36
DEZEMBER 2018 | NR. 168 | GÖNNER-MAGAZIN PARAPLEGIE Dauerschmerz Eine Krankheit mit vielen Ursachen SCHWERPUNKT BEGEGNUNG Mit Michael Knöpfle in der Miniaturwelt 20 SPENDENNACHWEIS Höchste Präzision im Operationssaal 27 RATGEBER Mit Schmerzen umgehen lernen 18

PARAPLEGIE · MAGAZIN DER GÖNNER-VEREINIGUNG DER SCHWEIZER PARAPLEGIKER-STIFTUNG Paraplegie, Dezember 2018 3 Mit der Pensionierung ändert sich Ihre finanzielle Situa-

  • Upload
    others

  • View
    6

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

D E Z E M B E R 2 0 1 8 | N R . 1 6 8 | G Ö N N E R - M A G A Z I N

PARAPLEGIE

Dauerschmerz Eine Krankheit mit vielen Ursachen

SCHWERPUNKT

BEGEGNUNGMit Michael Knöpfle in der Miniaturwelt

20 SPENDENNACHWEISHöchste Präzision im Operationssaal

27RATGEBERMit Schmerzen umgehen lernen

18

Mit der Pensionierung ändert sich Ihre finanzielle Situa-tion grundlegend. Was Sie heute entscheiden, bestimmt Ihren Lebensstandard für viele Jahre. Eine unabhängige Beratung beim VZ VermögensZentrum zahlt sich aus. Überzeugen Sie sich selbst: Das erste Gespräch ist für Sie kostenlos und verpflichtet Sie zu nichts.

Aarau I Affoltern a. A. I Baden I Basel I Bern I Chur I Fribourg Genève I Horgen I Kreuzlingen I Lausanne I Lenzburg I Liestal I Luzern

Meilen I Neuchâtel I Rapperswil I Rheinfelden I Schaffhausen I Solothurn St. Gallen I Sursee I Thun I Uster I Winterthur I Zug I Zürich

www.vermoegenszentrum.ch

Pensionierung:

Jetzt bestellen:

«Checkliste

Pensionierung planen»

vzch.com/merkblatt

� AHV Wie hoch ist mein Anspruch?

� Pensionskasse Rente, Kapital, Kombination?

� Nachlass Wie sichere ich meine Familie ab?

20170223_VZ_Inserat_paraplegiker_210x282mm_4c_def.indd 1 26.01.18 13:36:50

M A G A Z I N D E R G Ö N N E R - V E R E I N I G U N G D E R S C H W E I Z E R P A R A P L E G I K E R - S T I F T U N G

Paraplegie, Dezember 2018 3

Mit der Pensionierung ändert sich Ihre finanzielle Situa-tion grundlegend. Was Sie heute entscheiden, bestimmt Ihren Lebensstandard für viele Jahre. Eine unabhängige Beratung beim VZ VermögensZentrum zahlt sich aus. Überzeugen Sie sich selbst: Das erste Gespräch ist für Sie kostenlos und verpflichtet Sie zu nichts.

Aarau I Affoltern a. A. I Baden I Basel I Bern I Chur I Fribourg Genève I Horgen I Kreuzlingen I Lausanne I Lenzburg I Liestal I Luzern

Meilen I Neuchâtel I Rapperswil I Rheinfelden I Schaffhausen I Solothurn St. Gallen I Sursee I Thun I Uster I Winterthur I Zug I Zürich

www.vermoegenszentrum.ch

Pensionierung:

Jetzt bestellen:

«Checkliste

Pensionierung planen»

vzch.com/merkblatt

� AHV Wie hoch ist mein Anspruch?

� Pensionskasse Rente, Kapital, Kombination?

� Nachlass Wie sichere ich meine Familie ab?

20170223_VZ_Inserat_paraplegiker_210x282mm_4c_def.indd 1 26.01.18 13:36:50

Liebe Gönnerinnen und Gönner Schwerpunkt

Kompetenz

6 20

Diese Ausgabe von «Paraplegie» ist dem Thema Dauer schmerz

gewidmet. Für viele Menschen mit einer Querschnitt lähmung

sind Schmerzen ein zentrales Problem. Doch dieses Leiden

ist für Dritte nicht unmittelbar wahrnehmbar, daher fehlt es

in unserer Gesellschaft oft am Verständnis.

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil legte von

Anfang an grossen Wert auf die Behandlung von Schmerzen.

So wurde unter Guido A. Zäch das Zentrum für Schmerz-

mediz in Nottwil aufgebaut, dessen ambulantes Angebot

auch Menschen ohne Querschnittlähmung offen steht. Diese

breite Nutzung der Klinik macht nicht nur aus versorgungs-

politischer Sicht Sinn, die höheren Fallzahlen sind auch für

eine Spitzenpositionierung des medizinischen Fachwissens

in Nottwil zwingend erforderlich, wovon letztlich beide Pati-

entengruppen profitieren.

Klar ist, dass der Fokus in Nottwil auf der Behandlung von

Menschen mit Querschnittlähmung und mit querschnitt-

ähnlichen Syndromen bleibt – sowohl bei der Ausrichtung

des Angebots wie bei der Priorisierung der Behandlungen.

Dieser Grundsatz gilt für das gesamte ambulante und stati-

onäre Angebot der Klinik. Aktuelle Rückmeldungen zeigen,

dass dies ein sensibler Aspekt ist, dem wir künftig noch mehr

Beachtung schenken müssen.

Im Vordergrund stehen somit nicht wirtschaftliche Über-

legungen, sondern die erstklassige medizinische Versorgung

der querschnittgelähmten Patienten. Dies sicherzustellen ist

Aufgabe der Schweizer Paraplegiker-Stiftung als Trägerin der

Klinik. Dank Ihrer treuen Unterstützung, liebe Gönnerinnen

und Gönner, kann sie diese Aufgabe wahrnehmen.

Herzlich,

Dr. iur. Joseph Hofstetter

Direktor Schweizer Paraplegiker-Stiftung

6 SCHMER ZBEWÄLTIGUNG Chronischer Schmerz ist eine eigene Krankheit. Das Zentrum für Schmerz-medizin Nottwil bietet die international erfolgreichsten Diagnose- und Behandlungsmethoden.

12 VIRTUAL WALK Mit einem wegweisenden Thera-pieansatz wollen die Schmerzspezialisten in Nottwil das Gehirn überlisten.

14 SCHMER ZMEDIZ IN Für den Leiter des Schmerz- zentrums sind chronische Schmerzen kein unentrinnbares Schicksal mehr.

17 SE ITENBLICK Nicht nur für die Betroffenen sind Dauerschmerzen eine Herausforderung, auch Angehö-rige leiden. Wie die Familie Bolliger.

18 R ATGEBER Mit Schmerzen umgehen lernen: Fach- experten des Zentrums für Schmerzmedizin haben für Sie wichtige Tipps zusammengestellt.

20 BEGEGNUNG Michael Knöpfle war immer schon ein Chrampfer. Seinen neuen Job nennt der 57-jährige Rollstuhlfahrer aus Schaffhausen einen Volltreffer.

27 SPENDENNACHWEIS Das Schweizer Paraplegiker- Zentrum operiert Rückenpatienten mit modernster Medi-zintechnologie. Spenden machten die Investition möglich.

32 MITGLIEDSCHAF T Das Service Center kümmert sich um die Anliegen von 1,8 Millionen Mitgliedern. Anrufe und E-Mails sind willkommen.

4 C AMPUS NOT T WIL

31 DANKE

34 AUSBLICK

C A M P U S N O T T W I L

4 Paraplegie, Dezember 2018

Der Spezialist für Rehabilitationstechnik und -hilfsmittel: orthotec.ch

Angebot und Newsletter auf parahelp.ch

Werkstatt mit RollstuhlausstellungZwei Jahre musste sich die Abteilung Rehabilitationstechnikwährend den Klinikerneuerungsarbeiten gedulden und die Zeit in einem Provisorium überbrücken. Im September 2018 war es so weit: Die zehn Rollstuhlmechaniker der Orthotec nahmen den Betrieb in der neuen Rollstuhlwerkstatt auf. Sie ist ausgestattet mit einer Biegemaschine für das präzise Anpassen von Rollstuhl-rahmen und bietet Platz für eine grosse Rollstuhlausstellung. Die Mechaniker führen jährlich über sechshundert kundenspezifische Anpassungen aus an manuellen, Elektro- und Sport-Rollstühlen für Para- und Tetraplegiker.

Für den Alltag stärkenParaHelp berät Menschen mit Querschnittlähmung, ihre betreu-enden Fachpersonen und Angehörige zu Hause. In der Schweiz einzigartig ist die Anleitung und Beratung betroffener Kinder und ihrer Eltern durch ParaHelp. Unter bedarfsgerechter Anleitung lernen die Kinder, den Alltag möglichst selbstständig zu bewäl-tigen. Wenn der Wechsel von der Kinder- in die Erwachsenen-medizin ansteht, unterstützt ParaHelp die Jugendlichen in der mehrjährigen Übergangsphase.

Marathonjahr 2018:Siegesserie fortgesetztMit fünf Minuten Vorsprung siegte Manuela Schär am Berlin Marathon im Septem- ber und knackte mit der Bestzeit von 01:36:53 die Weltrekord-Marke. Im Oktober feierte die 33-jäh-rige Krienserin (LU) auch ihren ersten Triumph am Chicago Marathon. Sie absolvierte das Rennen um über eine Minute schneller als ihre Kontrahentinnen. Ein weiterer Erfolg gelang der Spitzenathlethin am New York Marathon im November, wo sie ihren Vor- jahrestitel verteidigte.

Der Film, alle Soundtracks und die aktuellen Job- angebote auf paraplegie.ch / karriere

Filmprojekt für Personalsuche

Aufgrund seiner Klinikerwei-terung sucht das Schweizer Paraplegiker-Zentrum bis ins Jahr 2020 insgesamt hundert zusätzliche medizinische Fach-kräfte. Um neue Mitarbeitende vom Standort Nottwil zu begeistern, hat die Personal-abteilung einen unkonventio-nellen Akquise-Film produziert und dazu einen Musikwettbe-werb ausgeschrieben. ImSommer 2018 bewertete eine unabhängige Jury 34 Sound-tracks, wobei Daniel Gloor mit seiner Musik besonders über-zeugte. Er gewinnt das von Aregger AG (Buttisholz LU) gespendete Preisgeld von 3000 Franken. Personalleiter Andy Korner (rechts) gratuliert dem Musiker zum Sieg: «Was Daniel Gloor und alle anderen Musiker komponiert, produziert und vertont haben, ist fantas-tisch. Eine grossartige Geste für den Campus Nottwil.»

Hochschulwürdige EntwicklungDie Schweizer Paraplegiker- Gruppe (SPG) hat sich mit ihrem Bildungsprogramm zur Führungsentwicklung als Kooperationspartner der Hoch- schule Luzern qualifiziert: Ab 2019 können Führungskräfte das intern erworbene «Füh-rungsZertifikat SPG» an das «CAS Leadership DUAL» der Hochschule Luzern anrechnen lassen. «Das bedeutet nicht nur ein exklusives Bildungs-angebot für unsere Mitarbei-tenden, sondern ist auch Aner- kennung für die nahrhafte Aufbauarbeit der letzten Jahre», sagt Marcel Unterasinger, Verantwortlicher Personalent-wicklung. Gruppenweit haben rund 200 Mitarbeitende eine leitende Funktion inne.

C A M P U S N O T T W I L

Paraplegie, Dezember 2018 5

Kurzfilm zur Tetrahand-Chirurgie: paraplegie.ch / tetrahand

spv.ch /sensibilisierung

In Nottwil auf aktuellem Stand Dreihundert renommierte Fachexperten haben sich im August 2018 am Tetrahand-Weltkongress und am Jahreskongress der Internationalen Gesellschaft für Funktionelle Elektrostimulation (IFESS) auf den aktuellen Stand der Forschung gebracht. Spitzen-mediziner Jan Fridén vom Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) leitete den Tetrahand-Kongress. Er ist der Erfinder einer ausge- klügelten Operationstechnik, die Tetraplegikern erlaubt, wieder rudimentäre Greiffunktionen auszuführen. Ines Bersch-Porada ist Leiterin des Zentrums Funktionelle Elektrostimulation am SPZ und führte durch den zweiten Kongress. Funktionelle Elektro-stimulation ist eine Therapiemethode, um gelähmte Muskeln zu aktivieren.

für rund 2000 Teilnehmende führt die SchweizerParaplegiker-Vereinigung jährlich durch. Vermittelt werden Informationen und Erfahrungen zum Thema Querschnittlähmung.

110Sensibilisierungskurse

Lesung mit Gianna MolinariDie junge Autorin Gianna Molinari liest aus ihrem Roman «Hier ist noch alles möglich». Ein vielversprechender Titel. Das Buch wurde nominiert für den Deutschen und den Schweizer Buchpreis 2018. Die öffentliche Lesung findet am Mittwoch, 13. März 2019 um 19.30 Uhr in der Bibliothek des Guido A. Zäch Instituts statt.

