

turelle Verhaltensweisen der Print-Leser und Online-Nutzer zu identifizieren – in so einem Fall

verweist die Arbeit auf das entsprechende Kapitel mit der jeweiligen Fragestellung, das in jedem

der sechs Einzelreports der jeweiligen Welle zu finden ist.

3.2.1. Leser- und Nutzerverhalten

Die verschiedenen Medienwelten bei den Print- und Online-Angeboten der sechs regionalen Ta-

geszeitungen sind noch sehr getrennt: Nur wenige Leser und Nutzer wechseln zwischen den Print-

und Online-Angeboten der Tageszeitungen hin und her. Dabei schließen sich die Print- und Onli-

ne-Nutzung nicht aus, denn viele Leser nutzen das Internet – eben nur nicht das Online-Angebot

ihrer Zeitung: Es bestehen also große crossmediale Nutzungspotenziale, die mit Teasern, Verwei-

sen und zusätzlichen Angeboten aktiviert werden könnten.27 Folgende Zahlen belegen diese Nut-

zungspotenziale: Augsburger Allgemeine: 68,2 Prozent der Print-Leser nutzen täglich das Inter-

net. 36,8 Prozent der regelmäßigen Online-Nutzer lesen täglich eine Tageszeitung. Frankfurter

Neue Presse: 63 Prozent der Print-Leser nutzen täglich das Internet. 47,8 Prozent der regelmäßi-

gen Online-Nutzer lesen täglich eine Tageszeitung. Hessisch-Niedersächsische Allgemeine: 50,5

Prozent der Print-Leser nutzen täglich das Internet. 50 Prozent der regelmäßigen Online-Nutzer

lesen täglich eine Tageszeitung. Mittelbayerische Zeitung: 43,2 Prozent der Print-Leser nutzen

täglich das Internet. Mitteldeutsche Zeitung: 61,3 Prozent der Print-Leser nutzen täglich das In-

ternet. Donaukurier: 38,7 Prozent der Print-Leser nutzen täglich das Internet.28 In diesem Zu-

sammenhang ist allerdings wie weiter oben schon ausführlich erläutert zu beachten, dass die Onli-

ne-Affinität der befragten Leser und Nutzer bei dem Leser/Nutzer-Panel des Instituts für Prakti-

sche Journalismusforschung wohl durch die Generierung des Panels und die Durchführung der

Befragungen per Mail höher ist als die Online-Affinität des tatsächlichen durchschnittlichen Le-

sers und Nutzers der sechs Medienhäuser.

Die Nutzer nutzen die Online-Angebote entweder am frühen Vormittag oder am Abend,

und zwar hauptsächlich von zu Hause aus. Die Nutzung vom Büro aus ist deutlich geringer, die

mobile Nutzung spielt keine Rolle. Dabei suchen die Nutzer in den allermeisten Fällen gezielt

nach Informationen und surfen nicht auf gut Glück durch das Angebot hindurch. 29 Nur sehr we-

nige Befragte fragen Multimedia-Angebote nach, der Rückkopplungskanal wird nur für Leserbrie-

fe und den Kontakt mit der Redaktion genutzt. Die Möglichkeiten, sich online mit anderen Nut-

27 Vergleiche die Kapitel „Beschreibung der Stichprobe“ und „Mediennutzung nach Kanälen“ in den Befragun-gen der ersten Welle. 28 Vergleiche das Kapitel „Mediennutzung nach Kanälen“ in den Befragungen der fünften Welle. 29 Vergleiche das Kapitel „Online-Nutzung“ in den Befragungen der zweiten Welle: Von 342 Befragten der zweiten Welle nutzen rund 35 Prozent das Internet am Abend und rund 22 Prozent am frühen Vormittag – und zwar von 343 Befragten rund 64 Prozent von zu Hause und rund 45 Prozent vom Büro aus. Von den Befragten haben rund 75 Prozent gezielt nach Informationen gesucht und sich nur rund 25 Prozent „einfach durchgeklickt“.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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zern auszutauschen, selber Inhalte zu erstellen oder in Foren oder sozialen Netzwerken mit ande-

ren Nutzern zu interagieren, spielen so gut wie keine Rolle.30

3.2.2. Themeninteresse

Überregionale Themen mit Bezug zur eigenen Lebenswelt interessieren die Leser und Nutzer der

sechs Regionalzeitungen sehr – das Interesse nimmt ab, je geringer der Bezug zur Alltags- und

Lebenswelt ist. Klar ist auch, dass regionale und lokale Themen für die Befragten von großem In-

teresse sind – diese aber in manchen Fällen auch polarisieren können: Entweder bewegen diese

Themen die Leser und Nutzer in sehr hohem Maße – oder gar nicht.31 Boulevardthemen aus den

Bereichen Leute, Unterhaltung, Show, Kriminalität interessieren die befragten Leser und Nutzer

der sechs Medienhäuser nur am Rande.32 Für Special-Interest-Geschichten und technikaffine

Themen wie die Berichterstattung über den Verkaufsstart des neuen Tablet-Computers des ameri-

kanischen Herstellers Apple nutzen die Befragten andere Medien und Kanäle als die untersuchten

Angebote der sechs regionalen Medienhäuser.33

30 Vergleiche das Kapitel „Online-Nutzung“ in den Befragungen der zweiten Welle: Bei der Frage, wie interes-sant die 254 Probanden die verschiedenen Möglichkeiten der interaktiven Beteiligung einschätzen, wurden bei den sechs Einzelbefragungen jeweils die Optionen „mit den Redakteuren Kontakt aufnehmen“ und „Artikel kommentieren“ als am wichtigsten eingeschätzt. Auf einer Skala von eins (unwichtig) bis fünf (sehr wichtig) er-hielten die beiden genannten Optionen im Mittelwert allerdings unterdurchschnittliche Werte – mindestens 2,42 und höchstens 2,98. Die übrigen Optionen „Foren zu verschiedenen Themen“, „mit anderen Nutzern in Kontakt treten“, „eigene Fotos und Texte hochladen“ und „Fotos und Texte von anderen Lesern ansehen“ wurden in den einzelnen Befragungen jeweils hinter den beiden als am wichtigsten eingeschätzten Möglichkeiten der Nutzerbe-teiligung genannt und hielten im Vergleich deutlich schlechtere Skalenwerte. 31 Vergleiche das Kapitel „Interesse nach Themen“ in den Befragungen der ersten Welle: Von 348 Befragten in-teressieren sich rund 57 Prozent sehr oder mehr für das Thema „Diskussion um die PKW-Maut“, das zugleich jeden Leser in seiner Rolle als Autofahrer angeht. Im Vergleich zu den Themen „Massenprotest bei Opel“ (53 Prozent), „Ermittlungen gegen Oberst Klein“ (37 Prozent), „Robbie Williams stellt sein neues Album vor“ (10 Prozent) und einem abgefragten Lokalthema (23 Prozent) stieß das Thema PKW-Maut auf das größte Interesse. Dieser Trend lässt sich auch aufgrund des Kapitels „Ausreichende versus mangelnde Berichterstattung“ in den Befragungen der zweiten Welle oder des Kapitels „Bewertung der Channels“ in den Befragungen der dritten Welle belegen. Die abgefragten Lokalthemen haben entweder sehr interessiert – oder gar nicht. 32 Vergleiche unter anderem das Kapitel „Interesse nach Themen“ in den Befragungen der ersten Welle: Von 348 Befragten gaben nur rund 10 Prozent an sich für das Thema „Robbie Williams stellt sein neues Album vor“ zu interessieren. Dieser Trend lässt sich auch aufgrund des Kapitels „Ausreichende versus mangelnde Berichterstat-tung“ in den Befragungen der zweiten Welle belegen. Beim Thema „Bei den Wilden Kerlen“ war im Vergleich zu allen anderen abgefragten Themen bei allen sechs Befragungen der Anteil der Leser und Nutzer am höchsten, die hier auf die Frage, ob sie gerne noch mehr erfahren würden, geantwortet haben: Es war bereits genug. Das waren bei der Augsburger Allgemeinen bei 99 Befragten 86 Prozent, bei der Frankfurter Neuen Presse bei 45 Befragten 41 Prozent, bei der HNA bei 59 Befragten 53 Prozent, bei der Mittelbayerischen Zeitung bei 50 Be-fragten 40 Prozent, bei der Mitteldeutschen Zeitung bei 58 Befragten 50 Prozent und beim Donaukurier bei 64 Befragten 53 Prozent. Damit haben von 375 Befragten rund 60 Prozent ausgesagt, dass ihnen die Berichterstat-tung über das Thema aus dem Feld Unterhaltung/Boulevard ausreicht. Auch das Kapitel „Ausreichende versus mangelnde Berichterstattung“ in den Befragungen der dritten Welle belegt diese Beobachtung: Von 394 Befrag-ten gaben rund 80 Prozent an, dass ihnen die Berichterstattung beim Thema „Chemie-Ali in Bagdad hingerich-tet“ ausreicht und sie keine weiteren Informationen benötigen. Einzig das Sportthema „VfL Wolfsburg entlässt Trainer Veh“ stieß auf noch weniger weiterführendes Interesse. 33 Vergleiche das Kapitel „Mediennutzung nach Themen“ in den Befragungen der fünften Welle: Von 484 Be-fragten haben rund 13 Prozent angegeben, dass sie sich beim Thema „iPad-Verkaufsstart verschoben“ über ande-re Medien als die Print- und Online-Angebote der untersuchten Medienhäuser sowie über die klassischen Kanäle Radio und Fernsehen informiert haben. Das Thema hatte im Vergleich zu den anderen abgefragten Themen bei allen Zeitungen – mit Ausnahme der Mittelbayerischen Zeitung – jeweils die höchsten Werte zum Antwort-Item „andere Medien“ auf die Frage „Wo haben Sie sich über das Thema informiert“. Zudem ist nur bei diesem The-ma auch die Vermittlungsleistung dieser „anderen Medien“ am positivsten bewertet worden. Vergleiche das Ka-pitel „Bewertung der Vermittlungsleistung je Channel und Thema“ in den Befragungen der fünften Welle.

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3.2.3. Kanal Print

Der Print-Kanal besitzt die Kompetenz für regionale und lokale Themen.34 Doch besonders bei

komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Kom-

plementärfunktion zu Fernsehen und Radio und die Rolle eines Orientierungsmediums: Es besteht

der Bedarf nach intensiver Orientierung, bei der die Leser und Nutzer den Regionalzeitungen grö-

ßere Kompetenzen als allen anderen Medien zuschreiben. Der Grund ist eine direkte Korrelation

zwischen Themenkomplexität und Zeitungspräferenz: Bei mehrdimensionalen, unübersichtlichen

und folgenreichen Geschehnissen versuchen Rezipienten, den Überblick mit Hilfe des Kanals

Print zu gewinnen.35

Bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur eigenen Lebenswelt er-

warten die Befragten das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt die Aufbereitung

der Ereignisse aus Sicht des Lesers und das Aufzeigen der Folgen für die Lebenssituation der Le-

ser mit Details und Hintergründen.36 Bei von den Lesern als bedeutungslos oder folgenlos wahr-

genommenen Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich wird erwartet,

dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnimmt.37 Leser unterscheiden zwischen ih-

ren Regionalzeitungen und Boulevardmedien und erwarten vom Boulevard abgegrenzte Themen-

setzungen (im Hinblick auf People-, Kriminal- und Katastrophen-Themen).38

34 Vergleiche hierzu insbesondere das Kapitel „Mediennutzung nach Themen“ in den Befragungen der ersten Welle: Von 348 Befragten gaben rund 41 Prozent an, dass sie über die Zeitung von den abgefragten lokalen Themen erfahren hatten, rund 40 Prozent hatten vom Thema „PKW-Maut“ über die Zeitung erfahren, gefolgt von den Themen „Ermittlungen gegen Oberst Klein“ (rund 38 Prozent) und „Massenprotest bei Opel“ (rund 37 Prozent. Vergleiche zudem das Kapitel „Themennutzung nach Channels“ in den Befragungen der dritten Welle: Von 384 Befragten haben sich 57 Prozent über die lokalen und regionalen Themen über die Zeitung informiert. Vergleiche außerdem das Kapitel „Bewertung der Vermittlungskanäle nach Themen“ in den Befragungen der vierten Welle: Der Liste mit den überregionalen Themen „Fall Pechstein“, „Frauenquote Telekom“ und „SPD fordert Hartz-IV-Entschärfung“ wurden bei allen sechs Zeitungen jeweils zwei lokale Themen (bei der Mittel-bayerischen Zeitung ein Thema) hinzugefügt, in diesem Zusammenhang befragten die Forscher die Probanden, welches Medium den Lesern und Nutzern die verschiedenen Themen am besten vermitteln kann. Das Ergebnis war eindeutig: In den Befragungen bei allen sechs Medienhäusern erhielt der Print-Kanal jeweils bei den lokalen und regionalen Themen deutlich höhere Werte als bei den überregionalen Themen. 35 Im Kapitel „Bewertung der Medien nach Themen“ in den Befragungen der ersten Welle gaben 46 Prozent der 38 Befragten an, dass ihnen die Zeitung die Themen „PKW-Maut“ und „Massenprotest bei Opel“ am besten vermitteln könne, bei den abgefragten lokalen Themen waren es 39 Prozent der Befragten und beim Thema „Ermittlungen gegen Oberst Klein“ 38 Prozent der Befragten. Der Trend wird auch klar belegt durch das Kapitel „Bewertung der Channels nach Themen“ in den Befragungen der dritten Welle: Von 396 befragten Lesern und Nutzern gaben 57,2 Prozent an, dass ihnen die Zeitung das Thema „Millionen Krankenversicherte sollen Zusatz-beiträge zahlen“ am besten vermitteln konnte. 36 Vergleiche das Kapitel „Ausreichende versus mangelnde Berichterstattung“ in den Befragungen der ersten Welle: Bei dem für die Befragten folgenreichen Thema „PKW-Maut“ wünschen sich im Vergleich aller abge-fragten Themen die meisten Leser und Nutzer weiterführende Informationen – und zwar von den 348 Befragten 34 Prozent über die Zeitung. Die übrigen Kanäle Radio (7 Prozent), Fernsehen (13 Prozent) und Internet (8 Pro-zent) spielen keine entscheidende Rolle. Der Trend wird auch belegt vom Kapitel „Ausreichende versus man-gelnde Berichterstattung“ in den Befragungen vierten Welle: Von 394 Befragten gaben rund 51 Prozent an, dass sie sich wünschen würden, beim Thema „Millionen Krankenversicherte sollen Zusatzbeiträge zahlen“ über die Zeitung noch mehr Informationen zu bekommen. 37 Vergleiche das Kapitel „Ausreichende versus mangelnde Berichterstattung“ in den Befragungen der dritten Welle: Von 394 Befragten gaben rund 80 Prozent an, dass ihnen die Berichterstattung beim Thema „Chemie-Ali in Bagdad hingerichtet“ ausreicht und sie keine weiteren Informationen benötigen. 38 Vergleiche hierzu insbesondere das Kapitel „Ausreichende versus mangelnde Berichterstattung“ in den Befra-gungen der ersten und zweiten Welle: Es waren jeweils die Themen aus diesem Themenfeld, bei denen die Nut-zer keine weiteren Informationen nachgefragt haben – in der ersten Welle wollten von 348 Befragten 52 Prozent keine weiteren Informationen zu „Robbie Williams stellt neues Album vor“, in der zweiten Welle wollten von 375 Befragten 58 Prozent keine weiteren Informationen zum Thema „Bei den Wilden Kerlen“.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

38

3.2.4. Kanal Online

Die Befragten nehmen den Online-Kanal als aktuellen Nachrichtenkanal für lokale und regionale

Ereignisse wahr39 – als überregionaler Nachrichtenkanal spielt er dagegen keine Rolle.40 Im Hin-

blick auf andere Kanäle, insbesondere den Print-Kanal, übernehmen die Online-Angebote eine

Komplementärfunktion: Die Rezipienten erwarten vertiefende und weiterführende Informationen,

Archive mit Suchfunktionen und Linksammlungen. Diese Erwartung bezieht sich einerseits auf

regionale und lokale Themen sowie andererseits auf überregionale Themen.41

Besondere Bedeutung gewinnt der Online-Kanal bei Diskussionsthemen, die keinen Er-

eignischarakter haben, sondern Themen eines öffentlichen Diskurses sind.42 Service- und Nutz-

wertangebote online sind erfolgreicher, je näher sie an den Alltag gekoppelt sind.43 Einige Ergeb-

nisse lassen die Vermutung zu, dass gerade im Sportbereich multimediale Features und Newsti-

cker-Funktionen vermehrt nachgefragt werden.44 Der Befund, dass Rezipienten vom Boulevard

abgegrenzte Themensetzungen erwarten lässt sich vom Print- auf den Online-Kanal übertragen.45

39 Vergleiche das Kapitel „Bewertung der Vermittlungskanäle nach Themen“ in den Befragungen der vierten Welle: Der Liste mit den überregionalen Themen „Fall Pechstein“, „Frauenquote Telekom“ und „SPD fordert Hartz-IV-Entschärfung“ wurden bei allen sechs Zeitungen jeweils zwei lokale Themen (bei der Mittelbayeri-schen Zeitung ein Thema) hinzugefügt, in diesem Zusammenhang befragten die Forscher die Probanden, wel-ches Medium den Lesern und Nutzern die verschiedenen Themen am besten vermitteln kann. Das Ergebnis war eindeutig: In den Befragungen bei allen sechs Medienhäusern erhielt der Online-Kanal jeweils bei den lokalen und regionalen Themen seine höchsten Werte. Auch das Kapitel „Mediennutzung nach Themen“ in den Befra-gungen der fünften Welle lässt diesen klaren Schluss zu: Das Ergebnis zeigt, dass die Probanden auch bei der Befragung dieser Welle dem Online-Kanal bei lokalen und regionalen Themen die meiste Bedeutung zumessen. 40 Vergleiche das Kapitel „Analyse der Erstinformationen“ in den Befragungen der fünften Welle: Von 484 Be-fragten haben nur 3,7 Prozent von dem überregionalen Thema „Erdbeben in China“ über den Online-Kanal ihres regionalen Medienhauses zum ersten Mal gehört, bei den Themen „iPad-Verkaufsstart verschiebt sich“ (6,4 Pro-zent) und „Guttenberg überraschend in Kundus“ (5,3 Prozent) war der Anteil ähnlich gering. 41 Vergleiche das Kapitel „Die Nutzung onlinespezifischer Angebote“ in den Befragungen der zweiten Welle: Bei der Frage, welche Funktionen der Online-Portale für die Probanden am wichtigsten sind, nannten die 344 Befragten jeweils die Punkte „Suchfunktion für bestimmte Themen“, „weiterführende Informationen zu Themen aus der Zeitung“, „Archiv für ältere Artikel“ und „Linksammlungen zu Themen, die mich interessieren“ an erster Stelle – mit einer Ausnahme: Bei der Mittelbayerischen Zeitung rangierte der Punkt „Bildergalerien aus der Re-gion“ noch vor dem Punkt „Linksammlungen zu Themen, die mich interessieren“. Alle Befragten bewerteten die genannten vier wichtigsten Punkte auf einer Skala von eins (unwichtig) bis fünf (sehr wichtig) im Mittelwert mindestens mit dem Wert 3,09 und höchstens mit dem Wert 4,46. 42 Vergleiche das Kapitel „Mediennutzung nach Themen“ in den Befragungen der ersten Welle: Von 348 Be-fragten haben sich rund 18 Prozent im Internet über das das Diskursthema „PKW-Maut“ informiert, im Ver-gleich zu den anderen Themen „Massenprotest bei Opel“ (11 Prozent), „Ermittlungen gegen Oberst Klein“ (10 Prozent), Robbie Williams (6 Prozent) sowie den lokalen Themen (5 Prozent) war das der beste Wert für Online. 43 Vergleiche das Kapitel „Online-Nutzung“ in den Befragungen der zweiten Welle: Von 340 Probanden nutzten 56 Prozent den Veranstaltungskalender regelmäßig, 43 Prozent das Kinoprogramm und 42 Prozent das Wetter. 44 Vergleiche das Kapitel „Mediennutzung (Channels) der überregionalen Themen“ in den Befragungen der drit-ten Welle: Immerhin 9,7 Prozent der 396 Befragten nutzten das Internet um sich über das Thema „VfL Wolfsburg entlässt Trainer Veh“ zu informieren, vor dem Hintergrund, dass sich für dieses Thema 36,2 Prozent der Befragten überhaupt nicht interessieren, ist das ein relativ hoher Wert – die Tatsache, dass sich Sportinteres-sierte des Online-Kanals bedienen, überrascht aber insgesamt nicht, da das Themenfeld naturgemäß aktualitäts-getrieben ist. Auch das Kapitel „Mediennutzung nach Themen“ in der Befragung der Leser und Nutzer der Augsburger Allgemeinen der fünften Welle lässt den Schluss zu, dass der Online-Kanal im Themenfeld Sport von größerer Wichtigkeit ist: Von 110 Befragten verfolgten immerhin 16 Prozent den Newsticker über ein Eis-hockeyspiel der Augsburg Panther gegen Wolfsburg, obwohl 43 Prozent der Befragten das Thema überhaupt nicht verfolgt hatten. An einer Videoumfrage zur Frage, ob der FC Augsburg die Wende schafft, nahmen 22 Prozent der Befragten teil, obwohl rund 34 Prozent der Probanden kein Interesse an dem Thema hatten. 45 Vergleiche das Kapitel „Ausreichende versus mangelnde Berichterstattung“ in den Befragungen der dritten Welle: Von 394 Befragten gaben 80 Prozent an, dass ihnen die Berichterstattung bei „Chemie-Ali in Bagdad hingerichtet“ ausreicht und sie keine weiteren Informationen benötigen, die Werte für den Wunsch nach weiteren Information waren für Print (2,5 Prozent) und Online (3,8 Prozent) in etwa gleich – und zwar gleich niedrig.

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Das Leser/Nutzer-Panel des IPJ

39

3.2.5. Kanal Rundfunk

Der Kanal Rundfunk übernimmt bei komplexen Themen und überregionalen Themen eine Art

Trailerfunktion. Der Rundfunk ist für einige Themen die Primärquelle: Leser und Nutzer nehmen

durch ihn Ereignisse erstmals wahr und erwarten, dass diese Themen im Anschluss hintergründig

in anderen Kanälen aufbereitet werden – und zwar in erster Linie in Print.46 Überschaubare und

unkomplizierte Beschlussereignisse funktionieren in den elektronischen Medien. Voraussetzung

ist, dass der Nachrichtenkern auch im flüchtigen Medium sofort verstanden wird.47 Stark bildhafte

Ereignisse werden im Fernsehen nachgefragt.48

46 Vergleiche die Kapitel „Analyse der Erstinformation (Primärquellen)“ und „Ausreichende versus unzurei-chende Berichterstattung“ in den Befragungen der fünften Welle: Während 65 Prozent der 484 Befragten durch die Kanäle Radio und Fernsehen von dem Thema „Erdbeben in China“ erstmals erfahren haben (über den Print-Kanal haben nur 14 Prozent davon Kenntnis erhalten), wünschen sich dennoch 23 Prozent der Befragten zusätz-liche Informationen zu dem Thema in der Tageszeitung. 47 Vergleiche das Kapitel „Themennutzung nach Channels“ in den Befragungen der dritten Welle: Im Vergleich der verschiedenen lokalen Ereignisthemen schneiden die Themen bei Radio und Fernsehen am besten ab, die auch in flüchtigen elektronischen Medien sofort verstanden werden: Das waren in diesem Fall die Themen „Nachts kein Schnaps an Tankstellen“ (Augsburger Allgemeine) und „Baubeginn der Osttangente nach Bürger-entscheid“ (Mittelbayerische Zeitung) im Gegensatz den Themen „Gewalttäter von Riedenburg“ (Donaukurier), „Roth und Rhein uneins über Neubauten am Osthafen“ (Frankfurter Neue Presse), „Hotel Reiss soll umgebaut und saniert werden“ (HNA) und „Wiedergutmachung nach DDR-Kinderheim“ (Mitteldeutsche Zeitung). 48 Vergleiche das Kapitel „Mediennutzung (Channels) der überregionalen Themen“ in den Befragungen der drit-ten Welle: Bei den Themen „Flugzeugunglück vor der Küste Libanons“ haben sich 24,8 Prozent von 396 Pro-banden über den Fernsehkanal informiert, bei dem Thema „Treffen im Kanzleramt zur Strategie in Afghanistan“ blieben die Bilder aus dem Land am Hindukusch 25,9 Prozent der Befragten im Kopf.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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4. Methodisches Vorgehen In dem nun folgenden empirischen Teil der Arbeit geht es um die Fragen, welche Strategien der

crossmedialen Vernetzung regionale Medienhäuser in Deutschland verfolgen, wie die Verantwort-

lichen der Häuser diese Strategien entwickeln und ob sie die Wünsche und Bedürfnisse der Leser

und Nutzer in diese Entscheidungsprozesse einbeziehen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der

journalistischen Dimension der Crossmedia-Strategien. Auf der Basis der bisherigen Ausführun-

gen der vorliegenden Arbeit und insbesondere der Ergebnisse des Leser/Nutzer-Panels des Insti-

tuts für Praktische Journalismusforschung (IPJ) werden nun die Anlage der Untersuchung und die

zentrale Forschungsfragen vorgestellt.

4.1. Anlage der Untersuchung Wissenschaftler erforschen ihre natürliche und soziale Umwelt, indem sie sie beobachten oder in-

dem sie mit ihr experimentieren. In den Sozialwissenschaften sind Experimente jedoch kaum

möglich und oft nicht sinnvoll, weil Forscher in natürlichen Umgebungen nicht alle Bedingungen

kontrollieren und von den unter Laborbedingungen gefundenen Ergebnissen nicht auf die reale

Welt außerhalb des Labors schließen können. Zudem erschwert der Umstand die Forschung, dass

die Entscheidungsträger der untersuchten Prozesse wissen, dass sie an einem Experiment teilneh-

men, und deshalb ihr Verhalten beeinflusst wird (vergleiche Gläser, Laudel 2009: 38 bis 39). „Da

Experimente ausscheiden, muss sich die empirische Sozialforschung mit Beobachtungen der sozi-

alen Realität bescheiden, das heißt mit der Aufnahme der Daten, die in der sozialen Welt entste-

hen“ (Gläser, Laudel 2009: 39). Bei dieser Aufnahme von Daten der sozialen Welt unterscheiden

die Sozialwissenschaften die Beobachtung im engeren Sinne, bei der die Untersuchungsobjekte in

ihrer natürlichen Umgebung belassen und Daten über sie festgehalten werden, und die Beobach-

tung im weiteren Sinne, das heißt die „Befragung von Menschen, die an den uns interessierenden

Prozessen beteiligt sind“ (Gläser, Laudel 2009: 39).

Für das Forschungsziel dieser Arbeit bot sich die Methode der Befragung an, denn mittels

Befragungen können Meinungen und Fakten ermittelt, kausale Zusammenhänge und Motive er-

kannt sowie die Beweggründe verstanden werden, weshalb bestimmte Meinungen vorherrschen.

Besonders geeignet für das Studienprojekt war die besondere Befragungsform des Experteninter-

views, in denen die Befragten als Spezialisten für bestimmte Sachthemen interviewt werden. Die

Arbeit verwendet Experte und Experteninterview im Verständnis von Jochen Gläser und Grit

Laudel, die die Begriffe wie folgt definieren: Experte „beschreibt die spezifische Rolle des Inter-

viewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden Sachverhalte. Expertenin-

terviews sind eine Methode, dieses Wissen zu erschließen“ (Gläser, Laudel 2009: 12). Dabei sind

die Experten ein Medium, durch das der Wissenschaftler Wissen über den Forschungsgegenstand

gewinnen will, sie sind nicht Objekt der Untersuchung, sondern sie sind Zeugen der interessieren-

den Prozesse. Im Interview soll dem Befragten Freiraum gegeben werden, um die ihm wichtigen

Themen und Aspekte zur Sprache zu bringen und sie zudem mit eigenen Deutungsmustern und

Bewertungen einzuordnen und zu erläutern. Experten haben eine „besondere, mitunter sogar ex-

klusive Stellung“ (Gläser, Laudel 2009: 13) in dem Kontext, der untersucht werden soll. Diese

qualitativen Interviews zielen im Gegensatz zu quantitativen Interviews nicht auf die Breite, son-

dern gehen in die Tiefe und ermöglichen es, mit kleineren Fallzahlen Sinnsysteme verstehend

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Methodisches Vorgehen

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nachzuvollziehen und im Zusammenhang zu analysieren. Da es in dieser Arbeit um die journalis-

tische Dimension der Crossmedia-Strategien von regionalen Medienhäusern geht, kamen als Ex-

perten Chefredakteure, stellvertretende Chefredakteure, Newsdeskmanager und leitende Redak-

teure in Frage, also Personen, die die Ziele und Workflows der crossmedial arbeitenden Medien-

häuser sowohl inhaltlich als auch strukturell entwickeln und in den Redaktionsalltag ihrer Häuser

implementieren.

Die Experteninterviews dieser Arbeit hat der Verfasser in einer Mischung aus halbstan-

dardisierten Interviews und Leitfadeninterviews geführt.49 Bei halbstandardisierten Interviews hat

der Interviewer einen Fragebogen, „in dem fest formulierte Fragen in einer festen Reihenfolge

stehen“, während „dem Interviewpartner freigestellt wird, wie er die Fragen beantwortet“ (Gläser,

Laudel 2009: 41). Bei Leitfadeninterviews arbeitet der Forscher mit klar vorgegebenen Themen

und einer Frageliste: Dieser „Interviewleitfaden enthält die Fragen, die in jedem Interview beant-

wortet werden müssen. Allerdings sind weder die Frageformulierungen noch die Reihenfolge der

Fragen verbindlich. Um das Interview so weit wie möglich an einen natürlichen Gesprächsverlauf

anzunähern, können Fragen aus dem Interviewleitfaden auch außer der Reihe gestellt werden,

wenn es sich ergibt“ (Gläser, Laudel 2009: 42).

4.2. Forschungsfrage, Leitfragen und Untersuchungsfragen Aus den bisherigen theoretischen Vorüberlegungen und den vorliegenden empirischen Befunden

geht hervor, dass sich die Ausrichtungen und Inhalte der strategischen Leitentscheidungen bei

deutschen Medienunternehmen stark voneinander unterscheiden. Besonders vor dem Hintergrund

der verschiedenen Bedürfnisse von Lesern und Nutzern haben nur wenige Studien die vorhande-

nen Crossmedia-Strategien beschrieben. Diese Arbeit, der eine Befragung von Chefredakteuren,

stellvertretenden Chefredakteuren, Newsdeskmanagern und leitenden Redakteuren zugrunde liegt,

will in diesem Zusammenhang einen Beitrag leisten und die Crossmedia-Strategien von ausge-

wählten regionalen Medienhäusern im Hinblick auf die Publikumswünsche analysieren. „Die For-

schungsfrage […] muss also darauf gerichtet sein, dem Wissensbestand etwas hinzuzufügen. Da-

zu muss sie eine Lücke in diesem gemeinsamen Wissensbestand beschreiben, die geschlossen

werden soll“ (Gläser, Laudel 2009: 64). Der zentrale Forschungskomplex dieser Arbeit lautet:

Welche Crossmedia-Strategien verfolgen regionale Medienhäuser, auf welcher Grundlage entwi-

ckeln die Entscheidungsträger dieser Häuser ihre Strategien, und orientieren sich diese Strategien

an den Bedürfnissen des Publikums?

Ausgehend von diesem Forschungsziel hat die Arbeit die theoretischen Vorüberlegungen

vorgenommen und die Literatur zum Untersuchungsthema gesichtet. „Die Forschungsfrage muss

in einen Untersuchungsplan übersetzt werden, und das geht nur, wenn der Stand der Forschung

bekannt ist. […] Diese gedankliche Strukturierung des Problems kommt nicht ohne das Wissen

49 Jochen Gläser und Grit Laudel teilen Interviews in der empirischen Sozialforschung ein in standardisierte In-terviews, in halb- und teilstandardisierte Interviews sowie nichtstandardisierte Interviews – und zwar nach dem Grad der Vorgaben für die beiden Akteure (vergleiche Gläser, Laudel 2009: 41): Bei standardisierten Interviews sind die Handlungen des Interviewers (Fragen) und Interviewten (Antwortmöglichkeiten), bei halbstandardisier-ten Interviews sind nur die Handlungen des Interviewers vorgegeben, und bei nichtstandardisierten Interviews unterliegt keiner der beiden Akteure einer Standardisierung (vergleiche dazu auch Diekmann 2006: 374). Zudem unterscheiden Gläser und Laudel bei den nichtstandardisierten Interviews die Formen Leitfadeninterview, offe-nes Interview und narratives Interview (vergleiche Gläser, Laudel 2009: 42).

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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aus, das in anderen empirischen Untersuchungen gewonnen wurde“ (Gläser, Laudel 2009: 75).

Der Forschungsstand ist im zweiten Kapitel dieser Arbeit dargestellt, maßgeblich waren insbe-

sondere die Forschungsarbeiten von Christoph Neuberger, Kathrin Meyer, Michael Brüggemann

und Klaus Spachmann. Diese Studien haben die Suche nach den Einflussfaktoren geleitet, auf die

sich die folgende empirische Untersuchung stützt. Diese Faktoren „müssen abstrakt genug sein,

um der Vielfalt empirischer Phänomene gerecht zu werden […]. Sie müssen aber auch konkret

genug sein, um die Suche nach empirischen Informationen anleiten zu können“ (Gläser, Laudel

2009: 85). Als Ergebnis dieser theoretischen Vorüberlegungen gelangt man zu einem Suchraster,

das aus „theoretisch begründeten, möglichst weitgehend dimensional strukturierten Einflussfakto-

ren, Vermutungen über Vermittlungsprozesse zwischen Einflussfaktoren und Überlegungen zu

Indikatoren“ (Gläser, Laudel 2009: 90) besteht. Die Einflussfaktoren, die aus den erwähnten Stu-

dien abgeleitet wurden und die das Suchraster für die Experteninterviews dieser Arbeit bilden,

sind die verschiedenen Medienteilmärkte (Zeitung, Zeitschrift, Radio, Fernsehen, Online und mo-

bile Kommunikation), die Dachmarkenstrategien, die Workflows und redaktionellen Strukturen,

die inhaltliche Vernetzung, die vorhandenen oder angestrebten Synergieeffekte, die Frage nach

strategischen Geschäftsfeldern, die anvisierten Zielgruppen, der Grad der Integration in den Re-

daktionen, die internetgemäße Aufbereitung von Inhalten sowie die Fragen nach dem Leitmotto

„Online first“, nach Paid Content und nach der originären Generierung von Inhalten für einzelne

Kanäle. Zum einen haben diese Themen und Faktoren die Gestaltung des Fragebogens bestimmt,

zum anderen bildeten die Ergebnisse des in Kapitel drei dargestellten Leser/Nutzer-Panels die

Grundlage für einen weiteren wichtigen Teil der Befragung, da sie die Perspektive der Leser und

Nutzer mit ihren Wünschen und Bedürfnissen als bestimmende Faktoren in die vorliegende Un-

tersuchung einfließen lassen.

In einem nächsten Schritt können aus der Forschungsfrage und den benannten Einflussfak-

toren die maßgeblichen Leitfragen für die Expertenbefragung abgeleitet werden. Diese Fragen

sind „ein Bindeglied zwischen den theoretischen Vorüberlegungen und qualitativen Erhebungs-

methoden“, außerdem sind sie „auf das Untersuchungsfeld gerichtet und versuchen die Informati-

onen zu benennen, die erhoben werden müssen. Leitfragen charakterisieren das Wissen, das be-

schafft werden muss, um die Forschungsfrage zu beantworten“ (Gläser, Laudel 2009: 90 bis 91).

Der empirische Teil dieser Arbeit hat sich an folgenden fünf Leitfragen orientiert: Wie ist das

Medienhaus crossmedial aufgestellt? Was ist die Crossmedia-Strategie des Medienhauses? Was

sind die Grundlagen für die Crossmedia-Strategie des Medienhauses? Wie sieht der crossmediale

Workflow des Medienhauses aus? Wie werden die Ergebnisse des Leser/Nutzer-Panels des Insti-

tuts für Praktische Journalismusforschung beurteilt?

Im Anschluss an die Formulierung der Leitfragen wurden diese für den Leitfaden der Ex-

perteninterviews der vorliegenden Arbeit operationalisiert und in die Untersuchungsfragen wie

folgt übersetzt:

Leitfrage 1: Wie ist das Medienhaus crossmedial aufgestellt?

• Name des Medienhauses

• Verbreitungsgebiet und Region

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus?

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Methodisches Vorgehen

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• Anzahl der festangestellten Redakteure

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen

Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle?

• Anzahl der Lokalausgaben

• Auflage der Printausgabe

• Nutzerzahlen des Online-Angebots

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote

Leitfrage 2: Was ist die Crossmedia-Strategie des Medienhauses?

• Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie.

• Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen

Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt?

• Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehr-

fachverwertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität.

Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein?

• Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die glei-

chen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich

die Zielgruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim

Online-Kanal?

• Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte

oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt,

beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle.

• Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist,

dass Online-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubven-

tionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt?

• Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Ent-

wicklung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die ei-

ne realistische Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer

Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content?

• Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass ver-

sucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt

ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nut-

zer an die Marke zu binden?

Leitfrage 3: Was sind die Grundlagen für die Crossmedia-Strategie des Medienhauses?

• Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept?

• Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches

Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren ste-

hen?

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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• Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wol-

len sie von den einzelnen Kanälen?

• Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunk-

ten?

• Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein?

Leitfrage 4: Wie sieht der crossmediale Workflow des Medienhauses aus?

• Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von

Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle

– bis zu Doppelstrukturen reichen – es gibt voneinander unabhängige Redaktionen, die

sich inhaltlich austauschen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein?

• Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet,

welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk

aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinations-

aufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote ver-

antwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder

nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit

verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen?

• Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal?

Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja:

Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte über-

nimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und

Hypertextualität?

• Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem

jeweiligen Kanal erscheinen?

• Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen?

Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede.

• Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschrei-

ben Sie die Verweisstruktur.

• Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)?

Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und

bei welchen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten?

• Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es be-

stimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-

Angebot zu bestimmten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Ver-

öffentlichungswellen aus?

Leitfrage 5: Wie werden die Ergebnisse des Leser/Nutzer-Panels des IPJ beurteilt?

• Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser

im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten Ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ih-

nen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale?

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Methodisches Vorgehen

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• Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vie-

len interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande inte-

ressiert sind. Wie beurteilen Sie das?

• Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale

und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überre-

gionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Ra-

dio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in

der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider?

• Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen,

spiegelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten

Kanälen wie dem Online-Kanal wider?

• Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug

zur eigenen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der

Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung?

Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal?

• Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser

und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnimmt –

und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses

Themenfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten?

• Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als ak-

tuellen Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler

Nachrichtenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie den-

noch das gesamte Themenspektrum?

• Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Kom-

plementärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit

Suchfunktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im

Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale

Themen. Wie beurteilen Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres

Online-Kanals wider?

4.3. Durchführung und Auswertung der Interviews Für die Studie werden die Strategien von zehn regionalen Medienhäusern vorgestellt, dabei wur-

den Unternehmen ausgewählt, die dem Untersuchungsziel – nämlich die Analyse der Crossmedia-

Strategien von regionalen Zeitungshäusern – entsprechen. „Man versucht Fälle auszuwählen, von

denen man glaubt, dass sie das Untersuchungsfeld besonders gut repräsentieren, das heißt die cha-

rakteristischen Eigenschaften der Fälle besonders klar zum Ausdruck bringen. Typische Fälle sind

dabei nicht (ausschließlich) die, die am häufigsten auftreten. Es geht um typische Ausprägungen

von Variablen beziehungsweise Einflussfaktoren, das heißt, die auszuwählenden Fälle müssen ty-

pisch für das Spektrum auftretender Fälle sein“ (Gläser, Laudel 2009: 98). Vor diesem Hinter-

grund gründet sich die Auswahl insbesondere auf fünf Kriterien, die sich zudem auch bei den Me-

dienhäusern wiederfinden, die zu den Teilnehmern des in Kapitel drei vorgestellten Leser-Nutzer-

Panels des IPJ gehören – schließlich können Befunde des empirischen Teils dieser Arbeit nur in

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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den IPJ-Ergebnissen gespiegelt werden, wenn die Medienhäuser vergleichbar sind: Die ausge-

wählten Zeitungen sind wie die sechs Blätter des IPJ-Panels regionale Abonnementzeitungen50,

die den Fokus ihrer Berichterstattung auf ihr Verbreitungsgebiet legen, eine Auflage von mindes-

tens 80 000 Exemplaren haben, in mindestens sieben Lokalausgaben erscheinen, und die ihren

Online-Auftritt im Sinne von Michael Brüggemann als eigenständigen journalistischen Distributi-

onskanal betrachten, denn „wenn der eigene Auftritt nur Mittel der Unternehmenskommunikation

ist, also der Werbung für das bestehende Produkt dient, kann noch nicht von einem strategischen

Geschäftsfeld Online-Auftritt gesprochen werden“ (Brüggemann 2002: 37).

In die Studie sind insgesamt zehn Experteninterviews eingeflossen, von denen der Verfas-

ser vier als persönliches Gespräch und sechs als Telefongespräch geführt hat. Die Interviews dau-

erten zwischen 40 und 75 Minuten. Persönlich interviewt wurden Rainer Maria Gefeller (Chefre-

dakteur der Frankfurter Neuen Presse), Horst Seidenfaden (Chefredakteur der Hessisch-

Niedersächsischen Allgemeinen), Ralf Geisenhanslüke (Chefredakteur der Schwäbischen Zei-

tung) sowie Michael Schröder (stellvertretender Chefredakteur des Mannheimer Morgen) gemein-

sam mit Tobias Döpker (Projektleiter Online im Ressort Chef vom Dienst beim Mannheimer

Morgen), telefonisch interviewt wurden Stefan Kläsener (Chefredakteur der Braunschweiger Zei-

tung), Andreas Mühl (stellvertretender Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers), Lutz

Heuken (Newsdeskchef der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung), Uwe Vetterick (Chefredakteur

der Sächsischen Zeitung), Carsten Fiedler (leitender Redakteur der Rheinischen Post) und Lars

Haider (Chefredakteur des Weser-Kuriers). Damit gehören zwei teilnehmende Blätter des Le-

ser/Nutzer-Panels des Instituts für Praktische Journalismusforschung auch zu den in dieser Arbeit

untersuchten Tageszeitungen: die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine aus Kassel und die

Frankfurter Neue Presse aus Frankfurt.

Die erste Kontaktaufnahme erfolgte in Form einer E-Mail, der neben der Anfrage mit ei-

ner Beschreibung des Forschungsziels ein Exposé der vorliegenden Arbeit und ein Lebenslauf des

Verfassers angefügt waren. Im Anschluss telefonierte der Verfasser mit dem jeweiligen Ge-

sprächspartner und legte in Absprache mit ihm den Interviewtermin fest. Vor dem eigentlichen

Interviewtermin erhielten die interviewten Personen eine weitere E-Mail, in der zur Vorbereitung

auf das Gespräch die erste Leitfrage (Daten zum Medienhaus) mit allen Untersuchungsfragen auf-

geführt war und die vier Zusammenfassungen des Inhalts der Untersuchungsfragen der übrigen

vier Leitfragen enthielt.

Der Verfasser dieser Arbeit hat bei den Experteninterviews mit den oben aufgeführten fest

formulierten Fragen in der festen Reihenfolge des Fragebogens gearbeitet, ist aber, wenn sich das

Gespräch in eine andere Richtung entwickelt hat, von der Reihenfolge abgewichen, hat einzelne

Themenkomplexe vorgezogen und bestimmte Frageformulierungen dem Verlauf des Interviews

angepasst, indem er die Ausgangsfragen umformuliert und dem Interviewpartner in anderen Wor-

ten gestellt hat. Die inhaltlichen Aussagen wurden dann im Nachhinein wieder den jeweiligen

Untersuchungsfragen zugeordnet. Als Eisbrecherfragen wurden die Untersuchungsfragen der ers-

ten Leitfrage genutzt, von denen fließend auf die erste Untersuchungsfrage der zweiten Leitfrage

(„Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie“) übergeleitet wurde. Dieser Einstieg in den Haupt-

50 Zur Unterscheidung von Zeitungstypen vergleiche unter anderem Noelle-Neumann, Schulz, Wilke 1994: 393.

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Methodisches Vorgehen

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teil des Interviews wurde mit dem Ziel gewählt, dass der Interviewte beim Beschreiben der

Crossmedia-Strategie erst einmal die Punkte erläutern kann, die ihm wichtig sind und die er be-

herrscht, um so Sicherheit für den weiteren Verlauf des Gesprächs zu gewinnen. Auf die Punkte

der ersten Leitfrage, die zu Beginn des Interviews nicht vollständig geklärt werden konnten, ist

der Verfasser am Ende des Interviews noch einmal zurückgekommen. Obwohl die Interviewpart-

ner durch die E-Mail über alle abgefragten Einzelheiten der ersten Leitfrage informiert waren, hat-

ten einige Gesprächspartner die Auflagenzahlen der Print-Ausgaben und die Nutzerzahlen der On-

line-Portale nicht präsent, zudem erbrachte die Nachrecherche keine befriedigenden Ergebnisse,

so dass die vorliegende Arbeit bei den Auflagenzahlen auf die Zusammenstellung von Walter

Schütz (2009) und bei den Nutzerzahlen auf die Online-Datenbank der Informationsgemeinschaft

zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern zurückgreift, um in diesen Bereichen eine

Vergleichbarkeit zwischen den Daten der Medienhäuser zu schaffen. Alle zehn Interviews, die im

Anhang der vorliegenden Arbeit abgedruckt sind, wurden digital aufgezeichnet, ein Erfassungsbü-

ro hat die Aufnahmen transkribiert, im Anschluss wurden die Texte noch einmal mit den Auf-

nahmen verglichen. Die Antworten zur ersten Leitfrage sind entweder direkte Zitate des Inter-

viewten oder Zusammenfassungen des Verfassers, die auf den Aussagen der Befragten oder ande-

ren kenntlich gemachten Quellen beruhen. Die direkten Zitate in den Antworten der ersten Leit-

frage sind kenntlich gemacht. Allen Interviewpartnern stand es frei, das Interview nach der Trans-

kription noch einmal gegenzulesen, um es dann zu autorisieren – allerdings hat einzig Carsten

Fiedler von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht: Der Verfasser hat das Interview dem leitenden

Redakteur der Rheinischen Post zugesandt, der im Folgenden aber nur einige unerhebliche Ände-

rungen an dem Ausgangstext vornahm.

Die Auswertung der Experteninterviews wurde in einem ersten Schritt geleitet durch die

oben vorgestellten und aus den theoretischen Vorüberlegungen abgeleiteten Einflussfaktoren

(vergleiche Gläser, Laudel 2009: 201). Diese Einflussfaktoren bilden ein Auswertungsraster, mit

dem die transkribierten Interviewtexte analysiert und die relevanten Aussagen extrahiert werden.

„Extraktion heißt, den Text zu lesen und zu entscheiden, welche der in ihm enthaltenen Informati-

onen für die Untersuchung relevant sind“ (Gläser, Laudel 2009: 200). Wichtig ist dabei, dass das

Raster aber zugleich offen gehalten wird: „Es kann während der Extraktion verändert werden,

wenn im Text Informationen auftauchen, die relevant sind, aber nicht in das Kategoriensystem

passen“ (Gläser, Laudel 2009: 201). Aus diesem Grund wurden im Laufe der Analyse weitere

Einflussfaktoren benannt, die sich im Hinblick auf das Untersuchungsziel aus einzelnen Inter-

views ergeben haben.

In diesem Zusammenhang hat der Verfasser die transkribierten Texte nicht nur nach In-

formationen durchsucht, sondern sie auch mit dem Ziel interpretiert, die entscheidenden Thesen

zur Beantwortung der Forschungsfrage herauszuarbeiten. „Wir lesen einen Absatz, interpretieren

ihn und entscheiden auf dieser Grundlage, welcher Auswertungskategorie die Informationen zu-

zuordnen sind und wie wir die Informationen am besten zusammengefasst wiedergeben (Gläser,

Laudel 2009: 218). Bei dieser Aufbereitung sind verstreute und bedeutungsgleiche Informationen

zusammengefasst, offensichtliche Fehler korrigiert, aber verschiedenartige oder widersprüchliche

Informationen beibehalten worden (vergleiche Gläser, Laudel 2009: 230).

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Die Zusammenfassung erfolgte nach inhaltlichen Gesichtspunkten – und zwar in dem Sin-

nen, dass Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den strategischen Leitentscheidungen herausge-

arbeitet und nach thematischen Schwerpunkten geordnet wurden, um die Medienhäuser zu typi-

sieren. „Eine Typisierung ist die Gruppierung von Fällen entsprechend ihrer Merkmalsausprägun-

gen in einer oder mehreren Dimensionen“ (Gläser, Laudel 2009: 250). In einem zweiten Analyse-

schritt wurden die so gewonnenen Erkenntnisse gemeinsam mit den Antworten aus der Leitfrage

fünf („Wie werden die Ergebnisse des Leser/Nutzer-Panels des IPJ beurteilt?“) in den im dritten

Kapitel dieser Arbeit vorgestellten Daten aus dem Leser/Nutzer-Panels des IPJ gespiegelt. Den

Abschluss dieser Arbeit bildet die Interpretation der Ergebnisse, die daraus besteht, dass „man die

Forschungsfrage beantwortet und den Beitrag zur Theorie formuliert, den man durch diese Ant-

wort leistet“ (Gläser, Laudel 2009: 275).

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Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview

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5. Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview Die zehn untersuchten Medienhäuser sind überwiegend in denselben Medienteilmärkten aktiv: Al-

le Unternehmen bespielen die Kanäle Print und Online, die Hessisch-Niedersächsische Allgemei-

ne (HNA), die Frankfurter Neue Presse (FNP), die Schwäbische Zeitung (SZ) und die Braun-

schweiger Zeitung (BZ) haben zudem mobile Dienste in ihrem Portfolio, beim Bonner General-

Anzeiger (GA), der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und dem Weser-Kurier (WK)

sind mobile Angebote in der Planung. Die HNA und der WK produzieren Fernsehsendungen, die

HNA für den Offenen Kanal Kassel, der WK für die private Anstalt Center-TV Bremen. Zum

Medienhaus der SZ gehören drei Fernsehsender: Regio TV Regionalfernsehen mit Sitz in Stutt-

gart/Böblingen, Regio TV Schwaben mit Sitz in Ulm und Regio TV Euro 3 mit Sitz in Fried-

richshafen. Die Rheinische Post (RP), die Sächsische Zeitung (SäZ) und der Mannheimer Morgen

(MAMO) haben nur Print- und Online-Angebote. Vor diesem Hintergrund beziehen sich die fol-

genden Ausführungen in der Hauptsache auf die von allen untersuchten Häusern bespielten Kanä-

le Print und Online – und auf die Frage, wie die zehn Unternehmen in der sich wandelnden Medi-

enwelt crossmedial um die Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten kämpfen.

Um in diesem Wettstreit um die Gunst des Publikums erfolgreich zu sein, muss sich mit

den Medien auch das Bewusstsein der Journalisten verändern, die die Medien bespielen – so lau-

tet jedenfalls die Forderung, die die interviewten Experten in den Interviews immer wieder äußer-

ten.51 „Das Crossmediale fängt nicht beim Produkt an, sondern im Endeffekt in den Köpfen der

Beteiligten“ (HNA IF 1), erklärt Horst Seidenfaden. Für Ralf Geisenhanslüke ist entscheidend,

„dass Leute in allen Medienbereichen denken können“ (SZ IF 6). Stefan Kläsener nennt dieses

Bewusstsein „Online-Denke“ (BZ IF 14), Michael Schröder will die „geistige Trennung“ (MA-

MO IF 6) zwischen Print und Online aufheben. Für die Interviewten scheint klar zu sein, dass

„sich heute keiner mehr Online verweigern kann“ (WAZ IF 14), aber auch, dass dieser Wandel

ein langwieriger Prozess ist, der sich nicht von heute auf morgen vollzieht. „Dass jeder automa-

tisch in diesen ganzen Kanälen denkt, ich glaube, dafür sind wir noch zu kurz dabei“ (WK IF 14),

erklärt WK-Chefredakteur Lars Haider, was Michael Schröder vom Mannheimer Morgen ähnlich

sieht: „Das Sich-zu-Hause-Fühlen in allen Kanälen wird jetzt noch nicht möglich sein bei allen

Redakteuren“ (MAMO IF 14). In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass einige der Experten

bei bestimmen Themen Unterschiede zwischen sich und ihrem Team auf der einen Seite und den

Kollegen auf der anderen Seite machen, die aus der Sicht des Interviewten den jeweils anderen

Kanal bespielen. Wenn Lutz Heuken feststellt, dass „die Onliner an allen Konferenzen beteiligt

sind“ (WAZ IF 15), dann beschreibt er den Entwicklungsprozess der WAZ aus der Perspektive

des Kanals Print. So eine Formulierung darf jedoch nicht als Hinweis auf den Grad der Integration

gedeutet werden, sondern sie zeigt nur, welchem Kanal sich der Interviewte zugehörig fühlt –

sprich: Auch ein Print-Redakteur kann aus der Perspektive des ihm am nächsten liegenden Kanals

Tageszeitung den Workflow seiner Redaktion beschreiben, die crossmedial vernetzt arbeitet. Zu-

51 Alle Interviews sind im Anhang komplett abgedruckt. Die Untersuchungsfragen der Leitfragen zwei bis fünf wurden als Interviewfragen von 1 bis 29 durchnummeriert, so dass die einzelnen Belegstellen durch die Angaben zum Medium des Interviewten in Verbindung mit der jeweiligen Interviewfrage gefunden werden können. Die Angabe „HNA IF 1“ bedeutet „Interview mit Horst Seidenfaden von der Hessisch-Niedersächsischen Allgemei-nen Interviewfrage 1“. Auf Seite 89 dieser Arbeit sind alle zehn Interviews mit Seitenzahlen verzeichnet.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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dem ist bei der Analyse der Interviews zu beachten, dass die interviewten Experten nicht alle im

gleichen Maße an den strategischen Grundentscheidungen ihrer Häuser beteiligt waren.

Was die zehn untersuchten Unternehmen eint, ist die Tatsache, dass alle den Online-Kanal

als eigenständigen journalistischen Distributionskanal im Sinne von Michael Brüggemann und

damit als strategisches Geschäftsfeld betrachten.52 Das Ziel der HNA ist es, sich über alle Kanäle

hinweg als „Informationsmarke in einem überschaubaren geografischen Raum“ (HNA IF 4) zu

positionieren, die FNP will die „die erste Adresse in unserem regionalen Markt werden“ (FNP IF

1). „Regionale Nachrichten mit hoher Qualität und vor allem hoher Unabhängigkeit“ (BZ IF 2)

sind für Stefan Kläsener der crossmediale Markenkern der Braunschweiger Zeitung. Auch das

Ziel des MAMO, „schnellster Online-Anbieter in der Region Rhein-Neckar“ (MAMO IF 2) zu

werden, das Ziel der SZ „Wir wollen möglichst alle Menschen in unserer Region erreichen – egal

mit welchem Medium“ (SZ IF 1) und das Ziel des WK „Wir wollen in Bremen das Medium

Nummer eins sein“ (WK IF 2) zeigen, dass die Unternehmen ihren Online-Auftritt keinesfalls nur

als Werbeplattform für ihre Tageszeitung betrachten, sondern strategisch in ihre Unternehmens-

planungen einbeziehen. Der Werbeeffekt wird von den Häusern zwar genutzt, der eigentliche

Grund für die Aktivitäten geht aber über diesen Zweck hinaus. „Der Online-Bereich ist im Mo-

ment imagemäßig unterstützend für uns, und wir bespielen den Kanal, weil wir uns natürlich er-

hoffen, dass wir da irgendwann Einnahmen generieren“ (GA IF 2). Auch für Uwe Vetterick gehö-

ren die online zu erzielenden Erlöse zur Hauptmotivation: Der Online-Kanal der Sächsischen Zei-

tung ist „das profitabelste und reichweitenstärkste Portal für Sachsen“ (SäZ IF 10). Die WAZ will

mit ihrem Internet-Auftritt zudem den Markt besetzen und andere Mitbewerber aus dem Online-

Geschäft ausschließen: „Wir haben mit ,Der Westen‘ eine eigene Marke kreiert, und wir wollen

hier keine Konkurrenz auf unserem Regionalsektor aufkommen lassen“ (WAZ IF 2). Für die

Rheinische Post sind die Online-Aktivitäten eine „Investition in die Zukunft. […] Wir sehen im

Internet große Chancen für die Zeitung, die Reichweite zu vergrößern, jüngere, neue Leserschaf-

ten anzusprechen und die Marke Rheinische Post damit nochmals deutlich zu stärken“ (RP IF 2).

Aufgrund ihrer Tradition als Zeitungshäuser setzen die untersuchten Unternehmen auch in

den Kanälen der neuen Medien ihre Schwerpunkte auf das Nachrichtengeschäft, auf den Handel

von Informationen – im Gegensatz zu Unterhaltungsangeboten. „Ich glaube nicht, dass man gegen

die Portale, die auf Unterhaltung setzen, irgendeine Chance hat. Das wäre so, als würde man sa-

gen, wie kann es Phönix schaffen, die Leute von den Spielfilmen bei RTL oder ARD wegzulo-

cken“ (SäZ IF 22), erklärt beispielsweise Uwe Vetterick, was Stefan Kläsener ähnlich sieht: „Die

Frage ist immer, wenn wir über Medien reden, ob wir auch immer über Journalismus reden. Das

finde ich ein bisschen überzogen. Ich behaupte immer, so ähnlich wie im Fernsehen, dass maxi-

mal zehn Prozent des Inhalts, den Sie sehen, wahrscheinlich nur fünf Prozent des Inhalts, wirklich

journalistischer Content sind, so ist das im Internet und bei Social Media auch. Und wir sollten

uns als Qualitätszeitung und damit auch als teurer Dienstleister auf das konzentrieren, was diese

fünf Prozent journalistischen Inhalts ausmacht“ (BZ IF 3).

52 Bei Michael Brüggemann heißt es in diesem Zusammenhang: „Wenn der eigene Auftritt nur Mittel der Unter-nehmenskommunikation ist, also der Werbung für das bestehende Produkt dient, kann noch nicht von einem strategischen Geschäftsfeld Online-Auftritt gesprochen werden“ (Brüggemann 2002: 37). Vergleiche dazu auch Kapitel 2.3. dieser Arbeit.

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Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview

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In den folgenden Passagen sollen die Annahmen und Visionen der untersuchten Medien-

häuser vorgestellt werden, aus denen sich die angestrebten Ziele ableiten. Im Anschluss zeigt die

Arbeit die crossmedialen Herangehensweisen und inhaltlichen Konzepte auf, mit denen die Un-

ternehmen ihre Ziele zu erreichen suchen.

5.1. Annahmen, Visionen und Ziele „Der Grundpfeiler ist, dass der Online-Markt wächst, dass auch die Nutzergruppen online wach-

sen, dass sich zumindest ein teilweiser Wandel vom Printnutzer, vom Leser hin zum Online-User

vollzieht“ (SZ IF 9). Mit diesen Worten beschreibt Ralf Geisenhanslüke die entscheidende Verän-

derung, die die Strategieüberlegungen der interviewten Medienhäuser maßgeblich bestimmt (ver-

gleiche auch WK IF 2 und RP IF 9). So grundlegend der Wandel der Medien auch ist, so sicher

sind sich die Medienunternehmen auch, dass die klassische Tageszeitung weiterhin überleben und

die Zukunft der Verlage sichern wird – zumindest kurz- bis mittelfristig. „Online wird sich weiter

sehr progressiv entwickeln, die Zeitung wird zunehmend in einem Verbreitungsgebiet wie unse-

rem, das unter starkem Bevölkerungsschwund leidet, Aboverluste hinnehmen müssen und wird

trotzdem eine extrem hohe Bedeutung haben. Und für das Gemeinschaftsunternehmen Verlag

wird Online mittelfristig auch nicht die Ertragskraft haben, wie sie die Printausgabe der Tageszei-

tung hat. Die Cashcow bleibt weiter die Zeitung. Ob in zehn Jahren noch, weiß ich nicht, aber in

fünf Jahren definitiv noch“ (HNA IF 10), konstatiert Horst Seidenfaden. Rainer Maria Gefeller

prophezeit eine „Renaissance des Print“ (FNP IF 10), während der die Tageszeitung zwar nicht

mehr die alten Auflagen erreichen, aber doch eine „stabile“, eine „berechenbare Größe“ (FNP IF

10) sein werde. „Wir gehen davon aus, dass auch für die nächsten zehn Jahre Print die Erlössitua-

tion sicherstellt“ (FNP IF 1). Deshalb sei es logisch, dass die Häuser sich weiterhin auf das Kern-

geschäft Print konzentrieren, wie Lars Haider am Beispiel des Weser-Kuriers erläutert: „Es gibt ja

einige Zeitungen, einige Medienhäuser, die gehen stark in Richtung Online: Sie konzentrieren

sich zu 70 Prozent auf Online und zu 30 Prozent auf Print. Bei uns würde ich immer noch sagen,

dass wir uns zu 60 Prozent auf Print und zu 40 Prozent auf Online konzentrieren – oder sogar 70

zu 30. Das ist aber auch angemessen, wenn man sich die Erlösstruktur anguckt. Wir verdienen

heute mit Online im Jahr so viel wie mit zwei Anzeigenseiten im Weserkurier“ (WK IF 11).

Dennoch wollen die Medien die trotz dieser Einschätzungen vorhandenen Auflagenverlus-

te durch ihr Online-Engagement abfedern. Der Mannheimer Morgen versucht, „die Marktposition

der Zeitung zu stabilisieren. Der Ausbau der Online-Marktposition hilft bei der Stabilisierung des

Zeitungsproduktes“ (MAMO IF 10). Genauso die Schwäbische Zeitung: „Print ist weiterhin

Kerngeschäft, das ist das Mutterschiff, mit dem wir im Moment auch am meisten verdienen und

auch die größte Reichweite haben. Aber, das kann man ja an den IVW-Zahlen ablesen, die Aufla-

gen gehen überall zurück, bei uns zwar sehr gering, aber sie gehen trotzdem zurück. […] Wir

glauben, dass wir diese Einbrüche, die dann kommen werden, dieses Wegbrechen an Umsatz und

an Ertrag, dadurch kompensieren können, dass wir uns im digitalen Bereich engagieren“ (SZ IF

2).53 Im Vergleich zur aktuellen Situation müsse das Unternehmen im Feld der neuen Medien

wachsen, der Schwäbische Verlag geht davon aus, dass „wir […] mindestens zehn Prozent des

Umsatzes des Hauses aus dem digitalen Bereich generieren müssen, weil der Anzeigenumsatz ab-

53 IVW ist die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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nehmen wird – den Vertriebsumsatz kann man durch die Erhöhung der Preise gleichhalten, aber

den Gap im fehlenden Anzeigenumsatz werden wir auf jeden Fall durch digitale Umsätze ausglei-

chen müssen“ (SZ IF 10). Diese digitalen Umsätze sind – zumindest teilweise – Anzeigenumsät-

ze, wie Lars Haider erläutert: „Abgesehen davon geht es natürlich auch darum zu versuchen, von

den für uns entscheidenden Märkten – Kfz, Immobilien, Stellenanzeigen – den Teil nach Online

hinüber zu retten, der uns bei Print verloren geht“ (WK IF 2). Bei dieser Neuausrichtung dürfe das

Kerngeschäft jedoch nicht in Gefahr gebracht werden. Das strategische Konzept der Sächsischen

Zeitung beruht auf der Annahme, dass „Print für uns jetzt und auch mittelfristig die geschäftliche

Basis von allem ist und wir online offen schauen, wo Geschäft zu holen ist – aber wir Print nicht

gefährden würden für Online“ (SäZ IF 9) – eine Forderung, die sich auch in den Überlegungen

der Rheinischen Post wiederfindet. „Unsere Crossmedia-Strategie muss sich daran ausrichten,

dass wir zum einen weiterhin eine qualitativ hochwertige Zeitung machen, dass wir dem Leser je-

den Tag ein überzeugendes Angebot machen, dass wir auf keinen Fall dahin kommen, dass wir

aufgrund von zusätzlichen Anstrengungen im Online-Bereich die Zeitung schwächen“ (RP IF 9).

Ein weiteres wichtiges Motiv für das Online-Engagement von Medienhäusern beschreiben

Ralf Geisenhanslüke und Lutz Heuken: Ein Unternehmen müsse verhindern, dass Konkurrenten

oder auch branchenfremde Akteure den Markt besetzen. Es geht um die Tatsache, „dass, wenn wir

uns nicht im digitalen Bereich verselbständigen, das andere tun werden. Nicht unbedingt Medien-

häuser, sondern andere Unternehmen, die da ein Geschäftsfeld sehen und die damit auch selbst

Umsatz machen können. Und die haben andere Absichten als wir. Die müssen das nicht unbedingt

gewinnbringend machen, sondern die machen das vielleicht, um ihr anderes Geschäftsfeld zu för-

dern. Versicherungsunternehmen könnten das machen, um Adressen und einen Vertrauensvor-

schuss bei den Bürgern zu bekommen – und müssten deswegen keinen Gewinn machen“ (SZ IF

2). Auch die WAZ ist bestrebt, „Märkte zu besetzen, damit kein anderer hier Geld verdienen

kann. Das ist auch bei anderen Medien immer der Hintergrund. Die WAZ will hier in der Region

keine Konkurrenz haben“ (WAZ IF 9).

Im Hinblick auf die sogenannte Kannibalisierungsthese, also die Frage, ob ein umfassen-

des Online-Angebot die klassische Tageszeitung unnötig macht, gehen die interviewten Experten

davon aus, dass die Kanäle Print und Online durchaus beide nebeneinander in der Publikumsgunst

bestehen können – wenn sie mit den für den jeweiligen Kanal angemessenen Inhalten bespielt

werden. Die Gefahr, dass die Zeitung nicht mehr gelesen wird, bestehe jedoch – nämlich in dem

Fall, wenn „alles, was in der Zeitung ist, auch online [kommt]. Von der Strategie halten wir des-

halb nichts […], weil, wenn alles online ist, sich natürlich die Frage stellt, warum soll ich die Zei-

tung noch abonnieren“ (WK IF 9). Diese Strategie könne man soweit treiben, „dass man sagt, da

braucht man wirklich nicht mehr rauskommen mit der Zeitung. Es gibt keinen Grund, was will

man dann noch vermelden in der Zeitung. Man kann ja einen Online-Auftritt so perfekt machen,

so dass man definitiv keine Tageszeitung mehr braucht, ich wüsste jedenfalls nicht, wofür. Da

fehlt mir jetzt die Phantasie, zu glauben, dass es da noch eine Marktnische gibt für eine Tageszei-

tung, die einen Tag später rauskommt“ (GA IF 25). Nutzen Medienhäuser die Kanäle Print und

Online jedoch zur Veröffentlichung von kanalspezifisch aufbereiteten Inhalten – „Online ist sozu-

sagen unsere Tagesschau, und Print sind unsere Tagesthemen“ (WK IF 10) – und bieten ihren Le-

sern und Nutzern einen echten Mehrwert, trete der Kannibalisierungseffekt nicht ein (vergleiche

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Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview

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WK IF 11 und BZ IF 7). „Wir haben eine Zeit lang immer gesagt, Online kannibalisiert Print, das

glaube ich nicht. Es sind Medienwelten, die selbstverständlich auch zueinander existieren“ (FNP

IF 10) – und dabei unterschiedliche Bedürfnisse beim Publikum befriedigen können. Vorausset-

zung ist, dass man die Charakterisik der einzelnen Kanäle ernst nimmt, wie Stefan Kläsener erläu-

tert: „Die Tatsache, Printausgaben komplett während des Tages bereits ins Netz zu stellen, das

halte ich für absoluten Kannibalismus – und das bringt auch nichts. Das wird dem Medium nicht

gerecht. Wenn man heute mal schaut, wie viel Zeit man beim Durchblättern einer Tageszeitung

spart – da kann man den schnellsten Rechner haben und die Lesekomfortabilität ist noch nicht so

weit. Die Dienstleistung, die wir mit Print bringen, ist die schnelle Orientierung und das schnelle

Überblicksangebot – eben die Antwort auf die Frage, was mich an vertiefender Information inte-

ressiert. Das ist unsere Dienstleistung, nicht die Einzelnachricht, die kann heute jeder generieren,

die kann man sich zusammen googeln“ (BZ IF 7). Um eine Kannibalisierung zu vermeiden, hat

die Rheinische Post eine „klare Regelung“, die Carsten Fiedler so erläutert: „Es darf nicht der Fall

eintreten, dass sich Geschichten 1:1 am nächsten Morgen so in der Zeitung wiederfinden, wie wir

sie online ausgespielt haben“ (RP IF 2). Der Grundgedanke ist, „einen nachrichtlichen Kern onli-

ne auszuspielen und auf dieser Basis eine Weiterentwicklung der Geschichte herbeizuführen, die

sich dann am nächsten Morgen in der Zeitung wiederfindet“ (RP IF 2).

