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Inverse Probleme

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Inverse Probleme

PD Dr. Swanhild Bernstein,

TU Bergakdemie Freiberg,

Sommersemester 2007

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1. Inverse Probleme und Fourier Transformation 5

1. Magnet-Resonanz-Tomographie 5

1.1. Grundprinzip 5

1.2. Mathematisches Modell 8

2. Fourier-Transformation 10

3. Inverse Streutheorie 12

4. Korrekt gestellte Probleme 14

4.1. Korrektheit linearer Probleme in Banachraumen 15

5. Sobolev-Raume und inkorrekt gestellte Probleme 17

5.1. Seil unter Eigenlast 17

5.2. Exponentielles Wachstum 21

5.3. Korrektheit inverser Probleme auf kompakten Mengen 22

5.4. Sobolev-Raume und kompakte Einbettungen 23

6. Computertomographie und Radon-Transformation 26

6.1. Das 2D-Problem 26

6.2. Die Radon-Transformation im R2 28

6.3. Inversionsformel fur die 2D Radon-Transformation 31

6.4. Die Radon-Transformation im R3 und Inversionsformel 35

7. Das Cauchy-Problem, Elektrokardiographie 37

7.1. Halbraum-Problem 39

7.1.1. Elektrokardiograsche Anwendung 39

7.1.2. Analytische Fortsetzung 41

7.2. Der allgemeine 2D-Fall 42

7.2.1. Die Laplace-Gleichung im Kreisring 42

7.2.2. Riemannscher Abbildungssatz 44

Kapitel 2. Identikationsprobleme in Hilbert-Raumen 47

1. Einige Grundbegrie der Hilbert-Raum-Theorie 48

1.1. Eigenschaften beschrankter linearer Operatoren in Hilbert-Raumen 50

1.2. Verallgemeinerte oder Moore-Penrose-Inverse 55

Kapitel 3. Regularisierungsmethoden 61

1. Heuristischer Zugang 61

2. Ein allgemeines Regularisierungsschema 64

2.1. Wahl des Regularisierungsparameters 65

2.2. Regularisierungsverfahren 66

2.3. Tikhonov-Regularisierung 68

2.4. Diskrepanzprinz 71

3

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4 INHALTSVERZEICHNIS

2.5. Prinzip der Quasioptimalitat 75

2.6. Weitere Regularisierungsmethoden 79

2.6.1. Landweber-Iteration 79

2.6.2. Asymptotische Regularisierung 82

3. Anwendung der Tikhonov-Regularisierung auf nichtlineare Operatorgleichungen 83

3.1. Frechet-Ableitung 83

3.2. Parameteridentikation 85

3.3. Regularisierung nichtlinearer Operatorgleichungen 86

3.3.1. Diskretisierung 86

3.3.2. Levenberg-Marquardt-Methode 87

3.3.3. Nichtlineare Tikhonov-Regularisierung 88

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KAPITEL 1

Inverse Probleme und Fourier Transformation

In diesem Kapitel werden zunachst zwei Beispiele fur inverse Probleme eingefuhrt.

Diese Probleme konnen mit Hilfe der Fourier-Transformation gelost werden.

1. Magnet-Resonanz-Tomographie

1.1. Grundprinzip. Entnommen aus: Wikipedia

http://de.wikipedia.org/wiki/Magnetresonanztomographie

sowie von der FH Hagenberg in Osterreich

http://webster.fh-hagenberg.at/sta/wbackfri/Teaching/MBV/Vorlesung/Tomography.pdf

Die physikalische Grundlage der Magnetresonanztomographie (MRT) bildet die Kern-

spinresonanz (engl. nuclear magnetic resonance, NMR). Hier nutzt man die Tatsache,

dass Protonen sowie Neutronen einen Eigendrehimpuls (Spin) besitzen und Atomker-

ne dadurch ein magnetisches Moment erhalten. Ein Atomkern kann vom Standpunkt

der klassischen Physik aus vereinfacht als ein magnetischer Kreisel angesehen werden.

(Der Spin kann klassisch jedoch nicht korrekt beschrieben werden).

Wird ein solcher rotierender Kern in ein statisches magnetisches Feld H0 gebracht,

so richtet sich dieser nach H0 aus. Durch das Ausrichten beginnt der Kern mit einer

Prazessionsbewegung d.h. die Rotationsachse des Kerns dreht sich um die Richtung

des angelegten Magnetfeldes. Die Prazessionsbewegung tritt jedesmal dann auf, wenn

der Kern aus seiner Ruhelage gebracht wird. Wird das auere Feld wieder abgestellt,

so fallt der Kern in seine ursprungliche Lage (thermisches Gleichgewicht) zuruck.

Wird ein zweites Feld (Transversalfeld) HT angelegt, welches senkrecht zum ersten

steht, beginnt der Kern wieder zu prazidieren (bis sich ein Gleichgewichtszustand

einstellt) ebenso wenn das Feld wieder abgestellt wird. Um die Kerne dauerhaft zur

Prazession anzuregen, ist dieses zweite Feld ein hochfrequentes Wechselfeld (HF-Feld)

und rotiert in der xy-Ebene. Das Magnetfeld H0 hat ublicherweise eine Starke von

2,0 - 3,0 Tesla, in experimentellen Geraten bis 9,4 Tesla (An der Universitat Zurich

sogar bis 20 Tesla).

Fur die Prazessionsbewegung des Kernspins existiert eine Resonanzfrequenz. Bei

Atomkernen (aber auch beim Elektron) wird diese Eigenfrequenz Larmorfrequenz

genannt. Diese ist abhangig von der Starke des eingepragten Magnetfeldes und vom

Aufbau des Kerns. Durch die Wahl der Starke des ersten (statischen) Feldes H0 und

die Wahl der Frequenz des Transversalfeldes HT kann sehr genau bestimmt werden,

5

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6 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

welche Kerne in Resonanz geraten sollen. Durch diesen Resonanzeekt wird das ma-

kroskopische magnetische Moment m des Kerns um 90 in die xy-Ebene gekippt und

rotiert prazidierend mit dem Transversalfeld. Der magnetische Fluss des rotieren-

den Dipols induziert in der Messspule eine Spannung. Der magnetische Fluss des

rotierenden Dipols induziert in der Messspule eine Spannung.

x

y

z

Spule

U

mT

Φ

Wird das transversale Wechselfeld, welches das magnetische Moment m eines

Kerns um 90 gekippt hat, abgeschaltet, so rotiert der Kern weiter in der xy-Ebene.

Bringt man nun eine Spule in die Nahe des rotierenden magnetischen Moments, so

wird in dieser eine Spannung induziert. Da die Messspulen gewohnlich normal auf der

xy-Ebene stehen, ist die gemessene Spannung proportional zur Quermagnetisierung

mT des magnetischen Momentes m. Mit einer Folge von HF-Impulsen des Transver-

salfeldes in einem Korper, der in einem starken Magnetfeld liegt, kann eine rotierende

Quermagnetisierung MT erzeugt werden, welche sich aus den Quermagnetisierungen

mT der einzelnen Kerne zusammensetzt. Diese Quermagnetisierung ist vom Ort und

vom Gewebetyp abhangig.

Das Ziel der MR-Tomographie ist die Erzeugung von Schichtbildern der Querma-

gnetisierung MT (x, y) mit der Dichte ρ = ρ(x, y, 0).

Zum besseren Verstandnis wird hier das Prinzip der einfachsten, sogenannten

Spinecho-Sequenz kurz skizziert. Eine SSequenzst in diesem Zusammenhang eine

Kombination aus hochfrequenten Impulsen und Magnetfeldern bestimmter Frequenz

bzw. Starke, die vielfach in jeder Sekunde in vorgegebener Reihenfolge ein- und

ausgeschaltet werden.

Zu Beginn steht der sogenannte Anregungsimpuls. Wird uber die Sendeantenne

ein hochfrequenter Wellenimpuls der passenden Frequenz (Larmor-Frequenz) einge-

strahlt, dann werden die Spinachsen quer zum aueren Magnetfeld ausgelenkt. Sie

beginnen um die ursprungliche Achse zu kreisen. Wie bei einem Kreisel, welcher

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1. MAGNET-RESONANZ-TOMOGRAPHIE 7

angestoen wird, nennt man diese Bewegung Prazession. Die prazidierenden Dipole

bilden winzige Sender und strahlen die hochfrequente Energie ab, wahrend sie sich

wieder aufrichten.

Das hochfrequente Signal kann auerhalb des Korpers gemessen werden. Es zerfallt

exponentiell, weil die Protonenspins aus dem Takt geraten und sich gegenseitig uber-

lagern. Die Zeit, nach der 63% des Signals zerfallen sind, nennt man T2-Relaxationszeit

(Spin-Spin-Relaxation). Diese Zeit hangt von der chemischen Bindung des Wasser-

stos ab; sie ist fur jede Gewebsart unterschiedlich. Tumorgewebe hat z. B. meist

eine langere T2-Zeit als normales Muskelgewebe. Eine T2-gewichtete Messung stellt

den Tumor darum heller als seine Umgebung dar.

Durch geeignete Rephasierungs-Impulse kann man bewirken, dass die Spins zum

Zeitpunkt der Messung wieder genau in der gleichen Phase sind. Die Signalstarke

hangt dann nicht von der T2-Relaxationszeit ab, sondern von der sogenannten T1-

Relaxationszeit (Spin-Gitter-Relaxation), die ein Ma fur die Geschwindigkeit ist, mit

der sich die Quermagnetisierung wieder ruckbildet, also die ursprungliche Langsaus-

richtung der Spins zum aueren Magnetfeld wieder einstellt. Die T1-Zeit ist ebenfalls

gewebespezisch, aber deutlich (20×) langer als die T2-Zeit. Die T1-Zeit von Was-

ser betragt z. B. 2,5 Sekunden. T1-gewichtete Messsequenzen erlauben wegen des

starkeren Signals eine bessere Ortsau osung, aber einen geringeren Gewebekontrast

als T2-gewichtete Bilder.

Eine Kernspintomographie umfasst stets T1- und T2-gewichtete Bildserien und

daruber hinaus mindestens zwei raumliche Ebenen.

Um die Signale den einzelnen Volumenelementen (Voxeln) zuordnen zu konnen,

wird mit abgestuften Magnetfeldern (Gradientenfeldern) eine Ortskodierung erzeugt.