Anmeldung: nicht erfor-derlich, Eintritt: Kollekte, Auskunft: T +41 41 939 57 78

Chr

isto

ph O

esch

ger

Gut beraten für barrierefreies Reisen Die Schliessung des bedienten Bahnhofs in Nottwil war ent-schieden. Dann konntenVertreter des Schweizer Para-plegiker-Zentrums und der Gemeinde Nottwil die SBB von einer Alternative überzeugen: Bis Ende 2020 darf ein neues «Beratungscenter Handicap» den Schalterservice im Bahnhof weiter anbieten und in enger Zusammenarbeit mit den SBB eine schweizweite Reisebera-tung für Menschen mit einge-schränkter Mobilität aufbauen. Bewährt sich das Angebot, könnte die Dienstleistung in den Leistungskatalog der Schweizer Paraplegiker-Gruppe übergehen.

Reiseberatung T +41 41 937 12 01 E-Mail [email protected]

RekordverdächtigSechzehn Disziplinen aus vier-zehn Sportarten werden den TV-Sendern zur Berichterstat-tung der Paralympischen Spiele in Tokio 2020 angeboten. Das gab das Internationale Paralympische Komitee (IPC) im September 2018 bekannt. Noch nie wurden so viele Sport- arten an den Paralympics übertragen. Die Berichterstat-tung stiess bereits bei den Paralympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro auf grosses Interesse: 4,1 Milliarden Men-schen in 154 Ländern verfolgten die Spiele live am TV.

Mic

hael

Fun

d

Hohe Mitarbeiter- zufriedenheit in NottwilIm September 2018 wurden zum 18. Mal die besten Arbeitgeber mit dem Swiss Arbeitgeber Award aus-gezeichnet. Über 46 000 Mitarbeitende aus 140 Unter-nehmen haben dafür ihre Arbeitssituation und ihr Arbeitsumfeld bewertet. Die Schweizer Paraplegiker- Gruppe (SPG) belegte den hervorragenden vierten Rang in der Kategorie «Grossunternehmen» (über 1000 Mitarbeitende). Simone Leib, Verantwortliche HR-Administration SPG, und Hans Peter Gmünder, Direktor Schweizer Paraplegiker-Zentrum, nahmen das Diplom im Zentrum Paul Klee in Bern entgegen.

Chronischer Schmerz ist eine eigene Krankheit: ein komplexes Zusammenspiel von körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren. Am Zentrum für Schmerzmedizin Nottwil profitieren die Schmerzpatienten von den international erfolgreichsten Diagnose- und Behandlungsmethoden.

Zentrum für Schmerzmedizin Nottwil Wenn Pillen nicht helfen

D A U E R S C H M E R Z

8 Paraplegie, Dezember 2018

Wir können nicht wahrnehmen, ob das Gegen-über im Zugsabteil Schmerzen hat. Und doch sind sie da. Unsichtbar, hartnäckig, bedrohlich. In der Schweiz leiden sechzehn Prozent der Bevölke-rung an chronischen Schmerzen, jedes Jahr sum-mieren sich deren volkswirtschaftliche Kosten auf etliche Milliarden Franken. Das macht Schmerz zu einer der teuersten Krankheiten im Land.

Schmerz kann aber auch lebensnotwendig sein. In der Entwicklung von Kindern ist er ein Lehrmeister, der ihnen beibringt, dass die Herd-platte brennt oder zerbrochenes Glas schnei-det. Der akute Schmerz, der mit solchen Lerner-fahrungen einhergeht, bleibt auch im späteren Leben ein wichtiges Warnsignal. Er zeigt an, dass etwas im Körper nicht mehr stimmt, und warnt vor Unfällen, Verletzungen oder Krankheiten.

Schmerz als DauerzustandGanz anders ist es, wenn der akute Schmerz nicht mehr weggeht, sondern zum chronischen Dauer-zu stand wird. Ursachen und Ausprägungen die- ser Art von Schmerz sind so zahlreich, dass jeder Fall einzigartig ist. Deshalb ist eine Heilung so schwierig.

Wie bei Pascal Wütschert (45), der ein Unter-nehmen für die Wartung und Reparatur von Die-selmotoren führt. Nach einem Autounfall vor drei Jahren wurden seine Nackenprobleme derart belastend, dass er die Arbeit in seiner Firma neu ausrichten musste. Erste Behandlungen blieben ohne Wirkung, man riet zur Operation. Schliess-

lich meldete er sich beim Zentrum für Schmerz-medizin Nottwil (ZSM). Heute hat er gelernt, mit zwei stark degenerierten Halswirbeln zu leben, aber der Weg dorthin war nicht leicht. Pascal Wütschert musste sich eingestehen, nicht mehr topfit zu sein, und hat seine ganze Lebensorga-nisation an sein Leiden angepasst.

Eva Wyss (63) leidet seit fast vierzig Jahren unter Schmerzen als Folge ihrer Querschnitt-lähmung bei einem Reitunfall. Die Arbeit als Chefarzt-Sekretärin musste sie nach acht Jah-ren schliesslich aufgeben. Sie bildete sich weiter und gründete eine Schule für Farbtherapie. Trotz mehreren Operationen wurden ihre Schmer-zen mit der Zeit so schlimm, dass sie auch die-sen Lebenstraum aufgeben musste. Ihren Alltag prägt eine zehnstufige Schmerzskala. «Wenn der Wert bei sechs bleibt, bin ich froh», sagt Eva Wyss. Sie ist nach Nottwil gezogen, um kurze Wege ans ZSM zu haben. Früher musste sie bei Schmerzattacken schon am Bahnhof Luzern um- kehren und auf ihre Therapie verzichten.

Die Krankheit anerkennenIn der Regel dauert es einige Wochen bis Monate, bis aus den akuten Schmerzen, die einem bestimmten Ereignis zugeordnet werden können, chronische Schmerzen werden. Der Hei-lungsprozess der ursprünglichen Verletzung oder Krankheit ist zu diesem Zeitpunkt bereits abge-schlossen, aber aus irgendeinem Grund senden die Rezeptoren und Schaltstellen im Nervensystem

66%

16%

aller Schmerzpatienten leiden unter Depressionen

der Schweizer Bevöl- kerung haben chronische Schmerzen

Pascal Wütschert vor Ort bei einem seiner Kunden.

Paraplegie, Dezember 2018 9

weiterhin Schmerzsignale ans Gehirn. Der Körper behält seinen Schmerz.

Der erste Schritt auf dem Weg der Bewälti-gung ist zu akzeptieren, dass ein chronischer Schmerz eine eigenständige Krankheit ist. Sie betrifft den Menschen insgesamt und beeinträch-tigt alle Lebensbereiche, nicht nur körperliche Funk tionen oder Aktivitäten. Eine Schmerzerkran- kung drückt auf die Stimmung, stört das Familien- und Sozialleben und hat Einfluss auf den Arbeits-platz. Die Schmerzsituation besteht aus einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Fak-toren. Es ist ein ganzes Knäuel an Ursachen und Rückkoppelungen, das man nicht einfach mit einer Pille oder mit einer einzelnen Behandlungs-methode wieder auflösen kann.

Interdisziplinärer Ansatz1998 gründete Guido A. Zäch am Schweizer Para-plegiker-Zentrum das Zentrum für Schmerzme-dizin Nottwil. Mit seinem interdisziplinären und multimodalen Ansatz zählt es zu den führenden Schmerzinstitutionen Europas. Schmerzexperten aus elf verschiedenen Fachdisziplinen arbeiten als Team zusammen, um für jeden Patienten ein massgeschneidertes Therapiekonzept zu entwi-ckeln. «Jedes Fachgebiet sieht nur ein Tortenstück vom Ganzen», sagt der Leiter des ZSM, André Ljutow, «aber das Schmerzproblem muss man an vielen Stellen gleichzeitig angehen.»

Deshalb sitzen alle Disziplinen gleichbe-rechtigt am Tisch. Alle verfolgen den gleichen

Ansatz, bringen ihre Stärken ein und entscheiden gemeinsam. Auf der Grundlage des bio-psycho- sozialen Schmerzmodells kombiniert Ljutows Team die verschiedenen Fachperspektiven zu einer Gesamtsicht. Es nutzt dabei sowohl etablierte wie zukunftsweisende Diagnose- und Behand-lungsmethoden. So wurde das ZSM bereits in mehreren Bereichen zum wegweisenden Pionier für die Schmerzbehandlung in der Schweiz.

Enorme TherapiemöglichkeitenDie meisten Patienten, die ans ZSM kommen, lei-den bereits seit vielen Jahren unter chronischen Schmerzen. Je nach Ausprägung und Schmerz-typ wird das Behandlungsteam anders ausge-richtet. Wird zum Beispiel ein Nervenschaden festgestellt, übernehmen die Neurologen den Lead. Doch von Anfang an ziehen sie auch Phy-siotherapeuten, Psychologen und weitere Spezi-alisten hinzu.

Ein Nerv ist wie ein Elektrokabel: Wird er gequetscht oder instabil, sind Entladungen mög-lich. So können etwa nach einem Bandscheiben-vorfall kleine Veränderungen an den Nerven zurückbleiben, die elektrisch reagieren. «Das spürt man als dauerhaftes Brennen», erklärt Neurolo ge Gunther Landmann. «Manche Patienten haben dann alle paar Minuten einschiessende Schmer-zen, weil plötzlich eine elektrische Entladung auftritt.» Lassen sich diese Schmerzen einem bestimmten Nerv oder einer Nervengruppe zuord- nen, kann eine lokale Neuromodulation erfolgen

Teufelskreis der SchmerzenSchmerz ist mit negativen Gefühlen wie Angst, Wut und Sorge verbunden. Diese motivieren uns, etwas gegen ihn zu unternehmen – Schonung, Verzicht auf Bewegung, Ruhe. Dauert der Schmerz an, verfestigt sich das inaktive Verhalten, die negativen Gefühle werden häufiger, eine schlechte Stimmung verstärkt die Schmerzwahrnehmung. Es entsteht ein Teufelskreis. (Quelle: Schweizer Paraplegiker-Forschung)

1. Muskuläre ProblemePhysische und psychische Belastungen oder Fehlhaltungen bei der Arbeit lösen Verspan-nungen und Durchblutungsstörungen aus.

2. Erste SchmerzenErste Schmerzen haben Auswirkungen auf Psyche und Wohlbefinden. Es sind Stresszeichen.

3. Ausgeprägter SchmerzStarke Schmerzen quälen bei alltäg- lichen Aufgaben. Sie führen zu erheblichen psychischen und physischen Belastungen.

4. Chronischer SchmerzChronische Schmerzen schränken den Bewegungsapparat ein. Es folgt Muskel-schwund, die Lebensqualität sinkt.

5. SchlafentzugZunehmende Schmerzzustände

verursachen Schlafmangel. Dem Körper fehlen Regenerationszeiten.

6. FehlhaltungenUm Schmerzen zu vermeiden, nimmt

der Körper bedrohliche Fehlhaltungen ein. Gelenke und Muskulatur werden

überbeansprucht.

7. Soziale AuswirkungenDie Einschränkungen bedrohen das soziale Miteinander. Ausfälle durch Krankheit kön-nen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen.

Komplexes «Stromkabel» Grafische Darstellung eines Nervs

Binde- und Fettgewebe

Blutgefässe

Hülle aus Bindegewebe

Bündel von Nervenfasern

marklose Nervenfaser

markhaltige Nervenfaser

10 Paraplegie, Dezember 2018

«Interdisziplinäre Therapien sind einfach erfolgreicher»Prof. Dr. Burkhard Gustorff, Wien

Was sollte ein Schmerzkranker als Erstes machen?Er sollte nicht verzweifelt von einem Arzt zum nächsten rennen, sondern sich an einem spezialisierten Zentrum interdiszi-plinär beraten lassen. Die erste Frage sollte lauten: «Was sind meine Diagnosen?» – und zwar im Plural! Die zweite Frage ist: «Was kann ich selber zur Beherrschung meiner Schmerzen beitragen?» Die meisten Patienten stellen sich dieser Herausfor-derung nicht. Aber eine Schmerztherapie bedeutet auch, Menschen wieder aufzu-bauen, deren Aktivitäten eingeschränkt sind und deren Selbstwertgefühl gelitten hat.

Schmerzlosigkeit ist also kein Behandlungsziel?Bei chronischen Schmerzen geht es um das Akzeptieren eines mittelfristig bis dauer-haft schlechteren Gesundheitszustands. Der Fokus auf Schmerzfreiheit steht nicht im Vordergrund. Es geht vielmehr um die Frage: Was können die Patienten trotz Schmerzen noch tun? Welche Funktionen sind für ihren Alltag wichtig?

Ihre Institution arbeitet eng mit Nottwil zusammen.Schon meinen ersten Lehrgang besuchten Teilnehmer aus Nottwil. Mit der Zeit ist ein Netzwerk von Schmerzspezialisten ent-standen, die sich untereinander eng aus-tauschen. Mitarbeitende des Schmerzzen-trums kommen nicht nur zur Fortbildung nach Wien, sie nehmen auch Forschungs-projekte mit, die sie in der Schweiz weiter-verfolgen.

Welches sind Ihre aktuellen For-schungsthemen?Mich beschäftigt weiterhin die Frage, ob man chronisch-körperliche Schmerzen mit hochdosierten Opioiden beseitigen kann.Ein Thema für die kommenden Jahre sind die genetischen Faktoren für das Schmerz-empfinden und die Schmerzverarbeitung.

