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Schweiz Med Forum 2010;10(44):769–772 769 EmpfEhlungEn Patientinnensicherheit in der operativen Gynäkologie und Geburtshilfe Dokument erarbeitet von der Kommission Qualitätssicherung SGGG Daniel Surbek, Gero Drack, Felix Haberthür, Peter D. Hagmann, Siegfried Heinzl, Olivier Irion, Mario Litschgi, Julian Schilling, Jacques Seydoux, Christoph M. Honegger Patientensicherheit:Worum geht es? Unter dem Stichwort «Patientensicherheit» werden seit einigen Jahren Aktivitäten definiert, welche zu einer systematischen Verringerung von Gefahren, welche Patienten im Zusammenhang mit medizinischen Unter- suchungen und Behandlungen erwachsen können, bei- tragen sollen. Anhand einer systematischen Erfassung von Gefahrenmomenten werden Strategien entwickelt, um deren Risikopotential zu senken oder, bei Eintreten solcher Gefährdungen, diese korrekt zu handhaben. Besonderes Augenmerk verdient die Kommunikation sowohl bei der Prävention wie auch bei der Bewälti- gung eines eingetretenen Schadenfalles. Innerhalb der gesamten Medizin sind folgende Themen punkto Patientensicherheit besonders kritisch: Nosokomiale Infekte; Medikamentensicherheit; Eingriffsverwechslung; Patientenidentifikation; Error- und Risikoanalyse (ERA); Riskmanagement und Anforderungen an Fehlermel- desysteme; Umgang mit Zwischenfällen; Benchmarking Patientensicherheit. Es ist offensichtlich, dass Aktivitäten zur Erhöhung der Patientensicherheit ein wesentlicher Teil des Q-Ma- nagements einer Klinik sind. Sie sind auch als Teil eines Risikomanagements zur Vermeidung von Haftungs- fällen anzusehen. Letztlich dienen alle Massnahmen zur Verbesserung der Behandlungsqualität auch der Verbesserung der Patientensicherheit. Das vorliegende Dokument beschränkt sich auf Mass- nahmen zur Vermeidung von Komplikationen im eigentlichen klinischen Behandlungsprozess. Systematische Ansätze zurVerbesserung der Patientensicherheit Als besonders wirksam haben sich organisatorische Konzepte gezeigt, welche zwei Aspekte in den Vorder- grund stellten: Teamcharakter aller in die Behandlung involvier- ten Personen. Obwohl die Betreuung von Mutter und Kind durch Personen verschiedener Berufsgruppen und verschiedener Spezialitäten erbracht wird, verstehen sich diese Personen im Hinblick auf die Leistungserbringung als ein Team. Vertreter dieser Gruppen bearbeiten in gemeinsamen Veranstal- tungen kritische klinische Situationen und interpro- fessionelle (z.B. Arzt–Hebamme–Pflegende) und interdisziplinäre (z.B. Geburtshilfe–Anästhesie– Neonatologie) Schnittstellen. So sollen durch eine Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwi- schen den Teammitgliedern (horizontale Schnittstel- len), aber auch durch systematische, formalisierte Informationsübergabe bei Patientenübergaben im Behandlungsablauf oder bei Dienstübergaben (ver- tikale Schnittstellen) (mündlich 3 Rapport, schrift- lich 3 Übergabeberichte) potentielle Schadens- ereignisse verringert werden. Die Nennung von Fehlern erfolgt ohne Tadel oder Vorwürfe. Eine «no blame»-Atmosphäre bildet eine wichtige Voraussetzung für die im Team not- wendige offene Diskussionskultur. Nur so gelingt es, erkannte Fehler und Gefahrenmomente allgemein sichtbar zu machen und anzugehen. Zeitkritische Notfallsituationen bedürfen des regel- mässigen drillartigen Einübens. Darauf wird später noch besonders eingegangen. Aufgabe jeder Klinik bei einer Bearbeitung des Themas «Patientensicherheit» sind die Fragestellungen «Was ging schon schief?» und «Was könnte schiefgehen?» 3 Fehlermelde- und Fehlerbearbeitungssystem, z.B. CIRS (= critical incidence reporting system), EBKE (Erfas- sung und Bearbeitung kritischer Ereignisse) etc. Die systematische interprofessionelle und interdiszipli- näre Erarbeitung von Prozessen, gerade im Notfallbe- reich, stellt nicht irgendeinen möglichen methodischen Ansatz dar, sondern die wesentliche Voraussetzung für eine effiziente Zielerreichung und nachhaltigen Erfolg. Wie bereits bei der Übernahme der Philosophie des an- onymisierten Berichtens kritischer Zwischenfälle und deren systematischer Aufarbeitung (CIRS) greifen einige in Kliniken des In- und Auslands praktizierte Vorgehensweisen auf das erfolgreiche Teamworkver- ständnis der Luftfahrt zurück. Wie die Luftfahrtunter- nehmen sind auch klinische Betriebe, speziell solche mit Notfall- und intensivmedizinischen Bereichen, als sog. Hochsicherheitsorganisationen zu bezeichnen. Beispiele solcher mit Erfolg umgesetzten Konzepte sind Beiträge der Rubrik «Empfehlungen» werden nicht redaktionell reviewt. Die inhaltlicheVerantwortung liegt bei den Autoren. Daniel Surbek Die Autoren erklä- ren, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag haben.

Patientinnensicherheit in der operativen Gynäkologie … · Empfehlungen zur Prävention von Eingriffsverwechslungen (prevention of wrong site surgery). Umset-zungen.März2008. Guidelines/Leitlinien

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Schweiz Med Forum 2010;10(44):769–772 769

EmpfEhlungEn

Patientinnensicherheit in der operativen Gynäkologieund GeburtshilfeDokument erarbeitet von der Kommission Qualitätssicherung SGGG

Daniel Surbek, Gero Drack, Felix Haberthür, Peter D. Hagmann, Siegfried Heinzl, Olivier Irion, Mario Litschgi,Julian Schilling, Jacques Seydoux, Christoph M. Honegger

Patientensicherheit:Worum geht es?