Ziel jedes Massenmediums ist es, die Zahl der Rezipienten auszubauen – und dieses Stre-

ben weiten die untersuchten Häuser im Zuge ihres crossmedialen Engagements auf alle bespielten

Kanäle aus. Es geht um Reichweite und darum, die generierten Inhalte einem möglichst breiten

Publikum zugänglich zu machen. „Unterm Strich führt das zu der Erkenntnis, dass wir dank Onli-

ne jeden Tag mit unseren redaktionellen Inhalten eine größere Reichweite haben als in den Acht-

ziger und Neunziger Jahren. HNA-Inhalte werden also mittlerweile mehr gelesen als früher“

(HNA IF 2), wie HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden erläutert. Für den Mannheimer Morgen

hat die Strategie, Reichweite zu erzielen, „erste Priorität“ (MAMO IF 7), während die Rheinische

Post im Internet große Chancen für die Zeitung sieht, „die Reichweite zu vergrößern, jüngere,

neue Leserschaften anzusprechen“ (RP IF 2). Der Hintergrund ist klar: „Wer keine Aufmerksam-

keit bekommt, wird nicht existieren können, weder im ökonomischen noch im intellektuellen Sin-

ne“ (Jakubetz 2008: 155), wie Christian Jakubetz die erwähnte Kernüberlegung formuliert. Die

intellektuelle Komponente von Jakubetz formuliert Ralf Geisenhanslüke so: „Journalistisch ist es

wichtig, weil wir einfach die Hoheit über die journalistischen Themen behalten wollen“ (SZ IF 2),

indem die Schwäbische Zeitung versucht, alle Menschen der Region zu erreichen – „egal mit wel-

chem Medium“ (SZ IF 1, vergleiche auch WAZ IF 2). Lars Haider nennt in dem Zusammenhang

die Möglichkeit, dass Zeitungshäuser ihre Märkte in Bereichen ausbauen, die Printmedien auf-

grund der im Vergleich zu elektronischen Medien fehlenden Aktualität nicht zugänglich waren:

„Wir haben damit auch zum ersten Mal die Gelegenheit, dass Konkurrenten keine Chance haben,

uns Marktanteile wegzunehmen – also zum Beispiel Radio Bremen oder die Radiosender, die bis-

her immer den Aktualitätsvorteil hatten, das haben die jetzt nicht mehr“ (WK IF 2).

Dennoch ist das Bespielen der neuen Medien bei den untersuchten Medien ein Wechsel

auf die Zukunft – die Medienhäuser hoffen, dass das crossmediale Engagement künftig die

Grundlage für die Existenz im ökonomischen Sinne (vergleiche Jakubetz 2008: 155) sein wird. So

versucht die Sächsische Zeitung nicht, Reichweite um jeden Preis zu erzielen, sondern „sie [die

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Reichweite] muss profitabel sein“ (SäZ IF 10), im Hinblick auf die Online-Aktivitäten seines Ver-

lags hofft Uwe Vetterick, „dass sich da doch noch irgendwann ein Geschäft aufbaut“ (SäZ IF 2).

Diese Hoffnung hegt auch Stefan Kläsener: „Ich bin der Auffassung, wir können Qualitätsjourna-

lismus mittelfristig nur refinanzieren, wenn wir auch die Reichweite hochhalten. Sonst gibt es

keine Werbeerlöse“ (BZ IF 2). Der Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung spricht damit ge-

nau die ökonomische und intellektuelle Strategie-Komponente von Christian Jakubetz an. Stefan

Kläsener: „Das Entscheidende ist, dass die Leute mir trauen und mich nachfragen. Das ist das,

was ich mit Reichweite meine. Wenn wir unterm Strich die Reichweite halten können oder sogar

ausbauen durch die neuen Kanäle, dann ist journalistisch viel gewonnen und irgendwann auch

verlegerisch“ (BZ IF 4). Für Kläsener ist das anzustrebende Ziel klar: „Mein Wunschtraum wäre,

dass wir eine halbwegs ausgewogene Mischung aus Erlösen aus dem Lesermarkt wie auch aus

dem Anzeigenmarkt haben werden. Ich möchte nicht künftig journalistisch einen Einzelkanal ver-

antworten, der sich ausschließlich über Werbung finanziert. Das halte ich für relativ gefährlich,

weil wir in der bundesdeutschen Zeitungsgeschichte sehr, sehr gute Erfahrungen gemacht haben

mit dieser Doppelfinanzierung aus Vertriebserlösen und Anzeigenerlösen“ (BZ IF 10). Grundlage

dafür ist jedoch, dass Medien im crossmedialen Markt die „Bereitschaft finden, dass Leute sagen,

für diese Dienstleistung bezahle ich, vorausgesetzt, die Qualität stimmt“ (BZ IF 10).

Die Visionen und Ziele scheinen bei den untersuchten Häusern klar zu sein, eine eindeuti-

ge Vorstellung, wie die Existenz im ökonomischen Sinne gesichert werden kann, hat jedoch kei-

nes der Unternehmen – nach Auffassung von Lars Haider kein Wunder, „weil es eben niemanden

gibt, der eine Idee hat, wie man mittelfristig wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Journalistisch ist

ja einfach. Stellen Sie sich mal vor, den Weser-Kurier gäbe es umsonst, dann hätten wir morgen

eine Auflage von einer Million“ (WK IF 13).

In der Regel bieten die untersuchten Medienhäuser keine umfangreichen Paid-Content-

Angebote über ihren Online-Kanal an (vergleiche unter anderem FNP IF 7, HNA IF 7, BZ IF 7,

GA IF 7, WAZ IF 7 und WK IF 7). Tobias Döpker verweist auf die Tatsache, dass der Mannhei-

mer Morgen mit seiner Paid-Content-Strategie nicht erfolgreich gewesen sei und den geschlosse-

nen Bereich in mehreren Schritten wieder freigegeben habe. „Ich glaube nicht, dass der Schritt,

den wir Anfang 2000 schon einmal hatten und bei dem man den kompletten Inhalt geschlossen

hat, mittelfristig Erlöse generieren würde“ (MAMO IF 7). Eine Ausnahme stellt die Sächsische

Zeitung dar, die ihre exklusiven Inhalte auf der Online-Plattform nur gegen Bezahlung freischal-

tet. „Es gibt bei uns Paid-Content-Angebote, sie folgen im Grunde dem Muster, dass alle Inhalte,

die mehrheitlich exklusiv bei uns sind, bezahlt werden müssen“ (SäZ IF 7). Die SäZ habe in die-

sem Bereich „einen bescheidenen, aber gleichwohl stetigen Zuwachs, also die Abo-Zahlen steigen

jedes Quartal, wir sind aber weit davon entfernt, perspektivisch irgendwann wirtschaftlich arbei-

ten zu können“ (SäZ IF 7), wie Chefredakteur Uwe Vetterick erläutert. Die Sächsische Zeitung

weist auf ihrem frei zugänglichen Online-Auftritt auf die exklusiven Inhalte hin: Wer diesen Con-

tent nutzen will, muss entweder die Zeitung kaufen oder wird mit einem Link in den Bezahlbe-

reich des Online-Auftritts geführt (vergleiche SäZ IF 19).

Die Experten gehen nicht davon aus, dass sich Online-Angebote, die in der Hauptsache

die auf dem Medienmarkt frei verfügbaren und nicht-exklusiven Nachrichten anbieten, zu Paid

Content entwickeln lassen. „Ich glaube, dass die Leute nicht zahlen werden, es wird nicht möglich

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Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview

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sein, großflächige Online-Angebote im klassischen Sinne von Tageszeitungen plötzlich in Paid

Content umzuwandeln. […] Es wird immer genug Anbieter geben, die das kostenlos machen“

(GA IF 7). Alle Medienhäuser begründen ihre Auffassung ähnlich: Warum sollten Nutzer für In-

halte zahlen, die sie bei anderen Anbietern kostenlos bekommen? Nach Meinung von Lutz

Heuken wird es nicht gelingen, „das, was in der Zeitung offline steht, sich online bezahlen zu las-

sen – solange oder weil es andere gibt, die das nicht mitmachen und Content umsonst anbieten

werden. Dann werden die Nutzer zu denen gehen“ (WAZ IF 7). Rainer Maria Gefeller glaubt im

Gegenteil, dass eine Strategie, die ausschließlich auf Paid Content setzt, negative Auswirkungen

für den Internet-Auftritt hat. „Das vergrätzt die Leute, die man hat“ (FNP IF 7). Bedingung für ei-

nen solchen Strategiewechsel wäre die Gewähr, dass alle Konkurrenten, die um die Aufmerksam-

keit der Rezipienten werben, den Schritt mitgehen. „Ich glaube an Paid Content erst, wenn das

wirklich alle machen. Aber grundsätzlich, wenn immer zwei, drei Verlage ausscheren und man

die Informationen ja woanders auch umsonst bekommt, wird das ganz schwierig“ (WK IF 7).

Eine Ausnahme bildet das E-Paper, also die im Internet abrufbare elektronische Version

der Print-Ausgabe, die unter anderem die Braunschweiger Zeitung (vergleiche BZ IF 7), der

Mannheimer Morgen (vergleiche MAMO IF 7) und die Rheinische Post (vergleiche RP IF 7) an-

bieten. Während Lars Haider diese Vertriebsform für den Weser-Kurier in den kommenden Jah-

ren als erfolgversprechend einschätzt (vergleiche WK IF 7), ist Tobias Döpker von der aktuellen

Nachfrage nach dem Mannheimer Morgen als E-Paper überrascht. „Wir haben nicht damit ge-

rechnet, dass wir da so viele Abonnenten für Online-Abos haben. Aber es gibt sie, und sie sind

auch, nachdem wir vom geschlossenen Bereich den Rest geöffnet haben, nicht weniger gewor-

den“ (MAMO IF 7). Die Rheinische Post bietet im Moment über ihr E-Paper-Angebot hinausge-

hend probeweise Schwerpunktthemen und Dossiers an, die speziell für den Online-Kanal aufbe-

reitet und als Paid Content vertrieben werden (vergleiche RP IF 7).

Der Weg, den die Rheinische Post mit den kostenpflichtigen Online-Dossiers beschreitet,

entspricht genau den Ansätzen, die Rainer Maria Gefeller und Stefan Kläsener als Idee und Ralf

Geisenhanslüke als Strategieoption formulieren. „Wenn ich mir vorstellen kann, dass der Inhalt

hochnutzwertig ist, dass es von großer Bedeutung für bestimmte Leute ist, dass du Content hast,

den du woanders nicht bekommst, dann bin ich vielleicht bereit, dafür Geld zu bezahlen“ (FNP IF

7), sagt der FNP-Chefredakteur Gefeller. Aber „das geht alles nur, wenn die Qualität stimmt“ (BZ

IF 2), wie Stefan Kläsener erklärt. „Die reine Homepage, also das, was man manchmal auch

,quick and dirty‘ nennt, also die schnelle Überblicksinformation, wird kostenfrei bleiben. Aber

dahinter wird es eine Schranke geben, mit der man sagt, die eigentlich journalistische redaktionel-

le Leistung dahinter ist, egal ob du jetzt Print-Abonnent bist oder ob du eine mobile Applikation

hast oder ob du einen Internet-plus-Zugang zu Content hast, jetzt kostenpflichtig“ (BZ IF 7). Für

Ralf Geisenhanslüke steht die Medienbranche an dem Punkt, an dem die Häuser eine „Richtungs-

änderung vornehmen müssen“ (SZ IF 7) – und zwar weg von der Herangehensweise, dass die

gleichen Inhalte, die in der Zeitung kostenpflichtig angeboten werden, online kostenfrei zu haben

sind. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir viele unserer Inhalte nur noch verkaufen dürfen, dass

wir auf Dauer nicht mehr sagen dürfen, was wir haben, können wir jetzt in irgendwelchen Kanä-

len kostenlos anbieten. Die Frage der Preisstruktur wird sich auf der anderen Seite stellen, es wer-

den Fragen sein, wie teuer darf das sein, wo ist die Akzeptanz, was muss da drinstehen. […] Ich

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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werde nicht dauerhaft Inhalte kostenlos anbieten, die ich jetzt gegen Geld in der Zeitung verkaufe.

Und dass das durch Werbung gegenfinanziert wird, da hat man gesehen, dass das nicht reichen

wird“ (SZ IF 7). Grundvoraussetzung für eine solche Strategie ist nach Auffassung

Geisenhanslükes die eindeutige Schwerpunktsetzung beim Bespielen der einzelnen Medien: Jeder

Kanal muss ein klares Profil haben, damit der Rezipient jeweils kanalspezifisch aufbereitete In-

halte findet, für die er aufgrund des Mehrwerts bereit ist, ein kostenpflichtiges Angebot zu akzep-

tieren. Ohne diese Schwerpunkte, den sogenannten uniquen Inhalt, „bekommen wir die einzelnen

Medien nicht abgetrennt und können dann, das ist das Entscheidende, nicht in eine Bezahlstrate-

gie wechseln. Ich kann nicht für Inhalte Geld nehmen, die ich woanders kostenlos anbiete. Das

heißt, da muss ich trennscharf differenzieren und sagen, da nehme ich nur das rein, das ist dann

kostenlos – und für mehr Inhalte, für eine andere Qualität nehme ich wieder Geld“ (SZ IF 5).

Die Mehrzahl der interviewten Experten geht davon aus, dass die oben skizzierte Bezahl-

strategie nur auf mobilen Endgeräten, und nicht im Bereich des stationären Internets zu realisieren

ist. Lutz Heuken hat die Befürchtung, „dass Online für Zeitungen schon fast ausgereizt ist“ (WAZ

IF 10), vorstellbar sei jedoch, „dass es dahin geht, dass man auf Tablets Zeitungen spielt, die

abonniert werden, das wäre dann anders als die heutigen Online-Portale und eine Alternative zur

Zeitung mit eingespielten Bewegtbildern“ (WAZ IF 10). Stefan Kläseners Überlegungen gehen in

die gleiche Richtung: „Ich glaube nicht, dass sich das [Paid Content] im Bereich des stationären

Internet überall durchsetzen wird, es wird sich aber auf mobilen Endgeräten durchsetzen. Die

Leute werden es akzeptieren, wenn sie im Flieger nach Singapur auf dem iPad eine sehr qualifi-

zierte tiefgehende Berichterstattung der Zeitung abrufen können“ (BZ IF 7). Realistische Entwick-

lungsmöglichkeiten für bezahlte Inhalte erkennt auch Uwe Vetterick nur im Bereich mobiler End-

geräte. Beim stationären Internet „sehe ich für Paid Content keine Zukunft. Beim mobilen Inter-

net, also alles, was sich jetzt über den Smartphone-Markt auftut, da würde ich mich nicht negativ

festlegen wollen“ (SäZ IF 7). Andreas Mühl geht sogar davon aus, dass „die klassischen Online-

Auftritte irgendwann vom Markt gefegt sind. Ich weiß gar nicht, ob das noch lange funktioniert.

Ich glaube eher, dass es den Generalanzeiger in fünf Jahren als Print-Ausgabe gibt und als Online-

Bezahlstrecke über so ein iPad“ (GA IF 25). Tablet-Computer, wie das iPad des amerikanischen

Herstellers Apple, spielen bei den Strategieüberlegungen der meisten untersuchten Medienhäuser

eine Rolle. Carsten Fiedler sieht die Möglichkeit, „Apps auf dem iPad von vornherein kosten-

pflichtig anzubieten. Wenn man entsprechende Inhalte bündeln kann, die wirklich einen deutli-

chen Mehrwert bieten zu dem, was man täglich im Internet bekommt oder auch am nächsten Tag

in der Zeitung lesen kann, dann kann ich mir gut vorstellen, dass dieses Modell funktioniert“ (RP

IF 7). Die interviewten Experten gehen davon aus, dass sich im Bereich Tablet-Computer für re-

gionale Medienhäuser sowohl journalistische Angebote als auch wirtschaftliche Möglichkeiten

entwickeln werden (vergleiche unter anderem BZ IF 10, WAZ IF 10 und GA IF 25).

Bei der Entwicklung ihrer Strategien beobachten die untersuchten regionalen Medienhäu-

ser die Branchenführer – insbesondere den Axel-Springer-Verlag – sehr genau und versuchen aus

deren Aktivitäten Handlungsoptionen für sich abzuleiten (vergleiche unter anderem FNP IF 7,

SäZ IF 13 und RP IF 7). Explizit als Follower im Strategiebereich – im Gegensatz zu First-

Movern – haben sich die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine und die Sächsische Zeitung be-

zeichnet. Die „blutigen Nasen sollen sich andere holen mit ihren Versuchen. Wir gucken uns dann

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das Modell ab, was am ertragreichsten ist“ (HNA IF 7), erklärt HNA-Chefredakteur Horst Seiden-

faden in diesem Zusammenhang, während Uwe Vetterick die Herangehensweise der Sächsischen

Zeitung so beschreibt: „Wir haben beschlossen, wir müssen nicht die Ersten sein mit allen Din-

gen, sondern haben den Markt permanent im Auge, schauen, was läuft bei anderen gut, und gehen

das sofort und auch entschlossen für uns an“ (SäZ IF 13).

5.2. Strategische Ansätze, Zielgruppen und Abläufe Eine crossmediale Strategie basiert im Idealfall immer auf einer publizistischen Idee: auf der Fra-

ge, wie ein Medienhaus ein Publikum über mehrere Verbreitungskanäle ansprechen und welche

Zielgruppen ein Unternehmen mit seinen Kanälen erreichen will. Praktisch stellt sich die Frage,

ob die in den verschiedenen Medien veröffentlichten Inhalte die gleichen sind, ob sie aufeinander

abgestimmt werden – oder ob die Redaktionen, die die einzelnen Kanäle bespielen, vielmehr un-

abhängig voneinander arbeiten und eine eigene Veröffentlichungsphilosophie entwickeln sollen.

Die grundlegenden strategischen Ansätze – die Strategie der Mehrfachverwertung, die Strategie

der Komplementarität und die Strategie der Autonomie – hat das Kapitel 2.3. dieser Arbeit vorge-

stellt. Eng verknüpft mit der Wahl der Strategie ist die prinzipielle Entscheidung hinsichtlich der

Zielgruppe der Angebote (vergleiche Meyer 2005: 162).

Die zehn untersuchten regionalen Medienhäuser siedeln sich in der Strategiefrage jeweils

zwischen Mehrfachverwertung und Komplementarität an. Entweder beschreiben die Unternehmen

wie die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine und die Frankfurter Neue Presse bei der Herange-

hensweise eine Mischform, die sowohl Merkmale der Mehrfachfachverwertung als auch der

Komplementarität aufweist (vergleiche HNA IF 3 und FNP IF 3), oder sie benennen die komple-

mentäre und integrative Vernetzung der Kanäle als Ziel, das sie in den kommenden Jahren errei-

chen wollen. Der Mannheimer Morgen, der in den Anfangsjahren seines Online-Engagements die

bespielten Kanäle unabhängig voneinander agieren ließ, sieht sich jetzt auf dem Weg von der

Mehrfachverwertung zur Komplementarität. „Wir haben natürlich die Inhalte aus der Zeitung im

Internet, versuchen sie aber dann, in Online durch inhaltliches Weiterdrehen und durch Bilder, Fo-

tostrecken, Videos, Stimmen, und Kommentarfunktionen interaktiv aufzuwerten und den User in

das Produkt einzubinden. Ich denke, es ist so eine Mischstrategie. Es sind die Inhalte aus der Zei-

tung, wobei wir in Online Schwerpunkte setzen“ (MAMO IF 3). Auch die Braunschweiger Zei-

tung und der Bonner Generalanzeiger versuchen, ihre Kanäle mehr und mehr komplementär zu

vernetzen, um von der Mehrfachverwertung, bei der Inhalte unverändert von Print nach Online

übernommen wurden, wegzukommen (vergleiche BZ IF 3 und GA IF 3). Dabei ist – bei der

Westdeutschen Allgemeinen Zeitung genauso wie bei den übrigen untersuchten Häusern – trotz

allem klar, dass die Inhalte der Print-Ausgabe die Grundlage für die Online-Ausgabe bilden, wie

Lutz Heuken verdeutlicht: „Wir verwerten natürlich Sachen, die wir in Print sowieso haben, und

stellen sie online, oft in längerer Form, gerade Korrespondentenartikel, wir ergänzen Sachen also

durch Online. […] Aber natürlich ist Print schon die Grundlage für unseren Online-Auftritt, das

ist nicht vollkommen getrennt“ (WAZ IF 3). Lars Haider spricht von einem „Pingpong“-Effekt,

den er mit der Vernetzung seiner Kanäle anstrebt: „Aber dass wir Geschichten auch aufbauen,

diese Pingpong-Nummer, dass die Geschichten in Online oder in Print beginnen und dann in an-

deren Kanälen weitergespielt werden, […] da stehen wir nicht am Anfang, aber da sind wir erst

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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bei zehn Prozent“ (WK IF 3). Für Ralf Geisenhanslüke gibt es zum integrativen Ansatz keine Al-

ternative, da dieser „am effektivsten“ und „zielorientiert“ ist: „Und das alles wollen wir nach und

nach zusammenführen, dabei muss man jedoch immer die Inhalte entsprechend den Medien auch

unterschiedlich gestalten. Ich glaube, grundsätzlich sollte man es komplementär anlegen, weil

man da die größte Wirkung erzielen kann“ (SZ IF 3). Die Rheinische Post schafft es nach Anga-

ben von Carsten Fiedler bereits, umfassende Themen in speziell für diesen Zweck gegründeten

Teams integrativ aufzubereiten und die Berichterstattung komplementär über alle Kanäle zu orga-

nisieren: „Bei großen Themenlagen […] arbeiten wir so, dass wir eine crossmediale Themenpla-

nung machen und eine Task Force aus RP- und RP-Online-Mitarbeitern bilden. Dann überlegen

wir, welche Geschichten wollen wir eigentlich wie aufbereiten, welche Geschichten spielen wir

online aus, welche Geschichten wollen wir in der Zeitung anbieten. Wir sind da schon relativ

weit, aber wir müssen diese Herangehensweise noch stärker in unsere alltägliche Arbeit und unse-

re Planungsprozesse implementieren“ (RP IF 3).

Am defensivsten in Bezug auf die komplementäre Vernetzung agiert die Sächsische Zei-

tung, die ihren Schwerpunkt klar auf die Mehrfachverwertung legt. Chefredakteur Uwe Vetterick

meldet grundsätzliche Zweifel an, ob eine solche Vernetzung für sein Medium überhaupt funktio-

nieren kann. Für ihn stellt sich die Frage, „ob es wirklich diese Doppeleffekte gibt zwischen Onli-

ne- und Print-Lesern, also ob unsere Print-Leser tatsächlich auch parallel zur Sächsischen Zeitung

den Online-Kanal nutzen und die Komplementarität dadurch herstellen“ (SäZ IF 3). Auch Ralf

Geisenhanslüke schränkt die Möglichkeit einer vollkommenden Komplementarität im Verständnis

eines Erzählens von einer Geschichte über mehrere Kanäle hinweg ein, indem er die Forderung

aufstellt, dass die in den einzelnen Medien veröffentlichten Geschichten für sich alleine stehen

müssen: „Wir erzählen komplementär eine Geschichte über die verschiedenen Kanäle weiter, aber

jede Geschichte muss in sich selbst und in jedem Medium abgeschlossen sein. Ich glaube, man

kann nicht online sagen, den Rest lesen Sie morgen in der Schwäbischen Zeitung. Der Nutzen

sollte schon der sein, dass die Geschichte in jedem Medium abgeschlossen erzählt ist. […] Man

darf nicht den Fehler machen, zu sagen, man braucht mehrere Medien, um komplett informiert zu

sein“ (SZ IF 4). Hier stellt sich die Frage, inwieweit sich aus dieser Forderung für den Rezipien-

ten, der die Print- und die Online-Ausgabe nutzt, Wiederholungen ergeben – gerade vor dem Hin-

tergrund der Forderung, dass sichergestellt werden muss, „dass durch crossmediale journalistische

Aussagenproduktion ein Nachrichtenstrom entsteht, bei dem sich jede medienvermittelte Bot-

schaft auf die jeweils vorherige, über einen anderen Kanal vermittelte Botschaft bezieht“.54

Im Hinblick auf das angesprochene Publikum gehen die Hessisch-Niedersächsische All-

gemeine und die Sächsische Zeitung davon aus, dass sie mit ihren Online- und Print-Angeboten

jeweils die gleiche Zielgruppe erreichen. Den Anteil der Doppelnutzer, also der Leser der Print-

Ausgabe, die auch regelmäßige Nutzer der Online-Plattform sind, gibt HNA-Chefredakteur Horst

Seidenfaden mit rund 50 Prozent an, bei der SäZ geht Uwe Vetterick sogar von einer Schnittmen-

ge aus, die über dieser Marke liegt (vergleiche HNA IF 4 und SäZ IF 4). Auch die Braunschwei-

ger Zeitung und der General-Anzeiger versuchen wie der Mannheimer Morgen mit ihren Kanälen

jeweils eher die gleiche Zielgruppe anzusprechen (vergleiche BZ IF 4, MAMO IF 4 und GA IF 4).

54 Borowski 2003: 245. Karin Borowski analysiert vor diesem Hintergrund das komplementäre Konzept der Fi-nancial Times Deutschland, vergleiche dazu das Kapitel 2.3.3. dieser Arbeit.

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„Das sind natürlich ähnliche Zielgruppen, was wir ja auch an den Reaktionen merken, weil die

Zielgruppen wirklich beides konsumieren“ (GA IF 4), für Stefan Kläsener ist die Schnittmenge

der Zielgruppen größer, „als viele Leute uns glauben machen wollten“ (BZ IF 4).

Die Frankfurter Neue Presse geht von verschiedenen Zielgruppen aus, die sie mit ihren

beiden Kanälen jeweils erreicht, der Anteil der Doppelnutzer „ist relativ gering – unter zehn Pro-

zent“ (FNP IF 4). Für die WAZ beschreibt Lutz Heuken ein ähnliches Phänomen: „Die User sind

mit unseren Lesern weitestgehend nicht identisch. Wir haben eine relativ alte, traditionelle Leser-

schaft. Wenn wir die Zeitung 1:1 einstellen würden, könnten wir online keinen Blumentopf ge-

winnen. […] Es sind unterschiedliche Zielgruppen, wobei die sich natürlich überschneiden kön-

nen. Als das mit Online anfing, hatten wir kaum Doppelnutzer, das ist jetzt nicht mehr so“ (WAZ

IF 4). Auch die Rheinische Post spricht mit ihrer Tageszeitung „eine andere Zielgruppe an als mit

RP Online. Es gibt natürlich hin und wieder Überschneidungen, aber letztendlich sind diese Über-

schneidungen in einem Bereich von zehn bis 15 Prozent zu sehen“ (RP IF 4). Lars Haider geht

davon aus, dass sich die Rezipienten der Print-Ausgabe und die Rezipienten der Online-Ausgabe

in Zukunft annähern werden – im Moment seien das beim Weser-Kurier noch „relativ unter-

schiedliche Zielgruppen. […] Dass die Überschneidung nur bei fünf Prozent liegt, wird sich mit-

tel- bis langfristig ändern“ (WK IF 4). Es werde einen Mix aus Online- und Print-Nutzung geben:

Den schnellen Nachrichtenüberblick werde der Rezipient online suchen, „wenn man aber schön

lesen will, sich zurückziehen will, geht man zu Print“ (WK IF 4).

Ralf Geisenhanslüke will die unterschiedliche Charakteristik der Kanäle als Chance nut-

zen, um so die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen zu befriedigen: „Wir können mit den

verschiedenen Medien verschiedene Zielgruppen ansprechen und hoffen, dass wir da konvergente

Effekte haben“ (SZ IF 4), um in einem zweiten Schritt Zielgruppen, für die Print keine Alternative

mehr ist, wieder an den Kanal heranzuführen. Wenn ein Haus es schafft, die Marke „auf Online

zu übertragen, haben wir zum einen eine bessere Affinität in der Online-Nutzung, zum anderen

schaffen wir mit der Markenübertragung vielleicht eine Bereitschaft, später auch wieder Zeitung

zu lesen“ (SZ IF 9). Auslöser der Entwicklung ist für Ralf Geisenhanslüke die Tatsache, dass

„sich zumindest ein teilweiser Wandel vom Printnutzer, vom Leser hin zum Online-User voll-

zieht, dass wir diesen Wandel auch mit unserer Marke schaffen müssen“ (SZ IF 9).

Das Motiv, jüngere Leser wieder an die Tageszeitung heranzuführen oder mit den bespiel-

ten Kanälen neue Zielgruppen zu erschließen, gehört bei den meisten der untersuchten Medien-

häusern zu den grundlegenden Überlegungen bei der Strategieentwicklung. Die WAZ versucht

durch das Online-Engagement, „in Schichten reinzukommen, die wir mit der Zeitung nicht oder

nicht mehr erreichen und diese Schichten eventuell über Online und über das Setzen von Marken

wieder an die Zeitung heranzuführen“ (WAZ IF 9), das versucht auch der Weser-Kurier (verglei-

che WK IF 11), der zudem aber noch die Chance sieht, „über Online auch die zu erreichen, denen

die Zeitung eigentlich zu teuer ist, die sich die Zeitung nicht mehr leisten können“ (WK IF 4). Das

Ziel der HNA ist es, „mit Blick auf die jüngere Generation […] in die Köpfe reinzukommen, und

zwar nicht als Zeitung, sondern als Marke“ (HNA IF 4). Die FNP will „die jüngeren Leute abgrei-

fen, die mit uns nichts zu tun haben, die sich aber gleichwohl für die Region interessieren. Die

sollen zu uns kommen, bei uns nachschauen, wenn irgendetwas in der Region los ist“ (FNP IF 4).

Die Ansprache von „jüngeren, neuen Leserschaften“ (RP IF 2) ist auch eines der Motive, mit der

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die Rheinische Post ihr Internet-Engagement begründet. Neben der Ansprache von Nutzern, „die

wir mit der Tageszeitung nicht erreichen“, probiert der Mannheimer Morgen, „mit dem Internet-

kanal die Ränder über das Printverbreitungsgebiet hinaus zu schieben“ (MAMO IF 1).

Im Hinblick auf die Kenntnisse über ihre Rezipienten ist festzustellen, dass die meisten

der untersuchten Medienhäuser nur sehr wenig über die Nutzer ihrer Online-Angebote wissen –

und auch nicht alle Unternehmen eine klare Vorstellung von den Lesern ihrer Print-Ausgabe ha-

ben. Der Weser-Kurier, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, die Schwäbische Zeitung, der Ge-

neral-Anzeiger und der Mannheimer Morgen führen zwar Nutzerbefragungen für Print durch und

können aus diesem Grund ihren typischen Leser relativ gut beschreiben, haben jedoch so gut wie

keine Daten über ihre Online-Nutzer (vergleiche WK IF 11, WAZ IF 11, SZ IF 11, GA IF 12 und

MAMO IF 12). Beim Weser-Kurier ist nach Angaben von Chefredakteur Lars Haider eine Befra-

gung der Nutzer des Online-Angebotes geplant, sobald der Relaunch der Plattform abgeschlossen

ist. Die Neuausrichtung der Print-Ausgabe habe sich auf eine Umfrage der Tageszeitungsleser ge-

stützt (vergleiche WK IF 12). Bei der Braunschweiger Zeitung und bei der Frankfurter Neuen

Presse gibt es keine tiefergehenden Leseranalysen und auch keine Befragungen der Online-Nutzer

(vergleiche FNP IF 12 und BZ IF 12), die BZ gründet ihre Strategieentscheidungen teilweise auf

die demographischen Daten ihres Verbreitungsgebietes (vergleiche BZ IF 9), die FNP die ihrigen

auf Vertriebsdaten und Marktbeobachtungen (vergleiche FNP IF 12). Stefan Kläsener räumt diese

Schwäche offen ein: „Was jetzt die Nachfrage nach journalistischen Content angeht, also welche

Gruppe liest was am liebsten, das steckt noch ziemlich in den Kinderschuhen“ (BZ IF 12), und

„ein Stück weit ist der User genauso ein unbekanntes Wesen, wie es der Leser viele Jahre lang

war“ (BZ IF 11). Die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine und die Sächsische Zeitung gründen

ihre Print-Ausrichtung zu einem Teil auf Readerscan-Analysen55 (vergleiche HNA IF 13 und SäZ

IF 12) und nutzen die Nutzungsdaten ihrer Online-Plattform zur Steuerung: die SäZ zur Ausrich-

tung des Online-Angebotes, die HNA zur Ausrichtung des Print- und Online-Angebotes. „Für On-

line sehen wir natürlich die Vorlieben, das ist ja der Vorteil von Online, eigentlich noch viel bes-

ser als beim Readerscan, weil sie sofort sehen, worauf zugegriffen wird und welche Inhalte den

meisten Traffic erzeugen. Danach richten wir Online auch im Kern aus, nicht absolut, aber im

Kern“ (SäZ IF 12). Die HNA geht dabei noch einen Schritt weiter: „Was in Online topinteressant

ist, ist auch in Print topinteressant, definitiv. Es führt nicht zu einer Boulevardisierung der Zeitung

in dem Sinne, dass man sagt, ihr macht ja nur noch den Mainstream, sondern wir machen zum al-

lerersten Mal das, was die Leute tatsächlich interessiert“ (HNA IF 11). Von den untersuchten

Häusern ist die Rheinische Post in Bezug auf die Nutzerforschung am weitesten: Der sogenannte

Medienmonitor erfrage die Nutzerwünsche des Publikums (vergleiche RP IF 11). „Das ist eine re-

präsentative Befragung für Print und Online, die wir regelmäßig machen in unserer Leserschaft.

Und aus dieser heraus ziehen wir diese Erkenntnisse“ (RP IF 12).

Die These von Klaus Meier, dass sich das Leitmotto „Online first“ zu „News Online first“

verschieben wird, dass also die journalistische Form das entscheidende Kriterium bei der Frage

sein wird, ob ein Thema zuerst über den Online-Kanal veröffentlicht wird, Nachrichten erscheinen

sofort im Internet, Hintergrundstücke und längere Features nicht, hat sich bei den untersuchten

55 Readerscan ist eine elektronische Methode zur Erfassung des Leseverhaltens bei Printmedien.

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Häusern nicht bestätigt (vergleiche Kapitel 2.4. dieser Arbeit). Vielmehr machen die Medienhäu-

ser diese Entscheidung an der Konkurrenzsituation fest: Ziel ist es nach wie vor, exklusiv gene-

rierte Inhalte für die Print-Ausgabe vor der Konkurrenz zu schützen – und auch der von Klaus

Meier prophezeite mittelfristige Trend zu „Scoops Online first“ ist nicht absehbar. „Wir halten

Scoops und exklusive Geschichten für Print zurück. Das, was alle anderen auch haben können,

kommt sofort online“ (WK IF 20), erläutert Lars Haider die Strategie des Weser-Kurier. Die FNP

agiert ähnlich: „Was in der Welt ist, muss raus“ (FNP IF 5), sagt Rainer Maria Gefeller, um in ei-

nem zweiten Schritt aber einzuschränken: „Nur Dinge, die wir selber recherchieren, oder Ideen,

die wir selber haben für Print, die wollen wir dann nicht schon am Vorabend verbreiten“ (FNP IF

20). Auch der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung ist „aus der Praxis heraus die Exklusivität für

Print wichtiger“ (WAZ IF 20) – ansonsten jedoch „gilt Online first. Online muss bedient werden,

bei Sachen, die auf dem Markt sind, wird das aktuell gemacht“ (WAZ IF 1). Auch die Braun-

schweiger Zeitung hält exklusives Material zurück, jedoch nicht in erster Linie, um die Informati-

on zuerst im Print zu bringen, sondern um zu verhindern, dass die Konkurrenz die Informationen

für ihre Print-Ausgabe nutzt: „Man könnte vielleicht sagen, wir denken zuerst an Online. Bei ex-

klusiven Nachrichten lassen wir Print den Erstaufschlag, wobei der Erstaufschlag auch nicht

wichtig ist, wir stellen die Nachrichten um 1 Uhr ins Netz. […] Wenn wir eine Information um 21

Uhr reinstellen, wenn definitiv die Information kein anderer mehr verifizieren kann, weil die Leu-

te nicht mehr erreichbar sind, dann würde die Konkurrenz das trotzdem covern“ (BZ IF 20).

Der Mannheimer Morgen entscheidet von Fall zu Fall, ob Informationen zuerst im Online-

Kanal veröffentlicht werden. Die Redaktion wägt ab, ob die Informationen ein Alleinstellungs-

merkmal für die Zeitung sein können, ob sie nachrecherchierbar sind und ob die Nachricht im

Laufe des Tages auch anderen Medien zugänglich wird (vergleiche MAMO IF 20). Ziel ist es je-

doch, den Scoop schon am Vortag online zu setzen mit Verweis auf die Print-Ausgabe: „Aber an-

gestrebt ist es schon, dass die Nutzer des Morgen-Web am Vortag erfahren, dass am nächsten Tag

eine große Exklusivgeschichte im Mannheimer Morgen steht. […] Da muss man die Zeitung ein

bisschen schützen, weil schließlich eine Leistung dahinter steckt, die nicht so einfach an Mitbe-

werber verschenkt werden kann. Das muss man schon von Fall zu Fall entscheiden“ (MAMO IF

20). Der Weser-Kurier verfolgt ebenfalls diese Strategie und versucht, auf exklusive Print-Inhalte

im Vorfeld online hinzuweisen: „Alles, was wir exklusiv haben, wird online angekündigt, dann

aber auf Print verwiesen“ (WK IF 1). Der General-Anzeiger entscheidet nach der Relevanz des

exklusiven Materials: „Wir werden sicherlich nicht jede exklusive Geschichte online spielen. Wir

werden exklusive Geschichten nur dann online veröffentlichen, wenn sie eine extrem hohe Rele-

vanz haben. Exklusivität wird heute über Online definiert und nicht mehr über Print“ (GA IF 20).

Die Sächsische Zeitung schützt ihre exklusiven Inhalte, „All das, was wir mehrheitlich

exklusiv haben, wird im Online-Kanal nicht freigestellt, ist also nicht frei verfügbar, und all das,

was wir mehrheitlich nicht exklusiv haben, ist online frei verfügbar“ (SäZ IF 1), begründet diese

Herangehensweise jedoch im Unterschied zu den oben genannten Häusern mit geschäftlich-

monetären Zielen: „Bei uns gilt nicht Online first. Wir halten exklusive Geschichten für Print zu-

rück. Für uns gilt Money first. Wenn wir damit Geld verdienen können, werden wir es nicht ver-

schenken“ (SäZ IF 20). Im Unterschied dazu agiert die Schwäbische Zeitung wesentlich offensi-

ver: Die exklusiv recherchierten Inhalte werden nicht für den Print-Kanal geschützt, sondern sol-

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len im Gegenteil die Relevanz des Online-Kanals stärken. „Wir halten Scoops nicht für Print zu-

rück, sonst kann Online nicht wachsen und bekommt nicht die Bedeutung, die wir brauchen“ (SZ

IF 20). Die Tatsache, dass diese Strategie noch nicht vollkommen umgesetzt ist, erklärt Ralf

Geisenhanslüke mit dem noch fehlenden Selbstbewusstsein der Redaktion. „Wir haben in Wett-

bewerbsregionen noch Schwierigkeiten, dass die Redaktion selbstbewusst genug ist und sagt, wir

machen auch da Online first, weil wir die besseren Inhalte haben. Selbst wenn der Wettbewerber

die gleiche Nachricht hat, hat er sie nicht so gut […]. Wir sagen noch nicht, wir haben so eine

große Reichweite mit dem Online-Auftritt, dass es uns wichtiger ist, die Information Online first

zu haben statt Print only“ (SZ IF 20). Die HNA verfolgt eine ähnliche Zielsetzung. „Grundsätzlich

ist es so: Die Nachricht ist da, dann geht sie erst einmal über das schnellste Medium raus – und

das schnellste Medium ist Online“ (HNA IF 20), erklärt Horst Seidenfaden, der jedoch auch ein-

schränkt: „Exklusivgeschichten, die wir im regionalen Umfeld mehrere Male in der Woche haben,

da sagen wir schon, okay, das erscheint nur im Print“ (HNA IF 17).

Für die Rheinische Post ist im Zusammenhang mit dem Leitmotto „Online first“ neben der

Konkurrenzsituation noch ein anderes Kriterium entscheidend: die Frage nach der komplementä-

ren Ergänzung zwischen Print- und Online-Kanal: „Es gibt bei uns nicht das Prinzip Online first,

sondern es gibt bei uns das Prinzip, welche relevanten Geschichten müssen wir online spielen und

welche Geschichten, bei denen wir selbst auch Nachrichten produzieren, können wir frühzeitig

online ausspielen, ohne dass wir die Geschichte in der Zeitung damit torpedieren. Wenn wir eige-

ne Nachrichten generieren, stellen wir uns die Frage, bevor wir die Nachricht ausspielen: Wie ma-

chen wir es am nächsten Morgen in der Zeitung, sodass es da eine vernünftige Fortsetzung der

Geschichte gibt, die nochmals über das hinausgeht, was wir an die Agenturen geben“ (RP IF 20).

Vor dem Hintergrund der erweiterten Möglichkeiten der neuen Medien wollen insbeson-

dere der Mannheimer Morgen, der General-Anzeiger und der Weser-Kurier durch eine Optimie-

rung des Online-Kanals die Chance ergreifen, den Aktualitätsvorsprung des Rundfunks aufzuho-

len (vergleiche MAMO IF 2, GA IF 9 und WK IF 2). Mit diesem Bestreben einher geht der Ver-

such, das Profil der einzelnen Kanäle mehr und mehr zu schärfen. Lars Haider hat das Ziel, Print

in Richtung einer „täglichen Wochenzeitung“ zu entwickeln, die Verbindung zu Online werde

über die Exklusivität hergestellt: „Was wir exklusiv haben, wird Online angeteasert. Online ist so-

zusagen unsere Tagesschau, und Print sind unsere Tagesthemen“ (WK IF 10). Auch die Schwäbi-

sche Zeitung verfolgt solch eine Differenzierungsstrategie: „Wenn ich das Bedürfnis habe, eine

Geschichte zu lesen und erzählt zu bekommen, kaufe ich mir ein Printprodukt. Wenn ich schnell

informiert werden will, greife ich zum Online- oder Mobile-Device. Wenn ich noch einen anderen

Unterhaltungseffekt haben will, nutze ich vielleicht eine iPad-Applikation“ (SZ IF 4).

Der Integrationsgrad in den Redaktionen der zehn untersuchten Häuser ist hoch: Kein Un-

ternehmen unterhält autonom agierende Redaktionen für die bespielten Kanäle. Bei der Hessisch-

Niedersächsischen Allgemeinen und der Schwäbischen Zeitung sind alle Redakteure sowohl für

Print als auch für Online zuständig (vergleiche SZ IF 14 und HNA IF 3 sowie HNA Leitfrage 1),

der Bonner General-Anzeiger und der Weser-Kurier haben zumindest das Ziel, künftig die beiden

Kanäle aus einer Hand zu bedienen (vergleiche GA IF 14 und WK IF 14). Der größte Teil der un-

tersuchten Häuser unterscheidet allerdings zwischen der Generierung der Inhalte und der Aufbe-

reitung: Während die Recherche eine Aufgabe der Gesamtredaktion ist, kümmern sich Spezialis-

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Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview

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ten um die Produktion der neuen Medien. Die Inhalte werden „nur von den Print-Redaktionen ge-

neriert, die aber mit dem Kanalisieren auf Online nichts zu tun haben, sondern die diese Inhalte

einer kleinen Online-Truppe von rund sieben Leuten zur Verfügung stellen, die die dann um-

schichtig online stellen nach Absprache“ (SäZ IF 14). Auch die Braunschweiger Zeitung hat sich

so organisiert: „Wir sagen also, dort wird der Content gehoben, wird vorgewichtet und wird dann

an eine zentrale Stelle hier am zentralen Newsdesk gegeben, wo wir dann gleichzeitig auch die

Entscheidung für Print treffen, aber wo eben auch eine kleine Werkbank sitzt, die sagt, wir neh-

men das Bewegtbildmaterial entgegen, schneiden das vielleicht noch ein bisschen und stellen es

dann online oder geben es auf das Smartphone“ (BZ IF 14). Der Grund liegt für Stefan Kläsener

in der Tatsache, dass die multimediale Aufbereitung von Inhalten aufwändig ist und Spezialisten

bedarf: „Was die Produktion der neuen Kanäle angeht, das ist in der Tat nicht mehr Aufgabe der

Kernredaktion, dafür muss man sich neue Kräfte holen, die die praktische Umsetzung machen“

(BZ IF 2). Der Mannheimer Morgen und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung arbeiten in die-

sem Sinne ebenfalls teilintegriert und haben Spezialisten für Online, die bestimmte Inhalte noch

einmal zusätzlich für das Internet veredeln (vergleiche MAMO IF 14 und WAZ IF 14). Im Ge-

gensatz dazu unterhalten die Rheinische Post und die Frankfurter Neue Presse vergleichsweise ei-

genständigere Online-Redaktionen, die sich jedoch intensiv mit den jeweiligen Print-Redaktionen

austauschen. „Ich glaube, dass wir für diese andere Medienwelt auch spezialisierte Leute brau-

chen, die zum Beispiel auch nicht geeignete Texte nochmals umfrickeln können, damit sie auf

Online passen. […] Deswegen glaube ich, dass wir noch sehr lange eine eigenständige Online-

Redaktion brauchen, die sicherstellt, dass wir Online optimal bedienen“ (FNP IF 14). Dieser Mei-

nung ist auch Carsten Fiedler: „Ich glaube, dass es absolut sinnvoll ist, dass man bei RP Online

ein eigenes Team hat, das die Seite auf dem aktuellen Stand hält. Das kann nicht geleistet werden

dadurch, dass man eine komplette Integration herbeiführt, sondern man braucht ein eigenes

schlagkräftiges Online-Team, das sich auch schnell untereinander austauschen kann, das selbst

auch mal Themen anstoßen und Themenakzente setzen kann, die dann wiederum untermauert

werden können durch Beiträge aus der Print-Redaktion“ (RP IF 14). Die Redaktionsorganisation56

steht nicht im Zentrum dieser Arbeit: Insgesamt kann aber gesagt werden, dass alle Medienhäuser

das Bestreben haben, den Kanälen Print und Online in ihren Arbeitsabläufen und Organisations-

formen einen gleichberechtigten Stellenwert zu geben – vor dem Hintergrund, dass der Online-

Kanal als das jüngere Medium in ein traditionelles Zeitungshaus integriert werden muss, und zwar

zu Bedingungen, die sich für das jeweilige Unternehmen wirtschaftlich darstellen lassen. Die Fra-

ge nach Synergien ist aus diesem Grund ein zentrales Kriterium für die Strategieentwicklung.

Im regionalen Nachrichtenmarkt wäre eine Online-Zeitung ohne ein Print-Standbein zur-

zeit wirtschaftlich nicht überlebensfähig, das ist die Erfahrung, von der die untersuchten Medien-

häuser ausgehen. Beispielhaft ist die Rechnung von HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden: 56 Vergleiche zu dem Aspekt insbesondere die Frage 15 in den zehn geführten Interviews. Mit Ausnahme der HNA haben alle Häuser einen Newsroom mit Newsdeskstrukturen. Die Aussagen zur Redaktionsstruktur lassen vermuten, dass sich die untersuchten Medienhäuser nicht mehr als traditionelle Zeitungshäuser sehen, sondern als Medienhäuser, bei denen eine Chefredaktion die beiden Kanäle Print und Online verantwortet und nach den jeweiligen strategischen Leitzielen gleichberechtigt führt. Im Hinblick auf diesen Gesichtspunkt scheint auch die Rheinische Post nicht ganz ins Bild zu passen: Bei der RP gibt es zwei voneinander unabhängige Chefredaktio-nen für die beiden Kanäle Print und Online, die über ein Doppelnewsdesk organisatorisch verflochten sind – aber der „Entscheider ist ganz klar der Chefredakteur der Print-Redaktion“ (RP IF 15).

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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„Wenn man das jetzt mal nicht unter Vollkosten-Gesichtspunkten betrachtet, dann habe ich einen

Personalaufwand, der besteht aus sieben Redakteuren und zwei Volontären. Das ist unsere Onli-

ne-Redaktion, on top ein paar Anzeigenvertreter, die sich ausschließlich ums Online-Geschäft

kümmern. Und wenn ich die Sachkosten dazurechne und mir dann die Erlöse angucke, schreibe

ich eigentlich online schwarze Zahlen. Aber das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung. Die

gesamten redaktionellen Inhalte werden ja zum großen Teil nicht von Online-Redakteuren gene-

riert, sondern von Printredakteuren. Also müsste ich anteilig Kosten da auch gewichten. So funk-

tioniert es dann, dass ich dort natürlich rote Zahlen schreibe“ (HNA IF 6). Auch für die anderen

Verlage ist das Ausmaß ihres Online-Engagements eine „Frage des Geldes und der Erlöse“ (WK

IF 9): Die Schwäbische Zeitung versucht, „die Kostenstruktur nicht ausufern zu lassen“ (SZ IF 3),

die Frankfurter Neue Presse will „das Investment unter Kontrolle halten“ (FNP IF 6), für den GA

ist der Online-Bereich allein ein „Zuschussgeschäft“ (GA IF 2). Um die fehlenden Erlöse auszu-

gleichen und die Kosten für die Online-Redaktionen zu drücken, versuchen die Medienhäuser, die

Mehrfachverwertung von Content in ihren Unternehmen zu optimieren. Diese Synergien sind

„einfach überlebenswichtig, sonst gäbe es gar kein Online in dieser Qualität, ganz sicher nicht,

nirgendwo. Und die Synergien sind die, dass die Inhalte von der Print-Redaktion eingesammelt

und dann für den Online-Kanal mitgenutzt werden“ (SäZ IF 6). Die Sächsische Zeitung bietet als

einziges der untersuchten Häuser ein Online-Abonnement an – allerdings ohne Aussicht darauf,

die Gewinnschwelle in absehbarer Zeit zu erreichen (vergleiche SäZ IF 7). Der Mannheimer Mor-

gen hat zwischen 2000 und 2004 versucht, seine Online-Zeitung als eigenständiges Unternehmen

zu führen, und die Redaktion und Produktion in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert: „Das hat

nicht funktioniert, weil man Erlöse nicht über Reichweite generieren kann“ (MAMO IF 3).

Synergien entstehen aber nicht nur durch die Mehrfachverwertung von Inhalten, sondern

auch durch eine Integration der Arbeitsabläufe: Print- und Online-Redakteure können sich beim

Besetzen von Terminen gegenseitig aushelfen (vergleiche SZ IF 6), sie können durch eine enge

Verzahnung Wissen und Recherchedaten austauschen (vergleiche MAMO IF 6) oder das Material

der Korrespondenten des jeweiligen Partnerkanals verwenden (vergleiche RP IF 6). Zudem ist es

für die personell oft schwach besetzten Online-Redaktionen schwierig, ohne ihre Print-Kollegen

journalistische Kompetenz aufzubauen (vergleiche MAMO IF 6). Neben wirtschaftlichen und or-

ganisatorischen Auswirkungen führen die vorgestellten Medienhäuser inhaltliche Synergieeffekte

an – inhaltlich in dem Sinne, dass die Redaktionen durch die im Internet leicht abzulesenden Nut-

zungsraten der Online-Artikel Rückschlüsse für die Produktion der Print-Ausgabe ziehen. Was „in

Online topinteressant ist, ist auch in Print topinteressant, definitiv“ (HNA IF 11), erklärt HNA-

Chefredakteur Horst Seidenfaden. Auch BZ-Chefredakteur Stefan Kläsener gründet die Themen-

gewichtung der Tageszeitung zu einem gewissen Teil auf die Online-Klickraten: „Man kann das

als ein Indiz nehmen, dass hier eine Geschichte so gut läuft, dass da irgendein tiefergehendes Inte-

resse der Leute sein muss. Man macht dann für die Printausgabe das Stück tiefschürfender und

umfänglicher, als man das ursprünglich geplant hatte. Das halte ich für einen sehr befruchtenden

Effekt. Synergien sind ja nicht immer nur Synergien, wenn am Ende 3,50 Euro rausspringen, son-

dern eine Synergie ist ja auch die, wenn ich meine journalistische Entscheidung am Desk mit ei-

nem besseren Background treffe, weil ich einfach schon Erfahrungswerte aus den Online-

Klickzahlen habe“ (BZ IF 6). Lutz Heuken von der WAZ nutzt das „ständige Echo von Usern“

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Crossmediale Realitäten – die Experten im Interview

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(WAZ IF 6) beim Blattmachen genauso wie Lars Haider vom Weser-Kurier (vergleiche WK 18).

Die Sächsische Zeitung nutzt Online als „Feedbackchannel. Wir schauen uns die ganze Zeit an,

welche Themen laufen in Online gut und nutzen diese Anregungen auch, um Geschichten im Print

zu sichten, weil wir daraus auch aufs Leserinteresse zurückschließen“ (SäZ IF 3). Das Vorgehen

bietet die Chance, die Print-Ausgabe zu optimieren, wie Uwe Vetterick erläutert: „Das ist ein gro-

ßer Synergieeffekt, da wir mit Print ein Vielfaches von dem verdienen, was wir mit den publizisti-

schen Angeboten in Online verdienen, der Effekt ist nicht zu unterschätzen, weil er uns hilft, Print

besser zu machen“ (SäZ IF 6).

Trotz aller angestrebten Synergieeffekte komme man jedoch um eine channelspezifische

Produktion und damit um ein bestimmtes Maß an personellem und strukturellem Aufwand nicht

herum, wenn man die Möglichkeiten, die die Kanäle Print und Online bieten, im Interesse des Re-

zipienten nutzen wolle. „Auf die lange Strecke gesehen muss ich die Arbeit tun, die bei Online

und Print eben getan werden muss – und dafür brauche ich X Leute, das wird am Ende auf das

Gleiche herauskommen“ (SZ IF 6), wie SZ-Chefredakteur Ralf Geisenhanslüke erklärt. Lars Hai-

der ist der gleichen Meinung: „In der Regel, wenn man das so stark betreibt wie wir, dass wir On-

line und Print so machen, wie Online und Print sind, also nicht einfach 1:1 übersetzen, hat man

keine Synergieeffekte“ (WK IF 6).

5.3. Themen, Schwerpunkte und inhaltliche Vernetzung Was die Themenverteilung auf Print und Online aufgrund des Rezipienteninteresses betrifft, gibt

es bei den untersuchten Häusern keine klaren Unterschiede zwischen den Kanälen: Bis auf hyper-

lokale Schwerpunkte (vergleiche HNA IF 5 und FNP IF 12), politische und kommunalpolitische

Berichte (vergleiche GA IF 5, WAZ IF 17 und HNA IF 5) oder bildungsbürgerliche Inhalte (ver-

gleiche HNA IF 17 und SäZ IF 17), also alles Themen, die nur in der Tageszeitung veröffentlicht

werden, gibt es keine Inhalte, die nur in einem der beiden Medien erscheinen. „Wenn man davon

ausgeht, dass das, was online funktioniert, auch in Print funktioniert, gibt es von der Themencha-

rakteristik her keine Unterschiede. Da haben sich die Zeitungsleute in der Vergangenheit nur nie

daran gehalten“ (HNA IF 18), sagt HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden. Auch Uwe Vetterick

erkennt bei den Print- und Online-Themen keine Unterschiede: „Wenn ich jetzt die Readerscan-

Ergebnisse Revue passieren lasse, würde ich sagen, sind die, was die Leserinteressen angeht, ab-

solut in Deckung“ (SäZ IF 18). Die Themenverteilung ist die gleiche, die Aufbereitung nicht, wie

Michael Schröder vom Mannheimer Morgen betont: „Den Fall, dass wir ein bestimmtes Themen-

feld nur einem Kanal überlassen, gibt es eigentlich nicht. Bei der Aufbereitung gibt es natürlich

große Unterschiede“ (MAMO IF 17). Beim GA stellt Andreas Mühl sich die Frage, „wie die Auf-

bereitung vorgenommen wird, wie lang die Texte sind, was für eine Erwartungshaltung man im

Online hat, was für eine Erwartungshaltung man im Print hat – von den Themen her gibt es keine

Unterschiede“ (GA IF 18). Der RP geht es „um die Form der Aufbereitung. Wenn wir eine Ge-

schichte machen, dass Andrea Nahles ein Baby erwartet, wie heute in der Bild-Zeitung zu lesen

ist, gehen wir online mit diesem Thema anders um als in Print“ (RP IF 17). Ralf Geisenhanslüke

von der Schwäbischen Zeitung und Lars Haider vom Weser-Kurier unterscheiden primär Formate

nach Kanälen denn Themen: Bildergalerien, Videos oder Blogs seien an den Online-Kanal, be-

stimmte Kolumnen an den Print-Kanal gebunden (vergleiche SZ IF 17 und WK IF 17).

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Obwohl bei den interviewten Experten Einigkeit herrscht, dass es kein Themenfeld gibt,

das ausschließlich nur in einem bestimmten Kanal gespielt wird, setzen die Medienhäuser den-

noch Schwerpunkte bei den Themen, die sie dem jeweiligen Kanal zuordnen. Lars Haider betont,

dass sich die Online-Plattform des Weser-Kuriers im Vergleich zur Tageszeitung verstärkt auf das

Regionale konzentriert, während „Print natürlich ganz klassisch im ersten Buch mit Politik und

Außenpolitik, Innenpolitik beginnt und die Titelseite natürlich immer auch eine Mischung aus

Bremen, nationalen, internationalen und regionalen Themen ist. Online nicht, Online ist weitest-

gehend regional. Das sieht man auch an der Struktur: Die besteht aus ist Bremen, Region, Wer-

der“ (WK IF 5). Der Mannheimer Morgen versteht sich als regionale Tageszeitung und regionale

Online-Plattform, dennoch ist das regionale Profil im Internet schärfer (vergleiche MAMO IF 18).

„Natürlich spiegelt Online in gewisser Weise die Zeitung wider, weil Online alle Bereiche haben

muss, die auch in der Zeitung abgebildet sind. Aber ich denke mal, dass wir davon ausgehen, dass

die Online-Nutzer eben auch uns in erster Linie als regionalen Nachrichtenanbieter betrachten“

(MAMO IF 5). Mit Ausnahme der Rheinischen Post, die sich im Internet als „nachrichtliches

überregionales Portal“ (RP IF 28) versteht, ist die Ausrichtung der meisten untersuchten Häuser

im Vergleich zur Print-Ausgabe wesentlich regionaler (vergleiche unter anderem HNA IF 28, SZ

IF 28, WAZ IF 28 und BZ IF 28). Die Sächsische Zeitung unterscheidet in dieser Hinsicht die

Ausrichtung ihrer Kanäle nicht: „Aber sonst ist unser Schwerpunkt ähnlich, wir erzielen die größ-

ten Reichweiten in Print wie in Online mit investigativen regionalen und lokalen Geschichten“

(SäZ IF 5). Die FNP positioniert sich genauso: „Im zentralen Fokus ist für beide Kanäle das regi-

onale und das lokale Geschehen“ (FNP IF 5).

Logisch erscheint, dass die Häuser ihre stark aktualitätsgetriebene Berichterstattung in das

Internet verlagern. Die Schwäbische Zeitung will „im Online-Bereich für den Überblick kurze

schnelle Nachrichten präsentieren“ (SZ IF 5). Die Rheinische Post positioniert ihr Online-Portal

ähnlich. „Im Nachrichtenbereich versuchen wir so schnell wie möglich die relevanten Nachrichten

auszuspielen“ (RP IF 5). Bei der WAZ gilt: „Online muss bedient werden – bei Sachen, die auf

dem Markt sind, wird das aktuell gemacht“ (WAZ IF 1). Themen, die nach dem Redaktions-

schluss der Print-Ausgabe aktuell werden, erscheinen bei der Hessisch-Niedersächsischen Allge-

meinen sogar nur im Internet (vergleiche HNA IF 17). Auf der Online-Plattform der HNA „gibt es

eine kontinuierliche Aktualisierung. Es ist hochinteressant für Print-Redakteure, die zum ersten

Mal erkennen, dass sie keinen Redaktionsschluss um 19 oder 21 Uhr haben, sondern kontinuier-

lich 24 Stunden am Tag“ (HNA IF 5). Die Frankfurter Neue Presse spielt online „die Schnellig-

keit aus, also das, was vorhanden ist, fließt rein, gerade auch, was in der Nachrichtenwelt ist“

(FNP IF 5). Der Mannheimer Morgen hat das Ziel, in der Metropol-Region Rhein-Neckar der

schnellste Online-Anbieter zu sein (vergleiche MAMO IF 2).

Stefan Kläsener fasst den Schwerpunkt des Online-Auftritts der Braunschweiger Zeitung

mit folgenden Worten zusammen: „Also alles, was leichter ist oder wovon ich sehr schnell

Kenntnis haben möchte“ (BZ IF 18). Das Element des Leichteren, das sich auch in den Online-

Profilen der anderen untersuchten Medienhäuser findet, definiert Kläsener so: „Online-Themen

sind einen Tick lockerer. Wir bringen online alles, was mobil ist, ganz besonders im Bereich

Blaulicht und schnelle Verbraucherinformation“ (BZ IF 18). Man könne sagen, „dass wir im On-

line-Bereich oder im mobilen Bereich etwas stärker in Richtung Boulevard gehen, da gibt es eine

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Schlagzeile, die einfach frecher oder flapsiger formuliert ist, weil die Web-Community das anders

aufnimmt und verdaut“ (BZ IF 5). Auch Rainer Maria Gefeller und Lars Haider sind der Auffas-

sung, dass der Online-Kanal „ungenierter“ vorgehen und stärker „die populäreren Themen“ (FNP

IF 5) in den Vordergrund stellen kann als der Print-Kanal (vergleiche WK IF 18). Die Online-

Themen des General-Anzeigers gehen „ganz klar in Richtung Aufreger-Themen, alles, was mit

Unfällen zu tun hat, mit Personality, mit Mord und Totschlag, das filtern die Onliner auch ganz

klar heraus“ (GA IF 5). Für Ralf Geisenhanslüke hat alles, „was aus dem Bereich Sex and Crime

ist, also lokaler Crime, lokale Unfälle“ (SZ IF 18), hohe Onlineaffinität. „Da gehen die Nutzerzah-

len stark in die Höhe. Das sind einfach Online-Themen, das ist ganz deutlich“ (SZ IF 18).

Einzig Lutz Heuken wehrt sich ausdrücklich dagegen, dass sich die Online-Plattform sei-

nes Hauses am Boulevard ausrichtet: „Es ist nicht Boulevard, es ist ein regionales Nachrichten-

portal, auf dem man seriöse Nachrichten findet“ (WAZ IF 5). Im Unterschied zu Online entschei-

de sich die WAZ zwar „in Print für das etwas konservativere Thema“ (WAZ IF 5) das liege aber

an der Tatsache, dass das Zielpublikum älter sei (vergleiche WAZ IF 5). Im Gegensatz dazu ist

Rainer Maria Gefeller der Auffassung, dass Print im Vergleich zu Online „eine hohe Wertigkeit“

braucht, „um dauerhaft Bestand haben zu können“ (FNP IF 5). Für den FNP-Chefredakteur ist

Print „das nachdenklichere Medium. Also eine ausgeschriebene Betrachtung, für die man Ruhe

braucht, die auch einmal 250, 280 Zeilen hat und die ohne spektakuläre Textpassagen auskommt,

die würde ich keinem Online-User zumuten“ (FNP IF 18). Auch die Rheinische Post legt in ihrer

Print-Ausgabe „viel mehr Wert auf eine seriöse Berichterstattung“ (RP IF 18).

Neben dem eher wertenden Gegensatz zwischen seriöser und boulevardesker Aufberei-

tung, die einer Positionierung der Kanäle zugrunde liegen kann, haben einige der interviewten

Experten auch Unterschiede in der journalistischen Darstellungsform – die aktuelle Nachricht auf

der einen und hintergründige Analyse auf der anderen Seite – angeführt, um die Schwerpunkte zu

beschreiben, die in der Berichterstattung der jeweiligen Kanäle gesetzt werden. Die Braunschwei-

ger Zeitung nutzt die Print-Ausgabe „viel stärker zur vertiefenden Analyse, zur Erklärung, zum

Hintergrundstück oder auch zur schönen langen Erzählgeschichte“ (BZ IF 5). Stefan Kläsener

gründet diese Ausrichtung auf den charakteristischen Umgang mit dem Internet durch die Rezipi-

enten: „Rein von den User-Gewohnheiten her sind alle digitalen Medien die schnelleren im Nut-

zerverhalten, und die Verweildauern sind kürzer als im Print“ (BZ IF 5). Auch die Rheinische

Post legt in ihrer Print-Ausgabe „viel größere Schwerpunkte auf analytische und hintergründige

Berichterstattung“ (RP IF 5), und die Schwäbische Zeitung hat das Ziel, die Kanäle Print und On-

line in genau diese Richtung zu entwickeln: „Wir werden jetzt relativ schnell dahin kommen müs-

sen, dass wir im Print den Schwerpunkt für Hintergrund, Meinung und Erzählung haben und dass

wir im Online-Bereich für den Überblick kurze, schnelle Nachrichten präsentieren – oder auch für

den erweiterten Horizont im Hinblick auf Dossiers, Bildergalerien und Videos“ (SZ IF 5).

Die Präsentation dieses „erweiterten Horizonts“, den Ralf Geisenhanslüke anspricht, ist

ein weiteres Anforderungsprofil, das Medienhäuser mit ihrem Online-Auftritt erfüllen wollen. Zu

bestimmten Themen bietet die Braunschweiger Zeitung „so eine Art Doku im Online-Bereich“

(BZ IF 17). Diese Dossiers können komplette Serien sein, die in Print schon gelaufen sind (ver-

gleiche BZ IF 17 und RP IF 7), oder auch Zusammenfassungen und die komplette Zusammen-

schau aller Print- und Online-Artikel zu einem Thema. Die Rheinische Post hat diese Anstrengun-

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gen intensiviert: „Das machen wir, wir halten das auch für ganz wichtig. Das ist der Dossier-

Gedanke, den wir natürlich auch verfolgen. Das gibt es bei uns sowohl im überregionalen als auch

im lokalen Bereich, dass wir zu Schwerpunktthemen entsprechende Dossiers anbieten.“ (RP IF

29). Die Unternehmen versuchen, die Erstellung von Dossiers mehr und mehr in ihre Abläufe zu

integrieren (vergleiche GA IF 29, FNP IF 29 und WAZ IF 29). Die WAZ veröffentlicht im Inter-

net längere Korrespondentenberichte, die in der Zeitung keinen Platz finden (vergleiche WAZ IF

5), der Mannheimer Morgen konzentriert sich im Netz neben der aktuellen Berichterstattung auf

das „Ergänzende, was die Zeitung alles nicht bieten und leisten kann, indem man noch mehr rein-

stellt“ (MAMO IF 5). Die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine hat im Internet das Projekt

„Regiowiki“ initiiert, bei dem die Leser und Nutzer der HNA ein Online-Nachschlagewerk für

Südniedersachsen, Nordhessen und Nordthüringen aufbauen (vergleiche HNA IF 23). Ähnlich ist

die Idee der Braunschweiger Zeitung, die mit dem „Museum der Leser“ die Erinnerungen ihrer

Leser zusammentragen will (vergleiche BZ IF 29). Für SZ-Chefredakteur Ralf Geisenhanslüke

gehören diese Dossiers zum „Bereich der teuren oder wertvollen Inhalte, die ich nicht kostenlos

rausgeben kann. Man generiert zu bestimmten Themen inhaltliche Schwerpunkte mit Archiv,

Linksammlung und weiterführendem Content und legt die Schwerpunkte hinter die Bezahlschran-

ke“ (SZ IF 29), auch für Stefan Kläsener gehören Angebote dieser Art „hinter die Bezahlschran-

ke“ (BZ IF 17). Die Rheinische Post experimentiert bereits mit Dossiers, die kostenpflichtig sind:

„Serien, die wir in der Rheinischen Post gefahren haben, beispielsweise eine Gesundheitsserie mit

dem Namen „Unser Körper“, haben wir als PDF-Reprints über RP Online angeboten. Für das

PDF „Unser Körper“ haben wir 2,49 Euro genommen, und das haben wir mit großem Erfolg auf

diesem Distributionsweg auch nochmals verkaufen können“ (RP IF 7). Einzig Uwe Vetterick ist

skeptisch, der Chefredakteur der SäZ stellt die Nachfrage nach solchen Dossiers grundsätzlich in

Frage: „Ob die Nutzer das nachher tatsächlich nutzen, ist eine ganz andere Frage“ (SäZ IF 29).