Burkhard Gustorff, weshalb benö-tigen chronische Schmerzen eine interdisziplinäre Behandlung? In dieser Patientengruppe erfordert die Vielfalt an Einzeldiagnosen ebenso vielfäl-tige Behandlungen. Da sind interdiszipli-näre Therapieansätze einfach erfolgreicher, weil sie unterschiedliche Wirkweisen am Patienten zusammenführen. Mit nur einer Disziplin wird man dieser Vielfalt nicht gerecht. Das ist wie bei einem Mosaikbild, das auseinandergefallen ist: Es müssen vie-le kleine Steine wieder zusammengesetzt und in eine Ordnung gebracht werden. Die Zusammenarbeit geschieht aber nicht nur interdisziplinär zwischen den ärztlichen Disziplinen, sondern auch interprofessio-nell mit anderen Berufsgruppen. Das multi-modale Behandlungskonzept in Nottwil gilt daher als ein Leuchtturm in Europa.

Gab es bei der Etablierung Ihres Studiengangs Widerstände? Widerstände sind nicht nur in der Fachwelt weit verbreitet. Auch die Patienten möch-ten am liebsten nur eine einzelne Mass-nahme zur Schmerzbefreiung. Bei aku-ten Schmerzen ist das durchaus legitim: Ein Arthroseschmerz wird monodiagnos-tisch und monotherapeutisch behandelt. Wenn aber chronische Schmerzen vorlie-gen, entstehen bereits bei den Diagno-sen Missverständnisse. Ängste und Bewe-gungseinschränkungen sind wirksam, das soziale Umfeld wird kleiner – diese Viel-falt an Aspekten müssen wir mit verschie-denen Ansätzen gleichzeitig untersuchen und behandeln. Eine Einzelursache hat da wenig Bedeutung. Das ist eine Hauptquelle für die Vorurteile: Die Gegner des Ansatzes wenden ihr Konzept für akute Schmerzen auf chronische Schmerzen an.

Prof. Dr. Burkhard Gustorff leitet den ersten Studiengang für Interdisziplinäre Schmerzmedizin (ISMED) in Europa und geniesst weltweit eine hohe Reputation.

gustorff.at

oder ein Neurostimulator in den Rückenmark-kanal implantiert werden, dessen Stromimpulse den Schmerz überdecken. In andern Fällen wer-den Facettengelenke und Nervenwurzeln blo-ckiert oder Medikamente unter Röntgenkontrolle direkt an die Stellen gespritzt, wo sie die elektri-sche Aktivität dämpfen.

Solche Interventionen sind nur ein Puzzleteil in der multimodalen Therapie. In der Regel wird der Bandscheibenpatient dadurch nicht schmerz-frei. Aber die Interventionen ersparen ihm oft-mals eine Operation, senken seinen Schmerz auf ein tieferes Niveau oder stoppen ihn für einige Monate. So ist es dem Patienten möglich, die Physiotherapie intensiv zu nutzen, die sich akti-vierend um den Muskelaufbau und seine Rumpf-stabilität kümmert, wodurch Schmerzquellen beseitigt werden können. Parallel dazu sind psy-chotherapeutische Methoden ein ebenso wichti-ger Baustein der multimodalen Therapie. Positive Effekte wie eine verbesserte Konzentrations-fähigkeit oder ein guter Schlaf beeinflussen zu- sätz lich die psychologischen Schmerzfaktoren.

«Wir kümmern uns darum, dass der Patient seine Körperfunktionen im Alltag verbessern kann, statt sich nur zu schonen», sagt Schmerzphysio-therapeutin Karina Böttger. «Bewegung ist eigent - lich die beste Medizin gegen Schmerz, Stress und Stimmungsschwankungen.» Allerdings kön-nen ungewohnt ausgeführte Bewegungen neue Schmerzen verursachen und Ängste auslösen. Deshalb haben die Physiotherapeuten und Psy-chologen des ZSM ein gemeinsames Programm

D A U E R S C H M E R Z

Paraplegie, Dezember 2018 11

entwickelt, um Betroffenen in konkreten Alltags-situationen wieder Vertrauen in ihren Körper zu vermitteln und die Angst vor Bewegungen zu überwinden. Das Programm unterstützt die Pati-enten darin, ihr Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen.

Das Leben neu ausrichtenAuf ihrer täglichen Berg- und Talfahrt hat Schmerz patientin Eva Wyss gelernt, ihr Leben neu auszurichten: «Früher plante ich drei Jahre im Voraus oder flüchtete nach einem Schicksals-schlag in die Vergangenheit. Heute lebe ich in der Gegenwart und akzeptiere die Situation, so wie sie ist.» Sie muss sich nicht mehr beweisen, was sie trotz der Schmerzen alles noch bewältigen kann, sondern anerkennt ihre Belastungsgrenzen und freut sich an den vielen kleinen Dingen in ihrem Umfeld, von denen sie sich getragen fühlt. Wenn der Schmerz es zulässt, versucht sie, mög-lichst aktiv zu sein. «Man soll den Schmerz nicht zum alles bestimmenden Thema werden lassen, sondern über andere Dinge reden», sagt die Roll-stuhlfahrerin. Ihr kleiner Hund hilft ihr, sich regel-mässig zu bewegen.

«Man muss es selber machen», lautet auch der Tipp von Fussgängerpatient Pascal Wütschert, «und nicht auf einen Doktor oder eine Pille war-ten, die einem alles abnehmen.» Bei ihm selber habe es Klick gemacht als er bei den Abklärungen am ZSM anhand einer Bio-Feedback-Behand-lung visualisiert bekommen hat, auf welche Bewegungen sein Körper mit welchem Schmerz

reagiert. So konnte er zusätzlich zur Elektrothera-pie gezielte Verhaltensänderungen in seinen All-tag einbauen. «Die grösste Hürde ist sicher das Akzeptieren der Situation», sagt Pascal Wütschert. Er hat seine körperliche Belastung in der Firma an seinen Gesundheitszustand angepasst und plant den Arbeitstag anders, wenn er abends etwas unternehmen möchte. Doch Wütschert kann morgens fit sein und am Nachmittag ist alles wieder anders. Am ZSM hat er gelernt, mit solchen Situationen umzugehen und sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren, die er noch machen kann. «Man muss sein eigenes Leben so gestalten, dass es wieder passt», sagt er. «Sonst kommt man nie aus dem Schmerz heraus.»

Obwohl bereits sehr viele Mechanismen der komplexen Krankheit bekannt sind, bleibt weiter - hin unklar, weshalb sich ein Patient positiv und ein anderer gar nicht entwickelt. Sind wir also chro-nischen Schmerzen einfach ausgeliefert? Nein. Ein Grossteil der Schmerzpatienten des ZSM lernt, ohne zu verzweifeln mit der schwierigen Situation umzugehen. Sie kennen die Zusammen-hänge in ihrem Körper und können trotz chroni-scher Schmerzen ein gutes Leben führen.

Wichtig ist, dass man sich als Betroffener realistische Ziele setzt. Am Ende geht es nicht um Schmerzfreiheit oder die Schmerzstärke auf einer Skala von null bis zehn. Der Erfolg einer Schmerztherapie misst sich in der neu gewon-nenen Lebensqualität. Es ist das Wiedererlangen der eigenen Aktivität – der Wiedereinstieg in ein zufriedenes Leben. (kste/we)

20 Jahre Schmerzmedizin

Das Zentrum für Schmerz­medizin Nottwil (ZSM) zählt zu den führenden Institutio­nen für Schmerzerkrankte in Europa. Schmerzspezia­listen aus elf verschiedenen Fachdisziplinen behandeln Menschen mit und ohne Querschnittlähmung. Eine Behandlung benötigt die Zuweisung von einem Arzt.

schmerz-nottwil.ch

Oben Eva Wyss gestaltet ihr Leben trotz Schmerz möglichst aktiv.

Links Röntgenbild bei einer diagnostischen Facettengelenks-

blockade an der Wirbelsäule (medial branch-Blockade).

12 Paraplegie, Dezember 2018

InnovationDas eigene Hirn überlistenViele Menschen mit Querschnittlähmung leiden unter starken Nervenschmerzen. Mit einem wegweisenden Therapieansatz wollen die Schmerzspezialisten in Nottwil ihnen helfen.

Kinder kennen keine «maximale Durchfahrts­höhe». Sie jagen einfach fröhlich unterm Tisch hindurch – bis sie eines Tages lernen, vielleicht mit einer Beule am Kopf, dass sie dafür zu gross geworden sind. Das Gehirn bekommt neue Infor­mationen zur Körpergrösse und passt seine «Kör­perkarten» entsprechend an: Der Kopf befindet sich nun etwas weiter oben. Dahinter stehen Lernschritte, die Zeit benötigen.

Bei einer Querschnittlähmung verändert sich der Informationsfluss so rasant, dass dem Gehirn kaum Anpassungszeit bleibt. Plötzlich misslingt die Übereinstimmung zwischen den verschiede­nen Orientierungskarten zum eigenen Körper, plötzlich stimmen die erlebten und die gefühlten Körpergrenzen nicht mehr überein. Die Beine blei­ben für die Augen zwar sichtbar, aber sie reagie­ren nicht auf Reize. Die Informationen schiessen wild durcheinander; aus betroffenen Regionen fehlen die Sinneseindrücke; Schaltstellen in den Nervenbahnen melden ungewohnte Reize. Das Gehirn sucht vergeblich nach Orientierung, es gerät in eine Schlaufe und reagiert wie ein abge­stürzter Computer mit einer Fehlermeldung: Der Alarm äussert sich als Schmerz.

Geschenkte Anpassungszeit Damit Schmerzpatienten mehr Zeit bekommen, um ihre Körperkarten der veränderten Realität anzupassen, hat das Zentrum für Schmerzme­dizin Nottwil mit dem Virtual Walk ein ausser­gewöhnliches, innovatives Forschungsprojekt in Angriff genommen. Im Oktober 2018 wurde ein Prototyp eingerichtet, um die anspruchsvolle Com putertechnik gemeinsam mit Ingenieuren des Instituts für Medizintechnik der Hochschule Luzern zu optimieren. Mitte 2019 beginnt dann die Arbeit mit den Patienten.

«Beim Virtual Walk geht es darum, Patienten mit Querschnittlähmung zu simulieren, dass sie wie der gehen können», sagt Schmerzphysiothe­rapeutin Karina Böttger. Die Grundidee stützt sich auf die seit rund zwanzig Jahren bei Phantom­schmerzen nach Amputationen angewandte Spie geltherapie. Dabei wird der gesunde Arm eines Patienten mit Spiegeln so verdoppelt, dass sein amputierter Arm für die Augen wieder sicht­bar ist. Das «Phantomglied» im Spiegel wird über den gesunden Arm gezielt gereizt, worauf das Gehirn mit der Zeit interpretiert, die Reize würden vom amputierten Körperteil stammen.

Wird erfolgreich bei Phantomschmerzen genutzt:

die «Spiegeltherapie».

Vorgängermodell: 2007 unter­ nahm Neurowissenschaftler

Lorimer Moseley erste Versuche mit einfachen Filmprojektionen.

Spiegel

Projektor

ScreenFilmprojektion

Beine nicht sichtbar

D A U E R S C H M E R Z

D A U E R S C H M E R Z

Paraplegie, Dezember 2018 13

«Unser Prinzip ist ähnlich», sagt Karina Böttger. «Mit der virtuell erlebten Gehbewegung kön­nen Betroffene auf der Ebene der motorischen Verarbeitung im Gehirn ihre Körperkarte anpas­sen.» Die Projektleiterin verspricht sich von der Methode einen positiven Einfluss auf die quä­lenden Nervenschmerzen: «Drei Viertel der Men­schen mit Querschnittlähmung geben Schmerzen als ihr Hauptproblem an und nicht ihre körper­liche Behinderung. Man muss sich das ähnlich belastend wie schlimme Zahnschmerzen vorstel­len. Der Schmerz ist brennend, einschiessend oder elektrisierend. Das ist fast nicht auszuhalten.» In der Regel haben diese Patienten einen jahrelan­gen Leidensweg mit vielen Therapieversuchen und wirkungslosen Medikamenten hinter sich. Ihnen möchte Böttger helfen.

Ausgeklügelte ComputertechnikDer Prototyp des Virtual Walk in Nottwil ist in die­ser Form weltweit einzigartig. Es ist aber nicht das erste Experiment mit der Methode. Bereits 2007 unternahm der auf Schmerzen spezialisierte aus­tralische Neurowissenschaftler Lorimer Moseley während eines Gastjahres an der University of Oxford Versuche mit einfachen Filmprojektionen (siehe Grafik). In Oxford wurde der Ansatz jedoch nicht weitergeführt, die technischen Möglich­keiten waren noch zu eingeschränkt. Dank Fort­schritten in der Computertechnologie kann den Patienten heute eine sehr viel realistischere Simu­lation geboten werden.

Schmerzspezialisten wie Karina Böttger gehen davon aus, dass die Wirkung umso besser wird, je näher das virtuelle an das tatsächliche Geh­ Erlebnis herankommt. Dazu berechnen die Com­puter eine detailgenaue Übereinstimmung der verschiedenen Bildebenen – Hintergrund, die gehenden Beine, der Körper des Patienten, Blick­

winkel. Zudem bewegt sich die Sitzfläche des Stuhls des Patienten gleich wie das Becken der gehenden Person. So fliessen auch Bewegungs­impulse in die Körperwahrnehmung mit ein und verstärken die Illusion.