Unter dem Stichwort «Patientensicherheit» werden seiteinigen Jahren Aktivitäten definiert, welche zu einersystematischen Verringerung von Gefahren, welchePatienten im Zusammenhang mit medizinischen Unter-suchungen und Behandlungen erwachsen können, bei-tragen sollen. Anhand einer systematischen Erfassungvon Gefahrenmomenten werden Strategien entwickelt,um deren Risikopotential zu senken oder, bei Eintretensolcher Gefährdungen, diese korrekt zu handhaben.Besonderes Augenmerk verdient die Kommunikationsowohl bei der Prävention wie auch bei der Bewälti-gung eines eingetretenen Schadenfalles.Innerhalb der gesamten Medizin sind folgende Themenpunkto Patientensicherheit besonders kritisch:– Nosokomiale Infekte;– Medikamentensicherheit;– Eingriffsverwechslung;– Patientenidentifikation;– Error- und Risikoanalyse (ERA);– Riskmanagement und Anforderungen an Fehlermel-

desysteme;– Umgang mit Zwischenfällen;– Benchmarking Patientensicherheit.Es ist offensichtlich, dass Aktivitäten zur Erhöhung derPatientensicherheit ein wesentlicher Teil des Q-Ma-nagements einer Klinik sind. Sie sind auch als Teil einesRisikomanagements zur Vermeidung von Haftungs-fällen anzusehen.Letztlich dienen alle Massnahmen zur Verbesserungder Behandlungsqualität auch der Verbesserung derPatientensicherheit.Das vorliegende Dokument beschränkt sich auf Mass-nahmen zur Vermeidung von Komplikationen imeigentlichen klinischen Behandlungsprozess.

Systematische Ansätze zurVerbesserungder Patientensicherheit

Als besonders wirksam haben sich organisatorischeKonzepte gezeigt, welche zwei Aspekte in den Vorder-grund stellten:– Teamcharakter aller in die Behandlung involvier-

ten Personen. Obwohl die Betreuung von Mutter und

Kind durch Personen verschiedener Berufsgruppenund verschiedener Spezialitäten erbracht wird,verstehen sich diese Personen im Hinblick auf dieLeistungserbringung als ein Team. Vertreter dieserGruppen bearbeiten in gemeinsamen Veranstal-tungen kritische klinische Situationen und interpro-fessionelle (z.B. Arzt–Hebamme–Pflegende) undinterdisziplinäre (z.B. Geburtshilfe–Anästhesie–Neonatologie) Schnittstellen. So sollen durch eineFörderung des gegenseitigen Verständnisses zwi-schen den Teammitgliedern (horizontale Schnittstel-len), aber auch durch systematische, formalisierteInformationsübergabe bei Patientenübergaben imBehandlungsablauf oder bei Dienstübergaben (ver-tikale Schnittstellen) (mündlich 3 Rapport, schrift-lich 3 Übergabeberichte) potentielle Schadens-ereignisse verringert werden.

– Die Nennung von Fehlern erfolgt ohne Tadel oderVorwürfe. Eine «no blame»-Atmosphäre bildeteine wichtige Voraussetzung für die im Team not-wendige offene Diskussionskultur. Nur so gelingt es,erkannte Fehler und Gefahrenmomente allgemeinsichtbar zu machen und anzugehen.

– Zeitkritische Notfallsituationen bedürfen des regel-mässigen drillartigen Einübens. Darauf wird späternoch besonders eingegangen.

Aufgabe jeder Klinik bei einer Bearbeitung des Themas«Patientensicherheit» sind die Fragestellungen «Wasging schon schief?» und «Was könnte schiefgehen?» 3Fehlermelde- und Fehlerbearbeitungssystem, z.B. CIRS(= critical incidence reporting system), EBKE (Erfas-sung und Bearbeitung kritischer Ereignisse) etc.Die systematische interprofessionelle und interdiszipli-näre Erarbeitung von Prozessen, gerade im Notfallbe-reich, stellt nicht irgendeinen möglichen methodischenAnsatz dar, sondern die wesentliche Voraussetzung füreine effiziente Zielerreichung und nachhaltigen Erfolg.Wie bereits bei der Übernahme der Philosophie des an-onymisierten Berichtens kritischer Zwischenfälle undderen systematischer Aufarbeitung (CIRS) greifeneinige in Kliniken des In- und Auslands praktizierteVorgehensweisen auf das erfolgreiche Teamworkver-ständnis der Luftfahrt zurück. Wie die Luftfahrtunter-nehmen sind auch klinische Betriebe, speziell solchemit Notfall- und intensivmedizinischen Bereichen, alssog. Hochsicherheitsorganisationen zu bezeichnen.Beispiele solcher mit Erfolg umgesetzten Konzepte sind

Beiträge der Rubrik «Empfehlungen» werden nicht redaktionellreviewt. Die inhaltliche Verantwortung liegt bei den Autoren.

Daniel Surbek

Die Autoren erklä-ren, dass sie keineInteressenkonflikteim Zusammenhangmit diesem Beitraghaben.

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das CRM (crew resource management) der Maternitéder Universitätsfrauenklinik Genf oder das ProgrammAMPROOB (Approche multidisciplinaire en préventiondes risques obstétricaux) der SOGC in Kanada. DieseAktivitäten lieferten Überprüfungen zufolge insgesamtbessere Behandlungsresultate, weniger Unfälle undeine Senkung der Haftpflichtfälle.Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Umsetzung vonSicherheitsmassnahmen ohne Belastung der Patientin-nen. Die Patientinnen sollen die Massnahmen als ver-trauenserweckende Unterstützung und nicht alsSchikanen wahrnehmen.

Allgemeine Massnahmen

Folgende Massnahmen haben sich zur Erhöhung derSicherheit der Patientinnen im Klinikbereich im All-gemeinen und/oder in der Geburtshilfe im Speziellenbewährt:

StrukturelleVoraussetzungen– Definition infrastruktureller und personeller Vor-

aussetzungen;– Optimieren der Abläufe, Vermeidung fehlerhafter

und dadurch zu lange dauernder Kommunikations-wege durch Definition/Prüfung logistischer Voraus-setzungen;

– Einführung der elektronischen Krankengeschichteund anderer IT-Instrumente. Reduktion von Ein-gaben, Verringerung von Eingabefehlern und Ver-meidung von handschriftlichen Eintragungen.

Ausbildung/Teambildung– Systematische Schulung der Zusammenarbeit in der

Teamschulung (Teamwork-Philosophie). Verringe-rung der Fehlerquote durch Betonung der Kommuni-kation;

– Teambildung mit allen beteiligten Berufsgruppen(Geburtshelfer/Operateure, Neonatologen/Kinder-ärzte, Anästhesisten, Hebammen, Pflegende allerBereiche, Technische Operationsassistentinnen, evtl.Sekretärinnen);

– Unterstützung der Teambildung durch Übungen ineinem virtuellen Gebärsaal inkl. Simulatoren;

– Simulation von Notfallsituationen, damit zuverläs-sige Applikationen lebensrettender Massnahmeneingeübt werden können («eingedrillt»);

– Klinikeigener zeitlicher und inhaltlicher Plan zurregelmässigen Repetition von Notfallbehandlungenund -abläufen.