Aufgrund der Tatsache, dass für die meisten Medienhäuser ein komplett eigenständiges

journalistisch und kanalgerecht aufbereitetes Online-Angebot nicht finanzierbar ist, suchen die

Unternehmen nach möglichen Synergien beim Bespielen der jeweiligen Kanäle (vergleiche Kapi-

tel 5.2. dieser Arbeit). „Die Lösung, bereits vorhandene Artikel mehrfach und damit online zu

verwerten, liegt also mangels der Refinanzierbarkeit der meisten Online-Zeitungen nahe: Zusätz-

lich zur Print-Zeitung werden die vorhandenen Beiträge auch online gestellt“ (Meyer 2005: 163).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die untersuchten Häuser die generierten Inhalte

verwerten: Nutzen sie sie unverändert in den verschiedenen Medien oder nehmen sie Anpassun-

gen und Erweiterungen vor? Die Hauptübernahmerichtung bei der Mehrfachverwertung verläuft

von Print zu Online, weil die Inhalte bei den meisten der untersuchten Medienhäusern im Hin-

blick auf Print generiert und in der Folge zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Online-Ausgabe

zusätzlich ausgespielt werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass Teams, die sich in den Verlagen

speziell um die Online-Auftritte kümmern, für eigenständige Rechercheleistungen personell zu

schwach besetzt sind, wie das zum Beispiel bei der Frankfurter Neuen Presse der Fall ist. „Derzeit

wird aus Online kaum etwas in Print übernommen. Die Redaktion ist auch gar nicht stark genug,

um eigene Geschichten zu recherchieren“ (FNP IF 16).

Im Hinblick auf die kanalspezifische Aufbereitung ihrer Inhalte hält die Sächsische Zei-

tung den Aufwand so gering wie möglich. „In der Regel werden die Inhalte bei der Übernahme

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nicht verändert, […] dass Texte komplett für Online anders geschrieben werden als für Print, das

gibt es nicht“ (SäZ IF 16), sagt Chefredakteur Uwe Vetterick. Auch wenn die Westdeutsche All-

gemeine Zeitung Print-Content im Internet veröffentlicht, „werden viele Sachen kaum verändert“

(WAZ IF 16). Eine Ausnahme sind Vorspänne und andere onlinespezifische Textelemente, die es

bei Print nicht gibt, wie Lutz Heuken erläutert, der jedoch darauf hinweist, dass die WAZ Inhalte

„ in beide Richtungen“ (WAZ IF 16) übernimmt. Beim Weser-Kurier gibt es ebenfalls Übernah-

men in beide Richtungen, wobei die Hauptrichtung von Print zu Online verläuft. Der Weser-

Kurier passt die Vorspänne und Überschriften an, „an den Texten selber ändert sich in der Regel

nach dem Vorspann nicht mehr so viel“ (WK IF 16). Wichtig ist für WK-Chefredakteur Lars Hai-

der, dass die Überschriften im Internet „immer noch ein bisschen klarer sind, damit auch die

Suchmaschinen sie finden“ (WK IF 16). Bei der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen verän-

dert sich die Nachrichtenproduktion im Tagesverlauf: Während die ersten Informationen über ein

Thema, die die HNA sofort im Internet veröffentlicht, für den Online-Kanal spezifisch aufbereitet

werden, wird für die Endversion im Netz der Print-Artikel übernommen: Die Online-Meldungen

sind „zunächst mal anders“ geschrieben „als für die gedruckte Zeitung – also wesentlich kompak-

ter, wesentlich kürzer, weil man weiß, dass man für die Print-Ausgabe ein bisschen mehr Platz

hat, man sich ein bisschen mehr auslassen und Fakten reinbringen kann. Im Endeffekt, wenn der

fertige Zeitungsartikel da ist, dann übernehmen wir den auch für Online“ (HNA IF 16).

Die FNP sieht sich in einer Entwicklung, in der die unveränderte Übernahme von Print

nach Online mehr und mehr aufgegeben werden soll. „Wir kommen aus einer Welt, wo nur abge-

bildet wurde, inklusive der Überschriften. Das geschieht auch noch, aber es schwitzt sich so lang-

sam aus. Ziel ist natürlich, auf andere Weise damit umzugehen, als wir das jetzt tun. […] In der

Regel werden die Aufmachungsgeschichten komprimiert. Wir liefern nicht mehr so lange Texte,

versuchen, die Vorspänne so anzulegen, dass sie auch von Google verstanden werden, damit wir

da in die Listings kommen“ (FNP IF 16). Die Schwäbische Zeitung steckt nach Angaben von Ralf

Geisenhanslüke in einem ähnlichen Veränderungsprozess, in dem „aus Zeitmangel oder aus Un-

wissenheit“ (SZ IF 16) noch immer Inhalte unverändert von Print nach Online übernommen wer-

den. Das Ziel sei jedoch, „dass wir auf Dauer andere Texte haben, grundsätzlich kürzere und nur

für Online geschriebene Texte. […] Im Hinblick auf die online-gemäße Aufbereitung sollten die

Texte zumindest so angepasst sein, dass sie über Suchmaschinen gefunden werden, dass die

Teaser stimmen, dass die Headlines stimmig sind, dass der Leseanreiz auch im Internet groß ist“

(SZ IF 16). Der General-Anzeiger will in seiner Strategie den „Kardinalfehler, […] Texte 1:1 in

Print und in Online zu spielen“, vermeiden: Ziel seien Texte, die für Online „kürzer, prägnanter“

(GA IF 16) formuliert sind. Der Mannheimer Morgen verändert seine Inhalte bei der Übernahme

von Print nach Online nur zum Teil, dies ist einerseits auf die personellen Kapazitäten zurückzu-

führen, andererseits strategisch begründet: „Wichtiger ist uns die Aktualität im Vergleich zur

Aufbereitung jedes Artikels speziell für Online“ (MAMO IF 16).

Der Verwirklichung des strategischen Ziels, Print-Kanal und Online-Kanal komplementär

aufeinander abzustimmen, konzeptionell am nahesten sind die Braunschweiger Zeitung und die

Rheinische Post. Die Braunschweiger Zeitung versucht, die relevanten regionalen Nachrichten

vorzubereiten und schaltet sie für den Online-Kanal frei, wenn das Ereignis wie prognostiziert

eingetreten ist. Diese aktuellen Online-Artikel haben „dann im Grunde mit der Printaufbereitung

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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wenig zu tun, weil die Redaktionen sagen, die Nachricht alleine ist gar nicht das, was wir am

nächsten Tag im Lokalen aufmachen, sondern wir machen das Lesestück oder die Hintergrundge-

schichte dazu auf oder wir sprechen mit den Beteiligten und lassen die erzählen“ (BZ IF 16). Das-

selbe Ziel verfolgt auch die Rheinische Post, die aktuellen Online-Meldungen sollen im Idealfall

am Folgetag in der Print-Ausgabe hintergründig aufgefangen werden. „Es muss gleichzeitig auch

schon überlegt werden, wie wir es schaffen, diese Themen, die wir dann nachrichtlich online aus-

spielen, am nächsten Tag in der Zeitung anders aufzubereiten, damit wir eben nicht in die Falle

laufen, dass wir am nächsten Morgen die gleiche Geschichte 1:1 in der Zeitung lesen. Das wollen

wir auf gar keinen Fall“ (RP IF 16). Für das Ziel, diese Arbeitsabläufe zu implementieren, gibt es

bei der RP Regeln, wie viele Themen jede Redaktion täglich nachrichtlich für Online ausspielen

und am Folgetag für Print analytisch aufbereiten muss (vergleiche RP IF 16).

Den Anspruch, die Online-Inhalte multimedial aufzubereiten und mit Bildergalerien, Au-

dio-Spuren und Videos anzureichern, haben alle untersuchten Medienhäuser (vergleiche GA IF

16, RP IF 16, HNA IF 17 und WK IF 16). Die Braunschweiger Zeitung und die WAZ produzieren

in der Regel von regionalen Veranstaltungen Videos und Bildergalerien (vergleiche BZ IF 16 und

WAZ IF 16), auch Online-Votings gehören zu den Instrumenten, mit denen die Medienhäuser on-

line ihre Inhalte erweitern (vergleiche SäZ IF 16). Die Schwäbische Zeitung nutzt die Beiträge ih-

rer drei Fernsehsender, um Themen im Online-Kanal zu illustrieren (vergleiche SZ IF 16). Der

Mannheimer Morgen hat ein eigenes Video-Portal (vergleiche MAMO IF 8). Zudem verlegen

Medienhäuser die Dokumentation von investigativen Recherchen ins Internet, um bei exklusiv re-

cherchierten Inhalten die Quellenlage deutlich zu machen (vergleiche BZ IF 16 und GA IF 29).

Feste Redaktionsschlusszeiten haben die zehn befragten Medienhäuser für ihre Online-

Angebote nicht eingerichtet. Einzig die Frankfurter Neue Presse plant, „künstliche Schlusszeiten“

zu setzen, weil „Print-Leute auf Schlusszeiten fixiert sind“ (FNP IF 21). Die meisten aktualisieren

ihre Online-Plattformen fortlaufend nach Nachrichteneingang und so häufig wie möglich (verglei-

che HNA IF 21, MAMO IF 21, GA IF 21, BZ IF 21 und RP IF 21). Die höchsten Zugriffsraten

liegen in der Zeit vor 9 Uhr, rund um die Mittagszeit und am späten Nachmittag, in diesen Tages-

abschnitten versuchen die Schwäbische Zeitung, die Sächsische Zeitung und die Westdeutsche

Allgemeine Zeitung ihr Online-Angebot neu aufzustellen (vergleiche SZ IF 21, WAZ IF 21 und

SäZ IF 21), der Weser-Kurier legt seinen Schwerpunkt auf die Zeit zwischen 7 und 15 Uhr, weil

das Interesse zum Abend hin stark nachlasse (vergleiche WK IF 21).

5.4. Dachmarkenstrategie und Verweisstruktur Crossmedial agierende Unternehmen haben das Bestreben, ihre verschiedenen Medienangebote in

den von ihnen bespielten Kanälen unter einer Dachmarke zu integrieren (vergleiche dazu Kapitel

2.2. dieser Arbeit). Im Rahmen dieser sogenannten Dachmarkenstrategie wird versucht, das Mar-

kenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfer-

prozesses auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen und den Kunden an die eigene Mar-

kenfamilie zu binden (vergleiche Borowski 2003: 236). Dieses strategische Ziel verfolgen alle in

dieser Arbeit untersuchten Medienhäuser.

Die HNA positioniert sich in ihrem Verbreitungsgebiet als „Informationsmarke“ (HNA IF

4) im Raum Nordhessen und Südniedersachsen, an der kein Rezipient vorbeikommen darf: „Im

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Endeffekt muss man sehen, dass regionale Tageszeitungen gerade mit Blick auf die jüngere Gene-

ration eigentlich nur eine einzige Chance haben, in die Köpfe reinzukommen, und zwar nicht als

Zeitung, sondern als Marke“ (HNA IF 4). Auch die WAZ möchte mit ihrem Online-Engagement

nicht zuletzt „die User ans Blatt, an die Marke binden“, um „auf unserem Regionalsektor“ keine

Konkurrenz aufkommen zu lassen (WAZ IF 2). Für die Frankfurter Neue Presse ist der Ausbau

der Internet-Angebote „eine Markenpflege“, die zeigt, dass die FNP das „schnelle Medium genau-

so bedienen kann wie das nachdenklichere“ (FNP IF 10). Das Ziel, das Rainer Maria Gefeller mit

der Entwicklung verbindet, ist klar: „Künftig haben wir mehr User, die beides nutzen, das schnel-

le und das nachdenklichere und langsamere Medium“ (FNP IF 10). Dahinter steckt die Hoffnung,

dass „die Verknüpfung mit Online letztlich dazu beiträgt, dass Print wieder stärker wird“ (FNP IF

10). Für Stefan Kläsener geht es bei der Frage nach der Positionierung der Marke ebenfalls um

langfristige Perspektiven: Um das Geschäftsmodell von regionalen Medienhäusern langfristig ab-

zusichern, müsse die Reichweite erhalten werden, was „über Print alleine nicht zu machen sein“

(BZ IF 2) wird. Deswegen will die Braunschweiger Zeitung die Reichweite mit ihrem „Marken-

kern“ schützen: Dieser „Markenkern beinhaltet regionale Nachrichten mit hoher Qualität und vor

allem hoher Unabhängigkeit“ (BZ IF 2) – und zwar in allen vom Medienhaus bespielten Kanälen.

Die Unternehmen versuchen, das positiv besetzte Image der beim Publikum bereits einge-

führten Marke Tageszeitung auf die neu ins Leben gerufenen Kanäle zu übertragen. Der Mann-

heimer Morgen nutzt dazu den Begriff „Morgen“: Michael Schröder beschreibt diese Herange-

hensweise mit dem Bild eines „Satelliten, der über der Region schwebt. Der Morgen ist die Mar-

ke, und der Satellit strahlt auf verschiedene Kanäle ab“ (MAMO IF 8). Zu den Angeboten des

Mannheimer Morgen zählen neben Print und Online ein Video-Portal, eine Einkaufscard sowie

eine Stellensuchmaschine und ein Event-Portal (vergleiche MAMO IF 5 und MAMO IF 8). Auch

der General-Anzeiger nutzt das Image der Tageszeitung für andere Kanäle. „GA hat eine extrem

hohe Glaubwürdigkeit, eine extrem hohe Akzeptanz. […] Es ist wirklich eine Topmarke. […]

Weil die Marke so positiv besetzt ist, können wir sie nutzen für alle möglichen Aktivitäten“ (GA

IF 8). Carsten Fiedler beschreibt den Markentransfer als eine Wechselbeziehung: Eine Steigerung

der Reichweite und ein Ausbau der Leserzahl stärken die Marke Rheinische Post, wovon letztend-

lich wieder die einzelnen Kanäle profitieren – und ihre Position im Publikumsmarkt verbessern

können (vergleiche RP IF 2 und RP IF 8). Grundlage sei ein „gemeinsames Markenbild“. Das

Haus stelle sich dar als „Mediengruppe RP. Das ist sozusagen die Dachmarke, unter der alle unse-

re Ausgabekanäle laufen“ (RP IF 8). Die Schwäbische Zeitung hat in diesem Zusammenhang

nicht nur das Ziel, das Image von den eingeführten auf die neuen Medien zu übertragen, sondern

versucht zudem, die Zielgruppen zu den neuen Angeboten mitzunehmen, um damit den Wandel

vom Print-Leser zum Online-Nutzer für das Unternehmen konstruktiv zu gestalten (vergleiche SZ

IF 9). Die SZ hofft, „dass wir mit der Ansprache über unsere Marke eine Zielgruppe auf die ande-

re Marke mitnehmen und das Image übertragen können“ (SZ IF 4).

Basis dafür, „die Marke auf verschiedenen Ebenen [zu] stärken“ (WK IF 2) ist ein einheit-

liches Erscheinungsbild, was alle untersuchten Medienhäuser anstreben (vergleiche GA IF 8 und

SäZ IF 8). Der Weser-Kurier hat in dem Zusammenhang im Internet die eingeführte Marke „Bre-

mer Nachrichten“ aufgegeben (vergleiche WK IF 8). Auch andere Unternehmen wie die Schwäbi-

sche Zeitung, der Mannheimer Morgen, die Sächsische Zeitung, die Frankfurter Neue Presse oder

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die Rheinische Post nutzen für ihre Online-Auftritte jeweils eine einzige Markenbezeichnung,

obwohl ihre Print-Ausgaben unter verschiedenen Titeln firmieren.57 Aus der „Bremer Tageszei-

tungen AG“ ist deswegen die „Mediengruppe Weser-Kurier“ geworden – und „alles, was wir ma-

chen, ist unter der Dachmarke Weser-Kurier und wird sozusagen auf diese Dachmarke hin nicht

nur durchgestylt, wie man das vom CI [Corporate Identity] so kennt, sondern es wird auch inhalt-

lich versucht, genau die gleichen Schwerpunkte zu setzen – in der Form, dass Weser-Kurier, We-

ser-Kurier-Talk, Weser-Kurier-TV, www.weser-kurier.de, die Weser-Kurier-Buchedition, dass

das alles ungefähr das gleiche Aussehen, die gleiche Machart hat“ (WK IF 8).

Neben dem „einheitlichen Corporate Design“ (GA IF 8) und inhaltlich gleichen Schwer-

punkten (vergleiche WK IF 8 und SäZ IF 8) versuchen die Häuser das Markenimage von einem

auf den anderen Kanal zu übertragen, indem sie die gleichen journalistischen Sorgfaltskriterien als

Richtschnur nehmen, um ähnlich hohen Qualitätsstandards zu genügen. „Die Tageszeitung steht

für Glaubwürdigkeit und mittlerweile aufgrund der elektronischen Medien weniger für Aktualität.

Das bedeutet, dass wir das auch mit den Topmeldungen, die wir haben, auch mit den Zwei-Zeilen-

Meldungen, die wir online stellen, im Prinzip genauso umsetzen müssen. Also keine Hektik, son-

dern seriöser fundierter Journalismus. Die Glaubwürdigkeit der Marke darf durch Online-

Aktivitäten nicht gefährdet werden, sonst gefährden wir die Marke insgesamt“ (HNA IF 8), er-

klärt HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden. Auch für Stefan Kläsener eröffnet die Konzentrati-

on auf journalistische Qualität regionalen Medienhäusern die Chance, sich insbesondere gegen-

über Online-Konkurrenten abzuheben. „Alle anderen Anbieter, ob das User-Generated-Content ist

oder ob das irgendwelche öffentlichen Plattformen sind, von irgendwelchen Unternehmen oder

Ähnlichem, haben nicht diesen Grad an Unabhängigkeit“ (BZ IF 2). Für Michael Schröder ist das

Befolgen der journalistischen Sorgfaltspflicht auf allen Kanälen die Grundvoraussetzung für einen

Imagetransfer: „Das Wichtigste für uns war immer, dass die Kollegen, die Morgen-Web machen,

die gleichen journalistischen Standards haben wie auch die Print-Kollegen, dass die Qualität, die

wir in der Zeitung garantieren, sich auch widerspiegelt im Morgen-Web, dass sich die zwei Milli-

onen Menschen im Ballungsraum Rhein-Neckar darauf verlassen können, dass sie, wenn sie ins

Morgen-Web reingehen, die gleiche Qualität bekommen wie in der Zeitung auch. […] Wir gehen

davon aus, dass der Ruf, den wir haben, das Renommee, das die Zeitung hat, sich übertragen lässt

auf das elektronische Medium. Das ist unser Leitgedanke“ (MAMO IF 9).

Neben dem Imagetransfer durch journalistische Qualität versucht die Frankfurter Neue

Presse, über eine weitere Eigenschaft ihre Marke im Internet zu stärken: über die Kompetenz in

der lokalen und regionalen Berichterstattung. „Nur darin sehe ich einen Sinn, dass wir sagen, dass

die Leute, die auf www.fnp.de gehen, dort auch hingehören, weil die Zeitung das Image hat, dort

besonders kompetent zu sein – eben in den lokalen Bereichen“ (FNP IF 8). Die Kombination aus

Seriosität und Lokalkompetenz findet sich auch in der Dachmarkenstrategie der Rheinischen Post:

„Natürlich profitiert auch unser Internet-Portal RP Online von der Marke Rheinische Post, die für

Seriosität steht und für starke nachrichtliche Berichterstattung, aber eben auch, und das ist fast das

stärkste Kriterium, für ihre starke Verwurzelung in der Region und im Lokalen“ (RP IF 8).

57 Vergleiche zu diesem Aspekt Schütz (2009) in Verbindung mit der Leitfrage 1 der jeweiligen Zeitung.

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Wie wichtig die Dachmarkenstrategie für Medienhäuser ist, zeigen die Überlegungen oder

auch die konkreten Planungen, eingeführte und zum Teil mehrjährig existierende Titel aufzuge-

ben, um ein einheitliches Markenbild aufzubauen. Der Weser-Kurier führt wie erwähnt im Inter-

net die Marke „Bremer Nachrichten“ nicht mehr. Der Mannheimer Morgen ist im Netz aus ähnli-

chen Gründen vom Titel „Schwetzinger Zeitung“ für das Online-Angebot der Lokalausgabe

Schwetzingen abgekommen (vergleiche MAMO IF 8). Die Schwäbische Zeitung wird ihre seit

über acht Jahren existierende Internetmarke „SZon“, die für „Schwäbische Zeitung Online“ steht,

ebenfalls aufgeben und in Zukunft unter www.schwaebische.de firmieren. „Die Schwäbische Zei-

tung hat im Moment das größte Potenzial, das auf andere Marken zu übertragen ist, und deswegen

positionieren wir auch die Zeitung nah am Online-Auftritt und benennen unser Online-Portal jetzt

von szon.de um in schwaebische.de. Der Online-Auftritt wird jedoch nicht schwaebische-

zeitung.de heißen, sondern schwaebische.de, weil das eine eigene Marke sein soll, die ihre Eigen-

ständigkeit behält – aber mit großen Mitnahmeeffekten von der Dachmarke Schwäbische Zei-

tung“ (SZ IF 8).

Der Braunschweiger Zeitung ist in der Anfangszeit ihres Online-Engagements ein „Miss-

geschick“ (BZ IF 8) unterlaufen, weil die Verantwortlichen des Medienhauses das Internetportal

unter dem englischen Markennamen „Newsclick“ starteten. „Wir sind über den Begriff Newsclick

selber nicht unglücklich, weil wir glauben, dass wir damit später in unserem Communitybuilding-

Bereich durchaus noch etwas machen können. Es ist jetzt für die Zeitungsmarke selber nicht so

vorteilhaft, weil wir natürlich in Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter und damit in Gebieten mit

sehr unterschiedlichen Identitäten unterwegs sind. Wir haben keinerlei regionale Anmutung mit

unserem Online-Auftritt, und deswegen gibt es auch die Überlegung im Verlag, ob wir nicht doch

unterhalb dieses Newsclick-Auftritts mit den Zeitungstiteln arbeiten“ (BZ IF 8). Diese Überle-

gung gibt es auch bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: Die WAZ-Gruppe hat unter dem

Online-Portal www.derwesten.de die Online-Angebote der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung,

der Neuen Ruhr Zeitung, der Westfälischen Rundschau, der Westfalenpost und des Iserlohner

Kreisanzeigers zusammengefasst. „Obwohl das Portal schon jahrelang so heißt, es wird überlegt,

ob man wieder zu den alten Marken zurückkehrt. […] Natürlich spielt da die Markenstrategie eine

Rolle. Das ist aber klar. Sie haben im Kopf ,Der Westen‘ stehen und darunter die vier Titel oder

mit dem Iserlohner Kreisanzeiger sogar fünf. Die Leute hier kennen die WAZ, die sind damit groß

geworden – und nicht für alle ist die Verbindung zu ,Der Westen‘ klar und eindeutig“ (WAZ IF

8). Vor diesem Hintergrund sei es schwierig, das „sehr seriöse Image“ der WAZ im Ruhrgebiet

auf das Online-Portal „Der Westen“ zu übertragen (vergleiche WAZ IF 8).

Wichtige Instrumente für crossmedial ausgerichtete Dachmarkenstrategien sind wechsel-

seitige thematische Bezugnahmen und Verweise auf Zusatzinformationen im jeweils anderen Me-

dium (vergleiche Borowski 2003: 237), die bei allen untersuchten Häusern in die redaktionellen

Konzepte integriert sind. Die Querverweise haben in dem Zusammenhang alle speziellen und kei-

nen allgemeinen Charakter – speziell in dem Sinne, dass nur auf den jeweiligen Schwesterkanal

verwiesen wird, wenn dort weiterführende Inhalte zu dem im Ursprungsmedium veröffentlichten

Ursprungscontent zu finden sind. Carsten Fiedler beschreibt diese speziellen Verweise so: „Wir

machen nicht einfach unter einer Geschichte in der Politik einen Hinweis www.rp-online.de, son-

dern wir versuchen immer auch, das nochmals zu spezifizieren, dass wir wirklich den Mehrwert,

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den man nochmals erhält, wenn man, nachdem man die Geschichte in der Rheinischen Post gele-

sen hat, auf Online geht, auch darstellen – und umgekehrt natürlich auch“ (RP IF 19).

Der Mannheimer Morgen nutzt die Verweise hauptsächlich, um in der Print-Ausgabe auf

Inhalte des Online-Portals aufmerksam zu machen. „Es gibt in der Zeitung Verweise auf Inhalte,

die unabhängig von der Zeitung aufbereitet werden. Zudem weisen wir bei Hintergründen und

Zusatzinformationen, die in der Zeitung keinen Platz mehr haben, bei jedem Thema in der Zeitung

darauf hin: mehr im Morgen-Web“ (MAMO IF 19). Auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung

und die Frankfurter Neue Presse verweisen meist nur von Print zu Online (vergleiche WAZ IF 19

und FNP IF 19). Beim Weser-Kurier ist die Verweis-Generierung in die Schlusskonferenz inte-

griert, das Medienhaus nutzt die thematische Bezugnahme zudem, um im Online-Kanal exklusive

Print-Inhalte zu bewerben. „Wir haben abends um 18 Uhr eine Konferenz, bei der wir die Seiten

abgehen und in der Online dann präzise sagt, dazu haben wir eine Fotostrecke, dazu haben wir ein

Video, dazu haben wir das und das, das noch eingegliedert wird. Umgekehrt ist es bei Online so,

insbesondere wenn es um Exklusivgeschichten geht, dass man sagt, mehr dazu lesen Sie morgen

im Weser-Kurier“ (WK IF 19). Die „Cross-Promotion“ (Borowski 2003: 236) von Print-Inhalten

über den Online-Kanal nutzt auch der General-Anzeiger, der ebenfalls in der Regel weiterführen-

den Content online veröffentlicht und ihn mit speziellen Verweisen in der Print-Ausgabe anreißt.

„Wir verweisen von Print auf Serien, Bilderstrecken, Bildergalerien und Videos, die online laufen.

Dazu kommen Dinge wie Abstimmungen, Rätsel und Gewinnspiele. […] Wir nutzen Online auch

im Hinblick auf den Einzelverkauf, indem wir online, aber auch im Radio, auf exklusive Ge-

schichten oder große Berichte zu speziellen, regionalen Themen hinweisen“ (GA IF 19).

Andere Häuser nutzen die Querverweise in beide Richtungen (vergleiche HNA IF 19 und

SäZ IF 19). Stefan Kläsener legt dabei Wert darauf, dass die Artikel, die sich aufeinander bezie-

hen, für sich alleine stehen können. „Was wir nicht machen, sind diese Bestrafungsaktionen im

Internet, so nach dem Motto ,Du hast jetzt zwar den spannenden Vorspann gekriegt, aber den gan-

zen Artikel findest du nur morgen in der Zeitung‘. […] Wir bringen beispielsweise die Kurzfas-

sung und sagen dann, dazu gibt es morgen ein Interview in der Zeitung. Oder wir sagen ,Von dem

Verkehrsunfall auf der A2 gibt es auch einen kleinen Film im Internet‘“ (BZ IF 19). Die Rheini-

sche Post hat das Ziel, insbesondere die relevanten Regionalgeschichten in beiden Kanälen zu

spielen und durch Verweise aufeinander zu beziehen: „Die Hinweise beziehen sich auf tragende

Geschichten in der Rheinischen Post, also Seitenaufmacher. […] Natürlich gibt es auch Rückver-

weise von RP Online zur Zeitung. Das spielt sich vor allen Dingen im lokalen Bereich ab“ (RP IF

19). Die Schwäbische Zeitung bezieht alle Kanäle in ihr Verweissystem mit ein: „Wir verweisen

aus der Zeitung auf den Online-Bereich und aufs Fernsehen, wenn wir dort Beiträge haben. Das

Fernsehen weist in der Anmoderation oder Abmoderation auf die Zeitung oder sogar auf den On-

line-Bereich hin. Im Online-Bereich haben wir noch stehen ,Weiteres zu dem Thema in der

Schwäbischen Zeitung‘ oder das Filmsymbol ist abgebildet als Teaser.“ (SZ IF 19).

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Crossmedia-Strategien im Spiegel des Leser/Nutzer-Panels

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6. Crossmedia-Strategien im Spiegel des Leser/Nutzer-Panels Rainer Maria Gefeller, der Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse, prophezeit im Sommer

2010 eine „Renaissance des Print“ (FNP IF 10) – zu einem Zeitpunkt, als der iPad-Verkaufsstart

in Deutschland gerade einen Monat zurückliegt. Die Erwartungen an den Tablet-Computer des

amerikanischen Herstellers Apple sind groß, immerhin verkaufte sich der Flachcomputer in den

Vereinigten Staaten innerhalb weniger Wochen mehr als eine Million Mal – und nicht nur Tech-

nikfreaks haben der Markteinführung entgegengefiebert, sondern auch und gerade die Medien-

branche verbindet mit dem Gerät, das zwischen Smartphone und Laptop angesiedelt ist, große

Hoffnungen. „Das iPad ist für mich der Meilenstein schlechthin, das ist für Print hochinteressant,

weil das zum ersten Mal eine Nutzerform ist, die wirklich einfach zu handeln ist und mit der man

am zeitungsähnlichsten arbeiten kann“ (GA IF 25), sagt Andreas Mühl – und der stellvertretende

Chefredakteur des General-Anzeigers ist nicht der einzige Vertreter der sich neu orientierenden

Zeitungsbranche, der davon ausgeht, dass die Tablet-Computer regionalen Medienhäusern endlich

realistische Chancen eröffnen, mit Angeboten für die neuen Medien auch Vertriebserlöse zu gene-

rieren (vergleiche Kapitel 5.1. dieser Arbeit).

Vor diesem Hintergrund erscheint die Gefeller’sche Einschätzung der Print-Renaissance

anachronistisch – die Ergebnisse der ersten fünf Wellen aus dem Leser/Nutzer-Panel des Instituts

für Praktische Journalismusforschung relativieren den Eindruck jedoch. Die rund 900 befragten

Leser und Nutzer der Print- und Online-Angebote von sechs regionalen Medienhäusern weisen

insbesondere der klassischen Tageszeitung Aufgaben zu, die andere Medien nach Meinung der

Rezipienten nicht oder nur ungenügend übernehmen können – und stützen so die Auffassung Rai-

ner Maria Gefellers, der davon ausgeht, „dass auch für die nächsten zehn Jahre Print die Erlössi-

tuation sicherstellt“ (FNP IF 1). Für die Teilnehmer des Leser/Nutzer-Panels besitzt der Kanal

Print die unangefochtene Hoheit für alle regionalen und lokalen Themen, zudem vermag es kein

anderes Medium besser als die klassische Tageszeitung, komplexe und schwierig aufzuarbeitende

überregionale Themen hintergründig und analytisch darzustellen. Die Rezipienten erwarten von

der Tageszeitung ein „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt die Aufbereitung der Ereignisse

aus Sicht des Lesers und das Aufzeigen der Folgen für die Lebenssituation der Leser. Bei diesem

Bedürfnis nach Orientierung schreiben Leser und Nutzer Regionalzeitungen größere Kompeten-

zen als allen anderen Medien zu: Für die Rezipienten übernimmt Print eine Komplementärfunkti-

on, weil sie versuchen, bei mehrdimensionalen, unübersichtlichen und folgenreichen Geschehnis-

sen, den Überblick mit Hilfe der Zeitung zu gewinnen (vergleiche Kapitel 3.2.3. dieser Arbeit).58

Diese Ergebnisse des Leser/Nutzer-Panels geben der grundlegenden strategischen Leitan-

nahme, dass das Geschäftsmodell Tageszeitung zumindest mittelfristig Bestand haben und die

58 Gegen diese Argumentation kann eingewendet werden, dass bei der Stichprobe, die dem Leser/Nutzer-Panel zugrunde liegt, ein Ungleichgewicht herrscht zwischen den 820 befragten Print-Lesern und den 111 befragten Online-Nutzern und dass sich so die positiven Konnotationen zugunsten des Print-Kanals verschoben haben. Es wäre zu überprüfen, ob dem Print-Kanal ähnlich viele originäre Aufgaben zugeschrieben werden, wenn die An-teile von Print-Lesern und Online-Nutzern in der Stichprobe gleich wären. In diesem Zusammenhang muss al-lerdings auch bedacht werden, dass die befragten Leser und Nutzer aufgrund der Erhebungsmethode (Fragebo-gen per Mail) wohl sowieso online-affiner sind als die tatsächlichen Durchschnittsleser und Durchschnittsnutzer der sechs Medienhäuser und sie dennoch beim Print-Kanal große Kompetenzen erkennen. Das lässt die Vermu-tung zu, dass Durchschnittsrezipienten den Print-Kanal noch positiver einschätzen würden, was die erste Ein-schränkung wieder teilweise relativieren würde (vergleiche dazu Kapitel 3 dieser Arbeit).

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Zukunft der regionalen Medienhäuser sichern wird, eine Basis. „Die Cashcow bleibt weiter die

Zeitung“ (HNA IF 10), sagt HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden und bringt damit seine Ein-

schätzung auf den Punkt, die viele seiner Kollegen teilen (vergleiche Kapitel 5.1. dieser Arbeit).

Wie sehr regionale Medienhäuser für die kommenden Jahre auf den Print-Kanal setzen, zeigt die

Diskussion um „Online first“, die bei den für diese Arbeit interviewten Experten überhaupt keine

mehr ist, da sie das lange so programmatisch beschworene Leitmotto der neuen Medien für sich

schon lange relativiert haben. „Wir halten Scoops und exklusive Geschichten für Print zurück.

Das, was alle anderen auch haben können, kommt sofort online“ (WK IF 20), erläutert Lars Hai-

der die Herangehensweise des Weser-Kuriers, die sich mit dem „Online first“-Verständnis der an-

deren vorgestellten Medienhäuser im Grundsatz deckt (vergleiche Kapitel 5.2. dieser Arbeit). Eine

Ausnahme stellt die Schwäbische Zeitung dar, die sich klar zu dem Leitsatz bekennt, um den On-

line-Kanal stärken. „Wir halten Scoops nicht für Print zurück, sonst kann Online nicht wachsen

und bekommt nicht die Bedeutung, die wir brauchen“ (SZ IF 20).

Besonders deutlich wird die Komplementärfunktion des Print-Kanals im Hinblick auf den

Kanal Rundfunk: Die elektronischen Medien fungieren zwar bei vielen vom IPJ befragten Lesern

und Nutzern als Primärquelle, das heißt, die Rezipienten nehmen durch Radio und Fernsehen Er-

eignisse erstmals wahr, aber trotzdem wird erwartet, dass die behandelten Themen im Anschluss

nochmals hintergründig aufbereitet werden – und zwar in erster Linie von der regionalen Tages-

zeitung (vergleiche Kapitel 3.2.5. dieser Arbeit). Für die interviewten Experten entspricht diese

Trendaussage der Realität, und sie nehmen die dem Print-Kanal zugeschriebenen Aufgaben für ihr

jeweiliges Haus an (vergleiche HNA IF 24, GA IF 24, FNP IF 24, MAMO IF 24, SäZ IF 24 und

RP IF 24). „Wir wollen mit der Zeitung einordnen, Orientierung schaffen, in der Gesellschaft den

Leuten Halt geben und auch Hilfen geben. […] Die Menschen sehen, […] dass wir als Zeitung

auch gerade im Gegensatz zur digitalen Welt der stabile Faktor der Einordnung und der Wertebe-

ständigkeit sind“ (SZ IF 24), erklärt Ralf Geisenhanslüke das Konzept der SZ, das sich in der Ver-

sion der WAZ und den Worten Lutz Heukens so anhört: „Der Anspruch, ein Orientierungsmedi-

um zu sein, das die Hintergründe und Analysen zu überregionalen Themen in der Zeitung noch

einmal aufbereitet, könnte geradezu die Beschreibung dessen sein, was wir uns als Arbeitsauftrag

gegeben haben“ (WAZ IF 24). Lars Haider weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine

Tageszeitung an Relevanz verliert, wenn sie dem Bedürfnis nach Orientierung nur auf lokaler und

regionaler Ebene und nicht bei überregionalen Themen nachkommt. „Der größte Fehler, den man

im regionalen Bereich machen kann, ist der Qualitätsunterschied zwischen dem Mantel und dem

Lokalen […]. Man kann nicht sagen, wir sind stark im Lokalen, aber im Mantel sind wir schwach.

[…] Sie müssen auch in der Lage sein, große Themen den Menschen zu erklären“ (WK IF 24).

Die Forderung der vom IPJ befragten Leser und Nutzer danach, die Ereignisse und The-

men aus Sicht des Lesers aufzubereiten und die Folgen für die Lebenssituation des einzelnen Re-

zipienten aufzuzeigen, basiert auf der Tatsache, dass Themen mit Bezug zur eigenen Lebenswelt

wesentlich mehr interessieren als Inhalte ohne diesen Bezug: Das Interesse nimmt ab, je geringer

die Verbindung zum Alltag der Leser und Nutzer ist (vergleiche Kapitel 3.2.2. dieser Arbeit). Bei

diesem sogenannten „Herunterbrechen der Themen“ werden bei einigen der vorgestellten Strate-

giekonzepte die bespielten Kanäle unterschieden: Während die HNA dem Anspruch „in erster Li-

nie in Print“ (HNA IF 26) nachkommt und der GA „das im Moment nicht bewusst im Online-

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Crossmedia-Strategien im Spiegel des Leser/Nutzer-Panels

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Kanal“ (GA IF 26) macht, hat auch die Sächsische Zeitung den Ansatz, „das eher in Print zu tun“

(SäZ IF 26). Für andere Häuser ist das keine Frage des Kanals (vergleiche FNP IF 26, MAMO IF

26, WAZ IF 26 und WK IF 26), sondern „das ist einfach auch ein grundsätzlicher journalistischer

Ansatz, dass man die Zeitung, aber natürlich auch das Online-Angebot, ein Stück weit als einen

aktuellen Lebensbegleiter für die Leute ansieht“ (RP IF 26), erläutert Carsten Fiedler die Vorstel-

lung der Rheinischen Post, die sich mit Ralf Geisenhanslükes und der der SZ deckt: „Man muss

die Themen runterbrechen, man kann es nur für die Region machen, und die Entscheidungen aus

Berlin müssen hier halt anders verkauft werden und auch anders dargestellt werden – nämlich be-

deutungsintensiv für den Leser aus der Region. Das trifft auf alle Kanäle zu“ (SZ IF 26).

Neben diesem „Herunterbrechen von Themen“ sollen Online-Angebote regionaler Medi-

enhäuser ebenfalls die Aufgaben eines Komplementärmediums wahrnehmen: Die vom IPJ befrag-

ten Rezipienten wünschen sich im Netz vertiefende und weiterführende Informationen, Schwer-

punktthemen, Archive mit Suchfunktionen und Linksammlungen. Die Erwartung bezieht sich ei-

nerseits auf regionale und lokale Themen sowie andererseits auf überregionale Themen (verglei-

che Kapitel 3.2.4. dieser Arbeit). In Bezug auf solch weiterführende Informationen im Online-

Kanal unterscheiden die untersuchten Medienhäuser zwischen langfristig geplanten Dossiers, die

ohne aktuellen Anlass produziert werden, und Themenschwerpunkten, die aktuelle Ereignisse hin-

tergründig und mit ausführlichem Begleitmaterial aufarbeiten. Das Ziel, langfristige Dossiers an-

zubieten, haben im Grunde alle vorgestellten Häuser (vergleiche FNP IF 29, HNA IF 25, MAMO

IF 29, GA IF 29, WAZ IF 29 und WK IF 29), oder sie sind wie die Rheinische Post schon dabei,

diesen Anspruch in die alltäglichen Arbeitsabläufe zu implementieren (vergleiche RP IF 29).

Auch das Projekt „Regiowiki“ (vergleiche HNA IF 25) der HNA oder das „Museum der Leser“

(vergleiche BZ IF 29) der Braunschweiger Zeitung fallen in diesen Bereich. Andreas Mühl hat in

dem Zusammenhang allerdings die Befürchtung, dass eine Intensivierung des Dossiergedankens

im Internet die Print-Ausgabe unnötig machen könnte (vergleiche GA IF 25), während Uwe

Vetterick Zweifel hat, dass umfangreiche Themenschwerpunkte auf regionalen Online-Portalen

überhaupt nachgefragt werden (SäZ IF 29).

Im Gegensatz dazu versuchen die Braunschweiger Zeitung, die Westdeutsche Allgemeine

Zeitung und der Mannheimer Morgen auch bei aktuellen Ereignissen Online-Komplexe mit wei-

terführendem Material anzubieten (vergleiche BZ IF 25, WAZ IF 25 und MAMO IF 25). „Wenn

wir das Thema Gesundheitsreform auf der Agenda haben und der Platz da ja relativ begrenzt ist in

der Zeitung, versuchen wir, alles, was wir kriegen können an Hintergrund, an Zusatzinformatio-

nen, noch in Online reinzustellen“ (MAMO IF 25), sagt Michael Schröder. Die Rheinische Post

tut dies nur, „wenn es große Lagen gibt“ (RP IF 25), während sich die Sächsische Zeitung und der

Weser-Kurier im Internet auf die „schnelle News“ (SäZ IF 25) konzentrieren (vergleiche WK IF

25). Entgegen den Ergebnissen des Leser/Nutzer-Panels ist Ralf Geisenhanslüke der Auffassung,

dass die Nachfrage nach hintergründigen und weiterführenden Online-Informationen tatsächlich

noch nicht so ausgeprägt ist, wie das die Antworten der befragten Rezipienten vermuten lassen.

„Wir nehmen die Orientierungsfunktion dort [im Internet] nicht so wahr, weil im Netz andere

Nutzer unterwegs sind, die im Moment noch andere Dinge von uns erwarten.“ (SZ IF 25).

Primär wird der Online-Kanal jedoch von den vom IPJ befragten Lesern und Nutzern als

aktueller Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahrgenommen, während er als

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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überregionaler Nachrichtenkanal keine Rolle spielt (vergleiche Kapitel 3.2.4. dieser Arbeit) – eine

Charakterisierung, die alle interviewten Experten dieser Arbeit inhaltlich teilen, sie aber nicht zur

gleichen Schlussfolgerung bringt: Nur die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine und die Schwä-

bische Zeitung legen den Fokus ihres Online-Portals konsequent auf ihr Verbreitungsgebiet und

berichten nicht oder nur zu besonderen Anlässen über überregionale Ereignisse. „Wenn wir täg-

lich messen, […] dann werden die Lokalnachrichten von Witzenhausen an einem Tag wesentlich

mehr geklickt als Politik, Wirtschaft und Kultur zusammen“ (HNA IF 28), erklärt Horst Seidenfa-

den und bestätigt damit die Ergebnisse des IPJ. Auch die SZ bildet online immer weniger überre-

gionale Ergebnisse ab, „weil wir da keine Klickzahlen haben, das sehen wir ganz eindeutig, diese

Themen werden woanders geklickt“ (SZ IF 28). Die übrigen untersuchten Medienhäuser bieten

online das gesamte Themenspektrum, um in der öffentlichen Wahrnehmung nicht an Glaubwür-

digkeit zu verlieren (vergleiche BZ IF 28, GA IF 28 und WAZ IF 28). Beispielhaft ist die Argu-

mentation Rainer Maria Gefellers: „Wenn wir es weglassen, ist das, glaube ich, ein Nachweis da-

für, dass das nur ein enger, kleiner Provinzkanal ist, dem man deswegen vielleicht auch nicht die

hinreichende Kompetenz zuspricht“ (FNP IF 28). Für Lars Haider ist es eine „Frage der Vollstän-

digkeit“ (WK IF 28), die Michael Schröder noch umfassender auf den Anspruch und das Image,

das Rezipienten mit ihren Medien verbinden, bezieht. Der Leser und Nutzer will „weder online

noch im Print etwas Provinzielles haben, sondern er will von seinem Medium sagen können, egal

ob Print oder Online, hier fühle ich mich gut aufgehoben, hier steckt Qualität dahinter. Das ist

nicht billig gemacht“ (MAMO IF 28). Für Uwe Vetterick geht es um Reichweite: „Man darf die

überregionalen Nachrichten auf gar keinen Fall weglassen, weil wir uns damit Reichweite ver-

schießen würden, weil die Leute durchaus auch auf diese Themen zugreifen. […] An der Spitze

sind es eher immer die lokalen und regionalen Themen, die Traffic ziehen, aber das heißt nicht,

dass im Umkehrschluss überregionale Themen überhaupt nicht laufen“ (SäZ IF 28). Eine Aus-

nahme ist der Online-Kanal der Rheinischen Post, der sich auch „als nachrichtliches überregiona-

les Portal“ versteht und den „hochwertigen Nachrichtenbereich“ (RP IF 28) zu seinem Portfolio

zählt. „RP Online gehörte zu den allerersten Online-Portalen überhaupt in Deutschland und hat

sich eigentlich immer auch so definiert, dass es ein Nachrichtenportal ist mit einem regionalen

Schwerpunkt“ (RP IF 28), erläutert Carsten Fiedler. Unabhängig von der Frage, in welchem Maß

die Internet-Portale der untersuchten Häuser das überregionale Geschehen abbilden, steht bei allen

das aktuelle regionale und lokale Geschehen im Fokus ihrer Online-Berichterstattung (vergleiche

dazu das Kapitel 5.3. dieser Arbeit), eine strategische Leitentscheidung, die durch die Ergebnisse

des Leser/Nutzer-Panels des IPJ gedeckt ist.

Im Zusammenhang mit dem Themenprofil des Online-Kanals stellt sich für einige Exper-

ten die Frage, ob das stationäre Internet, also die „schnelle Überblicksinformation“ auf der Home-

page, „das, was man manchmal auch ,quick und dirty‘ nennt“ (BZ IF 7), für Medienhäuser über-

haupt eine Zukunft hat – Zukunft im Sinne des Ziels, über Reichweite irgendwann Werbe- oder

Vertriebserlöse zu erzielen. Im Gegensatz dazu setzen die Unternehmen perspektivisch auf mobile

Angebote und verbinden insbesondere mit der Markteinführung von Tablet-Computern sehr große

Hoffnungen (vergleiche Kapitel 5.1. dieser Arbeit). Das Nutzungsverhalten der vom IPJ befragten

Rezipienten passt jedoch nicht zu diesen Vorstellungen: Für die Kunden regionaler Medienhäuser

spielt die mobile Nutzung von Medienangeboten in ihrem alltäglichen Leben keine Rolle (verglei-

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Crossmedia-Strategien im Spiegel des Leser/Nutzer-Panels

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che Kapitel 3.2.1. dieser Arbeit). Offensichtlich wird an dieser Stelle, dass die Verlage zu wenig

über ihre Rezipienten und deren Bedürfnisse wissen, sie können die Frage, ob ihre Leser und Nut-

zer die angebotenen Inhalte auch über mobile Vertriebswege haben möchten, nicht beantworten

(vergleiche Kapitel 5.2. dieser Arbeit). Logisch wäre der Ausbau mobiler Angebote vor dem Hin-

tergrund der IPJ-Ergebnisse hingegen, wenn auf die Weise neue Zielgruppen angesprochen wer-

den sollen, also Rezipienten, die im Moment weder die Tageszeitung noch das Online-Portal der

regionalen Medienhäuser nutzen. In diesem Fall müssten die mobil veröffentlichten Inhalte nicht

komplementär auf die in den übrigen Kanälen angebotenen Informationen abgestimmt werden,

sondern könnten im Sinne der Strategie der Mehrfachverwertung einfach 1:1 übernommen wer-

den (vergleiche Kapitel 5.2. dieser Arbeit). In beiden Fällen werden für eine strategische Planung

jedoch fundiertere Nutzerdaten benötigt: im Fall der Ansprache der aktuellen Leser und Nutzer,

um zu ermitteln, ob die Rezipienten mobile Vertriebswege nutzen wollen – und im Fall der An-

sprache neuer Zielgruppen, um in Erfahrung zu bringen, ob es überhaupt neue Kunden gibt, bei

denen die von regionalen Medienhäusern mobil angebotenen Inhalte auf Interesse stoßen könnten.

Wie zentral die Frage nach validen Nutzerdaten ist, zeigt auch die Tatsache, dass die vor-

gestellten Häuser meist nicht genau wissen, wie groß der Anteil der Print-Leser ist, der gleichzei-

tig auch das Online-Angebot seiner Zeitung nutzt. Die Ergebnisse des Leserpanels zeigen, dass

viele Print-Leser im Internet unterwegs sind – eben nur nicht auf den Online-Portalen ihrer Zei-

tungen: Es bestehen also große crossmediale Nutzungspotenziale, die mit Teasern, Verweisen und

zusätzlichen Angeboten aktiviert werden können (vergleiche Kapitel 3.2.1. dieser Arbeit). Mit

Ausnahme der HNA, die davon ausgeht, dass die Hälfte der Print-Abonnenten gleichzeitig die

Homepage des Hauses nutzt (vergleiche HNA IF 22), haben andere Medienhäuser allenfalls vage

Vorstellungen darüber, wie hoch der Anteil ihrer Doppelnutzer ist (vergleiche FNP IF 22, BZ IF

22, MAMO IF 22 und WAZ IF 22). Einigkeit herrscht bei den interviewten Experten, dass man

die crossmedialen Nutzungspotenziale durch Teaser und Verweise (vergleiche WK IF 22 und RP

IF 22) oder auch durch inhaltlichen Mehrwert realisieren kann, wie Ralf Geisenhanslüke erläutert:

„Man kann die Leute zu sich holen, in dem man uniquen Inhalt hat – also Inhalt, den kein anderer

hat, lokale Nachrichten“ (SZ IF 22).

Im Hinblick auf die strategische Ausrichtung der vernetzten Kanäle müsste jedoch neben

der Forderung nach inhaltlichem Mehrwert auch immer die Frage nach den anvisierten Zielgrup-

pen stehen: Nutzen das Online-Angebot in der Hauptsache Rezipienten, die das Angebot der Ta-

geszeitung nicht kennen oder sind auf dem Portal überwiegend Nutzer, die gleichzeitig regelmä-

ßige Leser der Tageszeitung sind? Im ersten Fall würde das Medienhaus die Strategie der Mehr-

fachverwertung wählen und die Inhalte von einem in den anderen Kanal einfach 1:1 übernehmen,

im zweiten Fall müsste die Redaktion den Content in beiden bespielten Medien aufeinander ab-

stimmen (vergleiche Kapitel 2.3. dieser Arbeit). Genau dieses Problem beschreibt Andreas Mühl:

„Und in unserem Fall, da müsste ich normalerweise sagen, ein GA-Leser kriegt ja alle Infos aus

dem GA, was soll der noch online? Da kriegt er kaum zusätzliche Infos, da kriegt er eine abge-

speckte Variante von Print“ (GA IF 22). Uwe Vetterick geht sogar noch einen Schritt weiter, in-

dem er fragt, ob regionale Medienhäuser mit den von ihnen angebotenen Produkten im Internet

überhaupt eine Chance haben, im Aufmerksamkeitsmarkt erfolgreich zu sein: Die Nutzer „sind

mehrheitlich […] in Social Networks unterwegs – oder kaufen ein, bestellen oder buchen irgend-

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etwas. Sie sind nicht auf Newsportalen. Ich glaube nicht, dass man gegen die Portale, die auf Un-

terhaltung setzen, irgendeine Chance hat“ (SäZ IF 22).

Bei den Mediengewohnheiten zeigt das Leser/Nutzer-Panel des IPJ, dass nur sehr wenige

Befragte Multimedia-Angebote nutzen und dass der Rückkopplungskanal nur für Leserbriefe und

den Kontakt mit der Redaktion gebraucht wird. Die Möglichkeiten, sich online mit anderen Nut-

zern auszutauschen, selber Inhalte zu erstellen oder in Foren oder sozialen Netzwerken mit ande-

ren Nutzern zu interagieren, spielen so gut wie keine Rolle (vergleiche Kapitel 3.2.1. dieser Ar-

beit). Dieses Ergebnis wird von den Experten differenziert bewertet: Die Erkenntnis, dass der Be-

such sozialer Netzwerke nicht zu den Kernwünschen ihrer Rezipienten gehört, spiegelt sich in den

Erfahrungen der vorgestellten Medienhäuser wider (vergleiche HNA IF 23, FNP IF 23, BZ IF 23,

GA IF 23 und WK IF 23). Ralf Geisenhanslüke fasst seine Beobachtung so zusammen: „Im Mo-

ment sind die Menschen noch in anderen sozialen Netzwerken unterwegs und haben sich auf ihre

favorisierten Netzwerke festgelegt. Und wenn sich Facebook als das Netzwerk entwickelt, dann

ist das das Maß aller Dinge in dem Bereich“ (SZ IF 23). Als Konsequenz entwickeln die Häuser

keine eigenen Community-Angebote, sondern versuchen, die Anbindung an bestehende Netzwer-

ke voranzutreiben (vergleiche HNA IF 23, SZ IF 23 und RP IF 23). Für die Sächsische Zeitung

ein Weg, der Erfolg verspricht: „Da haben wir seit Monaten wachsende Zahlen, und auch ein Gut-

teil der Reichweite kommt inzwischen daher“ (SäZ IF 23).

Anders sind die Erfahrungen, die die vorgestellten Medienhäuser mit Kommentarfunktio-

nen und Diskussionen gemacht haben: Entgegen der Ergebnisse des IPJ-Panels werden diese Fea-

tures auf den Online-Portalen sehr wohl nachgefragt (vergleiche HNA IF 23, BZ IF 23, SZ IF 23,

SäZ IF 23, WK IF 23 und RP IF 23). Die HNA erhalte jeden Tag zwischen 500 und 800 Kom-

mentare zu ihren Online-Artikeln (vergleiche HNA IF 23). Diese Beobachtung passt jedoch zu ei-

nem anderen Ergebnis des IPJ-Panels, nach dem der Online-Kanal besondere Bedeutung gewinnt

bei Diskussionsthemen, die keinen Ereignischarakter haben, sondern Themen eines öffentlichen

Diskurses sind (vergleiche Kapitel 3.2.4. dieser Arbeit). In Bezug auf multimediale Angebote ha-

ben alle Häuser den Anspruch, ihre online veröffentlichten Inhalte mit Videos, Bilder-Galerien

oder Audiospuren anzureichern (vergleiche Kapitel 5.3. dieser Arbeit), obwohl sie das nach den

Ergebnissen des IPJ-Panels so nicht müssten (vergleiche Kapitel 3.2.1. dieser Arbeit).

Ein Ergebnis des Leser/Nutzer-Panels stieß bei den Experten auf große Skepsis: das Des-

interesse der befragten Leser und Nutzer an Themen aus den Bereichen Leute, Unterhaltung,

Show und Kriminalität (vergleiche Kapitel 3.2.2. dieser Arbeit). Bei diesem von den Rezipienten

als bedeutungslos oder folgenlos wahrgenommenen Themenfeld wird erwartet, dass die Bericht-

erstattung keinen zu großen Raum einnimmt, weil Leser zwischen ihren Regionalzeitungen und

Boulevardmedien unterscheiden und vom Boulevard abgegrenzte Themensetzungen wollen (ver-

gleiche Kapitel 3.2.3. dieser Arbeit). Die ablehnende Haltung gilt sowohl für Tageszeitungen als

auch für Online-Portale (vergleiche Kapitel 3.2.4. dieser Arbeit). Für die Experten entspricht das

Ergebnis nicht der Realität, da die befragten Leser und Nutzer die Themen aus dem Bereich Bou-

levard im Hinblick auf eine soziale Erwünschtheit bewertet haben, also Antworten gegeben ha-

ben, von denen die Rezipienten glauben, sie träfen eher auf Zustimmung als die korrekte Antwort

(vergleiche RP IF 27, HNA IF 27, FNP IF 27, BZ IF 27, MAMO IF 27, GA IF 27, WAZ IF 27,

SäZ IF 27 und WK IF 27). Horst Seidenfaden hält die Bewertung der Leser und Nutzer für

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Crossmedia-Strategien im Spiegel des Leser/Nutzer-Panels

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„Quatsch“ (HNA IF 27), Andreas Mühl für „unehrlich“ (GA IF 27), Lars Haider für „Lügen“

(WK F 27) und Lutz Heuken für „unglaubwürdig“ (WAZ IF 27). Für Stefan Kläsener gehören

Meldungen aus dem Boulevard-Bereich zu einer Nachrichtenart, „die alle lesen und jeder sagt

nachher: Igitt, dass so etwas in meiner Zeitung steht“ (BZ IF 27), während Michael Schröder da-

raus schließt, „dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit manchmal doch ein kleiner Widerspruch

klafft“ (MAMO IF 27). Carsten Fiedler stellt ein „Grundbedürfnis nach bunten Geschichten“ (RP

IF 27) fest, die man intelligent aufbereiten sollte (vergleiche RP IF 27). Rainer Maria Gefeller

glaubt, dass im Umgang mit solchen Themen eine „Haltung“ (FNP IF 27) deutlich werden muss.

Michael Schröder fordert eine Balance zwischen Unterhaltung und Information (vergleiche MA-

MO IF 27), Lutz Heuken einen seriösen Umgang mit bunten Inhalten, weil man ohne das Boule-

vardthema, „das ja durchaus auch ernste und gesellschaftliche Aspekte hat“ (WAZ IF 27), eine

Zeitung nicht machen könne. Eine Ausnahme ist Ralf Geisenhanslüke: Der Chefredakteur der SZ

ist der Auffassung, dass regionale Medienhäuser „gut beraten sind, nicht zu viel zu machen. […]

Ein Boulevardthema erwarte ich bei einem RTL-Fernsehmagazin oder bei Brisant oder auch in

der Gala und in der Bildzeitung. Diesen Medien schreibe ich die Kompetenz zu, über die bunten

Themen in der Welt berichten zu können. Wir sind da halt nicht so kompetent“ (SZ IF 27).

Aufgrund dieser Einschätzungen der Experten wäre es logisch, wenn die Medienhäuser

Boulevardthemen einen bestimmten Raum in ihrer Berichterstattung einräumen würden, um über

diese bunten Inhalte in der jeweils angemessenen Weise zu berichten – und zwar unabhängig vom

Kanal, in dem das Thema veröffentlicht wird. Das ist jedoch nicht der Fall, weil die Experten das

Themenfeld Boulevard in erster Linie im Online-Bereich verorten und in der Print-Ausgabe diese

Inhalte im Vergleich zur Internetberichterstattung zurücknehmen (vergleiche Kapitel 5.3. dieser

Arbeit). Nur Horst Seidenfaden fordert, endlich die offensichtlichen Wünsche des Publikums an-

zuerkennen und die Nutzerbedürfnisse, die sich in den Klickraten im Netz spiegeln, auch für die

Print-Berichterstattung zu berücksichtigen. „Denn was in Online topinteressant ist, ist auch in

Print topinteressant, definitiv. Es führt nicht zu einer Boulevardisierung der Zeitung in dem Sinne,

dass man sagt, ihr macht ja nur noch den Mainstream, sondern wir machen zum allerersten Mal

das, was die Leute tatsächlich interessiert“ (HNA IF 11).

Fasst man die Ergebnisse des IPJ-Panels zusammen, ergibt sich aus den Themenpräferen-

zen und Nutzungsgewohnheiten der befragten Leser und Nutzer folgendes Anforderungsprofil für

regionale Medienhäuser: Mit der Print-Ausgabe müssen neben den lokalen und regionalen The-

men auch die relevanten überregionalen Ereignisse hintergründig und analytisch aufbereitet wer-

den. Das Online-Portal ist der lokale und regionale Nachrichtenkanal, der über die Lebenswelt der

Rezipienten aktuell berichtet. Neben der nachrichtlichen Versorgung bietet der Online-Kanal so-

wohl Themenschwerpunkte mit weiterführenden Informationen zu aktuellen Ereignissen als auch

langfristig geplante Dossiers ohne aktuellen Anlass. Alle Inhalte sind regionalisiert, das heißt, das

Medienhaus richtet sich konsequent regional aus und gewinnt jedem Thema die regionale Per-

spektive ab. Die vorhandenen crossmedialen Nutzungspotenziale werden mit Teasern, Verweisen

und kanalübergreifenden zusätzlichen Angeboten aktiviert (vergleiche Kapitel 3 dieser Arbeit).

Die Strategien, die dem Handeln der untersuchten Medienhäuser in ihrem Kampf um die

Aufmerksamkeit der Rezipienten zugrunde liegen, basieren auf einer komplementären Verschrän-

kung der bespielten Kanäle (vergleiche Kapitel 5.2. dieser Arbeit). Die Experten stimmen den Er-

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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gebnissen des Leser/Nutzer-Panels im Grundsatz zu und versuchen, die Themenpräferenzen der

Rezipienten zu berücksichtigen, den Content gemäß den Nutzerbedürfnissen in den jeweiligen

Medien zu publizieren und die in den verschiedenen Kanälen veröffentlichen Inhalte zu vernet-

zen. Dabei passt die Strategie, bei der Print-Ausgabe und Online-Ausgabe inhaltlich aufeinander

bezogen werden und die die meisten der vorgestellten Häuser zumindest als Ziel anstreben, zu den

Nutzungsgewohnheiten der Menschen, die in den Ergebnissen des Leser/Nutzer-Panels – vor al-

lem in den crossmedialen Nutzungspotenzialen – deutlich werden.

Die Medien versuchen, die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Leser und Nutzer im Hin-

blick auf die verschiedenen Medien ernst zu nehmen, indem sie ihre Inhalte kanalspezifisch auf-

bereiten – oder das Ziel haben, den Anspruch mittelfristig zu erfüllen. Die Ansicht, dass der Kanal

Online den Kanal Print kannibalisieren könnte, weicht mehr und mehr dem Verständnis, dass Ta-

geszeitung und Internet zu „Medienwelten“ gehören, die „selbstverständlich auch zueinander

existieren können“ (FNP IF 10).

Unpräzise werden die strategischen Leitentscheidungen jedoch im Hinblick auf die anvi-

sierten Zielgruppen: Die Frage nach dem Anteil der Doppelnutzer, also den Rezipienten, die die

Angebote eines Medienhauses über alle Kanäle hinweg verfolgen, spielt eine entscheidende Rolle

bei der Wahl der Strategie. Ist der Anteil der Doppelnutzer hoch, müssen die in den einzelnen Ka-

nälen publizierten Themen zumindest insoweit aufeinander abgestimmt sein, dass sie sich nicht

wiederholen – diese Gefahr ist zu vernachlässigen, wenn der Anteil der Doppelnutzer gering ist.

So verortet sich die Sächsische Zeitung strategisch ungünstig im Bereich der Mehrfachverwer-

tung, zählt aber eine vergleichsweise hohe Zahl von Doppelnutzern zu ihren Rezipienten (verglei-

che SäZ IF 3 und SäZ IF 4). Auffällig ist, dass die meisten Medienhäuser nur sehr unklare Vor-

stellungen über ihre Rezipienten – besonders im Online-Bereich – haben (vergleiche Kapitel 5.2.

dieser Arbeit), was eine genaue strategische Planung unmöglich macht.

Die Art und Weise, wie die Medienhäuser ihre Kanäle vernetzen, hängt eng mit der Wahl

der Strategie und den anvisierten Zielgruppen zusammen. Dabei geht es um die Frage, ob Inhalte

unverändert von einem in den anderen Kanal übernommen, ob sie verändert oder auch neu gene-

riert werden. Die HNA, die sich strategisch zwischen Komplementarität und Mehrfachverwertung

ansiedelt und ebenfalls einen hohen Anteil von Doppelnutzern hat (vergleiche HNA IF 4), geht

mit ihrer Vernetzung die Gefahr ein, dass Rezipienten denselben Inhalt zwei Mal angeboten be-

kommen: „Im Endeffekt, wenn der fertige Zeitungsartikel da ist, dann übernehmen wir den auch

für Online“ (HNA IF 16). Die Schwäbische Zeitung hat das Ziel, Geschichten komplementär über

verschiedene Kanäle hinweg zu erzählen, spricht aber mit ihren Kanälen verschiedene Zielgrup-

pen an und hat aus diesem Grund das Gebot aufgestellt, dass jede Geschichte in sich und in jedem

Medium abgeschlossen sein muss (vergleiche SZ IF 4). Man kann konstatieren, dass nicht bei al-

len Medienhäusern Strategie, Zielgruppen und Vernetzung adäquat aufeinander abgestimmt sind.

Offen bleiben muss an dieser Stelle die Frage nach dem Themenfeld Boulevard: Sollen

regionale Medienhäuser in ihren Kanälen bunte Geschichten aus dem Bereich Leute, Unterhal-

tung, Show und Kriminalität veröffentlichen? Da steht Aussage gegen Aussage – die Rezipienten

des Leser/Nutzer-Panels sagen nein, was die Interviewten als Unwahrheit und Antworten sozialer

Erwünschtheit zurückweisen. Wenn man allerdings die Klickzahlen im Netz – wie von Horst Sei-

denfaden gefordert (vergleiche HNA IF 11) – als Maßstab nimmt, ist die Antwort klar.

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Schlussbetrachtung

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7. Schlussbetrachtung Das Verhältnis zwischen Journalist und Konsument hat sich geändert, es ist in den vergangenen

Jahren demokratischer geworden. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Fernsehjournalist und der

Zeitungsredakteur sicher sein konnten, dass die Nachrichten am Abend verfolgt und die Kommen-

tare zum Frühstück in jedem Fall von einem Großteil der Menschen in Deutschland gelesen wer-

den: Niemand muss mehr um 20.15 Uhr die Tagesschau sehen und zum Frühstück die Frankfurter

Neue Presse lesen, um sich in seinem Alltag – im Großen wie im Kleinen – zurecht zu finden.

Neue digitale Kanäle haben die uneingeschränkte Macht der klassischen Massenmedien gebro-

chen. Viele neue Konkurrenten fordern Tageszeitung, Radio und Fernsehen heraus, kämpfen um

das rare Gut Aufmerksamkeit und versuchen, die Medienbedürfnisse des Rezipienten umfassend

zu befriedigen: Und sind deren Angebote „besser, relevanter, schneller oder was auch immer –

dann bekommen sie diese Aufmerksamkeit“ (Jakubetz 2008: 155). Aber nicht nur die Medienwelt

hat sich gewandelt, auch der Leser, Hörer und Zuschauer ist ein anderer. Das Publikum hat sich

emanzipiert und „holt sich längst von jeder Plattform, was ihm passt“ (Käfer 2009: ohne Seite),

wie es der österreichische Medienberater Andy Kaltenbrunner auf den Punkt bringt.

Das Leser/Nutzer-Panel des Instituts für Praktische Journalismusforschung (IPJ) illustriert

solche Ansprüche eines emanzipierten Publikums und zeigt auf, wie sich die Rezipienten regiona-

ler Medienhäuser rund 20 Jahre nach der Programmierung der ersten Internetseite ihre Tageszei-

tung und das an sie angeschlossene Online-Portal vorstellen. Dabei belegen die Ergebnisse des IPJ

eines völlig klar: Für die Kunden regionaler Medienhäuser ist kein Kanal entbehrlich – weder die

Zeitung noch das Internet. Im Gegenteil, sie brauchen beide Kanäle und weisen jedem Kanal spe-

zifische Funktionen zu, die sich im Alltag der Menschen ergeben.

Für Medienhäuser, die vor dem Hintergrund dieser veränderten Rahmenbedingungen ihre

Zukunftsfähigkeit sicherstellen wollen, bedeutet das vor allem, dass sie sich mit einer echten und

konsequent zu Ende gedachten Strategie der Komplementarität den Bedürfnissen ihrer Rezipien-

ten stellen müssen – komplementär ausgerichtet deshalb, weil der Kunde selbstverständlich seine

Nutzungsgewohnheiten nicht auf einen Kanal fokussiert, sondern alle Medien und alle Kanäle in

seine täglichen Informationsroutinen einbezieht. Das Leser/Nutzer-Panel des IPJ hat genau das

gezeigt – nämlich, dass sich die Medienbedürfnisse über alle Kanäle verteilen werden und das

Publikum versucht, mit jedem Kanal bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Diese grundlegenden

Faktoren müssen in den strategischen Konzepten der Medienhäuser ihren Niederschlag finden, in

strategischen Konzepten, die alle bespielten Kanäle gleichberechtigt mit einbeziehen. Denn der

Rezipient wird es sehr wohl bemerken, wenn das Medienhaus seines Vertrauens ihm auf einem

Kanal Inhalte vorsetzt, die ihm auf einem anderen Kanal mit einer anderen Schlagzeile und einem

veränderten Vorspann schon einmal präsentiert wurden.