Kontrollierte RisikenIn Nottwil wird die Arbeit mit den Patienten mit wissenschaftlichen Studien begleitet. Um geeig­nete Personen für diese Therapieform zu bestim­men, ist eine sorgfältige Analyse der gesamten Schmerzsituation notwendig. Erforderlich ist auch die Begleitung der Therapie durch Psycho­

logen, Neurologen und Physiotherapeuten des Schmerzzentrums. Damit will man Misserfolge zum Beispiel aufgrund einer Überforderung der Patienten vermeiden. Dennoch betritt man Neu­land, bestätigt Karina Böttger.

Die Projektleiterin und das Team des Zen­trums für Schmerzmedizin Nottwil sind jedoch überzeugt, dass ihre innovative Therapie hohe Erfolgschancen hat, wenn die möglichen Stör­faktoren berücksichtigt werden: «Es könnte sein, dass einzelne Personen für das Verfahren nicht geeignet sind, weil ihre sozialen oder psycholo­gischen Kontext­Faktoren stärker sind. Dann kön­nen wir ihnen trotz allem Aufwand nicht helfen. Umso wichtiger ist es, dass wir die Patienten für den Virtual Walk sorgfältig auswählen.» Jahre­lange Erfahrungen aus der Spiegeltherapie zeigen, welche Einflüsse diese Therapie stören könnten. Und noch etwas zeigt die Spiegeltherapie: Der Ansatz funktioniert! (kste/we/rel)

«Die Wirkung steigt, je näher das virtuelle an das echte Geh­Erlebnis herankommt.»

Karina Böttger, Leiterin Schmerzphysiotherapie

D A U E R S C H M E R Z

14 Paraplegie, Dezember 2018

Dr. med. André Ljutow, Leiter des Zentrums für Schmerzmedizin Nottwil: «Über ein Drittel unserer Patienten gibt

an, ganz schmerzfrei zu sein.»

D A U E R S C H M E R Z

Paraplegie, Dezember 2018 15

Schmerzmedizin «Chronische Schmerzen sind kein unentrinnbares Schicksal mehr»

Das Zentrum für Schmerzmedizin Nottwil (ZSM) zählt zu den führenden Schmerzkliniken der Welt. Es behandelt Menschen mit und ohne Querschnitt- lähmung mit den heute fortschrittlichsten Therapieformen. Der methodische Ansatz ist derart erfolgreich, dass der ZSM-Leiter von einer «kleinen Sensation» spricht.

André Ljutow, was ist für Sie chronischer Schmerz? Chronisch bedeutet immer auch «komplex». Das heisst, dass diese Art von Schmerz in der Untersuchung und in der Behandlung schwierig ist. Damit Schmerzen chronisch werden, müssen mehrere Faktoren zusam-menkommen, die einen normalen Krank-heits- und Heilungsverlauf stören. Die resul-tierende Komplexität sieht man aber nicht in einem Röntgenbild, dazu braucht es Detektivarbeit.

Die verschiedenen Einflussfaktoren können auf der biologischen, psychologischen und der sozialen Ebene liegen. Wie lösen Sie das Rätsel? Zuerst informieren wir uns über alle bereits gemachten Behandlungen, damit vermei-den wir Doppelspurigkeiten. Anhand eines Fragebogens erhalten wir dann eine Vor-stellung, welche Körperregion wie stark betroffen ist, und können das Behand-lungsteam, das den Patienten empfängt, mit den entsprechenden Disziplinen zusam-menstellen. Wir gehen also von Anfang an mehrdimensional an das Problem heran.

Die Komplexität von Dauer-schmerzen lässt sich nur im Team bewältigen? Der wesentliche Punkt bei unserem Ansatz ist, dass sich Experten aus unterschiedli-chen Fachgebieten am runden Tisch über einen Patienten austauschen. Gemeinsam kombinieren sie verschiedene Therapieele- mente, die sich in einem Gesamtkonzept ergänzen und zusammenwirken.

Einfachere Lösungen gibt es nicht?Manchmal klingt das komplizierter, als es ist. Wenn jemand aufgrund von Rücken-schmerzen eine Angst entwickelt, dass jede Bewegung nur weitere Schmerzen auslöst, dann braucht es vielleicht bloss die Kom-bination aus Psychologie, Physiotherapie und Arzt. Der Arzt klärt auf, dass trotz star-ker Schmerzen kein schlimmer körperli - cher Befund vorliegt. Der Psychologe hilft, die Angst zu bewältigen. Und der Physio-therapeut zeigt dem Patienten, wie er seine Beweglichkeit, Kraft und Koordination zu- rück erlangt.

Gegenüber einer Pillenlösung heisst das: aktive Mitarbeit. Genau. «Der Patient ist unser wichtigster Mitarbeiter», steht auf einem Plakat im ZSM. Ein Patient muss viel verstehen und tatsächlich mitarbeiten, um eine Verbes-serung seines oft jahrelangen Leidens zu erreichen.

Wie stehen die Chancen auf eine Heilung? Internationale Studien zeigen, dass chroni- sche Schmerzen eine hohe Therapieresis-tenz haben und man nicht einfach erwarten kann, dass hochchronifizierte Patienten wieder schmerzfrei werden. Eine Behand-lung gilt dann als erfolgreich, wenn ein Patient seine Aktivität und Funktionalität wiedererlangt. Wenn er seinem Beruf und seinen Hobbys wieder nachgehen kann. Wenn er gelernt hat, mit dem Schmerz um zugehen, und er trotz Schmerzen sein Leben führen und geniessen kann. Lang-fristige Nachuntersuchungen zeigen, dass

die Schmerzstärke bei unseren Patienten deutlich zurückgeht. Das Gleiche gilt für den Medikamentenkonsum und die Anzahl der medizinischen Behandlungen. Über ein Drittel gibt sogar an, ganz schmerzfrei zu sein – das ist eine kleine Sensation, auf die wir stolz sind! Chronische Schmerzen sind also kein unentrinnbares Schicksal mehr, sondern eine behandelbare Krankheit.

In Nottwil behandeln Sie sowohl Querschnittpatienten wie auch Men-schen ohne Querschnittlähmung.Querschnittpatienten leiden ausgesprochen häufig an chronischen Schmerzen. Wenn wir ihnen den bestmöglichen Service anbieten wollen – also die nach dem heutigen Wis-sensstand sinnvollsten Untersuchungstech-niken und Behandlungsmöglichkeiten –, dann benötigt das Team dahinter eine grosse Erfahrung. Am ZSM entsteht eine Win-win-Situation, indem wir sowohl Quer-schnittpatienten behandeln wie auch Men-schen, die nicht querschnittgelähmt sind. Beide Patientengruppen profitieren von den insgesamt grösseren Fallzahlen und unserer Routine.

Bis zu elf Disziplinen beurteilen einen Fall. Wie finden Sie heraus, welche Expertise relevant ist? Propagiert nicht jeder einfach sein Spezialgebiet?Wird ein Patient auf der Fallkonferenz vor-gestellt, bringen alle Beteiligten ihre Ideen, Vorschläge und ihr Fachwissen ein. Aus der Kombination verschiedener Blickwinkel ent- stehen oft zusätzliche therapeutische Mass- nahmen oder diagnostische Schritte. Ein

D A U E R S C H M E R Z

16 Paraplegie, Dezember 2018

zentrales Element dieser Zusammenarbeit ist, dass die Spezialisten miteinander reden und kreative Lösungen entwickeln. Dafür braucht es Teamplayer, die in ihrem Fach-gebiet sattelfest sind, die aber auch über den Tellerrand hinaus blicken und sich kri- tisch hinterfragen lassen. Nur so funktio-niert der interdisziplinäre Ansatz.

Das Zentrum für Schmerzmedizin bezieht bald neue Räume. Streben Sie ein weiteres Wachstum an?Unser Ziel ist nicht quantitatives Wachs-tum, wir wollen neuartige Therapieformen anbieten können, zum Beispiel im Rahmen der «graded exposure». Dafür braucht es eine Umgebung, in der ein Patient mit mög-lichst realitätsnahen Situationen konfron-tiert wird, um in der Zusammenarbeit von Psychologen und Physiotherapeuten seine Angst vor gewissen Bewegungen abzu-bauen. Das geschieht ganz konkret an der Spülmaschine, am Bügelbrett, im Büro, beim Handwerk. Im Neubau wird auch das innovative Verfahren des virtuellen Gehens eingerichtet, das wir für Rollstuhlfahrer ent-wickeln, die Schmerzen in ihren gelähmten Beinen haben.

Das ZSM zählt zu den führenden Schmerzkliniken der Welt. Es erfüllt alle Kriterien der Internationalen Schmerzgesellschaft IASP, manche werden sogar übertroffen.Die Vorgaben der IASP beruhen auf einer wissenschaftlichen Expertise von Jahrzehn-ten, unser multimodaler und interdisziplinä-rer Ansatz gilt darin als «Goldstandard». Das ZSM ist übrigens sehr gut in die internati-onale Forschergemeinschaft eingebunden. Wir sind zum Beispiel das erste zertifizierte Labor der Schweiz für Untersuchungen mit-tels Quantitativer Sensorischer Testung (QST) und damit ins deutsche Forschungsnetz-werk Neuropathischer Schmerz integriert. Es besteht auch eine jahrelange Zusammen-arbeit mit Prof. Burkhard Gustorff in Wien,

der das erste Masterstudium für Interdis-ziplinäre Schmerzmedizin in Europa entwi-ckelt hat.

Dennoch muss die hochentwickelte Schmerzmedizin immer wieder um Akzeptanz ringen. Wie erklären Sie sich das?Alles Neue, Unbekannte erzeugt zunächst Misstrauen und Abwehr. Als unsere Schmerz klinik vor zwanzig Jahren gegrün-det wurde, fragten sogar Mitarbeitende auf dem Campus, weshalb wir noch zusätzlich einen Neurologen oder einen Orthopäden brauchen, wo doch bereits Neurologen und Orthopäden am SPZ beschäftigt sind. Aber genau das ist in der Schmerzmedizin ent-scheidend: Spezialisten, die aus ihrem Fach-gebiet heraus ein Wissen um die Behand-lung von Schmerzen erworben haben, sol len am ZSM eine gemeinsame Lösung für komplexe Fälle finden. In der internatio-nalen Fachwelt ist diese Methode unbestrit-ten. Auf der nationalen Ebene geniesst die Schmerzbehandlung jedoch keine Priorität – obwohl die Kosten für das Gesundheits-system enorm sind. Chronische Schmer-zen zählen zu den teuersten Erkrankungen überhaupt. Bis heute fehlt es in der Schweiz aber am politischen Willen, hier eine Verän-derung herbeizuführen.

In welche Richtung möchten Sie das Zentrum weiterentwickeln?Wir hatten von Anfang an den Auftrag, nach Exzellenz zu streben und Nottwil in der Schmerzmedizin führend zu machen. Momentan laufen viele Aktivitäten im Hin-blick auf den Umzug in den Neubau. Wir wollen dort neue Therapieformen einfüh-ren und bekannte Therapien in grösserer Anzahl anbieten, von denen wir überzeugt sind, dass sie innovativ sind und zu einem besseren Ergebnis führen. Wenn damit Fehl - zeiten am Arbeitsplatz reduziert werden, tragen diese Behandlungen zu einer lang-fristigen Kosteneffizienz bei.

Gibt es auch auf der medizinischen Ebene neue Themen? Da arbeiten wir zum Beispiel an Therapien bei Phantomschmerzen nach Amputatio-nen. Und wir beschäftigen uns mit dem psychologischen Problem der «perceived injustice», wenn also ein erlittenes Unrecht eine Verbesserung der Schmerzsituation verhindert. In den neuen Operationssälen am SPZ können wir nun alle interventionel-len Techniken mit 3D-Navigation anbieten, damit werden die schwierigsten Eingriffe möglich. Auf diese Weise versuchen wir, in allen Bereichen mit der rasanten medizi-nischen Entwicklung Schritt zu halten und das beste Know-how für unsere Patienten bereitzustellen.

Was soll jemand machen, dessen Schmerzen nicht verschwinden? Wenn eine Behandlung nicht zum ge - wünschten Erfolg führt, sollte man als Pati-ent darauf drängen, einem Schmerzspe-zialisten vorgestellt zu werden. Patienten ziehen manchmal jahrelang von einem Facharzt zum nächsten weiter. Dabei wird oft übersehen, dass die ursprüngliche Be- handlung zwar korrekt gemacht worden ist, aber nicht wirken konnte, weil andere Faktoren zu einer chronischen Schmerz-erkrankung geführt haben.

Die Patienten quälen sich also jahrelang, ohne dass es nötig wäre?In einer konkreten Situation ist es nicht ein-fach zu erkennen, ob ein Akutschmerz vor-liegt oder bereits ein chronischer Schmerz entstanden ist. Das liegt zum Teil an der fachlichen Perspektive, aus der heraus ein Arzt arbeitet, aber auch daran, dass das Wissen um chronische Schmerzen sowohl in der Bevölkerung wie in der Ärzteschaft noch nicht weit verbreitet ist. Mit Ausbil-dungskursen versuchen wir, dem entge-genzuwirken. Aber so eine gesellschaftliche Entwicklung benötigt ihre Zeit. (kste/we)

S E I T E N B L I C K

Paraplegie, Dezember 2018 17

Martin (12) rennt frustriert zum Nachbars­jungen: «Papa hat schon wieder Schmer­zen!» Der Ausflug in den Europapark fällt ins Wasser – sein Geburtstagsgeschenk. Was soll er tun?