Ein Gradient liegt bei der Anregung an und stellt sicher, dass nur eine einzelne Schicht

des Korpers die passende Larmorfrequenz besitzt, also nur die Spins dieser Schicht

ausgelenkt werden (Schichtselektionsgradient). Ein zweiter Gradient quer zum ersten

wird nach der Anregung kurz eingeschaltet und bewirkt eine kontrollierte Dephasie-

rung der Spins dergestalt, dass in jeder Bildzeile die Prazession der Spins eine andere

Phasenlage hat (Phasenkodiergradient). Der dritte Gradient wird wahrend der Mes-

sung senkrecht zu den beiden anderen geschaltet; er sorgt dafur, dass die Spins jeder

Bildspalte eine andere Prazessionsgeschwindigkeit haben, also eine andere Larmor-

frequenz senden (Auslesegradient, Frequenzkodiergradient).

Alle drei Gradienten zusammen bewirken also eine Kodierung des Signals in drei

Raumebenen. Das empfangene Signal gehort zu einer bestimmten Schicht des Korpers

und enthalt eine Kombination aus Frequenz- und Phasenkodierung, die der Computer

mit einer Fourier-Transformation au osen kann.

Bemerkung 1. Klopfgerausche: Zur Ortskodierung der Bildinformation wer-

den dem Hauptmagnetfeld zusatzliche Gradientenfelder ( in x-, y- und z-Richtung)

uberlagert. Uber die dabei verwendeten Gradientenspulen werden innerhalb von

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8 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Millisekunden starke Magnetfelder auf- und abgebaut. Die entstehenden elektro-

magnetischen Krafte zerren dabei so stark an den Spulenverankerungen, dass

laute klopfende bzw. hammernde Gerausche auftreten, die je nach gefahrener

Sequenz unterschiedlich sind. Das Gerat arbeitet dabei fast wie ein Lautspre-

cher: Ein starker Magnet ist von durch ossenen Spulen umgeben.

1.2. Mathematisches Modell. Das statische Magnetfeld in z-Richtung sei

~H0 = H0 ~ez.

Dies bewirkt, dass sich der Drehimpuls der Protonen parallel zu ~H0 ausrichtet. Da

sich ein paar mehr nach ~H0 als nach − ~H0 ausrichten, entsteht ein makroskopisches

magnetisches Moment ~M, das in die gleiche Richtung wie ~H0 zeigt.

Nun wird ein magnetisches Wechselfeld

~H1(t) = 2H1 cos(ω0t)~ex,

gepulst mit der Resonanzfrequenz der Atome (=Larmor-Frequenz) ω0 = γ| ~H0| fur dieZeit tp angelegt. Wobei γ das gyromagnetische Verhaltnis bezeichnet (= eine kreisel-

magnetische Konstante). Dadurch kippt ~M in die x− y-Ebene, bei Rotation um z.

Die Verzerrung der Richtung von ~M bewirkt, das die Atome einer Prazissionsbewe-

gung um ~H0 ausfuhren.

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1. MAGNET-RESONANZ-TOMOGRAPHIE 9

Nach dem Abschalten des Wechselfeldes wandert ~M wieder zuruck an seine ursprung-

liche Position. Es erfolgt dann eine Zunahme in z in der Zeit T1 und eine Abnahme

in x− y in der Zeit T2. Die Richtungsanderung bewirkt, das in geeigneten Geraten,

Spannungen induziert werden, die gemessen werden konnen. Dies heit FID-Signal

(free induction decay).

S(t) = ρ cos(ω0t) e−t/T2.

Dabei ist ρ die Dichte des magnetischen Moments und T2 die Spin-Spin-Relaxationszeit.

Das hochfrequente Signal kann auerhalb des Korpers gemessen werden. Es zerfallt

exponentiell, weil die Protonenspins aus dem Takt geraten und sich gegenseitig uber-

lagern. Die Zeit, nach der 63% des Signals zerfallen sind, nennt man T2-Relaxationszeit

(Spin-Spin-Relaxation). Diese Zeit hangt von der chemischen Bindung des Wasser-

stos ab; sie ist fur jede Gewebsart unterschiedlich. Tumorgewebe hat z. B. meist

eine langere T2-Zeit als normales Muskelgewebe. Eine T2-gewichtete Messung stellt

den Tumor darum heller als seine Umgebung dar.

Durch geeignete Rephasierungs-Impulse kann man bewirken, dass die Spins zum

Zeitpunkt der Messung wieder genau in der gleichen Phase sind. Die Signalstarke

hangt dann nicht von der T2-Relaxationszeit ab, sondern von der sogenannten T1-

Relaxationszeit (Spin-Gitter-Relaxation), die ein Ma fur die Geschwindigkeit ist, mit

der sich die Quermagnetisierung wieder ruckbildet, also die ursprungliche Langsaus-

richtung der Spins zum aueren Magnetfeld wieder einstellt. Die T1-Zeit ist ebenfalls

gewebespezisch, aber deutlich (20×) langer als die T2-Zeit. Die T1-Zeit kann nicht

mit einem um 90 gekippten hochfrequenten Wechselfeld bestimmt werden und wir

betrachten sie deshalb nicht.

Weil das menschliche Gewebe nicht homogen ist, konnen uberhaupt geeignete Bil-

der entstehen. Eine gute raumliche Au osung entsteht weil nur die Teile des Gewebes,

die sich im statischen Magnetfeld ~H mit | ~H| = γω0 benden, durch das Wechselfeld~H1(t) beein usst werden. Es sei das statische Magnetfeld

~H(z) = ~H0 +Gz z ~ez

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10 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

vorhanden. Davon werden nur Protonen im Schnitt mit z nahe bei 0 durch das

Wechselfeld ~H1(t) beein usst (da | ~H0| = γ ω0 vorausgesetzt wurde). Dies erlaubt es,

die mittlere Gewebedichte∫

R2 ρ(x, y, 0) dx dy in der Ebene z = 0 abzubilden und

durch Anderung von ~H0 bzw. ω0 in jeder beliebigen z-Ebene.

Das reicht aber noch nicht aus um ρ(x, y, 0) zu bestimmen. Legen wir nun fur

die Zeitdauer T ein statisches Magnetfeld

~H(y) = ~H0 +Gyy~ez.

Da die Frequenz der Prazession vom Magnetfeld abhangt, erzeugt die Magnetisierung

eine Rotation an der Stelle y mit der Frequenz ω(y) = ω0 + γ Gy ~ez. Dadurch baut

sich an der Stelle z wahrend der Zeit T eine Phasenverschiebung von T (ω(y)−ω0) =

Tγ Gy y auf. Wird das Feld Gy y~ez abgeschaltet, so rotieren die Kerne wieder mit der

Frequenz ω0, allerdings hangt die Phase nun von y ab. Dieser Teil der MRT wird

deshalb Phasendekodierung genannt. Eine Messung des FID-Signals wurde nun ein

Signal der Form

S(t;T ) = eiω0t

∫R2

eiγ Gy T yρ(x, y, 0) dx dy

ergeben. Durch Variation der Zeitdauer T bzw. des Gradienten Gy kann man den

Frequenzanteil in Abhangigkeit von y der Dichte ρ(x, y, 0) erhalten. Damit ist aber

immer noch nicht die x-Abhangigkeit erhalten worden. Dafur wird nun wahrend der

FID-Messung ein von x abhangiges statisches Magnetfeld zugeschaltet. Die Kerne

prazisieren nun mit der x-abhangigen Frequenz ω(x) = ω0 + γ Gx x um die z-Achse.

Damit ergibt sich das FID-Signal

S(t;T ) =

∫R2

eiγ Gy T yei(ω0+γ Gx x)tρ(x, y, 0) dx dy

bzw. mit ξ = γ Gx t und η = γ Gy T ergeben sich die verfugbaren Daten

D(ξ, η) = e−iω0ξ/(γ Gx)S

γGx

ηGY

)=

∫R2

eiηyeiξxρ(x, y, 0) dx dy.

Durch Variation von T (bzw. Gy) und t (bzw. Gx) erhalt man D(ξ, η) fur alle we-

sentlichen Werte von ξ und η. Folglich ist die Rekonstruktion der Dichte ρ(x, y, 0)

aquivalent zur Inversion der Fourier-Transformation und man erhalt

ρ(x, y, 0) =1

(2π)2

∫R2

e−i(ξx+ηy)D(ξ, η) dξ dη.

Die Rekonstruktion der Dichte des magnetischen Moments ist also nichts anderes als

die Inversion der Fourier-Transformation.

2. Fourier-Transformation

Wir wollen hier nur einige wichtige Eigenschaften der Fourier-Transformation

wiederholen:

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2. FOURIER-TRANSFORMATION 11

Es sei f(~x) eine komplex-wertige in L2(Rn), also eine messbare Funktion des Rn,

die quadratisch integrierbar ist, d.h.

||f ||2 =

∫Rn

|f(~x)|2 d~x <∞.

Dann ist die Fourier-Transformation deniert als

f(~k) =[F~x→~kf

](~k) =

∫Rn

e−i~k·~x f(~x) d~x.

Man kann zeigen, dass f(~k) ∈ L2(Rn) ist und die Fourier-Transformation invertierbar

auf L2(Rn) ist mit der Inversen

f(~x) =[F−1

~k→~xf](~x) =

1

(2π)n

∫Rn

ei~k·~x f(~k) d~k.

Der Raum L2(Rn) besitzt das Skalarprodukt

〈f, g〉 =

∫Rn

f(~x)g(~x) d~x,

dabei bezeichnet g(~x) die komplex konjugierte Zahl zu g(~x). Fur die Fourier-Transformation

gilt die Parsevalsche Gleichung

(f , g) = (2π)n (f, g),

insbesondere folgt hieraus

||f || = (2π)n/2||f ||.

Dies bedeutet, dass die Fourier-Transformation und ihre Inverse (bis auf den Faktor

(2π)n/2) Isometrien sind.

Wichtige Eigenschaften: Ableitungen.

Es sei α = (α1, α2, . . . , αn) ein Multiindex mit nichtnegativen Komponenten αj ≥ 0

und |α| =n∑

i=1

αj sei die Lange des Multiindex. Dann sei

Dα =n∏

i=1

∂αi

∂xαii

.

Dann folgt fur die Fourier-Transformation

F~x→~k [Dαf ] (~k) =

(n∏

j=1

(ikj)αj

)[F~x→~kf

](~k).

Faltung.

Die Faltung zweier Funktionen ist deniert als

(f ∗ g)(~x) =

∫Rn

f(~x− ~y) g(~y) d~y.