Klinische Arbeit– Erstellung von Behandlungsprotokollen (Behand-

lungspfaden) und hausinternen Weisungen/Richt-linien führt zu einer standardisierten Vorgehens-weise, erleichtert Lernprozesse und verbessert dasWissen über den Ablauf bestimmter Vorgänge;

– Senkung der perioperativen Mortalität durch pe-rioperative Massnahmen wie Antibiotikagabe,Thromboseprophylaxe, Lagerungsvorschriften und-kontrolle.

Massnahmen vor/im Operationssaal– Vor und im Operationssaalbereich gelten die Emp-

fehlungen der Stiftung Patientensicherheit vorBeginn des Eingriffs zur Prävention von Eingriffs-verwechslungen (vgl. www.patientensicherheit.ch);

– Zeitgerechte Erfassung unmittelbar postopera-tiver Komplikationen im Aufwachraum;

– Durch die Schulung kommunikativer Fertigkeitenwerden Zwischenfälle verhütet, und die Aufarbei-tung von Zwischenfällen wird unterstützt.

Problembereiche und Lösungsansätzein der operativen Gynäkologie

Präoperative Phase– Sorgfältige Erarbeitung von Diagnosesicherung,

differentialdiagnostischen Überlegungen und Indi-kationsstellung;

– Darlegung der Behandlungsstrategie (inkl. Be-handlungsalternativen), Thematisieren von konser-vativer vs. operativer Behandlung, inkl. Option dersecond opinion;

– Vollständige und rechtzeitige Aufklärung über diebevorstehende Intervention inklusive der Alterna-tiven. Konsequente Anwendung der Aufklärungs-protokolle der Fachgesellschaft;

– Planung des Eingriffs unter Berücksichtigung ver-schiedener Kriterien (Ressourcen, Beteiligung ande-rer Fachdisziplinen etc.). Der Operateur kennzeich-net bei paarigen Organen das zu operierende Organan der wachen Patientin. Berücksichtigung vonBesonderheiten, welche für die Operation von Be-deutung sind (eingeschränkte Lagerungsmöglich-keiten, Allergien, Pacemaker, Begleiterkrankungen,Zyklusphase etc.);

– Effiziente Gestaltung der Abläufe (Zeit- und Kos-tendruck), z.B. Wechselzeiten zwischen zwei Opera-tionen, Bereitstellung genügender personeller Res-sourcen;

– Internistisch/anästhesiologische Abklärung von in-dividuellen, risikoerhöhenden Faktoren (wie inter-nistische Begleiterkrankungen, Medikamente etc.)in Bezug auf die Operabilität resp. Narkosefähigkeit.Daraus ergeben sich verschiedene Massnahmen wieeine Optimierung/Anpassung der präoperativen Me-dikamente oder spezielle Laboruntersuchungen.

Operative Phase– Korrekte Lagerung der Patientin im Operationssaal

mit Unterstützung von genügend Hilfskräften undunter Berücksichtigung individueller Besonderhei-ten (Hüftprothese, eingeschränkte Beweglichkeit).Dazu existieren klare Schemata. Konsequente Über-prüfung der Lagerung der Patientin vor dem Abde-cken unter spezieller Beachtung der Prädilektions-stellen wie Fibulaköpfchen, N. peronaeus etc. DerOperateur berücksichtigt bei paarigen Organen diezu operierende Seite entsprechend der präoperativan der wachen Patientin vorgenommenen Kenn-zeichnung.

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– Aufbereitung des Geräteparks, bestehend aus Elek-trochirurgie, Endoskopieturm, Laparoskopieinstru-menten und genereller technischer Infrastruktur(Absaugsystem, Beleuchtung etc.) vor jeder Opera-tion. Dabei überprüft die TOA oder der Operateurdie Geräteeinstellung und passt diese bei Bedarf an.Erdung der Geräte, Prüfung der Neutralelektrode.

Postoperative Phase– Sicherstellung einer risikoangepassten postoperati-

ven Überwachung (IPS, AWR, Tagesklinik, Station)unter besonderer Beachtung der postoperativen Ver-ordnungen (Schnittstelle Anästhesist–Operateur, Me-dikamenteninteraktionen). Die wichtigsten Punkteder postoperativen Überwachung sind: postoperativeVerordnungen schematisch und interdisziplinärdurchführen, Nachbehandlung ausführlich bespre-chen inkl. Warnzeichen für allfällige Komplikationen,bei Komplikationen korrektes Verhalten und korrekteKommunikation (vgl. www.patientensicherheit.ch).

Problembereiche und Lösungsansätzein der Geburtshilfe

In der Geburtshilfe mit ihren diversen zeitkritischen Not-fallsituationen stellt das drillmässige Einüben der not-wendigen Abläufe im klinikeigenen Rahmen das A und Oder Bewältigung lebensbedrohlicher Notfallsituationendar. Derartige Übungen sind regelmässig zu wiederholen.Alle involvierten Berufsgruppen sind in die Übungen ein-zubeziehen. Es empfiehlt sich eine Dokumentation derDurchführung mit Auflistung der Teilnehmenden. Der-artige Notfallsituationen sind in der nachfolgenden Listemit * markiert, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.Beispiele aus dem geburtshilflichen Alltag, welche injeder Klinik systematisch aufgearbeitet werden sollten:

Standardsituationen– Überwachung des Kindes sub partu;– Überwachung des Kindes post partum;– Prophylaxe der Neugeborenensepsis laut Exper-

tenbrief Nr. 19 SGGG;– Überwachung von Müttern nach Sectio analog an-

erkannter Standards der postoperativen Überwa-chung. Klare Reglung der Verantwortlichkeiten (An-ästhesisten, Geburtshelfer, Hebammen). BesondereBeachtung der frühen Förderung des Bondings zwi-schen Mutter und Kind;

– Leitung von Mehrlingsgeburten gemäss internenund anerkannten Richtlinien. Zeitgerechte Bereit-stellung von personellen Ressourcen;

– Vorbestehende Erkrankungen der Mutter.