Statt mit seinem Sohn etwas zu unter­nehmen, schont sich Thomas Bolliger (47) auf dem Sofa. Schon beim Frühstück konnte er seine Kreuzschmerzen kaum aushalten. Doch für Martin biss er auf die Zähne. Die Krankheit sollte nicht das ganze Familien­leben dominieren. Dann kam der Punkt, an dem er sich eingestehen musste: Stunden­lang im Auto sitzen, das geht heute nicht. Lieber die Reise hier stoppen als auf der Autobahn.

Bolligers Frau reagiert gereizt: «Wes­halb kannst du nicht mal etwas planen, das auch klappt?» Die Familienstimmung schlägt um, zur Enttäuschung kommt Wut. Und die Schmerzen werden stärker. Es ist ein Teufelskreis.

Gut gemeintNicht nur für die Betroffenen sind chroni­sche Schmerzen eine Herausforderung, auch die Angehörigen leiden. Es ist nicht leicht nachzuvollziehen, was der Vater, die Partnerin, der Freund gerade durchma­chen. Die Folge ist oft Hilflosigkeit, sagt Psychologin Julia Kaufmann vom Zentrum für Schmerzmedizin Nottwil (ZSM): «Man möchte helfen, aber weiss nicht wie. Das belastet viele Angehörige.»

Einige nehmen ihren Partnern fast alle Arbeiten in Haushalt, Familie und Freizeit ab. Für Kaufmann ist das der falsche Weg: «Damit blockieren sie den Partner in seiner Krankenrolle und verhindern, dass er sinn­

volle Aktivitäten übernimmt.» Die Betroffe­nen entwickeln Angst vor jeder Bewegung und bewegen sich lieber gar nicht mehr. Die Folge sind Muskelprobleme und der Rück­zug aus dem Sozialleben, das heisst: wei­tere Schmerzfaktoren.

Andere Angehörige bauen mit unrea­listischen Erwartungen Druck auf. Sie sind über die Ärzte enttäuscht, die die Schmer­zen einfach nicht wegbringen, und überfor­dern ihre Partner mit der Aufmunterung, sie müssten einfach aktiver sein, so wie früher, sich auch mal zusammenreissen. Aber auch Druck macht nicht schmerzfrei, im Gegen­teil. Die Überforderung hilft ebenso wenig wie die Überbehütung.

Neue RollenAm ZSM werden Angehörige in die Schmerz­behandlung miteinbezogen. Wie sollen sie reagieren, wenn sie selber ans Limit kom­men? Wenn das Zusammenleben einer Belastungsprobe ausgesetzt ist? «Oft redet man zu Hause zu wenig darüber, dass die Schmerzsituation auf beiden Seiten neue Be­

dürfnisse und Gefühle erzeugt», sagt Psy­chologin Kaufmann. «Doch im Alltag müssen dafür Lösungen gefunden werden.»

Es geht um neue Rollen, Aufgaben und Freizeitaktivitäten. Darum, wie man Grenzen setzt, um Hilfe bittet und erreich­bare Ziele definiert. Letztlich geht es um die Lebenseinstellung von Angehörigen und Patienten. «Statt wie früher Berge zu besteigen, können sie zum Beispiel die Bahn nehmen, oben einen Kaffee trinken, und haben doch gemeinsam etwas erlebt», sagt Julia Kaufmann. «Vieles dreht sich darum, aus dem Alles­oder­nichts­Denken wegzukommen.»

Den Schmerzpatienten Thomas Bolliger quälen Schuldgefühle. Er weiss, dass seine Familie nicht einfach warten kann, bis er wieder gesund ist, und dann ist alles so wie früher. Das möchte er heute Abend anspre­chen. Er sucht einen realistischen Zugang zu seiner Krankheit, zum Beispiel bezüglich Art und Anzahl ihrer gemeinsamen Aktivi­täten. Jetzt muss er nur noch Martin finden. (kste)

Angehörige sind Teil der Lösung

D A U E R S C H M E R Z

18 Paraplegie, Dezember 2018

RatgeberMit Schmerzen umgehen lernen

Von chronischen Schmerzen betroffene Menschen können zur Verbesserung ihrer Situation beitragen – nachdem eine akute Erkrankung ausgeschlossen worden ist. Fachexperten des Zentrums für Schmerzmedizin Nottwil haben für Sie wichtige Informationen und Tipps zusammengestellt.

Psychologie

Sie sind mehr als Ihr SchmerzSie haben Schmerzen, Sie sind aber mehr als Ihr Schmerz. Kümmern Sie sich ganz bewusst um dieses Mehr! Achten Sie auf sich und Ihre Umgebung, pflegen Sie Ihre Freunde, Ihr Zuhause und auch sich selbst.

Schmerzen sind nicht tödlichSchmerzen sind eine chronische Erkrankung, die Sie in Ihrem Leben einschränkt, aber die Krankheit ist nicht lebens- gefährlich. Lernen Sie, wie Sie trotz Schmerzen gut leben können.

Leben Sie bewusstMit Schmerzen leben heisst, seine Kraft und Zeit einteilen und zu entscheiden, was einem wichtig ist und was nicht. Lernen Sie delegieren und nehmen Sie Hilfe an, aber behal-ten Sie das Wesentliche bei sich. Strahlend saubere Fens-ter sind schön, schöner sind die strahlenden Augen Ihrer Angehörigen, wenn sie zusammen mit Ihnen eine gute Zeit erlebt haben.

Gehen Sie nach draussen Ziehen Sie sich nicht zurück. Denken Sie nicht darüber nach, was andere von Ihnen halten mögen, wenn sie Sie sehen. Gehen Sie hinaus, geniessen Sie einen Spaziergang, das Shoppen, einen Schwatz oder die Bank in der Sonne. Bewe-gen Sie sich regelmässig.

Balance zwischen Aktivität und Ruhe Nehmen Sie sich Zeit für angenehme Tätigkei-ten, pflegen Sie Kontakte zu Familie und Freun-den. Aber planen Sie unbedingt auch genü-gend Zeit für die Entspannung und für Pausen im Alltag ein. Achten Sie auf Ihre Bedürfnisse, nehmen Sie Ihren Körper und Ihre Emotionen bewusst wahr.

Kopfweh und Migräne

Lassen Sie Ihr Kopfweh abklärenNeu aufgetretenes, sich veränderndes oder unklares Kopfweh benötigt immer eine neu-rologische Abklärung.

Migräne und Kopfweh sind häufig14 Prozent aller Menschen leiden an Migräne, 60 Prozent an Spannungskopfweh, 3 Prozent an chronischen Kopf- schmerzen.

Kopfweh hat viele FaktorenStärke und Häufigkeit von Kopfweh werden nicht nur von körperlichen Faktoren wie Genen und Gehirn beeinflusst, sondern auch durch psychologische und soziale Faktoren – dazu zählen Stress, Stimmung, Entspannungsfähigkeit und die Lebenssituation in Beruf und Familie.

Nutzen Sie die multimodale Therapie Eine Kopfwehbehandlung bedarf oft eines Behandlungs- teams aus Neurologen, Physiotherapeuten und Schmerz- psychologen.

Beachten Sie Verhaltensregeln für GesundheitZur Vorbeugung von Kopfschmerzen hilft eine gesunde Lebensweise: regelmässig schlafen und essen, genügend Pausen machen, sich körperlich aktiv betätigen.

Sie müssen Kopfschmerzen nicht aushaltenEinzelne Migräne- und Kopfschmerzattacken können oft gut mit Medikamenten behandelt werden.

Behandlung häufiger Kopfschmerzen Häufige Kopfschmerzen benötigen oft eine Prophylaxe (vor- beugende Medikamente).

Nervenschmerzen

Brennende Schmerzen, elektrisierende Schmerzatta- cken oder Schmerzen nach Berührung können auf Nervenschmerzen hinweisen. Spezielle Messungen wie die Quantitative Sensorische Testung (QST) oder Laser-evozierte Potenziale zeigen zusätzlich zur Rou-tineuntersuchung eine Schädigung der Nervenfa-sern. Neben der Behandlung mit Medikamenten wird häufig eine multimodale Schmerztherapie, im Einzelfall ein Rückenmarkstimulator, benötigt.

Paraplegie, Dezember 2018 19

Rückenschmerzen

Rückenschmerzen sind häufig84 Prozent aller Menschen erleben Phasen mit Rückenschmerzen – oft nach ungewohnten oder zu starken Belastungen. Normalerweise bildet sich der Schmerz innert drei Monaten zurück.

Sie benötigen selten ein MRIBei weniger als 5 Prozent aller Patienten helfen bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRI). Viele der damit sichtbaren Veränderungen lösen keine Rückenschmer-zen aus und sind altersentsprechend normal. Deshalb ist häu-fig eine orthopädische oder neurologische Abklärung nötig.

Sie brauchen kaum eine Operation Chirurgische Eingriffe benötigen nur wenige Patienten. Die meis-ten können weiterhin Alltagsaktivitäten ausführen, wenn sie ihre Schmerzfaktoren kennen. Langfristig haben Operationen kein besseres Ergebnis als etwa eine Bewegungstherapie.

Übungen sind gut und sicherSchonen Sie sich nicht zu lange und vermeiden Sie keine Bewe-gung aus Angst vor Schädigungen. Diese Gefahr besteht nicht. Regelmässiges Üben reduziert Schmerzen, senkt Muskelanspan-nungen, hebt Ihre Stimmung und stärkt das Immunsystem.

Suchen Sie nicht die perfekte SitzpositionKeine spezifische Sitzhaltung kann Rückenschmerzen reduzieren oder verhindern. Das Wichtigste ist, dass Sie Ihre Sitzposition variieren und sich dabei auf eine vertraute, entspannte und abwechslungsreiche Art bewegen.

Stärken Sie sich beim Heben und BeugenVermeiden Sie bei Rückenschmerzen keine Bewegungen wie Heben, Bücken und Drehen. Natürlich kann ein ungeschicktes oder zu schweres Heben den Rücken einmal überlasten, aber deswegen sind diese Bewegungen nicht gefährlich. Nutzen Sie das Heben und Bücken vielmehr zur Stärkung Ihres Rückens.

Werden Sie bald wieder aktivAm Anfang einer Schmerzphase ändern sich die Bewegungen stark. So entstehen Muster, die Verspannungen verstärken und langfristig ungesund sein können. Seien Sie also nicht übervor-sichtig und nehmen Sie Ihre Aktivitäten bald wieder auf.

Lebenseinflüsse beeinflussen Ihre Schmerzen Lebenseinflüsse wie Schlafmangel oder ein gestörter Schlaf kön- nen Rückenschmerzen ebenso beeinflussen wie Stress, Ängste oder eine negative Stimmung. Mit Tätigkeiten, die Ihnen Spass machen, können Sie solche Faktoren positiv beeinflussen.

SchmerzbewältigungsgruppenDas Zentrum für Schmerzmedizin Nottwil (ZSM) bietet verschiedene Gruppenprogramme für Patienten mit chronischen Rücken-, Kopf- und Bauchschmerzen sowie Querschnittpatienten. Ein interdiszi-plinäres Team aus Physiotherapeuten, Psychologen und Ärzten begleitet durch ein vielseitiges Programm: Chronische Schmerzen verstehen, ganzheitliche Therapien kennen- und umsetzen lernen. Interventionen bei akuten SchmerzenÄrzte können ihre Patienten nicht nur für eine multi-modale Schmerztherapie ans ZSM zuweisen, sondern ebenso für einzelne schmerztherapeutische Interven- tionen. Die Weiterbetreuung übernimmt der zuwei-sende Arzt.

schmerz-nottwil.ch

B E G E G N U N G

20 Paraplegie, Dezember 2018

B E G E G N U N G

Paraplegie, Dezember 2018 21

Mit einem zertrümmerten Rückenwirbel nach einem Sportunfall musste Michael Knöpfle seine verantwortungsvolle Anstellung aufgeben. Sein Berufscoach in Nottwil fand für ihn eine neue Aufgabe, die der Baufachmann als «Volltreffer» bezeichnet.

Integration Selber anpacken

B E G E G N U N G

22 Paraplegie, Dezember 2018

Sein kräftiger Händedruck lässt erahnen, dass Michael Knöpfle weiss, was anpacken heisst. Bis zu seinem Unfall im September 2014 war der heute 57-Jährige für verschiedene Baufirmen tätig. Er arbeitete sich hoch bis zum Montagelei-ter im Innenausbau. «Ich war mein Leben lang ein Chrampfer», erzählt er und manövriert geschickt seinen Rollstuhl durch die moderne Attikawoh-nung, die über einen eigenen Lift und eine riesige Dachterrasse verfügt.

Seit 2016 lebt er mit seiner Freundin im schaff- hausischen Neunkirch. Wären da nicht das behin-dertengerechte Badezimmer und die etwas tiefer liegende Küchenanrichte, man würde nicht ver-muten, dass hier ein Mensch mit einer Beeinträch-tigung lebt. Der Paraplegiker Michael Knöpfle ist vom Bauchnabel abwärts gelähmt.