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12 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Damit ergibt sich

F~x→~k(f ∗ g) =(F~x→~k f

) (F~x→~k g

), d.h. f ∗ g = f g,

F−1

~x→~k(f ∗ g) = (2π)n f g, d.h. f ∗ g = (2π)n(fg).

Folglich diagonalisiert die Fourier-Transformation Dierentialoperatoren (Multipli-

kation im Fourier-Bild). Andererseits uberfuhrt die Fourier-Transformation das Pro-

dukt zweier Funktionen in die nicht lokale Faltung.

3. Inverse Streutheorie

Wir betrachten die (ortlich) eindimensionale Wellengleichung

1

v2(x)

∂2U

∂t2− ∂2U

∂x2= δ(t)δ(x− xs), t ∈ R, x ∈ R,

mit Delta-Quellterm zur Zeit t = 0 und an der Stelle x = xs. Wie setzen Kausalitat

voraus, d.h. U(x, t, xs) = 0 fur t < 0 und weiterhin sei U beschrankt.

Wir messen U(xs, txs), d.h. das Geophon (Detektor zur Aufnahme hochfrequenter

seismischer Bodenbewegungen) sich an der gleichen Stelle wie der Quellterm bendet,

und wollen einige Annahmen uber v(x) machen.

Das Problem soll im Frequenzbereich untersucht werden. Es sei u(x, ω;xs) die

kausale Fourier-Transformation von U(x, t;xs) bezuglich der Zeit t :

u(x, ω;xs) =

∫ ∞

0

U(x, t;xs) eiωt dt.

Diese Transformation kann wie folgt invertiert werden:

U(x, t;xs) =1

∫ ∞

−∞u(x, ω;xs) e

−iωt dω.

Aufgrund der Abbildungseigenschaften der Fourier-Transformation ergibt sich aus

der Wellengleichung fur U(x, t;xs) die Helmholtz-Gleichung fur u(x, ω;xs) :

d2u

dx2+

ω2

v2(x)u = −δ(x− xs), ω ∈ R, x ∈ R,

diese wird auerdem mit den folgenden Ausstrahlungsbedinungen versehen:

du

dx∓ iω

v(x)u→ 0, as x→ ±∞.

Weitere Annahmen:

Wir setzen voraus, das v(x) auf (−∞, xs) bekannt ist. (Bei der Rekonstruktion von

Bodenprolen interessieren naturlich nur positive Tiefen). Weiterhin sei v(x)"nahe-

zu\ eine Konstante c auf (xs,∞). Wie formulieren diese Eigenschaft als

1

v2(x)=

1

c2(1 + α(x)),

wobei α(x) als klein im Vergleich zu v(x). Das bedeutet, dass die Rekonstruktion von

der Ausbreitungsgeschwindigkeit v(x) aus den Streudaten u(xs, ω;xs) linearisiert

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3. INVERSE STREUTHEORIE 13

wird. Die Linearisierung nimmt vereinfacht eine ortsunabhangige Geschwindigkeit c

an. Der Vorteil dieser Annahme besteht darin, dass das daraus resultierende Problem

einfach zu losen ist und eine explizite Losung besitzt unter der Voraussetzung, dass

α(x) klein fur groe |x| ist.Es sei ui (i=incident= einfallend) die Losung des ungestorten Problems

d2u

dx2+

ω2

v2(x)u = −δ(x− xs),

du

dx∓ iω

v(x)u→ 0, as x→ ±∞.

Die Losung dieses Problems ist gegeben durch dieGreensche Funktion der Helmholtz-

Gleichung mit konstanten Koezienten. Sie lautet

ui(x, ω;xs) = G(x− xs, ω) = − c

2iωeiω|x−xs|/c

wie man leicht nachrechnet. Die Ausstrahlungsbedingungen sind ebenfalls erfullt.

Die Losung der Helmholtz-Gleichung sei nun als Uberlagerung der einfallenden

Welle und der gestreuten (s=scattered) Welle dargestellt:

u(x, ω;xs) = ui(x, ω;xs) + us(x, ω;xs).

Aus den Gleichungen fur u und ui ergibt sich, dass us die folgende Gleichung erfullen

muss:d2us

dx2+ω2

c2us = −ω

2

c2α(x)(ui + us),

sowie entsprechende Aussrahlungsbedingungen. Nach dem Superpositionsprinzip er-

gibt sich die Losung

us(x, ω;xs) = ω2

∫ ∞

xs

α(y)

c2(us + ui)(y, ω;xs)G(x− y;ω) dy.

Wir haben bisher nicht ausgenutzt, dass α(x) als"klein\ vorausgesetzt wurde. Die

obige Approximation ist die sogenannte Born-Approximation, aus ihr konnen wir

schlieen, dass us klein von der Ordnung von α ist. Folglich ist αus klein von der

Ordnung α2 und kann deshalb vernachlassigt werden. Setzen wir die Ausdrucke fur

ui und die Greensche Funktion G ein, so ergibt sich mit ω = ck2

:

us

(x,ck

2, xs

)= −

∫ ∞

xs

α(y)

4ei

k2(2y−x−xs) dy

und damit ist us

(xs,

ck

2, xs

)= −

∫ ∞

xs

α(y)

4eik(y−xs) dy

⇐⇒ −eikxsus

(x,ck

2, xs

)=

∫R

α(y)

4eiky dx.

Damit ist die Berechnung von α(x) wieder eine Inversion der Fourier-Transformation

und man erhalt

α(x) = −eikxs2

π

∫Re−ikx us

(xs,

ck

2, xs

)dk.

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14 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

4. Korrekt gestellte Probleme

Es seien X und Y Banach-Raume (vollstandige normierte Raume) und sei A ein

im Allgemeinen nichtlinearer Operator von D ⊆ X nach Y. Fur jedes y ∈ Y soll das

folgende Problem gelost werden:

Man bestimme ein x so, dass A(x) = y, x ∈ D ⊆ X, y ∈ Y, ist. (1)

fur einen linearen Operator A ∈ L(X, Y )

Man bestimme ein x so, dass A(x) = y, x ∈ D ⊆ X, y ∈ Y, ist. (2)

Definition 1. Das Problem (1) bzw. (2) heit korrekt gestellt (gut ge-

stellt, well-posed) nach Hadamard, wenn

(1) zu jedem y ∈ Y gibt es eine Losung x ∈ D (Existenzbedinung),

(2) diese Losung x ist in D eindeutig bestimmt (Eindeutigkeitsbedi-

nung), und

(3) stabil ist, d.h. die Losung x hangt stetig von der rechten Seite y

ab (Stabilitatsbedingung).

Ist eine der oben genannten Bedingungen nicht erfullt so heit das Probelm in-

korrekt gestellt (schlecht gestellt, ill-posed).

Mathematisch sind diese drei Eigenschaften erfullt, wenn die folgenden aquivalenten

Bedingungen erfullt sind.

Satz 1. Das Problem (1) bzw. (2) ist korrekt gestellt, wenn

(1) der Operator A : D ⊆ X → Y invertierbar ist (fur jedes y ∈ A(D)

ist A−1y ∈ D ⊆ X deniert) und

(2) der inverse Operator A−1 stetig ist bzw. im Fall des linearen

Operators A, der lineare inverse Operator A−1 beschrankt ist

(d.h., ||A−1y||X ≤ C ||y||Y mit einer Konstanten C, die nur von

A aber nicht von y ∈ Y abhangt).

Aus den Eigenschaften der Fourier-Transformation als Abbildung von X = L2(Rn)

nach Y = L2(Rn) folgt, dass die beiden in den Abschnitten 1. und 3. genannten Pro-

bleme korrekt gestellt sind, da die Fourier-Transformation invertierbar ist und die

inverse Fourier-Transformation ein beschrankter Operator ist.

Wir wollen auf die Stabilitat der Fourier-Transformation eingehen. Stabilitat be-

deutet insbesondere Stabilitat bezuglich gestorter Daten. Dazu nehmen wir an, dass

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4. KORREKT GESTELLTE PROBLEME 15

die gemessenen Daten gestort sind,

d(~x) = f(~x) +N(~x) bzw. d(~k) = f(~k) + N(~k),

wobei bekannt sei, dass δ = ||N || relativ klein (bezogen auf die wahren Werte f(~k))

sind. Dann ist der Fehler in der Rekonstruktion der Daten ebenfalls von der Ordnung

von δ in der X = L2(Rn Norm. Denn es gilt

||d− f || = ||F−1~k→~x

d−F−1~k→~x

f || = ||F−1~k→~x

(d− f)|| = (2π)−n/2||N || = (2π)−n/2δ.

Mit anderen Worten, die Messfehler sind in der Rekonstruktion immer noch vorhan-

den, aber sie verfalschen die wahren Werte nicht zu stark.

Bezogen auf das allgemeine Problem (2) bedeutet es, dass der Fehler zwischen

zwei Losungen x1 und x2, die zu den Daten y1 und y2 gehoren, gilt

||x1 − x2||X ≤ C ||y1 − y2||Y .

Es sei darauf hingewiesen, dass die Wahl der Raume X bzw. Y sowie der entsprechen-

den Normen von Bedeutung ist, da die Denition und Beschrankheit des inversen

Operators A−1 davon abhangt.

4.1. Korrektheit linearer Probleme in Banachraumen. Wann ist ein li-

neares Problem (2) korrekt gestellt? Es sei

N(A) = x ∈ X : Ax = 0

der Kern oder auch Nullraum des Operators A. Der Kern bzw. Nullraum ist stets

ein abgeschlossener Teilraum von X. Weiterhin bezeichnen wir mit

R(A) = y ∈ Y : y = Ax, x ∈ X

den Bildraum des Operators A. Der Bildraum ist ein Teilraum aber nicht notwen-

digerweise ein abgeschlossener Teilraum von Y.

Interessanterweise ist die Stabilitatsbedingung der Korrekheitsdenition im-

mer erfullt, wenn sowohl die Existenz- als auch die Eindeutigkeitsbedinung

erfullt sind.

Diesen Zusammenhang stellt der Satz uber die oene Abbildung her:

Satz 2. Es sei A ∈ L(X, Y ) ein surjektiver beschrankter linearer Operator.

Dann ist fur jede oene Teilmenge T von X auch die Bildmenge AT = y ∈ Y :

y = Ax, x ∈ T eine oene Teilmenge von Y.

Da der Operator genau dann stetig ist, wenn die Urbilder oener Mengen wieder

oene Mengen sind, ergibt sich hieraus:

Folgerung 1. Ist A ∈ L(X, Y ) ein surjektiver beschrankter linearer Ope-

rator und auerdem noch injektiv, dann besitzt A einen beschrankten linearen

inversen Operator A−1 ∈ L(Y, X).