Notfallsituationen– Sub partu: *Nabelschnurvorfall, vorzeitige Plazenta-

lösung, *Uterusruptur, *eklamptischer Anfall, *Blu-tung aus Vasa praevia, *Fruchtwasserembolie,*Schulterdystokie, *akuter fetaler Distress;

– Schriftlich festgelegter und eingeübter Ablaufplanbei einer absoluten Notfallsectio (Blitzsectio,crash cesarean section);

– Stabilisierung/Eklampsieprophylaxe der Schwangerenbei schwerer Präeklampsie. Anschliessend Monito-ring der Schwangeren/Wöchnerin (neurologisch,kardiopulmonal, hepatologisch, nephrologisch), Pla-nung von Zeitpunkt und Modus der Entbindung un-ter Einbezug von Neonatologen und Anästhesisten;

– Behandlung der schweren postpartalen Hämor-rhagie (PPH) nach Expertenbrief Nr. 26 SGGG;

– Akute kardiopulmonale Ereignisse peripartal;– Infektiöse oder thromboembolische Komplikatio-

nen.

Schlussbemerkungen

Das Thema Patientensicherheit ist ein aktuelles Themaund verdient die notwendige Beachtung im medizini-schen Alltag. In der operativen Gynäkologie bestehenverschiedene Phasen der Intervention mit jeweils un-terschiedlichen, spezifischen Gefährdungsmomenten.Präoperativ sind die sorgfältige Erhebung der Ana-mnese, die präoperativen Untersuchungen und die Auf-klärung der Patientin über den geplanten Eingriff inkl.Behandlungsalternativen ganz zentral.In der operativen Phase gilt der Patientenidentifikationund der Vermeidung einer Seiten- oder gar Eingriffs-verwechslung grösstes Augenmerk. Weitere Faktorensind die Lagerung und ein fehlerfreies Funktionierender Geräte und Instrumente.Postoperativ sind die adäquate Überwachung und dieumfassenden Verordnungen sicherzustellen.In der Geburtshilfe gibt es, wie oben aufgeführt, nebstden allgemeinen Gefährdungsmomenten ganz spezifi-sche Problemstellungen, die es systematisch zu erfas-sen und zu handhaben gilt.In beiden Bereichen müssen die infrastrukturellen undpersonellen Vorraussetzungen geschaffen werden, umdie Patientensicherheit zu erhöhen. Durch Optimierungder Prozesse können die Kosten unter Kontrolle gehal-ten werden.Bei einem Zwischenfall oder einem Beinahezwischen-fall müssen geeignete Erfassungssysteme zur Verfü-gung stehen, systematisch genutzt und periodisch aus-gewertet werden. Dazu eignet sich am ehesten einCIRS, am besten vernetzt. Zudem muss jede Klinik einKonzept haben, wie bei Zwischenfällen vorzugehen ist,wie sich die Mitarbeitenden zu verhalten haben undwie zu kommunizieren ist.Der Kommunikation mit der Patientin und deren Ange-hörigen ist besondere Beachtung zu schenken. Speziellwichtig ist dies bei Zwischenfällen (vgl. www.patientensicherheit.ch).Für viele der genannten Bereiche gibt es bereits heuteMerkblätter und Konzepte der Schweizerischen Stiftungfür Patientensicherheit (www.patientensicherheit.ch).Diese wertvollen Informationen müssen für jedermann zu-gänglich gemacht und in den Kliniken adaptiert werden.Weiter sollten klinikinterne Richtlinien («Blaubuch»)für das perioperative und peripartale Management vonPatientinnen resp. Neugeborenen bestehen. Es gehtdarum, welche Intervention welche Vorbereitung undwelche postinterventionelle Betreuung benötigt.

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Es liegt an unserer Fachgesellschaft, auf sicherheitskri-tische Situationen und Prozesse hinzuweisen und ihrenMitgliedern Hilfestellung zur Erarbeitung betriebseige-ner Konzepte und Übungsvorlagen zu liefern. Wie be-reits in der Einleitung erwähnt, kann dies Gynäkologen/Geburtshelfern nicht im Alleingang gelingen. Mit demvorliegenden Dokument lädt unsere Fachgesellschaftalle anderen involvierten Berufsgruppen zur gemein-samen Erarbeitung der angesprochenen Konzepte ein.

Korrespondenz:Prof. Daniel SurbekUniversitäts-Frauenklinik InselspitalEffingerstr. 102CH-3010 [email protected]

Empfohlene Literatur– Clark SL, et al. Improved outcomes, fewer cesarean deliveries, and re-

duced litigation: results of a new paradigm in patient safety. Am JObstet Gynecol. 2008;199:105.e1–105.e7.

– Gluck PA (ed.) Patient safety in obstetrics and gynecology: Improvingoutcomes, reducing risks. Obst Gynecol Clin North Am. 2008;35(1).

– Haller G, et al. Effect of crew resource management training in a mul-tidisciplinary obstetrical setting. Internat J Qual Health Care. 2008;pp. 1–10.

– Hickl EJ, Pelz FJ. Risikomanagement zur Vermeidung von Arzthaf-tungsfällen in der Geburtshilfe. Gynäkologe. 2008;41:147–52.

– Holzer E, Thomeczek C, Hauke E, Conen D, Hochreutener MA. Pati-entensicherheit. Leitfaden für den Umgang mit Risiken im Gesund-heitswesen. Facultas 2004.

– Kloetzer L, et al. Approfondir la coopération inter-métiers pour amé-liorer la sécurité obstétricale. Risques et Qualité. 2005;2:75–86.

– Pearlman MD. Patient safety in obstetrics and gynecology. An agendafor the future. Obstet Gynecol. 2006;108:1266–71.

– Pettker CM, et al. Impact of a comprehensive patient safety strategyon obstetric adverse events. Am J Obstet Gynecol. 2009;200:492.e1–492.e8.

– Scholefield H. Safety in obstetric critical care. Best Practice & ResearchClin Obstet Gynaecol. 2008;22:965–82.

– Siassakos D, et al. The active components of effective training in obs-tetric emergencies. BJOG. 2009;116:1028–32.

– Siassakos D, et al. Retrospective cohort study of diagnosis-deliveryinterval with umbilical cord prolapse: the effect of team training.BJOG. 2009;116:1089–96.

– Stiftung für Patientensicherheit. Kommunikation mit Patienten undAngehörigen nach einem Zwischenfall. Empfehlungen. Oktober 2006.

– Stiftung für Patientensicherheit. Wenn etwas schief geht. Ein Kon-sens-Dokument der Harvard-Spitäler. Dezember 2006.

– Stiftung für Patientensicherheit. Empfehlungen zur Prävention vonEingriffsverwechslungen (prevention of wrong site surgery). Umset-zungen. März 2008.

Guidelines/Leitlinien– ACOG: Fatigue and patient safety. Committee Opinion # 398, Febru-

ary 2008.– ACOG: Technologic advances to reduce medication-related errors.