Luftwalze in SüdfrankreichNie hätte er sich vorstellen können, dass ihm, dem erfahrenen Gleitschirmflieger, der fast dreissig Jahre lang durch die Lüfte schwebte, ein solch gravierender Unfall widerfahren würde. Der Ein-schnitt in sein Leben geschah in Südfrankreich. Beim Endanflug überraschte ihn kurz vor der Lan-dung eine Luftwalze, ausgelöst durch Winde aus verschiedenen Richtungen, und verursachte den Absturz aus zehn Metern Höhe.

«Ich versuchte aufzustehen, aber klappte wie- der zusammen. Meine Beine waren wie weg-gebrochen», erinnert sich Knöpfle. Innert sechs Stunden wurde er in einem Spital in Gap, der Hauptstadt des Départements Hautes-Alpes, operiert. Der Unfall zertrümmerte seinen zwölf-ten Rückenwirbel. Zwischen dem elften und dem dreizehnten Wirbel wurde eine Platte gelegt. Die Ärzte sagten kurz nach der Operation, dass er nie mehr laufen könne. «Das zu hören war für mich ein Schock. Doch ich habe schnell realisiert, dass ich meine neue Situation akzeptieren und mein früheres Leben hinter mir lassen muss.»

Mit der Hoffnung, je wieder laufen zu kön-nen, habe er relativ schnell abgeschlossen, sagt Michael Knöpfle. Was heute mühelos über seine Lippen kommt, war damals alles andere als ein-fach. «Ich bin zum Glück nicht jemand, der mit dem Schicksal hadert, sondern schaue lieber nach vorne.» Nach zehn Tagen im Spital in Südfrank-reich wurde er mit der Rega ans Schweizer Para-plegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil verlegt.

Die zweite Reha beginnt zu HauseDie sechsmonatige Rehabilitation in Nottwil lobt Knöpfle besonders: «Ich fühlte mich am SPZ sehr gut aufgehoben und bekam wenn nötig rund um die Uhr eine Betreuung.» Egal was passiere, immer sei eine Fachperson für einen da.

Das Angebot für eine Psychotherapie lehnte er ab. «Das brauchte ich nicht, ich wollte meine neue Lebenssituation auch ohne diese Stütze meistern.» Gerne angenommen habe er die Mög-lichkeit, am Paraplegiker-Zentrum das Bogen-schiessen zu lernen. «Das ist ein enorm spannen-der Sport. Er entspannt, erfordert Präzision und macht Spass.» Geblieben sind Michael Knöpfle auch die Worte seiner Betreuer: «Die zweite Reha beginnt zu Hause.»

Bereits während der Rehabilitation sei er gefragt worden, ob er sich frühpensionieren las-sen möchte, erinnert sich Knöpfle. «Das kam für mich aber nicht infrage, denn ich wollte arbeiten. Früher habe ich immer Vollgas gegeben.» Umge-hend nahm er am SPZ die Berufs- und Laufbahn-beratung von ParaWork in Anspruch.

Befriedigung am ArbeitsplatzBerufscoach Martin Senn, der selber im Rollstuhl sitzt, hat mit Michael Knöpfle eine individuelle Lösung erabeitet. Beim spezifischen Berufstrai-ning in Nottwil machte sich Knöpfle dank sei-nem guten Vorstellungsvermögen mit viel Begeis-terung daran, einen 3D-Drucker zu bauen. «Als Montageleiter hatte ich von Computern damals wenig Ahnung», erinnert er sich. Doch dank raschem Umdenken und seiner grosser Offenheit kam die Zusammenarbeit mit der Vermittlung mitschaffe.ch zustande, wo er sein grosses Fach-wissen und seine neu erworbenen Kenntnisse einbringen konnte.

Das Unternehmen vermittelt an Menschen mit Behinderungen Jobs im ersten Arbeitsmarkt. Beim Gespräch fällt der Name der Smilestones AG in Neuhausen am Rheinfall. Das Start-up baut die grösste Miniaturwelt der Schweiz auf einer Fläche von sechs Tennisplätzen. Coach Martin Senn schlug Michael Knöpfle ein paar Schnup-perwochen vor. Knöpfles Fachkompetenz wird schnell erkannt: «Ich konnte mich rasch ins Team von zwölf Modellbauern integrieren und wurde sehr gut aufgenommen.» Dem Paraplegiker wird schliesslich eine Halbtagesstelle angeboten.

Oben Der Stehrollstuhl erweitert den Arbeitsradius. Hohe Regale

sind kein Hindernis mehr.

Kleine Bilder Abschluss der Probe-zeit: SUVA, IV, Vermittler, ParaWork

und Arbeitgeber besprechen mit Michael Knöpfle die Modalitäten

seiner Festanstellung.

Eine Baustelle als Bestandteil der Modellanlage.

Unten Berufscoach Martin Senn von der ParaWork besucht Michael

Knöpfle am neuen Arbeitsplatz.

Paraplegie, Dezember 2018 23

B E G E G N U N G

24 Paraplegie, Dezember 2018

Während der Einarbeitungsphase wurde die Firma Smilestones durch Knöpfles Taggeld der IV finanziell entlastet. Damit er seine Tätigkeiten an der Modellanlage optimal ausführen kann und im Hinblick auf weitere Verantwortungsberei-che wurde ein Stehrollstuhl beantragt. Auch dies gelang rasch, da die SUVA eine Vorfinanzierung für die IV aussprach. «Dank meiner Fingerfertig-keit baue ich nun selbstständig Modellhäuser ab Plan. Ich habe mir in einem Kurs auch Kenntnisse der Löt-Technik angeeignet. Damit sind die elek-trischen Verbindungen für die Innenbeleuchtung garantiert störungsfrei», freut sich der Bauprofi. Das erspare den Betreibern der Anlage im Not-fall einen erheblichen Reparaturaufwand. Seinen Job bezeichnet er als Volltreffer: «Früher habe ich Häuser gebaut, heute baue ich Modellhäuschen. So bleibe ich der Baubranche treu.»

Er habe sein Leben immer selber gestaltet, erzählt der Sportbegeisterte. Sich selber nennt er einen quirligen Typ. «Alles, was ich bisher gemacht habe, hat auf den Beinen funktioniert.» Ob auf Skiern, dem Mountainbike, beim Klettern, im Kajak oder auf der Baustelle. Er sei ein begeis-terter Tänzer gewesen, erzählt der geschiedene Mann und Vater einer erwachsenen Tochter mit einem Lächeln: «Als Taxi-Dancer konnte man mich über eine Agentur für Tanzanlässe buchen. Jetzt tanze ich halt ein bisschen im Rollstuhl.» Sein Lebensenthusiasmus steckt an.

Grosse Hilfe: GönnerunterstützungKurz vor seinem Unfall hat Michael Knöpfle mit viel Herzblut sein knapp dreihundertjähriges Bauernhaus in Beringen umgebaut und vollstän-dig saniert. «Das war mein Traumhaus.» Als er im Frühling 2015 mit zwei Ergotherapeutinnen aus Nottwil sein bezugsbereites Haus besichtigt, wird rasch klar: Hier wird er nie wohnen können, das Treppenhaus ist zu eng für einen Rollstuhl. Die Nachricht ist wie ein Schlag ins Gesicht: «Da bekam ich schon etwas den ‹Morelli›», sagt er über diesen Moment.

Eine grosse Hilfte ist, dass seine Freundin auch nach dem Unfall zu hundert Prozent hinter ihm steht. Ihr verdankt er, dass beide seit 2012 Mitglied der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung sind. «Wir machten viel Sport und meine Freundin meinte, dass auch beim

Skifahren jemand mit einem zusammenprallen kann.» Dank seiner Mitgliedschaft hatte Knöpfle damals Anspruch auf 200 000 Franken Gönner - unterstützung. Damit konnte er seine neue Woh-nung mitfinanzieren. Die Kosten für den Umbau seines VW-Busses hat die IV übernommen: «So bleibe ich mobil und habe weiterhin eine gewisse Unabhängigkeit.» Seinen voll ausgebauten VW- Camper dagegen musste er verkaufen. «Das tat schon weh», sagt er.

Nachts in seinen Träumen begleitet Michael Knöpfle oft das erhabene Gefühl des Fliegens: «Ich steige dann aus dem Rollstuhl und kann lau-fen.» Beim Aufwachen werde ihm dann schmerz-lich bewusst, dass dies ein Traum bleibt.

Unabhängig bleiben«Zum Glück habe ich zwei gesunde Arme», sagt er. «Ich bin ein Tüftler und habe Freude daran, weiter-hin mit meinen Händen zu arbeiten, obwohl ich für alle Aufgaben mindestens die doppelte Zeit

Oben In der neuen Wohnung: Küche mit tiefer liegender

Arbeitsfläche.

Kleine Bilder Raffinierte Eigenentwicklung: rollstuhlgängige

Rampe auf die grosszügige Terrasse.

Paraplegie, Dezember 2018 25

So hilft Ihr Mitgliederbeitrag

Die Gönnerunterstützung ermöglichte Michael Knöpf-le den Kauf und den Umbau seiner Wohnung. Von der Paraplegiker-Stiftung erhielt er einen Beitrag für den Kauf eines Vorspann-Bikes sowie für einen Monoskibob.

benötige.» Er kann sich selber waschen, im Rollstuhl staubsaugen, Hemden bügeln, mit einem Spezialrollstuhl Ski fahren und sogar kajaken. Bei schönem Wetter bewältigt Knöpfle die zwölf Kilo-meter lange Strecke an seinen Arbeitsplatz mit dem Handbike. Er betont: «Ich möchte so weit wie möglich unabhängig bleiben und Sachen sel-ber anpacken.»

Seine handwerkliche Begabung kommt ihm dabei immer wieder zugute. Das zeigt eine roll-stuhlgängige Rampe mit Klappmechanismus, die er sich als Zugang für seine Terrasse gebaut hat. Sie stimmt farblich mit dem Holzboden über-ein, sodass man sie kaum wahrnimmt. Mit einer schmalen Eisenstange kann Knöpfle die Rampe vom Rollstuhl aus in die Halterung an der Boden-schwelle ein- und ausklinken. Seine Freundin sagt, er solle das System patentieren lassen. Doch er winkt ab.

Was das Schwierigste in seinem «zweiten» Leben ist? Er nennt: Nicht laufen und stehen zu

können, das Darm-Blasen-Management und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Am meisten vermisst Michael Knöpfle jedoch, dass er Men-schen nicht mehr helfen kann. «Früher haben mich Leute zum Beispiel beim Zügeln oder beim Umbau ihres Hauses um Hilfe gebeten. Heute bin ich derjenige, der um Hilfe fragen muss. Ich bin zum Bittsteller geworden.»

Nur schwer gewöhnen kann er sich auch an den Umstand, dass er im Rollstuhl nie mit den Menschen auf Augenhöhe sei und stets nach oben schauen müsse, wie ein Kind. Letzten Sommer hat er sich beim Grillieren eine Verbren-nung am Unterschenkel zugezogen. «Ich habe es überhaupt nicht gemerkt, da ich in den Beinen ja nichts mehr spüre.»

Eines ist für Michael Knöpfle klar: «Trotz mei-ner Behinderung Iasse ich mich nicht unterkrie-gen, denn ich hatte ja Glück im Unglück.»

(Philipp Dreyer/we)

Chronische Schmerzensind behandelbar

Zentrum für Schmerzmedizin NottwilBehandlungsangebote für alle – für Menschen mit und auch ohne QuerschnittlähmungFür die Sprechstunde ist eine Zuweisung durch Ihren Arzt erforderlich. www.spz.ch

N E U B A U / U M B A U

Paraplegie, Dezember 2018 27

InbetriebnahmeIn neuen DimensionenDas Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) hat im Oktober drei topmoderne neue Operationssäle und eine neue Intensivpflegestation in Betrieb genommen, die höchsten Ansprüchen gerecht werden.

Ein Freitagmorgen im Oktober. In einem der drei neuen Operationssäle sind Leitender Arzt Tobias Pötzel und Oberarzt Guy Waisbrod mit ihrem Team an der Arbeit. Einem jungen Patienten, der an chronischen Rückenschmerzen leidet, werden die Wirbelkörper stabilisiert.

Wie auch immer die beiden am Operations-tisch positioniert sind: Sie sehen auf verschiede-nen Monitoren Bilder, die ihnen die optimale Kontrolle und Orientierung sicherstellen. Rund vier Stunden wird der Eingriff dauern. Für die Spe-zialisten der Wirbelsäulenchirurgie und Ortho- pädie fällt er in die Kategorie Routine. Vier Tage später darf der Patient die Klinik verlassen.

In einer unaufgeregten Atmosphäre läuft dezenter Jazz. Pötzel und Waisbrod lieben diese Musik, die «geistig entspannt und die innere Ein-stellung zur Operation unterstützt», wie es Pötzel formuliert. Der neue Operationssaal, in den durch ein Fenster Tageslicht dringt, ist sehr grosszügig und bewusst weitsichtig geplant – weil die tech-nische Entwicklung weiter voranschreitet und neue Instrumente mehr Platz erfordern.