Das vorige Kapitel hat das Anforderungsprofil für regionale Medienhäuser, das sich aus

dem IPJ-Panel ergibt, vorgestellt: Die Print-Ausgabe berichtet neben lokalen und regionalen Er-

eignissen hintergründig und analytisch über relevante überregionale Themen, während sich die

Online-Ausgabe vor allem um die lokale Ereigniswelt kümmert und diese aktuell nachrichtlich

aufarbeitet. Alle Inhalte der einzelnen Kanäle sind aufeinander abgestimmt, weil sich die Rezipi-

enten aller Medien bedienen, und konsequent regionalisiert, das heißt, die Redaktion gewinnt je-

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dem thematisierten Geschehen die regionale Perspektive ab (vergleiche Kapitel 6 dieser Arbeit).

Entscheidend wird künftig die Tatsache sein, dass die Themen, die in den einzelnen Kanälen ver-

öffentlicht werden, sich inhaltlich ergänzen und dass die Geschichten über alle Kanäle hinweg

komplementär erzählt werden. Denn ein Kunde eines regionalen Medienhauses interessiert sich

für die Themen seiner Region, das heißt: Der Kunde des Medienhauses Schwäbischer Verlag will

über die Ereignisse zwischen Ostalb und Bodensee, zwischen Allgäu und Schwarzwald informiert

werden, er hat dabei spezielle Nutzungsgewohnheiten und Informationsbedürfnisse, in welchen

Kanälen und zu welchen Zeiten er die für ihn interessanten Themen konsumiert – und die muss

der Schwäbische Verlag in seinen Planungen berücksichtigen. Für alle in dieser Arbeit vorgestell-

ten Häuser geht es also darum, „den künftigen Konsumenten Medien so anzubieten, dass sie ihren

Nutzungsgewohnheiten so weit wie möglich entgegenkommen“ (Jakubetz 2008: 165).

Die Rheinische Post erfüllt mit ihrem komplementären Konzept bereits jetzt die meisten

Voraussetzungen, die die Leser und Nutzer des IPJ-Panels ihren Medienhäusern ins Pflichtenheft

geschrieben haben. „Die Idee ist, einen nachrichtlichen Kern online auszuspielen und auf dieser

Basis eine Weiterentwicklung der Geschichte herbeizuführen, die sich dann am nächsten Morgen

in der Zeitung wiederfindet.“ Auf keinen Fall darf dabei der Fall eintreten, „dass sich Geschichten

1:1 am nächsten Morgen so in der Zeitung wiederfinden, wie wir sie online ausgespielt haben“

(RP IF 2). Auch die Braunschweiger Zeitung ist im Hinblick auf die aus dem IPJ-Panel abzulei-

tenden Forderungen auf dem richtigen Weg, denn die aktuellen Online-Artikel haben „im Grund

mit der Printaufbereitung wenig zu tun, weil die Redaktionen sagen, die Nachricht alleine ist gar

nicht das, was wir am nächsten Tag im Lokalen aufmachen, sondern wir machen das Lesestück

oder die Hintergrundgeschichte dazu auf oder wir sprechen mit den Beteiligten“ (BZ IF 16). In-

wieweit die Medienhäuser die Konzepte umsetzen und ihre Zielvorstellungen schon in ihre alltäg-

lichen Arbeitsroutinen implementiert haben, kann diese Arbeit an dieser Stelle nicht bewerten.

Auch der Anspruch der Schwäbischen Zeitung, jedem Kanal ein eigenständiges Profil zu

geben, passt zu den im IPJ-Panel deutlich werdenden Anforderungen, an denen Leser und Nutzer

ihre Medienanbieter messen. „Wir werden jetzt relativ schnell dahin kommen müssen, dass wir im

Print den Schwerpunkt für Hintergrund, Meinung und Erzählung haben und dass wir im Online-

Bereich für den Überblick kurze, schnelle Nachrichten präsentieren – oder auch für den erweiter-

ten Horizont im Hinblick auf Dossiers, Bildergalerien und Videos“ (SZ IF 5). Der Weser-Kurier

will in diesem Zusammenhang seine Print-Ausgabe zu einer „täglichen Wochenzeitung“ (WK IF

10) weiterentwickeln. Die Begründung für die Differenzierungsstrategie liegt in den Wünschen

des Publikums, die sich wie aufgezeigt im IPJ-Panel spiegeln: „Es gibt ja auch verschiedene In-

formationsbedürfnisse: die tolle Geschichte oder die reine Information. Wenn ich das Bedürfnis

habe, eine Geschichte zu lesen und erzählt zu bekommen, kaufe ich mir ein Printprodukt. Wenn

ich schnell informiert werden will, greife ich zum Online- oder Mobile-Device“ (SZ IF 4).

Die Medienhäuser verfolgen jedoch mit ihrer Strategie, die Bedürfnisse der Nutzer und

Leser möglichst passgenau zu befriedigen, nicht nur altruistische Motive, sondern sie verbinden

mit ihrem Handeln auch die Hoffnung, dass sich ihre Anstrengungen in Zukunft für sie auszahlen

werden. Ohne eine konsequent komplementäre Ausrichtung „bekommen wir die einzelnen Medi-

en nicht abgetrennt und können […] nicht in eine Bezahlstrategie wechseln. Ich kann nicht für In-

halte Geld nehmen, die ich woanders kostenlos anbiete. Das heißt, da muss ich trennscharf diffe-

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Schlussbetrachtung

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renzieren und sagen, da nehme ich nur das rein, das ist dann kostenlos – und für mehr Inhalte, für

eine andere Qualität nehme ich wieder Geld“ (SZ IF 5). Die Medienhäuser erwarten, dass sich

mittelfristig mit vertiefenden und weiterführenden Informationen, die sich die Leser und Nutzer

des IPJ-Panels sowohl in der Tageszeitung als auch im Internet wünschen, Erlöse erwirtschaften

lassen – und zwar über alle Kanäle hinweg. „Irgendwo muss man eine Bezahlschranke aufma-

chen. Wenn das Bedürfnis nach weiteren Inhalten da ist, kann ich auch Geld dafür nehmen“ (SZ

IF 29). Wenn Rezipienten sich hintergründig aufbereitete Informationen in Print und Online wün-

schen und zudem bereit sind, für die Tageszeitung zu zahlen, besteht die Möglichkeit, dass sie für

ähnlich qualitative Inhalte im Internet – oder auch auf mobilen Endgeräten – ebenfalls bereit sind,

eine Bezahlschranke zu akzeptieren, so lautet der Gedankengang.

Die Aufgabe des Prinzips „Online first“ ist eng mit dieser strategischen Zielsetzung ver-

knüpft: Die meisten Medienhäuser haben das Ziel, exklusiv generierte Inhalte vor der Konkurrenz

zu schützen – das geschieht in erster Linie dadurch, dass Scoops nicht online gesetzt, sondern für

die Print-Ausgabe zurückgehalten werden. Die Sächsische Zeitung geht einen Schritt weiter: Sie

schützt ihre exklusiven Geschichten ebenfalls, aber nicht dadurch, dass sie „Online first“ aufgibt,

sondern „Money first“ (SäZ IF 20) mit dem Ziel dagegen setzt, „dass alle Inhalte, die mehrheitlich

exklusiv bei uns sind, bezahlt werden müssen“ (SäZ IF 7) – entweder in der Tageszeitung oder im

Bezahlbereich des Online-Portals.

Die Überlegungen der Braunschweiger Zeitung und der Schwäbischen Zeitung gehen in

exakt die gleiche Richtung: „Die schnelle Überblicksinformation wird kostenfrei bleiben“, erklärt

BZ-Chefredakteur Stefan Kläsener. „Aber dahinter wird es eine Schranke geben, mit der man

sagt, die eigentlich journalistische redaktionelle Leistung dahinter ist […] jetzt kostenpflichtig“

(BZ IF 7). Auch SZ-Chefredakteur Ralf Geisenhanslüke ist davon überzeugt, „dass wir viele un-

serer Inhalte nur noch verkaufen dürfen. […] Ich werde nicht dauerhaft Inhalte kostenlos anbie-

ten, die ich jetzt gegen Geld in der Zeitung verkaufe“ (SZ IF 7). Beispiele für solchen Content

sind im Verständnis Ralf Geisenhanslükes aufwändige Online-Dossiers, sie gehören zum „Be-

reich der teuren oder wertvollen Inhalte, die ich nicht kostenlos rausgeben kann. Man generiert zu

bestimmten Themen inhaltliche Schwerpunkte mit Archiv, Linksammlung und weiterführendem

Content und legt die Schwerpunkte hinter die Bezahlschranke“ (SZ IF 29). Die Rheinische Post

sammelt damit schon jetzt die ersten Erfahrungen: Die Gesundheitsserie „Unser Körper“, die ur-

sprünglich in der Print-Ausgabe gelaufen ist, hat das Medienhaus als Reprints über ihr Online-

Portal vertrieben. „Für das PDF ,Unser Körper‘ haben wir 2,49 Euro genommen, und das haben

wir mit großem Erfolg auf diesem Distributionsweg auch nochmals verkaufen können“ (RP IF 7).

So weitsichtig die vorgestellten Zukunftsplanungen auch sind, trotz allem haben die Stra-

tegen der Medienunternehmen mit einer entscheidenden Ungewissheit zu kämpfen. Mit der Un-

gewissheit, ob sich im künftigen Medienmarkt Rezipienten finden lassen, die bereit sind zu sagen,

„für diese Dienstleistung bezahle ich, vorausgesetzt, die Qualität stimmt“ (BZ IF 10). Die Häuser

setzen auf diese Kunden, sie hoffen, dass „sich da doch noch irgendwann ein Geschäft aufbaut“

(SäZ IF 2), denn eines ist klar: Die Einbrüche, die im klassischen Printmarkt langfristig absehbar

sind, „dieses Wegbrechen an Umsatz und an Ertrag“, muss dadurch kompensiert werden, „dass

wir uns im digitalen Markt engagieren“ (SZ IF 2).

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Anhang

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9. Anhang

9.1. Liste der digitalen IPJ-Reports (auf Datenträger geordnet nach Wellen) 1. Leserpanel: Augsburger Allgemeine, Report 1/Dezember 2009, Bibliothek des IPJ 2010. 2. Leserpanel: Frankfurter Neue Presse, Report 1/Dezember 2009, Bibliothek des IPJ 2010. 3. Leserpanel: HNA, Report 1/Dezember 2009, Bibliothek des IPJ 2010. 4. Leserpanel: Mittelbayerische Zeitung, Report 1/Dezember 2009, Bibliothek des IPJ 2010. 5. Leserpanel: Mitteldeutsche Zeitung, Report 1/Dezember 2009, Bibliothek des IPJ 2010. 6. Leserpanel: Donaukurier, Report 1/Dezember 2009, Bibliothek des IPJ 2010. 7. Leserpanel: Augsburger Allgemeine, Report 2/Januar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 8. Leserpanel: Frankfurter Neue Presse, Report 2/Januar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 9. Leserpanel: HNA, Report 2/Januar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 10. Leserpanel: Mittelbayerische Zeitung, Report 2/Januar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 11. Leserpanel: Mitteldeutsche Zeitung, Report 2/Januar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 12. Leserpanel: Donaukurier, Report 2/Januar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 13. Leserpanel: Augsburger Allgemeine, Report 3/Februar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 14. Leserpanel: Frankfurter Neue Presse, Report 3/Februar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 15. Leserpanel: HNA, Report 3/Februar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 16. Leserpanel: Mittelbayerische Zeitung, Report 3/Februar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 17. Leserpanel: Mitteldeutsche Zeitung, Report 3/Februar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 18. Leserpanel: Donaukurier, Report 3/Februar 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 19. Leserpanel: Augsburger Allgemeine, Report 4/März 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 20. Leserpanel: Frankfurter Neue Presse, Report 4/März 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 21. Leserpanel: HNA, Report 4/März 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 22. Leserpanel: Mittelbayerische Zeitung, Report 4/März 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 23. Leserpanel: Mitteldeutsche Zeitung, Report 4/März 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 24. Leserpanel: Donaukurier, Report 4/März 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 25. Leserpanel: Augsburger Allgemeine, Report 5/April 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 26. Leserpanel: Frankfurter Neue Presse, Report 5/April 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 27. Leserpanel: HNA, Report 5/April 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 28. Leserpanel: Mittelbayerische Zeitung, Report 5/April 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 29. Leserpanel: Mitteldeutsche Zeitung, Report 5/April 2010, Bibliothek des IPJ 2010. 30. Leserpanel: Donaukurier, Report 5/April 2010, Bibliothek des IPJ 2010.

9.2. Die Experteninterviews59 9.2.1. Horst Seidenfaden/Hessisch-Niedersächsische Allgemeine ................................................ 90

9.2.2. Rainer Maria Gefeller/Frankfurter Neue Presse ................................................................... 99

9.2.3. Stefan Kläsener/Braunschweiger Zeitung .......................................................................... 107

9.2.4. Michael Schröder und Tobias Döpker/Mannheimer Morgen ............................................. 118

9.2.5. Andreas Mühl/Bonner General-Anzeiger ........................................................................... 128

9.2.6. Ralf Geisenhanslüke/Schwäbische Zeitung ....................................................................... 135

9.2.7. Lutz Heuken/Westdeutsche Allgemeine Zeitung ............................................................... 143

9.2.8. Uwe Vetterick/Sächsische Zeitung ..................................................................................... 152

9.2.9. Carsten Fiedler/Rheinische Post ......................................................................................... 159

9.2.10. Lars Haider/Weser-Kurier ................................................................................................ 169

59 Alle Auflagenzahlen der Print-Ausgaben und die Anzahl der Lokalausgaben im Folgenden nach Schütz (2009), alle Nutzungsdaten der Online-Portale auf Grundlage der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) – online abgerufen für Juli 2010 unter http://www.ivw.de/ am 11. August 2010. Die Antworten zur ersten Leitfrage sind entweder direkte Zitate des Interviewten oder Zusammenfassun-gen des Verfassers, die auf den Aussagen der Befragten oder anderen kenntlich gemachten Quellen beruhen, die direkten Zitate sind kenntlich gemacht.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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9.2.1. Horst Seidenfaden/Hessisch-Niedersächsische Allgemeine

Der Verfasser hat das Interview am Mittwoch, 7. Juli, um 15 Uhr im Verlagshaus der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) in der Frankfurter Straße in Kassel geführt. Gesprächs-partner war Horst Seidenfaden, der Chefredakteur der HNA. • Name des Mediums

Hessische-Niedersächsische Allgemeine Zeitung

• Verbreitungsgebiet und Region Nordhessen und Südniedersachsen

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Horst Seidenfaden: Print und Online. Und wir machen eine eigene Fernsehsendung, eine Nachrichtensendung für den offenen Kanal hier.

• Anzahl der festangestellten Redakteure Knapp 140

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Horst Seidenfaden: Wir sagen immer, wir haben 140 Online-Redakteure und 140 Print-Redakteure. Das trifft im weitesten Sinne auch zu, wobei in bestimmten Redaktionen wie Po-litik oder Wirtschaft die Aktivitäten, die jetzt rein für Online meinetwegen genutzt werden, begrenzter sind als in Lokalredaktionen. In Lokalredaktionen muss jeder alles können. Dazu kommen sieben Online-Spezialisten und zwei Online-Volontäre.

• Anzahl der Lokalausgaben 16

• Auflage der Printausgabe 161 400 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.hna.de – 1 897 036 Visits mit 15 734 272 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste Horst Seidenfaden: Haben wir im Sinne von Newslettern, die auf Handys verschickt werden, und einer eigenen App. Aktivitäten auf Facebook sind dabei, es wird getwittert. Ich habe kei-ne Daten über Nutzerzahlen.

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote Horst Seidenfaden: Der offene Kanal ist ein Angebot der Landesanstalt für privaten Rundfunk (LPA), für die Kabelnetze in und um Kassel. Erreichbar sind um die 80 000 Haushalte. Das ist eine feste Nachrichtensendung mit lokalen Nachrichten, die nachmittags unter Live-Bedingungen produziert, aufgezeichnet und abends um 18 und um 22 Uhr gesendet wird. Nutzerzahlen erhebt die LPA leider nicht. Man kann sich da nur auf ein gefühltes Feedback verlassen, dass man auf der Straße angesprochen wird, wenn man moderiert hat. Es gibt of-fensichtlich Leute, die gucken es. Aber ich glaube, dass die Länderspiele im Augenblick von mehr Leuten geguckt werden.

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote Horst Seidenfaden: Radio machen wir praktisch nur, wenn Sportveranstaltungen sind. Und dann haben wir auch nur Internetradio. Also Live-Übertragungen vom Eishockey oder Live-Übertragungen von der Bundesliga – das, was kostenfrei zu machen ist im Augenblick. Das machen auch die Printredakteure und der Chefredakteur.

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Ich finde, das Wichtigste ist, dass zunächst mal eine Online-Redaktion kein Eigenleben führen darf, wie es in manchen Häusern ja gemacht wurde, dass die entweder im Keller sitzen oder in ir-gendwelchen Bürogebäuden ein paar Häuser weiter. Sondern eine Online-Redaktion, die im We-

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Anhang: Interview Horst Seidenfaden/Hessisch-Niedersächsische Allgemeine

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sentlichen von den redaktionellen Inhalten der Tageszeitung lebt, was das lokale und regionale Umfeld betrifft, muss mittendrin integriert sein in eine normale Printredaktion. Und solange dann auch eine Online-Redaktion für Print etwas macht und eine Printredaktion zunehmend Aktivitäten übernimmt, die reine Internetaktivitäten sind, dann fängt das Crossmediale nicht beim Produkt an, sondern im Endeffekt in den Köpfen der Beteiligten. Und das ist das Wichtigste überhaupt. Es ist ja nach wie vor in der Diskussion, wie kriegt man Printredakteure dazu, online zu denken. Das fängt damit an, dass man, wie wir es gemacht haben vor Jahren, einfach gesagt hat: Leute, wir machen Internet auf. Dann hatten die aber irgendeine Startseite, die nicht hna.de war. Mit anderen Worten: Die interessierten sich auch nicht für einen eigenen Web-Auftritt. Und das ist so eine Po-litik der kleinen Schritte, die man hinkriegen muss. Und wir reden heute, wenn wir in unserer Re-daktionskonferenz sitzen, wo die Online-Redaktion dabei ist, über Internet so automatisch als Be-standteil unserer Gesamtproduktionen, als wäre das schon 50 Jahre so.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Weil wir genau wissen, erstens sinkt unsere Abo-Auflage und auch die verkaufte Auflage, und Online bietet uns die Möglichkeit, unsere redaktionellen Inhalte einem breiten Publikum zukom-men zu lassen. Und wenn wir die Zahl der Unique User nehmen – die Zahl korrespondiert mit den knapp 1,8 Millionen Usern, die wir insgesamt haben pro Monat, das ist eine sechsstellige Zahl um die 190 000 herum – da wissen wir, das 60 Prozent der Unique User keine HNA-Abonnenten sind. Unterm Strich führt das zu der Erkenntnis, dass wir dank Online jeden Tag mit unseren re-daktionellen Inhalten eine größere Reichweite haben als in den Achtziger und Neunziger Jahren. HNA-Inhalte werden also mittlerweile mehr gelesen als früher. Wenn das keine Chance ist für ei-nen Print-Redakteur, dass seine Storys gelesen werden, dass er sie brillant verkaufen kann, dann begreife ich nicht, was er für ein Berufsverständnis hat.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Als Mischform. Ich glaube nicht, dass man im Tagesgeschäft dauerhaft einer Strategie folgen kann. Wenn wir Bewerbungsgespräche führen mit Volontären, dann kriegen die unter anderem eine Frage gestellt: Stellen Sie sich mal vor, hier unten ist ein Straßenbahnunfall. Sie sind der Ein-zige in der Redaktion, was machen Sie? Und 99,9 Prozent der Volontärbewerber sagen, ich neh-me meine Kamera, gehe runter und fotografiere und recherchiere erst mal. Das wollen wir aber gar nicht. Wir wollen als Allererstes, dass dieser Volontär sich ans Netz setzt und sagt: „Schwerer Straßenbahnunfall hier auf der Frankfurter Straße, Folgen noch nicht bekannt, es kann zu Ver-kehrsstaus kommen, alles Nähere demnächst erfahrbar in hna.de.“ Und dann soll er erst mal Onli-ne so weit wie möglich bedienen, aber mit Informationen, die wir hinterher auch in Print nutzen können. Und den Artikel für die Zeitung, das kann er irgendwann abends machen. Aber bis dahin wird online gespielt.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? 40 Prozent der Unique User, die Online nutzen, sind HNA-Abonnenten. Deswegen gibt es eine relativ hohe Schnittmenge. Wenn man sagt, wir haben 180 000 oder mittlerweile wahrscheinlich 200 000 Unique User, dann sind das 80 000. Die Hälfte der Abonnenten sind praktisch Online-Nutzer. Es gibt eine hohe Schnittmenge. Und es tritt nicht der befürchtete Kannibalisierungseffekt ein. Diejenigen, die die Zeitung nach wie vor nutzen, wollen sich schnell informieren und am nächsten Tag alles genüsslich nochmals nacherzählt wissen oder auch erweitert präsentiert be-kommen, mit ein bisschen mehr Analyse, was in Online nicht drin ist. Vielleicht auch mit einem längeren Text oder mit Kommentaren. Es gibt zwei Nutzungsschemata: Wenn ich auf Spiegel On-line gehe oder auf süddeutsche.de, dann schaue ich am nächsten Tag ja trotzdem in die Zeitung. Ich bekomme möglicherweise Appetit darauf, das einfach in Ruhe nochmals lesen zu können,

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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aber ich will mich grob informieren. Dazu ist Online da, und dazu gibt es hna.de. Im Endeffekt muss man sehen, dass regionale Tageszeitungen gerade mit Blick auf die jüngere Generation ei-gentlich nur eine einzige Chance haben, in die Köpfe reinzukommen, und zwar nicht als Zeitung, sondern als Marke. Ich bin die Informationsmarke in einem überschaubaren geografischen Raum. Wer wissen will, was hier los ist, sowohl tagesaktuell als auch serviceorientiert, der geht auf hna.de, und da soll kein anderer eine Chance haben. Es sind nicht die gleichen Inhalte, die Tages-zeitung bietet mehr Informationen – seien es Todesanzeigen, seien es Pressemitteilungen von Par-teien oder Vereinen, die online überhaupt nichts zu suchen haben, weil die niemand klickt. Also wird die Tageszeitung mittelfristig zumindest mal in den nächsten Jahren immer noch mehr In-formationen liefern als das der konzentrierte Online-Auftritt der Tageszeitung tun wird.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Auf unserer Website gibt es eine kontinuierliche Aktualisierung. Es ist hochinteressant für Print-redakteure, die zum ersten Mal erkennen, dass sie keinen Redaktionsschluss um 19 oder 21 Uhr haben, sondern kontinuierlich 24 Stunden am Tag. Bei den Top-Themen oder bei den lokalen Un-tergruppen geht es natürlich schon so ein bisschen darum, zu gucken, was geklickt wird. Und das erfragen wir dauerhaft aktuell, und diese Top-Themen stehen dauerhaft vorne. Und irgendetwas, was möglicherweise in einem Stadtteil-Umfeld diskutiert werden könnte, wird da wahrscheinlich niemals so hochploppen. Also gibt es da schon auch unterschiedliche Gewichtungen. Bei Online habe ich sechs, sieben Aufmacherthemen. Wenn ich 48 Seiten Tageszeitung habe und rechne die Anzeigenseiten ab, dann brauche ich 32 Aufmacher, die müssen alle die Seite tragen. Das ist dann schon noch ein gewisser Unterschied. Die Diskussion um den Bundesetat wird für unsere politi-schen Kollegen sicherlich ein Thema sein, das sie kommentieren und auch relativ groß darstellen. Das wird online überhaupt kein großes Thema sein, weil sich kein Mensch darum kümmert. Zu-mindest bei unserem Online-Angebot wird das nicht geklickt.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Wenn man das jetzt mal nicht unter Vollkosten-Gesichtspunkten betrachtet, dann habe ich einen Personalaufwand, der besteht aus sieben Redakteuren und zwei Volontären. Das ist unsere Onli-ne-Redaktion, on top ein paar Anzeigenvertreter, die sich ausschließlich ums Online-Geschäft kümmern. Und wenn ich die Sachkosten dazurechne und mir dann die Erlöse angucke, schreibe ich eigentlich online schwarze Zahlen. Aber das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung. Die gesamten redaktionellen Inhalte werden ja zum großen Teil nicht von Online-Redakteuren gene-riert, sondern von Printredakteuren. Also müsste ich anteilig Kosten da auch gewichten. So funk-tioniert es dann, dass ich dort natürlich rote Zahlen schreibe. Das ist die Frage der Betrachtung. Was will ich eigentlich jetzt als Grundlage der Wirtschaftlichkeit sehen?

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Nein, wir haben keine Paid-Content-Angebote. Ich finde, dass es sicherlich mittelfristig schön wä-re, Paid-Content zu haben. Aber die blutigen Nasen sollen sich andere holen mit ihren Versuchen. Wir gucken uns dann das Modell ab, was am ertragreichsten ist.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Die Tageszeitung steht für Glaubwürdigkeit und mittlerweile aufgrund der elektronischen Medien weniger für Aktualität. Das bedeutet, dass wir das auch mit den Topmeldungen, die wir haben,

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auch mit den Zwei-Zeilen-Meldungen, die wir online stellen, im Prinzip genauso umsetzen müs-sen. Also keine Hektik, sondern seriöser fundierter Journalismus. Die Glaubwürdigkeit der Marke darf durch Online-Aktivitäten nicht gefährdet werden, sonst gefährden wir die Marke insgesamt. Ansonsten kann ich nicht so behäbig daherkommen und glauben, dass man mit einer Tageszeitung die Grundschul- und Kindergartenkinder von heute noch in 20 Jahren erreichen wird. Ich glaube, dass die keine Zeitung mehr lesen. Deswegen steht auf der Kinderseite, die wir in Print noch ha-ben, die also in guten, wahrscheinlich eher bildungsbürgerlichen Haushalten den Kindern vor die Nase gehalten wird, kein Inhalt, der sich nicht mit dem Internet beschäftigt, sondern alles, was auf unserer Kinderseite ist, verweist auf hna.de und nicht auf irgendwelche Bestandteile der Zeitung. Die sollen relativ früh wissen: Wenn ich mich – auch als Achtjähriger – im Netz informieren will, dann muss ich auf hna.de.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Auf Erfahrungswerten, Zugriffszahlen, die wir messen können, anders als bei der Zeitung, bei der wir im Prinzip nach dem Bauchgefühl entscheiden, was ist wichtig. Da gibt es ja keine gesicher-ten Erkenntnisse, was die Leute interessiert. Früher hat man eine Stadtverordnetenversammlung immer automatisch aufgemacht. Da hat zwar kein Mensch zugehört, obwohl die öffentlich war, und Redaktionen haben dann eine Seite, zwei Seiten, eineinhalb Seiten Berichterstattung gemacht. Das machen wir heute online ganz anders, weil wir genau wissen, das interessiert keinen. Wir ha-ben es drin, komprimiert, wer gucken will, kann gucken, wer kommentieren will, kann kommen-tieren. Aber wir wissen ganz genau, was funktioniert und was nicht, was eine gewisse Gefahr ist für bestimmte Themen. Was online funktioniert, das ist ja klar. Das ist Sex, Crime, Blaulicht, der Skandal, was die Leute berührt, wo es an den eigenen oder anderer Leute Geldbeutel geht. Das sind alle diese Themen, die emotional in irgendeiner Art und Weise die Leute berühren. Alles, was sachlich fundiert ist, funktioniert online so gut wie gar nicht. Was die Themengewichtung in Print angeht, ist es ja so, dass jede Redaktion bei der Bewertung von Themen eigentlich nach Kri-terien geht, die nicht nachvollziehbar sind. Da spielt Erfahrung eine Rolle, da spielt das Bauchge-fühl eine Rolle, da spielt möglicherweise die Bedeutung eines Themas in anderen Medien eine Rolle und daraus schließt man, was groß gemacht und was klein gemacht werden muss. Gesicher-te Erkenntnisse gibt es ja da nicht. Es sei denn, man nimmt einfach die Erkenntnisse von Carlo Imboden und stellt fest, dass Print möglicherweise gar nicht viel anders funktioniert als Online. Außerdem gehen wir in Print handwerklich schludrig mit den Dingen um: Das heißt, man macht aus der Routine heraus irgendwelche Dinge, man macht sie häufig genug falsch und wundert sich, dass Leute die Texte nicht lesen und die Zeitung nicht lange genug in der Hand haben. Online funktioniert anders. Eine Online-Nutzung dauert maximal sieben Minuten, da kann man hand-werklich gar nicht so viel falsch machen.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Ich glaube, dass die Kanäle genau denselben Stellenwert haben wie heute – nämlich dass sie gleichberechtigt nebeneinander stehen. Online wird sich weiter sehr progressiv entwickeln, die Zeitung wird zunehmend in einem Verbreitungsgebiet wie unserem, das unter starkem Bevölke-rungsschwund leidet, Aboverluste hinnehmen müssen und wird trotzdem eine extrem hohe Be-deutung haben. Und für das Gemeinschaftsunternehmen Verlag wird Online mittelfristig auch nicht die Ertragskraft haben, wie sie die Printausgabe der Tageszeitung hat. Die Cashcow bleibt weiter die Zeitung. Ob in zehn Jahren noch, weiß ich nicht, aber in fünf Jahren definitiv noch. Und diese Effekte, die wir aus den USA kennen, das möchte ich ganz ehrlich sagen, da habe ich mittlerweile nach den Erfahrungen der letzten Jahren keine große Angst mehr, weil all das, was angeblich die Zeitungsmärkte drüben kaputt gemacht hat, viel selbst verursacht ist. Wir sind ganz anders aufgestellt mit unseren Verbreitungsgebieten und lokalen Strategien. Diese Strategien wer-den für regionale Zeitungen das A und O sein, um lokal und regional bedeutsam zu bleiben.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)?

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Unsere Online-Redaktion ist angewiesen, kontinuierlich zu schauen, welche Artikel besonders geklickt werden, damit sie die Website auch entsprechend gestalten kann. Sie geben entsprechen-de Rückmeldungen an die einzelnen Redaktionen, vor allem an die Lokalredaktionen, dass die möglicherweise im Laufe eines Tages, wenn sie eine andere Gewichtung ihrer Themen gehabt ha-ben, nochmals etwas switchen können. Denn was in Online topinteressant ist, ist auch in Print top-interessant, definitiv. Es führt nicht zu einer Boulevardisierung der Zeitung in dem Sinne, dass man sagt, ihr macht ja nur noch den Mainstream, sondern wir machen zum allerersten Mal das, was die Leute tatsächlich interessiert. Das heißt ja nicht, dass andere Themen vom Tisch ver-schwinden, sie werden nur anders gewichtet. In jeder Redaktionskonferenz, wir haben um 12 und 17 Uhr unsere gemeinsamen Redaktionskonferenzen, referiert die Online-Redaktion ganz konkret darüber, was die Topthemen des Tages sind, mit den Möglichkeiten für uns, noch zu switchen.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Nein.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Wir nutzen Kenntnisse, die man sich für billiges Geld kaufen kann, wenn man zu den Readerscan-Seminaren geht und einfach mal guckt, was die bei ihren Untersuchungswellen beispielsweise bei der Leine-Deister-Zeitung gemacht haben. Was die handwerklichen Erkenntnisse betrifft, brauche ich keine regionale Untersuchung, sondern kann das einfach adaptieren. Was die thematische Kompetenz betrifft, kann ich mir aus dem Online-Auftritt relativ viele Rückschlüsse holen für günstiges Geld. Die Mischung ergibt dann im Prinzip ein Gesamtbild, das verlässlicher ist als das, was wir vor 60 Jahren auch vorher gehabt haben.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Ich glaube schon, dass wir crossmedial in den Köpfen schon weit entwickelt sind. Es gibt keinen Redakteur mehr, der nicht an Online denkt und auch nicht online handelt. Das gibt es überhaupt nicht mehr, auch bei keinem Print-Redakteur. Umgekehrt funktioniert es natürlich auch, weil die Online-Redaktionen ein verlängerter Arm der Print-Redaktionen sind, was die Rückkoppelung be-trifft. Sicherlich wird sich möglicherweise im alltäglichen Zusammenspiel das eine oder andere noch perfektionieren müssen, aber ich bin extrem zufrieden, wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat. Dazu trägt natürlich auch die Volontärausbildung bei. Die werden multimedial ausgebildet. Wenn ich da in eine etwas weiter weg von Kassel existierende Lokalredaktion mit re-lativ vielen alten Redakteuren einen jungen Redakteur reinsetze, der multimedial ausgebildet ist, dann kriegen die innerhalb von sechs Monaten einen solchen Entwicklungsschub und entdecken plötzlich, dass es Spaß macht, eigene Videos zu machen oder abends aus der Stadtverordnetenver-sammlung aktuell per E-Mail Schlagzeilen zu liefern.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Online gibt es eine gewisse Besonderheit, was die überregionalen Inhalte betrifft: Diese Themen werden in der Regel von unserer gemeinsamen Firma Ippen digital in München gesteuert, das heißt, die liefern uns die Inhalte zu. Das machen die sehr professionell und sehr schnell. Alles an-dere wird hier vor Ort gemacht, aber ohne Anwendung eines Newsdesks, weil ich den Newsdesk an sich als eine unglaublich überbewertete Form von Personalverschwendung halte. Ich habe

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nichts davon, wenn in Zweischichtbetrieben meinetwegen acht Leute an einem Tisch sitzen und die Sache unterhalten und möglicherweise sogar produzieren, was jetzt welchen Stellenwert hat. Der Workflow muss auf eine ganz andere Art und Weise gewährleistet sein. Wir haben im Prinzip als Nachrichtenwächter unsere Online-Redaktion, die von allen Lokalredaktionen mehrfach täg-lich mit Pflichtmeldungen versorgt wird. Und wenn die ein Thema sehen, was irgendwo hochploppt, das sie möglicherweise nicht richtig bewertet haben, die sitzen ja direkt davor, dann weiß das entweder zwei Minuten später mein Stellvertreter, oder ich weiß das und dann kann man das in die Hand nehmen. Die 16 Leute, die im Zwei-Schicht-Betrieb an einem Acht-Mann-Newsdesk sitzen, die sollen lieber rausgehen auf die Straße und Geschichten besorgen. Irgendje-mand hat mal angefangen, diese Newsdesks in deutschen Zeitungshäusern zu implantieren, das ist zum großen Teil übernommen worden, für manche war es eine hilfreiche Geschichte, um sich weiterzuentwickeln. Wir haben das für uns mehrfach gedanklich durchgespielt und sehen keinen Nutzen für uns, also lassen wir es bleiben. Die HNA ist von der Struktur her auch nicht zu ver-gleichen mit anderen regionalen Tageszeitungen. Wir haben im letzten Jahr unsere Struktur kom-plett verändert. Das heißt, wir erscheinen mit den Lokalteilen vorne. Und der Politikteil steht an dritter Stelle. Das hat Konsequenzen, nämlich dass für Politik, Wirtschaft und das Vermischte das Anspruchsdenken, dass alles newsmäßig Wichtige auf die Titelseite muss, verabschiedet werden muss. Das heißt, man kann Politik auch ganz anders spielen. Das heißt, wir haben dann meinet-wegen ein Thema, das wir über vier Spalten von oben nach unten als eigenständiges großes zent-rales Thema haben. Das legen wir morgens auch fest. Und diese Themen stehen auch abends noch, wenn jetzt nicht eine aktuelle Entwicklung kommt, die alles auf den Kopf stellt, was selten genug der Fall ist. Insofern ist Qualität in der Tat planbar. Ich kann heute einen Politikteil von übermorgen planen, von dem ich möglicherweise 40 Prozent über den Haufen schmeißen muss, aber der Rest steht. Aber da brauche ich keinen Newsdesk dazu. Und alle anderen Nachrichten, ob ich die als Zweispalter habe, wo ich auf 30 Zeilen referiere, dass am Hindukusch wieder irgend-welche Geschichten passiert sind, ob ich das in sieben Zeilen habe oder in 40, qualitativ ist da kein Unterschied zu sehen. Aber inhaltlich ist ein Unterschied zu sehen, wenn ich unseren Lesern Schwerpunktthemen anbiete, die komplett sind, im Gegenteil keine Nachrichtenhäppchen, son-dern Informationsmenüs, wenn Sie so wollen. Dazu brauche ich keinen Newsdesk, da ist es mir lieber, wenn eine Kollegin zum Thema Mittelstandsprobleme einen Tag nach Frankenberg fährt und eine vernünftige Geschichte mit einem mittelständischen Unternehmen macht. Unsere Kom-petenz ist nicht, einen Agenturtext für die Titelseite fertigzumachen, der sich mit der Etatdebatte im Bundestag beschäftigt, sondern unsere Kompetenz ist, irgendein Thema aus dem lokalen Um-feld so vernünftig zu machen, dass unsere Leser sagen, das ist ein toller Aufmacher.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Es ist häufig so, dass Kollegen, die Onlinemeldungen schreiben, die zunächst mal anders schrei-ben als für die gedruckte Zeitung – also wesentlich kompakter, wesentlich kürzer, weil man weiß, dass man für die Print-Ausgabe ein bisschen mehr Platz hat, man sich ein bisschen mehr auslassen und Fakten reinbringen kann. Im Endeffekt, wenn der fertige Zeitungsartikel da ist, dann über-nehmen wir den auch für Online. Auch was den Workflow während des Tages angeht, ist es so, dass man mit zwei Zeilen anfängt und man irgendwann 20 Zeilen hat. Dann lässt man es dabei, es kommen Kommentierungen von Lesern dazu, und dann kommt hinterher der fertige Artikel.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Ja. Was Print betrifft, definitiv. Exklusivgeschichten, die wir im regionalen Umfeld mehrere Male in der Woche haben, da sagen wir schon, okay, das erscheint nur im Print. Themen, die abends so spät aktuell werden, dass sie kein anderes Medium mehr aufgreifen kann, erscheinen nur online. Genauso wie lange Bilderstrecken von Festen, diese Geschichten, die wir in Print gar nicht abde-cken könnten, die erscheinen unter Videos. Das kann ja nur online stehen. Wenn wir Opernbe-

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sprechungen haben aus Hamburg, München oder so für das Bildungsbürgertum, das hat online überhaupt nichts zu suchen, das klickt kein Mensch, das brauche ich auch nicht. In Print haben wir diese Themen für den seriösen, anspruchsvollen Zeitungsleser, der das haben will.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Wenn man davon ausgeht, dass das, was online funktioniert, auch in Print funktioniert, gibt es von der Themencharakteristik her keine Unterschiede. Da haben sich die Zeitungsleute in der Vergan-genheit nur nie daran gehalten. Für uns hat das dazu beigetragen, dass wir bestimmte Themen, die wir früher eher am Rande behandelt haben, mittlerweile einfach anders anschauen. Man sieht es ja im Laufe eines Tages, was da, manchmal überraschend für uns, auch geklickt wird und kommen-tiert wird. Da gewichten wir häufig schon auch einfach die Themen in der Zeitung um und haben dann zur aktuellen Berichterstattung schon die ersten Kommentierungen in der Zeitung. Es ist häufig so, dass wir ein Thema haben, das wir online gestellt haben und das einen Tag später in der Zeitung erscheint. Dort erscheint es schon mit Online-Kommentaren aus Online.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Auf jeder Seite in der Zeitung stehen unter irgendwelchen Artikeln Querverweise. Auf der Titel-seite haben wir einen ganz großen Online-Button, mit dem wir auf Videos, auf inhaltliche Ange-bote im Netz verweisen. In jeder Lokalausgabe gibt es Hinweise auf hna.de, auf Angebote, bei denen man kommentieren kann, auf Bilderstrecken gibt. Auch online gibt es Hinweise wie „Eine ausführliche Dokumentation der Rede der Bundespräsidenten lesen Sie in den morgigen HNA.“

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Grundsätzlich ist es so: Die Nachricht ist da, dann geht sie erst einmal über das schnellste Medi-um raus – und das schnellste Medium ist Online.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Morgens ist es so, dass der Frühdienst ab sechs Uhr für die Frühaufsteher das Online-Angebot von der Optik schon mal verändert im Vergleich zu dem, was am Vorabend da war, damit die auch sehen, es hat sich was getan. Und dann ist eigentlich nur die Vorgabe, dass wir sagen, wir müssen Traffic auf der Seite haben. Wenn ich alle zwei Stunden drauf gehe, muss sich etwas verändert haben. Es sei denn, es sind Themen, die wirklich viel genutzt werden, geklickt beziehungsweise kommentiert werden. Und das kann man ja dann als Online-User, der ein bisschen Erfahrung hat, auch sehen, dass das Thema auf der Seite ist da, weil Kommentare da sind. Die Kassel Huskies sind im Augenblick das Topthema überhaupt, das kommentiert wird. Das steht den ganzen Tag über auf der Seite, aber ich sehe die Veränderungen und sehe diese Endloskommentare darunter. Und wenn mich das Thema interessiert, gehe ich gar nicht mehr auf den Text oder überfliege ihn nur kurz, ob da was Neues ist, und dann gehe ich auf die Kommentierungen. Wir haben keine fes-ten Redaktionsschlüsse. Wir haben die Vorgabe, so häufig wie möglich irgendetwas, was interes-sant ist, reinzubringen – oder rauszukegeln, wenn es nicht funktioniert.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Wenn wir von unseren Zahlen ausgehen, nutzt die Hälfte der HNA-Abonnenten hna.de. Das ist relativ viel. Da ist Luft nach oben, aber auch nicht allzu viel. Bei der älteren Leserschaft, die wir im Augenblick haben, jenseits der 70, da ist vielleicht noch Veränderungspotenzial drin, das aber überschaubar ist.

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Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Es ist so, dass wir pro Tag zwischen 500 und 800 Kommentare zu Artikeln haben im Augenblick. Diese Kommentare werden durchaus ernst genommen, was sich auch daran widerspiegelt, dass wir sie manchmal sehr üppig zu bestimmten Themen auch in die Zeitung übernehmen. Was inter-aktiv extrem gut läuft, ist das Regiowiki in der HNA. Und es gibt eine ganze Menge eher spieleri-sche Geschichten: Was es da so an irgendwelchen Tippspielen und Ähnlichem gibt, das interes-siert mich, ehrlich gesagt, redaktionell überhaupt nicht. Das sind alles so Gimmicks, schön, dass man sie hat, aber inhaltlich bringt uns das keinen Schritt weiter. Wenn ich solche Angebote suche, gehe ich auch nicht zwingend auf die Homepages von regionalen Tageszeitungen. Das ist halt ein Zusatzangebot, das man hat. Facebook läuft ganz gut. Wir haben ein eigenes Netzwerk aufge-macht, das allerdings irgendwann vor die Hunde gegangen ist. Ich glaube, es rentiert sich für regi-onale Tageszeitungen nicht, ein eigenes Netzwerk aufzumachen, sondern sich an vernünftige be-stehende erfolgreiche anzuhängen. Facebook läuft, ich weiß nicht, wie viele Leute da mittlerweile drin sind. Es sind etliche hundert User – gemessen an den Gesamtuserzahlen immer noch relativ wenig, aber vielleicht ist da noch mehr Luft nach oben, als man glaubt.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Wenn man von den lokalen und regionalen Nachrichten absieht, dann machen wir das sehr inten-siv im politischen Teil, dass wir dann, wenn wir sehen, es ist ein komplexes Thema, durchaus sa-gen, wir haben vier Seiten Politik, drei Seiten machen wir nur zu diesem Thema. Alles, was an anderen Nachrichten an diesem Tag passiert, verschwindet in irgendeiner Randspalte. Da hat sich noch nicht ein einziger Leser jemals darüber beschwert, im Gegenteil. Wenn wir solche Themen-angebote machen, werden ganze Klassensätze der Zeitung bestellt, also auch für den Unterricht. Das kriegen die Leute geboten. Es ist im Übrigen leichter mit der Struktur, die wir jetzt haben. Po-litik kommt hinten, also kann man da auch ein bisschen mehr damit machen, was man will, als wenn es vorne direkt der Aufschlag der Zeitung wäre.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Das tut er in mehrfacher Hinsicht. Fangen wir mal an mit dem einfachsten, dem Regiowiki: Bei bestimmten Themen verweisen wir von Print und Online einfach auf alle Artikel, die zu den The-men im Regiowiki geschrieben wurden. Wer mehr dazu lesen will und das auf lexikalische Art und Weise tun will, der kann sich da bedienen. Zum Zweiten ist es so: Wenn man Artikelserien hat zu bestimmten Themen, dann habe ich natürlich in einer gedruckten Zeitung immer nur den aktuellen Artikel des Tages, online kann das Gesamtangebot mit dem Verweis gefunden werden: Auf hna.de sind alle Artikel von der ersten bis zur 25. Folge einzusehen und auszudrucken.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Wenn wir das tun, tun wir es in erster Linie in Print. Wenn ich vorne mit einem Thema allgemei-ner Art aufmache, verlangt die Struktur der HNA es, dass wir es zumindest regionalisieren, wenn nicht lokalisieren. Wenn ich sage „lokalisieren“, müssen wir es im Prinzip in mindestens zwölf Ausgaben verschieden aufmachen. Und das spiegelt sich dann online insofern wider, weil wir dann auf den lokalen Homepages jeweils die lokalen, heruntergebrochenen Geschichten haben.

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Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Das ist alles Quatsch. Natürlich wollen sie diese Themen haben. Natürlich wird gelesen, wenn Kronprinzessin Sowieso irgendeinen Fitnesstrainer heiratet. Wenn das nicht genutzt würde, wenn es nicht eine Zielgruppe dafür gäbe, die das auch fünf Mal nacheinander nehmen würde, dann gä-be es keine Yellow Press, und das Fernsehen würde nicht den ganzen Nachmittag auf allen Kanä-len diese Hochzeit übertragen. Insofern ist das keine repräsentative Befragung. Auch die Zeitung muss das dann widerspiegeln. Die Leute wollen das auch von regionalen Zeitungen, definitiv.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Das ist so. Wenn wir täglich messen, es sei denn, es ist wirklich ein herausragendes Thema, dann werden die Lokalnachrichten von Witzenhausen an einem Tag wesentlich mehr geklickt als Poli-tik, Wirtschaft und Kultur zusammen. Wir sind eine regionale lokale Marke. Und das muss in die Köpfe der Zeitungsmacher vor allen Dingen mal rein.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Wenn wir solche Dinge nutzen, dann sind es eher hausinterne Angebote, damit die Leute bei uns bleiben und nicht irgendwo von der Website weggelenkt werden. Wenn überhaupt mal, dann gibt es eine Verlinkung auf youtube oder so etwas, wenn wir irgendwo eine putzige Geschichte gefun-den haben – oder einen Verweis auf das Video von dem kuriosesten Eigentor der indischen Liga aus den letzten zwölf Monaten, bei dem wir den Link auch als Netztreffer in der Zeitung bringen. Aber ansonsten praktisch gar nicht.

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Anhang: Interview Rainer Maria Gefeller/Frankfurter Neue Presse

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9.2.2. Rainer Maria Gefeller/Frankfurter Neue Presse

Der Verfasser hat das Interview am Dienstag, 6. Juli, um 15 Uhr im Verlagshaus der Frankfurter Neuen Presse (FNP) in der Frankenallee in Frankfurt geführt. Gesprächspartner war Rainer Maria Gefeller, der Chefredakteur der FNP. • Name des Mediums

Frankfurter Neue Presse

• Verbreitungsgebiet und Region Stadt Frankfurt mit dem Großraum Frankfurt Richtung Norden und Westen und Süden

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Print, Online, Mobile (iPhone)

• Anzahl der festangestellten Redakteure 100

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Rainer Maria Gefeller: Es gibt sechs Online-Spezialisten, die auch für Mobile zuständig sind.

• Anzahl der Lokalausgaben 7

• Auflage der Printausgabe 101 400 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.fnp.de – 999 499 Visits mit 5 600 000 Page-Impressions (Verlagsangabe für Mai 2010, nicht IVW-gelistet)

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste keine Daten

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote keine Fernseh-Angebote

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote keine Radio-Angebote

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Das Erste ist, dass wir nach wie vor in diesem Haus überzeugt sind, dass Print first gilt. Das heißt, wir gehen davon aus, dass auch für die nächsten zehn Jahre Print die Erlössituation sicherstellt, die wir haben – wie wir ja wissen auch durchaus mit instabilen Erträgen. Aber wir gehen davon aus, dass sich das wieder erholen wird. Nach wie vor gibt es eine große Unsicherheit bezüglich der möglichen Erlöse, die aus Online-Auftritten und Ähnlichem zu erzielen sind. Gleichwohl sind wir der Meinung, dass wir unsere Online-Aktivitäten verstärken müssen und werden, nicht nur im klassischen Bereich, dass wir sagen, wir sind mit unseren Blättern auch online vertreten, sondern auch, indem wir darüber nachdenken, welche Chancen und Möglichkeiten ergeben sich zum Bei-spiel durch das iPad, wie können wir stärker in die Handy-Welt vordringen. Wir wollen das aller-dings so betreiben, dass wir nicht jedem Trend hinterherlaufen Wir sehen einfach, dass viel In-vestment getätigt wurde in Dinge, die letztlich nicht funktioniert haben. Wir wollen da ruhig vo-rangehen, haben allerdings, zum Beispiel was Online betrifft, den Ehrgeiz, dort ähnlich publizis-tisch erfolgreich zu sein wie im Print. Das heißt, wir wollen dort die erste Adresse in unserem re-gionalen Markt werden.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Es gibt einen wesentlichen Grund nämlich, dass es große Unsicherheiten gibt, welche Zukunft Print überhaupt hat. Wir sehen das nicht so pessimistisch wie manche andere Verlagshäuser. Wir

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glauben aber auch, dass es neben einer stabilen Print-Kundschaft auch – wenn wir das in die Zu-kunft denken – eine eher wachsende Kundschaft für Online-Angebote geben wird, die sicher auch tendenziell eher jünger sind als die Print-User, und die wollen wir mit unserer redaktionellen Kompetenz genauso versorgen wie die Print-Kundschaft.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Das ist nicht ganz leicht zu sagen. Auf der einen Seite glaube ich, dass die Welten von Print und Online ja sehr unterschiedlich sind – die Nachrichtennutzung, die optische Nutzung und so weiter ist in beiden Welten sehr, sehr verschieden. Das heißt, wir brauchen dort jeweils zugeschnittenes Material, das sich allerdings aus demselben Fluss speist. Das ist das, was im Idealfall aus unseren Lokalredaktionen kommt und unterschiedlich zubereitet wird, da unsere Kompetenz hauptsächlich hier im regionalen und lokalen Markt liegt. Das heißt, ich glaube, dass wir auch eine spezialisierte Redaktion brauchen, die sicherstellt, dass das Online-Angebot kompetent abgestimmt ist auf das, was die User wollen. Wir brauchen aber auch eine sehr starke Vernetzung mit der Redaktion, zum Beispiel durch spezialisierte Leute in den Lokalredaktionen. Und wir brauchen, das ist der dritte Punkt, natürlich auch ein raffiniertes Zusammenspiel. Nur dadurch bekommen wir ja eine crossmediale Ergänzungsform auch hin, da stehen wir ganz am Anfang.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Ich sollte vielleicht sagen, welche wollen wir ansprechen. Das Erste war, dass wir Print bewegt haben, und Online kriegt jetzt gerade Schubkraft. Es gibt schon sehr lange eine Online-Redaktion hier, die bestand aus drei Leuten und die tatsächlich vollkommen neben der restlichen Redaktion hergearbeitet hat, das verknüpfen wir jetzt stärker. Aber wir sind bei allem erst in den Anfängen. Wir haben unterschiedliche Zielgruppen für unsere Zeitungen, das muss man sagen. Wir sind au-ßerhalb von Frankfurt jeweils Marktführer, das heißt, da bilden wir auch in etwa den Bevölke-rungsschnitt ab beim Print. In Frankfurt selbst ist das nicht so, da sind wir eher ein altes Medium. Da wollen wir nicht hocken bleiben. Das heißt, wir streben auch da an, eher die Familienzeitung zu sein auch für diese Stadt, was wir draußen im Taunus schon sind. Das ist ein Spagat, den wir im Moment gehen. In Online, ganz klar, wollen wir die jüngeren Leute abgreifen, die mit uns nichts zu tun haben, die sich aber gleichwohl für die Region interessieren. Die sollen zu uns kommen, bei uns nachschauen, wenn irgendetwas in der Region los ist. So weit sind wir auch noch nicht. Die Besten hier am Markt sind HR Online, und auch die Frankfurter Rundschau hat für die regionalen Themen noch mehr Kundschaft als wir. Online ist spitzer: Wenn wir in Print eine größere Schichtung im Blick haben, also Menschen, die sich für eine Familienbildung inte-ressieren und dann auch Print entdecken, da spielt die Zeitung eine Rolle. Die Jüngeren und die Singles erreicht man mit Print nur sehr, sehr schlecht, und wenn, dann nur mit Einzelausgaben, aber nicht mit Abonnements. Während Online für diese spitzere Zielgruppe schon interessant ist. Die Anzahl der Doppelnutzer ist relativ gering – unter zehn Prozent.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Schon verschiedene. Ich denke, dass wir in der Online-Welt auch die populäreren Themen schnel-ler und stärker in den Vordergrund stellen können, als wir das in Print machen. Print braucht eine hohe Wertigkeit, um dauerhaft Bestand haben zu können. Das heißt ja nicht, dass wir nicht auch populäre Themen behandeln. Aber Online kann da ungenierter vorgehen, sich nicht unterwerfen, aber schon sehr stark orientierend an den Klickraten vorgehen. Ich würde die journalistische Ent-scheidung, was wir in Print aufmachen, nicht in erster Linie von Klickraten abhängig machen, sondern davon, was wir heute für wichtig halten, während man online stärker spielen kann damit. Im zentralen Fokus ist für beide Kanäle das regionale und das lokale Geschehen. Da haben wir ei-

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nen Vorsprung hier am Markt, einen Wissensvorsprung. Und das ist auch das, was vom Print-Produkt die Leute am ehesten wollen, in einer Gegend, in der wir gleichzeitig noch die FAZ und die FR haben. Da fragt keiner nach Politik und Wirtschaft. Und wer diese Großwetterlage der Po-litik sucht, der wird sich nicht auf die fnp.de-Seite verirren, der will dort auch Lokales haben. On-line spielen wir natürlich auch die Schnelligkeit aus, also das, was vorhanden ist, fließt rein, gera-de auch, was in der Nachrichtenwelt ist. Es gibt es zwar immer noch, dass Redakteure sagen: „Das dürfen wir nicht. Wir machen ja unser Print kaputt, wenn wir das tun.“ Das ist aber Kappes. Was in der Welt ist, muss raus.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Ich denke, man wird sein Investment unter Kontrolle halten, wenn man vernünftig vorgeht. Das heißt, unser Verfahren ist so, dass wir auf der einen Seite keine reine Spezialisierung betreiben. Wir haben zwar schon eine Online-Redaktion, die jetzt mit sechs Köpfen besetzt ist, aber wir ha-ben im Print-Bereich keine eigenständigen Leute, die nur für Online arbeiten, sondern das sind hauptsächlich Print-Leute, die sich halt interessieren für Online, weil sie auch online-minded sind, die sich eignen und das gerne machen. Und anderen Kollegen, die nur print-affin sind, würden wir das nicht zumuten. Wir würden auf keinen Fall sagen, jeder Redakteur ist zugleich Print- und On-line-Redakteur. Ich glaube, da kann nichts daraus werden.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Paid Content machen wir gar nicht. Wir sind auch äußerst skeptisch, ob das Sinn macht. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht daran. Ich habe gute Kontakte zum Springer-Verlag. Die Morgenpost ist da ja weit nach vorne gerutscht. Aber es passiert ja nichts. Das vergrätzt die Leute, die man hat. Ich glaube nicht daran, dass Leute für solche Inhalte bereit sind, wirklich Geld zu bezahlen. Von ganz singulären Dingen mal abgesehen. Wenn ich mir vorstellen kann, dass der Inhalt hochnutz-wertig ist, dass es von großer Bedeutung für bestimmte Leute ist, dass du Content hast, den du woanders nicht bekommst, dann bin ich vielleicht bereit, dafür Geld zu bezahlen. Du wirst Paid-Content-Angebote nicht flächendeckend durchsetzen können. Und dann nehmen sich die Leute das, was sie for free kriegen.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Das Kürzel für die Frankfurter Neue Presse ist auch bei Print FNP. Das Portal www.fnp.de ist in-sofern auch tatsächlich der identische Titel. Nur darin sehe ich auch einen Sinn, dass wir sagen, dass die Leute, die auf www.fnp.de gehen, dort auch hingehören, weil die Zeitung das Image hat, dort besonders kompetent zu sein – eben in den lokalen Bereichen.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Die erste Grundannahme ist, Print lebt und wird überleben, diesen Satz würde ich auch gelten las-sen für die nächsten zehn Jahre. Gleichwohl verändert sich der Markt natürlich erkennbar, und wir wollen einen möglichst großen Teil des Markts für uns haben, im Print und im Online genauso. Wie Geschäft dort zu generieren ist und wann wir dort mal das Erlebnis haben, dass wir tatsäch-lich Geld verdienen, da wage ich keine Prognose. Ich glaube allerdings, dass es möglich ist. Wir haben uns die Augsburger Allgemeine angeguckt, die behaupten, dass sie Erlöse ziehen aus ihrem Online-Auftritt. Hier kann sich noch keiner vorstellen, speziell die Verlagsleute können es sich noch nicht vorstellen, wie das funktionieren soll – aber es wird versucht.

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Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Da ich ein optimistischer Mensch bin, würde ich beides deckungsgleich sehen. Ich glaube, dass wir innerhalb dieser Zeit eine Renaissance des Print erleben werden insofern, als dieses eingebau-te Schrumpfen nicht mehr in diesem Maße stattfinden wird. Es gibt ja Zyniker, die sagen, uns kommt auch die demografische Entwicklung entgegen, aber ich denke, dass das nicht alleine der Grund ist. Wir werden nicht mehr zu alten Auflagen kommen, aber wir werden eine stabile Größe sein, eine berechenbare Größe. Wir haben eine Zeit lang immer gesagt, Online kannibalisiert Print, das glaube ich nicht. Es sind Medienwelten, die selbstverständlich auch zueinander existie-ren können und nebeneinander. Selbstverständlich sehe ich online die großen Wachstumspotenzi-ale, die werden sich auch stärker aufmachen – besonders hier in den lokalen und sublokalen Be-reichen. Und da müssen wir gucken, dass wir halt schon da sind, bevor andere sich dort verankern wollen. Ich glaube, dass das Print-Modell als Geschäftsmodell funktionieren wird und dass es auch vor allem als publizistisches Modell wieder eine andere Strahlkraft bekommen wird, dass aber die Verknüpfung mit Online letztlich dazu beiträgt, dass Print wieder stärker wird, weil es auch eine Markenpflege ist, weil es auch zeigt, dass man dieses schnelle Medium genauso bedie-nen kann wie das nachdenklichere. Künftig haben wir mehr User, die beides nutzen, das schnelle und das nachdenklichere und langsamere Medium. Das Idealbild ist, dass die alles bei uns nutzen.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Wenn wir vom Print ausgehen, dann habe ich erst mal die Daten, die der Vertrieb uns gibt und die Marktbeobachtungen, die wir haben. Wir sehen, was die Auflagenerosion betrifft, sowohl inhaltli-che als auch vertriebliche Gründe, warum Print nachgelassen hat. Wir sehen Riesenpotenziale in dieser Stadt, Frankfurt ist insgesamt in der Print-Nutzung eine der am schlechtesten ausgestatteten Großstädte in ganz Deutschland. Das liegt natürlich in Teilen an dem großen Ausländeranteil, es liegt an der gewaltigen Fluktuation, die diese Stadt hat, am sehr hohen Single-Anteil – das erklärt aber noch nicht alles. Ich bin überzeugt, dass wir, gerade wenn wir unsere Vertriebsstrategien be-trachten, sehen, wie die Zeitung am Markt unterwegs war, welche Fehler wir redaktionell gemacht haben. Wenn wir der Überzeugung sind, dass wir das alles wieder heilen können, dann bin ich ziemlich sicher, dass wir in ein, zwei Jahren wieder auf der Nulllinie sein werden. Das ist keine betriebswirtschaftlich ableitbare Zahl, aber auch keine, die hier in diesem Haus für unmöglich ge-halten wird. Was die Online-Zahlen betrifft – wir gehen allerdings davon aus, dass wir schon in zwei, drei Jahren da unsere User-Zahlen verdreifachen, vervierfachen können. Wir sehen da schon eine ganz einfache Mechanik, indem wir öfter wechseln am Tag. Früher haben wir eine Geschich-te vier, fünf Stunden stehen lassen, jetzt steht sie maximal eine Stunde. Wir haben uns vorge-nommen, dass wir künftig, wenn der neue Online-Chef sich sortiert hat, wenn wir den Relaunch haben, vier Fixpunkte am Tag setzen, zu denen wir sagen, da wird zwangsmäßig aufgefrischt. Wir werden künstliche Redaktionsschlusszeiten setzen, weil so ein Apparat, aus dem Online sich ja bedienen muss, damit besser umgehen kann als mit so einer Aussage „alles fließt durch den Tag“. Nachdem wir jetzt schon mit diesen paar Dingen, die wir da getan haben, gesehen haben, dass die Klickraten und auch die Zahl der User wirklich sehr stark wächst, ohne dass wir irgendjemandem etwas dazu gesagt haben, haben wir da Anlass, optimistisch zu sein.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Keine Nutzerbefragungen, aber wir haben noch ein Projekt aufgelegt, das in eine Lokaloffensive mündet. Da wird der Frankfurter Markt untersucht nach Potenzialen für die Print-Entwicklung. Es wird aufgeschlüsselt nach Gesichtspunkten, in welchem Stadtteil gibt es die meisten Familien, wo ist der Ausländeranteil möglichst gering – eine Vielzahl von Kennzahlen, die dann irgendwann in so einen Wert geflossen sind. Dadurch wurden Stadtteile identifiziert, bei denen wir der Überzeu-gung sind, da ist etwas zu holen. Es gibt Stadtteile mit sehr hohem Zuzug, es gibt spezielle Stadt-teile, wohin sehr viele Familien zuziehen, die genau zu unserem Projekt und zu unserem Bild pas-sen würden. Und da wird die Redaktion im Herbst mit Vertrieb und Marketing eine Offensive erst

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einmal in zwei Stadtteilen durchführen, von der wir uns relativ viel versprechen – eben dass wir dort Auflage zulegen und in sublokale Räume vorstoßen können mit unserer Print-Ausgabe.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Es gibt Studien zur Marktsituation, die ein bisschen älter sind. Wir haben eine frische Imagestu-die, die im Auftrag unserer Marketingabteilung gemacht wurde, die uns Aufschluss darüber gege-ben hat, wo unsere Potenziale liegen, wie die Leute uns gerne haben wollen. Es ist interessanter-weise nah an dem, jedenfalls so wie unsere Leser uns gesehen haben, wo wir auch hinwollen.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Wir liegen irgendwie mittendrin. Ich glaube, dass wir für diese andere Medienwelt auch speziali-sierte Leute brauchen, die zum Beispiel auch nicht geeignete Texte nochmals umfrickeln können, damit sie auf Online passen. Wir kommen jetzt aus einer Geschichte, in der praktisch Print online abgebildet wurde, was natürlich schwachsinnig ist. Das hilft Print nicht und hilft Online auch nicht, weil die Texte viel zu lang sind und die Fokussierung nicht spitz genug ist. Deswegen glau-be ich, dass wir noch sehr lange eine eigenständige Online-Redaktion brauchen, die sicherstellt, dass wir Online optimal bedienen. Aber zugleich braucht es eine starke Zusammenarbeit und Im-plementierung in der Print-Redaktion, weil nur so die Kompetenz optimal abgesaugt werden kann.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Wir haben einen Newsdesk aufgebaut hier, aber wir haben noch nicht ganz entschieden, wie wir den letztlich sortieren. Man kann nicht einen Ressortleiter die ganze Zeit am Desk sitzen lassen, so dass er mit seinem Ressort nichts mehr zu tun. Ich möchte auch Ressorts weiter aufrechterhal-ten, ich möchte das nicht verwässern. Ich glaube, dass wir das Fachwissen und die Kompetenz ei-genständiger Ressorts auch künftig brauchen. Dann sind wir auch nicht so groß wie die FAZ. Un-ser Wirtschaftsressort hat drei Leute, und dann ist immer mal einer weg, und wenn man dann sagt, einer muss an dem Desk sitzen, dann gibt es keine Kommunikation im Ressort mehr. Wir müssen da also Zwischenwege gehen. Und das trifft zum Teil auch auf Online zu. Wir werden das wahr-scheinlich so machen, dass wir nicht eine andauernde Präsenz am Desk haben, aber Zeitschienen bauen, durch die wir sagen, dass wir uns da sammeln. Jetzt haben wir eine relativ normale Konfe-renzstruktur, bei der die wichtigen Entscheidungen schon hier am Desk fallen – aber im Grunde unter Ausschaltung von Online. Der Online-Leiter will das stärker öffnen, indem er künftig die Themen deutlicher macht und auch in der Konferenz abends sagt, diese fünf Artikel sind heute die meistgenutzten, die haben wir im Print richtig einsortiert. Wir haben einen Deskmanager, der aber den Ressortleitern gleichgestellt ist. Zudem ist immer jemand von der Chefredaktion mit am Desk, und mit dem zusammen wird entschieden. Wir haben auch jetzt schon drei Konferenzen, in denen man berät, was wir heute größer anfassen. Dann gibt es häufig Geschichten, die ressort-übergreifend funktionieren, mittags gibt es ein Update, und nachmittags, wenn Entwicklungen da sind oder sie sich in eine andere Richtung drehen, dann hat der Deskmanager das im Blick und spricht erst mal mit der Chefredaktion darüber, wie man damit umgeht. Und dann holen wir die Ressorts, die beteiligt sind, an den Desk und diskutieren das.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese

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Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Derzeit wird aus Online kaum etwas in Print übernommen. Die Redaktion ist auch gar nicht stark genug, um eigene Geschichten zu recherchieren und ins Netz zu geben. Eine Ausnahme sind Ak-tionsformen, wie zum Beispiel „Wir suchen das schärfste Online-Foto“ oder so etwas, dann ma-chen wir das auch im Print. Und was wir gerne nutzen, sind User-Reaktionen, die fließen auch zum Teil in unseren Leserbriefteil ein. Wenn wir Dinge von Print in Online übernehmen, werden die neuerdings verändert. Wie gesagt, wir kommen aus einer Welt, wo nur abgebildet wurde, in-klusive der Überschriften. Das geschieht auch noch, aber es schwitzt sich so langsam aus. Ziel ist natürlich, auf andere Weise damit umzugehen, als wir das jetzt tun. Es gibt Ausnahmen, zum Bei-spiel Kommentare. Da kommen die Online-Kollegen schon manchmal und sagen, könnt ihr den Kommentar nicht schneller schreiben, dann würden wir den schon online nehmen. In der Regel werden die Aufmachungsgeschichten komprimiert. Wir liefern nicht mehr so lange Texte, versu-chen, die Vorspänne so anzulegen, dass sie auch von Google verstanden werden, damit wir da in die Listings kommen und die Gesetzmäßigkeiten, die dort herrschen, beachten.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Eigentlich nicht. Es gibt sicher Texte, bei denen wir sagen, wir übernehmen sie nicht vorzeitig von Print nach Online, wenn wir sagen, das ist eine investigative Leistung oder ein Stück, was wirklich originär für das Print-Produkt gemacht wurde, ein exklusives Stück, dann wollen wir das nicht am Vorabend schon drin haben.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Die gibt es natürlich. Print ist in Teilen das nachdenklichere Medium. Also eine ausgeschriebene Betrachtung, für die man Ruhe braucht, die auch einmal 250, 280 Zeilen hat und die ohne spekta-kuläre Textpassagen auskommt, die würde ich keinem Online-User zumuten. Ich denke, der schaut sich das auf dem Schirm nicht an. Es gibt solche Werke. Aber es gibt manche andere Din-ge, bei denen ich sagen würde, es kommt nur darauf an, dass man beides in beiden Welten auch sehen kann.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Wir haben Führungsbuttons, die im ersten Buch sind, das sind eine Art Rüberreißer von Print in Online. Das sind Dinge, die die Online-Redaktion aktiv abverlangt vom Print.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Alles, was sowieso auf dem Nachrichtenmarkt ist, wird auch online verbreitet. Jeder Unfall, der nachmittags passiert oder Politiker-Statements – solche Dinge können wir sowieso nicht für uns behalten. Alles, was radiotauglich ist und auch versendet wird, das stellen wir auch so schnell wie möglich online. Nur Dinge, die wir selber recherchieren, oder Ideen, die wir selber haben für Print, die wollen wir dann nicht schon am Vorabend verbreiten.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Das haben wir noch nicht genau fixiert. Geplant ist das Modell der Frankfurter Rundschau. Der Gedankengang ist der, dass Print-Leute auf Schlusszeiten fixiert sind. Deswegen werden künstli-che Schlusszeiten über den Tag gesetzt. Das werden wir sicher auch machen. Es ist aber noch nicht mit den Lokalchefs ausgehandelt, wann der erste Take von denen aus gemacht werden kann. Die müssen vernünftig sortiert sein, die Anfangszeiten sind quer durch die Redaktion unterschied-

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lich. Und dann würde ich diese Phase irgendwann verkürzen, dass man sagt, wir machen erst mal drei Etappen, dann werden es irgendwann vier sein, um dann höhere Taktzahlen hinzubekommen. Wobei wir mit unserem Relaunch sowieso zu so einer Machart kommen werden, dass wir prak-tisch vier oder fünf Themen gleichgewichtig anbieten, die dann rotieren. Da wird mal das eine, mal das andere in den Vordergrund geschoben. Das heißt, wir werden sowieso schon eine größere Bandbreite haben von Möglichkeiten, wie die Leute einsteigen können. Und da kann man dann immer eines frisch auswechseln, irgendwie alle paar Stunden.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Unterwegs sind sehr, sehr viele. Wenn wir davon ausgehen müssen, dass Print-Leser und Abon-nenten eher dem Mittelstand angehören, haben die auch einen entsprechenden Bildungsstand. Wir wissen, dass die am ehesten auch Internetzugänge nutzen. Dann sind das ganz sicher weit über 50 Prozent. Das erste Medium, mit dem die Zeitungsleser konfrontiert werden, ist die Zeitung mor-gens. Die gehen nicht morgens ins Internet, nicht so, wie wir Journalisten das vielleicht machen, dass du erst mal reinguckst. Und das Internet wird bei denen, die berufstätig sind, im Job genutzt. Das sehen wir, wie die Peaks hochgehen. Die Zahl ist sicherlich hoch.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Ich bin da auch etwas ernüchtert, muss ich sagen. Früher sind wir da alle draufgehüpft und haben gesagt, jeder sollte möglichst auch einen Blog anfangen und weiß der Henker was alles. Wenn man sich die Foren mal anschaut, dann sieht man auch bei den Teilnehmern, dass das nur eine sehr, sehr beschränkte Zahl ist, die sich da ausufernd austoben, aber viele sind es nicht. Gleich-wohl würde ich sagen, man braucht das. Der Exhibitionismus ist halt vorhanden. Und es gibt manche, die das auch zur Kenntnis nehmen. Sie beteiligen sich nicht, nehmen es aber gleichwohl zur Kenntnis. Ich glaube, das ist so ein Mitlaufen. Aber ich würde heutzutage auch nicht mehr sa-gen, dass es so im Vordergrund steht, wie es mal gedacht war oder wie viele gedacht haben.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Klar, das ist ja keine neue Erkenntnis. Die ersten Untersuchungen sind wahrscheinlich schon 20 Jahre alt, dass die Leute die Tagesschau wahrgenommen haben, und wenn man hinterher gefragt hat, was hat der denn eben erzählt, dann wussten die nichts mehr oder sie konnten nur noch Wol-ken wiedergeben. Das heißt, die flüchtigen Medien, wie ich sie mal nennen will, TV und Radio, werden nicht wirklich wahrgenommen und klammern sich nicht fest. Die Leute wollen lesen. Die Leute, die sich für Nachrichten interessieren, wollen lesen, verstehen die Zusammenhänge dann auch eher, wollen allerdings auch nicht mehr nur die Nachrichten nochmals vorgekaut bekommen, die sie schon irgendwie wahrgenommen haben, sondern wollen das natürlich am liebsten über-setzt haben, warum ist es so, woher kommt das, was da gerade beschlossen wurde und was bedeu-tet das für mich idealerweise. Und wenn du noch einen Schritt weitergehst und es richtig für die Regionalzeitung machst, dann übersetzt du es auch ins Lokale.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Ja, die Nichtraucher-Geschichte ist so ein Beispiel. Die ist in beiden Kanälen Online und Print aufgenommen worden. Wir haben diese nachrichtliche Geschichte, dann das Hintergrundstück und ein Erklärstück.