Committee Opinion # 400, March 2008.– DGGG: www.dggg.de (Auswahl)

– Empfehlungen zur Dokumentation der Geburt – das Partogramm.AWMF 015/017 (S1). Stand August 2008.

– Anwendung von Prostaglandinen in der Geburtshilfe und Gynäko-logie. AWMF 015/031 (S1). Stand August 2008.

– Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt.AWMF 015/036 (S1). Stand August 2008.

– Zur Frage der postoperativen Überwachung von Kaiserschnitt-patientinnen. AWMF 015/056 (S1). Stand August 2008.

– Vereinbarung über die Zusammenarbeit in der operativen Gynä-kologie und Geburtshilfe (keine Leitlinie; Stand August 2008).

– RCOG: Improving patient safety: Risk management for maternity andgynaecology. Clinical Governance Advice No. 2. Revised October2005. www.rcog.org.uk 3 Guidelines 3 Clinical Governance.

– SGN: www.neonet.ch 3 Recommendations.– Die Betreuung und Reanimation des Neugeborenen (2007).

Internet– AMPROOB: www.amproob.com.– Stiftung für Patientensicherheit: www.patientensicherheit.ch.– Strong Peri-FACTS-Programm von Prof. James Woods:

www.urmc.rochester.edu/obgyn/peri-facts/.

Eine ausführliche Fassung dieser Empfehlungen finden Sie online(www.medicalforum.ch) als Anhang an den Artikel.

Empfehlung zur „Patientinnensicherheit in der operativen Gynäkologie und Geburtshilfe“ Dokument erarbeitet von der Kommission Qualitätssicherung SGGG 1. Patientensicherheit: Worum geht es? Unter dem Stichwort „Patientensicherheit“ werden seit einigen Jahren Aktivitäten definiert, welche zu einer systematischen Verringerung von Gefahren, welche Patienten im Zusammenhang mit medizinischen Untersuchungen und Behandlungen erwachsen können, beitragen sollen. Anhand einer systematischen Erfassung von Gefahrenmomenten werden Strategien entwickelt um deren Risikopotential zu senken oder bei Eintreten solcher Gefährdungen, diese korrekt zu handhaben. Besonderes Augenmerk verdient die Kommunikation sowohl bei der Prävention wie auch bei der Bewältigung eines eingetretenen Schadenfalles. Innerhalb der gesamten Medizin sind folgende Themen punkto Patientensicherheit besonders kritisch: • Nosokomiale Infekte • Medikamentensicherheit • Eingriffsverwechslung • Patientenidentifikation • Error- und Risikoanalyse (ERA) • Riskmanagement und Anforderungen an Fehlermeldesysteme • Umgang mit Zwischenfällen • Benchmarking Patientensicherheit Es ist offensichtlich, dass Aktivitäten zur Erhöhung der Patientensicherheit ein wesentlicher Teil des Q-Managements einer Klinik sind. Sie sind auch als Teil eines Risikomanagements zur Vermeidung von Haftungsfällen anzusehen. Letztlich dienen alle Massnahmen zur Verbesserung der Behandlungsqualität auch der Verbesserung der Patientensicherheit. Das vorliegende Dokument beschränkt sich auf Massnahmen zur Vermeidung von Komplikationen im eigentlichen klinischen Behandlungsprozess. 2. Systematische Ansätze zur Verbesserung der Patientensicherheit Als besonders wirksam haben sich organisatorische Konzepte gezeigt, welche zwei Aspekte in den Vordergrund stellten: • Teamcharakter aller in die Behandlung involvierten Personen.

Obwohl die Betreuung von Mutter und Kind durch Personen verschiedener Berufsgruppen und verschiedener Spezialitäten erbracht wird, verstehen sich diese Personen im Hinblick auf die Leistungserbringung als ein Team. Vertreter dieser Gruppen bearbeiten in gemeinsamen Veranstaltungen kritische klinische Situationen und interprofessionelle (z.B. Arzt – Hebamme – Pflegende) und interdisziplinäre (z.B.

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Geburtshilfe – Anästhesie – Neonatologie) Schnittstellen. So sollen durch eine Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Teammitgliedern (horizontale Schnittstellen), aber auch durch systematische, formalisierte Informationsübergabe bei Patientenübergaben im Behandlungsablauf oder bei Dienstübergaben (vertikale Schnittstellen) (mündlich Rapport, schriftlich Übergabeberichte) potentielle Schadensereignisse verringert werden.

• Die Nennung von Fehlern erfolgt ohne Tadel oder Vorwürfe.

Eine „no blame“-Atmosphäre bildet eine wichtige Voraussetzung für die im Team notwendige offene Diskussionskultur. Nur so gelingt es erkannte Fehler und Gefahrenmomente allgemein sichtbar zu machen und anzugehen.

• Zeitkritische Notfallsituationen bedürfen des regelmässigen drillartigen Einübens. Darauf

wird später noch besonders eingegangen. Aufgabe jeder Klinik bei einer Bearbeitung des Themas „Patientensicherheit“ sind die Fragestellungen „Was ging schon schief?“ und „Was könnte schief gehen?“ Fehlermelde- und Fehlerbearbeitungssystem, z,B CIRS (=critical incidence reporting system), EBKE (Erfassung und Bearbeitung kritischer Ereignisse) etc. Die systematische interprofessionelle und interdisziplinäre Erarbeitung von Prozessen, gerade im Notfallbereich, stellt nicht irgendeinen möglichen methodischen Ansatz dar, sondern die wesentliche Voraussetzung für eine effiziente Zielerreichung und nachhaltigen Erfolg. Wie bereits bei der Übernahme der Philosophie des anonymisierten Berichtens kritischer Zwischenfälle und deren systematischer Aufarbeitung (CIRS) greifen einige in Kliniken des In- und Auslands praktizierte Vorgehensweisen auf das erfolgreiche Teamwork-Verständnis der Luftfahrt zurück. Wie die Luftfahrtunternehmen sind auch klinische Betriebe, speziell solche mit Notfall- und intensivmedizinischen Bereichen, als sog. Hochsicherheitsorganisationen zu bezeichnen. Beispiele solcher mit Erfolg umgesetzten Konzepte sind das CRM (crew resource management) der Maternité der Universitäts-Frauenklinik Genf oder das Programm AMPROOB (Approche multidisciplinaire en prévention des risques obstétricaux) der SOGC in Kanada. Diese Aktivitäten lieferten Überprüfungen zufolge insgesamt bessere Behandlungsresultate, weniger Unfälle und eine Senkung der Haftpflichtfälle. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen ohne Belastung der Patientinnen. Die Patientinnen sollen die Massnahmen als vertrauenserweckende Unterstützung und nicht als Schikanen erfassen können. 3. Allgemeine Massnahmen Folgende Massnahmen haben sich zur Erhöhung der Sicherheit der Patientinnen im Klinikbereich im Allgemeinen und / oder in der Geburtshilfe im Speziellen bewährt: Massnahme Zweck / Anmerkungen Strukturelle Voraussetzungen Definition infrastruktureller und personeller Voraussetzungen

Bereitstellung definierter minimaler Arbeitsvoraussetzungen.