Instrumente dank SpendengeldernEines dieser Instrumente ist das 3D-Navigations-system (O-Arm). Das Röntgengerät liefert wäh-rend der Operation dreidimensionale Bilder und erlaubt millimetergenau navigiertes Operieren an allen Bereichen der Wirbelsäule, ohne die Area le vorher freilegen zu müssen. Der nötige Eingriff in den Körper des Patienten ist mit diesem Gerät viel kleiner und weniger belastend, daraus resultiert eine schnellere Genesung. Auch das heute häu-fig intensive Röntgen während der Operation fällt weg, damit reduziert sich die Strahlen exposition des Personals fast vollständig.

Am Ende der Operation gibt der O-Arm bei der «Revision» Aufschluss darüber, ob alles nach Plan verlaufen ist. Im Fall der Operation an die-sem Freitagmorgen zeigt das Ergebnis: Alles bes-tens verschraubt. «Das gibt allen Beteiligten ein gutes Gefühl», sagt Tobias Pötzel. Für den Ortho-päden ist das Arbeiten in der neuen Umgebung ein grosser Schritt in die Zukunft. Sind Gastärzte bei einer Operation mit dabei, sehe er manchmal «fast neidische Blicke».

Spendennachweis

Wichtige Instrumente im Neubau wie der O-Arm mit dem 3D-Navigations-system konnten nur dank Spenden angeschafft werden. 174 002 Gönner haben uns mit insgesamt 6 904 977 Franken unterstützt.

Das Schweizer Paraple-giker-Zentrum dankt allen Gönnern herzlich für ihre Spenden!

N E U B A U / U M B A U

28 Paraplegie, Dezember 2018

Für Ronald Vonlanthen, Chefarzt Akutmedizin und Mitglied der Geschäftsleitung, sind die neuen Operationssäle «schlichtweg fantastisch». Er sagt: «Dank grosszügigen Spenden konnten wir in die modernste Technologie investieren, die den Patienten die bestmögliche Versorgung bie-tet.» Vonlanthen denkt dabei insbesondere an die neue Intensivpflegestation (IPS): «Mit dem Neu-bau können wir jetzt in Nottwil mehr Patienten behandeln. Die Verbesserungen in der Architek-tur und die neue Technologie erlauben es, dass wir dem Frischverletzten oder dem schwerkran-ken Querschnittgelähmten eine noch bessere Behandlung angedeihen lassen können.»

IPS: Heilende ArchitekturDie Zimmer auf der IPS im neugebauten Nord- trakt des SPZ unterscheiden sich erheblich von den bisherigen. «Healing Environment» heisst eines der Zauberworte, heilende Umwelt: helle Fronten und raumhohe Fenster, die das Zimmer mit Tageslicht fluten und sich bei heruntergefah-renem Insektenschutz sogar einen Spaltbreit öff-nen lassen; Spezialglas, das sich bei zu starkem Sonnenschein automatisch abdunkelt und trotz-dem den Blick in die Natur ermöglicht; Farbe, die mithilft, im Zimmer eine wohnliche Ambiance zu schaffen.

Sechzehn dieser Zimmer sind seit Novem-ber auf der Intensivstation des SPZ in Betrieb. In Nottwil geht man davon aus, dass die Auslastung hoch sein wird.

Das Innenleben der Zimmer wird höchsten Ansprüchen gerecht. Die Kommunikation etwa ist selbst für Patienten gewährleistet, die nicht sprechen können: Via Bildschirm-Terminal teilen sie sich per Bildsprache mit. Das Gerät lässt sich für jene, die es nicht mit den Händen bedienen können, mit einer Mundmaus steuern. Es sind Hilfsmittel für Menschen, die im Durchschnitt zehn Tage auf der IPS verbringen, manchmal dau-ert der Aufenthalt auch mehrere Wochen.

Tom Hansen steht in einem der neuen Zim-mer, zeigt auf die modernen Beatmungsgeräte, demonstriert die Beweglichkeit des Betts und deutet auf die Überwachungsnische zwischen zwei Einzelzimmern. Dank dieses Zusatzraums mit Blick in die Zimmer behält das Pflegepersonal die Übersicht und ist dem Patienten nahe, ohne ständig sein Zimmer betreten zu müssen. So gibt es ihm ein Gefühl von Privatsphäre. Tom Hansen ist sehr zufrieden mit der neuen Infrastruktur: «Bis jetzt erfüllten wir unseren Auftrag auf einer minimalen Fläche, in mehrfach belegten Zimmern ohne Tageslicht. Die neuen Verhältnisse sind ein riesiger Schritt für uns.»

Hohe Erwartungen erfülltDer gebürtige Luxemburger wirkt seit 1990 am SPZ. Er ist zum Leiter Akutpflege aufgestiegen und war einer der treibenden Kräfte im Rahmen des IPS-Neubaus. 2011 entsteht ein erstes Papier mit Ideen. Hansen und seine rund fünfzig Mitar-beitenden setzten sich gezielt mit der Frage ausei-

Oben Das OP-Team um Tobias Pötzel (Mitte) und Guy Waisbrod (links) in

einem der neuen Operationssäle.

Kleines Bild Aus der Überwachungs- nische hat das Plegepersonal zwei Zimmer im Blick, ohne sie betreten

zu müssen.

Seite 27 Navigierte Operation mit dem O-Arm. Auch der Operations-

saal hat Tageslicht.

N E U B A U / U M B A U

Paraplegie, Dezember 2018 29

nander: Was müssen wir tun, um die allerbesten Bedingungen hinzubekommen?

«Geht nicht, gibts nicht» ist ein Grundsatz für das Team. Die Direktion bindet die Belegschaft eng in die Planung ein, vertraut den Fachleuten auf der Station. An einer Wand hängt eine grosse Skizze des geplanten Nordtrakts, die kontinu-ierlich überarbeitet wird. Am 22. Oktober 2018 wurde die Station offiziell eröffnet. «Wir hatten hohe Erwartungen an die neue IPS», sagt Hansen. «Und die wurden weitgehend erfüllt.»

Den Um- und Neubau auf dem Campus haben Hemmi Fayet Architekten konzipiert. Ein Ziel war es, «gerade auf der Intensivpflegestation die Spitalatmosphäre etwas zu eliminieren». Als Spital architekten stellen Hemmi Fayet den Patien-ten und die Mitarbeitenden in den Fokus. Damit soll Architektur nicht zum Selbstzweck entstehen, sondern optimale räumliche Bedingungen für eine möglichst schnelle Genesung schaffen.

Zur neuen IPS gehört neben einer hochmo-dernen Stationsapotheke auch ein Begegnungs-raum mit grossen Fenstern ins Grüne. Er ist für Frührehabilitationen gedacht, hier können sich aber auch Angehörige mit den Patienten treffen. «Raus aus dem Zimmer in eine andere Umge-bung!», sagt Hansen. «Wir möchten dem Patien-ten möglichst schnell eine Tagesstruktur geben und die Angehörigen wenn möglich einbinden. Es sind Menschen, die man im Alltag um sich hat und die allein mit ihrer Präsenz eine wichtige moralische Stütze sein können.»

Zurück ins LebenEin anderes Motto, das man auf der Station oft hört, lautet «Back to life». Die neue Infrastruktur unterstützt einerseits darin, Stressfaktoren wie Lärm, Licht und Geruchsimmissionen zu vermei-den, wie sie typischerweise in einem Mehrbett-zimmer auftreten. Andererseits helfen integrative Konzepte wie die Aktivierungstherapie, die den Patienten eine Tagesstruktur geben. Hansen und sein Team suchen daher ständig nach Wegen, um Prozesse zu optimieren und neue Motivationsmit-tel zu entdecken.

Der Leiter Akutpflege vergleicht das Pfle- gepersonal mit einem Orchester: Um Misstöne zu vermeiden, braucht es Konzentration, Harmo-nie, vollen Einsatz zur richtigen Zeit. Nach jedem Frühdienst treffen sich die IPS-Angestellten zur Feedbackrunde mit dem Leitenden Arzt. Fünf-zehn Minu ten dauert der Austausch; es geht auch darum, persönliche Befindlichkeiten loszu - werden, auf Schwierigkeiten aufmerksam zu machen oder erfreuliche Erlebnisse zu schildern.

Tom Hansen hat in seinen bald dreissig Jahren in Nottwil viel gesehen. Bei aller professionellen Distanz kommt es auch beim IPS-Routinier vor, dass er emotional ergriffen wird und am Bett eines Patienten leer schlucken muss. Deshalb sucht das Team in Nottwil auch im modernen Neubau unermüdlich weiter nach Möglichkei-ten, um Menschen auf der IPS eine noch bessere Betreuung zu gewährleisten. (Peter Birrer/we)

Jobs am SPZ

Für die neue Intensivpflege- station sucht das SPZ noch weitere Kolleginnen und Kollegen. Interessiert?Alle offenen Stellen auf: paraplegie.ch / karriere

Gruppenleiter Armin Leu versorgt eine Patientin auf der neuen IPS. Alle Zimmer bieten

den Blick in die Natur.

Neubau IPS/OPS

Baustart: August 2017Fertigstellung: Septem-ber 2018Architektur: hemmi fayet architekten ag eth siaBauherr: Schweizer Paraplegiker-Stiftung

Mit einem Legat oder einer Erbschafthinterlassen Sie Querschnittgelähmteneine bessere Zukunft.

Telefon 041 939 62 62, www.paraplegie.ch / legate

SPS_INS_Apfelbaum_ohneStoerer_d.indd 1 15.10.18 09:32

D A N K E

Paraplegie, Dezember 2018 31

Briefe an die Stiftung

Mithilfe des Spezialbettes und der Spitex ist es möglich, dass ich weiterhin in der eigenen Wohnung leben kann. Das bedeu-tet mir sehr viel. Ich danke Ihnen herzlich für die grosszügige Kostenübernahme zur Anschaffung des Bettes.Johanna Grob, Buttikon SZ

Ihre Zusage rührte meine Frau und mich zu Tränen. Mit der Direkthilfe der Paraple-giker-Stiftung können wir jetzt ein Auto anschaffen. Das wird unser Leben verän-dern. Wir können wieder unterwegs sein und Freunde und Familie besuchen. Ich bin so dankbar dafür, dass ich allen Menschen in meiner Umgebung von Ihrer Unterstüt-zung erzähle. Pierre-Michel Farron, Tramelan BE

Weil die Krankenkasse auf eine verkürzte Rehabilitationszeit bestanden hat, sind zu meinen Lasten Kosten entstanden. Die Para-plegiker-Stiftung hat diese ungedeckten Pflegekosten übernommen und dadurch

meiner Frau und mir eine grosse Last abge-nommen. Ohne Ihre grosszügigen Unter-stützungsleistungen wäre mein Leben mit der schweren, dauerhaften Behinderung noch sehr viel schwieriger.Arnd Eschenbacher, Faulensee BE

Noch nie in meinem Leben habe ich so ein Geschenk erhalten. Dank dem Fahrzeug muss ich mir keine Sorgen mehr machen, wie ich zu meinen Arztterminen komme. Der ständige Kampf finanziell über die Run-den zu kommen, ist sehr anstrengend. Ihre Hilfe lässt mich wieder Mut fassen.Pierre Kröll, Vuisternens-devant- Romont FR

Die baulichen Massnahmen für ein rollstuhl-gängiges Wohnen und der Elektrorollstuhl machen es möglich, dass ich in meinem gewohnten Umfeld leben kann. Auch das Rutschbrett leistet täglich wertvolle Hilfe und die Feldenkrais-Therapie am Paraple-giker-Zentrum verbessert mein Allgemein-

befinden merklich. Das alles konnte ich nur durch Ihre Direkthilfe finanzieren. Ich und meine Frau danken von Herzen allen Perso-nen, die das möglich machen. Francesco Del Bon, Aarburg AG

Ich habe in meiner Schulzeit schreiben gelernt. Aber ich habe nicht gelernt, was man denn schreibt, wenn einem die Worte fehlen. Von Herzen Danke für Ihre Hilfe zur Verbesserung meiner Wohnsituation.Betroffene aus dem Kanton Bern

Jung und selbstbestimmt

Während jeweils drei intensiven Sommerwochen werden jugendliche Rollstuhl fahrer im Schweizer Paraplegiker- Zentrum auf ihr bevorstehendes Erwachsenenleben vor-bereitet. Ziel der Jugendrehabilitationswochen ist es, die Selbst ständigkeit und das Selbstwertgefühl als junger Mensch mit lebens langer Einschränkung zu stärken. Mit einem massgeschneiderten, abwechslungs reichen Programm werden Eigenständigkeit im Alltag gefördert, Begeisterung für Sport geweckt, bei gemein samen Akti-vitäten das Selbstbewusstsein gestärkt und Weichen für die Zukunft gestellt. Denn nur mit hoher Autonomie haben die jungen Menschen Aussicht auf Chancen-gleichheit und bessere Lebensqualität.

Invalidenversicherung und Krankenkasse decken die Kosten nicht vollständig. Deshalb werden die Jugend-rehabilitationswochen mit Spendengeldern unterstützt.