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16 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Ist nun der lineare Operator A injektiv und besitze ein abgeschlossenes Bild, d.h.

R(A) = R(A). Als abgeschlossener Teilraum von Y ist der Bildraum Y := R(A) selbst

wieder ein Banach-Raum mit der von Y induzierten Norm. Somit ist der Operator

A : L(X, Y ) mit Ax := Ax fur alle x ∈ X surjektiv und existiert der stetige inverse

Operator A−1 ∈ (Y , X). Folglich ist die Stabilitatsbedingung erfullt und es gilt

Satz 3. Der Operator A in der linearen Operatorgleichung (2) sei injek-

tiv und habe einen abgeschlossenen Bildraum, dann ist die Stabilitats-

bedingung der Korrektheitsdenition nach Hadamard erfullt.

Da Y als Banachraum abgeschlossen ist, folgt aus der Existenzbedingung (fur alle

y ∈ Y !) die Abgeschlossenheit des Bildraums.

Folgerung 2. Erfullt die lineare Operatorgleichung (2) sowohl die Exi-

stenz als auch die Eindeutigkeitsbedingung, so genugt sie auch der Sta-

bilitatsbedingung, d.h. das Problem ist korrekt gestellt.

Ist dagegen der Bildraum nicht abgeschlossen, d.h. es gilt

R(A) 6= R(A),

dann ist der inverse Operator A−1 : R(A) ⊂ Y → X nicht beschrankt, somit nicht

stetig und die Stabilitatsbedingung verletzt. Ware namlich die Stabiltatsbedingung

erfullt, so musste fur eine Folge

yn → y0 6∈ R(A) in Y fur n→∞ mit yn = Axn ∈ R(A)

die Abschatzung

||xn − xm||X ≤ C||yn − ym||Ygelten. Da yn als konvergente Folge eine Cauchy-Folge ist, ergibt sich aus obiger

Abschatzung, dass auch xn eine Cauchy-Folge ist. Dann gibt es aber im Banach-

raum X ein Grenzelement x0 = limn→∞

xn, fur das wegen der Stetigkeit von A gilt

limn→∞

Axn = Ax0 = y0. Dies widerspricht aber der Annahme y0 6∈ R(A).

Satz 4. Ist der Operator A der linearen Operatorgleichung (2) injektiv,

besitzt aber keinen abgeschlossenen Bildraum, dann ist die Stabilitats-

bedingung der Hadamardschen Korrektheitsdenition nicht erfullt und

das Problem deshalb inkorrekt gestellt.

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5. SOBOLEV-RAUME UND INKORREKT GESTELLTE PROBLEME 17

5. Sobolev-Raume und inkorrekt gestellte Probleme

5.1. Seil unter Eigenlast. Man stelle sich ein Seil vor, dass aus verschiedenen

Materialen besteht, so dass seine Dichte eine veranderliche Groe ist. Dabei sei die

Spannung T des Seils konstant und die vertikale Auslenkung klein im Vergleich zur

Lange des Seils. Eine etwas ubertriebene Darstellung des Sachverhalts (wir haben

kleine vertikale Auslenkung vorausgesetzt!!) sieht wie folgt aus:

0 1

ss

y(s)

Das inverse Problem besteht nun darin, die (Massen-)Dichte aus der Auslenkung y

des Seils zu bestimmen. Wir bezeichnen die Dichte des Seils mit x(s) und konstruie-

ren ein Modell fur die Masse-Auslenkungs-Relation: y = Kx.

0 1

ss

y(s)y(t)

t

δφT T

F

Dazu betrachten den Ein uss einer in t konzentrierten Kraft F. Aufgrund des Krafte-

gleichgewichts gilt:

T sinϕ+ T sin δ = F.

Da die Auslenkungen als Klein vorausgesetzt wurden, ist sin δ ≈ tan δ und analog

sinϕ ≈ tanϕ woraus sich

F

T= sin δ + sinϕ = tan δ + tanϕ =

y(t)

t+

y(t)

1− t

und damit

y(t) =F

Tt(1− t).

Ist nun s < t, dann folgt aus der Ahnlichkeit der Dreiecke

y(s)

s=y(t)

t=F

T(1− t)

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18 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

bzw.

y(s) =F

Ts(1− t).

Analog ergibt sich

y(s) =F

Tt(1− s) fur s > t.

D.h. unser Modell lautet nun

y(s) = F k(s, t) mit k(s, t) =

1Tt(1− s), 0 ≤ t ≤ s,

1Ts(1− t), s ≤ t ≤ 1.

Betrachten wir nun eine stetige Kraftverteilung erzeugt durch eine Dichtefunktion

x = x(t), so ergibt sich der Ein uss innitesimal kleiner Krafte auf die Auslenkung

y(s) zu

y(s) = limn→∞

n∑i=1

k(s, ti)x(ti)∆ti

und nach Grenzubergang die Fredholmsche Integralgleichung

y(s) =

∫ 1

0

k(s, t)x(t) dt.

Oensichtlich erfullt y(s) =∫ 1

0k(s, t)x(t) dt das Randwertproblem

y′′(s) +1

Tx(s) = 0, y(0) = y(1) = 0,

erfullt, da

y′(s) =1

T

(s(1− s)x(s) +

∫ s

0

−tx(t) dt− s(1− s)x(s) +

∫ 1

s

(1− t)x(t) dt

)=

1

T

(∫ s

0

−tx(t) dt+

∫ 1

s

(1− t)x(t) dt

)und

y′′(s) =1

T(−sx(s)− (1− s)x(s)) = − 1

Tx(s).

Auerdem ist y(0) = y(1) = 0. Wie man am folgenden Plot sieht bzw. auch schnell

nachrechnet ist

yε = ε(s− 1) sins

ε

klein fur ε 1. Dargestellt ist die Funktion fur Werte

ε = 0, 001; 0, 0025; 0, 004; 0, 0055; 0, 007; 0, 0085; 0, 01. und die Funktionswerte sind

betragsmaig kleiner als 0,01.

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5. SOBOLEV-RAUME UND INKORREKT GESTELLTE PROBLEME 19

Diese kleinen Werte fur die Auslenkung y erzeugen aber groe Werte fur die Dichte

x, denn

1

Tx(s) = −y′′(s) = −2 cos

s

ε+s− 1

εsin

s

ε.

Fur ε = 0, 055 erhalt man folgenden Funktionsverlauf:

und dann fur ε = 0, 02 :

Der Term (s−1)ε

erzeugt oensichtlich beliebig groe Werte wenn ε→ 0. Genauer fur

s = επ2ist 1

Tx(s) = π

2− 1

ε→∞ fur ε→ 0. Folglich ist das inverse Problem der Rekon-

struktion der Dichte x(s) aus den Daten y(s) beschrieben durch die Fredholmsche

Integralgleichung 1. Art nicht korrekt bzw. inkorrekt gestellt.

Warum ist dem so?

Zur Erinnerung sei deniert:

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20 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Definition 2. Ein linearer Operator A ∈ L(X, Y ), der zwischen den Banach-

Raumen X und Y wirkt, heit vollstetig, wenn er jede in X beschrankte Teil-

menge T ⊂ X in eine relativ kompakte Teilmenge AT = y ∈ Y : y = Ax, x ∈ Tuberfuhrt.

Fur vollstetige Operatoren und der Fredholmsche Integraloperator mit stetigem

Kern ist vollstetig in Raumen stetiger Funktionen, gilt:

Satz 5. Es sei A ∈ L(X, Y ) ein injektiver und vollstetiger linearer

Operator, der zwischen den unendlich dimensionalen Banach-Raum-

en X und Y wirkt. Dann ist der unendlichdimensionale Bildraum R(A)

des Operators A nicht abgeschlossen und der zu A inverse Operator

A−1 : R(A) ⊂ Y → X unbeschrankt.

Ware namlich fur einen injektiven und vollstetigen linearen Operator A ∈ L(X, Y )

mit dim (X) = ∞ die Beziehung R(A) = R(A) oder damit gleichbedeutend der

inverse Operator A−1 : R(A) ⊆ Y → X beschrankt, so ware

||A−1y||X ≤ C ||y||Y bzw. ||x||X ≤ C ||Ax||Y . (3)

Da es aber in jedem unendlich dimensionalen Banachraum immer eine beschrankte

Teilmenge gibt, die nicht relativ kompakt ist, was bedeutet, dass eine unendliche

Folge xn ⊂ T gibt, die keine konvergente Teilfolge und damit naturlich auch keine

Cauchy-Folge als Teilfolge besitzt. Jedoch ist wegen der Vollstetigkeit von A die

Bildmenge AT relativ kompakt und die Folge Axn ⊂ AT besitzt eine konvergente

Teilfolge, die dann auch Cauchy-Folge ist. Dies widerspricht aber (3) und ist somit

ausgeschlossen.

Folgerung 3. Es sei X ein unendlich dimensionaler Banachraum und

A ∈ L(X, Y ) ein injektiver und vollstetiger Operator. Dann ist die Sta-

bilitatsbedingung nicht erfullt und das lineare inverse Problem inkorrekt

nach Hadamard.

Zur Erinnerung:

Satz 6. Der lineare Fredholmsche Integraloperator A : C[a, b] → C[c, d]

(Ax)(s) :=

∫ b

a

k(s, t)x(t) dt c ≤ s ≤ d,

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5. SOBOLEV-RAUME UND INKORREKT GESTELLTE PROBLEME 21

mit stetigem Kern k ∈ C([c, d] × [a, b]) ist ein vollstetiger Operator. Ebenso ist

dieser Operator mit quadratisch integrierbarem Kern k ∈ L2((c, d) × (a, b)) als

Abbildung A : L2(a, b) → L2(c, d) ein vollstetiger Operator.

Bemerkung 2. Die lineare Fredholmsche Integralgleichung 2. Art

x(s) +

∫ b

a

k(s, t)x(t) dt = y(s), c ≤ s ≤ d,

als Operatorgleichung der Form

x+ Ax = y, x ∈ X, y ∈ Y,

mit A ∈ L(X, Y ) und vollstetig mit ||A||L(X,Y ) ≤ 1 ist in diesen Raumen stets

korrekt nach Hadamard.

5.2. Exponentielles Wachstum. Eines der einfachsten Anfangswertprobleme

fur gewohnliche Dierentialgleichungen beschriebt ein ungebremstes Wachstum =

exponentielles Wachstum:

du

dt= r(t)u mit der Anfangsbedingung u(0) = u0 > 0.