Logistische Voraussetzungen definieren / prüfen (Beispiel Meldesystem bei lebensbedrohlichem Notfall / „Roter Knopf“ u.ä.)

Optimieren der Abläufe, Vermeidung fehlerhafter und dadurch zu lange dauernde Kommunikationswege.

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Elektronische Krankengeschichte (und andere IT-Instrumente)

Reduzierung von Eingaben und damit Verringerung von Eingabefehlern. Permanenter Zugriff auf Daten und damit Vermeidung des Verlegens von Akten. Leserlichkeit der elektronischen Eingaben i.G. zu handschriftlichen -> Thema schriftliche Kommunikation (z.B. Medikamentenverordnungen etc.). Reduzierung von Eingabezeit, einmal eingegebene Daten können beliebig abgerufen und verwendet werden.

Ausbildung / Teamschulung Teamwork – Philosophie / Teamschulung Systematische Schulung der

Zusammenarbeit mit Betonung der Kommunikation (Informationsbedürfnisse, berufsspezifische Probleme) verringert die Fehlerquote. Gegenseitiges Erfassen von Prioritäten Interdisziplinäre und interprofessionelle Workshops (wie in Genf etabliert).

Teambildung Beteiligte Berufsgruppen: • Geburtshelfer Operateure. • Neonatologen / Kinderärzte. • Anästhesisten. • Hebammen. • Pflegende aller Bereiche. • Technische

Operationssaalassistentinnen. • (Sekretärinnen.)

Übungen in einem virtuellen Gebärsaal inkl. Simulatoren, die die Teambildung unterstützen

Verkürzung der Lernkurve. Technik und „skills“ im Team einstudieren, inkl. Notfallszenarien.

Simulation von Notfallsituationen (typische Situationen für die Geburtshilfe: Schulterdystokie, Nabelschnurvorfall, Notfallsectio bei fetaler Asphyxie, postpartale Hämorrhagie, neonatale und mütterliche Reanimation)

Zuverlässigere Applikation („eingedrillt“) lebensrettender Massnahmen. Genf: An Schulungsdoppeltag Beispiele aus dem Alltag gebracht, über 100 Situationen, z.B. Nabelschnurvorfall.

Klinikeigener zeitlicher und inhaltlicher Plan zur regelmässigen Repetition von Notfallbehandlungen und -abläufen

Zuverlässigere Applikation („eingedrillt“) lebensrettender Massnahmen.

Klinische Arbeit Behandlungsprotokolle (Behandlungspfade) Hausinterne Weisungen / Richtlinien (interprofessionell erarbeitet)

Standardisierung der Vorgehensweise erleichtert Lernprozesse und verbessert Wissen abgelaufener Vorgänge, insbesondere bei hoher Personalfluktuation (ärztlich und pflegerisch).

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Perioperative Massnahmen wie Antibiose, Thromboseprophylaxe, Lagerungsvorschriften und –kontrolle

Senkung der perioperativen Morbidität.

Massnahmen vor / im Operationssaal Vor / im Operationssaalbereich Empfehlungen der Stiftung

Patientensicherheit vor Beginn des Eingriffs zur Prävention von Eingriffsverwechslungen: • Identifikation Patientin. • Markierung Eingriffsort. • Zuweisung zum richtigen OP-Saal. • Team-Time-Out vor Schnitt. vgl. www.patientensicherheit.ch

Aufwachraum Zeitgerechte Erfassung unmittelbar

postoperativer Komplikationen.

Thromboembolieprophylaxe Ist in der gesamten Frauenheilkunde von grosser Bedeutung, muss nach anerkannten Richtlinien risikoadaptiert durchgeführt werden.

Infektprophylaxe Ebenso für das ganze Fachgebiet von Bedeutung. Durchführung gem. anerkannten Richtlinien.

Allgemeine Kommunikation Der Kommunikation kommt bei der ganzen Thematik der Patientensicherheit eine herausragende und zentrale Bedeutung zu. Eine offene verständliche und umfassende Kommunikation verhütet Zwischenfälle und hilft beim Aufarbeiten von Zwischenfällen. Kommunikative Fertigkeiten müssen geschult werden.

4. Problembereiche und Lösungsansätze in der operativen Gynäkologie Problembereich Lösungsansätze Präoperative Phase Diagnosesicherung, differentialdiagnostische Überlegungen (wie viel Diagnostik ist nötig?) und Indikationsstellung

• Sorgfältige Anamneseerhebung und klinische Untersuchungen.

• Zusammentragen aller Vorbefunde und Vorberichte.

• Gezielte apparativ-technische Zusatzuntersuchungen zur Diagnosesicherung.

• Bei der Indikationsstellung Option der „second opinion“ ansprechen.

Behandlungsstrategie (inkl. Behandlungsalternativen)

• Konservative vs operative Behandlung

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darlegen, inkl. Option der „second opinion“.

Planung des Eingriffes (Ressourcen, Beteiligung anderer Fachdisziplinen, postop. Überwachung; siehe auch bei 3. Allgemeine Massnahmen)

• Klare Organbezeichnung (Pfeil auf Haut) bei paarigen Organen an der wachen Patientin.

• Sorgfältige Planung des Eingriffes, Berücksichtigung von Besonderheiten, welche für die Operation von Bedeutung sind (eingeschränkte Lagerungsmöglichkeiten, Allergien, Pacemaker, Begleiterkrankungen, usw.).

• Für gewisse Eingriffe Berücksichtigung der Zyklusphase (Schwangerschaft ausschliessen!).

• Operationszugang vaginal, abdominal, laparoskopisch klar deklarieren.

Operationsaufklärung • Vollständige und rechtzeitige Aufklärung

über die bevorstehende Intervention inkl. Alternativen.

• Konsequentes Verwenden der Aufklärungsprotokolle der Fachgesellschaft.