Wir danken für Ihre SpendeSchweizer Paraplegiker-StiftungPC Konto 60-147293-5IBAN Nr. CH14 0900 0000 6014 7293 5Zweck: Jugendreha

Unser Sohn Giorgio nahm zum zweiten Mal an den Jugendrehabilitationswochen in Nottwil teil. Hier hat er neue Freundschaf-ten geknüpft und grosse Selbstständig- keit erreicht. Die Paraplegiker-Stiftung hat ihm damit sechs unvergessliche Wochen geschenkt. Wir sind dafür unendlich dank- bar. Da die Versicherungen sich nicht be- teiligten, hätte Giorgio ohne Ihren finan-ziellen Beitrag nicht dabei sein können. Familie Dal Monte, Kleindöttingen AG

32 Paraplegie, Dezember 2018

MitgliedschaftGelegenheit zum Danke sagenDas Service Center der Gönner-Vereinigung kümmert sich um die Anliegen ihrer 1,8 Millionen Mitglieder. Hier kommen Anrufe und E-Mails höchst gelegen. Besonders bereichernd ist die spürbare Solidarität mit den querschnittgelähmten Menschen.

Rund 60 000 Anrufe, über 50 000 elektronische Anfragen und mehr als zwei Millionen Mitglieder- zahlungen bearbeiten die Mitarbeitenden des Service Centers jedes Jahr. Aussergewöhnlich viele Kontakte finden gegen Jahresende statt, wenn die neuen Mitgliederausweise bei den Gönnern ein-treffen. Das ist die Hochsaison im Service Center. Dann werden Adressmutationen und Zivilstands-änderungen, Familienzuwachs oder Todesfälle gemeldet. Wichtige Informationen für die rei-bungslose Kommunikation zwischen der Gönner- Vereinigung und ihren Mitgliedern.

Wertvolle DatenChristine Hamago ist verantwortlich für das Service Center. Der Hochsaison sieht sie positiv entgegen. «Die erwarteten Anrufe und Mails sind unsere Chance, um Mitgliederdaten zu aktualisieren. Nur wenn diese aktuell sind, können wir Fehlzustel-lungen und Falschverbuchungen vermeiden», sagt die Abteilungsleiterin über die tägliche Heraus -forderung im Umgang mit 1,8 Millionen Mit glie- derdaten.

Wie wertvoll korrekte und vollständige Daten sind, veranschaulicht sie anhand eindrück-licher Zahlen: «Wir verschicken pro Jahr fast vier Millionen Briefe und ebenso viele Gönner-Ma-gazine. Wenn Tausende der Adressdaten nicht aktuell sind, bedeutet das verspätete oder unzu-stellbare Lieferungen. Zudem führen die Retou-ren zu Mehraufwand bei Kosten und Personal.» Beides möchte das Service Center möglichst ver-hindern. «Eine hohe Servicequalität drückt sich nämlich auch dadurch aus, dass die Post der Gönner-Vereinigung beim Mitglied überhaupt ankommt», beschreibt Hamago eine der Anfor-derungen an ihre Aufgabe.

Unkompliziert erreichbarEin weiteres Qualitätsmerkmal sieht sie in der einfachen Kontaktaufnahme mit dem Service Center. «Wir wollen unkompliziert erreichbar sein», sagt Christine Hamago, «je nach persönli-chem Vorzug auf analogen oder digitalen Kanä-len». Letztere sind mittlerweile unverzichtbar und werden immer wichtiger.

Die steigende Anzahl an Online-Kontakten zeigt: Die Mitglieder schätzen die Möglichkeit, das Service Center zeitunabhängig auf dem Laufen-den zu halten. Neuanmeldungen und Mutationen ebenso wie Begleichungen der Jahresrechnung und Überweisungen von Spenden finden ver-mehrt online statt. «Deshalb wollen wir Standard-

vorgänge weiter automatisieren», sagt Hamago über die Entwicklungsabsicht. Der persönliche Kontakt aber soll ein wichtiger Kanal bleiben.

Geschichten aus dem Leben Christine Hamago beschreibt die persönlichen Kontakte, die sich in ihrem Arbeitsalltag erge-ben, als bereichernd: «Wir lernen wunderbare Menschen kennen und erfahren ihre berühren-den Geschichten.»

Sie erzählt vom Götti, der anrief, um vom Unfall des Nachbarsbuben zu berichten, der im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Patient wurde. Und wie ihn dieses Erlebnis bewogen habe, seinem Patenkind eine Dauermitgliedschaft zu schenken. Von der Kollegin eines stationären

«Die Gespräche mit Gönnerinnen und Gönnern bereichern unsere Arbeit.»

Christine Hamago Leiterin Service Center

D I A L O G

Paraplegie, Dezember 2018 33

Patienten, die tief beeindruckt war von den Reha - bilitationsleistungen. Und wie sie nach dem Besuch am Patientenbett persönlich im Service Center vorbei kam, um eine Mitgliedschaft für sich und ihre Töchter abzuschliessen. Vom acht-zigjährigen Herrn, den die Gönner-Vereinigung mit einer Geburtstagskarte zum Jubiläum über-rascht hatte. Und wie er in seinem Antwort-schreiben zusicherte, dass die Vereinigung und die querschnittgelähmten Menschen weiterhin auf seinen Beitrag zählen könnten.

«Solche Kontakte machen die unglaubliche Solidarität unserer Mitglieder greifbar», schwärmt Hamago, «und sie geben uns Gelegenheit, per-sönlich Danke zu sagen.» Ihr Team ist bereit für die Hochsaison und Christine Hamago lanciert den Aufruf an die Mitglieder: «Bitte melden Sie uns Änderungen und Anliegen. Wir freuen uns darauf, weil wir gerne für Sie da sind.» (vom/we)

+41 41 939 62 62 von 08.00 – 12.00 und 13.30 – 17.00 Uhr (Montag bis Freitag)Von Februar bis September gehen durchschnittlich 200 Anrufe täglich ein, von Oktober bis Januar sind es über 1000. Wir bitten um Verständnis, sollte es zu kurzen Wartezeiten kommen.

paraplegie.ch /service-centerMit dem Online-Formular können Änderungen und Anliegen rasch und zeitunabhängig deponiert werden. Auf diesem Kanal sind ebenfalls Über-weisungen und Neuanmeldungen möglich.

[email protected]

AdresseService Center, Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung,Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil

Versandte Geburtstags-, Trauer- und Glückwunsch-

karten

28 448Gesprächsminuten

129 854

Mitarbeitende

16Individuell ausgelöste

Korrespondenz

265 602

Leistungszahlen 2017aus dem Service Center

Eingegangene E-Mails und Webformulare

52 429Entgegengenommene

Anrufe

59 358

«Wir sind gerne für Sie da»

Das Service Center steht für Anliegen und Änderungen betreffend Ihrer Mitgliedschaft bei der Gönner-Vereinigung zur Verfügung. Ihre Mitteilung über eine neue Adresse oder Familienkonstellation hilft uns, Ihnen den besten Service zu bieten.

Florian Bickel ist einer von fünfzehn Call Center Agents im Service Center

der Gönner-Vereinigung.

A U S B L I C K

34 Paraplegie, Dezember 2018

J A N U A R 2 0 1 9 | N R . 1 6 9 | G Ö N N E R - M A G A Z I N

PARAPLEGIE

DankeWie Ihr Mitgliederbeitrag wirkt

SCHWERPUNKT

Vorschau: März 2019Agenda

16. – 17. Januar Ersthelfer-Kurs Stufe 1 IVR Schweizer Institut für Rettungsmedizin in Nottwil Anmeldung: sirmed.ch 13. MärzAutorenlesung mit Gianna MolinariNottwil, Bibliothek im Gebäude GZI Anmeldung nicht erforderlich 24. April, 18.00 Uhr Mitgliederversammlung der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung Campus Nottwil 5. Mai Wings for Life World Run Zug

S C H W E R P U N K T

DankeWie Ihr Mitgliederbeitrag wirkt

Setzt die Schweizer Paraplegiker-Stiftung die Mittel ihrer Gönner am richtigen Ort ein? Welche Wirkung hat die Arbeit in Nottwil auf die Lebens-qualität, Arbeitsmarktintegration oder Chancen-gleicheit von Querschnittgelähmten? Welchen Nutzen für die gesamte Gesellschaft bringt die lebenslange Begleitung von Betroffenen? Wir erleben jeden Tag: Viele der nachhaltig positiven Wirkungen sind nur dank der Gönner möglich. Dafür sagen wir Danke.

ERLEBTEinkaufsszene in Zürich, mitgeteilt von Rollstuhlfahrer und «Paraplegie-Leser» Roger S.

Milch, Brot, Käse füllen den Einkaufskorb, der auf seinem Oberschenkel balanciert. Roger S. lehnt sich im Rollstuhl weit nach rechts, um mit bei-den Händen die Konfi im Regal zu greifen. Als er sich zurückdreht, um das Glas in den Korb zu stellen, liegt da eine Zehnernote auf dem Käse.«Sie können das Geld sicher gut gebrauchen. Ich spende dafür dannsonst nichts», hört Roger von oben herab. Er schaut auf in das Gesicht der Frau und fragt sich: «Meint sie mich?» Ihr Finger zeigt auf den Rollstuhl. Er denkt: «Wirke ich bemitleidenswert? Was soll ich jetzt sagen?» Sie geht weiter. Er schaut ihr stumm nach. Roger wird das Geld spenden.

Hier könnte Ihre Rollstuhlgeschichte stehen. Schreiben Sie uns: [email protected]

Impressum Paraplegie Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung 42. Jahrgang

Ausgabe Dezember 2018 / Nr. 168

Erscheinungsweise vierteljährlich in Deutsch, Fran zösisch und Italienisch

Gesamtauflage 1 038 323 Exemplare

Auflage Deutsch 927 680 Exemplare

Copyright Abdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin

Herausgeberin Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil [email protected], paraplegie.ch

Verantwortlich Schweizer Paraplegiker-Stiftung Unternehmenskommunikation 6207 Nottwil

Redaktion Manuela Vonwil vom (Leitung) Stefan Kaiser kste [email protected]

Adressänderungen Service Center Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil T 041 939 62 62, [email protected]

Fotos Walter Eggenberger we Beatrice Felder febe Astrid Zimmermann-Boog boa Camille Pugin Seite 34

Illustrationen Roland Burkart, rolandburkart.ch

Layout und Gestaltung Regina Lips (Leitung) rel Annemarie Kreiliger kran

Vorstufe / Druck Vogt-Schild Druck AG 4552 Derendingen

Das Gönner-Magazin wird in einer umweltverträglichen Polyethylenfolie verschickt.

Das Abonnement ist im Mitglieder-beitrag inbegriffen. Dieser beträgt für Einzelpersonen oder Alleinerziehende mit eigenen Kindern 45 Franken, für Ehepaare und Familien 90 Franken, für eine Dauermitgliedschaft pro Person 1000 Franken. Mitglieder erhalten 250 000 Franken Gönnerunterstützung bei unfallbedingter Querschnittlähmung mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit. paraplegie.ch / mitglied-werden

SEMINARE EVENTS GENUSS

Hotel Sempachersee Kantonsstrasse 46 6207 Nottwil

T 041 939 23 23 www.hotelsempachersee.ch

Erleben Sie echte Gastgeberqualitäten und entdecken Sie das frisch

umgebaute Hotel Sempachersee mit seinen hervorragenden Seminar-,

Hotel- und Gastronomieangeboten.

Kulinarisch verwöhnen wir Sie in unserem À-la-carte-Restaurant Sempia

oder im unkomplizierten Free-Flow-Restaurant Vivace.

Winter-Angebot Übernachtung im Doppelzimmer inkl. Frühstücksbuffet,

Apéro und 3-Gänge-Überraschungs-Abendmenüim Restaurant Sempia: CHF 155.00

im Restaurant Vivace: CHF 130.00

Zusätzliche Übernachtung CHF 90.00 Aufpreis für Einzelbenutzung CHF 25.00

Preise pro Person/Nacht inkl. MwSt, exkl. Resort Fee und Kurtaxe.

Dieses Angebot ist nach Verfügbarkeit buchbarim Zeitraum vom 1. Dezember 2018 bis 10. März 2019.

Ausgenommen während unseren Betriebsferienvom 23. Dezember 2018 bis 6. Januar 2019.

Erleben Sie Gastfreundschaft aus Leidenschaft. Wir freuen uns auf Sie!

HSS_INS_Winter_210x297mm_de.indd 1 11.10.18 17:22

«Mit der Lehre bin ich fertig. Nun beginnt das Leben.»Melanie (20) plant ein Auslandjahr.

Wo auch immer auf der Welt und in welcher Lebenssituation Sie sich befi nden, Ihre Vorteile halten ewig. Als Dauermitglied zahlen Sie einmalig CHF 1000.– und erhalten im Ernstfall CHF 250 000.– bei unfallbedingter Querschnittlähmung mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit.

Einmalig zahlen, für immer Mitglied: www.dauermitglied-werden.ch

Werden Sie jetzt Dauermitglied.

Einmal abschliessen – ein Leben lang vorgesorgt.

En cas de coup dur,

un montant de soutien de

CHF 250 000.–

en cas de paralysie médullaire consé-

cutive à un accident, avec dépendance

permanente du fauteuil roulant

Gönner-Unterstützung

Im Ernstfall

CHF 250 000.–

Bei unfallbedingter Querschnittlähmung

mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit

Sussidio sostenitori

CHF 250 000.–in caso d’emergenza

In caso di para-tetraplegia dovuta a

infortunio con dipendenza permanente

dalla sedia a rotelle

601801_SPS_Ins_Dauermitgliedschaft_jungeFrau_RZ_d.indd 1 30.10.18 16:53