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Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Da wir es im Print-Kanal machen, machen wir es online auch, indem wir Inhalte übernehmen. Das ist der Punkt. Online gibt es bislang jedoch nur wenig eigene Anstrengungen in diese Richtung.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Ich glaube es nicht ganz. Es gibt Fragen, die man Leuten stellen kann. Das beste Beispiel ist im-mer die Promillegrenze beim Autofahren, da sind immer alle dafür, dass sie ganz niedrig ange-setzt wird und setzen sich trotzdem mit zwei Bier ans Steuer. Ich glaube, es gibt Bereiche in der Zeitung, die aus dem unterhaltenden Sektor kommen. Da bekennen sich viele Leute nicht dazu, dass sie das auch nutzen. Und dazu gehört ganz sicherlich Klatsch. Ein Mann, der befragt wird, wird niemals sagen, dass er das Vermischte liest, es sei denn, da stirbt gerade ein Delfin oder es gibt eine Katastrophe. Aber eine Klatschgeschichte wird er nicht zur Kenntnis nehmen, so sagt er jedenfalls. Ich denke schon, dass es eine Kundschaft dafür gibt. Man muss aufpassen, dass man nicht zu sehr ins Seichte rutscht, dass man auch dieses Promizeug mit ein bisschen Anstand be-treibt, dass man erkennen lässt, dass man das für furchtbaren Zirkus hält, dass da eine Haltung deutlich wird, wie man damit umgeht. Online kommen die Leute, die sich dafür interessieren, nicht zu uns, zumal die Klatschstorys, die wir haben, meistens schon irgendwo her kommen, das kennen die sowieso schon, die online unterwegs sind. Anders sieht es sicher aus, wenn es hier um lokalen Klatsch geht, den es woanders nicht zu konsumieren gibt. Da wird es sicherlich Leute ge-ben, sofern sie nicht zu alt sind, die sich dafür interessieren.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Da sage ich ja, ich bin allerdings der Meinung, dass man es nicht gänzlich lassen sollte, weil sich sonst eine solche Redaktion schnell provinzialisieren würde. Es gibt Großereignisse, die man ein-fach haben muss, um über die Lokalität hinaus zu kommen. Man muss sagen: Wichtig ist das, was mir nahe geht. Das kann das grausame Erdbeben in der Dritten Welt irgendwo sein, wenn es hin-reichend wuchtig ist. Der Regelfall ist das nicht. Deswegen sage ich ja, wenn ich mich nur dafür interessiere, gehe ich woanders hin, da schaue ich spiegel.de oder sueddeutsche.de an. Wenn wir es weglassen, ist das, glaube ich, ein Nachweis dafür, dass das nur ein enger, kleiner Provinzkanal ist, dem man deswegen vielleicht auch nicht die hinreichende Kompetenz zuspricht.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Da möchten wir gerne hin, ja klar. Das ist ja etwas, was Online leisten kann, was Print nicht mehr wird leisten können oder überhaupt nicht leisten kann, dass man da wirklich in die Verästelung marschieren kann. Da ist viel Material vorhanden, das man dann nur aktivieren muss. Aber auch dafür müssen die Strukturen stimmen. Das Archiv ist noch nicht hundertprozentig zusammenge-schoben, wir arbeiten ja mit dem FAZ-Archiv zusammen. Das muss noch technisch vernünftiger aufbereitet sein, aber soweit wir das trotzdem können, machen wir das jetzt auch schon, dass wir da zusätzliche Links und Archivgeschichten haben.

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Anhang: Interview Stefan Kläsener/Braunschweiger Zeitung

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9.2.3. Stefan Kläsener/Braunschweiger Zeitung

Der Verfasser hat das Interview am Dienstag, 20. Juli, um 15 Uhr telefonisch geführt. Gesprächs-partner war Stefan Kläsener, der Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung (BZ). • Name des Mediums

Braunschweiger Zeitung

• Verbreitungsgebiet und Region Braunschweiger Land mit der Region Wolfsburg und der Region Salzgitter

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Stefan Kläsener: Wir bespielen außer der Print-Ausgabe eine Online-Ausgabe mit dem Na-men „Newsclick“. Wir haben noch keine Publisherseiten für die unterschiedlichen Lokalteile, dies ist aber in Planung. Und wir haben einen mobilen Dienst, der sich an Smartphone-Anwender wendet.

• Anzahl der festangestellten Redakteure 85

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Stefan Kläsener: Es gibt 1,5 Spezialisten nur für Online, ansonsten bedienen nicht alle Kolle-gen, aber alle Desks auch Online.

• Anzahl der Lokalausgaben 10

• Auflage der Printausgabe 135 900 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.newsclick.de – 776 236 Visits mit 5 518 214 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste Stefan Kläsener: Auf unserer Webseite für Smartphone-Anwender haben wir monatlich zwi-schen 35 000 und 40 000 Visits.

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote Stefan Kläsener: Wir hatten mal ein kleines Fernseh-Nachrichtenformat auf unserer Website, das waren regionale Fernsehnachrichten, auch richtig im Studio gesprochen, teilweise auch Bewegtbild, so ein Tagesschau-Format. Das haben wir fast ein Jahr gemacht, es hat aber, ehr-lich gesagt, so schlechte Klickzahlen gehabt, dass wir das wieder eingestellt haben.

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote keine Radio-Angebote

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Die große Herausforderung ist die Umstellung eines tagesgetakteten Printjournalismus in einen Echtzeitjournalismus. Also weg vom Redaktionsschluss 23 Uhr, den wir natürlich weiter für das Printprodukt aufrechterhalten müssen, hin zu einer Struktur, die Nachrichten dann verarbeitet, wenn sie anfallen. Natürlich nicht alle Nachrichten, sondern die Nachricht, die danach schreit, on-line oder mobil verbreitet zu werden. Unser Ansatz dabei ist, dass wir das nicht durch Neben-strukturen und Nebenredaktionen aufbauen, sondern dass wir sagen, das muss integraler Bestand-teil unserer redaktionellen Themen insgesamt sein. Wichtig ist mir – viele Häuser haben mit gro-ßen Online-Redaktionen angefangen, haben „Online first“ geschrieben, haben große Redaktions-stäbe aufgebaut, die sie wieder abschmelzen mussten – dass wir von Anfang an einen integrativen Ansatz haben, dass wir gesagt haben, es kann nur Aufgabe der Gesamtredaktion sein, weil wir die lokale Kompetenz nur in der gesamten Redaktion haben. Wir werden nie eine Online-Redaktion mit der regionalen Kompetenz aufbauen können, die wir in den Lokalredaktionen haben.

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Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Um unser Geschäftsmodell langfristig abzusichern, müssen wir verlegerisch denken und Reich-weite sichern. Und das wird über Print alleine nicht zu machen sein. Wir wollen die Reichweite aber auch sichern mit unserem Markenkern. Und der Markenkern beinhaltet regionale Nachrich-ten mit hoher Qualität und vor allem hoher Unabhängigkeit. Und da sind wir ja nach wie vor die Einzigen, die das in der Weise können. Wir haben zwar auch Konkurrenzgebiete, aber auch das sind logischerweise Regionalzeitungen, die dort im Markt sind. Alle anderen Anbieter, ob das User-Generated-Content ist oder ob das irgendwelche öffentlichen Plattformen sind, von irgend-welchen Unternehmen oder Ähnlichem, haben nicht diesen Grad an Unabhängigkeit. Und ich bin der Auffassung, wir können Qualitätsjournalismus mittelfristig nur refinanzieren, wenn wir auch die Reichweite hochhalten. Sonst gibt es keine Werbeerlöse. Vielleicht gibt es künftig auch für den einen oder anderen mobilen Dienst einen Erlös auf dem Lesermarkt. Ich halte es durchaus für denkbar, dass es so einen kleinen Paid-Content-Bereich gibt, aber das geht alles nur, wenn die Qualität stimmt – und Qualität ist teuer, das heißt, man wird das nur mit dem bestehenden Apparat machen können, man wird sich keinen zusätzlichen Apparat dafür leisten können. Mit einer klei-nen Ausnahme: Was die Produktion der neuen Kanäle angeht, das ist in der Tat nicht mehr Auf-gabe der Kernredaktion, dafür muss man sich neue Kräfte holen, die die praktische Umsetzung machen. Genau. Es gab ja mal dieses wunderbare Bild mit dem Trommelaffen, der 26 Geräte am Körper trägt und alles gleichzeitig macht. Davon halte ich nicht viel. Ich verlange aber von einem Gerichtsreporter, dass er am Desk vorbereitet, was heute Mittag bei Gericht rauskommen kann, dass er dann über Handy dem Desk den Hinweis gibt, jawohl, so ist das Urteil ausgegangen, und dass er, wenn er selber fotografiert, eben auch ein kleines Bewegtbild auf dem Gerichtsflur auf-nimmt. Dann hat er aber mit der Produktion der Sache am Ende nicht mehr viel zu tun. Er schaut vielleicht nochmal drüber und nimmt das ab, aber er soll nicht in sechs verschiedenen Systemen gleichzeitig arbeiten und am besten auch noch alles gleichzeitig fertigstellen.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Wir verfolgen einen eindeutig integrativen und komplementären Ansatz, wobei ich zugebe, dass das eine jüngere Entwicklung ist. So klar haben das viele Verlage in der Vergangenheit nicht ge-sehen. Ich habe vor 15 Jahren einen der ersten hessischen Internetauftritte gemacht. Ich habe das immer den „A-da-bei“-Journalismus genannt, also den „Hauptsache-wir-sind-im-Internet-auch-dabei“-Journalismus. Da hat man das gar nicht als eigene journalistische Form entdeckt. Dann gab es so eine Ära, in der man gesagt hat, Online ist ein total anderer Journalismus, das ist alles ganz anders, man darf überhaupt nicht so schreiben wie in Print – das ist auch ein bisschen überzogen gewesen. Und im Moment entdecken wir, dass da nochmal eine ganz andere Gattungsform mit mobilen Medien und Social Media auf uns zukommt. Die Frage ist immer, wenn wir über Medien reden, ob wir auch immer über Journalismus reden. Das finde ich ein bisschen überzogen. Ich be-haupte immer, so ähnlich wie im Fernsehen, dass maximal zehn Prozent des Inhalts, den Sie se-hen, wahrscheinlich nur fünf Prozent des Inhalts, wirklich journalistischer Content sind, so ist das im Internet und bei Social Media auch. Und wir sollten uns als Qualitätszeitung und damit auch als teurer Dienstleister auf das konzentrieren, was diese fünf Prozent journalistischen Inhalts aus-macht. Ich muss nicht den ganzen Tag verbreiten, was auf meinem Schreibtisch gerade passiert oder was ich in der U-Bahn erlebt habe. Das ist keine journalistische Aufgabe, allerdings sollte ich soweit dabei sein, dass ich mitbekomme, wenn in der U-Bahn etwas passiert ist. Also ist es sozusagen ein Radar, den ich mehr habe, aber die journalistische Aufbereitung der Social Media, das ist doch nur ein sehr kleiner Teil von dem, was da täglich über den Sender geht.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)?

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Die Schnittmenge der Zielgruppen ist größer, als viele Leute uns glauben machen wollten. Es gab ambitionierte Webauftritte, die gesagt haben, ihr braucht euch in Print gar nicht darum zu küm-mern, deswegen können wir eure Sachen auch gar nicht brauchen. Web ist Web, Community ist etwas ganz anderes. So ganz anders ist das nicht. Wir haben Europas größten Arbeitgeber hier vor den Toren mit Volkswagen. Volkswagen ist extrem stark im Online-Bereich, auch unterwegs, sämtliche im mittleren und höheren Management bei VW haben selbstverständlich permanent In-ternetanschluss, sind sehr viel in der Weltgeschichte unterwegs, wollen trotzdem wissen, was zu Hause passiert, und sind natürlich auch unsere Printabonnenten. Ich behaupte mal, die nehmen so-zusagen die Zeitungsmarke mit, wo immer sie gerade in der Welt unterwegs sind. Die haben eben auf dem iPhone die kleine Newsclick-App oder schauen, wenn sie im Hotel sind, nochmal schnell auf die Seite. Die Schnittmenge ist also größer, als man so glaubt. Aber klar ist natürlich, dass es im Online-Bereich eher jüngere Leute sind und auch Leute sind, denen das Papiermedium selber zu sperrig ist und die auch den Bindungsaufwand scheuen und sagen, so regelmäßig möchte ich das nun doch nicht bekommen, es ist auch zu viel und mich interessiert auch nicht alles, was da drin ist. Das ist schon auch so ein bisschen komplementär. Das für mich journalistisch Entschei-dende ist eigentlich weniger, welches Produkt wer jetzt nun haben möchte. Das muss ich natürlich wissen, wenn ich die Produkte zielgerichtet ausbauen will. Das Entscheidende ist, dass die Leute mir trauen und mich nachfragen. Das ist das, was ich mit Reichweite meine. Wenn wir unterm Strich die Reichweite halten können oder sogar ausbauen durch die neuen Kanäle, dann ist journa-listisch viel gewonnen und irgendwann auch verlegerisch. Wiederholen ist – genauso wie im Print – tödlich. Wenn Sie einen schlampigen Regionalteil machen, bei dem im Lokalen die gleiche Meldung nochmal kommt und womöglich im Mantel schon gelaufen ist, ist das gefährlich – Re-dundanz ist immer gefährlich. Aber man kann Medien auch so spreizen, dass man Zielgruppen, die man über Print kaum noch erreicht, wenigstens über mobile Angebote noch bekommt.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Man kann schon sagen, dass wir im Online-Bereich oder im mobilen Bereich etwas stärker in Richtung Boulevard gehen, da gibt es eine Schlagzeile, die einfach frecher oder flapsiger formu-liert ist, weil die Web-Community das anders aufnimmt und verdaut. Allerdings gehen wir nicht in Rotlichtbereiche oder in den richtigen Boulevard. Das würde sich mit der Marke nicht vertra-gen. Und wir nutzen Print viel stärker zur vertiefenden Analyse, zur Erklärung, zum Hintergrund-stück oder auch zur schönen langen Erzählgeschichte. Auch da soll Unterhaltung nicht zu kurz kommen. Aber ich behaupte mal, rein von den User-Gewohnheiten her sind alle digitalen Medien die schnelleren im Nutzerverhalten, und die Verweildauern sind kürzer als im Print. Was nicht heißt, dass nicht auch das eine oder andere lange Lesestück im Online-Bereich gelesen wird. Da erlebt man die tollsten Geschichten, das Rührstück, bei dem jemand eine dramatische Rettungsak-tion erzählt, läuft eben auch online. Aber das sind wenige Themen, die emotional besetzt sind.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Wir haben in Online Erlöse, aber noch keine Gewinne. Wir versuchen, den Aufwand so gering wie möglich zu halten, den wir für Online zusätzlich betreiben. Mit Aufwand meine ich nicht Ge-hirnschmalz, sondern mit Aufwand meine ich Produktionsaufwand. Und das haben wir so gelöst, dass wir am zentralen Newsdesk eben auch den Onliner sitzen haben, der den ganzen Tag über mitentscheidet und mithört, also auch die Entscheidung für Print mitbekommt. Man kann manch-mal Überraschungen erleben, wenn man sieht, wie ein Thema online Karriere macht, was man für Print gar nicht so richtig auf dem Radar hatte oder was man hinten angesiedelt hätte. Man darf das nicht übertreiben, denn sonst hat man genau den Effekt, dass die Medien doch wieder synchron werden, das wollen wir ja gar nicht. Aber man kann das als ein Indiz nehmen, dass hier eine Ge-schichte so gut läuft, dass da irgendein tiefergehendes Interesse der Leute sein muss. Man macht dann für die Printausgabe das Stück tiefschürfender und umfänglicher, als man das ursprünglich geplant hatte. Das halte ich für einen sehr befruchtenden Effekt. Synergien sind ja nicht immer

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nur Synergien, wenn am Ende 3,50 Euro rausspringen, sondern eine Synergie ist ja auch die, wenn ich meine journalistische Entscheidung am Desk mit einem besseren Background treffe, weil ich einfach schon Erfahrungswerte aus den Online-Klickzahlen habe.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Nein, das haben wir noch nicht. Wenn man unter Paid Content versteht, dass wir auch ein E-Abo haben, aber das ist letztendlich nur ein E-Paper, also sprich ein elektronischer Zugang zu unserer Printausgabe. Das haben wir für Behörden und auch für Leute, die sehr viel im Ausland sind, die dann sagen, ich möchte das E-Paper haben, ich lese das dann schnell im Büro. Wenn Paid-Content-Angebote intelligent gemacht sind, halte ich sie für chancenreich. Ich glaube nicht, dass sich das im Bereich des stationären Internet überall durchsetzen wird, es wird sich aber auf mobi-len Endgeräten durchsetzen. Die Leute werden es akzeptieren, wenn sie im Flieger nach Singapur auf dem iPad eine sehr qualifizierte tiefgehende Berichterstattung der Zeitung abrufen können. Die reine Homepage, also das, was man manchmal auch „quick and dirty“ nennt, also die schnelle Überblicksinformation, wird kostenfrei bleiben. Aber dahinter wird es eine Schranke geben, mit der man sagt, die eigentlich journalistische redaktionelle Leistung dahinter ist, egal ob du jetzt Print-Abonnent bist oder ob du eine mobile Applikation hast oder ob du einen Internet-plus-Zugang zu Content hast, jetzt kostenpflichtig. Die Tatsache, Printausgaben komplett während des Tages bereits ins Netz zu stellen, das halte ich für absoluten Kannibalismus – und das bringt auch nichts. Das wird dem Medium nicht gerecht. Wenn man heute mal schaut, wie viel Zeit man beim Durchblättern einer Tageszeitung spart – da kann man den schnellsten Rechner haben und die Lesekomfortabilität ist noch nicht so weit. Die Dienstleistung, die wir mit Print bringen, ist die schnelle Orientierung und das schnelle Überblicksangebot – eben die Antwort auf die Frage, was mich an vertiefender Information interessiert. Das ist unsere Dienstleistung, nicht die Einzelnach-richt, die kann heute jeder generieren, die kann man sich zusammen googeln.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Da ist in unserer Verlagsgeschichte leider ein Missgeschick passiert. In den Gründungsjahren des Internets fand man englische Namen, die global verstanden wurden, toll, deswegen heißt unser In-ternetauftritt Newsclick. Wir sind über den Begriff Newsclick selber nicht unglücklich, weil wir glauben, dass wir damit später in unserem Communitybuilding-Bereich durchaus noch etwas ma-chen können. Es ist jetzt für die Zeitungsmarke selber nicht so vorteilhaft, weil wir natürlich in Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter und damit in Gebieten mit sehr unterschiedlichen Identitäten unterwegs sind. Wir haben keinerlei regionale Anmutung mit unserem Online-Auftritt, und des-wegen gibt es auch die Überlegung im Verlag, ob wir nicht doch unterhalb dieses Newsclick-Auftritts mit den Zeitungstiteln arbeiten, um auch zielgerichteter regionale Nachrichten nach vor-ne stellen zu können. Nicht jede VW-Meldung interessiert in Braunschweig, aber in Wolfsburg unter Umständen schon. Das können wir im Moment über Newsclick nicht abbilden.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Da gibt es natürlich reichlich bundesweite Daten, die wir hier auf unsere Region beziehen. Da-durch, dass wir hier eine Forschungsindustrie und Dienstleistungsregion sind mit einer eigenen Technischen Universität, können wir ungefähr hochrechnen, was bei uns die Nutzerzahlen sind, wie viele Leute hier Internet und Smartphones haben. Das ist leicht überproportional. Auf der an-deren Seite wissen wir auch, dass wir dadurch, dass im gesamten Verbreitungsgebiet ungefähr 1,1 Millionen Menschen leben, über eine App nicht refinanzierbar wären. Dafür sind die Zahlen wie-der zu gering.

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Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Mein Wunschtraum wäre, dass wir eine halbwegs ausgewogene Mischung aus Erlösen aus dem Lesermarkt wie auch aus dem Anzeigenmarkt haben werden. Ich möchte nicht künftig journalis-tisch einen Einzelkanal verantworten, der sich ausschließlich über Werbung finanziert. Das halte ich für relativ gefährlich, weil wir in der bundesdeutschen Zeitungsgeschichte sehr, sehr gute Er-fahrungen gemacht haben mit dieser Doppelfinanzierung aus Vertriebserlösen und Anzeigenerlö-sen. Ich halte das für eine sehr glückliche Sache. Erst mal macht das relativ krisensicher, man ver-trägt dann einen Schlag auf der einen Seite, indem man immer noch ein zweites Bein hat, man schwankt ein bisschen, aber man kippt nicht um. Das wünsche ich mir auch für künftige Verände-rungen. Es wird sicherlich für das iPad oder für Tablets im weitesten Sinne ein ganz eigenes jour-nalistisches Angebot geben. Und wer weiß, was die Zukunft noch alles bringt, was wir auch künf-tig im Fernsehbereich noch machen. Wenn man ans digitale Fernsehen denkt, was auch ganz sublokal werden kann, was ganz nutzerorientiert werden kann, indem der Nutzer sich ganz be-stimmte Kriterien einstellen kann und sagt, ich will aber nur das von der und der Marke haben, ich will nur die Sportmeldungen der Braunschweiger Zeitung oder der Schwäbischen Zeitung haben, weil ich nur an Friedrichshafen interessiert bin oder nur an Ravensburg. Darauf müssen wir uns einstellen. Aber es wäre mir sehr wichtig, dass wir im Markt eine Bereitschaft finden, dass Leute sagen, für diese Dienstleistung bezahle ich, vorausgesetzt, die Qualität stimmt. Weil uns das von Abhängigkeiten fernhalten wird.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Wir haben hier ein lokal begrenztes Tätigkeitsfeld. Das ist im Unterschied zum Springerkonzern, der mit bundesweiten Marken arbeitet, nun mal die Krux der Regionalzeitungsverlage. Was tief-ergehende Analysen angeht, wie sich unsere Endkunden verhalten, was die nachfragen, muss ich Ihnen ehrlich sagen, glaube ich, stecken wir noch ziemlich in den Kinderschuhen. Wir wissen üb-rigens auch immer noch nicht so ganz genau, welche Leser wir eigentlich morgens am Früh-stückstisch vor der Nase haben, wenn es um das Printprodukt geht. Wir haben versucht, die Kommunikation über Leserkonferenzen deutlich auszubauen, und auch viele Erkenntnisse ge-wonnen. Aber so ein Stück weit ist der User genauso ein unbekanntes Wesen wie es der Leser vie-le Jahre lang war. Und so langsam kommen wir über professionelle Marktforschungsinstrumente da hin, dass wir sagen, wir wissen schon ein bisschen mehr darüber. Wir wissen ein bisschen da-rüber, wie sein Kauf- und Konsumverhalten, wie sein Freizeitverhalten ist und welche soziode-mografischen Gruppen wir in der Leserschaft haben.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Wir machen teilweise Sinus-Milieu-Studien, aber das ist noch relativ grobmaschig. Wir nutzen das in der Regel vor allem für Marketing-Aktionen, indem wir sagen, in bestimmte Siedlungen oder Quartiere gehen wir gezielt rein, weil wir wissen, dass da die Klientel am zeitungsaffinsten ist. Dafür nutzen wir das schon. Was jetzt die Nachfrage nach journalistischen Contents angeht, also welche Gruppe liest was am liebsten, das steckt noch ziemlich in den Kinderschuhen.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Die WAZ-Mediengruppe selber hat da sehr viel gemacht. Wir versuchen im Moment, davon in einem großen Strategieprozess innerhalb der Mediengruppe zu partizipieren. In so großen Häu-sern ist oft das Problem, dass es eigentlich alles Wissen gibt, nur nicht an den Stellen, die es brau-chen. Da versuchen wir, zu einer internen Plattform zu kommen, damit wir immer sagen können, welche Studien wir eigentlich im Haus haben und welche Kenntnisse es eigentlich gibt. Ich gieße da immer ein bisschen Wasser in den Wein: Wer überzeugter Lokaljournalist oder Regionaljour-nalist ist, der weiß auch, dass er immer die typischen Befindlichkeiten seiner regionalen Kunden finden muss. Und die sind am Bodensee anders als bei uns hier oben. Ich gehe demnächst ins süd-

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liche Ruhrgebiet, Südwestfalen, in die Hagener Ecke im Hochsauerland, da ist es mit Sicherheit auch wieder anders, als ich es hier kennengelernt habe. Und schon hier bei mir im Verbreitungs-gebiet weiß ich, dass die Leute aus dem Südharz anders ticken als die Leute aus dem Vorharz, der Bandarbeiter in Wolfsburg ist ein anderes Geschöpf als der saturierte pensionierte Universitäts-professor in Braunschweig. Ich muss so eine Grundtonalität meiner Region treffen, aber ich muss auch breit bleiben, weil wir das einzige Massenmedium in einer Region sind. Es gibt ja nieman-den, der so viele Leute in einer eng umrissenen Region erreicht wie eine Zeitung beispielsweise. Da kommt kein Fernsehsender auch nur im Entferntesten mit.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Das Werkzeug für die Vernetzung sind die Deskstrukturen, die wir schon haben. Wir wollen nicht jeden einzelnen Kollegen damit permanent konfrontieren, sondern wir geben diese Aufgabe an unsere sieben lokalen und den einen zentralen Newsdesk, weil wir sagen, dort werden die Nach-richten ohnehin verarbeitet und dort wird auch die Entscheidung getroffen, in welcher Aufberei-tungsform sie wann in welchen Kanal geschickt werden. Ob unter Umständen zusätzlich Bildma-terial oder Bewegtbild angefordert werden muss oder nicht, wer das bearbeitet und so weiter. Was wir nicht machen, ist, dass wir sozusagen alle Desks damit gleichermaßen beschäftigen, was die Produktion der mobilen oder Online-Nachrichten angeht. Wir sagen also, dort wird der Content gehoben, wird vorgewichtet und wird dann an eine zentrale Stelle hier am zentralen Newsdesk gegeben, wo wir dann gleichzeitig auch die Entscheidung für Print treffen, aber wo eben auch ei-ne kleine Werkbank sitzt, die sagt, wir nehmen das Bewegtbildmaterial entgegen, schneiden das vielleicht noch ein bisschen und stellen es dann online oder geben es auf das Smartphone. Das heißt, wir wollen sozusagen die journalistische Kompetenz, soweit es um die Entscheidung geht, wie wichtig das Ereignis für mein Verbreitungsgebiet ist, in der Redaktion belassen. Im Anschluss gibt es so eine Art Producerlinie, die sich dann wirklich um das Content-Management-System und die Feinarbeiten kümmert. Wir beobachten auch die Klickzahlen, um zu sagen, nein, diese Mel-dung aus Helmstedt bringt das jetzt nicht so, da ist eine andere aus Gifhorn interessanter. Das kann man ja nicht dezentral entscheiden, das kann man ja nur zentral entscheiden. Wir haben na-türlich hinter den 1,5 Online-Leuten noch regelmäßig drei Volontäre sitzen, die im zweiten Aus-bildungsjahr ein Vierteljahr am Online-Tisch arbeiten. Das sind diejenigen, die das CMS faktisch bedienen. Das macht der Online-Entscheider schon auch, aber der ist halt eher Entscheider, der hat eher zu gewichten. Wir haben da ganz bewusst Volontäre genommen, weil wir gesagt haben, die sind schon Digital Natives, die gehen damit viel selbstverständlicher um – und davon haben wir auch sehr viele Anregungen bekommen. So trainieren wir langsam die Online-Denke in die Redaktion hinein, denn diese Volontäre gehen natürlich später auch als Lokalredakteure wieder in die Redaktionen. Das heißt, dass wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch ein bisschen Know-how aufgebaut haben. Ich bin immer gegen so große Konzepte, ich glaube, dass man by doing eine Menge lernt, vorausgesetzt, man findet die Zeit, das zwischendurch zu reflektieren.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Den Newsdesk muss man sich relativ klein vorstellen. Es gibt einen Entscheidungsverantwortli-chen über alles, das ist der Blattmacher des Tages, der rankt die Themen in Absprache mit der Chefredaktion, das ist der Desk-Chef oder sein Vertreter. Daneben gibt es einen Nachrichtenfüh-rer, jemanden, der den ganzen Tag nichts anderes macht als eingehende Nachrichten, sei es Agen-tur, seien es andere Web-Auftritte, seien es Pressemitteilungen, alles, was aufschlägt, per Mail oder wie auch immer, zu scannen und zu entscheiden, das geht dahin, dahin, dahin, in Absprache

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mit dem Desk-Chef. Und der Desk-Chef kommuniziert natürlich sofort mit dem Onliner. Dann gibt es noch einen Regionalverantwortlichen, der sitzt gleich neben dem Onliner, weil die meisten Online-Meldungen, die wir auf unsere Seiten stellen, logischerweise regionale Meldungen sind. Das ist auch derjenige, der unsere Überblickseite Braunschweiger Land koordiniert. Das heißt, der macht immer das „Best of“ aus den sieben Lokalredaktionen. Die Ressortleiter sind konsultativ gefragt, sobald wir eine Meldung haben, bei der wir sagen, jetzt brauchen wir die Expertise des Fachressorts. Der Wirtschaftschef ist bei uns keiner, der den ganzen Tag dpa-Meldungen liest, sondern der wird mit dpa-Wirtschaftsmeldungen konfrontiert, wenn sie beim Nachrichtenführer aufschlagen, und der Nachrichtenführer sagt, die Geschichte kann ich jetzt nicht richtig einschät-zen, das muss der Wirtschaftschef wissen, weil er an der Geschichte sowieso dran ist und das hier noch eine flankierende Information ist. Es ist nicht so, dass der Wirtschaftschef wie eine Glucke auf allen Wirtschaftsthemen sitzt. Im gelebten Leben ist es aber so, dass es eben ein konsultativer Prozess ist, der auch gelebt wird: Unser Wirtschaftschef und der Desk-Chef würden sich vielleicht drei Minuten zanken, wie sie das Thema einschätzen, und dann würden sie eine gemeinsame Lö-sung finden. Im allerschlimmsten Fall würden sie sagen, das soll jetzt der Chefredakteur entschei-den. Aber das kommt wirklich ganz selten vor. Dafür ist das eben ein permanenter Prozess. So-bald etwas Neues aufschlägt, reden die miteinander, und der Wirtschaftschef ist frei, seine eigenen Geschichten zu machen und dann eben auch beispielsweise zurückzukommen und zu sagen, ich habe hier etwas Tolles an Land gezogen, was ist bei euch in der Zwischenzeit aufgeschlagen, nein, ich glaube, da habe ich jetzt die bessere Geschichte. Und dann ist der Desk-Chef auch der Letzte, der sagen würde, nein, wir machen aber unbedingt hier den dpa-Aufmacher aus Tokio.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Die Inhalte werden in der Regel verändert. Wir haben einen Workflow, der so aussieht, dass die Lokalredaktion jeden Abend, wenn sie ihre Tagesvorschau machen, ihre zwei, drei wichtigsten Themen schon als Online-Meldung formulieren, so, als wollten sie eine Meldung verbreiten, was ist das Tolle, was kommt morgen bei der Geschichte raus. Diese Meldungen werden dann scharf geschaltet in dem Moment, in dem die Redaktionen sagen, jawohl, es ist so eingetreten oder hier ist noch ein Ergebnis dazugekommen, wir haben die Haftstrafe jetzt und können das Ding rausge-ben. Dadurch ist sozusagen die Online-Denke schon am Vortag da, was könnte am nächsten Tag für Online interessant sein, alles, was aktuell passiert, kommt natürlich on top, das ist ja klar. Und das hat dann im Grunde mit der Printaufbereitung wenig zu tun, weil die Redaktionen sagen, die Nachricht alleine ist gar nicht das, was wir am nächsten Tag im Lokalen aufmachen, sondern wir machen das Lesestück oder die Hintergrundgeschichte dazu auf oder wir sprechen mit den Betei-ligten und lassen die erzählen. Multimediale Anreicherung machen wir im Moment vor allem bei Großveranstaltungen, indem wir sagen, hier gibt es Filme und eine große Bildergalerie. Wir ma-chen auch manchmal zusätzliche Bilder oder auch Dokumente, die wir dazustellen und sagen, die Erklärungen des Oberbürgermeisters im Wortlaut kann man hier nachlesen, das machen wir aber noch sehr zögerlich. Der Vorteil im Internet ist ja die Fertigungstiefe. Man kann in mehreren Ebe-nen dahinter noch arbeiten, weil man eben dieses Platzproblem nicht hat – und eben auch Bewegtbild oder Ton machen kann. Das wollen wir schon auch verstärkt nutzen und haben inzwi-schen auch mit den freien Mitarbeitern, die uns zuliefern, einen professionellen Ring um die Re-daktionen herum aufgebaut, weil wir sagen, die Bewegtbildberichterstattung vom schweren Unfall auf der A2, das ist nun wirklich auch eine eigene Expertise, das kann nicht jeder. Ich kann mei-netwegen meinen Lokalredakteur dahin schicken und kann sagen, mach‘ die Vor-Ort-Reportage und schicke uns zwischendurch etwas für Online. Aber das Bewegtbild dazu lassen wir von Bewegtbild-Profis machen.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)?

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Das gibt es nur in Randbereichen – Online, wenn es um Partyberichterstattung oder so etwas geht. Und das ist dann in der Regel auch kein echter journalistischer Content, das ist dann eher so ein bisschen Unterhaltung. Umgedreht machen wir das natürlich auch, wenn wir sagen, das ist jetzt keine Nachricht, die onlinemäßig im Sinne der schnellen Information interessant ist. Oder wenn wir Serien machen wie Wissenschaftsfolgen, machen wir so eine Art Doku im Online-Bereich, indem wir sagen, wenn die Serie im Print durchgelaufen ist, gibt es sie nochmals im Zusammen-hang und zum Downloaden eine Woche oder 14 Tage später im Internet – das ist so eine Art „Ar-chivfunktion“, wobei wir uns da auch nicht so ganz nackig machen wollen. Im Grunde halte ich das auch für einen Service, der später hinter die Bezahlschranke gehört.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Online-Themen sind einen Tick lockerer. Wir bringen online alles, was mobil ist, ganz besonders im Bereich Blaulicht und schnelle Verbraucherinformation, was ich jetzt unbedingt wissen muss für die Entscheidung des Tages, was ich heute Abend noch schnell unternehmen kann oder wie die Party gestern Abend war. Also alles, was leichter ist oder wovon ich sehr schnell Kenntnis ha-ben möchte.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Das machen wir zum Beispiel bei unseren Schulprojekten ganz ausführlich, dass wir sagen, alle Artikel dazu findet ihr dort oder aber alle Bilder dazu. Oder wir machen noch einen kleinen Chat dazu oder veröffentlichen die Aufforderung „Bitte schickt uns im Internet eure Erlebnisse dazu“ – so dass wir dann erst mal das Internet bespielen, um danach das „Best of“ davon auf die Lesersei-te zu packen, wenn es um Urlaubsfotos oder Ähnliches geht. Aber das machen wir schon hin und her. Was wir nicht machen, sind diese Bestrafungsaktionen im Internet, so nach dem Motto „Du hast jetzt zwar den spannenden Vorspann gekriegt, aber den ganzen Artikel findest du nur morgen in der Zeitung“. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht, das waren auch andere Zeiten, da hat man auch die Medien anders definiert. Das wäre nicht komplementär, sondern das wäre sozu-sagen der Interruptus, indem man die Leute praktisch vor die Wand rennen lässt. Wir bringen bei-spielsweise die Kurzfassung und sagen dann, dazu gibt es morgen ein Interview in der Zeitung. Oder wir sagen „Von dem Verkehrsunfall auf der A2 gibt es auch einen kleinen Film im Internet“.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Der Begriff Online first ist ja ein bisschen schillernd. Ich würde sagen, wir machen Online first von Fall zu Fall. Wenn die Sache es hergibt, wenn es um das Gerichtsurteil geht, dann gilt Online first. Dann wollen wir als Allererste das Urteil über Online spielen. Aber das heißt jetzt nicht, dass alles, was an Nachrichten reinkommt, erst mal ins Internet geht. Oder beispielsweise, dass jeder Artikel, der fertig wird, sofort ins Internet gestellt wird. So kann man Online first ja auch verste-hen. Man könnte vielleicht sagen, wir denken zuerst an Online. Bei exklusiven Nachrichten lassen wir Print den Erstaufschlag, wobei der Erstaufschlag auch nicht wichtig ist, wir stellen die Nach-richten um 1 Uhr ins Netz. Das liegt einfach daran, dass wir relativ harte Konkurrenz haben, die auch leider nicht immer sauber arbeitet und es mit dem Zitieren nicht so genauso nimmt: Wenn wir eine Information um 21 Uhr reinstellen, wenn definitiv die Information kein anderer mehr ve-rifizieren kann, weil die Leute nicht mehr erreichbar sind, dann würde die Konkurrenz das trotz-dem covern, und da sagen wir, das muss nicht sein. Dann wählen wir eben den Zeitpunkt hinter dem Redaktionsschluss und stellen es eben nachts rein. Aber nicht, um Online-User zu bestrafen. Das ist eine reine Frage des Konkurrenzausschlusses, und wir sagen in dem Fall, das ist jetzt wirk-lich mal eine Perle, und da wollen wir morgen früh den Erstaufschlag haben.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-

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ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Wir haben solche Wellen, aber natürlich keine festen Redaktionsschlüsse, weil die kontraproduk-tiv wären. Wir wissen, dass der Aufschlag am Morgen sehr wichtig ist, deswegen versuchen wir auch mit einem relativ frühen Redaktionsarbeitsbeginn für die Onliner schon mal die Nacht nach-zuarbeiten. Das sind in der Regel Blaulicht-Geschichten, die wir dann schon morgens früh rein-stellen. Spätestens um 8 Uhr ist das online. Und wir haben im Laufe des Tages wechselnde Top-Storys. Top-Storys sind sozusagen vier oder fünf alternierende Geschichten, die wir den Tag über laufen lassen und die wir auch sehr genau beobachten, wie die sich entwickeln. Das ist sehr oft auch Sport, das spielt bei uns eine große Rolle. Und da geben wir untertags schon etwas rein. Wenn der VfL Wolfsburg eine Neuverpflichtung hat, dann wird der schon mal kurz vorgestellt, das Interview mit der Neuverpflichtung wäre dann am nächsten Tag im Print. So beobachten wir das den Tag über, und dann wird es nochmals relativ wichtig nachmittags, bevor die Leute den Arbeitsplatz verlassen, gehen die auch gern nochmal online. Und dann ist es in der Regel auch so, dass wir sehr entscheidungsreif sagen können, Leute, das Ding ist echt klasse, das läuft gut, lasst uns das noch einen Tick größer machen im Print. Oder aber auch gerade nicht: Dass wir sagen, jetzt ist der Unfall so durchgelutscht, jetzt lass‘ uns nicht morgen nochmal die gleichen Bilder zeigen, die wir online hatten.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Die sind mit Sicherheit ausbaufähig. Ich glaube auch, dass mehr Leser online unterwegs als bei uns sind. Das liegt einfach daran, dass wir da noch einen gewissen Delay haben. Wir sind da doch eher hintendran. Aber ich glaube, das Potenzial ist ganz klar da. Wer uns als Marke schätzt, indem er uns 25 bis 30 Euro monatlich zahlt, der wird uns auch im Internet als Marke schätzen.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Das hängt davon ab, was wir ihnen anbieten. Ich glaube auch nicht, dass unsere Leser, wenn sie ins Internet gehen, diejenigen sind, die stundenlang Communitys befeuern. Aber ich glaube, dass die Leser punktuell durch bestimmte Diskussionsforen durchaus ansprechbar sind.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Das ist, glaube ich, nur bei wirklich großen Themen der Fall. Die Zeitung hat nach wie vor eine Orientierungsfunktion oder ist nach wie vor ein Reibungsfaktor. Man will sich sozusagen mit der Zeitung intellektuell auseinander setzen. Wie sehen die das? Sehe ich das genauso? Nein, da sind die auf der falschen Fährte. Man will Argumente sehen und will die sozusagen auch selber intel-lektuell für sich durchspielen und möglicherweise entkräften. Das glaube ich schon. Aber ich hal-te nichts mehr davon, über eine Fünf-, Sechs-Seiten-Strecke im Mantel den Leuten das Wichtigste aus aller Welt unsortiert vorzusetzen, um dann anschließend im zweiten oder dritten Buch im Lo-kalen zu starten. Die regionale Berichterstattung, das darf man auch nicht vergessen, ist ja auch eine besondere Leistung. Ich meine damit nicht, dass man permanent zwischen Obama und Orts-teil-Bürgermeister hin und her pendelt, das bringt nichts. Sondern man muss dann auch wirklich gewichtige regionale Tendenzen erfassen, beispielsweise indem man Regionalvergleiche macht und die regionalen Unterschiede herausarbeitet. Das ist eine starke Information für die regionalen Leser und auch für die regionalen Entscheider.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Ja, das machen wir auch in Online. Wir können das zwar nicht in aller Fertigungstiefe machen, wir haben also beispielsweise nicht die Möglichkeiten interaktiver Grafiken, so weit sind wir da noch nicht. Das ist einfach auch der Fluch des Internets, dass es eben technisch nicht so ganz ohne ist. Da wollen wir aber hin. Was sollte sonst der Grund sein, warum ein Leser unsere Homepage oder unsere mobilen Dienste in Anspruch nimmt? Es wird immer der sein, der da sagt, ich möchte diese regionale Ausrichtung, und ich nehme diese regionale Ausrichtung auch in den elektroni-schen Angeboten in Anspruch.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Ich würde so sagen: Wir sind ein Orientierungsmedium, allerdings haben wir eine sehr, sehr star-ke Fokussierung auf die Region. Das hat auch damit zu tun, wie diese Region hier zusammenge-setzt ist. Wir machen keinen Tagesschaumantel mehr, das gibt es bei uns nicht. Sondern, wenn wir ein Thema in der Wirtschaft oder in der Politik aufmachen, hat das in der Regel auch regiona-len Bezug. Und ich glaube, das ist genau das, was die Leute suchen. Die wissen, es ist ein be-stimmtes Wirtschaftsereignis eingetreten, sie wollen das auch in der Zeitung nochmals finden – ich rede jetzt nicht von jeder einzelnen Meldung, das ist ja klar. Die Schwerpunkte, die wir in der Wirtschafts- oder Kulturberichterstattung setzen, sind immer die, dass wir sagen, was bedeutet das für die Region oder wie sieht das die Region oder was ist in der Region passiert, was wir unter Umständen über die überregionalen Medien noch gar nicht mitbekommen haben.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Das ist natürlich jetzt Interpretationssache. Ich behaupte, dass das zu der Nachrichtenspezies ge-hört, die alle lesen und jeder sagt nachher: Igitt, dass so etwas in meiner Zeitung steht. Die Leute lesen es natürlich, die wollen natürlich durchs Schlüsselloch gucken, sagen aber anschließend so ein bisschen igitt.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Das ist ja praktisch die Spiegelfläche dafür, was ich vorhin sagte. Die Leute fragen das bei uns im Internet nach, was sie auch im Print nachfragen. Ich glaube nicht, dass die Leute als Erstes auf un-sere Homepage gehen, wenn in New York ein Flugzeug abstürzt. Aber logischerweise sollten wir das auch anbieten. Ich will jetzt nicht dem reinen Regionalismus das Wort reden, das wäre auch Unsinn. Gerade bei Informationen wie der Vertragsverlängerung von Joachim Löw ist das bei uns selbstverständlich sofort eine Topstory, weil wir ja auch wollen, dass die Leute, die bei uns schon sind, nichts verpassen. Aber ich glaube nicht, dass jemand, der sich informieren will und der im Radio irgendwas von Löw gehört hat, zu uns kommt. Der geht wahrscheinlich auf kicker.de und guckt, was ist mit dem Bundestrainer ist. Oder er googelt – leider.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)?

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Anhang: Interview Stefan Kläsener/Braunschweiger Zeitung

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Wir haben schon so einen kleinen Versuch gestartet, wir haben das Museum der Leser genannt. Ich weiß nicht, ob das der allerglücklichste Begriff ist, aber die Sache ist gut, nämlich einfach mal so ein regionales Gedächtnis zusammenzutragen: Wer hat Bilder aus den Sechziger Jahren, aus Kriegszeiten, aus dem Beginn der Mobilität? Wer hat identifizierbare Personen, die hier eine Rol-le gespielt haben? Wer hat Erinnerungen, die er gerne aufschreiben möchte? Wer will erzählen, was er erlebt hat? Wie das Echolot von Walter Kempowski. Wir sammeln hier in der Region, was wir alles haben und was wir gerne im Gedächtnis bewahren wollen. Ich glaube, dass das bei einer Zeitung in guten Händen ist. Das passt zu unserem Medium, das kann man im Internet wunderbar machen, weil man eben das Platzproblem so nicht hat und man kann auch die Schwarmintelligenz nutzen. Denn logischerweise wissen unsere Redakteure auch nicht mehr alle, welches Gebäude das da zum Beispiel war. Aber das wissen eben die Leute, die in dem betreffenden Ort gelebt ha-ben, die wissen das noch sehr genau. Die wissen sogar, ob das Tante Frieda oder Tante Erna davor war oder der Volksschullehrer oder der Polizeiwachtmeister. Und diese kollektive Intelligenz zu nutzen, das ist ja im Grunde das Wikipedia-Prinzip, das halte ich für Zeitungshäuser im regiona-len Bereich für hilfreich und das wird auch eine Rolle spielen. Das wird komischerweise von vie-len onlineaffinen Leuten so ein bisschen belächelt nach dem Motto: Das ist aber rückwärtsge-wandt, das ist aber alte Welt. Ich glaube nicht, dass das alte Welt sein wird. Wenn man sich mal die Kohorte anguckt, man ist irgendwann auch interessiert, wie das eigentlich in seiner Grund-schulzeit war. Und man will dann auch über diese Grundschulzeit, über seinen Heimatort oder was auch immer recherchieren. Und das wird alles über Geografie laufen, sprich also über Region – und das können wir anbieten.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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9.2.4. Michael Schröder und Tobias Döpker/Mannheimer Morgen

Der Verfasser hat das Interview am Donnerstag, 8. Juli, um 9.30 Uhr im Verlagshaus des Mann-heimer Morgen (MAMO) in der Dudenstraße in Mannheim geführt. Gesprächspartner waren Mi-chael Schröder, der stellvertretende Chefredakteur des Mannheimer Morgen, und Tobias Döpker, Projektleiter Online im Ressort Chef vom Dienst. • Name des Mediums

Mannheimer Morgen

• Verbreitungsgebiet und Region Rechtsrheinisches Rhein-Neckar-Dreieck

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Michael Schröder: Wir haben ganz klar nur Print und Online. Wir hatten in den 80er-Jahren Fernsehen, das haben wir aber dann abgegeben. Die sind zwar noch hier bei uns auf dem Ge-lände unseres Medienkomplexes – aber eigenständig. Das heißt, wir haben da keine Verbin-dung mehr. Wir sind beteiligt an einem Radiosender, Radio Regenbogen, aber auch da nicht aktiv im Sinne von journalistischer Leistung, sondern nur als Gesellschafter. Wir sind aktiv bei den Zeitungen Mannheimer Morgen mit seinen Unterausgaben und Morgenweb, dem On-line-Auftritt. Also klassisch zwei Kanäle.

• Anzahl der festangestellten Redakteure 70

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Michael Schröder: Es gibt zwei Spezialisten für Online, die von zwei Volontären unterstützt werden. Ziel ist, dass alle Redakteure in der Lage sind, Online zu bedienen. Das bekommen wir aber jetzt schon dadurch hin, dass wir die Volontäre seit einer gewissen Zeit speziell auch in Online ausbilden.

• Anzahl der Lokalausgaben 15 (ohne die Weinheimer Nachrichten und die Fränkischen Nachrichten)

• Auflage der Printausgabe 102 700 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.morgenweb.de – 873 326 Visits mit 4 820 715 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste keine mobilen Angebote

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote keine Fernseh-Angebote

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote keine Radio-Angebote

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Tobias Döpker: Es ist letztendlich so, dass wir zwei Ziele haben. Zum einen versuchen wir, mit dem Kanal Internet auch Nutzer zu erreichen, die wir mit der Tageszeitung nicht erreichen – also eine andere Zielgruppe. Das sieht man auch in den Zulaufstatistiken. Es ist nicht so, dass die meisten unserer Nutzer auch Abonnenten sind. Zum anderen versuchen wir, mit dem Internetka-nal die Ränder über das Printverbreitungsgebiet hinaus zu schieben – das heißt, wir bedienen im Internet wesentlich stärker auch die Pfalz oder den Bereich Bergstraße und Odenwald. Michael Schröder: Man muss dazu sagen, dass unser Verbreitungsgebiet eingeengt durch Mitbe-werber ist, und zwar rings um uns herum, sowohl im Südhessenbereich, in der Pfalz, aber auch im badischen Teil – und das gibt uns natürlich durch das Internet die große Chance, das Verbrei-tungsgebiet auf diesem Weg zu vergrößern, nämlich nicht durch Print, sondern Online. Und die

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Anhang: Interview Michael Schröder und Tobias Döpker/Mannheimer Morgen

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Zugriffszahlen zeigen uns, dass wir weit über unser klassisches Verbreitungsgebiet als Zeitung hinaus als Morgenweb Mannheimer Morgen wahrgenommen werden.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Michael Schröder: Die Zeitung kann einfach nicht so schnell sein wie der Online-Auftritt. Und wir haben uns zum Ziel gesetzt, der schnellste Online-Anbieter hier in der Region, in der Metro-pol-Region Rhein-Neckar, zu sein. Dem Ziel sind wir nicht nur nahegekommen, sondern wir set-zen das auch um, wir sind der schnellste Anbieter. Das heißt, das, was wir als Zeitung nicht leis-ten können, nämlich die aktuellste Information, das können wir wenigstens durch Online leisten. Das ist auch komplementär zu sehen: das ältere Medium auf der einen Seite und das schnelle, ak-tuelle auf der anderen Seite. Das ergänzt sich hervorragend.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Tobias Döpker: Die zweite Strategie haben wir auch mal versucht, als die Online-Redaktion oder das ganze Produkt bei einer Tochterfirma angesiedelt war. Da war auch letztendlich der Online-Auftritt komplett geschlossen. Das hat nicht funktioniert, weil man Erlöse nicht über Reichweite generieren kann. Und im Jahr 2004 ist die Online-Redaktion zurück in die Printredaktion gekom-men und ist jetzt dem Ressort Chef vom Dienst angegliedert. Es war damals auch eine ganz be-wusste Entscheidung, weil wir da schon geschaut haben, dass es eine Verzahnung zwischen Print und Online gibt. Wir haben natürlich die Inhalte aus der Zeitung im Internet, versuchen sie aber dann, in Online durch inhaltliches Weiterdrehen und durch Bilder, Fotostrecken, Videos, Stimmen und Kommentarfunktionen interaktiv aufzuwerten und den User in das Produkt einzubinden. Ich denke, es ist so eine Mischstrategie. Es sind die Inhalte aus der Zeitung, wobei wir in Online Schwerpunkte setzen. Wir haben den Rhein-Neckar-Ticker, wir haben verschiedene lokale Ticker, die nur online laufen. Da sind Meldungen drin, die teilweise schon von Printkollegen zugeliefert werden, die sich am nächsten Tag größer in der Zeitung finden. Und wir sind in dem letzten hal-ben Jahr auch verstärkt dazu übergegangen, große Themen, die wir exklusiv haben, auch schon – Stichwort Online first – im Web anzuteasen, um Appetit auf die Zeitung zu machen. Also zum Beispiel bei großen Interviews oder bei sehr emotionalen lokalen Themen stellt man 30 Zeilen ins Web und verweist auf die 80 oder 100 Zeilen, die am nächsten Tag in der Zeitung sind.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Tobias Döpker: Wir können die Zielgruppen, was das Alter angeht, gar nicht so genau fassen. Aber im Prinzip denke ich schon, dass die Online-Leser im Schnitt jünger sind als die Zeitungsle-ser. Wir merken, dass wir ein klassisches Büromedium sind. Unsere Zugriffe gehen ab 7 Uhr morgens nach oben und ab 17 Uhr geht es runter. Und wir haben Peaks, wenn bei BASF oder bei Daimler Mittagspause ist, da haben wir zwischen 12 und 14 Uhr unsere stärksten Zugriffe. Was man als Feedback bekommt, ist, dass die Abonnenten morgens ihre Zeitung lesen und sich am Tag über das lokale Geschehen im Internet weiterinformieren, auch über Themen, die sie viel-leicht schon in der Zeitung angelesen haben. Da ist dann die Deckungsgleichheit zwischen Abon-nenten und Online-Usern. Zudem kann man sich als Abonnent registrieren, um das E-Paper zu le-sen oder im Archiv zu surfen. Da hatten wir im Mai 2010 9682 für das Morgenweb registrierte Print-Abonnenten.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Michael Schröder: Das Hauptmotto heißt bei uns regionale Kompetenz. Wir sind eine Regional-zeitung, und wir verstehen unser Morgenweb genauso als regionale Plattform im Online-Bereich.

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Man muss das natürlich anders aufbereiten, das ist ganz klar, das tun wir ja auch. Aber worauf es uns eben ankommt, ist einmal die Schnelligkeit, die Aktualität und die Vertiefung. Das heißt also, das Ergänzende, was die Zeitung alles nicht bieten und leisten kann, indem man noch mehr rein-stellt. Es ist endlos, was man da theoretisch online anbieten kann. Das versuchen wir natürlich nicht voll auszuschöpfen, aber doch weitreichend. Wir haben den Anspruch, das führende Medi-um der Region zu sein, sowohl im Print- als auch im Online-Bereich. Das ist eigentlich die Devi-se, die wir hier ausgeben. Ich glaube, darunter lässt sich alles subsumieren. Tobias Döpker: Natürlich spiegelt Online in gewisser Weise die Zeitung wider, weil Online alle Bereiche haben muss, die auch in der Zeitung abgebildet sind. Aber ich denke mal, dass wir da-von ausgehen, dass die Online-Nutzer eben auch uns in erster Linie als regionalen Nachrichtenan-bieter betrachten. Wenn User reingehen ins Morgenweb, dann wollen die sich erst mal informie-ren, was in der Region los ist und nicht, was in der Welt passiert. Das ist unsere Aufgabe als Re-gionalzeitung. So verstehen wir uns eben auch als Online-Anbieter. Michael Schröder: Wir merken das deutlich bei unseren Zugriffen, dass wir zum Beispiel mit ei-ner emotional geführten Diskussion über Schlaglöcher im Frühling mehr User erreichen als mit unserem Spezial zur Fußball-WM. Letzteres müssen wir auch haben, das ist auch ein ganz klarer Wunsch in der User-Umfrage gewesen, die gezeigt hat, dass gerade die Mischung aus internatio-nalen Nachrichten und lokalen Nachrichten gewünscht ist, aber im Zweifel macht Spiegel Online den Live-Ticker von der Bundespräsidentenwahl besser, weil Spiegel Online im Reichstag sitzt. Dafür machen wir den Live-Ticker über die Pressekonferenz der Odenwaldschule nach den Miss-brauchsfällen besser als die bundesweite Konkurrenz. Deswegen gibt es viele lokale Meldungen, die man nur bei uns liest. Deswegen ist das Lokale der Schwerpunkt für die Zukunft. Sicherlich ist eines unserer Ziele, noch lokaler zu werden. Das ist ein Projekt, an dem wir für die Zukunft arbei-ten, richtige Stadtportale könnten eine Option sein. Wir haben für Mannheim Stadtteilportale, die sich aus den Stadtteilseiten, die in der Zeitung sind, speisen. Die haben wir über zusätzlichen On-line-Inhalt noch aufgewertet, und die haben sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Das ist unser Ziel, eher noch lokaler zu werden als es die Zeitung auch aus Platzgründen sein kann. Darü-ber hinaus haben wir noch mehrere Unterplattformen, wir haben Jobmorgen.de, das ist eine regio-nale Metasuchmaschine für Stellenangebote, die auch ganz klar auf die Region fixiert ist. Tobias Döpker: Wenn man das ins Verhältnis setzt zu bundesweiten Stellensuchmaschinen, die das ganze Gebiet abdecken, sind wir hier sicher der regionale Marktführer mit der Plattform. Wir haben dann am Anfang des Jahres eine Eventplattform gestartet, die noch in den Kinderschuhen steckt, aber die soll Freizeit-Event-Charakter haben. Sie besteht aus einer großen Veranstaltungs-Datenbank, die sich aber auch wieder letztendlich aus den Zeitungsinhalten speist.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Michael Schröder: Wir haben die ausgelagerte Online-Redaktion nicht zuletzt deshalb zurückge-holt, weil wir hier eine journalistische Kompetenz vorweisen können. Wir haben die Online-Redaktion integriert im Newsroom, das heißt, die Kollegen sind mittendrin im Geschehen. Sie be-kommen alles mit, und sie können auch anfordern. Und die Kollegen aus dem Print sind gehalten, ihre Geschichten, ihre Meldungen aktuell an die Online-Redaktion weiterzugeben. Das heißt, es gibt eine innige Verzahnung hier im Newsroom. Das sind die Synergie-Effekte, die sich hier dar-stellen. Ich bin der Meinung, dass das sehr gut funktioniert. Alles ist noch ausbaufähig, und wir werden das auch noch tun. Insofern gibt es keine Trennung mehr, weder eine räumliche noch eine geistige Trennung. Es ist also eine Selbstverständlichkeit, dass die Online-Redaktion im Printme-dium implementiert ist. Tobias Döpker: Wir hätten die regionale Marktführerschaft im Internet mit Sicherheit nicht über-nommen, wenn wir diese Verzahnung nicht hätten, weil es mittlerweile wirklich in der Praxis auch so ist. Gestern Abend gab es Festnahmen im Friedrichspark, das war online, ohne dass ich es anfordern musste. Da hat der Kollege vor Ort das direkt in den Ticker reingeschrieben. Das funk-tioniert auch tagsüber schon sehr gut. Zum Beispiel bei der Gerichtsberichterstattung, wenn wich-tige Urteile anstehen, ruft der Kollege aus dem Gericht an und gibt ein paar Stichworte durch in

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Anhang: Interview Michael Schröder und Tobias Döpker/Mannheimer Morgen

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den Newsroom, so dass wir gleich eine Meldung machen können und die Ersten sind, die über den Ticker diese lokale Meldung verbreiten. Das würde mit Sicherheit nicht so funktionieren, wenn wir zwei Türme weiter in einer eigenständigen Gesellschaft sitzen würden.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Tobias Döpker: Unser E-Paper ist Paid-Content, man kann nämlich ein reines Online-Abo ab-schließen. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir da so viele Abonnenten für Online-Abos ha-ben. Aber es gibt sie, und sie sind auch, nachdem wir vom geschlossenen Bereich den Rest geöff-net haben, nicht weniger geworden. Damit hat man die Möglichkeit, die abonnierte Ausgabe plus Partnerzeitung zu lesen und im Archiv zu surfen. Das Archiv ist nämlich geschlossen und nur für Abonnenten zugänglich. Wir suchen gerade ein neues Redaktionssystem, wenn wir eine Entschei-dung für eines haben, wird es mit Sicherheit auch einen Relaunch geben. Darin wird es auch um mobile Inhalte gehen. In dem Zusammenhang wird Paid-Content sicher wieder interessant wer-den. Aber ich glaube nicht, dass der Schritt, den wir Anfang 2000 schon einmal hatten und bei dem man den kompletten Inhalt geschlossen hat, mittelfristig Erlöse generieren würde. Michael Schröder: Wir haben die Strategie, große Reichweite zu erzielen, das hat erste Priorität – weit vor Paid-Content.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Michael Schröder: Ich habe mal diesen Vergleich gezogen mit einem Satelliten, der über der Re-gion schwebt. Der Morgen ist die Marke, und der Satellit strahlt auf verschiedene Kanäle ab. Wir haben unter dem Dachmarkennamen „Morgen“ sehr viele Kanäle: Wir haben das Morgen-Web, wir haben den Mannheimer Morgen, wir haben die Morgen-Card, eine Karte, mit der man auch einkaufen und gewisse Vorteile erzielen kann. Das heißt also, wir spielen den Namen „Morgen“ auf verschiedenen Ebenen. Das betrifft nicht unsere Partnerzeitungen, die aufgrund ihrer klassi-schen Eigennamen auf andere Namen ausweichen müssen. Ansonsten ist der „Morgen“ der Nach-richtenbegriff für unser Verbreitungsgebiet. Tobias Döpker: Wir setzen im Internet dieselben journalistischen Qualitätsmaßstäbe, wie wir sie auch in der Zeitung setzen. Wir haben im Internet zudem dieselben Probleme wie in der Tageszei-tung, dass wir zum Beispiel für die Schwetzinger Zeitung den Internet-Auftritt mitmachen. Wir haben das dadurch gelöst, dass wir im Prinzip den überregionalen Bereich, sprich die klassischen Mantelressorts, unter Morgen-Web laufen lassen, aber wenn man online die Schwetzinger Zeitung sucht, landet man direkt auf der Startseite Schwetzingen, die man bei uns über die Morgen-Web-Navigation unter Region findet. Bei unserem Videoportal sind wir einen Schritt weitergegangen –gerade vor dem Hintergrund der Diskussion, dass die mit einem regionalen Fokus produzierten Videos mal ein Schwetzinger-Zeitung-Video, mal ein Bergsträßer-Anzeiger-Video und mal ein Mannheimer-Morgen-Video sind. Da haben wir uns entschieden, dass wir zumindest diesen Vi-deokanal wirklich auch als regionalen Kanal verstanden wissen wollen: Die Videos erscheinen, auch wenn sie für Schwetzingen produziert werden, unter dem Level Morgen-Web, um die Dachmarke „Morgen“ zu transportieren.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Michael Schröder: Der Grundgedanke ist, dass wir im Vergleich zu den Mitbewerbern klar unsere Duftmarke in der Region setzen müssen als das führende Nachrichtenmedium, dass die Leute – egal ob sie das Morgen-Web nutzen oder ob sie die Zeitung lesen – immer wissen, sie sind hier regional, kompetent und journalistisch gut aufgehoben. Das Wichtigste für uns war immer, dass die Kollegen, die Morgen-Web machen, die gleichen journalistischen Standards haben wie auch die Print-Kollegen, dass die Qualität, die wir in der Zeitung garantieren, sich auch widerspiegelt im Morgen-Web, dass sich die zwei Millionen Menschen im Ballungsraum Rhein-Neckar darauf