Zeit- und Kostendruck Personelle Ressourcen

• Effiziente Abläufe gestalten, beispielsweise Wechselzeiten zwischen zwei Operationen.

• Personal sicherstellen.

Individuelle risiko-erhöhende Faktoren (internistische Begleiterkrankungen, Medikamente, etc.)

• Evt. internistisch / anästhesiologische Abklärung der Operabilität, resp. Narkosefähigkeit bei internistischen Erkrankungen.

• Optimierung der präoperativen Medikation.

• Präoperatives Labor inklusive Blutgruppe, Testblut, etc.). • Präoperative Beurteilung und

Verordnung von Medikamenten (Antikoagulation, Allergien, etc.).

Operative Phase Patientin: • Umlagerung Bett – Operationstisch und

zurück • Lagerung im Operationssaal • Seitenverwechslung • Infektprophylaxe

• Umlagern mit genügend Hilfskräften und technischer Unterstützung, Berücksichtigung individueller Handicaps.

• Korrekte Lagerung der Patientin, klare Schemata, Berücksichtigung individueller Besonderheiten (Hüftprothese, eingeschränkte Beweglichkeit). Konsequentes Überprüfen der Lagerung durch den verantwortlichen Operateur vor dem Abdecken.

• Spezielle Beachtung von

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Prädilektionsstellen (Fibulaköpfchen, N. peronäus, u.a.).

• Konsequente präoperative Kennzeichnung der Seite bei paarigen Organen (speziell Mammachirurgie).

• Infektprophylaxe nach anerkannten Richtlinien zeitgerecht und unter Berücksichtigung patientenseitiger Allergien.

• Thromboseprophylaxe gemäss anerkannten Richtlinien.

Aufbereitung des Geräteparks: • Elektrochirurgie. • Endoskopieturm. • Technische Infrastruktur generell

(Absaugsystem, Beleuchtung, etc.). • Laparoskopieintsrumente. • Insufflationsinstrumente für

Pneumoperitoneum oder Hysteroskopie.

• Unterhalt der technischen Geräte durch Medizintechnik und TOA gem. Medizinalprodukteverordnung.

• Regelmässige fachgerechte Wartung der Instrumente und Geräte nach Vorgabe des Herstellers resp. interner Weisungen technischer Dienst.

• Überprüfung der Geräteeinstellungen vor Operationsbeginn und Anpassung bei Bedarf durch TOA / Operateur.

• Erdung von Geräten, Neutralelektrode prüfen.

Postoperative Phase • Postoperative Überwachung. • Umlagern, Lagerung im Bett. • Drainagen. • Postoperative Verordnungen

(Schnittstelle Anästhesist – Operateur, Medikamenteninteraktionen).

• Nachbehandlung. • Transport zurück auf die Bettenstation.

• Risikoangepasste postoperative Überwachung sicherstellen (IPS, AWR, Tagesklinik, Station).

• Umlagern und Lagern mit genügend und geschulten Hilfspersonen und unter Berücksichtigung der erfolgten Operation und allfälliger Handicaps.

• Drainagen beachten und regelmässig kontrollieren.

• Postoperative Verordnungen schematisch und interdisziplinär durchführen.

• Nachbehandlung ausführlich besprechen inkl. Warnzeichen für allfällige Komplikationen, Anlaufstelle deklarieren (Telephonnummer) im Falle von Unregelmässigkeiten.

• Postoperative Erläuterung des operativen Situs und Aufzeigen der effektiv durchgeführten Operation, falls es Abweichungen zur präoperativen Vereinbarung gegeben hat.

• Bei Komplikationen korrektes Verhalten und korrekte Kommunikation, vgl. www.patientensicherheit.ch.

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5. Problembereiche und Lösungsansätze in der Geburtshilfe Die nachfolgende Aufstellung bildet nicht eine optionale Liste, sondern enthält nach dem Verständnis des Vorstands gynécologie suisse, SGGG Minimalkriterien für die geburtshilfliche Praxis. In der Geburtshilfe mit ihren diversen zeitkritischen Notfallsituationen stellt das drillmässige Einüben der notwendigen Abläufe im klinikeigenen Rahmen das A und O der Bewältigung lebensbedrohlicher Notfallsituationen dar. Derartige Übungen sind regelmässig zu wiederholen. Alle involvierten Berufsgruppen sind in die Übungen einzubeziehen. Es empfiehlt sich eine Dokumentation der Durchführung mit Auflistung der Teilnehmenden. Derartige Notfallsituationen sind in der nachfolgenden Liste mit * markiert, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Beispiele aus dem geburtshilflichen Alltag, welche in jeder Klinik systematisch aufgearbeitet werden sollten: Problembereich Stichworte zu Lösungsansätzen Überwachung des Kindes sub partu • LL der DGGG zur Anwendung des CTG.

Überwachung des Kindes post partum • Empfehlungen der Schweizerischen

Gesellschaft für Neonatologie (SGN).

Prophylaxe der Neugeborenensepsis • Expertenbrief Nr. 19 SGGG.

Notfälle sub partu • Akuter fetal distress, initial therapieresistent.

• Uterine Hyperaktivität. • *Nabelschnurvorfall. • Vorzeitige Plazentalösung. • *Blutung aus Vasa praevia. • *Uterusruptur. • *Fruchtwasserembolie. • *Eklamptischer Anfall.

Absolute Notfallsectio (Blitzsectio, crash cesarean section)

• *Schriftlich festgelegter und eingeübter Ablaufplan.

Schwere Präeklampsie • Stabilisierung / Eklampsieprophylaxe der Schwangeren; Vorgehen bei Eklampsie; Kontrolle der Hypertonie.

• Monitoring der Schwangeren / der Wöchnerin (neurologisch; kardiopulmonal; hepatologisch; nephrologisch).

• Planung des max. vertretbaren Zeitintervalls bis zur Entbindung (Lungenreifeinduktion bei GA < 32 SSW).

• Planung des Entbindungsmodus. • Involvierung der Neonatologen. • Involvierung der Anästhesisten.

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• Indikation / Kontraindikation für TE-Prophylaxe.

Überwachung der Mutter nach Sectio • Überwachung nach der Sectio analog

anerkannten Standards der postoperativen Überwachung hinsichtlich der personellen Dauerpräsenz (unabhängig von anderen Arbeiten in der Geburtsabteilung) und der apparativen Überwachung. (Empfehlung der DGAI und DGGG von 2009).

• Besonderer Aspekt: Frühes Bonding fördern, deshalb in der Regel nicht in üblichen postoperativen Aufwachräumen.