Dabei wird der Wachstumsprozess durch den veranderlichen Parameter r(t) gesteu-

ert. Wir wollen nun zeigen, dass die Bestimmung des Parameters r(t) ein im Allge-

meinen inkorrekt gestelltes Problem ist. Dazu berechnen wir zunachst die Losung des

AWP und daraus den funktionalen Zusammenhang von r(t) und u(t). Die Losung

des AWP ist

u(t) = u0eR t0 r(s) ds

Dies ist oensichtlich ein nichtlinearer Zusammenhang. Wir berechnen r(t) aus u(t);

es ist

lnu(t) = lnu0 +

∫ t

0

r(s) ds und damit r(t) = (lnu(t))′ .

Zur Untersuchung der Stabilitat des inversen Problems betrachten wir die gestorten

Daten:

uε(t) = u(t) eε sin( tε2

) bzw. lnuε(t) = lnu(t) + ε sin

(t

ε2

)Hier sindWerte fur die Storung eε sin( t

ε2) fur ε = 0, 01; 0, 025; 0, 04; 0, 055; 0, 07; 0, 085; 0, 1

dargestellt. Man sieht gut wie die Konstante Funktion 1 immer besser approximiert

wird.

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22 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Dagegen wird der Fehler fur r(t) durch(ε sin

(t

ε2

))′

=1

εcos

(t

ε2

)sehr gro. Dass wird durch den Plot fur ε = 0, 05; 0, 1 veranschaulicht:

Ein derartiges Verhalten ist fur Parameteridentikationsprobleme typisch!

5.3. Korrektheit inverser Probleme auf kompakten Mengen. Der die Ope-

ratorgleichung beschreibende Operator sei linear oder auch nichtlinear. Wir betrach-

ten das inverse Problem zu

F (x) = y, x ∈ D ⊆ X, y ∈ Y mit dem nichtlinearen Operator F. (4)

An sich inkorrekte inverse Probleme werden korrekt, wenn die zulassigen Losungen

dieses Problems auf eine kompakte Menge eingeschrankt werden. Das ist die Aussage

des Satz von Tichonov. Diese Vorgehensweise wird auch als deskriptive Regulari-

sierung bezeichnet.

Satz 7. (Satz von Tichonov) Es sei F : D ⊂ X → Y ein stetiger injekti-

ver Operator, der aus dem Banach-Raum X in den Banach-Raum Y ab-

bildet und dessen Denitionsbereich D eine kompakte Teilmenge von X

darstellt. Dann ist auch der inverse Operator F−1 : F (D) ⊂ Y → D ⊂ X

stetig.

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5. SOBOLEV-RAUME UND INKORREKT GESTELLTE PROBLEME 23

Es sei y0 ein beliebiger Punkt mit y0 = F (x0), x0 ∈ D und xn ⊂ D sei eine Folge

mit ||yn − y0|| = ||F (xn)− F (x0)||Y → 0 fur n→∞.

Da D als kompakte Menge in X sowohl relativ kompakt als auch abgeschlossen ist,

existiert eine in X konvergente Teilfolge xnk mit lim

k→∞x ∈ D. Wegen der Stetigkeit

des Operators F gilt dann auch limk→∞

F (xnk) = F (x) = F (x0) in Y. Da F ein injektiver

Operator ist folgt x = x0 und damit ||xnk− x0||X → 0 fur k →∞.

Aus den bisherigen Uberlegungen folgt aber mehr noch ||xn − x0||X → 0 fur n→∞,

also die Folge xn konvergiert gegen x0. Ware dem namlich nicht so, so musste

es fur eine genugend kleine Zahl ε > 0 eine unendliche Teilfolge xnl geben mit

||xnl− x0||X > ε fur alle l = 1, 2, . . . . Diese musste nun aber wegen der Injektivitat

von F und der Kompaktheit von D eine gegen x0 konvergente Teilfolge besitzen, was

oensichtlich ein Widerspruch ist.

Folgerung 4. Es sei nichtlineare Operator F : D ⊂ X → Y in der Operator-

gleichung (4) sei ein stetiger injektiver Operator, der aus dem Banach-Raum X

in den Banach-Raum Y abbildet und dessen Denitionsbereich D eine kompakte

Teilmenge von X darstellt. Dann ist die Stabilitatsbedingung der Korrekteits-

denition nach Hadamard erfullt.

Schlielich gilt aufgrund obiger Uberlegungen auch:

Satz 8. Besitzt die Operatorgleichung (4) zu einer speziellen rechten Seite

y0 eine eindeutig bestimmte Losung x0 ∈ D, wobei der Operator F stetig und

der Denitionsbereich D kompakt ist, so gilt die Implikation

F (xn) → F (x0) in Y, xn ∈ D ⇒ xn → x0 in X.

In diesem Satz wurde die Forderung nach der Injektivitat von F durch die we-

sentlich schwachere Eigenschaft der eindeutigen Losbarkeit von (4) fur eine spezielle

rechte Seite y0 abgeschwacht.

5.4. Sobolev-Raume und kompakte Einbettungen.

Definition 3. Fur m ∈ N0 und 1 ≤ p ≤ ∞ besteht der Raum Hm,p(Ω) aus allen

Funktionen u ∈ Lp(Ω), die m-mal schwach dierenzierbar sind mit Ableitungen

im Raum Lp(Ω). Die Raume Hm,p werden mit den Sobolev-Normen

||u||m,p,Ω =

∑|α|≤m

||Dαu||pp,Ω

1/p

, 1 ≤ p <∞,

||u||m,∞,Ω = max|α|≤m

||Dαu||∞,

versehen.

Der Raum Hm,p0 (Ω) bezeichnet die Abschlieung von C∞

0 (Ω) in der Norm von

Hm,p(Ω).

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24 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Satz 9. Hm,p(Ω) ist ein Banach-Raum fur alle m ∈ N0 und 1 ≤ p ≤ ∞.

Hm, 2(Ω) ist ein Hilbert-Raum mit dem inneren Produkt

〈u, v〉m =∑

0≤α≤m

∫Ω

DαuDαv dx.

Die fur uns interessante Frage ist, welche Raume haben welche kompakten Teilraume.

Aussagen dazu machen der Satz von Rellich-Kondrachov und der Satz von Mor-

rey.

Satz 10. (Satz von Rellich-Kondrachov) Es sei Ω ein Lipschitz-Gebiet. Dann

ist die Einbettung H1,p(Ω) → Lq(Ω) kompakt fur q < np(n−p)

. Fur H1,p0 (Ω) ist die

gleiche Einbettung kompakt ohne eine Voraussetztung an ∂Ω.

Beispiel 1. Fur n = 1 ist die obige Aussage sinnlos, da 1−p > 0 nur fur p < 1

erfullt ist. Fur n = 2 erhalt man, dass die Einbettung H1,p(Ω) → L2(Ω) kompakt

ist wenn 1 < p < 2 ist, analog gilt fur n = 3 H1,p(Ω) → L2(Ω) ist kompakt fur65< p < 3.

Satz 11. (Satz von Morrey) Es sei Ω ein Lipschitz-Gebiet und m ∈ N. Dannist die Einbettung Hm,p(Ω) → Cm−1,α(Ω) kompakt fur α < 1− n/p.

Beweis siehe Dobrowolski: Angewandte Funktionalanalysis .

Bemerkung 3. Man beachte, dass die Einschrankung auf kompakte Teil-

mengen das mathematische Modell verandert. Eine Losung in einem Sobolev-

Raum hat andere Eigenschaften als eine Losung im Raum stetig dierenzierba-

rer Funktionen. Auerdem verandern sich die Normen= Abstandsbegri! Das

wirkt sich auch auf die Stabilitat in der Weise aus, dass"geringe Abweichung\

im Sinne einer Norm in Raumen stetig dierenzierbarer Funktionen etwas an-

deres beutet als"geringe Abweichung\ im Sinne einer Lp(Ω)-Norm.

Auch muss die Frage nach der Existenz einer Losung bei der Einschrankung

auf eine kompakte Teilmenge berucksichtigt werden.

Definition 4. Fur nicht ganzzahliges s = m+σ > 0, 0 < σ < 1 und 1 ≤ p <∞besteht der Raum Hs,p(Ω) aus den Funktionen u ∈ Hm,p(Ω) mit endlicher Norm

||u||s,p,Ω. Dabei ist

|u|pσ,p,Ω =

∫Ω

∫Ω

|u(x)− u(y)|p

|x− y|n+σpdx dy,

||u||s,p,Ω = ||u||m,p,Ω +∑|α|=m

|Dαu|pσ,p,Ω.

Satz 12. Fur den Raum Hs,2(Rn), s ≥ 0, sind die Normen ||u||s,2,Rn und

||u||∗s,2,Rn :=

(∫Rn

|u(ξ)|2 (1 + |ξ|2)s dξ

)1/2

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5. SOBOLEV-RAUME UND INKORREKT GESTELLTE PROBLEME 25

aquivalent. Dabei ist

u(ξ) :=

∫Rn

u(x) e−ix·ξ dx

die Fouriertransformierte von u.

Beweis siehe Wloka: Partielle Dierentialgleichungen.

Wir wollen diese Hilbert-Raume nutzen um ein besseres Verstandnis fur inkorrekt

gestellte Problem zu gewinnen. Dazu betrachten wir die inhomogene gewohnliche

Dierentialgleichung:

−u′′ + u = f, x ∈ R.

Gilt u, f ∈ L2(R), dann konnen wir die Fouriertransformation zum Losen der GDGL

nutzen:

ω2u+ u = (1 + ω2)u = f ⇐⇒ u =1

(1 + ω2)f .

Damit ist

u = F−1

(1

(1 + ω2)f

)= F−1

(1

(1 + ω2)

)∗ F−1

(f)

Wie man leicht nachrechnet, ist

F−1

(1

(1 + ω2)

)=

1

2e−|x|

und damit ist

u(x) =1

2

∫Re−|y−x|f(y) dy = (g ∗ f)(x) mit g(x) =

1

2e−|x|.

Da f ∈ L2(R) ergibt sich, dass u nicht nur in L2(R) sondern wegen u = (1 + ω2)f ,

sogar in H2,2(R) liegt. Wir denieren den Operator A wie folgt

A : L2(R) → L2(R mit Af :=1

2

∫Re−|y−x|f(y) dy = u(x).