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verlassen können, dass sie, wenn sie ins Morgen-Web reingehen, die gleiche Qualität bekommen wie in der Zeitung auch. Das ist unsere Grundvoraussetzung – und da brauche ich jetzt auch keine Statistik oder sonstige empirischen Untersuchungen. Wir gehen davon aus, dass der Ruf, den wir haben, das Renommee, das die Zeitung hat, sich übertragen lässt auf das elektronische Medium. Das ist unser Leitgedanke.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Tobias Döpker: Für Online ist unser ganz klares Ziel, dass wir die Marktführerschaft ausbauen wollen. Ein Schritt ist, auch die Zielgruppen zu erreichen, die wir mit der Zeitung nicht mehr er-reichen können – dafür steht auch die jugendliche Event-Plattform, die in den Schichten auch in-formieren soll. Wir haben auf dieser Plattform auch den Rhein-Neckar-Ticker integriert, um so Jugendliche über kurz oder lang an das Medium Mannheimer Morgen – sei es Print, sei es Online – heranzuführen. Und zumindest online haben wir zudem ganz klar die Strategie, dass wir noch wesentlich lokaler werden wollen. Stadt-Portale sind sicherlich ein Weg, online noch tiefer ins Lokale reinzugehen – gerade in Gebieten, in denen wir auch in Konkurrenzsituationen zu anderen Verlagen stehen. Michael Schröder: Was die Zeitung angeht, kann man ganz klar sagen, ist die Verlinkung zwi-schen Print und Online das Ziel. Wenn man jetzt fragt, wo wir uns in fünf Jahren gerne wiederfin-den möchten, sage ich, dass wir versuchen wollen, die Marktposition der Zeitung zu stabilisieren. Der Ausbau der Online-Marktposition hilft bei der Stabilisierung des Zeitungsprodukts.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Tobias Döpker: Es gibt viele Leute, die in Mannheim arbeiten, aber vielleicht nicht aus Mann-heim selber kommen und sich bei uns informieren. Ein Beispiel, da ist jemand an der Bergstraße geboren, arbeitet jetzt in Mannheim und wohnt vielleicht in der Pfalz, der hat über unser Angebot die Möglichkeit, sich noch über seine Heimatgemeinde zu informieren, kriegt vielleicht die Mannheim-Stadt-Ausgabe als Zeitung oder hat gar keine Zeitung – und da wir, zumindest mit On-line, die ganze Region abdecken, hat er dann bei uns die Möglichkeit, sich weiter zu informieren.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Michael Schröder: Wir haben zwei große Lesermarktstudien gemacht, wir haben dabei auch In-tensivgruppen befragt, und wir haben darüber hinaus Telefoninterviews mit ausgewählten Lesern geführt. Letztendlich haben wir in zwei großen Wellen „Readerscan“-Analysen durchgeführt, je-weils drei Wochen, mit repräsentativ ausgewählten Lesern. Das hat auch sehr viel gebracht, weil wir erfahren haben, was unsere Leser tatsächlich im Blatt lesen – und wir haben daraus Konse-quenzen gezogen. Lesermarktstudien, Telefoninterviews und „Readerscan“-Analysen, das sind unsere drei wichtigsten Studienmöglichkeiten, wie wir unseren Lesermarkt beobachten.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Michael Schröder: Da wüsste ich jetzt nichts.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Tobias Döpker: Es gibt zwei Spezialisten für Online, das sind die beiden Online-Redakteure. Da-rüber hinaus gibt es aber eine Verzahnung zu Print. Gerade die Kollegen aus dem Lokalen und aus dem Regionalen liefern uns für den Rhein-Neckar-Ticker zu. Da werden Meldungen ge-schrieben, die die normalen journalistischen Standards, die eine nachrichtliche Meldung haben muss, erfüllen. Die Veredelung der Inhalte wird von der Online-Redaktion gemacht. Wir haben

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Anhang: Interview Michael Schröder und Tobias Döpker/Mannheimer Morgen

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bei Online immer zwei Print-Volontäre, das ist für die Volontärsausbildung eine ganz wichtige Station. In der Regel kommen die Volontäre, wenn sie eine Lokalstation hinter sich haben und wenn sie das Haus und die regionale Struktur unseres Verbreitungsgebiets kennen, in die Online-Redaktion und lernen bei uns erst einmal den Umgang mit Nachrichten-Agenturen. Danach kommt die Aufbereitung von Inhalten für Online, so dass wir durch dieses System schon viele Multiplikatoren geschaffen haben. Wenn jetzt Volontäre in Außenredaktionen übernommen wer-den, die auch gleich die Online-Brille aufhaben und bei vielen Themen schon von sich aus initia-tiv tätig werden, werden Inhalte für Online aufbereitet und zugeliefert. Durch dieses Ausbildungs-system wird Online immer breiter aufgestellt. Grundsätzlich gibt es einen kleinen Pool an Online-Spezialisten, wobei sich alle Redakteure möglichst in beiden Kanälen auskennen sollen. Michael Schröder: Das Sich-zu-Hause-Fühlen in allen Kanälen wird jetzt noch nicht möglich sein bei allen Redakteuren. Aber Online zu bedienen, ist Voraussetzung für jeden Redakteur.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Michael Schröder: Deskchef und Online-Redakteur sind ein eingespieltes Team und sitzen direkt nebeneinander. Das heißt, dass der Online-Redakteur die gesamte Zeitungsplanung mitverfolgt. Der Deskchef muss nicht dem Online-Redakteur sagen, das muss jetzt ins Morgen-Web reinge-stellt werden. Das macht der Online-Redakteur von sich aus. Das heißt, er braucht keine Informa-tionen, keine Anleitung, keine Order vom Deskchef. Es ist nicht Aufgabe des Deskchefs, zu sa-gen, das muss jetzt in den Kanal und das muss jetzt in den Kanal, sondern dieser Workflow ist ein fließender Prozess. Das heißt, man kommuniziert, koordiniert und integriert gemeinsam am Desk. Jetzt kann natürlich der Deskchef fragen, ob wir das schon online haben. Aber bevor der Deskchef die Frage stellt, hat der Online-Redakteur das schon online gestellt. Der Online-Redakteur ist kein Ressortleiter. Aber er hat durchaus die Möglichkeit, an Ressortleiter-Konferenzen teilzunehmen. Wenn es um Belange des Morgen-Webs geht, ist er in den Konferenzen der Ressortleiter dabei. Aber den Status Ressortchef hat er nicht. Er ist integriert in ein Ressort – und zwar in das Ressort Chef vom Dienst. Da gibt es einen Ressortleiter, aber der Online-Redakteur nimmt regelmäßig an den Konferenzen der Ressortchefs teil.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Michael Schröder: Die Artikel werden zum Teil verändert. Wir haben Artikel, die kommen 1:1 ins Morgen-Web rein und andere Artikel in verkürzter Form, quasi als Teaser, als Appetizer, weil wir nicht wollen, dass jeder Artikel vorab schon im Web ist. Wir versuchen, möglichst erst mal eine Anreißmeldung ins Morgen-Web reinzustellen. Der Artikel dazu erscheint aber durchaus am nächsten Tag auch im Morgen-Web parallel zur Zeitung. Die Tatsache, dass nicht alle Artikel für Online angepasst werden, ist auch durch die personellen Kapazitäten beeinflusst. Wir haben zwei Online-Spezialisten und zwei Volontäre, die im Online-Bereich ihre Ausbildung machen. Das heißt, wir können nicht alle Artikel verändern. Wichtiger ist uns die Aktualität im Vergleich zur Aufbereitung jedes Artikels speziell für Online.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Michael Schröder: Den Fall, dass wir ein bestimmtes Themenfeld nur einem Kanal überlassen, gibt es eigentlich nicht. Bei der Aufbereitung gibt es natürlich große Unterschiede. Große Veran-staltungen, große Feste, große Ereignisse, die werden von der Online-Redaktion speziell fürs

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Morgen-Web aufbereitet, zum Beispiel durch ein Video oder durch eine Bilderstrecke, das hat mit der Zeitung gar nichts zu tun. Wir verweisen dann in der Zeitung darauf, dass man das auch noch im Online-Bereich abrufen kann. Das heißt, diese Themenaufbereitung wird dann unabhängig von der Zeitung gemacht.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Michael Schröder: Wir haben festgestellt, dass im Morgen-Web mehr regionale Themen abgeru-fen werden als überregionale, internationale Themen. Wir werden als regionaler Online-Anbieter wahrgenommen. Das beeinflusst auch die Themengestaltung im Online. Natürlich haben wir auch nationale, internationale Themen, das ist klar, aber die Online-Kollegen steuern das schon so, dass vor allem die regionalen lokalen Themen nach oben gezogen werden. Das ist auch das, was die Leute am ehesten erwarten.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Michael Schröder: Besonders bei der Berichterstattung über große Veranstaltungen weisen wir in der Zeitung daraufhin, dass man das auch noch im Online-Bereich abrufen kann. Das heißt, es gibt in der Zeitung Verweise auf Inhalte, die unabhängig von der Zeitung aufbereitet werden. Zu-dem weisen wir bei Hintergründen und Zusatzinformationen, die in der Zeitung keinen Platz mehr haben, bei jedem Thema in der Zeitung darauf hin: mehr im Morgen-Web.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Michael Schröder: Online first gilt nur für das aktuelle Geschehen. Da versuchen wir, möglichst blitzschnell zu reagieren. Es gibt aber keine Priorität, dass Online in jeder Beziehung vor der Zei-tung stehen muss, aber unschlagbar ist Online natürlich durch die Aktualität – jeder Verkehrsun-fall, der in die Redaktionen übermittelt wird, den haben wir nach ein paar Minuten online stehen. Das ist für uns das größte Plus. Natürlich gibt es auch Exklusivmeldungen, die nicht sofort ins Morgen-Web gestellt werden – vor allem im regionalen, lokalen Bereich. Wenn die Meldungen für Mitbewerber jedoch nicht mehr nachrecherchierbar sind, werden sie noch am selben Tag ins Web gestellt, aber nicht sofort. Wir stellen nicht jede Exklusivgeschichte sofort online, wir müs-sen das abwägen: Ist die recherchierte Geschichte ein Alleinstellungsmerkmal für die Zeitung oder können wir sie getrost sofort ins Internet reinstellen, weil wir davon ausgehen können, dass die Nachricht im Laufe des Tages auch anderen Medien zugänglich ist. Wenn wir wissen, dass wir eine Exklusivgeschichte haben, die wir auch noch am nächsten Tag alleine haben, dann wer-den wir sie zeitverzögert am selben Tag online stellen, aber nicht sofort in dem Augenblick, wenn wir es schon könnten. Da muss man die Zeitung ein bisschen schützen, weil schließlich eine Leis-tung dahinter steckt, die nicht so einfach an Mitbewerber verschenkt werden kann. Das muss man schon von Fall zu Fall entscheiden. Aber angestrebt ist es schon, dass die Nutzer des Morgen-Web am Vortag erfahren, dass am nächsten Tag eine große Exklusivgeschichte im Mannheimer Morgen steht.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Michael Schröder: Feste Zyklen gibt es nicht. Die Aktualisierung erfolgt fortlaufend. Wir haben sehr starke Zugriffe auf den Nachrichten-Ticker – und der Nachrichtenticker wird minütlich aktu-alisiert. Das heißt, neu aufstellen, neu sortieren müssen wir diese Themen nicht, sondern wenn man sich den Ticker anschaut, sind da Dutzende von Meldungen drin, und die Meldungen laufen wirklich minütlich ein, so dass wir keine Intervalle brauchen, so dass wir nicht sagen müssen, wir müssen uns für die Büronutzer zwischen 12 und 14 Uhr völlig neu aufstellen. Das ist ein fortlau-fender, ein permanenter Prozess: Was reinkommt, geht auch gleich raus.

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Anhang: Interview Michael Schröder und Tobias Döpker/Mannheimer Morgen

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Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Michael Schröder: Ich sehe da schon ein großes Potenzial, aber wir können es nicht mit Zahlen belegen. Aber wir wissen aus unseren Lesermarktstudien, dass wir natürlich in erster Linie wegen unserer lokalen und auch regionalen Kompetenz gelesen werden. Das spiegelt sich auch wider in der Nutzung des Morgen-Webs. Wenn ich davon ausgehe, dass die Leute am ehesten interessiert daran sind, was bei ihnen unmittelbar vor der Haustür geschieht, werden Tageszeitungsleser onli-ne nicht nur überregionale Online-Anbieter lesen wollen, sondern interessieren sich auch im Netz dafür, was aktuell vor ihrer Haustür passiert. Insofern sehe ich schon auch die Doppelnutzung von Morgenweb und Zeitung. Durch Zahlen können wir es nicht belegen. Aber wenn es uns gelingt, gleichzeitig im Morgenweb sowohl die lokalen Bedürfnisse und regionalen Bedürfnisse zu befrie-digen, als auch ein anständiges, anspruchsvolles, journalistisch gut aufbereitetes Angebot an über-regionalen, nationalen, internationalen Nachrichten zu bieten, denke ich, dass die crossmediale Nutzung im eigenen Leserbereich relativ hoch sein dürfte.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Michael Schröder: Damit haben wir wenig Erfahrung. Ich kann jetzt nicht sagen, wie es bei uns hier aussieht. Wir wissen nur aus unseren Lesermarktstudien, dass diese Gruppe von männlichen Lesern zwischen 30 und 50 zu den anspruchsvollsten und kritischsten Lesern überhaupt zählt, dass die hohe Erwartungen an das Print-Medium hat. Wenn die ins Internet reingehen, erwarten die vor allem mehr Zusatzinformationen und Hintergrund. Was diese Gruppe an sozialen Netz-werken nutzt, weiß ich nicht.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Michael Schröder: Der Nutzerwunsch spiegelt sich in unserem Print-Kanal wider, wir können nur online noch mehr anbieten. Die Zeitung lässt sich nicht ausklappen. Wir haben keine Gummizei-tung, irgendwo ist der Platz beschränkt. Wir könnten jeden Tag zu einem aktuellen Thema zwei Seiten Hintergrund anbieten, wenn wir den Platz dafür hätten. Meistens ist es aber nur eine Seite Hintergrund. Deswegen können wir online noch mehr anbieten, was in der Zeitung einfach nicht abbildbar ist. Das ist ein großer Vorteil, diese Unendlichkeit, die das Online-Angebot hat.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Michael Schröder: Wir versuchen möglichst große Themenkomplexe abzubilden im Morgen-Web. Das heißt also, wenn wir das Thema Gesundheitsreform auf der Agenda haben und der Platz da ja relativ begrenzt ist in der Zeitung, versuchen wir, alles, was wir kriegen können an Hinter-grund, an Zusatzinformationen, noch in Online reinzustellen. Das wird bei uns komplex aufberei-tet, so dass wir also dem Leser sagen können, was du in der Zeitung nicht lesen kannst, brauchst du nicht im Fernsehen zu suchen oder im Rundfunk zu hören, das rauscht da auch an dir vorbei, du kannst ins Morgen-Web reingehen und da bekommst du noch weitere Informationen. Da kön-nen wir solche Interessen an Zusatzinformationen bedienen, das ist ganz wichtig.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)?

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Michael Schröder: Das Herunterbrechen der Themen wird jedes Mal bei uns im Newsroom abge-fragt. Jedes überregionale Thema, nationale Thema oder auch europäische Thema wird abgeklopft auf die Frage, was das für unsere Kommunen, für unsere Kreise, für unsere Bürger bedeutet, wel-che Auswirkungen das hat. Das sind Standardfragen, die sind bei uns obligatorisch und absolut wichtig. Das ist das, was wir unter lokaler Kompetenz verstehen, dass wir die Themen herunterbrechen. Der Leser fragt sich ja, was das für Auswirkungen auf mich, was das für Aus-wirkungen hier in der Stadt, in meiner Heimat hat. Das ist ein absolutes Muss, sowohl Print als auch Online. Das fängt ganz oben an bei uns. Wir haben schon vor Jahren dazu Leitlinien entwi-ckelt. Das ist eines der obersten Gebote.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Michael Schröder: Wir haben bei uns in der Vergangenheit Lesermarktstudien erstellt, aber auch „Readerscan“-Analysen gemacht. Interessant ist die Tatsache, dass, wenn man abfragt, was die Leute mehr in der Zeitung haben wollen oder womit sie zufrieden sind, bekommt man in der Re-gel Antworten wie: Wir wollen mehr Politik, wir wollen mehr Wirtschaft, wir wollen mehr Kultur und so weiter. Wenn man dagegen „Readerscan“-Analysen macht, sieht man aber, dass die tat-sächliche Nutzung doch etwas davon abweicht. Die höchste Lesequote hat der Bereich Boulevard, das heißt das Vermischte, bei uns ist das das Ressort „Aus aller Welt“. Diese Bereiche haben die höchste Leserquote – und zwar quer durch alle Leserschichten, unabhängig von Bildung oder Einkommen oder Alter. Daraus kann man schließen, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit manchmal doch ein kleiner Widerspruch klafft. Wenn man gefragt wird, was man gerne mehr le-sen möchte, wird man sagen, ich bin an Politik hoch interessiert. Nun hat die Politik aber auch bei uns in der Zeitung eine sehr hohe Lesequote, überdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Zei-tungen, gleichwohl kann man doch sehen, dass das Leseinteresse dann doch etwas höher wird, wenn es in den etwas leichteren Bereich hineingeht. Das ist anscheinend auch ein menschliches Grundbedürfnis. Es wird aber niemand in einer Lesermarktstudie sagen, ich möchte mehr bunte Meldungen, ich will mehr Boulevardmeldungen. Das sagt man einfach nicht, weil man doch den höheren Anspruch hat. Im tatsächlichen Leserverhalten sieht es dann doch ein wenig anders aus, was aber nicht zu der irrigen Annahme führen darf, dass man eine Quotenzeitung machen soll. Wenn man weiß, dass man zum Beispiel mit bunten Geschichten eine höhere Lesequote be-kommt, darf man nicht daraus ableiten, dass man sich nur auf diese Lesequote fixieren sollte. Das schraubt den Anspruch der Zeitung herunter. Das heißt, man darf sich nicht verführen lassen von diesen Quoten, die sind wichtig, die leichten Themen sind in der Zeitung wichtig, dienen auch zur Unterhaltung, weil eine Zeitung nicht nur informieren, sondern auch unterhalten muss. Aber die Quotenfixierung ist höchst gefährlich, denn dann kriegt man irgendwann den Ruf der privaten Fernsehprogramme. Man muss eben die Balance halten und gucken, dass man das eine dem Leser anbietet, ohne das andere zu vernachlässigen.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Michael Schröder: Überhaupt keine Rolle kann man nicht sagen. Unser Online-Portal ist erst mal ein lokaler und regionaler Nachrichtengeber, das steht ganz oben an, aber auch andere, überregio-nale Themen werden bei uns sehr gerne angeklickt. An erster Stelle stehen jedoch lokale und re-gionale Nachrichten. Aber dass der überregionale Bereich überhaupt keine Bedeutung hat, das se-he ich nicht. Der Internetnutzer hat denselben Anspruch, den er auch an die Zeitung stellt. Als Zeitung werden wir zwar in erster Linie gekauft, weil wir eine Regionalzeitung sind, aber der Le-ser will sich auch nicht schämen für seine Zeitung. Er will ja auch diesen Anspruch haben, das heißt, wir müssen auch im Bereich Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport dem Leser eine sehr gute, qualitativ anspruchsvolle Zeitung bieten. Und das sehen wir genauso im Morgen-Web. Da gibt es auch keine Abstriche. Das ist kein Widerspruch. Auf der einen Seite der Anspruch der regionalen

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Anhang: Interview Michael Schröder und Tobias Döpker/Mannheimer Morgen

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Kompetenz, ohne aber den anderen Anspruch, nämlich eine qualitativ hochwertige Zeitung anzu-bieten, die auch das Weltgeschehen abbildet, zu vernachlässigen. Das erwartet der Leser von uns. Er will weder online noch im Print etwas Provinzielles haben, sondern er will von seinem Medi-um sagen können, egal ob Print oder Online, hier fühle ich mich gut aufgehoben, hier steckt Qua-lität dahinter. Das ist nicht billig gemacht. Er will für den Preis, den er für die Zeitung zu zahlen hat, etwas Anständiges haben. Und diese Erwartungen hat er auch gegenüber dem Online-Auftritt seiner Zeitung. Er weiß, was die Zeitung ihm bietet, und er will nicht weniger Qualität, sondern die gleiche Qualität haben. Das heißt auch, dass wir ihm auch im überregionalen Bereich eine Menge anbieten müssen. Das tun wir auch.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Michael Schröder: Wenn die personellen Kapazitäten da sind, werden Artikel auf jeden Fall mit Bildergalerien, mit Bilderstrecken, mit Grafiken, mit interaktiven Elementen und mit Votings an-gereichert. Das heißt also, dass das Angebot zu bestimmten Themenkomplexen im Morgen-Web größer ist als im Print.

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9.2.5. Andreas Mühl/Bonner General-Anzeiger

Der Verfasser hat das Interview am Mittwoch, 28. Juli, um 14 Uhr telefonisch geführt. Ge-sprächspartner war Andreas Mühl, der stellvertretende Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers (GA). • Name des Mediums

Bonner General-Anzeiger

• Verbreitungsgebiet und Region Großraum Bonn

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Print und Online

• Anzahl der festangestellten Redakteure 87

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Andreas Mühl: Es gibt sieben Spezialisten für Online.

• Anzahl der Lokalausgaben 9

• Auflage der Printausgabe 80 100 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.general-anzeiger-bonn.de – 1 806 599 Visits mit 12 163 091 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste keine mobilen Angebote – die Planung läuft jedoch

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote keine Fernseh-Angebote

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote Andreas Mühl: Wir haben eine Beteiligung an Radio Rhein-Sieg, das ist im Moment nur eine Beteiligung, aber wir können mit denen zusammenarbeiten, das tun wir auch. Wir machen da zum Beispiel Werbung in Form von Teasern für uns. Aber dass es eine ausformulierte Zu-sammenarbeit gibt, kann man nicht sagen. Wir könnten da mehr machen.

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Man kann jetzt nicht sagen, wir hätten in Zukunft eine Online-first-Strategie. Die entwickelt sich gerade. Fakt ist, dass die Strategie vorsieht, die Kanäle im Newsroom unter einer Chefredaktion zusammenzuführen. Das ist im Moment noch nicht so. Wir brauchen noch ein paar technische Veränderungen, dann wird Stück für Stück inhaltlich umgesetzt, wie weit Online first greift, also wie weit wir da gehen, ob wir wirklich alles sofort online stellen oder ob wir das abgestuft ma-chen. Aber dieser Online-Anteil wird deutlich aktueller und schneller werden, wobei das vor allen Dingen den lokalen Teil betrifft. Aktuell sind wir im überregionalen Teil jetzt auch schon. Da sind die Onliner jetzt schon ziemlich fix, und sie setzen jetzt auch schon aktuell alles, was an Sex and Crime so passiert, das haben wir auch alles schon online, aber das wird im Moment durch die On-line-Redaktion selber gemacht. Die bedienen sich da zwar bei uns, aber es gibt noch keine direkte automatisierte Zulieferung von Print nach Online.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Das machen wir, wir konzentrieren uns auf das Kerngeschäft Zeitung. Wir sind ja auch super im Markt, wir haben eine fast stabile Auflage, nur ganz leicht im Minus. Der Online-Bereich ist im Moment imagemäßig unterstützend für uns, und wir bespielen den Kanal, weil wir uns natürlich erhoffen, dass wir da irgendwann Einnahmen generieren. Im Moment ist das ein Zuschussge-

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schäft, es ist ja tiefrot, wenn man allein Online nimmt. In der Strategie müssen wir noch abstim-men, inwieweit wir da wirklich mit unserem kompletten Printangebot wie schnell online sind, das ist das Thema.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Ziel ist auf jeden Fall die Komplementarität, das ist ganz klar, da gibt es keine Alternative aus meiner Sicht. Die Realität ist so: Es ist noch nicht so lange her, da war es eher die Strategie der Mehrfachverwertung mit einem automatisierten Durchlauf nachts, der die Sachen einfach von Print auf Online gestellt hat, und dann hatte man es am nächsten Tag online. Das haben wir ge-macht, und machen wir immer noch. Aber das wird im Moment händisch praktisch immer auch tagesaktuell ergänzt. Unsere Strategie ist also eine Mischform. Aktuell spielen wir ungefähr zehn Prozent unseres Printangebots online. Darunter sind aber in der Regel die Kern-News im Bereich Unfall und Verbrechen, also alle Aufregerthemen auf lokaler Ebene, überregional und weltweit sowieso, aber auch lokal. Aber insgesamt ist das kein großer Anteil des GA. 90 Prozent sind im-mer noch rein Print.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Da kenne ich die Nutzeranalysen nicht genau, aber das sind natürlich ähnliche Zielgruppen, was wir ja auch an den Reaktionen merken, weil die Zielgruppen wirklich beides konsumieren. Aber da sind auch die klassischen Online-Nutzer, und wir wissen auch, dass uns Leser bei Print deswe-gen abspringen. Die sagen, wir kriegen eure Top-News alle online. Sie kriegen nicht das Kom-plettangebot online, aber die Top-News kriegen sie zielsicher online. Wenn einer wirklich nur an den harten, wichtigen Nachrichten aus Bonn und an überregionalen Nachrichten interessiert ist, kann er sich gut online bedienen. Die Anzahl der Doppelnutzer kann ich nicht einschätzen.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Wir setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Online geht ganz klar in Richtung Aufregerthemen, alles, was mit Unfällen zu tun hat, mit Personality, mit Mord und Totschlag, das filtern die Onli-ner auch ganz klar heraus. Alles, was eher kommunalpolitisch und nicht gerade aufregend ist, fin-det online gar nicht statt. Online gibt es wirklich ein anderes Auswahlverfahren. Wir belegen das auch durch die Klickzahlen. Wir haben unten auf der Homepage immer die Top-Klicks aus der Region und weltweit – das dokumentiert das ja auch ganz klar.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Synergien gibt es im Inhaltlichen: Wir spielen uns da die Bälle zu. Das machen wir jetzt schon, das muss deutlich mehr werden, zum Beispiel indem wir Online-Abstimmungen machen über lo-kalpolitische Themen, die wir dann wieder im Print veröffentlichen, da gibt es schon ein reges Zusammenspiel – vor allen Dingen dann, wenn Dialogformen mit dem Leser gefragt sind. Da nut-zen wir gerne Online, weil das wesentlich weniger aufwändig ist.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Nein, wir haben überhaupt keine Paid-Content-Angebote. Ich glaube, dass die Leute nicht zahlen werden, es wird nicht möglich sein, großflächige Online-Angebote im klassischen Sinne von Ta-

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geszeitungen plötzlich in Paid Content umzuwandeln. Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Es wird immer genug Anbieter geben, die das kostenlos machen. Wenn man sich vielleicht auf Ver-legerebene einigt, einen zentralen Zugang hat, und der Nutzer dann für Dinge zahlt über einen zentralen Anbieter, über den alle ihre eigenen Sachen einspielen. Mag sein, dass das klappt, aber ich bin grundsätzlich skeptisch, was die bezahlten Sachen angeht. Ich glaube, einige können sich das erlauben, im hochwertigen Bereich, da gibt es ja auch schon Beispiele, aber bei uns wird es eher darum gehen, im Online-Bereich über andere Sachen Geld zu verdienen.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Das tun wir. Absolut. Das ist bei uns eine Marke, und es gibt ein einheitliches Corporate Design. GA hat ein extrem positives Image. Es ist wirklich eine Topmarke. Aus der Marktforschung wis-sen wir das auch: GA hat eine extrem hohe Glaubwürdigkeit, eine extrem hohe Akzeptanz, sie steigt eher, als dass sie fällt. GA hatte früher schon mal das Image, ein bisschen verschlafen zu sein, das hat sich grundlegend geändert. Das ist wie ein Juwel hier in Bonn – und das können wir natürlich nutzen. Weil die Marke so positiv besetzt ist, können wir sie nutzen für alle möglichen Aktivitäten. Es wäre doof, wenn das nicht machen würden. Dieses GA ist eine Marke – mit die-sem blauen Corporate Design – die ist hier etabliert und anerkannt.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Online ist schnelllebig, bietet Schnellinformation, schnelle, kurze Texte. Es gibt online definitiv kein Einlassen auf lange Texte, das geht nicht. Da gibt es ja die ganzen Ergebnisse, die Forschun-gen und Tests dazu. Die Dynamik ist klar, die aktuell schnelle Nachricht muss extrem schnell raus, und die läuft am schnellsten über Radio und Online-Angebote. Fernsehen ist da schon gar nicht mehr so schnell. Das ist die Realität. Und alles, was an Hintergrund-Erklärstücken kommt, kann man auch online spielen, wenn es entsprechend häppchenweise aufbereitet ist, aber das ist natürlich die Chance, einen Tag später für Print überhaupt noch Nachrichten zu verkaufen.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Wir verfolgen ein integriertes crossmediales Konzept. Der Generalanzeiger steht da eher am An-fang der Entwicklung, da sind andere Verlage viel weiter. Wir haben dieses Newsroom-Modell entwickelt und starten Ende des Jahres mit einem komplett neu aufgestellten Newsroom, der so-zusagen den Start für dieses crossmediale Denken überhaupt erst ist. Das haben wir jetzt auch schon, aber das ist dann die formale Umsetzung. Wir werden da sicherlich mittelfristig Radio in-tegrieren, die sind im Moment nicht integriert, aber die werden integriert, die ziehen auch in unser Haus. Der Radiosender wird im nächsten Jahr ins Verlagsgebäude einen Stock über die Redaktion ziehen. Im Fernsehbereich haben wir Center-TV, das ist eher untergeordnet und spielt im Moment auch keine Rolle bei den Überlegungen. Crossmedial über den Newsroom gesteuert werden Print und Online, perspektivisch wird es eine enge Zusammenarbeit mit dem Radio geben.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Zuerst muss man einmal schauen, wie sich der Markt entwickelt und wo Nachrichten am schnells-ten verbreitet werden, und das ist definitiv nicht Print. Das ist einfach so. Ob ich da weiß, was un-sere Nutzer wollen oder nicht, diese Information brauche ich nicht, weil längst belegt ist, dass sich die Dynamik auf anderen Kanälen abspielt – und nicht bei Print. Was unsere Nutzer wollen und nicht wollen, da müsste ich in der Marktforschung nachfragen, was wir da intern für Daten haben. Ansonsten bedienen wir uns da eher an Allgemeinuntersuchungen, die erläutern, wohin sich der Markt entwickelt und wie hoch die Nutzerzahlen sind. Wir haben ja die Prognose für Online, da gibt es tausend Untersuchungen: Das ist wie die Auflagenentwicklung, die Daten werden ja per-

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Anhang: Interview Andreas Mühl/Bonner General-Anzeiger

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manent festgehalten. Und da muss man hingucken. Und dann geht es nur noch ums Geldverdienen – das ist das Einzige, woran alle rumdoktern.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Wir haben eine eigene Marktforschung, die Nutzerbefragungen für Print macht. Die einzelnen Da-ten habe ich jetzt nicht parat.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Was den Online-Bereich angeht, sind wir so aufgestellt, dass wir einen Online-Chef haben, der operativ nicht viel macht, der das Thema jedoch strategisch betreut und der in der Republik un-terwegs ist und sich informiert. Das ist unser Input. Im operativen Geschäft haben wir einen soge-nannten Online-Zeitmanager, das ist derjenige, der den gesamten Online-Auftritt im operativen Geschäft des GA verantwortet. Der ist seit Anfang des Jahres hier, hat sehr viel Online-Erfahrung und entwickelt das operative Geschäft weiter und setzt die Dinge im Newsroom um. Das sind die beiden Personen, an denen alles hängt. Die haben ihre Quellen und ihre eigene Erfahrung.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Im Moment sind die Bereiche Print und Online noch separiert. Wir fügen das jetzt im Newsroom erst zusammen. Gerade sind es zwei verschiedene Abteilungen, die zwar im selben Haus unter demselben Arbeitgeber zusammenarbeiten – sie waren aber in den vergangenen Jahren relativ ge-trennt. Für den neuen Newsroom kann man dann allerdings sagen: Die Redaktion bespielt Print und Online. 2011 ist das dann integriert. Die Frage ist nur, in welchem Grad. Das werden wir noch definieren. Wir werden nicht alles online stellen. Wir werden also nicht sagen, der Redak-teur geht auf Termin und schreibt dann erst zehn, 15 Zeilen online. Es wird ein Auswahlverfahren bei den Themen geben. Wir werden nicht unser komplettes Print-Angebot des Folgetages schon heute online haben. Ob das 2012 so sein wird, weiß ich nicht, aber in einem ersten Schritt nicht.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Die Struktur ist nachhaltig von der Chefredaktion geprägt, die sehr operativ tätig ist. Das ist auch so gewollt. Die Chefredaktion ist ständig im Newsroom präsent, es gibt regelmäßige Zwischen-konferenzen, Updates. Die Chefredaktion bestimmt durch den Chefredakteur und die Stellvertre-ter maßgeblich den Nachrichtenflow. Die Deskmanager – wir haben einen Manteldesk, einen Regionaldesk mit den Lokalredaktionen und einen Stadtdesk mit Bonn – haben die Tagesverant-wortung. Wir haben noch die klassischen Lokalchefs und Ressortchefs, also einen Lokalchef Bonn oder einen Lokalchef Königswinter oder einen Ressortleiter Wirtschaft, aber die heißen bei uns Chefreporter. Die haben die Verantwortung für ihren Bereich, aber mehr im Planerischen mit der Wochen- und Themenplanung und schreiben in erster Linie. Die tagesaktuelle Entscheidungs-gewalt liegt bei den Deskmanagern, dazu gibt es einen Online-Chef, der auch am Manteldesk sitzt und der den gesamten Online-Auftritt verantwortet, aber auch der Chefredaktion unterstellt ist.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Die Inhalte müssen anders sein. Das sind zwei verschiedene Kanäle, die man bespielt. Für Online werden die kürzer, prägnanter sein, und in Print werden es andere Texte sein. Es werden auf kei-nen Fall 1:1-Texte sein. In Print werden wir Texte haben, die hintergründiger und definitiv anders sind. Es ist ein Kardinalfehler, den man auf keinen Fall in einer ausgereiften Online-Strategie ma-chen darf, Texte 1:1 in Print und in Online zu spielen. Das ist ja Wahnsinn. Zudem ist es das Ziel, wenn Inhalte von Print nach Online übernommen werden, diese Inhalte multimedial aufzuberei-ten. Wir werden das nicht in einem ersten Schritt schaffen, aber strategisch ist das das Ziel, das im Newsroom zu perfektionieren ist. Das ist das Plus von Online, dass solche Dinge da möglich sind.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Das kann ich noch nicht sagen.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Ich glaube, so groß sind die Unterschiede gar nicht. Die Themenrelevanz ist ähnlich. Die Frage ist nur, wie die Aufbereitung vorgenommen wird, wie lang die Texte sind, was für eine Erwartungs-haltung man im Online hat, was für eine Erwartungshaltung man im Print hat – von den Themen her gibt es keine Unterschiede. Das würde mich schwer wundern.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Wir nutzen den Online-Kanal sehr stark als Archiv, indem wir sagen, eine ausführliche Chronolo-gie aller Berichte dazu finden Sie online. Wir verweisen von Print auf Serien, Bilderstrecken, Bil-dergalerien und Videos, die online laufen. Dazu kommen Dinge wie Abstimmungen, Rätsel und Gewinnspiele. Wir nutzen umgekehrt Online als Teaser: Wenn wir Sonderaboserien machen, um Abos zu generieren, dann werden diese Serien in Online beworben, aber nicht dargestellt. Das wä-re ja kontraproduktiv. Wir können ja nicht eine Sommerserie, womit wir Abos generieren wollen, eins zu eins online abdrucken, das wäre ja schizophren. Aber wir nutzen Online als Appetizer und als Hinweis „Morgen lesen Sie das und das im GA, bitte kaufen“. Wir nutzen Online auch im Hinblick auf den Einzelverkauf, indem wir online, aber auch im Radio, auf exklusive Geschichten oder große Berichte zu speziellen, regionalen Themen hinweisen: Wir sagen: „Morgen unbedingt GA lesen“. Online halten wir uns dann ein bisschen zurück, indem wir vielleicht nur die Nach-richt drin haben und eben nicht die ganze Seite. Da spielen wir schon so ein bisschen.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Wir werden sicherlich nicht jede exklusive Geschichte online spielen. Wir werden exklusive Ge-schichten nur dann online veröffentlichen, wenn sie eine extrem hohe Relevanz haben. Exklusivi-tät wird heute über Online definiert und nicht mehr über Print. Es gibt ja einfach knallige Nach-richten, die muss man online bringen – und dann hat man sie auch als Erster. Oder aber man weiß, die Nachricht wird nicht halten bis zum nächsten Tag. Die Frage ist dann, wer hat es um 14.15 Uhr als Erster online gehabt – und da redet man gar nicht mehr über Print. Diese Fälle wird es ge-ben. Wir werden nicht jede Geschichte aus dem Lokalen, die wir exklusiv haben, krampfhaft on-line stellen. In einem ersten Schritt werden wir das nicht machen.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Die Onliner verändern den Auftritt fortlaufend, aber nicht nach rhythmischen Wellen, sondern durch die Nachrichtenlage, die sich verändert – keine krampfhafte Veränderung nur um der Ver-

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Anhang: Interview Andreas Mühl/Bonner General-Anzeiger

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änderung willen. Aber die Onliner kennen ihre Benutzerpeaks natürlich und berücksichtigen die auch. Wir bekommen ein neues Redaktionssystem, das, was wir jetzt haben, ist völlig veraltet, da gehen bestimmte Dinge einfach nicht: zum Beispiel eine sich ständig verändernde Homepage mit Bildern. Das werden wir auch machen und das wird sich dann entsprechend verändern.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Das Ergebnis wundert mich nicht so sehr. Oft kann man ja sein eigenes Nutzungsverhalten über-prüfen. Da muss ich feststellen, dass ich gerne auf Tageszeitungsportale gehe, bei denen ich ein-fach keinen Zugriff auf die Zeitung habe. Es gibt eine große Gruppe, die gezielt bestimmte Nach-richten sucht und glaubt, sie findet diese auf den Online-Portalen der Zeitungen, die sie kennen – und eben nicht in Print liest. Dann gibt es diejenigen, die sich einfach das Geld fürs Abo sparen wollen und diesen Auftritt nutzen. Und in unserem Fall, da müsste ich normalerweise sagen, ein GA-Leser kriegt ja alle Infos aus dem GA, was soll der noch online? Da kriegt er kaum zusätzli-che Infos, da kriegt er eine abgespeckte Variante von Print, da kriegt er höchstens ein paar Um-fragen, aber da passiert nicht viel. Also was soll er dann da? Das macht erst Sinn, wenn man das inhaltlich so trennt und so aufeinander abstimmt, dass das einen Mehrwert, einen Nutzwert hat.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Was bei uns gut funktioniert, sind Abstimmungen und Umfragen. Da haben wir hohe Klickraten. Egal, ob wir im Print darauf verweisen oder wenn die Onliner ihre eigenen Sachen machen, das läuft gut. Ansonsten kann ich mir gut vorstellen, dass die Nutzer diese Möglichkeiten weniger nachfragen. Die Leute haben ja ihre Foren, die haben Facebook, die haben ihre Chatrooms, ihre Communities, in denen sie sich bewegen. Da gibt es massig.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Ja, das glaube ich schon, das ist ein Ziel. Das ist ja logisch. Die schnelle, harte Nachricht online, wobei man da auch ein kleines Stück unterbringen kann, und dann die Analyse mit Kommentar, die wirklich journalistische Herangehensweise, eher in Print. Wie lange das durchzuhalten ist, das ist die Frage, das ist ja nur eine Frage der Zeit. Diese Konzepte haben ja ein Verfallsdatum und leben ja nicht lang. Wir reden über jetzt, über 2011, über 2012. Ich würde nie wagen, jetzt schon über 2015 zu reden, weil ich glaube, dass das alles dann völlig überholt ist, was wir hier gerade machen. Ich persönlich glaube auch, Print wird es noch lange geben, aber nicht in dieser Verlags-vielfalt. Da wird sich extrem viel bewegen in den nächsten zehn Jahren.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Es ist unlogisch, das nicht auch online zu machen. Das macht keinen Sinn. Wenn jemand auf ein Online-Portal geht, interessante News dort findet und mehr dazu wissen will, dann nutzt er dieses Angebot in dem Moment, wenn er es wissen will – gerade wenn es gut aufbereitet ist, mit Foto, mit nicht zu langen Texten. Alles andere wäre ja komisch. Die Frage ist nur: Wie weit treibt man das und wo ist dann noch die Berechtigung für Print? Man kann das so weit treiben, dass man sagt, da brauchst du wirklich nicht mehr rauskommen mit der Zeitung. Es gibt keinen Grund, was will man dann noch vermelden in der Zeitung. Man kann ja einen Online-Auftritt so perfekt ma-chen, so dass man definitiv keine Tageszeitung mehr braucht, ich wüsste jedenfalls nicht, wofür. Da fehlt mir jetzt die Phantasie, zu glauben, dass es da noch eine Marktnische gibt für eine Tages-zeitung, die einen Tag später rauskommt. Das iPad ist für mich der Meilenstein schlechthin, das

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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ist für Print hochinteressant, weil das zum ersten Mal eine Nutzerform ist, die wirklich einfach zu handeln ist und mit der man am zeitungsähnlichsten arbeiten kann. Wenn man im Tageszeitungs-layout ein großes Foto anklickt, kriegt man gleich 20 andere Fotos und ein Video und einen Link dazu. Man muss es eben nur noch bezahlt kriegen. Zudem glaube ich, dass die klassischen Online-Auftritte irgendwann vom Markt gefegt sind. Ich weiß gar nicht, ob das noch lange funktioniert. Ich glaube eher, dass es den Generalanzeiger in fünf Jahren als Print-Ausgabe gibt und als Online-Bezahlstrecke über so ein iPad. Du zahlst, und bekommst über dein iPad die Zeitung als ganz komplexes Informationsbündel mit vielen Fotostrecken und Videos. Einen Online-Auftritt gibt es vielleicht gar nicht mehr. Jedenfalls nicht den Online-Auftritt in der Form, dass man da die Nach-richten kostenlos verbreitet. Ich weiß gar nicht, wie das in Zukunft funktionieren soll. Das kann ja nicht funktionieren. Ich weiß nicht, ob es da Studien gibt. Aber wenn der Printanteil immer nied-riger wird und die Leute alle in Online gehen, wo generiert man Umsätze?

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Das machen wir im Moment in Print. Zwar stehen die Texte auch in Online, aber wir machen das im Moment nicht bewusst im Online-Kanal.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Da bin ich skeptisch, weil ich glaube, aus allen Erfahrungen heraus, die ich gemacht habe, dass die Leute da unehrlich sind. Das ist immer das Ergebnis, das am Ende herauskommt – und hinter-her hat es doch jeder gelesen. So einer Aussage würde ich nicht trauen, da bin ich skeptisch. Das widerspricht unseren Klickzahlen, widerspricht allen Erfahrungen, über was die Leute reden.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Wir bieten das gesamte Themenspektrum, das Ergebnis kann ich dennoch absolut nachvollziehen. Wenn ich da mein eigenes Verhalten betrachte, bekomme ich meine überregionalen Nachrichten über Radio oder Fernsehen oder auch über die Online-Auftritte der großen Mailsysteme – also von AOL oder von GMX. Ich glaube, viele Leute haben diese Mailsysteme, gehen auf diese Sei-ten und kriegen da viele von den Weltnachrichten und den überregionalen Nachrichten extrem schnell präsentiert. Ich glaube, dass über solche Angebote mehr Leute ihre Infos holen als über die Online-Auftritte der Zeitungen. Es sei denn, die Leute suchen bewusst nach etwas.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Das machen wir. Aber wir machen das noch nicht systematisch. Wir haben zum Beispiel Chrono-logien zu bestimmten Themen hinterlegt – das sind praktisch aktuelle Angebote zu aktuellen Themen, von denen wir sagen, alles darüber findet man online. Oder wir stellen Hintergrundmate-rial online: Es gibt hier diesen Streit um dieses World-Conference-Center, der GA hat das aufge-deckt und den Rechnungsprüfungsbericht mit über 500 Seiten, den die Stadt lange geheim gehal-ten hat, ausgeschlachtet. Wir haben immer wieder gefordert, den Bericht zu veröffentlichen, die Stadt hat sich aber geweigert – und dann haben wir den einfach online gestellt. Wir haben 500 Seiten online gestellt und hatten nach einer Woche 50 000 Downloads.

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Anhang: Interview Ralf Geisenhanslüke/Schwäbische Zeitung

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9.2.6. Ralf Geisenhanslüke/Schwäbische Zeitung

Der Verfasser hat das Interview am Mittwoch, 4. August, um 16 Uhr im Verlagshaus der Schwä-bischen Zeitung (SZ) in der Rudolf-Roth-Straße in Leutkirch geführt. Gesprächspartner war Ralf Geisenhanslüke, der Chefredakteur der SZ. • Name des Mediums

Schwäbische Zeitung

• Verbreitungsgebiet und Region Region zwischen Ulm und Bodensee sowie zwischen der bayerisch-baden-württembergischen Grenze und dem Schwarzwald mit einer Insel auf der Ostalb um Aalen/Ellwangen und einer bayerischen Ausgabe in Lindau. Die Sendegebiete der Fernsehsender reichen über das Ver-breitungsgebiet der Zeitung hinaus.

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Ralf Geisenhanslüke: Print, Online, TV und demnächst auch digitale Kanäle wie iPad und iPhone sowie Sonderkanäle, die wir im Rahmen von Projekten mit T-City machen wie SZ-News und Ähnliches, also Displaybespielung

• Anzahl der festangestellten Redakteure 137

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Ralf Geisenhanslüke: Von der Grundausrichtung her sind alle für alles zuständig. Wir haben zudem fünf Spezialisten ausgebildet, die manche Sachen besser können, weil sie zum Beispiel Online-Seiten besser abmixen. Aber die Grundausrichtung ist, dass alle alles können sollen, und mit der crossmedialen Ausbildung unserer Volontäre kommen wir dem ein Stück näher.

• Anzahl der Lokalausgaben 22

• Auflage der Printausgabe 179 700 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.szon.de – 1 225 757 Visits mit 11 340 203 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste keine mobilen Angebote – die Planung läuft jedoch

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote Zum Medienhaus Schwäbischer Verlag gehören drei Fernsehsender: Regio TV Regionalfern-sehen mit Sitz in Stuttgart/Böblingen, Regio TV Schwaben mit Sitz in Ulm und Regio TV Eu-ro 3 mit Sitz in Friedrichshafen. Die Sender haben über Kabel eine technische Reichweite von 2,9 Millionen Zuschauern. Seit Oktober 2009 sind die Sender auch über Satellit zu empfan-gen, damit ist die Reichweite im Kernsendegebiet auf fünf Millionen Zuschauer gestiegen.60

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote Ralf Geisenhanslüke: Den Radiosender Radio 7 habe ich deswegen bei den bespielten Kanä-len nicht genannt, weil wir das selbst nicht so in der Hand haben: Wir haben keine Mehrheits-beteiligung, weswegen wir das nicht so bespielen können, wie wir das gerne würden. Wir müssen Rücksicht nehmen auf den Wettbewerber. Aber ansonsten würden wir Radio dazu zählen. Wenn wir die Möglichkeit hätten, würden wir es auch machen. In den Bereichen, in denen Radio 7 aktiv ist und wir mit der Zeitung alleine unterwegs sind, machen wir das auch. Auf der informellen Ebene tauschen wir uns aus, es wird immer besser, weil wir gerade mit dem Radio Zielgruppen erreichen, die wir sonst weder mit Online noch mit Print bekommen.

60 Die Zahlen beruhen auf Eigenangaben des Medienhauses, vergleiche dazu die Eigenpräsentation des Unter-nehmens im Internet unter http://www.schwaebischer-verlag.de – Downloaddatum: 14. August 2010.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Wir wollen möglichst alle Menschen in unserer Region erreichen – egal mit welchem Medium. Unser Ziel heißt: Wir leben in einer Region, in der arbeiten die Menschen, in der leben die Men-schen, da sind wir beheimatet – und wir wollen jede Adresse, jeden Menschen erreichen. Dann ist es letztendlich egal, ob wir das mit Print, Online oder TV machen. Wir müssen für jede Zielgrup-pe ein möglichst gutes Angebot schaffen und das natürlich auch unter Kostengesichtspunkten ef-fektiv machen, das heißt, wir wollen den Content mehrfach nutzen und über gemeinsame Daten-banken und Inhaltsportale und Terminvergaben effektiv verteilen.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Print ist weiterhin Kerngeschäft, das ist das Mutterschiff, mit dem wir im Moment auch am meis-ten verdienen und auch die größte Reichweite haben. Aber, das kann man ja an den IVW-Zahlen ablesen, die Auflagen gehen überall zurück, bei uns zwar sehr gering, aber sie gehen trotzdem zu-rück. Und die Perspektive ist so, dass die Auflagen nicht da bleiben, wo sie sind – das kann man an der demografischen Entwicklung sehen, das kann man sehen, wenn man sich die Alterspyra-miden anschaut, wenn man die Entwicklung in USA verfolgt. Wir glauben, dass wir diese Einbrü-che, die dann kommen werden, dieses Wegbrechen an Umsatz und an Ertrag, dadurch kompensie-ren können, dass wir uns im digitalen Bereich engagieren. Das ist das eine. Das andere ist die Tat-sache, dass, wenn wir uns nicht im digitalen Bereich verselbständigen, das andere tun werden. Nicht unbedingt Medienhäuser, sondern andere Unternehmen, die da ein Geschäftsfeld sehen und die damit auch selbst Umsatz machen können. Und die haben andere Absichten als wir. Die müs-sen das nicht unbedingt gewinnbringend machen, sondern die machen das vielleicht, um ihr ande-res Geschäftsfeld zu fördern. Versicherungsunternehmen könnten das machen, um Adressen und einen Vertrauensvorschuss bei den Bürgern zu bekommen – und müssten deswegen keinen Ge-winn machen. Das würde unser Umfeld ebenfalls zerstören. Und journalistisch ist es wichtig, weil wir einfach die Hoheit über die journalistischen Themen behalten wollen.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Ich glaube, das Ziel wird die komplementäre Arbeit sein, weil die am effektivsten ist und weil die auch zielorientiert ist. Man muss nur sehen, wie man zu dem Ziel hinkommt. Wir haben in einigen Bereichen, TV zum Beispiel, die Einzelstrategie gewählt, wir haben gesagt, dass wir den Bereich erst einmal alleine stark werden lassen, damit wir die Reichweite aufbauen und wir unsere Ziel-gruppe auch erreichen. Im Online-Bereich haben wir das gleich zusammen mit gleichen Inhalten gefahren, um dort die Kostenstruktur nicht ausufern zu lassen. Und das alles wollen wir nach und nach zusammenführen, dabei muss man jedoch immer die Inhalte entsprechend den Medien auch unterschiedlich gestalten. Ich glaube, grundsätzlich sollte man es komplementär anlegen, weil man da die größte Wirkung erzielen kann.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Zum größten Teil sind es verschiedene Zielgruppen. Das sieht man in der Untersuchung auch, dass die Printleser eine andere Zielgruppe sind als reine Onliner, dass Fernsehzuschauer andere sind und Radiohörer wieder andere sind als die Zeitungsleser. Das heißt, wir können mit den ver-schiedenen Medien verschiedene Zielgruppen ansprechen und hoffen, dass wir da konvergente Ef-fekte haben – in der Form, dass wir mit der Ansprache über unsere Marke eine Zielgruppe auf die andere Marke mitnehmen und das Image übertragen können. So wollen wir eben auch noch indi-rekt die andere Marke stärken. Wir erzählen komplementär eine Geschichte über die verschiede-nen Kanäle weiter, aber jede Geschichte muss in sich selbst und in jedem Medium abgeschlossen sein. Ich glaube, man kann nicht online sagen, den Rest lesen Sie morgen in der Schwäbischen Zeitung. Der Nutzen sollte schon der sein, dass die Geschichte in jedem Medium abgeschlossen

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Anhang: Interview Ralf Geisenhanslüke/Schwäbische Zeitung

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erzählt ist. Es gibt ja auch verschiedene Informationsbedürfnisse: die tolle Geschichte oder die reine Information. Wenn ich das Bedürfnis habe, eine Geschichte zu lesen und erzählt zu bekom-men, kaufe ich mir ein Printprodukt. Wenn ich schnell informiert werden will, greife ich zum On-line- oder Mobile-Device. Wenn ich noch einen anderen Unterhaltungseffekt haben will, nutze ich vielleicht eine iPad-Applikation, die kommt jeden Tag um 16 Uhr, und da kann ich in aller Ruhe mit ganz anderen Inhalten mein Informationsbedürfnis und mein Unterhaltungsbedürfnis stillen. Aber in sich müssen die Medien abgeschlossen sein. Man darf nicht den Fehler machen, zu sagen, man braucht mehrere Medien, um komplett informiert zu sein.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Im Moment sind wir da noch relativ undifferenziert, weil wir viele Inhalte aus Print auch im Onli-ne-Bereich haben und damit keine anderen Schwerpunkte setzen. Wir werden jetzt relativ schnell dahin kommen müssen, dass wir im Print den Schwerpunkt für Hintergrund, Meinung und Erzäh-lung haben und dass wir im Online-Bereich für den Überblick kurze, schnelle Nachrichten präsen-tieren – oder auch für den erweiterten Horizont im Hinblick auf Dossiers, Bildergalerien und Vi-deos. Ansonsten bekommen wir die einzelnen Medien nicht abgetrennt und können dann, das ist das Entscheidende, nicht in eine Bezahlstrategie wechseln. Ich kann nicht für Inhalte Geld neh-men, die ich woanders kostenlos anbiete. Das heißt, da muss ich trennscharf differenzieren und sagen, da nehme ich nur das rein, das ist dann kostenlos – und für mehr Inhalte, für eine andere Qualität nehme ich wieder Geld.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? In der Fläche kann man sicherlich Synergieeffekte haben. Ich muss dann nicht in jeder kleinen Ortschaft einen Termin doppelt besetzen, kann die Information mitnehmen und doppelt verwer-ten. Auf die lange Strecke gesehen muss ich die Arbeit tun, die bei Online und Print eben getan werden muss – und dafür brauche ich X Leute, das wird am Ende in etwa auf das Gleiche heraus-kommen. Was viel entscheidender ist, ist, dass Leute in allen Medienbereichen denken können und dass, auch wenn jemand nur Print macht und eine Print-Geschichte erzählt, derjenige weiß, was man online machen muss und zumindest dem nächsten Kollegen sagen kann: Das können wir noch online machen, oder das können wir noch im TV oder Radio machen. Es ist viel wichtiger, dass das Denken in den Köpfen einsetzt, als dass man alles zusammen produziert.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Ich bin fest davon überzeugt, dass wir viele unserer Inhalte nur noch verkaufen dürfen, dass wir auf Dauer nicht mehr sagen dürfen, was wir haben, können wir jetzt in irgendwelchen Kanälen kostenlos anbieten. Die Frage der Preisstruktur wird sich auf der anderen Seite stellen, es werden Fragen sein, wie teuer darf das sein, wo ist die Akzeptanz, was muss da drinstehen. Aber im Hin-blick auf die Tatsache, dass wir alles kostenlos reinstellen, was man in der Zeitung haben kann, da sind wir an einem Punkt, an dem wir eine Richtungsänderung vornehmen müssen. Sonst wird das nicht funktionieren. Ich werde nicht dauerhaft Inhalte kostenlos anbieten, die ich jetzt gegen Geld in der Zeitung verkaufe. Und dass das durch Werbung gegenfinanziert wird, da hat man gesehen, dass das nicht reichen wird. Wir haben tolle Inhalte, deswegen glaube ich schon, dass man die, wenn man sie vernünftig aufbereitet, auch gegen Geld anbieten kann. Bestes Beispiel ist das aller iPhone-Besitzer, die kaufen Apps und geben auch Geld dafür aus. Man muss nur die richtige Höhe des Preises finden.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels

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eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Wir verfolgen stark die Dachmarkenstrategie. Die Schwäbische Zeitung hat im Moment das größ-te Potenzial, das auf andere Marken zu übertragen ist, und deswegen positionieren wir auch die Zeitung nah am Online-Auftritt und benennen unser Online-Portal jetzt von szon.de um in schwaebische.de. Der Online-Auftritt wird jedoch nicht schwaebische-zeitung.de heißen, sondern schwaebische.de, weil das eine eigene Marke sein soll, die ihre Eigenständigkeit behält – aber mit großen Mitnahmeeffekten von der Dachmarke Schwäbische Zeitung.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Der Grundpfeiler ist, dass der Online-Markt wächst, dass auch die Nutzergruppen online wachsen, dass sich zumindest ein teilweiser Wandel vom Printnutzer, vom Leser hin zum Online-User voll-zieht, dass wir diesen Wandel auch mit unserer Marke schaffen müssen und dass wir jetzt nicht unbedingt bei den jungen Leuten mit der Schwäbischen Zeitung im Haus landen, aber dass wir schon sehr eingeführt sind und einen sehr guten Namen haben und einen Qualitätsbegriff bei den Familien und älteren Lesern darstellen. Und wenn wir es schaffen, diesen Qualitätsbegriff auch bei der jungen Gruppe einzuführen und auf Online zu übertragen, haben wir zum einen eine bes-sere Affinität in der Online-Nutzung, zum anderen schaffen wir mit der Markenübertragung viel-leicht eine Bereitschaft, später auch wieder Zeitung zu lesen. Die beiden Pfeiler sind A das Ziel, im Online-Bereich Nutzer zu generieren, und B das Bestreben, mit der Markenübertragung der Schwäbischen Zeitung auf den Online-Bereich über den Online-Bereich wieder Leute für die Marke Zeitung zu gewinnen, indem ich den positiv besetzten Titel Schwäbische Zeitung im Onli-ne-Bereich auch noch spiele.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Wir wollen in unserer Region in allen Bereichen Marktführer sein. Das ist unser klares und ein-deutiges Ziel. Welche Anteile aus dem Kerngeschäft und welche Anteile aus den Bereichen der digitalen Medien kommen werden, das haben wir jetzt nicht definiert, aber wir glauben schon, dass wir da deutlich wachsen müssen und mindestens zehn Prozent des Umsatzes des Hauses aus dem digitalen Bereich generieren müssen, weil der Anzeigenumsatz abnehmen wird – den Ver-triebsumsatz kann man durch die Erhöhung der Preise gleichhalten – aber den Gap im fehlenden Anzeigenumsatz werden wir auf jeden Fall durch digitale Umsätze ausgleichen müssen.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Wir wissen ja nicht genau, wer die Nutzer von www.schwaebische.de und www.szon.de sind, da haben wir keine Erfahrung, da gibt es keine GFK-Werte oder keine großartige Marktforschung, die wir haben. Wir kennen unsere Leser relativ gut von der Altersstruktur her und von der demo-grafischen Struktur. Der typische SZ-Leser ist 59 Jahre alt, ist mittelmäßig gebildet, es gibt einen großer Anteil an Hauptschulabschlüssen, der SZ-Leser hat in der Regel ein Eigenheim und Kin-der, die in der Ausbildung sind. Den SZ-Leser kennen wir. Wir kennen weniger die Nutzer des Internets. Wir wollen das einfach auf die breite Bevölkerung übertragen – nicht speziell nur junge oder nur alte Menschen, sondern wir wollen möglichst viele für unseren Auftritt gewinnen.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Bis jetzt noch nicht.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Wir haben in der Marktforschung eine Studie gemacht, wie unser Online-Auftritt wirkt.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-

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Anhang: Interview Ralf Geisenhanslüke/Schwäbische Zeitung

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pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Relativ weit bei der kompletten Integration. Was Print und Online betrifft, arbeiten wir komplett integriert. Nachholbedarf haben wir noch im Bereich TV, weil die Sender einzelpositioniert wa-ren, aber da werden die Absprachen auch immer besser. Und das integrieren wir auch noch mehr, Radio ist aus den genannten Gründen außen vor.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Wir haben einen Newsdesk mit zwei Newsdeskmanagern, die das Zugriffsrecht auf die Themen und die Gestaltungshoheit haben. Die Befugnis ist da. Die Newsdeskmanager können entscheiden, in welche Kanäle die Inhalte in welcher Form gehen, und sagen, das machen wir so und so. In der Abstimmung mit dem TV müssen sie halt ein bisschen vorsichtiger sein, weil es eigene Gesell-schaften sind, aber letztendlich haben wir da auch Zugriffsrechte – und in der Praxis passiert das auch sehr oft.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Wir stellen zwei Wege fest im Moment. Wir können das aus dem Redaktionssystem sehr einfach mit ein, zwei Häkchen machen, dass wir aus dem Printbereich den gleichen Text online veröffent-lichen. Das wird häufig noch gemacht, aus Zeitmangel oder aus Unwissenheit. Das Ziel ist, dass wir auf Dauer andere Texte haben, grundsätzlich kürzere und nur für Online geschriebene Texte, aber hier ist der Weg das Ziel. Ich denke, dass wir auch im nächsten halben Jahr viel weiter kom-men werden. Im Hinblick auf die online-gemäße Aufbereitung sollten die Texte zumindest so an-gepasst sein, dass sie über Suchmaschinen gefunden werden, dass die Teaser stimmen, dass die Headlines stimmig sind, dass der Leseanreiz auch im Internet groß ist – und zwar unabhängig von den Suchmaschinen. Dann sollten Hyperlinks enthalten sein, um weitere Informationen zu sam-meln, um Mehrwert zu generieren. Idealerweise haben wir auch die Verbindung zu den Videobei-trägen, die wir über unsere Fernsehsender produzieren. Das ist aber die Ausnahme, weil wir we-niger Fernsehbeiträge haben als Nachrichten aus den 22 Lokalredaktionen. Da hoffen wir, dass wir durch ein Bewegtbildprojekt aus den Lokalredaktionen noch mehr Bewegtbilder bekommen - auch nur fürs Internet, um da Bewegtbilder an die Texte anbinden zu können.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Bildergalerien können wir nur online spielen, weil sie nur im Online-Medium wirken. Ansonsten gibt es keine Formate, von denen wir sagen, die würden wir ausschließlich in einem Kanal ma-chen. Ein Interview steht vornehmlich in der Zeitung, im Fernsehen ist es ein Gespräch, und auch online bilden wir das Interview nochmals ab, aber es ist eben kein originärer Online-Inhalt. Wir haben keine Inhalte, die nur in einem Medium stattfinden – außer Bild und Video.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Alles, was aus dem Bereich Sex and Crime ist, also lokaler Crime, lokale Unfälle, hat ganz, ganz hohe Onlineaffinität. Da gehen die Nutzerzahlen stark in die Höhe. Das sind einfach Online-Themen, das ist ganz deutlich. Im Printbereich würden wir das nicht so groß spielen, da ist eher die Reportage und der Hintergrund das Thema.

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Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Wir verweisen aus der Zeitung auf den Online-Bereich und aufs Fernsehen, wenn wir dort Beiträ-ge haben. Das Fernsehen weist in der Anmoderation oder Abmoderation auf die Zeitung oder so-gar auf den Online-Bereich hin. Im Online-Bereich haben wir noch stehen „Weiteres zu dem Thema in der Schwäbischen Zeitung“ oder das Filmsymbol ist abgebildet als Teaser: Dann läuft der Videobeitrag aus dem Fernsehen, und da sieht man auch, wo er herkommt.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Vom Prinzip her gilt Online first bei allen Themen. Wir haben in Wettbewerbsregionen noch Schwierigkeiten, dass die Redaktion selbstbewusst genug ist und sagt, wir machen auch da Online first, weil wir die besseren Inhalte haben. Selbst wenn der Wettbewerber die gleiche Nachricht hat, hat er sie nicht so gut, da sind wir noch zu vorsichtig, das liegt aber an dem Selbstbewusstsein der Redaktion: Wir sagen noch nicht, wir haben so eine große Reichweite mit dem Online-Auftritt, dass es uns wichtiger ist, die Information Online first zu haben statt Print only. Wir hal-ten Scoops nicht für Print zurück, sonst kann Online nicht wachsen und bekommt nicht die Be-deutung, die wir brauchen.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Wir haben ein Online-Kontrollsystem, da sehen wir, dass die Peaks morgens zwischen 8 und 9 Uhr liegen, dann nochmals zwischen 12 und 13 Uhr und nochmals ein leicht schwächerer Peak zwischen 17 und 18 Uhr. Deswegen streben wir an, dass wir morgens vor 8 Uhr den Online-Auftritt frisch haben und nochmals eine Aktualisierung im Laufe des Morgens zwischen 10 und 12 Uhr hinbekommen, um zum Mittag wieder aktuell zu sein. Am Nachmittag haben wir sowieso viele neue Sachen, das ergibt sich aus dem Nachrichtenverlauf des Tages, weil die Nachrichten ja in der Regel bis zum Nachmittag einlaufen. In dieser Zeit ist es einfacher, nochmals eine Aktuali-sierung vorzunehmen. Unterschiedlich ist das im iPad-Bereich und im iPhone-Bereich. Da gibt es andere Peaks – eher im Abend- und Freizeitbereich. Die werden also weniger in der Firma oder im Büro genutzt.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Das würde ich auch so sehen. Die sind im Internet unterwegs, die haben ihre speziellen Seiten, aber haben noch nicht die Seite www.schwaebische.de als die primäre Informationsseite entdeckt. Wir können die Inhalte noch nicht liefern, die sie suchen. Man kann die Leute zu sich holen, in dem man uniquen Inhalt hat – also Inhalt, den kein anderer hat, lokale Nachrichten.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Das glaube ich auch. Im Moment sind die Menschen noch in anderen sozialen Netzwerken unter-wegs und haben sich auf ihre favorisierten Netzwerke festgelegt. Und wenn sich Facebook als das Netzwerk entwickelt, dann ist das das Maß aller Dinge in dem Bereich. Da kann man nicht mit ei-nem sozialen Netzwerk im Zeitungsbereich kommen. Bei Foren ist es unterschiedlich. Wenn das Thema gut ist, glaube ich, funktionieren Foren auch im Zeitungsbereich gut. Das Thema muss gut sein, man muss moderieren und die Diskussion muss eine gewisse Brisanz haben.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen

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Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Wir wollen mit der Zeitung einordnen, Orientierung schaffen, in der Gesellschaft den Leuten Halt und auch Hilfen geben und auch einen hohen Nutzwert haben. Die Menschen sehen, glaube ich, schon, dass sich das bei uns so widerspiegelt, dass wir als Zeitung auch gerade im Gegensatz zur digitalen Welt der stabile Faktor der Einordnung und der Wertebeständigkeit sind.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Wir nehmen die Orientierungsfunktion dort nicht so wahr, weil im Netz andere Nutzer unterwegs sind, die im Moment noch andere Dinge von uns erwarten. Was wir schon merken, ist, dass ge-wisse Eigenschaften und Erwartungshaltungen auf den Online-Bereich übertragen werden, also zum Beispiel dass wir bei Unfällen keine Toten zeigen, dass wir da weniger sensationslüstern rangehen, als andere das vielleicht tun. Da kommt die Erwartungshaltung auch von der Zeitung, die macht das ja auch nicht, also dürften sie das im Online-Bereich auch nicht machen.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Klar, das sehen wir eindeutig auch so und wir machen das: Man muss die Themen runterbrechen, man kann es nur für die Region machen, und die Entscheidungen aus Berlin müssen hier halt an-ders verkauft werden und auch anders dargestellt werden – nämlich bedeutungsintensiv für den Leser aus der Region. Das trifft auf alle Kanäle zu. Wir machen keinen Unterschied zwischen un-seren Kanälen und sagen, wir wollen jetzt in der Zeitung regionalisieren und im Internet nicht, sondern das muss auf allen Kanälen passieren. Wir sind regionale Zeitung und auch ein regionales Medienhaus.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Ich glaube auch, dass wir da gut beraten sind, nicht zu viel zu machen. Diese Kompetenz wird an-deren Blättern und anderen Medien zugesprochen. Ein Boulevardthema erwarte ich bei einem RTL-Fernsehmagazin oder bei Brisant oder auch in der Gala und in der Bildzeitung. Diesen Me-dien schreibe ich die Kompetenz zu, über die bunten Themen in der Welt berichten zu können. Wir sind da halt nicht so kompetent. Uns würde man die Kompetenz abschreiben mit den Worten: Woher wollen die das wissen, was jetzt in Rom oder New York passiert. Wir haben eine andere Kompetenz, die liegt hier in der Gegend.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Wir bilden immer weniger überregionale Ereignisse ab, weil wir da keine Klickzahlen haben, das sehen wir ganz eindeutig, diese Themen werden woanders geklickt. Da hat der Leser eine andere Website, da schaut man bei Spiegel Online oder Bild.de nach. Wenn man überregionale Inhalte sehen will, ist man nicht bei uns auf der Seite. Wir wollen das auch nicht weiter ausbauen, wir werden da lokal bleiben, weil wir glauben, dass wir so Erfolg haben werden. Wir haben vereinzel-te wichtige Nachrichten schon auf unserer Seite, und Sensationen kommen auch nach oben, aber nicht jede nationale oder internationale Nachricht.