• Klare Regelung der Verantwortlichkeiten (Anästhesisten, Geburtshelfer, Hebammen).

• Apparative Ausstattung des Aufwachraums entsprechend anerkannten Standards mit EKG, Pulsoxymetrie, BD-Messung, Möglichkeiten zur Absaugung und Sauerstoffinsufflation.

Schwere postpartuale Hämorrhagie (PPH) • *Managementschema analog den

Empfehlungen von SGGG / SGAR. • Expertenbrief Nr. 26 SGGG.

Akute kardiopulmonale Ereignisse peripartal • Sorgfältige interdisziplinäre Abklärung in

der Schwangerschaft. • Einsatz hämodynamisch relevanter

Medikamente sorgfältig indizieren.

Mehrlinge • Leitung von Mehrlingsgeburten gem. internen und anerkannten Richtlinien, personelle Ressourcen zeitgerecht sicherstellen.

Vorbestehende Erkrankungen der Mutter • Zentralisierung bei mütterlicher oder kindlicher Indikation (sorgfältige und zeitgerechte Triage).

Infektiöse oder thromboembolische Komplikationen

• Frühzeitige Zentralisierung von Mutter und Kind (sorgfältige und zeitgerechte Triage).

6. Schlussbemerkungen Das Thema Patientensicherheit ist ein aktuelles Thema und verdient die notwendige Beachtung im medizinischen Alltag. In der operativen Gynäkologie bestehen verschiedene Phasen der Intervention mit jeweils unterschiedlichen, spezifischen Gefährdungsmomenten.

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Präoperativ sind die sorgfältige Erhebung der Anamnese, die präoperativen Untersuchungen und die Aufklärung der Patientin über den geplanten Eingriff inkl. Behandlungsalternativen ganz zentral. In der operativen Phase gilt der Patientenidentifikation und der Vermeidung einer Seiten- oder gar Eingriffsverwechslung grösstes Augenmerk. Weitere Faktoren sind die Lagerung und ein fehlerfreies Funktionieren der Geräte und Instrumente. Postoperativ sind die adäquate Überwachung und die umfassenden Verordnungen sicherzustellen. In der Geburtshilfe gibt es wie oben aufgeführt nebst den allgemeinen Gefährdungsmomenten ganz spezifische Problemstellungen, die es systematisch zu erfassen und zu handhaben gilt. In beiden Bereichen müssen die infrastrukturellen und personellen Vorraussetzungen geschaffen werden, um die Patientensicherheit zu erhöhen. Durch Optimierung der Prozesse können die Kosten unter Kontrolle gehalten werden. Im Falle eines Zwischenfalles oder eines Beinahezwischenfalles müssen geeignete Erfassungssysteme zur Verfügung stehen und systematisch genutzt und periodisch ausgewertet werden. Dazu eignet sich am ehesten ein CIRS, am besten vernetzt. Zudem muss jede Klinik ein Konzept haben, wie bei Zwischenfällen vorzugehen ist, wie sich die Mitarbeitenden zu verhalten haben und wie zu kommunizieren ist. Der Kommunikation mit der Patientin und deren Angehörigen ist besondere Beachtung zu schenken. Speziell wichtig ist dies bei Zwischenfällen (vgl. www.patientensicherheit.ch). Für viele der genannten Bereiche gibt es bereits heute Merkblätter und Konzepte der Schweizerischen Stiftung für Patientensicherheit (www.patientensicherheit.ch). Diese wertvollen Informationen müssen jedermann zugänglich gemacht und in den Kliniken adaptiert werden. Weiter sollten klinikinterne Richtlinien („Blaubuch“) für das perioperative und peripartale Management von Patientinnen, resp. Neugeborenen bestehen. Welche Intervention benötigt welche Vorbereitung und welche postinterventionelle Betreuung. Es ist an unserer Fachgesellschaft auf sicherheitskritische Situationen und Prozesse hinzuweisen und ihren Mitgliedern Hilfestellung zur Erarbeitung betriebseigener Konzepte und Übungsvorlagen zu liefern. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, kann dies aber Gynäkologen-Geburtshelfern nicht im Alleingang gelingen. Mit dem vorliegenden Dokument lädt unsere Fachgesellschaft alle anderen involvierten Berufsgruppen zur gemeinsamen Erarbeitung der angesprochenen Konzepte ein. Für die Arbeitsgruppen: Gynäkologie: Ch. M. Honegger (Koordination) F. Haberthür P.D. Hagmann S. Heinzl M. Litschgi M. Singer

Geburtshilfe: G. Drack (Koordination) O. Irion J. Schilling J. Seydoux D. Surbek

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paradigm in patient safety. Am J Obstet Gynecol 2008;199:105.e1-105.e7. Gluck PA (ed.) Patient safety in obstetrics and gynecology: Improving outcomes, reducing risks. Obst

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Zwischenfall. Empfehlungen. Oktober 2006. Stiftung für Patientensicherheit. Wenn etwas schief geht. Ein Konsens-Dokument der Harvard-

Spitäler. Dezember 2006. Stiftung für Patientensicherheit. Empfehlungen zur Prävention von Eingriffsverwechslungen

(Prevention of Wrong Site Surgery). Umsetzungen. März 2008. Guidelines / Leitlinien ACOG: Fatigue and patient safety. Committee Opinion # 398, February 2008. ACOG: Technologic advances to reduce medication-related errors. Committee Opinion # 400, March

2008. DGGG: www.dggg.de (Auswahl)

• Empfehlungen zur Dokumentation der Geburt – das Partogramm. AWMF 015/017 (S1). Stand August 2008.

• Anwendung von Prostaglandinen in der Geburtshilfe und Gynäkologie. AWMF 015/031 (S1). Stand August 2008.

• Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt. AWMF 015/036 (S1). Stand August 2008.

• Zur Frage der postoperativen Überwachung von Kaiserschnittpatientinnen. AWMF 015/056 (S1). Stand August 2008.

• Vereinbarung über die Zusammenarbeit in der operativen Gynäkologie und Geburtshilfe (keine Leitlinie; Stand August 2008).

RCOG: Improving patient safety: Risk management for maternity and gynaecology. Clinical Governance Advice No. 2. Revised October 2005. www.rcog.org.uk > Guidelines > Clinical Governance.

SGN: www.neonet.ch > Recommendations • Die Betreuung und Reanimation des Neugeborenen (2007)

Internet AMPROOB : www.amproob.com Stiftung für Patientensicherheit: www.patientensicherheit.ch Strong Peri-FACTS-Programm von Prof. James Woods: www.urmc.rochester.edu/obgyn/peri-facts/