Dann ist der Operator A nicht invertierbar, da der inverse Operator formal durch

A−1u = −u′′+u geben ist. Jedoch ist fur u ∈ L2(R) der Ausdruck −u′′ keine Funktionaus L2(R) sondern eine Distribution in H−2,2(R). Folglich ist das inverse Problem

inkorrekt gestellt.

Oensichtlich liegt das daran, dass die Raume \nicht passen\. Also passen wir die

Raume an und betrachten folgendes Problem:

A : L2(R → H2(R), f 7→ Af = g ∗ f = u.

Durch die Anderung der Raume ist der Operator A oensichtlich invertierbar mit

A−1 = −u′′ + u und der inverse Operator ist stetig. Dieses Problem ist somit korrekt

gestellt.

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26 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Bemerkung 4. Warum muss man sich trotzdem mit inkorrekt gestellten Pro-

blem befassen?

Das liegt daran, dass Daten i. Allg. nur gestort vorliegen. Das ist kein Pro-

blem, wenn die Abweichung klein in der H2-Norm ist. Leider ist aber die H2-

Norm starker als die L2-Norm, da die H2-Norm auch Abweichungen in der

Ableitung mit berucksichtigt, wogegen die L2-Norm nur die Abweichung in den

Daten selbst berucksichtigt. Ist die Abweichung aber nur in der L2-Norm klein,

so verstarkt der unbeschrankte inverse Operator A−1 die Abweichung beliebig

stark!

Beispiel 2. Ein typisches Beispiel hierfur ist der Operator

Bf(x) = F−1~k→~x

[e−k2F~x→~kf

](x).

Oensichtlich bildet B den L2(Rn) auf sich selbst ab. Allerdings werden hohe

Frequenzen durch e−k2exponentiell geglattet, dass ist schneller als jede Integra-

tion (m Integrationen glatten hohe Frequenzen mit |k|−m).

Das heit nicht, dass B nie invertierbar ist. Fur hinreichend glatte Funktionen

g(x) (z.B. wenn der Trager von g(~k) kompakt ist), ist der inverse Operator

B−1g(x) = F−1~k→~x

[ek2F~x→~kf

](x).

Fur hinreichend glatte Funktionen gilt damit BB−1 = B−1B = I. Sind die Daten

auch nur ein bisschen gestort, so wird dieser Fehler mit ek2im Fourier-Bild

aufgebauscht! Das hat ganz erhebliche Auswirkungen auf die Rekonstruktion.

6. Computertomographie und Radon-Transformation

Dabei werden die Untersuchungsobjekte mit Hilfe von nicht strahlenden Quellen

wie z.B. Rontgen- oder auch Elektronenstrahlen dargestellt. Rontgenstrahlen beste-

hen aus Photonen mit hinreichend groer Energie, so dass sie sich entlang gerade

Linien bewegen bis sie auf einen Gegenstand treen und absorbiert werden.

6.1. Das 2D-Problem. Es bezeichne ~x ∈ R2 die ortliche Position und ~θ die

Richtung. Wir bezeichnen mit u(~x, ~θ) die Dichte der Rontgenstrahlen an der Stel-

le ~x und der Richtung ~θ. Weiterhin sei a(~x) der lineare Dampfungskoezient. Die

Geschwindigkeit wird auf 1 normiert, so dass die Dichte u(~x, ~θ) die folgende Die-

rentialgleichung erfullt:

~θ · ∇~xu(~x, ~θ) + a(~x)u(~x, ~θ) = 0, ~x ∈ Ω, ~θ ∈ S1. (5)

Dabei sei der zu untersuchende Bereich Ω als konvex vorausgesetzt (im Bild nicht

erfullt!). Wir identizieren die Einheitsrichtungen ~θ (dafur schreibt man ~θ ∈ S1) mit

dem Winkel θ, d.h. ~θ = (cos θ, sin θ)T . Der Advektionsoperator ist dann

~θ · ∇~x = cos θ∂

∂x+ sin θ

∂y

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6. COMPUTERTOMOGRAPHIE UND RADON-TRANSFORMATION 27

und modelliert die freie Konvektion der Rontgenstrahlen und a(~x)u(~x, ~θ) modelliert

die Anzahl der absorbierten Photonen pro Langeneinheit an der Stelle ~x.

Die Photonen werden am Rand des Gebiets Gebietes emmitiert und die Photonen-

dichte hat die Form

u(~x, ~θ) = δ(~x− ~x0)δ(~θ − ~θ0), (6)

mit ~x0 ∈ ∂Ω und ~θ0 zeigt in das Gebiet hinein (die Rontgenstrahlen werden in das

Gebiet hingeschickt).

θ

n( x0 )x0

θ0

x0 + s θ0

Ω

∂Ω

Das Randwertproblem (5),(6), das in geeigneten Koordinaten eine gewohnliche Dif-

ferentialgleichung 1. Ordnung darstellt, besitzt die Losung

u(~x0 + s~θ0, ~θ0) = exp

(−∫ s

0

a(~x0 + t~θ0) dt

), s > 0, ~x0 + t~θ0 ∈ Ω,

u(~x0, ~θ0) = 0 an allen anderen Stellen.

Die Intensitaten werden nun wiederum am Rand gemessen, d.h. wenn die Strahlung in

~x0 emmitiert wurde dann wird nach einer gewissen Zeit τ = τ(~x0, ~θ0) in ~x1 = ~x0 +τ~θ0

ankommen. Logaritmiert man nun die Messergebnisse, so verfugt man uber die Daten∫ τ(~x0, ~θ0)

0

a(~x0 + t~θ0) dt.

Das sind Integrale uber den Dampfungskoezienten a entlang des Geradenstucks

(~x0, ~x1). Lasst man nun den Punkt ~x0 und die Richtung ~x0 variieren so erhalt man

alle Integrale von a(~x) uber die Segmente bzw. da a(~x) durch Null auerhalb von Ω

fortgesetzt werden kann, uber alle Geraden, die durch Ω verlaufen. Das entstehende

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28 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Problem lautet also:

Wie kann man die Funktion a(~x) aus den Integralen uber a entlang aller

Geraden im R2 rekonstruieren. Fur die praktische Anwendung stehen nur endlich

viele Geraden zur Verfugung. Wie man damit umgeht und wie man die Geraden

sinnvoll auswahlt, soll hier nicht diskutiert werden obwohl das fur die praktische

Anwendung wesentlich ist.

6.2. Die Radon-Transformation im R2. Zunachst wollen wir das Problem

mathematisch sinnvoll beschreiben. Dazu sei O = (0, 0) Ursprung (cos θ, sin θ) = ~θ ∈S1 eine beliebige Einheitsrichtung und s ∈ R gebe den vorzeichenbehafteten Abstand

der Geraden zum Ursprung. Dann gehoren alle Punkte ~x ∈ R2 mit

~x · ~θ⊥ = s,

mit ~θ⊥ = (− sin θ, cos θ) der um 90o gedrehten Richtung ~θ, zur Geraden in Richtung~θ mit dem Abstand s zum Ursprung:

gθθ

O

Wir denieren fur glatte Funktionen f(~x) in R2 dieRadon-TransformationRf(s, θ)

fur (s, θ) ∈ Z = R× (0, 2π) als

Rf(s, θ) =

∫Rf(s~θ⊥ + t~θ) dt =

∫R2

f(~x)δ(s− ~x · ~θ⊥) d~x.

Wie man sich leicht uberzeugt ist der Zylinder Z eine doppelte Uberdeckung des

Raums aller Geraden des R2, da

~x · ~θ⊥ = s = ~x · (−~θ⊥) = −s.

Hieraus folgt insbesondere

Rf(s, θ) = Rf(−s, θ + π).

Es sei

Rθf(s) = Rf(s, θ).

Dann gilt

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6. COMPUTERTOMOGRAPHIE UND RADON-TRANSFORMATION 29

Satz 13. (Fourier-Scheiben-Satz) Fourier-Slice Theorem. Es sei f(~x) ∈C∞

0 (R2). Dann gilt fur alle ~θ ∈ S1

[Fs→σRθf ] (σ) = Rθf(σ) = f(σ~θ⊥), σ ∈ R.

Beweis:

Rθf(σ) =

∫Re−isσ

∫R2

f(~x)δ(s− ~x · ~θ⊥) d~x ds =

∫R2

e−i~x·~θ⊥σ f(~x) d~x = f(σ~θ⊥).

#

Auf diese Weise haben wir sogar eine Inversions- bzw. Rekonstruktionsformel ge-

wonnen. Man muss nur Rθf in der Variablen s Fourier-transformieren, um die Fou-

riertransformierte f(σ~θ⊥) zu erhalten. Fur alle Richtungen ~θ⊥ erhalt man dann die

Fourier-Transformierte f(~k), ~k ∈ R2 und Rekonstruktion erfolgt nun uber die Inver-

sion der Fouriertransformierten.

Lemma 1. Es sei f(~x) ∈ C∞0 (R2). Dann gilt

[∂f

∂xi

](s) = θ⊥i

d

ds(Rθf)(s).

Diese Formel ist aquivalent zur Formel uber das Verhalten der Fouriertransfor-

mierten unter Ableitungen.

Beweis:

[∂f

∂xi

](s) =

∫R2

∂f

∂xj

(~x) δ(s− ~x · ~θ⊥) d~x = θ⊥i

∫R2

f(~x)δ′(s− ~x · ~θ⊥) d~x

= θ⊥i∂

∂s

∫R2

f(~x)δ(s− ~x · ~θ⊥) d~x = θ⊥id

ds(Rθf)(s).

#

Wir betrachten nun die Abbildungseigenschaften der Radon-Transformation. Dazu

sei χ(~x) ∈ C∞0 (R2) eine beliebig oft dierenzierbare Funktion mit kompaktem Trager.

Weiterhin sei g(s, θ) ∈ Hs(Z), falls

||g||2Hs(Z) =

∫ 2π

0

∫R(1 + σ2)s |Fs→σg(σ)|2 dσ dθ <∞.

Dann gilt

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30 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Satz 14. Es sei f(~x) eine Funktion in Hs(R2) fur s ∈ R+0 . Dann gelten

die folgenden Abschatzungen:√

2 ||f ||Hs(R2) ≤ ||Rf ||Hs+1/2(Z),

||R(χ f)||Hs+1/2(Z) ≤ Cχ ||χ f ||Hs(R2).

Die Konstante Cχ hangt von der Funktion χ(~x) und insbesondere von

der Groe ihres Tragers ab.