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Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Wir haben bis jetzt kein Archiv dahintergeschaltet. Nur über unsere E-Paper-Funktion kann man im Archiv suchen. Ich weiß, dass das auch erwartet wird, und wir wollen das mit Deeplinks pro-bieren und einen weiteren Nutzen schaffen. Aber da kommt der Aspekt Paid Content hinzu: Ir-gendwo muss man eine Bezahlschranke aufmachen. Wenn das Bedürfnis nach weiteren Inhalten da ist, kann ich auch Geld dafür nehmen. Dann bin ich wieder im Bereich der teuren oder wertvol-len Inhalte, die ich nicht kostenlos rausgeben kann. Man generiert zu bestimmten Themen inhalt-liche Schwerpunkte mit Archiv, Linksammlung und weiterführendem Content und legt die Schwerpunkte hinter die Bezahlschranke. Das wäre im Prinzip die Strategie, die man fahren müsste und die man braucht, um auch andere Produkte auf den Markt zu bringen und die kosten-pflichtig zu machen. Sonst kann man das nicht abgrenzen, sonst gibt es keinen Grund, eine App zu entwickeln, die Geld kostet, wenn ich es auch kostenlos haben kann.

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Anhang: Interview Lutz Heuken/Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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9.2.7. Lutz Heuken/Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Der Verfasser hat das Interview am Dienstag, 10. August, um 15 Uhr telefonisch geführt. Ge-sprächspartner war Lutz Heuken, der Chef des zentralen Newsdesks der Westdeutschen Allge-meinen Zeitung (WAZ) in Essen. Die Ausführungen von Lutz Heuken wurden ergänzt durch eine Anfrage, die der Verfasser an Simone Bellingröhr, Pressereferentin bei der WAZ-Gruppe, gestellt hat. Die Angaben Bellingröhrs sind gekennzeichnet. • Name des Mediums

WAZ-Gruppe: Zur WAZ-Gruppe gehören die Westdeutsche Allgemeine Zeitung in Essen, die Neue Ruhr Zeitung in Essen, die Westfälische Rundschau in Dortmund und die Westfalenpost in Hagen. Seit Mitte 2009 produziert ein zentrales Newsdesk in Essen die überregionalen Sei-ten der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und liefert die Inhalte für die überregionalen Sei-ten der Neuen Ruhr Zeitung und der Westfälischen Rundschau, die eigenständige Chefredak-tionen haben und die vom Essener Newsdesk angebotenen Inhalte in Eigenregie für ihren Mantel übernehmen. Das Onlineportal www.derwesten.de ist der gemeinsame Internetauftritt dieser vier Zeitungen und des Iserlohner Kreisanzeigers.

• Verbreitungsgebiet und Region Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung erscheint in einem Gebiet, das vom südlichen Münster-land bis ins Niederbergische, vom Niederrhein bis in den Raum Unna reicht. Die Neue Ruhr Zeitung erscheint im westlichen Ruhr-Gebiet und als Neue Rhein Zeitung am Niederrhein, während die Westfälische Rundschau im östlichen Ruhr-Gebiet und im südlichen Westfalen erscheint. Die Westfalenpost erscheint in Südwestfalen.

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Print und Online

• Anzahl der festangestellten Redakteure Lutz Heuken: Es waren bei den vier WAZ-Titeln 900 Redaktionsmitglieder beschäftigt. Diese Zahl soll auf 600 abgebaut werden, 300 Stellen sollen wegfallen. Der Prozess ist noch nicht beendet, im Moment sind noch etwas mehr als 600 Leute bei der WAZ-Gruppe beschäftigt.61

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Simone Bellingröhr: Für www.derwesten.de sind 37 Online-Redakteure im Einsatz.62

• Anzahl der Lokalausgaben 41 (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) 24 (Neue Ruhr Zeitung) 31 (Westfälische Rundschau) 17 (Westfalenpost ohne Iserlohner Kreisanzeiger)

• Auflage der Printausgabe 418 000 Exemplare (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) 133 700 Exemplare (Neue Ruhr Zeitung) 145 100 Exemplare (Westfälische Rundschau) 126 900 Exemplare (Westfalenpost ohne Iserlohner Kreisanzeiger)

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.derwesten.de – 8 722 565 Visits mit 81 014 433 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste Simone Bellingröhr: In unserem Haus gibt es Planungen zu einer Digitalstrategie. Dazu gehö-ren auch neue Produktentwicklungen für mobile Endgeräte. Bis heute sind etwaige Apps al-lerdings noch nicht gestartet worden, sondern befinden sich weiter in der Entwicklungsphase.

61 Bellingröhr spricht von 630 Redakteuren, die für die „NRW-Tageszeitungen“ der WAZ-Gruppe arbeiten. 62 Nach Recherchen Svenja Siegerts gibt es bei der WAZ 26 Spezialisten für die Plattform www.derwesten.de neben 15 Regio-Onlinern, die sich in der Region an unterschiedlichen regionalen Newsdesks um den Online-Kanal kümmern (vergleiche Siegert 2010).

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Für Nutzer, die über ihr Handy beziehungsweise Smartphone surfen, ist www.derwesten.de auch unter http://mobil.derwesten.de/ erreichbar.

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote keine Fernseh-Angebote

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote keine Radio-Angebote

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Wie in vielen Häusern gibt es bei uns Online first – im Prinzip, aber nicht für alles, wie wir in der Entwicklung sehen müssen. Man muss das praktisch sehen: Wenn wir absolute Exklusivgeschich-ten haben, stellen wir die nicht sofort online, weil wir dann sicher sind, dass unsere Konkurrenz die eine Stunde später auch – und zwar im Print – hat. Wenn wir sicher sind, solche Geschichten bis zum nächsten Tag halten zu können, stellen wir sie auch dann erst parallel zur Frühausgabe um 5 Uhr morgens ins Netz. Ansonsten gilt Online first. Online muss bedient werden – bei Sa-chen, die auf dem Markt sind, wird das aktuell gemacht. Das ist die Strategie. Dieses absolute On-line first muss man aus praktischen Gründen aufgeben. Das wird im Einzelfall entschieden.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Das ist eine unternehmensstrategische Entscheidung. Aus journalistischen Gründen ist es klar. Wir wollen User ans Blatt, an die Marke binden. Wir haben mit ,Der Westen‘ eine eigene Marke kreiert, und wir wollen hier keine Konkurrenz auf unserem Regionalsektor aufkommen lassen. Zudem ist das eine journalistische Möglichkeit, die wir bespielen wollen.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Zwischen der Strategie der Mehrfachverwertung und der Strategie der Komplementarität, eindeu-tig. Wir verwerten natürlich Sachen, die wir in Print sowieso haben, und stellen sie online, oft in längerer Form, gerade Korrespondentenartikel, wir ergänzen Sachen also durch Online. Die WAZ ist ein relativ schmal geschnittenes Blatt, so dass wir vieles im Print leider nicht machen können. Aber natürlich ist Print schon die Grundlage für unseren Online-Auftritt, das ist nicht vollkommen getrennt. Aber es gibt natürlich Sachen, die vollkommen unterschiedlich gemacht werden.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Die User sind mit unseren Lesern weitestgehend nicht identisch. Wir haben eine relativ alte, tradi-tionelle Leserschaft. Wenn wir die Zeitung 1:1 einstellen würden, könnten wir online keinen Blumentopf gewinnen. Zwar überlappen sich die Zielgruppen sicherlich auch in einigen Teilen. Es ist ja nicht so, dass ein 60-Jähriger nicht auch online gehen kann, was ja zunehmend auch ge-schieht. Als aber zum Beispiel die großen Festivals am vergangenen Wochenende hier waren, ha-ben wir die Bilderstrecken online ganz anders bedient, online ganz andere Artikel gemacht, als man das mit Print machen würde. Bei Print müssen wir als Familienzeitung aufgestellt sein. Mit solchen Bildern würde man in Print Leute eher abschrecken, das sind schon unterschiedliche Sa-chen. Es sind unterschiedliche Zielgruppen, wobei die sich natürlich überschneiden können. Als das mit Online anfing, hatten wir kaum Doppelnutzer, das ist jetzt nicht mehr so.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Einmal setzen wir die Schwerpunkte natürlich zielgruppenorientiert. Wir haben im Ruhrgebiet große Musikfestivals, die junge Leute ansprechen. Das hat in Online natürlich eine ganz andere Bedeutung als im Print. Das dominiert an einem Wochenende online absolut und findet sich in

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Print dann in gemäßigter Form wieder. Die Themen sind im Schnitt tendenziell jünger. Man findet online zwar grundsätzlich alles wieder, auch große Auslandsreportagen, aber mit denen machen wir natürlich nicht mit auf, solche Inhalte stellen wir als Hintergrund ein. Und da finden Leser, die vertiefende Texte suchen, auch oft sehr viel längere Stücke, die die Korrespondenten schicken und die wir in Print aus Platzgründen nicht bringen können. Dominiert wird der Online-Kanal je-doch natürlich durch das etwas jüngere Element, wobei wir uns aber als Nachrichtenportal verste-hen. Es ist nicht Boulevard, es ist ein regionales Nachrichtenportal, auf dem man seriöse Nach-richten findet. Im Zweifelsfall entscheiden wir uns in Print für das etwas konservativere Thema, und online kann man etwas riskieren, das kann man ja auch in zwei Stunden wieder wechseln und von der Seite runternehmen, was im Print nicht möglich ist.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Synergieeffekte ergeben sich für die Printleute hauptsächlich dadurch, dass man anders als früher ein ständiges Echo von Usern hat – und zwar sehr, sehr zeitnah. Man sieht sehr schnell, welche Themen laufen und wie kommentiert wird. Es ist nicht so, dass wir deswegen dem Volk nach dem Munde schreiben, aber man hat ständig ein Echo aus der Leserschaft. Wenn etwas online gestellt wird, sieht man, wie es funktioniert. Es gibt da sehr interessante Wendungen, manchmal sehr inte-ressante User-Kommentare, die einen beeinflussen können. Wir haben bei der Duisburger Loveparade-Katastrophe sehr bewegende Eintragungen in einem Kondolenzbuch gehabt, das wir online hatten. Wir haben ganze Seiten gedruckt mit bewegenden Eintragungen, die Print komplett von Online übernommen hat. So etwas findet auch statt. Wir machen einen Aufruf zu etwas, was dann online läuft und im Print Niederschlag findet. Da findet dann eine inhaltliche und personelle Befruchtung statt, weil die Online-Redakteure im Schnitt ja auch wesentlich jünger sind als die Printleute.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Nein, gibt es nicht. Es wird immer wieder erwogen, aber es gibt keine Paid-Content-Angebote. Ich glaube auch nicht daran, dass das funktioniert, aber diese Einschätzung ist sehr subjektiv. Ich bin Journalist und kein Kaufmann. Ich glaube, das kann sich überhaupt nicht durchsetzen, nicht mit den Inhalten, die Tageszeitungen anbieten. Das liegt nicht an der Qualität, aber sobald ich Paid Content anbieten will, machen das die Leute nicht mit. Es wird sicherlich einige Fachorgane geben, bei denen man bereit ist, etwas zu zahlen, wenn man wissenschaftliche Arbeiten sucht und selber richtig etwas davon hat, aber ich glaube nicht, dass es gelingt, das, was in der Zeitung off-line steht, sich online bezahlen zu lassen – solange oder weil es andere gibt, die das nicht mitma-chen und Content umsonst anbieten werden. Dann werden die Nutzer zu denen gehen.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Dieses Thema wird bei uns diskutiert. Unser Online-Portal heißt ja ,Der Westen‘ – und es heißt nicht wie eine der Zeitungen. Das ist ein ständiger Diskussionspunkt, obwohl das Portal schon jahrelang so heißt, es wird überlegt, ob man wieder zu den alten Marken zurückkehrt. Wie weit der Stand da ist, weiß ich nicht, es wird auf jeden Fall diskutiert wegen dieser Imagefrage. Die WAZ hat ein sehr seriöses Image hier bei uns im Ruhrgebiet. Zwar hat auch ,Der Westen‘ nicht den Charakter eines Boulevard-Mediums, aber natürlich haben wir online immer leichtere The-men und Fotostrecken, so dass man mit dem Titel ,Der Westen‘ die Synergieeffekte nicht nutzt. Natürlich spielt da die Markenstrategie eine Rolle. Das ist aber klar. Sie haben im Kopf ,Der Wes-ten‘ stehen und darunter die vier Titel oder mit dem Iserlohner Kreisanzeiger sogar fünf. Die Leu-te hier kennen die WAZ, die sind damit groß geworden – und nicht für alle ist die Verbindung zu

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,Der Westen‘ klar und eindeutig. Man kann sich vorstellen, wie schwer das damals war, vier ei-genständige Chefredaktionen unter einen Titel zu kriegen, die vorher alle ihre eigenen Auftritte hatten – und dann wurden natürlich Kompromisse gemacht. Der Titel ist nicht schlecht, aber die Leute kommen nicht mehr über WAZ ohne Weiteres dahin.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Wir sind von zwei verschiedenen Zielgruppen ausgegangen, die nicht identisch sind. Es gab am Anfang sogar Überlegungen, ob diese Gruppen nicht mehr oder weniger vollkommen getrennt sind, was ich nie geglaubt habe. Es ging also auch darum, eine Kannibalisierung zu vermeiden, es darf nicht so sein, dass man die Zeitung einfach 1:1 schon früher abdruckt. Diese Befürchtung gibt es ja immer bei Printleuten: Warum soll ich denn noch eine Zeitung abonnieren, wenn ich das alles schon online lesen kann. Das Ziel war vielmehr, mit Online in Schichten reinzukommen, die wir mit der Zeitung nicht oder nicht mehr erreichen und diese Schichten eventuell über Online und über das Setzen von Marken wieder an die Zeitung heranzuführen. Es gibt sicherlich Überle-gungen, aber das sind nicht die Überlegungen von Journalisten, dass man Online letztendlich auch macht, um damit Geld zu verdienen – oder zumindest um Märkte zu besetzen, damit kein anderer hier Geld verdienen kann. Das ist auch bei anderen Medien immer der Hintergrund. Die WAZ will hier in der Region keine Konkurrenz haben.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Meine Befürchtung ist, dass Online für Zeitungen schon fast ausgereizt ist. Ich glaube, dass diese Idee, dass Online im weitesten Sinne zur Information genutzt wird, zu optimistisch gedacht ist. Ich glaube, das geht viel mehr in Richtung Spiele und Infospiele. Wir merken das immer wieder, wenn wir Großveranstaltungen haben, da werden die Fotos geklickt wie wild, aber das Lesen von Artikeln ist sekundär. Diesen Bereich kann man anbieten, aber ich glaube, das ist nicht die Zu-kunft des Internets. Es werden hier sicherlich Tablet-Varianten überlegt, ob es dahin geht, wie lange das trägt, ob es trägt, das weiß ich nicht. Das wäre zum Beispiel eine Sache, die kann ich mir theoretisch vorstellen: Dass es dahin geht, dass man auf Tablets Zeitungen spielt, die abon-niert werden, das wäre dann anders als die heutigen Online-Portale und eine Alternative zur Zei-tung mit eingespielten Bewegtbildern. Es könnte sein, dass das Online-Verständnis schon fast wieder überholt ist – zumindest für die Zeitungen, wie sie heute sind. Letztendlich sind die Einzi-gen, die sich halten können, Bild, als Portal, das niedrige Instinkte anspricht, und Spiegel als Nachrichtenportal. Die Angebote, die dazwischen liegen, sind schwer zu bespielen und deren Zu-kunft ist kaum vorauszusagen.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Die WAZ ist eine klassische Familienzeitung, und das ist unser Problem, Familien gibt es immer weniger. Sie ist als Frühstückszeitung konzipiert, die Zeit, die Leser auf die WAZ verwenden, liegt zwischen 20 Minuten und einer halben Stunde. Deshalb sind wir angehalten, komprimierte Nachrichten zu machen. Wir konkurrieren nicht mit überregionalen Zeitungen, sondern wir kämp-fen darum, dass wir die Leser behalten und konkurrieren halt hier in der Region mit der Bildzei-tung. Dazwischen wollen wir eine an den regionalen Themen orientierte Zeitung sein, die aber als Vollzeitung auch vollkommen die Welt abdeckt. Wir haben Korrespondenten in aller Welt. Den Anspruch wollen wir erfüllen, also eine Qualitätszeitung, eine Autorenzeitung abzuliefern. Das gelingt uns auch. Was uns nicht gelingt, ist die Zahl der Leser zu halten, weil es immer weniger Familien gibt, weil diese Gegend hier an Einwohnern verliert, da alte Strukturen sich auflösen und weil junge Leute keine Zeitung mehr abonnieren, das ist unser großes Problem hier, wie in ande-ren Regionen auch. Bei der Frage nach dem typischen Online-Nutzer bin ich wirklich überfragt. Von unserem Angebot her kann es auch der 60-jährige Rentner sein, der sich durch die Nachrich-

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tenportale klickt und Angebote findet, es können aber auch die jungen Leute sein. Unser Online-Angebot ist ein Angebot für alle.63

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Das ist mir nicht bekannt, dass wir das für ,Der Westen‘ schon mal gemacht haben. Und für Print haben wir selber auch keine großen Befragungen mehr gemacht. Es ist Jahre her, da gab es Unter-suchungen zum Leserverhalten, aber seit zehn Jahren nicht mehr.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Da gibt es sicherlich sporadisch Untersuchungen, weil wir hier auch Medienwissenschaftler ha-ben, aber es ist mir nicht bekannt, dass hier zurzeit große Projekte laufen.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Zwei voneinander unabhängige Redaktionen haben wir auf keinen Fall, da würde ich sagen, dass wir auf dem halben Weg sind. Wir haben Online-Spezialisten, wir haben eine Online-Redaktion, aber die sind eingebunden in die Gesamtredaktion. Die beiden Newsdesks sind direkt nebenei-nander, es sitzt immer jemand vom Online-Newsdesk mit am Print-Newsdesk, da findet ständig ein Austausch statt. Die sind vor vier Monaten auch zu uns gezogen: Wir sind zusammengezogen, weil es trotz modernster Techniken einen großen Unterschied macht, ob man persönlich kommu-niziert oder per Telefon, SMS oder Mail. Die Wege sind einfach kürzer geworden. Das Nebenei-nander gibt es nicht mehr: Es kann sich heute keiner mehr Online verweigern. Es wird, ähnlich wie in der Kultur- oder Sportredaktion, Spezialisten geben, die da oder da hängen bleiben, aber die Bereitschaft für den neuen Kanal muss da sein.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Wir haben einen Newsdesk, an dem alle sitzen. Der ist bestückt aus der Newsdesk-Leitung und allen Ressorts – und wie ein Ressort ist auch Online dort vertreten. Die Onliner sind an allen Kon-ferenzen beteiligt, sie tragen ihre Themen vor, morgens sogar als Erste, aus denen Print dann so-fort saugen kann, wenn sie wollen. Und umgekehrt heben sie sofort ihre Finger, wenn sie die Printthemen hören und fragen, ob sie das schon vorab haben können. Eine ganz große Rolle spie-len abends Fernsehsendungen, die besprochen werden müssen, das wird verteilt – auch natürlich an die Printleute. Wir sind über Tag ständig verbunden, wir haben eine Nachrichtenchefin hier für alle Kanäle, die sofort aufpasst, weil die Geschwindigkeit eine unglaubliche Rolle spielt, damit nicht wichtige Sachen erst mal eine Stunde liegen bleiben, sondern sofort an Online weitergege-ben werden und umgekehrt auch, weil die Twitter-Community inzwischen so schnell ist, wodurch oft von den neuen Kanälen Inhalte an die Printleute gehen. De jure ist seit kurzem der WAZ-Chefredakteur auch Chefredakteur von ,Der Westen‘. Daraus ergeben sich die Strukturen. Im

63 Über die Nutzer der Online-Plattform sagt Simone Bellingröhr: „Nutzer von www.derwesten.de wollen sich über regionale Themen, das aktuelle Geschehen zwischen Rhein und Ruhr, informieren. Außerdem sind sie auf der Suche nach verlässlichen Nachrichten aus ihrer Stadt und der Umgebung. Sie interessieren sich für das Neu-este vor Ort, klicken gerne kurze Videos und Bilderstrecken an. Dabei legen sie Wert darauf, auf einen Klick auch überregionale Themen im Blick zu haben. Die Nachrichtenlage verfolgen sie auch in Sozialen Netzwerken, etwa bei Twitter und Facebook. In Foren und im Kommentarbereich unter den einzelnen Artikeln sagen sie ihre Meinung zu aktuellen Themen – regionalen wie lokalen, internationalen wie nationalen.“

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Zweifelsfalle würde er entscheiden, wenn es zu Konflikten kommt, in der Praxis entscheidet aber meist der Gesamt-Newsdesk. Aber das ist eine theoretische Sache, so weit kommt es eigentlich nie: Das ist alles eher eine Frage der Moderation. Ich leite den Newsdesk. Wenn wir Nachrichten haben, bestimme ich, wann die auch für Online frei sind. Da gibt es eigentlich keinen Streit. Aber rein theoretisch, wenn Online dagegen Veto einlegen würde, müsste das der Chefredakteur ent-scheiden. Aber das entscheide sonst schon noch ich. Das ist ja nicht willkürlich, sondern es gibt Gründe dafür, weshalb wir nicht nachmittags um 16 Uhr etwas online stellen, damit es die Rheini-sche Post um 17 Uhr auch hat. Da gibt es die Einsicht, da ist kein Gegner da. Die Onliner sind auf Augenhöhe an den Entscheidungen beteiligt. Die beiden Kanäle sind gleichberechtigt, da gibt es auch keine Eifersüchteleien. Es ist keine Konkurrenz, es ist schon ein Laden.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Wir übernehmen Inhalte in beide Richtungen, auch die Onliner bieten Themen an. Ein Beispiel ist diese komische Blumenkübel-Affäre. Ich hatte das abends im Radio gehört, fand, dass das ein tol-les Thema ist – und dann kamen die Onliner und haben gesagt, wir wollen das heute sowieso an-packen, und dann schreiben die für uns. Das wird dann sicherlich in beiden Kanälen etwas anders abgehandelt, aber es sind auf jeden Fall die Autoren von Online, die das für Print schreiben. Das passiert durchaus. Wenn wir sonst Dinge von Print nach Online übernehmen, werden viele Sachen kaum verändert. Wir haben bei Online immer eine Art Vorspann, den haben wir bei Print nicht unbedingt. Der sollte in Online aber da sein als Leser-Anreiz, das muss man dann manchmal än-dern. Wir haben manchmal Korrespondentenberichte, der hat im Print 120 Zeilen, der Korrespon-dent hat aber auch eine 300-Zeilen-Version angeboten, weil der auch für andere Zeitungen schreibt. Diese Version würden wir dann zum Beispiel online stellen. Wenn es passt, reichern wir die Inhalte für Online auch multimedial an. Fotostrecken sind immer das Beliebteste. Wir haben zudem eigene Videoteams, die hauptsächlich für die regionalen Sachen draußen sind.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Es gibt eigentlich keine Themen, die nur in Print laufen. Das ist alles eine Frage der Platzierung. Irgendwie findet man alles in Online wieder – nur eben nicht als Aufmacher. Die normale Partei-berichterstattung zieht online relativ wenig, da muss es Aufreger geben, die ganz nach oben ge-hen. Nur online, da gibt es sicherlich einige Dinge, die nur online laufen, einfach weil Online mehr Platz hat. Das ist schon eine entscheidende Frage. Reine Szenethemen finden in Online mehr Raum als früher in Print. So gesehen gibt es natürlich Sachen, die wir in Print nicht machen können, einfach aus Platzgründen, nicht aus ideologischen Gründen. Aber es gibt nicht so ein be-stimmtes Themenfeld, das nur in Online läuft. Das ist eher eine Frage der Praktikabilität. Es gibt keine Tabuthemen.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Da wir im Prinzip alles online stellen, ist das eine Interpretationsfrage. Reine Hintergrundartikel sind in Online sicherlich nicht besonders gut. Das, worauf die Leute den Schwerpunkt legen, ist das Regionale – gerade solche Dinge wie die Loveparade-Katastrophe in Duisburg werden un-glaublich gelesen, aber das sind nicht nur Jugendthemen, sondern auch andere Themen: Sport wird immer viel gelesen, bei der Bundesliga haben wir sehr viele Klicks. Eigentlich gibt es keine Unterschiede. Man merkt, dass man bei den ganz schrägen Jugendthemen, die wir in Print nicht haben, viele Klicks bekommt. Das ist auch so, weil die Zielgruppen nach wie vor unterschiedlich sind. Aber das wird auch anders platziert bei Online als in Print, die politischen Themen rücken etwas nach unten. Die Onliner sind auch variabel. Wenn sie merken, dass ein Thema gut geklickt wird, platziert man es etwas nach oben. Ähnlich wie ich es mir als Printmann zutraue, ein Gespür dafür zu entwickeln, was unsere Leser interessiert, haben die Onliner das auch.

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Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Wir weisen unter den Artikeln im Print auf Online hin. Also nicht standardmäßig „Diesen Artikel finden Sie auch online“, sondern wir verweisen auf Online, wenn dort zusätzlicher Content zu finden ist. In umgekehrter Richtung verweisen wir nicht.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Früher haben wir Online so gehandhabt, dass Artikel aus Print einfach online gestellt wurden, da-für waren ein oder zwei Leute abgestellt, die das machten. Danach wurde Online als eigenes Me-dium entdeckt und ,Der Westen‘ gegründet, und dann wurde gesagt, das muss man als Redaktion auch pushen: Es gehen sofort alle Inhalte online, und es gibt nicht mehr diese Exklusivität, die ist dann eben online gewährleistet. Dann merkt man relativ schnell, dass auch Sachen, die wir im Print ganz toll finden, nicht unbedingt die sind, die online super laufen. Hinzu kommt, dass man sich bei einigen Sachen natürlich ins Knie schießt. Im Fall der Loveparade-Katastrophe von Duis-burg hatten wir zwei Mal sehr exklusive Geschichten dazu. Die haben wir erst online gestellt, als sie nicht mehr nachzurecherchieren waren, so dass wir die exklusiv für Print hatten. In so einem Fall gilt Online first nicht mehr, das wird dann auch nicht offiziell aufgehoben, das hat sich in der Praxis so ergeben. Dann ist uns einfach aus der Praxis heraus die Exklusivität im Print wichtiger. Das wird rein pragmatisch gehandelt, das wird auf kurzem Weg gemacht, das halte ich auch für wesentlich sinnvoller als für irgendwelche Dinge zehn Gebote aufzustellen, die dann beim ersten Praxistest nicht zu halten sind. Wenn wir aber wissen, dass mehrere Medien an Geschichten sitzen und es auf die Geschwindigkeit ankommt, dann ist es natürlich ganz wichtig, Sachen ganz schnell online zu stellen und gleichzeitig an die Agenturen zu geben, damit man der Erste ist.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Eine wichtige Phase für Online ist auf jeden Fall der Morgen und der Abend – und zwar mit dem Content, den Print für den nächsten Tag hat. Die Onliner halten sich meistens eine richtig gute Geschichte, die sie sich dann aussuchen können, für den nächsten Morgen zurück, damit sie den Auftritt ganz neu bespielen können. Das ist schon Usus. Die Onliner fangen morgens um 6 Uhr an und bespielen den Auftritt bis 8 Uhr neu. Das macht man tunlichst mit einem Exklusivthema, mit einem überraschenden Thema, und nicht mit dem, was gerade schon in WDR 2 gelaufen ist. Da-nach wird kontinuierlich aktualisiert.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Das kann ich mir vorstellen. Ich denke, dass etwa ein Viertel unserer Leser im Netz unterwegs ist. Das ist wahrscheinlich eher sporadisch in der Form, dass man das Internet nutzt, um etwas zu su-chen. Die eigentlichen Online-Nutzer neben diesen Doppelnutzern gehören zu einer anderen Ka-tegorie: Die Anzahl der Leute, die das Netz nutzen wie eine Tageszeitung, ist relativ gering, denke ich. Um die Leute auf die eigene Seite zu locken, muss man mit Überraschungen arbeiten. Man muss seriös sein, aber jeden Tag eine Überraschung haben. Es funktioniert nicht, nur die Tages-schau abzubilden, sondern man braucht etwas Exklusives, das für die Leute von Bedeutung ist. Dabei darf es nicht zu boulevardmäßig sein. Klatsch und Tratsch, glaube ich, schreckt die Leute auch letztendlich ab. Es ist wichtig, dass man einmal am Tag mit einer richtig tollen Geschichte im Netz vertreten ist, damit man vorbeischaut – und dann bleibt man auch hängen, denke ich mir.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)?

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Das kann ich schlecht beurteilen.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Der Anspruch, ein Orientierungsmedium zu sein, das die Hintergründe und Analysen zu überregi-onalen Themen in der Zeitung noch einmal aufbereitet, könnte geradezu die Beschreibung dessen sein, was wir uns als Arbeitsauftrag gegeben haben. Ob es gelingt, ist die zweite Frage. Aber das sollte sein, genau das.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Das machen wir auch online. Das Beispiel mit den Korrespondenten hatte ich schon mal erwähnt. Also wer sich online bemüht und sucht, der findet bei uns viel aus aller Welt, große analytische Stücke und auch vieles, was in Print gar keinen Platz findet.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Auch das ist ein Anspruch, den wir als Journalisten oder als Regionaljournalisten erfüllen wollen. Natürlich versuchen wir, die Themen runterzubrechen und in beiden Kanälen aufzubereiten. Das machen im Regionalen überwiegen die Printleute, die die Onliner beliefern. Das Ergebnis ist, dass die alte Printredaktion jetzt beide Kanäle bedient.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Unglaubwürdig. Das glaube ich den Lesern einfach nicht. Wenn Sie die Klickzahlen hinterher se-hen, kann das nicht stimmen. Nein. Gucken Sie sich die Bildzeitung an, die lebt davon. Es muss in der Zeitung weder der Aufmacher sein noch sonst was, ich kenne diese Kritik seit 30 Jahren, auch an Print: Warum bringt ihr so viel über Boris Becker, bei Geschichten, die sie angeblich gar nicht zu Ende gelesen haben, kennen sie alle Einzelheiten – und sagen, das will man doch alles gar nicht wissen. Da herrscht bei den Lesern viel Unehrlichkeit. Wehe, man hat es nicht. Die Leute wollen sich selber aber nicht eingestehen, dass sie das interessiert. Das gehört einfach zu einer Zeitung dazu. Das ist immer eine Gratwanderung, man darf keine Boulevardzeitung machen, man muss seriös bleiben – und trotzdem muss man den Kachelmann drin haben, man muss Boris Be-cker drin haben, das gehört einfach dazu. Ohne das Kachelmann-Thema, das ja durchaus auch ernste und gesellschaftliche Aspekte hat, kann man eine Zeitung nicht machen.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Das glaube ich sofort, da muss man einfach ehrlich sein, wir können nicht mit Spiegel Online konkurrieren. Das sollte man auch gar nicht erst versuchen. Wir haben durch die Gestaltung bei Online unser Angebot aufgeteilt in unsere Region und den Rest der Welt, und das läuft parallel, es ist also eine senkrechte Unterteilung, in der die regionalen Themen eine ganz große Bedeutung haben, man aber auch die anderen findet. Wer bei uns auf der Homepage ist, der kann sich hoch-qualitativ über alle Ereignisse der Welt informieren, aber ich glaube, wenn einer ein überregiona-les Thema sucht, dass er nicht als Erstes auf die Homepage seiner regionalen Zeitung geht. Man

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Anhang: Interview Lutz Heuken/Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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darf diesen Bereich aber auch nicht weglassen: Ich glaube einfach, dass auf den Seiten ein Blät-tern stattfindet. Jetzt sehe ich gerade auf unserer Seite die Meldung, dass RTL 2 ein eigenes Ra-madan-Programm hat. Das ist eine überraschende Nachricht, die ist zwar nicht aus der Region, aber das ist gut möglich, dass Leute auf diese Nachricht aufspringen. Es ist ja unbegrenzt Platz auf den Portalen. Ich finde nicht, man sollte das weglassen - zwischen regional und provinziell ist ja immer noch ein Unterschied. Beispiel Präsidentenwahl. Wir machen das Thema in Print sehr groß, berichten dazu in sehr großen Analysen und haben eigene Korrespondenten drüben, der Chefredakteur erläutert das Thema, warum soll man das nicht den Online-Usern auch anbieten? Ich kann an dem Tag, an dem Obama gewählt wird oder an dem Ähnliches passiert in dieser Grö-ßenordnung, nicht mit einem 1b-Thema dagegenhalten. Ich muss zumindest beides anbieten. Die Region spielt eine ganz große Rolle und ist auch immer an die erste Stelle gesetzt. Aber es gibt halt Themen wie 9/11, da kann ich nicht mit Borussia Dortmund aufmachen.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Das machen wir in dem Maß, wie wir das personell schaffen. Das ist auch der Wunsch der Onli-ner, das kann ich verstehen, aber es ist natürlich auch sehr aufwändig herzustellen.

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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9.2.8. Uwe Vetterick/Sächsische Zeitung

Der Verfasser hat das Interview am Donnerstag, 12. August, um 15 Uhr telefonisch geführt. Ge-sprächspartner war Uwe Vetterick, der Chefredakteur der Sächsischen Zeitung (SäZ). • Name des Mediums

Sächsische Zeitung

• Verbreitungsgebiet und Region Osten des Freistaates Sachsen

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Print und Online

• Anzahl der festangestellten Redakteure Rund 200

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Sieben Online-Spezialisten

• Anzahl der Lokalausgaben 24

• Auflage der Printausgabe 271 400 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.sz-online.de – 1 696 469 Visits mit 13 558 062 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste keine mobilen Angebote

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote keine Fernseh-Angebote

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote keine Radio-Angebote

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Die sieht im Wesentlichen so aus, dass wir das, was wir an Inhalten generieren oder was uns sonst durch die Agenturen zur Verfügung steht, auch online nutzen und auch auf Online zuschneiden, wobei bei uns die Regel gilt: All das, was wir mehrheitlich exklusiv haben, wird im Online-Kanal nicht freigestellt, ist also nicht frei verfügbar, und all das, was wir mehrheitlich nicht exklusiv ha-ben, ist online frei verfügbar.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Weil wir hoffen, dass sich da doch noch irgendwann ein Geschäft aufbaut. Das ist es eigentlich.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Das ist ein Mix aus Mehrfachverwertung und Komplementarität. Aber der Schwerpunkt ist ganz klar auf Mehrfachverwertung. Vielleicht 90 Prozent Mehrfachverwertung und zehn Prozent, dass wir die Dinge woanders nutzen. Und wir nutzen Online natürlich als Feedbackchannel. Wir schauen uns die ganze Zeit an, welche Themen laufen in Online gut und nutzen diese Anregungen auch, um Geschichten im Print zu sichten, weil wir daraus auch aufs Leserinteresse zurückschlie-ßen. Für alles andere müsste man wissen, ob es wirklich diese Doppeleffekte gibt zwischen Onli-ne- und Print-Lesern, also ob unsere Print-Leser tatsächlich auch parallel zur Sächsischen Zeitung den Online-Kanal nutzen und die Komplementarität dadurch herstellen. Da wäre ich im Zweifel.

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Anhang: Interview Uwe Vetterick/Sächsische Zeitung

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Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Gefühlsmäßig sind die nicht komplett in Deckung, aber die Schnittmenge ist über 50 Prozent.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Die Kollegen in Online haben natürlich nicht ganz so ein fest gefügtes Korsett wie das eine 64 Jahre alte Zeitung hat – mit Lesegewohnheiten, die zum Teil über Jahrzehnte tradiert sind und auf die man natürlich Rücksicht nehmen muss. Das fällt denen natürlich leichter, da zu agieren, die haben auch viel schnellere Reaktionszeiten, wenn sie feststellen, dass irgendwelche Dinge nicht gut gehen. Aber sonst ist unser Schwerpunkt ähnlich, wir erzielen die größten Reichweiten in Print wie in Online mit investigativen regionalen und lokalen Geschichten.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Für Online sind die Synergien einfach überlebenswichtig, sonst gäbe es gar kein Online in dieser Qualität, ganz sicher nicht, nirgendwo. Und die Synergien sind die, dass die Inhalte von der Print-Redaktion eingesammelt und dann für den Online-Kanal mitgenutzt werden. Andersrum gibt es die Möglichkeit des Feedback, das wir im Print nicht haben, zu erkennen, wo baut sich großes Le-seinteresse auf, das wir dann auch im Print bedienen können. Das ist ein großer Synergieeffekt, da wir mit Print ein Vielfaches von dem verdienen, was wir mit den publizistischen Angeboten in Online verdienen, der Effekt ist nicht zu unterschätzen, weil er uns hilft, Print besser zu machen.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Es gibt bei uns Paid-Content-Angebote, sie folgen im Grunde dem Muster, dass alle Inhalte, die mehrheitlich exklusiv bei uns sind, bezahlt werden müssen. Also im Beispiel: Dynamo Dresden hat einen neuen Spieler, wir haben exklusiv ein großes Interview, und wir sind die Einzigen, die das Interview haben, dann stellen wir die Nachricht, dass er da ist, die alle haben, frei. Und wer weiterklickt, muss bezahlen, um auf das Interview zu kommen. Und das Interview läuft dann auch in der Zeitung und wird auch von der Print-Redaktion generiert. Haben wir dieses Interview nicht und haben wir vielleicht nur zwei, drei Sätze, die wir am Rande der Pressekonferenz von diesem Spieler abgegriffen haben, dann haben wir sozusagen die Geschichte nicht mehrheitlich exklusiv, und dann stellen wir sie auch frei im Internet. Wir haben in diesem Bereich einen bescheidenen, aber gleichwohl stetigen Zuwachs, also die Abo-Zahlen steigen jedes Quartal, wir sind aber weit davon entfernt, perspektivisch irgendwann wirtschaftlich arbeiten zu können. Ich würde sagen, für das stationäre Internet sehe ich für Paid Content keine Zukunft. Beim mobilen Internet, also alles, was sich jetzt über den Smartphone-Markt auftut, da würde ich mich nicht negativ festlegen wol-len. Da könnte etwas gehen, aber ich bin kein Hellseher. Aber den Versuch wäre es allemal wert.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Ja, wir verfolgen eine Dachmarkenstrategie, einfach indem die Online-Plattform SZ Online heißt und auch die Redaktion dicht bei uns sitzt und wir auch die inhaltliche Führung darüber haben, was dort läuft. Wir mischen uns nicht komplett ins operative Geschäft ein, also führen das opera-tive Geschäft nicht sehr eng, aber die sitzen im Newsroom eineinhalb Meter Luftlinie von der Per-son entfernt, die die Print-Ausgabe führt, und wir haben da eine unkomplizierte enge kollegiale

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Abstimmung miteinander und auch das letzte Recht zu sagen, den Inhalt wollen wir da nicht se-hen oder der Inhalt geht dorthin oder der geht dorthin.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Das beruht auf der Grundannahme, dass Print für uns jetzt und auch mittelfristig die geschäftliche Basis von allem ist und wir online offen schauen, wo Geschäft zu holen ist – aber wir Print nicht gefährden würden für Online.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Für Print kann man das sicher beschreiben, da wollen wir die Auflagenverluste auf null fahren. Ob das in fünf oder in zehn Jahren zu erreichen ist, da würde ich jetzt keine Wette darauf abge-ben. Aber dieses Ziel ist ganz klar definiert für die Redaktion. Wir sind auch schon ganz gut vo-rangekommen, haben im Moment die beste Auflagenentwicklung seit 20 Jahren, also seit der Wende hier bei der SZ. Also nicht die beste Auflage, aber die beste Entwicklung, das heißt die ge-ringsten Verluste. Für Online ist das hier das profitabelste und reichweitenstärkste Portal für Sachsen. Profitabel ist noch mit dazugestellt, da merkt man schon, dass wir nicht Reichweite um jeden Preis erzielen wollen, sondern sie muss profitabel sein.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Da kann ich Ihnen keine fundierte Antwort geben, da müsste ich mich selber erst mal kundig ma-chen. Zu den Lesern könnte ich einiges sagen, aber zu den Usern nicht. Ich weiß auch gar nicht, in welcher Tiefe wir die Daten erhoben haben, da habe ich wirklich keinen Schimmer.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Für Print hatten wir im letzten Jahr einen Readerscan. Das ist keine Befragung, sondern es ist eine Messmethode. Und für Online sehen wir natürlich die Vorlieben, das ist ja der Vorteil von Online, eigentlich noch viel besser als beim Readerscan, weil sie sofort sehen, worauf zugegriffen wird und welche Inhalte den meisten Traffic erzeugen. Danach richten wir Online auch im Kern aus, nicht absolut, aber im Kern.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Wir haben prinzipiell gesagt für Online eine Follower-Strategie. Wir haben beschlossen, wir müs-sen nicht die Ersten sein mit allen Dingen, sondern haben den Markt permanent im Auge, schau-en, was läuft bei anderen gut, und gehen das sofort und auch entschlossen für uns an – und das auch mit einigermaßen Erfolg, allerdings betrifft das jetzt die Modelle weniger im publizistischen Bereich, sondern vor allen Dingen im kommerziellen Bereich, also Märkte, Rubrikenmärkte und so weiter – wie etwa unser Immobilienportal. Genauso die ganzen Online-Auktionen, die wir ha-ben, die führen wir, glaube ich, auch für über 20 Zeitungen inzwischen in Deutschland durch. Aber das passt, denn wir sind kein Großkonzern wie Springer, die zu Recht einen anderen strate-gischen Ansatz, einen First-Mover-Ansatz haben, sondern wir sind ein mittelständisches Haus, das schaut, welche Trends sich verschieben, um die dann aber zeitnah mitzugehen. Wir sind sehr offen für alles, was in Online kommt, aber wir wollen nach Möglichkeit kein Geld dort verbren-nen. Wir wollen nicht zu stark ins Risiko gehen, aber wenn wir irgendwo sehen, dass sich ein Ge-schäft entwickelt, sind wir sofort dabei.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Da muss man unterscheiden zwischen „Wer generiert die Nachrichten?“ und „Wer kanalisiert sie in die entsprechenden Kanäle?“. Wir haben eine Online-Redaktion, die keine Nachrichten wirk-

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Anhang: Interview Uwe Vetterick/Sächsische Zeitung

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lich generiert, bis auf kleinere Zugriffe, Polizei und so weiter, und aktuelle Geschichten, aber die werden nicht wirklich investigativ oder in der Tiefe recherchiert, sondern höchstens bei Polizei, Feuerwehr und so weiter nachgefragt. Ansonsten werden Inhalte nur von den Print-Redaktionen generiert, die aber mit dem Kanalisieren auf Online nichts zu tun haben, sondern die diese Inhalte einer kleinen Online-Truppe von rund sieben Leuten zur Verfügung stellen, die die dann um-schichtig online stellen nach Absprache.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Wir haben einen Newsroom, in dem alle Entscheidungen für Print getroffen werden – und auch alle Entscheidungen für Online im operativen Geschäft über den Tag. Der ist von 8.30 Uhr be-setzt, und da arbeiten Print und Online zusammen – in eineinhalb Meter Luftlinie, sodass man auf Zuruf Dinge schnell und ad hoc entscheiden kann. Es gibt auch ein paar Abläufe, die institutiona-lisiert sind, das ist morgens einmal um 10.30 Uhr eine Vorkonferenz, wo die newsgetriebenen Ressorts vortragen, was sich über den Tag entwickeln könnte und wir dann entscheiden, wie wir damit in Print umgehen wollen. Dort sind die Kollegen von Online und rollen von ihrem Schreib-tisch mit ihrem Bürostuhl einmal herüber und sind mit dabei, aus zwei Gründen: Erstens, weil sie dann für sich schon absehen können, was an Geschichten auch für sie noch kommen kann und auch schon anfragen, was sie kriegen können an Inhalten oder wie wir mit diesen Inhalten umge-hen werden, ob wir die in den bezahlten Bereich stellen oder ob wir die freistellen, und zweitens, weil Online uns auch schon darüber ins Bild setzt, welche Themen in Online am Morgen, also in der ersten Welle, in der man hohe Zugriffsraten hat, besonders gut gegangen sind, damit wir da für Print auch schon Rückschlüsse ziehen und Nachrichten auch vom Ressourceneinsatz anders gewichten können. Damit wir, wenn eine Geschichte online schon früh sehr gut läuft, sagen kön-nen, okay, da lass uns nichts Neues erfinden, lass uns gucken, ob wir dieses Thema heute weiter-entwickeln können. Und bevor der Kollege etwas Neues angeht, soll er sich lieber nochmal mit der Geschichte befassen. Zentraler Koordinator, der über beiden Kanälen steht, ist der Kollege, der auch an dem Tag die Zeitung führt, wobei es in der Praxis so aussieht, dass die Online-Kollegen relativ geräuschlos schnell die Dinge von sich aus angehen. Aber die Online-Kollegen suchen auch die enge Abstimmung mit dem Chefdienst, wenn irgendetwas unklar ist, oder mit Kollegen, indem sie sagen, können wir die Geschichte nicht doch haben oder können wir die nicht doch freischalten, weil Mitbewerber die frei haben. Dann sagen wir, okay, jetzt haben wir sie nicht mehr exklusiv, dann gebt sie frei. Oder wenn rechtliche Fragen zu klären sind. Dann gibt es um 14 Uhr nochmal eine Konferenz, bei der die Onliner mit dabei sind, das ist die große Redakti-onskonferenz, klassisch aus dem Print, bei der wir dann aufnehmen, welche Themen anlaufen. Dann gibt es um 16 Uhr eine Konferenz, die findet im Newsroom statt, bei der die Kollegen aus Print alle nochmals vortragen, was auf welcher Seite passiert, dort haben wir eine Monitorwand, auf der die Seiten im Ist-Stand alle abgebildet werden, und bei der die Kollegen aus Online vor-tragen, was bei ihnen über den Tag und in der letzten Stunde jeweils gut gelaufen ist an Themen, so dass wir dann noch einmal die Möglichkeit haben, vielleicht auch noch Schwerpunkte anders zu setzen, erstens in der Recherche und zweitens bei Print, und bei der die Onliner auch sagen, was sie an additiven Features noch online zu den Inhalten haben. Da sind manchmal ganze Bil-dergalerien, auf die wir in Print hinweisen, dass es online noch mehr gibt. Was die Ausgabe von Content angeht, sind die Kanäle gleichberechtigt, was das Generieren von Content angeht, liegt der Schwerpunkt zu 90 Prozent bei Print. Dann gibt es am Abend, zehn vor neun, nochmals eine verbindliche Absprache: Die Zeitung druckt dann an, und in dem Moment gehen der Chefdienst und der Kollege aus der Online-Redaktion noch einmal an der Monitorwand alle Geschichten durch. Der Chefdienst entscheidet dann im Gespräch mit dem Online-Kollegen, welche Geschich-ten am nächsten Tag aus der Print-Ausgabe online freigeschaltet werden, welche im Bezahlbe-

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reich behalten werden oder ob es eine Möglichkeit gibt, zuerst auf der Homepage Dinge freizu-schalten und die dann im Bezahlbereich zu kanalisieren: Zum Beispiel wenn wir eine nachrichtli-che Zusammenfassung von einem Interview haben, die man freistellen kann, und man dann sagt, das komplette Interview gibt es entweder im Zahlbereich oder in der Sächsischen Zeitung. Inso-fern ist es crossmedial.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? In der Regel werden die Inhalte bei der Übernahme nicht verändert. Es passiert häufig, dass Dinge online dazukommen. Vor allen Dingen Fotostrecken oder Dinge, die wir aus dem Archiv addieren können. Aber dass Texte komplett für Online anders geschrieben werden als für Print, das gibt es nicht. Ziel ist aber, dass die Inhalte angereichert werden: nicht mit nur Bildstrecken, sondern auch mit Videos oder damit, dass die Kollegen online noch ein Voting anflanschen – also mit Mitteln, die online zur Verfügung stehen

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Da gilt immer die Einzelfallentscheidung. Das gucken wir uns an. Ob die Theaterrezension jetzt online laufen wird, da bin ich im Zweifel, die Arbeit können wir uns sparen. Aber dass wir an-dersrum sagen, das ist ein Thema, das läuft nur online und das lassen wir in Print nicht zu, das gibt es nicht. Das sind nur Nützlichkeitserwägungen wie: Finden Geschichten aus Print auch tat-sächlich genügend User? Aber da erlebt man zuweilen auch Wunder, da sind wir auch noch am Experimentieren.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Bei den Themen gibt es keine Unterschiede: Der Zeitungsleser antwortet, wenn er befragt wird, nicht ehrlich, sondern da gibt es die soziale Erwünschtheit in den Antworten, und in Online haben wir die direkten Ergebnisse, weil wir ja sehen können, wie viele Leute auf welche Geschichte exakt zugegriffen haben. Wenn ich jetzt die Readerscan-Ergebnisse Revue passieren lasse, würde ich sagen, sind die, was die Leserinteressen angeht, absolut in Deckung.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Wir verweisen häufiger von Print zu Online, aber nicht selten auch von Online zu Print, wenn wir beispielsweise ein großes exklusives Interview und die Zusammenfassung schon online haben, weil wir die auch an die Agenturen gegeben haben beispielsweise. Da macht das keinen Sinn mehr, wenn das über die Agenturen läuft und unser eigener Online-Auftritt das nicht hat. Dann sagen wir in Online, das ganze Interview erscheint in der Sächsischen Zeitung oder man landet im Bezahlbereich, wenn man auf den Link geht. Da gibt es dann zwei Möglichkeiten: Wenn Sie Print-Abonnent sind, ist der Online-Bezahlbereich kostenlos. Sie können aber auch ein Online-Abo abschließen, dann können Sie in Online in den Bezahlbereich.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Bei uns gilt nicht Online first. Wir halten exklusive Geschichten für Print zurück. Für uns gilt Money first. Wenn wir damit Geld verdienen können, werden wir es nicht verschenken.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)?

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Anhang: Interview Uwe Vetterick/Sächsische Zeitung

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Wir haben morgens eine große Welle zwischen 6 und 9 Uhr, bei der wir schauen, dass der Auftritt frisch wirkt, wir haben mittags nochmals eine zwischen 11 und 13 Uhr, und alles andere wird dann ereignisgetrieben behandelt. Wir halten nichts von dem Geflacker, alle Stunde irgendetwas Neues hochzustellen. Unsere Erfahrung ist, dass die Leute sowieso nur maximal zwei Mal am Tag oder nicht so häufig am Tag auf unsere Seite kommen.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Wenn Sie mich fragen, wo die Nutzer mehrheitlich unterwegs sind, dann würde ich sagen, die sind mehrheitlich nicht auf den Newsportalen, sondern in Social Networks unterwegs – oder kau-fen ein, bestellen oder buchen irgendetwas. Sie sind nicht auf Newsportalen. Ich glaube nicht, dass man gegen die Portale, die auf Unterhaltung setzen, irgendeine Chance hat. Das wäre so, als würde man sagen, wie kann es Phönix schaffen, die Leute von den Spielfilmen bei RTL oder ARD wegzulocken, das ist müßig. Gegen Unterhaltung haben sie mit News keine Chance. Das kann man auch nicht vergleichen. Man kann eine Showsendung nicht mit einer Nachrichtensen-dung vergleichen.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Dem würde ich so absolut nicht zustimmen. Wir haben auch Seiten auf Facebook und in den VZ-Seiten. Da haben wir seit Monaten wachsende Zahlen, und auch ein Gutteil der Reichweite kommt inzwischen daher. Und auch die Foren und Votings werden da gut genutzt.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Das würde ich so unterstreichen, das ist auch das Ziel von unserem Print-Kanal. Print muss das nachhaltigere, ausgeruhtere und fundiertere Medium sein im Vergleich zu den schnelleren elekt-ronischen Medien.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Das glaube ich eher nicht. Da gilt mehr die schnelle News.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Das machen wir in Print und übertragen dann solche Inhalte auch auf Online. Aber der Ansatz ist eher, das eher in Print zu tun.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Das ist das, was ich mit sozialer Erwünschtheit beschrieben habe. Das sagen die Leute in den Um-fragen, und wenn man dann die Readerscan-Ergebnisse sieht, dann weiß man genau, dass diese Geschichten die höchsten Lesequoten erzielen. Nicht nur, aber die Geschichten sind immer dabei. Es gibt auch viele andere Geschichten, die hohe Lesequoten erzielen, die sehr viel ernsthafter sind als die Unterhaltungsgeschichten. Das eine ist informativer Journalismus, orientierungsgebender Journalismus, und das andere ist Unterhaltungsjournalismus. In Umfragen findet man aber keine

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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ehrlichen Antworten. Da geht das, was Leute über sich denken, und das, was sie tatsächlich tun, oft weit auseinander. Oder wie sie sich selber sehen oder wie sie gerne wären als Leser und wie sie dann tatsächlich sind als Leser oder User, das geht weit auseinander. In Online hat man da, wenn man sich jeden Tag die Online-Charts der meistgeklickten Geschichten über den Tag an-schaut, auch eine brutale Wahrheit. Auch bei so einem Portal wie SZ Online, das ist auch deshalb so überraschend, weil, wenn die Leute wirklich hinter diesen Geschichten her wären, sie auf ganz andere Portale gehen könnten. Aber wenn sie schon mal drauf sind, sind das auch immer die am meisten geklickten Geschichten - vorzugsweise mit lokalem und regionalem Bezug. Ich habe vie-le Jahre bei Bild gearbeitet, für mich ist das nicht wirklich überraschend, aber für viele Kollegen hier war das nach dem Readerscan sehr ernüchternd. Aber wir haben bei dem Readerscan auch gelernt, dass es viele Themen gibt, von denen wir geglaubt haben, die interessieren nur eine kleine Zielgruppe und die auf großes Interesse gestoßen sind – wie: Afrika geht das Wasser aus. Man darf den Leser auch nicht für einfältig halten, nicht denken, dass er nur hinter Klatsch und Sex her ist. Da würde man ihm Unrecht tun. Aber man sollte ihn auch nicht für besser halten, als er ist.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Wir bieten auch die überregionalen Nachrichten an. Es ist durchaus so, dass auch die überregiona-len Nachrichten, wenn sie die Leser interessieren, geklickt werden, aber es ist ganz klar, dass der Leser SZ Online eine Kompetenz im Lokalen und Regionalen zuordnet, da auch eine viel stärkere Erwartungshaltung hat als bei überregionalen Themen und diese Themen auch zuerst bei uns sucht und anklickt. Was aber nicht heißt, dass er, wenn er etwas Spannendes, Überregionales fin-det, sich das deswegen versagen würde. Man darf die überregionalen Nachrichten auf gar keinen Fall weglassen, weil wir uns damit Reichweite verschießen würden, weil die Leute durchaus auch auf diese Themen zugreifen. Ich würde sagen, an der Spitze sind es eher immer die lokalen und regionalen Themen, die Traffic ziehen, aber das heißt nicht, dass im Umkehrschluss überregionale Themen überhaupt nicht laufen. Die laufen vielleicht nicht ganz so gut, aber sie laufen oftmals noch richtig gut. Ein Beispiel aus dem Print-Bereich, aus dem Readerscan: Da gibt es ja auch im-mer die Philosophien, dass man sagt, bei einer Lokalzeitung ist das einzige Alleinstellungsmerk-mal der Lokalteil. Deswegen kommt es auf den an. Das ist prinzipiell auch nicht unrichtig. Aber die Lokalteile hatten im Schnitt keine besseren Lesewerte als die Mantelteile: Unter den über-durchschnittlich gelesenen Seiten – das waren 15 Seiten – waren acht Mantelseiten und sieben Lokalseiten. Also 50:50, wenn man noch weiß, dass die eine Mantelseite die Titelseite ist, die sehr stark lokalisiert ist. Das hält sich wirklich die Waage, im Guten wie leider auch im Schlechten. Unter den 15 unterdurchschnittlich gelesenen Seiten waren auch acht Lokalseiten – der eine Teil kann ohne den anderen nicht sein, und das gilt, glaube ich, auch für Online.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Den Wunsch kann ich mir gut vorstellen. Ob die Nutzer das nachher tatsächlich nutzen, ist eine ganz andere Frage. Menschen wünschen sich immer erst mal Masse. Das ist wie mit einem, der hungrig ist und den man nach dem Essen fragt. Der wird sich auch erst mal mehr bestellen, als er nachher tatsächlich essen kann. Der sagt dann: erst mal haben, dann gucke ich, was ich damit ma-che, ob ich es wirklich brauche.

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Anhang: Interview Carsten Fiedler/Rheinische Post

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9.2.9. Carsten Fiedler/Rheinische Post

Der Verfasser hat das Interview am Donnerstag, 19. August, um 12 Uhr telefonisch geführt. Ge-sprächspartner war Carsten Fiedler, leitender Redakteur der Rheinischen Post (RP). • Name des Mediums

Rheinische Post

• Verbreitungsgebiet und Region Großraum Düsseldorf, nördlicher und südlicher Niederrhein sowie Bergisches Land

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Carsten Fiedler: Die Kanäle sind vor allem Print und Online, also die Rheinische Post und RP Online. Zudem hält die Mediengruppe RP Beteiligungen an Center-TV in Düsseldorf und weiteren lokalen TV-Sendern sowie lokalen Radiosendern wie Antenne Düsseldorf und An-tenne Niederrhein. Es gibt weiterhin internationale Beteiligungen in der Tschechischen Re-publik, in der Slowakischen Republik und in Polen. Diese Beteiligungen sind zuvorderst wirt-schaftliche Beteiligungen. Es gibt auf der einen oder anderen Ebene auch ein journalistisches Zusammenspiel, zum Beispiel bei gemeinsamen Aktionen oder gegenseitigen Verweisen auf Sendeformate oder auf Themen in der Zeitung. Aber es gibt keine gemeinsame journalistische Einheit, die die verschiedenen Kanäle bespielt.

• Anzahl der festangestellten Redakteure 256

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? 20 Spezialisten für Online plus sieben Pauschalisten als Crossmedia-Mitarbeiter in der Region

• Anzahl der Lokalausgaben 39

• Auflage der Printausgabe 382 200 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.rp-online.de – 11 906 129 Visits mit 101 123 886 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste keine mobilen Dienste

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote keine Fernseh-Angebote

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote keine Radio-Angebote

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Unsere Crossmedia-Strategie bezieht sich derzeit in erster Linie auf das Zusammenspiel Print und Online. Rheinische Post und RP Online sind zwei eigenständige Gesellschaften unter dem Dach der Mediengruppe RP. Es gibt ein fest verankertes Zusammenspiel von Rheinischer Post und RP Online, das sich in der Zentralredaktion an einem Doppel-Newsdesk festmacht. Print und Online-Redaktion arbeiten in Sicht- und Rufweite in einem Newsroom. Am Print-Newsdesk sitzen der Chefredakteur, sein Stellvertreter, der leitende Redakteur, der Chef vom Dienst und die Verant-wortlichen der Ressorts. Am Newsdesk von RP Online sitzen der Chefredakteur RP Online bezie-hungsweise sein Stellvertreter, der Site-Manager, ein Nachrichtenführer und Kollegen der wich-tigsten Online-Ressorts. Das Zusammenspiel dieser beiden Desks in der Zentrale läuft hauptsäch-lich über die Chefredaktionen und den leitenden Redakteur Print und den Site-Manager Online. Im direkten Zusammenspiel wird entschieden, welche Geschichten frühzeitig online ausgespielt werden, welche Geschichten für die Print-Ausgabe des Folgetages zurück gehalten werden, weil

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sie exklusiv sind, welche Geschichten frühzeitig an die Nachrichtenagenturen gegeben werden. Es wird also schnell und präzise entschieden, wie wir mit den einzelnen Inhalten umgehen.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)? Die Rheinische Post ist die auflagenstärkste Tageszeitung im Rheinland und gleichzeitig eine der größten Abonnementzeitungen Deutschlands. Unsere Crossmedia-Strategie sehen wir als Investi-tion in die Zukunft. Wir wollen den Ausspielkanal RP Online auch zum Nutzen von Print ver-wenden. Wir sehen im Internet große Chancen für die Zeitung, die Reichweite zu vergrößern, jüngere, neue Leserschaften anzusprechen und die Marke Rheinische Post damit nochmals deut-lich zu stärken. Wir haben im vergangenen Jahr sieben Crossmedia-Mitarbeiter in den wichtigsten Lokalredaktionen unserer Region platziert. Diese Mitarbeiter sorgen im Zusammenspiel mit den Lokalchefs und den Lokalredakteuren dafür, dass auch ausgesuchte lokale Inhalte frühzeitig aus-gespielt werden. Letztendlich entscheidend ist immer das Votum des Lokalchefs. Die klare Rege-lung lautet: keine Kannibalisierung! Das heißt also, es darf nicht der Fall eintreten, dass sich Ge-schichten 1:1 am nächsten Morgen so in der Zeitung wiederfinden, wie wir sie online ausgespielt haben. Die Idee ist, einen nachrichtlichen Kern online auszuspielen und auf dieser Basis eine Wei-terentwicklung der Geschichte herbeizuführen, die sich dann am nächsten Morgen in der Zeitung wiederfindet.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Wir sind auf dem Weg zur Strategie der Komplementarität. Über den Status, dass wir fertige In-halte der Zeitung irgendwann bei Online ausspielen, sind wir schon weit hinaus. Das sieht man eben auch daran, dass wir stark auf Crossmedia-Mitarbeiter in der Region setzen. Das ist auch ein klares Bekenntnis zu unserer Kernkompetenz: Wo wir stark sind, wo wir unique Inhalte haben, nämlich im Lokalen und im Regionalen, wollen wir diese auch für Online stärker nutzen. Ich glaube aber auch, dass wir noch einiges zu lernen haben. Bei großen Themenlagen, beispielsweise dem Loveparade-Unglück, arbeiten wir so, dass wir eine crossmediale Themenplanung machen und eine Task Force aus RP- und RP-Online-Mitarbeitern bilden. Dann überlegen wir, welche Geschichten wollen wir eigentlich wie aufbereiten, welche Geschichten spielen wir online aus, welche Geschichten wollen wir in der Zeitung anbieten. Wir sind da schon relativ weit, aber wir müssen diese Herangehensweise noch stärker in unsere alltägliche Arbeit und unsere Planungs-prozesse implementieren. Aber wir sind dabei, genau das umzusetzen.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Es gibt durchaus unterschiedliche Zielgruppen. Mit der Rheinischen Post sprechen wir eine ande-re Zielgruppe an als mit RP Online. Es gibt natürlich hin und wieder Überschneidungen, aber letztendlich sind diese Überschneidungen in einem Bereich von zehn bis 15 Prozent zu sehen. In-sofern ist bei uns natürlich auch die Angst einer Kannibalisierung eigentlich nicht vorhanden. Na-türlich ist es so, dass die Zielgruppe RP Online eine jüngere ist, wobei man auch hier sagen muss, es ist nicht die ganz junge Zielgruppe, die wir mit RP Online ansprechen beziehungsweise errei-chen. Da darf man sich nicht vorstellen, dass wir jetzt vornehmlich die 16- bis 24-Jährigen errei-chen, sondern wir erreichen auch mit RP Online schon ein Publikum ab Mitte 20 aufwärts, das Wert legt auf eine qualitativ hochwertige Nachrichtenberichterstattung.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Wenn man das zunächst einmal auf der Ebene schnelle Nachricht und Analyse und Hintergrund-berichte betrachtet, dann ist es so, dass wir versuchen, RP Online in erster Linie als Nachrichten-

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Anhang: Interview Carsten Fiedler/Rheinische Post

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portal zu positionieren. RP-Online ist in den Top Ten der Online-Portale bundesweit und bietet hochwertige Nachrichtenberichterstattung verbunden mit einem starken Regionalportal. Das sind die beiden Füße, auf denen RP Online steht. Im Nachrichtenbereich versuchen wir so schnell wie möglich die relevanten Nachrichten auszuspielen. Das gilt zunehmend auch für die Region. Dazu kommt bei RP Online noch ein starker Anteil an vermischten Geschichten, die aufgrund des jün-geren Zielpublikums eine größere Rolle spielen als bei der Rheinischen Post. Da ist dann eher auch mal die ausführliche DSDS-Berichterstattung dabei oder die Berichterstattung über Germa-ny’s Next Topmodel. In der Zeitung legen wir viel größere Schwerpunkte auf analytische und hin-tergründige Berichterstattung. Wir fragen uns morgens in der gemeinsamen Themenkonferenz, wie wir die Nachrichten, die tagsüber schon auf dem Markt sind und die auch bei RP Online dann abgebildet werden, am nächsten Tag nochmals anders in der Zeitung aufbereiten, so dass der Le-ser nochmals einen Mehrwert hat.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Rheinische Post und RP Online sind eigenständige Gesellschaften unter dem Dach der Medien-gruppe RP, dennoch ist die Zusammenarbeit sehr stark ausgeprägt. Die Rheinische Post nutzt RP Online als weiteren Ausgabekanal. Es werden natürlich unsere Korrespondenten in Berlin, die im Parlamentsbüro sitzen, auch von den Kollegen von RP Online tagsüber angerufen. Wenn es Vor-abnachrichten unserer Redaktion gibt, dann koordinieren wir die so, dass wir sie als Agentur raus-geben und zeitgleich auch bei RP Online ausspielen. Wenn es eine Pressekonferenz hier in Düs-seldorf gibt, dann wird der Korrespondent, der für uns dort vor Ort ist, auch einen 30- bis 40-Zeilen-Bericht machen für Online. Das heißt also, wir ziehen eigentlich schon die größtmöglichen Synergieeffekte aus unseren Redaktionsabläufen.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Es gibt Paid-Content-Angebote. Das E-Paper nenne ich mal an dieser Stelle. Im ersten Halbjahr 2010 haben wir verstärkt experimentiert mit kostenpflichtigen Downloads: Serien, die wir in der Rheinischen Post gefahren haben, beispielsweise eine Gesundheitsserie mit dem Namen „Unser Körper“, haben wir als PDF-Reprints über RP Online angeboten. Für das PDF „Unser Körper“ haben wir 2,49 Euro genommen, und das haben wir mit großem Erfolg auf diesem Distributions-weg auch nochmals verkaufen können. Die weitere Entwicklung ist ganz schwierig vorherzusa-gen. Man sieht an den Springer-Beispielen Abendblatt und Berliner Morgenpost, dass natürlich versucht wird, Paid Content im Internet auch im regionalen Bereich zunehmend anzubieten. Aber all das, was man bisher gesehen hat, ist zurzeit noch ein großes Ausprobieren. Ich kann noch kei-ne wirkliche Paid-Content-Strategie erkennen, die für alle Verlage umsetzbar ist und die auch Vorbildcharakter haben könnte. Und ich bin skeptisch, dass man im Internet zu Paid-Content-Inhalten zurückkehren kann. Ich sehe eher die Möglichkeit, Apps auf dem iPad von vornherein kostenpflichtig anzubieten. Wenn man entsprechende Inhalte bündeln kann, die wirklich einen deutlichen Mehrwert bieten zu dem, was man täglich im Internet bekommt oder auch am nächsten Tag in der Zeitung lesen kann, dann kann ich mir gut vorstellen, dass dieses Modell funktioniert.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Unser Verlagshaus stellt sich ja schon seit langer Zeit nicht mehr nur als ein reines Zeitungshaus dar. Wir stellen uns eigentlich dar als eine Mediengruppe, die Mediengruppe RP. Das ist sozusa-gen die Dachmarke, unter der alle unsere Ausgabenkanäle laufen. Natürlich profitiert auch unser Internet-Portal RP Online von der Marke Rheinische Post, die für Seriosität steht und für starke nachrichtliche Berichterstattung, aber eben auch, und das ist fast das stärkste Kriterium, für ihre