Bemerkung 5. Die Aussage ist auch richtig fur Distributionen aus Hs(R2)

fur s ≤ 0. Wobei die Norm dieser Raume ebenfalls uber die Fouriertransforma-

tion deniert wird.

Beweis: Aus dem Fourier-Scheiben-Satz ergibt sich Rθ(w) = w(σ~θ⊥), was bedeu-

tet, dass∫Z

∣∣∣Rθ(w)(σ, θ)∣∣∣2 (1 + σ2)s+1/2 dσ dθ =

∫Z

|w(σ~θ⊥)|2(1 + σ2)s+1/2 dσ dθ

= 2

∫R2

|w(~k)|2 (1 + |~k|2)s+1/2

|~k|d~k,

wobei die Koordinatentransformation von Polar- zu kartesischen Koordinaten mit

d~k = σ dσ dθ ausgefuhrt wurde und der Symmetrieeigenschaft f(σ~θ⊥) = f((−σ)(−~θ⊥)).

Die erste Ungleichung folgt nun wegen 1

|~k|≥ 1√

1+|~k|2mit w(~x) = f(~x). Die zweite Be-

ziehung ist etwas komplizierter zu beweisen. Wir spalten das Integral auf in eine

Integration uber den Bereich |~k| > 1 und eine Integration uber den Einheitskreis

|~k| < 1. Fur |~k| > 1 ist

√1 + |~k|2 ≤

√2|~k| und damit

I1 ≤ 2√

2

∫R2

|χ f(~k)|2 (1 + |~k|2)s d~k ≤ 2√

2 ||χ f ||2Hs .

Wegen |~k| < 1 ist

2

∫|~k|<1

|χ f(~k)|2 (1 + |~k|2)s+1/2

|~k|d~k =

∫ 2π

0

∫ 1

−1

∣∣∣χ f(σ, ~θ⊥)∣∣∣2 (1 + σ2)s+1/2 dσ dθ

≤ ||χ f ||2L∞(R2)

∫ 1

−1

(1 + σ2)s+1/2 dσ ≤ C ||χ f ||2L∞(R2)

Nun sei ψ eine auf R2 glatte beschrankte Funktion mit kompaktem Trager und ψ(~x) =

1 auf dem Trager von χ, so dass ψ χ f = χ f ist und auerdem sei ψ~k(~x) = e−i~x·~kψ(~x).

Mit Hilfe der Denition der Fouriertransformation, der Parsevalschen Gleichung und

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6. COMPUTERTOMOGRAPHIE UND RADON-TRANSFORMATION 31

der Cauchy-Schwarzschen-Ungleichung 〈f, g〉L2 ≤ ||f ||L2 ||g||L2 folgt

|χ f |(~k) = |ψ χ f |(~k) =

∣∣∣∣∫R2

ϕ~k(~x)(χ f)(~x) d~x

∣∣∣∣ =1

(2π)2

∣∣∣∣∫R2

ϕ~k(~ξ)χ f(~ξ) d~ξ

∣∣∣∣=

1

(2π)2

∣∣∣∣∣∫

R2

ϕ~k(~ξ)

(1 + |ξ|2)s/2(1 + |ξ|2)s/2χ f(~ξ) d~ξ

∣∣∣∣∣ ≤ ||ψ~k||H−s(R2) ||χ f ||Hs(R2).

Da ψ eine glatte beschrankte Funktion mit kompaktem Trager ist, ist dies auch ψ~k

fur alle ~k mit |~k| < 1, so dass ψ~k ∈ H−s(R2) fur alle s ∈ R und fur alle |~k| < 1 ist.

Damit ergibt sich die 2. Behauptung. #

6.3. Inversionsformel fur die 2D Radon-Transformation. Wir wollen nun

eine explizite Rekonstruktionsformel ableiten. Dafur werden wir zunachst einige Ope-

ratoren betrachten und anschlieend die Inversionsformel daraus aufbauen. Als erstes

betrachten wir den zur Radon-Transformation adjungierten (dualen) Operator R∗ im

Raumpaar L2(Z) und L2(R2). Der adjungierte Operator ist deniert durch

〈g, Rf〉Z = 〈R∗g, f〉R2 .

Es ist

〈g, Rf〉Z =

∫ 2π

0

∫Rg(s, θ)(Rf)(s, θ) ds dθ =

∫ 2π

0

∫Rg(s, θ)

∫R2

δ(s− ~x · θbot) d~x ds dθ

=

∫R2

f(~x)

∫ 2π

0

∫Rg(s, θ)δ(s− ~x · θ⊥) ds dθ d~x =

∫R2

f(~x)

∫ 2π

0

g(~x · θ⊥, θ) dθ d~x

= 〈R∗g, f〉R2

und folglich

(R∗g)(~x) =

∫ 2π

0

g(~x · θ⊥, θ) dθ, ~x ∈ R2.

Als weiteren Operator betrachten wir die Hilbert-Transformation:

Hf(t) =1

πCH

∫R

f(s)

t− sds.

Dabei bedeutet CH , dass das Integral im Sinne des Cauchyschen Hauptwerts zu

verstehen ist, d.h.

Hf(t) =1

πlim

ε→0+

∫R\(t−ε, t+ε)

f(s)

t− sds.

Beide Operatoren sind lokal im Frequenz- bzw. Fourierbereich, in der Weise, dass

ihre Fouriertransformierten zu Multiplikationen im Frequenzbereich fuhren. Was das

konkret bedeutet zeigt das folgende Lemma:

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32 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Lemma 2. Es gilt

(F~x→~ξ(R

∗g))

(~ξ) =2π

|~ξ|

(Fs→σg)

−|~ξ|, ~ξ⊥∣∣∣~ξ⊥∣∣∣+ (Fs→σg)

|~ξ|, − ~ξ⊥∣∣∣~ξ⊥∣∣∣ ,

(Ft→σHf) (σ) = −i sign (σ)Ft→σf(σ).

Wir identizieren ~θ = (cos θ, sin θ) mit θ ∈ S1 and θ ∈ (0, 2π), und analog g(θ) =

g(~θ). Setzt man nun voraus, dass g(s, θ) = g(−s, θ+ π) ist, was fur das Bild der

Radon-Transformation erfullt ist und was impliziert, dass g(σ, ~θ) = g(−σ, −~θ)gilt, so kann man kurzer schreiben:

R∗g(~ξ) =4π

|~ξ|g

|~ξ|, − ~ξ⊥∣∣∣~ξ⊥∣∣∣ ,

Hf(σ) = −i sign (σ) f(σ).

Beweis: Wir berechnen zunachst die Fouriertransformierte von R∗g. Dabei be-

nutzen wir

~x = s~θ⊥ + t~θ und

∫ ∞

−∞e−itτdt = 2π δ(τ).

R∗g(~ξ) =

∫R2

e−i~x·~ξ∫ 2π

0

g(~x · ~θ⊥) dθ d~x =

∫ 2π

0

∫ ∞

−∞

∫ ∞

−∞e−is~ξ·~xg(s, θ) ds dθ e−it~ξ·~θ dt

=

∫ 2π

0

g(~ξ · ~θ⊥, θ) 2πδ(~ξ · ~θ) dθ =

∫ 2π

0

g(~ξ · ~θ⊥, θ) 2πδ

(|~ξ|

|~ξ|· ~θ

)dθ

=2π

|~ξ|

∫ 2π

0

g(~ξ · ~θ⊥, θ)δ

(~ξ

|~ξ|· ~θ

)dθ =

|~ξ|

(g

(−|~ξ|,

~ξ⊥

|~ξ|

)+ g

(|~ξ|, −

~ξ⊥

|~ξ|

)),

da~ξ

|~ξ|· ~θ = 0 ist fur

|~ξ|= ±~θ⊥ und

(~ξ⊥

|~ξ|

)⊥= −~ξ

|~ξ|. Ist g = Rf so gilt g

(−|~ξ|, ~ξ⊥

|~ξ|

)=

g(|~ξ|, −~ξ⊥

|~ξ|

). Fur die Hilbert-Transformation betrachten wir zunachst

CH

∫ ∞

−∞

eiωx

xdx = iπ fur ω > 0.

Folglich ist

CH

∫ ∞

−∞

ei(−ω)x

xdx = −CH

∫ ∞

−∞

eiωτ

τdτ = −iπ

und oensichtlich ist

CH

∫ ∞

−∞

1

xdx = 0

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6. COMPUTERTOMOGRAPHIE UND RADON-TRANSFORMATION 33

und insgesamt

CH

(1

x

)= CH

∫ ∞

−∞

e−ixσ

xdx =

−iπ, σ > 0,

0, σ = 0,

iπ, σ < 0

= −iπ sign (σ).

Damit ergibt sich fur Hf(t) = 1π

(CH

(1x

)∗ f(x)

)(t) nach dem Faltungssatz

Hf(σ) =1

π

CH

(1

x

)(σ)f(σ) = −i sign (σ)f(σ).

#

Aus den obigen Berechnungen folgt insbesondere, dass

H2 = H H = −I

gilt, wobei I der identische Operator ist.

Satz 15. Es sei f(~x) eine glatte Funktion und bezeichne g(s, θ) =

Rf(s, θ) die Radon-Transformierte. Dann kann f explizit aus der

Radon-Transformierten wie folgt rekonstruiert werden:

f(~x) =1

4πR∗(∂

∂sHg(s, θ)

)(~x).

Dabei wird die Hilbert-Transformation auf die Variable s angewandt.

Beweis: Es sei

w(s, θ) =∂

∂sHg(s, θ).

Da g(−s, θ + π) = g(s, θ) ist, gilt

w(−s, θ + π) =∂

∂(−s)

(1

πCH

∫ ∞

−∞

g(t, θ)

(−s)− tdt

)=

∂(−s)

(1

πCH

∫ ∞

−∞

g(−τ, θ)−s+ τ

)= − ∂

∂s

(1

π(−1)CH

∫ ∞

−∞

g(−τ, θ)s− τ

)= w(s, θ).

Damit ist die Aussage des Satzes aquivalent zu

f(~x) =1

4π(R∗w(s, θ))(~x) ⇐⇒ f(~ξ) =

1

|~ξ|w

(|~ξ|, −

~ξ⊥

|~ξ|

). (7)

Dabei bezeichnet w die Fourier-Transformierte von w bezuglich der ersten Verander-

lichen. Fur die Fourier-Transformierte von w bezuglich s gilt:

w(σ, θ) = Fs→σ

(∂

∂sHg(s, θ)

)= (iσ)Fs→σ(Hg(s, θ)) = iσ(−i)sign (σ)g(σ, θ) = |σ|g(σ, θ),

d.h.

w(σ, θ) = |σ|g(σ, θ).