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starke Verwurzelung in der Region und im Lokalen. Wir versuchen, ein gemeinsames Markenbild zu transportieren. Letztendlich ist auch unsere Crossmedia-Strategie darauf ausgelegt, dass wir genau das dem Leser beziehungsweise dem User so vermitteln. Wenn wir jetzt verstärkt nach-richtliche Kerne, nachrichtlich relevante Geschichten bei Online-Lokalredaktionen im Netz aus-spielen, dann wird das in jedem Fall auch dazu beitragen, dass sich das Markenbild der Rheini-schen Post noch stärker auch bei den RP-Online-Usern manifestiert.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Die Grundannahme ist die, dass wir glauben, dass es einen grundlegenden Wandel gibt im Medi-enbereich und vor allen Dingen auch beim Lesernutzungsverhalten, so dass wir gesagt haben, wir müssen mit unserer Crossmedia-Strategie zwei Dinge bedienen: Zum einen müssen wir die Zei-tung stärken. Wir stehen immer noch sehr gut da als große regionale Tageszeitung, unsere Aufla-ge ist stabil. Auf der anderen Seite sehen wir natürlich auch, dass andere Tageszeitungen dramati-sche Auflagenverluste haben und dass viele Online-Portale fast zweistellige Zuwachsraten haben bei den Benutzerzahlen, so dass wir gesagt haben, unsere Crossmedia-Strategie muss sich daran ausrichten, dass wir zum einen weiterhin eine qualitativ hochwertige Zeitung machen, dass wir dem Leser jeden Tag ein überzeugendes Angebot machen, dass wir auf keinen Fall dahin kom-men, dass wir aufgrund von zusätzlichen Anstrengungen im Online-Bereich die Zeitung schwä-chen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die zweite Seite der Medaille ist, dass wir den RP-Online-Auftritt noch attraktiver machen wollen. Und da ist der wichtigste Schritt unserer Crossmedia-Strategie, dass wir im Lokalen und im Regionalen noch ein deutlich größeres Output haben wollen an Nachrichtengeschichten.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Unabhängig davon, ob es irgendwann mal dazu kommen wird, dass es vielleicht eine gemeinsame Redaktion gibt, wollen wir eine optimale Verschränkung beider Ausgabenkanäle. Wir sind schon im vergangenen Jahr mit unserer Crossmedia-Offensive in der Region gestartet. Es lässt sich nachvollziehen, dass wir im Bereich unseres Regionalportals bei RP Online extrem gestiegene Abrufzahlen haben – einfach dadurch, dass wir eben das Nachrichtenangebot dort erweitert haben. Wir gehen jetzt dazu über, dass wir die Redaktion komplett mit eigenen Kräften im Bereich Crossmedia schulen, das heißt, wir werden diesen Gedanken weiter vertiefen und wollen im regi-onalen Bereich eine optimale Verzahnung hinbekommen. Das ist auf jeden Fall in den nächsten Jahren ein Thema für uns, das wir noch weiter verfeinern wollen. Dann ist mit Sicherheit auch noch der allgemeine Workflow zu verbessern, also dass wir möglichst noch detaillierter darüber nachdenken, wie können wir die Geschichte, die wir jetzt den Tag über schon online ausgespielt haben, am nächsten Tag in der Zeitung so präsentieren, dass der Leser sagt, wow, das geht deut-lich über das hinaus, was ich schon tagsüber bei Online abrufen konnte.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Wir erreichen mit der Rheinischen Post mehr als eine Million Leser. Die Mehrzahl hat laut unse-ren Leserbefragungen ein überdurchschnittliches Einkommen und ein höheres Bildungsniveau. Was sie vor allen Dingen von uns erwarten, ist eine zeitlich, räumlich und emotional nahe Be-richterstattung aus der Region, wir sind als Alltagsbegleiter gefordert. Bei unseren regelmäßigen Befragungen, wir nennen das Medienmonitor, haben unsere Leser hinterlegt, was die RP für sie als wichtige Punkte leisten muss: Sie muss die Informationsflut sortieren, sie soll Prioritäten set-zen, sie soll Lebenshilfe leisten als praktischer Berater in der Alltags-, Arbeits- und Freizeitwelt. Sie soll analytische und hintergründige Berichte bieten, mehr Meinungsstücke und Kommentare bieten. Das sind die wichtigsten Punkte, die unsere Leser von uns als Zeitung fordern. Das geht eben damit überein, dass ich eben gesagt habe, dass wir versuchen, deutlich hintergründiger und analytischer in unserer Berichterstattung zu sein, als wir das beim Ausspielen der schnellen Nach-richt bei Online sind. Was Online angeht nochmals die Zahlen: Wir hatten nach den IVW-Zahlen im Juni 2010 92,9 Millionen Pageimpressions und 11,35 Millionen Visits. Interessant ist, was die

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User im Vergleich zur Rheinischen Post angeht, dass sie deutlich männlicher sind, dass sie eben aber auch jünger sind. Also zum Beispiel haben wir in der Altersklasse 14 bis 29 Jahre eine Pro-zentzahl Leser Rheinische Post 16 Prozent, bei RP Online 27 Prozent. Wir haben bei den 30- bis 49-Jährigen 34 Prozent Leser Rheinische Post und bei den Nutzern RP Online 47 Prozent. Daran sieht man, dass wir eine jüngere und auch männlichere Userschaft bei RP Online ansprechen, wo-hingegen die Leserschaft bei der Rheinischen Post interessanterweise weiblicher ist. Wir haben 51 Prozent weibliche Leser bei der Rheinischen Post. Was das Bildungsniveau angeht, das ist auch ganz interessant, dass bei der mittleren und hohen Bildung sowohl RP als auch RP Online sehr gute Werte erzielen.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)? Den Medienmonitor. Das ist eine repräsentative Befragung für Print und Online, die wir regelmä-ßig machen in unserer Leserschaft. Und aus dieser heraus ziehen wir diese Erkenntnisse.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Natürlich kennen wir auch alle diese Untersuchungen, die den Tod der Zeitung an die Wand ma-len. Wenn man sich bei diversen Seminaren angemeldet hat, bei denen es um crossmediale Strate-gien geht, dann wird ja häufig von den Experten das Beispiel von sterbenden amerikanischen Zei-tungen erwähnt, und parallel wird gezeigt, welche Zuströme das Netz und die Nachrichtenangebo-te im Netz haben. Wir registrieren das, aber wir lassen uns da ehrlich gesagt nicht von unserem eigenen Weg abbringen. Wir haben unsere eigenen Leserdaten, wir haben unsere eigene Kompe-tenz, aufgrund derer wir eine Zukunftsstrategie entwickeln. Wir bauen unsere Online-Angebote weiter aus. Aber bei uns herrscht der Grundsatz, dass wir das nicht zulasten der Print-Angebote tun wollen. Und bis jetzt sind wir damit gut gefahren.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Es ist weder das eine noch das andere. Ich halte auch beides nicht für die optimalen Wege. Ich glaube, dass es absolut sinnvoll ist, dass man bei RP Online ein eigenes Team hat, das die Seite auf dem aktuellen Stand hält. Das kann nicht geleistet werden dadurch, dass man eine komplette Integration herbeiführt, sondern man braucht ein eigenes schlagkräftiges Online-Team, das sich auch schnell untereinander austauschen kann, das selbst auch mal Themen anstoßen und Themen-akzente setzen kann, die dann wiederum untermauert werden können durch Beiträge aus der Print-Redaktion. Ich halte nichts davon, das komplett zu integrieren. Ich halte genauso wenig davon, dass man einfach nur nebeneinander arbeitet. Genau in der Mitte treffen wir uns eigentlich, näm-lich da, wo wir eigene Geschichten generieren, die wir nachrichtlich bei Online ausspielen kön-nen, am nächsten Tag aber nochmals weiterführen können in Print und anders präsentieren kön-nen. Und ich bin eigentlich mit dem Modell unseres Doppel-Newsdesks sehr zufrieden. Ich halte nichts davon, dass man alle an einen Newsdesk setzt, dass der Online-Politik-Redakteur neben dem Print-Politik-Redakteur sitzt. Das sind zwei völlig unterschiedliche Arbeitsweisen, die sich auch alleine schon von den Zeiten her unterscheiden.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Wir haben einen Newsroom für Print und Online, aber es gibt zwei unterschiedliche Newsdesks, die so nah beieinander stehen, dass man sich schnell austauschen kann und jederzeit eine Koope-

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ration herbeiführen kann. Der Entscheider ist ganz klar der Chefredakteur der Print-Redaktion. Konflikte entstehen ja nur dann, wenn es darum geht, Inhalte auszuspielen, die letztendlich erst mal in der Print-Redaktion generiert worden sind. Die Kollegen von RP Online greifen genauso wie wir auch auf das Agenturmaterial zurück und bauen damit erst mal ihre Geschichten onlineaf-fin mit Fotostrecken und Votings und anderen Elementen. Konflikte kann es ja eigentlich nur dann geben, wenn es ein Thema gibt, das aus der Print-Redaktion heraus kommt und entsprechend recherchiert worden ist, wo man vielleicht unterschiedlicher Meinung ist über den Ausspielungs-zeitpunkt und die Art und Weise der Ausspielung. Und da ist es, wenn es zum Streit kommt, Auf-gabe des Print-Chefredakteurs oder der Chefredaktion, zu sagen, wie wir da vorgehen. In den Lo-kalredaktionen haben die Lokalchefs im Konfliktfall das letzte Wort darüber, welche lokalen In-halte vorzeitig online ausgespielt werden. Nehmen wir mal ein Beispiel: Der Oberbürgermeister in Düsseldorf gibt eine Pressekonferenz zur Haushaltssituation der Stadt. Es ist ein Berichter-statter der RP-Lokalredaktion vor Ort. Vorher ist zwischen Lokalchef und Crossmedia-Mitarbeiter vereinbart worden, dass wir diese Geschichte nachrichtlich frühzeitig so schnell wie möglich nach der Pressekonferenz ausspielen. Der Mitarbeiter, der vor Ort war bei der Pressekonferenz, macht ein Nachrichtenstück von 60 bis maximal 80 Zeilen, sendet das an den Crossmedia-Mitarbeiter, der arbeitet das weiter auf, der versieht das noch mit Fotos, eventuell einer Fotostrecke und even-tuell verlinkt er es weiter. Das heißt, die onlineaffine Aufbereitung der Geschichten obliegt dann dem Crossmedia-Mitarbeiter.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Es ist so, dass wir Regeln aufgestellt haben für die Lokalredaktion, das heißt, der Lokalchef muss aufgrund der Themenplanung festlegen, welche zwei bis drei nachrichtlich relevanten Geschich-ten aus der Lokalredaktion wir online bespielen wollen. Es muss gleichzeitig auch schon überlegt werden, wie wir es schaffen, diese Themen, die wir dann nachrichtlich online ausspielen, am nächsten Tag in der Zeitung anders aufzubereiten, damit wir eben nicht in die Falle laufen, dass wir am nächsten Morgen die gleiche Geschichte 1:1 in der Zeitung lesen. Das wollen wir auf gar keinen Fall. Es gibt Regeln für die Lokalredaktion. Wir haben größere und kleinere Lokalredakti-onen. Ich habe eben die Stadtredaktion Düsseldorf erwähnt, das ist natürlich unsere größte. Es gibt aber auch mittlere und kleinere Lokalredaktionen in den verschiedensten Bereichen unseres Verbreitungsgebietes. Für diese gelten, was die Ausspielung von Inhalten, also die Zahl der aus-zuspielenden Geschichten, angeht, andere Regeln. Wir haben Mindestanforderungen festgelegt: Für eine große Redaktion wie Düsseldorf sollten es drei Geschichten sein, die wir über den Tag nachrichtlich bei Online ausspielen und dann am nächsten Tag entsprechend anders im Blatt auf-bereiten. Für die mittleren bis kleineren Redaktionen gelten da geringere Anforderungen. Wir sind dabei, die internetgemäße Aufbereitung der Geschichten zu forcieren. Wir sind zurzeit sehr sicher darin, Geschichten nochmals mit Fotostrecken und mit einem Voting zu unterlegen. Was Videos angeht, experimentieren wir gerade. Wir haben ein Pilotprojekt laufen in einer Lokalredaktion und machen da sehr gute Erfahrungen mit einem eigenen Videoteam. Es wird in naher Zukunft zu überlegen sein, ob wir das ausbauen oder nicht. Ansonsten ist es natürlich so, dass im lokalen Be-reich der eine oder andere Fotograf, mit dem wir arbeiten, auch schon mal mit der Kamera losgeht und einen Film beisteuert, der wird dann in der Zentrale geschnitten und dann auch entsprechend in dem lokalen Portal angeboten. Das ist aber nicht die Regel. Es gibt die ersten viel versprechen-den Ansätze. Auch da müssen wir gucken, wie wir das weiterführen.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Mit dieser Ausschließlichkeit würde ich das nicht sagen. Es geht eher um die Form der Aufberei-tung. Wenn wir eine Geschichte machen, dass Andrea Nahles ein Baby erwartet, wie heute in der Bild-Zeitung zu lesen ist, gehen wir online mit diesem Thema anders um als in Print. Dann ist es vielleicht in Online die Geschichte der späten Mütter, die man nochmals dazustellt, oder nochmals

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eine Fotostrecke zu Andrea Nahles. Man kann aber auch eine Fotostrecke anbieten zu prominen-ten Frauen über 40, die ein Baby bekommen haben. Das bietet sich bei Online geradezu an. Dem-gegenüber machen wir bei Print eher eine etwas zurückgenommenere Geschichte und würden sie vielleicht auch eher im politischen Raum ansiedeln. Also: Was bedeutet das jetzt eigentlich für die SPD, wenn die Generalsekretärin demnächst in die Babypause geht?

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Tendenziell gibt es schon Unterschiede. Ich würde nie sagen, Online ist Boulevard. Das würde ich, glaube ich, so nie unterschreiben. Aber tendenziell ist es natürlich so, dass eben aufgrund der Tatsache, dass wir jüngere Leser und vielleicht auch noch ganz neue Zielgruppen erschließen wol-len, der Online-Auftritt durchaus etwas bunter sein darf, wohingegen wir bei der Zeitung, bei der Rheinischen Post, viel mehr Wert auf eine seriöse Aufbereitung legen. Bei Online kann der Um-gang mit den Themen etwas spielerischer und dennoch seriös sein.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Es gibt ein Zusammenspiel in der Zentrale am Doppel-Newsdesk. Da gibt es nach der Nachmit-tagskonferenz eine Festlegung von RP Online, welche Geschichten sie gerne im Blatt mit Online-Hinweisen versehen möchten. Die Hinweise beziehen sich auf tragende Geschichten in der Rhei-nischen Post, also Seitenaufmacher. Es gibt zudem regelmäßig Hinweise auf besondere Aktionen, die wir online fahren, beispielsweise machen wir häufig Fotoaktionen. Wir suchen jetzt zum Bei-spiel im Krefelder Zoo die schönsten Tierfotos, solche Geschichten spielen wir über Online aus und bieten dann ein „Best of“ der Fotos auch in Print. Natürlich gibt es auch Rückverweise von RP Online zur Zeitung. Das spielt sich vor allen Dingen im lokalen Bereich ab. Ich habe eben er-wähnt, dass wir viele Geschichten nachrichtlich ausspielen im Lokalen und dort findet sich dann auch häufig der Hinweis: „Lesen Sie morgen in der Rheinischen Post“. Das sind alles spezielle Verweise: Wir machen nicht einfach unter einer Geschichte in der Politik einen Hinweis www.rp-online.de, sondern wir versuchen immer auch, das nochmals zu spezifizieren, dass wir wirklich den Mehrwert, den man nochmals erhält, wenn man, nachdem man die Geschichte in der Rheini-schen Post gelesen hat, auf Online geht, auch darstellen – und umgekehrt natürlich auch.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Es gibt bei uns nicht das Prinzip Online first, sondern es gibt bei uns das Prinzip, welche relevan-ten Geschichten müssen wir online spielen und welche Geschichten, bei denen wir selbst auch Nachrichten produzieren, können wir frühzeitig online ausspielen, ohne dass wir die Geschichte in der Zeitung damit torpedieren. Wenn wir eigene Nachrichten generieren, stellen wir uns die Fra-ge, bevor wir die Nachricht ausspielen: Wie machen wir es am nächsten Morgen in der Zeitung, sodass es da eine vernünftige Fortsetzung der Geschichte gibt, die nochmals über das hinausgeht, was wir an die Agenturen geben. Bei Scoops geht es vor allen Dingen natürlich auch um die Überlegung, wann gibt man eine Nachricht, die man generiert hat, an die Agenturen. Und bei uns ist es so automatisiert, dass wir sagen, wenn wir eine Geschichte an die Agenturen geben, dann läuft sie auch zeitgleich bei RP Online. Bei uns läuft also immer die Überlegung mit: Macht es Sinn, die eigene Nachricht noch am Nachmittag zu setzen, weil sie ein Scoop ist – oder warten wir bis zum Folgetag und lassen der Zeitung die Erstveröffentlichung, weil die Nachricht uns für die Print-Ausgabe einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz bringt. Die Maßgabe On-line first sehe ich eigentlich kaum noch umgesetzt bei fast allen Medienhäusern. Ich glaube, dass man da mittlerweile sehr stark darauf schaut, was sind Inhalte, deren Nachrichtenwert die Nacht nicht übersteht, so dass man sie frühzeitig ausspielen muss, beziehungsweise was sind Inhalte, die vielleicht auch die Konkurrenz schon aufgegriffen hat. Wenn ein Thema bei der Konkurrenz läuft und wir es auch recherchiert haben, spielen wir es ebenfalls online aus, da haben wir keinen ex-klusiven Mehrwert mehr.

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Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Der Newsdesk von RP Online in der Zentrale ist zwischen 6 und 23 Uhr kontinuierlich besetzt. Es gibt ab 7 Uhr am Newsdesk von RP Online zudem einen regionalen Frühdienst. Dieser regionale Frühdienst fängt an, Geschichten, die schon frühzeitig in den Agenturen laufen, seien es Polizei-meldungen, seien es andere Geschichten, seien es auch Geschichten, die die Konkurrenz hat, zu recherchieren und frühzeitig auf die Seite zu stellen, bevor die Crossmedia-Mitarbeiter zu den normalen Redaktionszeiten ab 9.30 in den Lokalredaktionen aufschlagen. Da besetzen wir vorher schon dieses Segment und setzen die ersten Geschichten auf die Seite. Von 10 Uhr an überneh-men bei den regionalen Geschichten die Crossmedia-Mitarbeiter in den Lokalredaktionen die Ar-beit. Ansonsten gibt es ein Schichtmodell bei RP Online, das dazu führt, dass der Newsdesk kon-tinuierlich besetzt ist. Es gibt da nicht die Vorgabe, wir spielen um 8 Uhr Geschichten aus, wir spielen um 12 Uhr Geschichten aus, wir spielen um 16 Uhr Geschichten aus, sondern es werden kontinuierlich Geschichten ausgespielt.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Es gibt eine gewisse Überschneidung von RP-Lesern und RP-Online-Usern, aber die ist bei wei-tem nicht so groß, dass man automatisch sagen könnte, alle, die die Zeitung lesen, lesen auch RP Online. Wir versuchen mit unserem Online-Angebot sowohl diejenigen zu erreichen, die nicht die Zeitung lesen, eben durch ein attraktives Angebot, als auch diejenigen, die unsere Zeitung lesen. Unsere Print-Leser müssen wir natürlich davon überzeugen, dass sie das, was sie online lesen, eben nicht am nächsten Morgen 1:1 in der Zeitung vorgesetzt bekommen. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige strategische Geschichte für die Verlage, dass nicht der Eindruck entstehen darf, al-les, das, was wichtig ist, lese ich eh schon am Tag vorher bei Online, warum soll ich mir am nächsten Morgen dann noch die Zeitung kaufen. Dieser Effekt darf sich beim Leser keinesfalls einstellen. Und wenn wir das so hinbekommen, dass wir über die Aufbereitung sowohl für Online als auch für Print attraktive Angebote machen, dann, glaube ich, werden wir zunehmend Rheini-sche-Post-Leser dazu bringen, auch RP Online stärker zu nutzen. Wir sehen keine Gefährdung da-rin, sondern wir sehen aufgrund unserer Strategie eigentlich beides als ein Ziel an, also sowohl Nicht-Leser als auch RP-Leser noch stärker an RP Online heranzuführen.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Wir haben Kommentarfunktionen bei unseren Artikeln, die rege genutzt werden. Wir sind als RP Online auch bei Twitter oder bei Facebook vertreten, und haben da auch einen positiven Rücklauf.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Ich glaube, man muss da sehr vorsichtig sein. Man darf nicht die These vertreten, dass der Leser das, was er bei der Tageschau gesehen hat, nochmals so in der Zeitung lesen will. Ich glaube, er will das Thema, das am Vortag gesetzt worden ist, entweder tagsüber von Online-Medien oder dann eben auch von der Tagesschau, entsprechend vertieft aufbereitet in seiner Tageszeitung fin-den. Wir legen Wert darauf, dass wir Themen, die am Vortag die Nachrichtenlage bestimmt ha-ben, in einer anderen, tieferen, analytischen Aufbereitungsform im Blatt anbieten. Darüber hinaus versuchen wir auch, ganz eigene Schwerpunkte zu setzen. Das sind die beiden wichtigen Pole, zwischen denen sich bei uns das Blattmachen bewegt. Auf der einen Seite eigene Themen zu fin-den, eigene Schwerpunkte zu setzen, überraschende Themen zu finden und sich von anderen zu

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unterscheiden. Wenn wir beispielsweise davon ausgehen, dass viele Tageszeitungen am nächsten Morgen die Optik „Angela Merkel auf Energietour in Deutschland“ auf der Titelseite drucken, dann ist das für uns eigentlich keine Option mehr, weil wir sagen, wir müssen versuchen, uns ab-zugrenzen. Auf der anderen Seite: Die wichtigen Themen des Tages müssen sich am nächsten Tag in der Zeitung wiederfinden, allerdings in einer deutlich tiefergehenden Aufbereitung. Das kann zum Beispiel hergestellt werden durch eine grafische Aufbereitung, auf die wir zunehmend Wert legen. Wir haben auch da in den vergangenen Jahren eine Entwicklung gemacht, dass wir zuneh-mend, was die Visualisierung von Themen angeht, auf grafische Umsetzungen zurückgreifen.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Das machen wir bei Online weniger. Wenn es große Lagen gibt, wie zum Beispiel die Kommu-nalwahlen in Nordrhein-Westfalen, dann sind wir so vorbereitet, dass wir eben auch bei diesem Thema eine interaktive Grafik anbieten. Man kann sich die einzelnen Wahlbezirke anschauen, man kann sich sogar die einzelnen Stimmbezirke anschauen. Also bei wirklich großen planbaren Ereignissen versuchen wir, auch eine aufwendige visualisierte Umsetzung bei RP Online umzu-setzen. Ansonsten experimentieren wir auch da zurzeit ein bisschen. Wir haben unseren Grafikbe-reich insgesamt aufgestockt und wissen, dass es in Zukunft darum geht, Themen zu visualisieren. Und das werden wir natürlich sowohl im Print als auch bei Online forcieren.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Das machen wir, das ist auch keine Frage des Kanals, sondern das ist einfach auch ein grundsätz-licher journalistischer Ansatz, dass man die Zeitung, aber natürlich auch das Online-Angebot, ein Stück weit als einen aktuellen Lebensbegleiter für die Leute ansieht. Ich glaube, dass es immer angemessen ist, ein politisches Thema aus der Sicht des Bürgers zu betrachten, dass man letztend-lich immer schaut, was hat letztendlich der Bürger davon oder was bedeutet das für den Verbrau-cher. Wir versuchen eigentlich immer, unsere Geschichten im Blatt sowohl im Politik- als auch im Wirtschaftsteil, aber eben auch im Lokalen so auszurichten, dass wir immer gleichzeitig mitlie-fern, das hast du als Leser davon oder das kommt da auf dich zu. Das ist eine journalistische Grundhaltung, die wir in beiden Kanälen realisieren.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Ich glaube, wenn man diese Frage dem Probanden so stellt, dann wird er natürlich immer sagen: „Ich lese die politischen und wirtschaftlichen Themen und gucke bei den Unterhaltungsthemen eigentlich immer weg.“ Wenn man sich allerdings die Leserforschung und auch die Zahlen an-schaut, welche Geschichten besonders auch online am häufigsten gelesen werden, kommt man ja zu ganz anderen Schlüssen. Ich denke mal, dass da sehr wohl ein Grundbedürfnis nach bunten Geschichten besteht. Das hat allerdings nichts damit zu tun, dass man diese Geschichten so aufbe-reiten muss, wie es die eine oder andere Boulevardzeitung macht. Ich glaube, dass es ein Bedürf-nis gibt, mit diesen Geschichten umzugehen und etwas darüber zu erfahren. Da sind wir wieder beim großen Thema Aufbereitung. Ich glaube, eine intelligente Aufbereitung eines Themas, das eine hohe Einschaltquote hat, ist genau das Richtige. Auf keinen Fall sollte man den Reflex ha-ben, Boulevard-Themen grundsätzlich nicht anzufassen. Ich habe ja schon gesagt, dass wir bei Rheinischer Post und bei RP Online differenziert vorgehen. Wir wissen, so ein Thema wie Ger-many’s Next Topmodel ist für den RP-Leser aufgrund unserer Leserforschung jetzt nicht so das Topthema, wohingegen es bei RP-Online sehr hohe Klickraten hat. Also muss man sich in der Strategie damit auseinandersetzen: Wie gehen wir mit bunten boulevardesken Themen um? Ich würde sie auf keinen Fall von vornherein ausschließen. Bei RP Online gilt, dass das eine oder an-

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dere Thema auch mal ein bisschen bunter aufbereitet werden kann. Bei der Rheinischen Post be-sagt die Leserforschung, dass auf keinen Fall zu stark, zu spitz, zu boulevardesk berichtet werden soll. Aber trotzdem gibt es eine Einschaltquote bei diesen Geschichten. Man muss sie eben ent-sprechend seriös und intelligent aufbereiten.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Das tun wir. Das ist auch eine besondere Situation, die wir bei RP Online haben. RP Online ge-hörte zu den allerersten Online-Portalen überhaupt in Deutschland und hat sich eigentlich immer auch so definiert, dass es ein Nachrichtenportal ist mit einem regionalen Schwerpunkt. Das sind die beiden wichtigsten Standbeine, die wir haben. Wir haben den hochwertigen Nachrichtenbe-reich, und wir haben ein großes Regionalportal, das wir zunehmend ausbauen. Und die Zahlen geben RP Online ja Recht. Ich glaube, dass RP Online durchaus anders wahrgenommen wird als die Internet-Angebote anderer Regionalzeitungen. RP Online spielt auch als nachrichtliches über-regionales Portal eine Rolle.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Das machen wir, wir halten das auch für ganz wichtig. Das ist der Dossier-Gedanke, den wir na-türlich auch verfolgen. Das gibt es bei uns sowohl im überregionalen als auch im lokalen Bereich, dass wir zu Schwerpunktthemen entsprechende Dossiers anbieten. Es gibt auch darüber hinaus bei uns noch die Plattformen, die wir angebunden haben an RP Online wie Tonight. Das ist eine Sze-ne-Plattform, auf der man alles rund um Partys und Ausgehen in Düsseldorf und Umgebung er-fährt. Und was den Bereich Verbraucher und Service angeht, halte ich das für einen ganz wichti-gen Punkt, den ein Online-Portal bieten muss: Wenn man in Krefeld ein Freibad sucht, dann muss man dieses Freibad auch über das RP-Online-Portal finden, inklusive der Beschreibung, wie ich hin komme, der Preisstruktur und allen anderen Dingen, die da eine Rolle spielen. Wir sind da auch schon sehr weit, diesen Dossier- und Service-Gedanken zu implementieren, aber auch da se-he ich noch weitere Ausbaufähigkeit. Was wir zum Beispiel jetzt auch noch generiert haben, ist ein lokaler Wirtschaftsdienst bei RP Online: Das ist ein Informations- und Rechercheportal, das wir gestartet haben als Angebot von RP Online zu regionalen Wirtschaftsthemen. Man geht auf RP Wirtschaft, das ist eine Unterverlinkung bei RP Online auf der Homepage, und man bekommt alle aus unserer Sicht relevanten Wirtschaftsnachrichten aus der Region, die in den vergangenen Tagen und Wochen ausgespielt worden sind.

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Anhang: Interview Lars Haider/Weser-Kurier

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9.2.10. Lars Haider/Weser-Kurier

Der Verfasser hat das Interview am Donnerstag, 12. August, um 17 Uhr telefonisch geführt. Ge-sprächspartner war Lars Haider, der Chefredakteur des Weser-Kurier (WK). • Name des Mediums

Weserkurier

• Verbreitungsgebiet und Region Bremen und niedersächsisches Umland

• Welche Kanäle bespielt das Medienhaus? Print, Online, Weser-Kurier-TV (Ausstrahlung online und über Center-TV) und bald Mobil

• Anzahl der festangestellten Redakteure 160

• Sind alle Redakteure für alle Kanäle zuständig oder gibt es Spezialisten für die einzelnen Kanäle? Wenn es Spezialisten gibt: Wie viele Spezialisten gibt es für welche Kanäle? Lars Haider: Es gibt ungefähr zwölf Redakteure, die hauptsächlich Online machen, und die anderen knapp 150 Redakteure, machen im Wesentlichen Print, aber liefern auch dauernd On-line zu. TV machen im Wesentlichen zwei Kollegen: Ein Kollege ist einerseits Blattmacher, andererseits führt er durch die Talksendung, die wir haben.

• Anzahl der Lokalausgaben 14

• Auflage der Printausgabe 167 400 Exemplare

• Nutzerzahlen des Online-Angebots www.weser-kurier.de – 811 224 Visits mit 7 633 246 Page-Impressions

• Wenn es mobile Dienste gibt: Nutzerzahlen der mobilen Dienste Lars Haider: Die mobilen Dienste sollten eigentlich im August starten, aber es wird jetzt doch September, Oktober, mit Apps und den ganzen Programmen.

• Wenn es Fernseh-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Fernseh-Angebote Lars Haider: Die Nutzerzahlen werden nicht erhoben, das macht Center-TV nicht. Man sagt immer so um die 25 000 Nutzer, grob über den Daumen, aber das ist echt ungeschützt.

• Wenn es Radio-Angebote gibt: Nutzerzahlen der Radio-Angebote Lars Haider: Das Medienhaus hat natürlich eine Radiobeteiligung, aber wir machen selber kein Radio, wir sind nur beteiligt an verschiedenen Radiosendern.

Beschreiben Sie Ihre Crossmedia-Strategie (Interviewfrage 1). Die Kanäle sind eher getrennt. Das heißt, Online ist bei uns sogar eine eigenständige Tochterge-sellschaft. Es gibt bei uns klare Vorgaben, was online zu stehen hat und was im Print zu stehen hat. Ganz einfach kann man sagen, alles das, was andere auch haben könnten, ist sofort online, al-les das, woraus konkurrierende Fernsehsender etwas machen können, ist sofort auch ein eigener Filmbeitrag oder sollte möglichst schnell ein eigener Filmbeitrag sein. Alles, was wir exklusiv ha-ben, wird online angekündigt, dann aber auf Print verwiesen. Und dann gibt es noch darüber hin-aus, was immer häufiger kommt, dieses Pingpong. Ein Beispiel: Wir haben eine Aktion, die heißt „Die 333 schönsten Erlebnisse mit Werder Bremen“. Da sammeln wir online von Lesern ihre schönsten Erlebnisse mit Werder Bremen, drucken einen Beitrag von den besten täglich im Print, spielen das dann in Print zurück und sagen, schicken sie uns weiter ihre Sachen online, und ma-chen aus den besten Print- und den besten Online-Sachen am Ende ein Buch.

Warum bespielen Sie überhaupt mehrere Kanäle und konzentrieren sich nicht auf einen Kanal, der Ihre Kernkompetenz im Sinne von Kerngeschäft darstellt (Interviewfrage 2)?

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Benjamin Wagener: Crossmedia-Strategien regionaler Medienhäuser

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Aus dem Grund, den alle anderen auch haben, dass sozusagen die Internetnutzer extrem zuneh-men. Im Bremen haben 80 Prozent der Haushalte inzwischen Online-Anschlüsse. Das ist, glaube ich, die tiefste Durchdringung überhaupt. Wir wollen damit natürlich auch die Marke auf ver-schiedenen Ebenen stärken. Wir haben damit auch zum ersten Mal die Gelegenheit, dass Konkur-renten keine Chance haben, uns Marktanteile wegzunehmen – also zum Beispiel Radio Bremen oder die Radiosender, die bisher immer den Aktualitätsvorteil hatten, das haben die jetzt nicht mehr. Das sind die Gründe. Aber grundsätzlich ist das, was alle anderen treibt, dass wir damit rechnen, dass die Internetnutzung zunehmen wird und wir da auch in Bremen das Medium Num-mer eins sein wollen. Was wir auch schaffen werden, wenn man unsere Entwicklung sieht: Wir haben Anfang August vergangenen Jahres mit Online angefangen und hatten unter 200 000 Visits und sind jetzt, ein Jahr später, fast bei einer Million – und sind damit dann auch wahrscheinlich die stärksten in Bremen. Das ist schon eine extreme Entwicklung. Wir haben uns innerhalb eines Jahres verfünffacht, waren aber vorher gar nicht da, was natürlich ein klarer Fehler war. Abgese-hen davon geht es natürlich auch darum zu versuchen, von den für uns entscheidenden Märkten – Kfz, Immobilien, Stellenanzeigen – den Teil nach Online hinüberzuretten, der uns bei Print verlo-ren geht.

Studien differenzieren drei grundlegende strategische Ansätze: die Strategie der Mehrfachver-wertung, die Strategie der Autonomie und die Strategie der Komplementarität. Wie ordnen Sie Ihre Strategie in diesem Zusammenhang ein (Interviewfrage 3)? Wir verfolgen die Strategie der Komplementarität, das ist das, was wir machen. Absolut. Da ist natürlich noch eine Entwicklung zu erkennen. Im Moment ist es so, dass wir das anlassbezogen machen. Wenn wir sagen, da ist eine Pressekonferenz – das heißt, jeder andere kann die Informa-tionen auch haben – dann schicken wir im Zweifel jemanden von Online hin, der dann noch ein kleines Video oder eine längere Fotostrecke oder einen schnellen Teaser macht, der dann online steht. Das ist dann relativ einfach. Aber dass wir Geschichten auch aufbauen, diese Pingpong-Nummer, dass die Geschichten in Online oder in Print beginnen und dann in anderen Kanälen weitergespielt werden – Beispiel: eine Printgeschichte, über die die Leser abstimmen, dann ist die Umfrage dazu in Online, online wird das Ergebnis festgestellt, und das wird dann wieder in Print veröffentlicht – da stehen wir nicht am Anfang, aber da sind wir erst bei zehn Prozent.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit den Angeboten Ihrer Kanäle an? Sind es die gleichen Zielgruppen oder verschiedene? Wenn es verschiedene sind: Wie unterscheiden sich die Ziel-gruppen? Wie groß ist die Anzahl der Doppelnutzer beim Print-Kanal und beim Online-Kanal (Interviewfrage 4)? Das sind bei uns relativ unterschiedliche Zielgruppen, die Überschneidungen liegen nur bei fünf Prozent im Moment zwischen Print und Online. Man hofft natürlich, dadurch auch an eine Ziel-gruppe zu kommen, die im Moment und auch früher nicht zeitungsaffin war, also die 16- bis 25-Jährigen, eben die jungen Menschen. Letztlich gehen wir davon aus, dass die Online-Nutzung und die Mobile-Nutzung irgendwann so zunehmen wird, dass man das unbedingt in seinem Portfolio haben muss, weil eben ganz viele Menschen vielleicht nur noch manchmal die Zeitung kaufen werden, auf jeden Fall nicht mehr so stark wie bisher, und weil wir natürlich die Chance haben, über Online auch die zu erreichen, denen die Zeitung eigentlich zu teuer ist, die sich die Zeitung nicht mehr leisten können. Das ist bei uns der Hauptabbestellungsgrund. Nicht, wie das früher war, dass die Leute einfach wegziehen oder wegsterben, sondern dass man den Leuten die Zeitung wegnehmen muss, weil sie das Abo nicht mehr bezahlen. Unser Abo kostet 24,50 Euro. Dass die Überschneidung nur bei fünf Prozent liegt, wird sich mittel- bis langfristig ändern. Es wird eher so einen Mix geben – wie bei mir: Ich bin sowohl ein Nutzer von Online, als auch ein Nutzer von Zeitungen. Aber je nachdem, wie es gerade passt. Wenn man die schnelle Information will, hat man früher Fernseher und Radio angemacht, heute geht man online. Wenn man einen schnellen Nachrichtenüberblick will, geht man eigentlich auch online. Wenn man aber schön lesen will, sich zurückziehen will, dann geht man zu Print. Das ist im Moment noch offensichtlich relativ geteilt zwischen den Zielgruppen. Da sind die einen, die immer schon Zeitung gelesen haben und manchmal ins Internet gehen, und die anderen, die noch nie Zeitung gelesen haben und nur ins In-

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ternet gehen. Das wird sich ja mischen, auch deswegen, weil die, die bisher nur Zeitung gelesen haben, immer stärker ins Internet gehen. Und wer weiß, was es noch an mobilen Angeboten gibt.

Setzen Sie bei den von Ihnen bespielten Kanälen die gleichen inhaltlichen Schwerpunkte oder setzen Sie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte? Wenn es Unterschiede gibt, beschreiben Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kanäle (Interviewfrage 5). Es passiert ja überall das Gleiche. Wenn Werder Bremen gewinnt, findet das in Print und Online statt. Natürlich gibt es in Online auch Schwerpunkte, die die Leser setzen. Einer der entscheiden-den Schwerpunkte im Online-Kanal ist tatsächlich Werder Bremen. Das ist bei uns der größte Klick- und Visits-Bringer, danach kommt das regionale Bremen-Geschäft – und das überregionale Geschäft, das internationale Geschäft, findet online bei uns praktisch gar nicht statt. Das ist eine Randgeschichte. Während Print natürlich ganz klassisch im ersten Buch mit Politik und Außenpo-litik, Innenpolitik beginnt und die Titelseite natürlich immer auch eine Mischung aus Bremen, na-tionalen, internationalen und regionalen Themen ist. Online nicht, Online ist weitestgehend regio-nal. Das sieht man auch an der Struktur: Die besteht aus Bremen, Region, Werder. Das sind die drei großen Bereiche. In der Zeitung ist sozusagen das erste Buch Politik, danach Bremen, danach Niedersachsen und dann Kultur/Sport.

Wie wichtig sind Synergie-Effekte – gerade vor dem Hintergrund, dass abzusehen ist, dass On-line-Angebote mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden und die Quersubventionierung durch die Print-Angebote nötig bleibt (Interviewfrage 6)? Im Moment sehe ich da keine Synergieeffekte. Synergieeffekte würde ja heißen, wir hätten etwas von Online. Zum Teil kann man das machen, aber in der Regel, wenn man das so stark betreibt wie wir, dass wir Online und Print so machen, wie Online und Print sind, also nicht einfach 1:1 übersetzen, hat man keine Synergieeffekte. Wenn Online jetzt zum Beispiel ein Video, eine tolle Fotostrecke oder ein Voting macht, nützt mir das im Print gar nichts, außer dass ich darauf hin-weisen kann. Das ist also im Moment noch ohne Synergieeffekte, aber es hat einen extremen Mehrnutzen für unsere Leser und bietet uns die Chance, rund um die Uhr Journalismus zu machen und damit zu den anderen digitalen Medien aufzuschließen, die das immer schon konnten.

Gibt es bei Ihnen Paid-Content-Angebote? Wenn ja: Welche? Wie schätzen Sie die Entwick-lung im Paid-Content-Bereich künftig ein? Gibt es Formen von Paid-Content, die eine realisti-sche Chance haben, im Markt zu bestehen? Wenn ja: Welche könnten das Ihrer Meinung nach sein? Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen in Bezug auf Paid-Content (Interviewfrage 7)? Wir haben keinen Paid Content. Schwer zu sagen, wie sich das entwickelt. Die, die das machen, das Hamburger Abendblatt zum Beispiel, sind mittelmäßig erfolgreich damit. Da kann man wirk-lich gar nichts sagen. Ich glaube an Paid Content erst, wenn das wirklich alle machen. Aber grundsätzlich, wenn immer zwei, drei Verlage ausscheren und man die Informationen ja woanders auch umsonst bekommt, wird das ganz schwierig. Anders der ganze Bereich E-Paper, dass man sich ein Abo kauft, bei dem man nicht mehr die Zeitung kriegt, sondern nur das E-Paper durch ei-nen Zugang. Über den Weg könnte Paid Content interessant werden, aber ich glaube nicht inner-halb der nächsten zwei, drei Jahre.

Verfolgt Ihr Medienhaus die sogenannte Dachmarkenstrategie – in dem Sinne, dass versucht wird, das Markenimage eines Kanals, dessen Marke bei den Nutzern schon bekannt ist, mittels eines Transfers auf die Marke eines anderen Kanals zu übertragen, um die Nutzer an die Mar-ke zu binden (Interviewfrage 8)? Ja klar. Allein schon deshalb, weil wir früher mit mehreren Titeln gefahren sind. Wir geben nicht nur den Weser-Kurier heraus, sondern auch noch die Bremer Nachrichten. Das ist eine eigenstän-dige Tageszeitung vom Titel her, sonst ist alles gleich. Das Ganze heißt dann Bremer Tageszei-tung AG, völlig kompliziert, jetzt heißt das Ganze eben Mediengruppe Weser-Kurier, und alles, was wir machen, ist unter der Dachmarke Weser-Kurier und wird sozusagen auf diese Dachmarke hin nicht nur durchgestylt, wie man das vom CI so kennt, sondern es wird auch inhaltlich ver-sucht, genau die gleichen Schwerpunkte zu setzen – in der Form, dass Weser-Kurier, Weser-Kurier-Talk, Weser-Kurier-TV, www.weser-kurier.de, die Weser-Kurier-Buchedition, dass das

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alles ungefähr das gleiche Aussehen, die gleiche Machart hat. Wenn wir zum Beispiel eine Serie in der Zeitung haben, findet die sich 1:1 auch so in dem Buch wieder. Die Bücher sind alle stan-dardisiert – die gleiche Größe, immer ein weißer Hintergrund – es wird viel mit einer speziellen Schrift gearbeitet, das wird schon alles total angeglichen.

Auf welchen Grundannahmen beruht Ihr strategisches Konzept (Interviewfrage 9)? Wir haben die ersten Versuche einfach ausgelassen, wir haben uns einfach nicht daran beteiligt. Wir haben dann auch die Entwicklung verfolgt, es gab die, die die Strategie Online first verfolgt haben, also alles, was in der Zeitung ist, kommt auch online. Von der Strategie halten wir deshalb nichts – wir haben sie zwar auch gemacht, weil es keiner gemerkt hat, weil es vollautomatisch war – weil, wenn alles online ist, sich natürlich die Frage stellt, warum soll ich die Zeitung noch abon-nieren. Also scheidet die Strategie bei uns aus. Es scheidet auch im Moment noch die Strategie aus, eine komplett eigenständige Online-Redaktion aufzubauen. Das ist im Moment einfach die Frage des Geldes und der Erlöse. Also versuchen wir eine Mischform zu machen, das, was man im besten Wortsinne Crossmedia nennt, aber eben Online wie Online zu machen und Print wie Print. Die Idee ist dabei, dass man diese Medien unterschiedlich behandelt, so wie man Fernsehen und Zeitung unterschiedlich behandelt, und dass es keinen Sinn macht, das eine in das andere zu übertragen. Deshalb ist unsere Strategie so, wie sie ist. Und deshalb wird man auch sehen, wenn man sich das anguckt, dass Online und Print sich bei uns von der Machart, von den Inhalten, von den Schwerpunktsetzungen eben dann doch unterscheiden.

Welche Entwicklung sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in Zukunft nehmen, welches Ziel wollen Sie erreichen? Wo sollen die von Ihnen bespielten Kanäle in fünf Jahren stehen (Inter-viewfrage 10)? Inhaltlich ist es bei Print so, dass Print eben schon eher in die Richtung der täglichen Wochenzei-tung gehen soll, eher so ein Magazin sein soll. Die Zeitung wird zwar immer diesen aktuellen Zwängen unterliegen, das wird sich nicht ändern, die Schiene ist noch nicht vorbei. Sie muss aber darüber hinaus den Menschen einen Mehrwert bieten, dieser Mehrwert liegt in der Überraschung, dass sie etwas kriegen, womit sie nicht gerechnet haben, dass ihre Erwartungen also übererfüllt werden. Das Unerwartete ist das Allesentscheidende für eine Zeitung. Der Mehrwert liegt in ei-nem Nutzwert, der charmant verpackt wird, er liegt in starken Meinungsbeiträgen, Analysen, Ko-lumnen – und er liegt vor allem in Exklusivität. Und Exklusivität ist dann in erster Linie die Schnittstelle zu Online. Was wir exklusiv haben, wird online angeteasert. Online ist sozusagen unsere Tagesschau, und Print sind unsere Tagesthemen, so kann man es vielleicht auf den Punkt bringen, ohne lange darum herum zu reden.

Auf welche Nutzerdaten gründen Sie Ihre Annahmen? Wer sind Ihre Nutzer und was wollen Sie von den einzelnen Kanälen (Interviewfrage 11)? Das ist noch sozusagen das alte Klischee. Der Weser-Kurier-Leser ist eher etwas älter, der Online-Nutzer ist eher etwas jünger. Ganz platt kann man sagen, der Online-Nutzer ist eher nicht der We-ser-Kurier-Abonnent. Das wäre jetzt ganz platt, wobei natürlich auch nach und nach die Abonnen-ten online nochmals drauf gucken und mal weitergucken, aber an sich erreichen wir online sozu-sagen die, die wir mit Print nicht mehr oder noch nicht erreichen, sodass wir dadurch die Zahl der Menschen, die wir erreichen, vergrößern. Wir haben eben nicht den Kannibalisierungseffekt, den wir am Anfang befürchtet haben, das ist ganz interessant. Und die Hoffnung ist, über Online dann wieder Menschen wenn nicht zum regelmäßigen, dann doch zum unregelmäßigen Lesen des We-ser-Kuriers zu führen. Es gibt einen großen Unterschied. Es gibt ja einige Zeitungen, einige Medi-enhäuser, die gehen stark in Richtung Online: Sie konzentrieren sich zu 70 Prozent auf Online und zu 30 Prozent auf Print. Bei uns würde ich immer noch sagen, dass wir uns zu 60 Prozent auf Print und zu 40 Prozent auf Online konzentrieren – oder sogar 70 zu 30. Das ist aber auch ange-messen, wenn man sich die Erlösstruktur anguckt. Wir verdienen heute mit Online im Jahr so viel wie mit zwei Anzeigenseiten im Weserkurier.

Führen Sie Nutzerbefragungen durch? Wenn ja: Welche und mit welchen Schwerpunkten (In-terviewfrage 12)?

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Wir haben die letzte vor knapp einem Jahr gemacht. Da geht es um Bewertung des Layouts bis zur Bewertung der einzelnen Ressorts bis zur Bewertung, was braucht man mehr, was braucht man weniger. Eine User-Umfrage hat es noch nicht gegeben, die wird es jetzt geben, wenn der große Relaunch abgeschlossen ist. Man muss sich überlegen, wir haben bei uns noch nicht einen einzigen Rubrikenmarkt. Wir haben einen Trauermarkt, das ist aber auch alles. Wir haben keine einzige Rubrikanzeige. Das heißt, diese fast eine Million Visits beruhen im Wesentlichen auf re-daktionellen Inhalten. Wenn der Relaunch abgeschlossen ist, wird es auch eine User-Umfrage ge-ben. Im Print haben wir vor eineinhalb Jahren angefangen, die Zeitung umzubauen und haben eine groß angelegte Marktforschung gemacht. Die hat praktisch alles abgefragt.

Welches externe Wissen beziehen Sie in Ihre strategischen Überlegungen mit ein (Interview-frage 13)? Es gibt jede Woche ein bis fünf Personen, die dazu irgendwelche Studien machen, an denen wir in der Regel auch teilnehmen, wo wir auch immer die Ergebnisse kriegen. Wobei man feststellen muss, dass die Ergebnisse sehr unterschiedlich sind. Nummer eins sagt das, Nummer zwei sagt das, Nummer drei sagt das, obwohl wir denen ja immer die gleichen Informationen zur Verfügung stellen. Aber wir nehmen an diesen Sachen teil, wir arbeiten auch hier mit der Hochschule zu-sammen im Studiengang Journalistik, in dem es um die Zukunft des Journalismus in allen Berei-chen geht. Wo man aber auch ganz ehrlich sein muss, ist, dass da jetzt so unglaublich viel ge-forscht wird, ohne dass so richtig valide Ergebnisse aus unserer Sicht da rumkommen. Aus meiner Sicht ist das schwierig, da jetzt im Moment etwas abzuleiten, weil es eben niemanden gibt, der ei-ne Idee hat, wie man mittelfristig wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Journalistisch ist ja einfach. Stellen Sie sich mal vor, den Weser-Kurier gäbe es umsonst, dann hätten wir morgen eine Auflage von einer Million.

Beschreiben Sie die Vernetzung der von Ihnen bespielten Kanäle. Die Vernetzung von Kanälen kann von der vollkommenen Integration – alle Redakteure bespielen alle Kanäle – bis zu Dop-pelstrukturen reichen – im Sinne von unabhängigen Redaktionen, die sich inhaltlich austau-schen. Wo ordnen Sie Ihre Redaktion ein (Interviewfrage 14)? Generell ist das unterschiedlich. Online ist es so, dass jeder auch für Online schreibt. Ein einfa-ches Beispiel: Ein Redakteur, der zu einem Termin geht, der entweder öffentlich ist oder exklusiv ist oder sich für Online eignet, ist verpflichtet, in dem Moment, wenn er zurückgekommen ist, sich bei Online zu melden und ein schnelles Stück mit zehn, 20, 30 Zeilen zu schreiben. Das gilt für jeden Redakteur, ob im Regionalen, im Lokalen, in der Politik oder sonst wo. Bei den Videos, die man machen kann mit diesen wunderbaren Flips oder anderen Kameras, die wir haben, ist es ein bisschen anders. Einerseits greifen wir bei den Videos natürlich auf das zurück, was Center-TV macht, das können wir zum Teil. Andererseits machen unsere Leute auch eigene Filme. Das ist aber im Moment aus Betriebsratsgründen noch freiwillig. Das machen im Moment so 15 bis 20 Prozent. Die machen das und müssen es auch nicht schneiden. Das machen dann unsere TV-Leute, die schneiden das, aber an sich ist das freiwillig. Das sind die beiden großen Punkte. Wenn Sie jetzt insgesamt fragen über die Integration, da sind wir wirklich noch am Anfang. Theoretisch ist jeder Printmann auch mal Online-Mensch. Aber dass jeder automatisch in diesen ganzen Kanä-len denkt, ich glaube, dafür sind wir noch zu kurz dabei.

Gibt es einen Newsdesk – also eine zentrale Nachrichten-Schnittstelle, die entscheidet, welche Inhalte in welcher Form in welchen Kanal gehen? Wenn ja: Wie ist der Newsdesk aufgestellt? Welche Kompetenzen hat der Newsdesk – übernimmt er eher Koordinationsaufgaben oder ist der Newsdesk auch für die inhaltliche Ausrichtung der Angebote verantwortlich? Ist der Newsdesk den Ressortleitern vorgesetzt, gleichrangig angesiedelt oder nachgeordnet – hat der Newsdesk also das Zugriffsrecht auf die Themen und die damit verbundene Gestaltungshoheit bei der Gestaltung der Themen (Interviewfrage 15)? Einen Newsroom gab es zwar immer schon in der Form, aber es gab keinen Newsroom, in dem Online und Print zusammensitzen. Wir haben am 1. Juli 2009 einen ganz neuen Raum gebaut mit etwa 30 Arbeitsplätzen. Der Kern ist ein U, am Ende des Us sitzen nebeneinander die Chefs der Print-Ausgabe und die Chefs der Online-Ausgabe. An den Seiten sitzen die Ressorts. Innen ist

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immer das Ressort Print und außen ist das Ressort Online. Der Blattmacher Bremen sitzt dem On-line-Macher Bremen und so weiter gegenüber. Geöffnet ist das Ganze von 6 bis 24 Uhr, und da wird dann auch alles Wesentliche abgestimmt. Ein Beispiel: Wir wissen, dass es einen neuen The-ater-Intendanten in Bremen gibt. Dann macht sofort der Kulturmensch Print, wenn er das heraus-gefunden hat, eine 20-Zeilen-Meldung, die wir sowohl an die Agenturen als auch an Online ge-ben. Das geht dann sofort online, dann besorgt der Fotomensch das Foto, das Foto geht erst online und dann in Print. Dann gibt es wenig später nochmals ein Update, das dann aber erst am nächsten Morgen gemacht wird, ab 6 Uhr spielt ja die Musik und nicht abends so spät, da hat man online nicht mehr so viele Zugriffe. Die Online-Blattmacher entscheiden über Online, und die Printma-cher entscheiden über Print. Die beiden Kanäle sind gleichrangig: Man muss eben nur in den Grundfesten bleiben: Da gibt es das große exklusive Interview, mit dem wir morgens natürlich auch werben, das kann der Onlinetyp jetzt nicht morgens schon bei sich bringen. Das geht halt nicht. Und es geht dann auch später nicht. Es ist halt exklusiv, exklusiv für Print.

Print-Online-Vernetzung: Übernehmen Sie Inhalte von einem in den anderen Kanal? Wenn ja: Wie geschieht das? Werden diese Inhalte verändert und überarbeitet? Wenn ja: Wie werden Sie verändert und überarbeitet? Wenn der Online-Kanal Print-Inhalte übernimmt: Werden diese Inhalte angereichert in Bezug auf Multimedialität, Interaktivität und Hypertextualität (Inter-viewfrage 16)? Die Hauptrichtung ist von Print zu Online. Da werden sie oft verändert, was die Überschriften an-geht, die dann bei Online immer noch ein bisschen klarer sind, damit auch die Suchmaschinen sie finden. Die Teaser werden oftmals anders gemacht. Bei Print liest man halt einfach automatisch weiter, bei Online vielleicht nicht. Die Auswahl der Bilder ist auch teilweise eine andere. Es gibt aber auch gar nicht so wenige Übernahmen von Online zu Print. Da ist es dann praktisch genau umgekehrt. Da wird auch manchmal an den Vorspannen etwas geändert, die Überschriften müs-sen angepasst werden, an den Texten selber ändert sich in der Regel nach dem Vorspann nicht mehr so viel. Sehr wichtig ist die Aufbereitung: Das Ziel ist immer eine online-typische Sache, also eine Fotostrecke, Video, Umfrage, Archivmaterial, online zusätzlich zu haben. Das Ziel ist es eigentlich, möglichst bei allem etwas dazu zu haben.

Print-Online-Vernetzung: Gibt es originäre Inhalte der einzelnen Kanäle, die nur in ihrem je-weiligen Kanal erscheinen (Interviewfrage 17)? Das wäre zu viel gesagt. Aber es ist natürlich klar, wir haben einen superlustigen Videoblog unse-res Parodisten, der läuft nur in Online. Wir haben gewisse Kolumnen, die laufen nur in Print, weil wir die künftig als Paid Content in Online anbieten wollen. Wir haben Serien, die wir als Bücher verkaufen, die wir eben auch nur im Print machen, weil wir sie als Bücher verkaufen und uns da das Geschäftsfeld nicht kaputtmachen wollen. Es gibt das Thema Ratgeber, wir haben einen gro-ßen Ratgeberbereich in Online, aber wir haben auch einen relativ großen Ratgeberbereich in Print.

Gibt es Unterschiede zwischen originären Print-Themen und originären Online-Themen? Wenn ja: Beschreiben Sie die Unterschiede (Interviewfrage 18). Wenn man Online als Online betrachtet und Print als Print, stellt sich eben heraus, dass die The-mengewichtung da und dort eine ganz andere ist. In Online werden die großen Themen immer die sein, die populär und relativ jung sind. Wenn wir nach Online gehen, würden wir drei Seiten Werder Bremen machen. Tatsächlich haben wir, aufgrund der großen Popularität von Werder Bremen online, unser Angebot im Print auch ausgeweitet. Aber wir können uns nicht nur darauf beziehen. Wir würden dann auch beim Mord an einer Lehrerin theoretisch in Print drei Seiten ma-chen. Online finden sich immer die sehr populären und eher vermischten Themen, nicht so die po-litischen Themen. Wir machen es morgens schon so, dass als Erstes Online vorträgt, was am bes-ten läuft. Und natürlich orientieren wir uns schon auch ein bisschen daran: Eine Geschichte, die wir in Print groß machen, läuft online gar nicht, dann fahren wir sie auch in Print etwas zurück. Umgekehrt genau das Gleiche. Wir haben im Print eine gute Geschichte über die A1 gehabt, die eine einzige Baustelle ist, und kriegen dazu 40, 50 Leserbriefe an einem Tag, dann sagen wir, On-liner, macht da mal was, macht da mal eine Kommentarfunktion mehr, macht mal einen großen

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Kommentar dazu. Das stimmt schon. Da kann man sozusagen gegenseitig voneinander lernen, da hat man so eine Art Regulativ, was die Leser interessiert und was nicht.

Gibt es Verweise und Referenzen zwischen den von Ihnen bespielten Kanälen? Beschreiben Sie die Verweisstruktur (Interviewfrage 19). Das geht immer in beide Richtungen. Das ist bei uns relativ ausgedehnt, wir haben auf der Titel-seite wie die meisten Zeitungen so eine Art Meldungsbein, wo Kurzmeldungen drin sind, wie ein Inhaltsverzeichnis. Da gibt es immer drei Meldungen, die auf Print verweisen und drei Meldun-gen, die auf Online verweisen. Es gibt dazu eine Seite, die heißt Tipps und Termine. Da gibt es vier große Kästen. Einer dieser Kästen wird immer von Online bespielt. Das sind sozusagen die großen Standards, die Online im Blatt hat. Und dann ist es so, dass jedes Ressort mindestens einen Online-Hinweis haben sollte auf den Seiten, also nicht nur www.weser-kurier.de sondern Slash-Irgendwas. Ziel ist es immer, dass auf jeder Seite einer ist. Wir haben abends um 18 Uhr eine Konferenz, bei der wir die Seiten abgehen und in der Online dann präzise sagt, dazu haben wir ei-ne Fotostrecke, dazu haben wir ein Video, dazu haben wir das und das, das noch eingegliedert wird. Umgekehrt ist es bei Online so, insbesondere wenn es um Exklusivgeschichten geht, dass man sagt, mehr dazu lesen Sie morgen im Weser-Kurier. Die Verweisstruktur ist schon eine ande-re: Print weist viel mehr auf Online hin als umgekehrt. Vom Fernsehen weisen wir nicht auf Print hin, weil ja permanent entweder Weser-Kurier-Talk oder Weser-Kurier-TV darüber steht. Wir weisen allerdings von Print auf Fernsehen hin, vor allem, wenn diese Talksendung läuft, da gibt es natürlich vorher mehrfach eine Ankündigung. Bei den großen Talksendungen gibt es dann im Nachhinein oder zeitgleich eine Berichterstattung in Print und natürlich in Online.

Print-Online-Vernetzung: Gilt Online first (verstanden als Online first und Mobil first)? Gilt Online first bei allen Themen? Wenn nein: Bei welchen Themen gilt Online first und bei wel-chen nicht? Werden Scoops für Print zurückgehalten (Interviewfrage 20)? Wir halten Scoops und exklusive Geschichten für Print zurück. Das, was alle anderen auch haben können, kommt sofort online. Das, was wir alleine haben, kommt, wenn überhaupt, nur in Auszü-gen in Online.

Beschreiben Sie, wie sich Ihr Online-Angebot im Lauf des Tages entwickelt. Gibt es bestimmte Veröffentlichungswellen während des Tages – im Sinne, dass das Online-Angebot zu bestimm-ten Tageszeiten neu aufgestellt wird? Wenn ja: Wie sehen diese Veröffentlichungswellen aus (Interviewfrage 21)? Wir haben solche Zeiten. Aber da sind wir auch noch am Anfang, in dem Sinne, dass man sagt, zwischen 7 und 8 Uhr muss irgendwie etwas passieren auf der Seite. Grundsätzlich ist es aber so, dass man eigentlich versucht, fünf, sechs, sieben Aufmacher am Tag zu haben. Das Ziel ist, dass wir, wenn man in der Hauptzeit von 7 bis 15 Uhr schaut, jede Stunde den Aufmacher wechseln, und wenn wir nicht den Aufmacher wechseln, dann wenigstens die Fotos des Aufmachers, oder wir aktualisieren den Aufmacher. Wir setzen die Power ganz klar am Vormittag bis zum mittleren Nachmittag ein und werden nach hinten hin immer schwächer und dann morgens wieder stärker. Also nicht nur in den Themen, sondern auch in der Besetzung. Morgens haben wir viel mehr On-liner als abends um acht, da sitzen dann noch zwei.

Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass viele Tageszeitungsleser im Internet unterwegs sind – nur nicht auf den Seiten ihrer Zeitung. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wie beurteilen Sie Ihre crossmedialen Nutzungspotenziale (Interviewfrage 22)? Das scheint in vielen Bereichen so zu sein, es zeigt sich auch bei uns, dass die Überschneidung nicht so groß ist. Das ändert sich aber, je stärker man in Print auf Online verweist, so dass ich glaube, dass auch für die bisherige Stammleserschaft die Online-Nutzung ganz wichtig ist, insbe-sondere für die, die etwas jünger sind, weil die sich auch zwischendurch informieren wollen. Und das können sie entweder bei einem Radiosender, der auch so eine Seite hat, oder sie können es bei der Zeitung, der sie sowieso vertrauen. Insofern wird es da eine totale Verschiebung geben.

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Das Leser/Nutzer-Panel lässt die begründete Vermutung zu, dass Leser und Nutzer an vielen interaktiven Möglichkeiten (Foren oder soziale Netzwerke) bestenfalls am Rande interessiert sind. Wie beurteilen Sie das (Interviewfrage 23)? Das sehe ich auch so. Ein Beispiel ist der hochgelobte und hochgerühmte Kai-Diekmann-Blog, wo Kai Diekmann sich über 16 bis 18 Kommentare bei einem Text freute. Darüber geht es bei uns auch nicht großartig hinaus. Ich glaube, dass die Portale nicht als soziale Netzwerke genutzt wer-den. Das ist eher so, dass die Portale letztlich wie eine elektronische Zeitung genutzt werden, an die man auch mal einen Leserbrief schreibt, aber dort nicht permanent soziale Kontakte knüpft.

Der Print-Kanal besitzt bei den Lesern und Nutzern eine hohe Kompetenz für regionale und lokale Themen. Doch besonders bei komplexen, schwierig aufzuarbeitenden überregionalen Themen übernimmt er zudem eine Komplementärfunktion zu Fernsehen und Radio. Print hat die Rolle eines Orientierungsmediums. Spiegelt sich dieser Nutzerwunsch in der Ausrichtung Ihres Print-Kanals wider (Interviewfrage 24)? Das ist das, was ich mit Hintergründen erklären meine. Der größte Fehler, den man im regionalen Bereich machen kann, ist der Qualitätsunterschied zwischen dem Mantel und dem Lokalen – in dem Sinne, dass man einen zu großen Qualitätsunterschied hat zwischen dem Mantel und dem Lokalen. Man kann nicht sagen, wir sind stark im Lokalen, aber im Mantel sind wir schwach. Sie müssen auch im Mantel, also im überregionalen Bereich, stark werden, sie müssen da ihre eigenen Leute haben. Wenn man das nicht macht, hat man schon jetzt verloren. Sie müssen auch in der Lage sein, große Themen den Menschen zu erklären – und dazu müssen sie eigentlich täglich in der Lage sein. Unser Prinzip ist, dass wir im Print versuchen, und da sind wir auf einem guten Weg, bis Ende des Jahres weniger als zehn Prozent Agenturtexte zu haben.

Wenn Radio und Fernsehen für Themen eine sogenannte Trailerfunktion wahrnehmen, spie-gelt sich der Nutzerwunsch nach Orientierung auch in anderen von Ihnen bespielten Kanälen wie dem Online-Kanal wider (Interviewfrage 25)? Nein. Online ist viel stärker auf Aktualität, schnelle Information ausgerichtet. Bewusst machen wir das online nicht.

Leser und Nutzer erwarten bei überregionalen Ereignisthemen insbesondere mit Bezug zur ei-genen Lebenswelt das sogenannte „Herunterbrechen der Themen“ – das heißt, der Bezug zur Lebenswelt muss verdeutlicht werden. Tragen Sie diesem Ansinnen Rechnung? Wenn ja: Wie? Und mit welchen Angeboten in welchem Kanal (Interviewfrage 26)? Das machen wir in beiden Kanälen.

Bei Themen insbesondere aus dem Unterhaltungs- und Boulevardbereich sind die Leser und Nutzer der Auffassung, dass die Berichterstattung keinen zu großen Raum einnehmen sollte – und zwar weder in Print, noch in Online. Wie beurteilen Sie das? Wie wichtig ist dieses The-menfeld in Ihren Print- und Online-Angeboten (Interviewfrage 27)? Lügen. Die Nutzer lügen. Ganz klar, man sieht das sowohl an den Online-Klicks als auch mit an-deren Methoden. Natürlich lesen die Leser das. Trotzdem haben wir zum Beispiel für uns ent-schieden, dass wir das, was man bei uns Vermischtes nennt, eigentlich nur noch täglich mit einer halben bis einer Seite im Blatt haben, ganz bewusst. Aber das ist dann auch richtig vermischt. Das ist so ähnlich wie mit den Umfragen, wenn sie fragen, wie oft haben sie Sex, da sagt auch keiner einmal im Monat, sondern jeder sagt, ja klar, vier Mal die Woche. Und so ähnlich ist das mit „Le-sen Sie das mit Kronprinzessin Viktoria?“. Ich würde auch nie zugeben, dass ich das mache, aber natürlich habe ich den ganzen Tag vor dem Fernseher gesessen und mir das angeguckt.

Die Befragten nehmen den Online-Kanal bei den Portalen regionaler Medienhäuser als aktuel-len Nachrichtenkanal für lokale und regionale Ereignisse wahr – als überregionaler Nachrich-tenkanal spielt er dagegen keine Rolle. Wie beurteilen Sie das? Bieten Sie dennoch das gesamte Themenspektrum (Interviewfrage 28)? Wir haben natürlich das gesamte Spektrum, aber genau mit dem absoluten Schwerpunkt auf regi-onal und lokal. Einfach deswegen, weil wir ja auch ehrlich sein müssen und sagen, das, was Spie-

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gel Online leistet, können wir nicht leisten. Man muss sich einfach nur an dem orientieren, der auf gleicher Augenhöhe ist, was die Kosten anbelangt. Die einen kosten nichts, und die anderen kos-ten nichts. Wer da hin geht und sich über bestimmte Themen informiert, der wird nicht zu uns kommen. Er wird nur zu uns kommen, wenn wir im Regionalen und im Lokalen die Ersten sind. Wir werden auch manchmal eine Exklusivgeschichte haben, da haben wir einen Riesenpeak auf unserer Seite. Aber grundsätzlich muss unsere Stärke das Regionale und das Lokale sein. Überre-gional bilden wir nur das Grundrauschen ab. Es ist eine Frage der Vollständigkeit, und weil wir den Inhalt hier ja auch über die Korrespondenten haben. Über Inhalt müssen wir nicht klagen, aber das spielt bei uns wirklich eher in der zweiten bis dritten Reihe.

Die Online-Angebote der regionalen Medienhäuser haben aus Sicht der Nutzer eine Komple-mentärfunktion: Die Nutzer wünschen sich weiterführende Informationen, Archive mit Such-funktionen und Linksammlungen – also Hinweise auf weitere Informationen im Netz. Diese Erwartung bezieht sich auf regionale und lokale sowie auf überregionale Themen. Wie beurtei-len Sie das? Spiegelt sich dieser Wunsch in der Ausrichtung Ihres Online-Kanals wider (Inter-viewfrage 29)? Wir haben natürlich schon eine Archivfunktion innerhalb der Online-Seite, und werden diese Ar-chivfunktion auch noch weiter ausbauen – und zwar durch unsere Archive, die wir digital haben, was bei Videos natürlich sowieso der Fall ist. Ich glaube, Audios sind nicht so der richtige Brin-ger. Alle behaupten das immer, aber wenn ich mir die Klickzahl von Audiogeschichten anschaue, bin ich ehrlich gesagt immer ziemlich enttäuscht. Man muss natürlich die Möglichkeit haben, ein-fach schnell etwas suchen zu können, und diese Suchfunktion gibt es bei uns auch. Grundsätzlich muss natürlich auch ein Portal aufgebaut werden: Zum Beispiel man sucht ein gutes Restaurant, und man kriegt gleich die Kritik dazu, und man kriegt gleich die Karte dazu, auf der das Restau-rant verzeichnet ist, und ein Video, mit dem man einen Blick in die Küche hat. Aber das ist bei uns noch im Aufbau. Andere haben das ja schon. Und wenn wir klug gewesen wären und wenn bestimmte Kollegen nicht gesagt hätten, das Internet würde wieder verschwinden, dann hätten wir das auch alles schon. Da müssen wir jetzt eben nacharbeiten.

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Page 179: Online first versus Money first - Leipzig School of Media · 2020-03-05 · Das Zauberwort heißt Crossmedia, doch es ist bislang kaum mehr als ein Etikett. Das Ziel ist klar: Das

Ich versichere hiermit gemäß § 18 Absatz 7 der Prüfungsordnung für den Studiengang New Me-

dia Journalism mit dem Abschluss Master of Arts der Leipzig School of Media an Eides statt, dass

ich die vorstehende Master Thesis „Online first versus Money first. Crossmedia-Strategien regio-

naler Medienhäuser“ selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und

Hilfsmittel benutzt habe. Entlehnungen sind unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht.

Ravensburg, 15. Oktober 2010

Benjamin Wagener