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34 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Aufgrund der Denition von g und dem Fourier-Scheiben-Satz gilt:

g

(|~ξ|, −

~ξ⊥

|~ξ|

)= Rθf

(|~ξ|, −

~ξ⊥

|~ξ|

)= f

|~ξ|(−~ξ⊥|~ξ|

)⊥ = f

(|~ξ|

|~ξ|

)= f(~ξ).

Damit ist (7) gezeigt und die Rekonstruktionsformel bewiesen. #

Bemerkung 6. Man konnte die Aussage des Satzes auch so darstellen:

I =1

4πR∗ ∂

∂sHR =

1

4πR∗H

∂sR,

wobei I der identische Operator ist.

Der zu Rθ : L2s(R → L2

~x(R2), adjungierte Operator ergibt sich aus∫R(Rθf)(s) g(s) ds =

∫R2

∫Rf(~x)δ(s− ~x · ~θ⊥) g(s) d~x ds =

∫R2

g(~x · ~θ⊥) f(~x) d~x,

zu

(R∗θg)(~x) = g(~x · ~θ⊥.

Wegen

~θ⊥ · ∇(R∗θg)(~x) =

2∑j=1

θ⊥j∂

∂xj

g(~x · ~θ⊥) =2∑

j=1

(θ⊥j )2g′(~x · ~θ⊥)

und

R∗θ

(∂

∂sg(s, θ)

)= g′(~x · ~θ⊥),

da s = ~x · ~θ⊥. Damit erhalten wir eine weitere Rekonstruktionsformel, namlich

f(~x) =1

∫ 2π

0

~θ⊥ · ∇R∗θHRθ dθ =

1

∫ 2π

0

R∗θ

∂sHRθf dθ,

bzw.

f(~x) =1

∫ 2π

0

(Hg′(~x · ~θ⊥, θ) dθ =1

4π2

∫ 2π

0

∫R

ddsg(s, θ)

~x · ~θ⊥ − sds dθ.

Die letzte Formel entspricht im wesentlichen Radons ursprunglicher Inversi-

onsformel. Um J. Radons Formel zu erhalten sei

F~x(q) =1

∫ 2π

0

(Rf)(~x · ~θ⊥ + q, θ) dθ

der Mittelwert von Rf uber alle Geraden, die einen Abstand q ≥ 0 von ~x haben.

Dann gilt

f(~x) = − 1

π

∫ ∞

0

ddqF~x(q)

qdq.

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6. COMPUTERTOMOGRAPHIE UND RADON-TRANSFORMATION 35

6.4. Die Radon-Transformation im R3 und Inversionsformel. Als Radon-

Transformation im R3 versteht man das folgende Problem: Die Radon-Transformierte

von f ist das Integral von f(~x) uber alle moglichen Ebenen. Eine Ebene E(s, ~θ) im

R3 ist gegeben durch ihren Normalenvektoreinheitsvektor ~θ ∈ S2 und dem Abstand s

vom Ursprung. Oensichtlich hat man auch hier wieder eine doppelte Uberdeckung

in der Weise, dass E(s, ~θ) = E(−s, −~θ) aufgrund der Ebenengleichung ~x · ~θ = s. Die

Radon-Transformation ist somit gegeben als

Rf(s, θ) =

∫R3

f(~x) δ(~x · ~θ − s) d~x =

∫E(s, ~θ)

f dσ.

Wie man leicht nachrechnet gilt damit vollig analog zum 2D Fall der Fourier-Scheiben-

Satz:

Rf(σ, ~θ) = f(σ~θ).

Wie erlautern, was ~θ ∈ S2 bedeutet: Jedes Element des R3 kann in Polarkoordinaten

dargestellt werden als

x1 = r sin θ2 sin θ1, x2 = 2 sin θ2 cos θ1, x3 = r cos θ2,

mit 0 ≤ r < ∞, 0 ≤ θ1 < 2π, 0 ≤ θ2 < π, d.h. wir identizieren ~θ mit (θ1, θ2) ∈ S2.

Das ubliche Lebesgue-Ma auf S2 ist d~θ = Γ(3/2)

2π3/2 sin θ2dθ1 dθ1 =2√

π4

2π√

πsin θ2dθ1 dθ1 =

14π

sin θ2 dθ2 dθ1 und d~x = r2 dr d~θ.

Eine Inversionsformel ergibt sich nun wie folgt. Es sei S2

2die obere Halbsphare, d.h.

die Menge aller ~θ ∈ S2 mit ~θ · ~ez > 0. Aus dem Fourier-Scheiben-Satz folgt mit

entsprechender Parametrisierung

f(~x) =1

(2π)3

∫S2

2

∫Rf(σ~θ)eiσ~θ·~xσ2 dσ d~θ

Anwendung des Fourier-Scheiben-Satzes ergibt

=1

(2π)3

∫S2

2

∫RRf(σ~θ)eiσ~θ·~xσ2 dσ d~θ

und mit Rf(s, ~θ) = g(s, ~θ), wobei s = ~x · ~θ ist erhalt man

=1

(2π)2

∫S2

2

(1

∫Rg(σ~θ)eiσ~θ·~xσ2 dσ

)d~θ =

1

2

(−1)

(2π)2

∫S2

g′′(~θ · ~x, ~θ) d~θ.

Dabei haben wir benutzt, dass die Fourier-Transformierte von −f ′′ gerade −(iσ)2f =

σ2f ist. Somit lautet die Rekonstruktionsformel

f(~x) = − 1

8π2

∫S2

g′′(~x · ~θ, ~θ) dθ.

Analog zum 2D Fall kann man die folgenden Abbildungseigenschaften zeigen:

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36 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Satz 16. Es existiert eine Konstante Cχ unabhangig von f(~x), so dass

gilt√

2 ||f ||Hs(R3) ≤ ||Rf ||Hs+1(Z),

||R(χ f)||Hs+1(Z) ≤ Cχ ||χ f ||Hs(R3),

mit Z = R× S2 und g(s, θ) ∈ Hs(Z), falls

||g||2Hs(Z) =

∫S2

∫R(1 + σ2)s |Fs→σg(σ)|2 dσ d~θ <∞.

Bemerkung 7. Wenn wir die Radon-Transformation im R2 mit der im R3

vergleichen, so ist die Transformation im R3 starker glattend als die im R2, da

in 3D die Radon-Transformation um eine volle Ableitung glattend ist wogegen

im 2D Fall nur um eine halbe Ableitung geglattet wird.

Bemerkung 8. Die Inversion der 3D Radon-Transformation ist lokal, da-

gegen ist das im 2D nicht der Fall. Mit"lokal\ ist hier das folgende gemeint:

Die Rekonstruktion von f(~x) hangt nur von den Werten g(s, ~θ) auf den Ebenen

E(s, ~θ) ab, die durch ~x verlaufen (und einer beliebig kleinen Umgebung, so dass

die zweite Ableitung gebildet werden kann). Oensichtlich gilt ~x ∈ E(~x ·~θ, ~θ) undalle Ebenen, die durch ~x verlaufen sind von dieser Gestalt.

Im 2D Fall beinhaltet die Inversionsformel die Hilbert-Transformation (einen

singularen Integraloperator,) der im Unterschied zu Dierentialoperatoren nicht

lokal ist. D.h. fur die Rekonstruktion von f an der Stelle ~x muss man die In-

tegrale uber alle Geraden kennen und nicht nur die, die durch den Punkt ~x

verlaufen.

Definition 5. Das inverse Problem zu Ax = y, A : L2(Rn) → L2(Rn)

heit maßig inkorrekt gestellt, wenn es Konstanten C und α > 0 gibt

mit

||Af ||Hα(Rn) ≥ C ||f ||L2(Rn).

Insbesondere heit es maig inkorrekt gestellt von der Ordnung α, wenn

α das kleinste α ≥ 0 mit dieser Eigenschaft ist. Gibt es kein α mit einer

derartigen Eigenschaft, so heit das Problem stark inkorrekt gestellt.

Folglich ist die Inversion der Radon-Transformation ein maig inkorrekt gestelltes

Problem. In 2D ist die Ordnung 12in 3D ist sie dagegen 1.

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7. DAS CAUCHY-PROBLEM, ELEKTROKARDIOGRAPHIE 37

7. Das Cauchy-Problem, Elektrokardiographie

Mit der so genannten Elektrokardiographie konnen elektrische Vorgange am Herzen

und somit Storungen des Organs aufgezeichnet beziehungsweise sichtbar gemacht

werden. Der Herzschlag wird durch eine Folge elektrischer Entladungen in Gang

gehalten. Diese gehen von einem Nervenknoten im Herz, dem so genannten Sinus-

knoten, aus und p anzen sich bis zu den Herzkammern fort.

Mit Elektroden, die am Korper angebracht werden, kann man diese elektrischen

Strome messen und aufzeichnen. Die so erhaltene"Herzstromkurve\ nennt man Elek-

trokardiogramm, besser bekannt unter seiner Abkurzung"EKG\.

Jeder Pumpfunktion des Herzens geht eine elektrische Erregung voraus, die im Nor-

malfall vom Sinusknoten ausgeht und uber das herzeigene Erregungsleitungssystem

zu den Muskelzellen lauft. Diese elektrischen Potenzialanderungen am Herzen kann

man an der Korperober ache ableiten und in der Zeitachse aufzeichnen. Es resultiert

ein immer wiederkehrendes Bild der elektrischen Herzaktion. Mit dem EKG lassen

sich vielfaltige Aussagen zu Eigenschaften und Erkrankungen des Herzens treen. Zu

beachten ist, dass das Ober achen-EKG nur die elektrische Aktivitat des Herzmus-

kels anzeigt, nicht jedoch die tatsachliche Auswur eistung widerspiegelt.

Die folgende Beschreibung der physikalischen Vorgange ist entnommen:

http://www.grundkurs-ekg.de/grundlagen/grundlagen.htm#grundlagen

An den Zellmembranen von Herzmuskelzellen ( auch Muskel- und Nervenzellen) sind

elektrische Potenziale nachweisbar, die aufgrund der Depolarisation und Repolari-

sation zyklisch auftreten. Die Depolarisation setzt sich von Zelle zu Zelle fort und

wandert uber die Muskelfasern hinweg. In den folgenden Graken ist ein Muskel-

strang abgebildet, der von links nach rechts depolarisiert wird.

Die Animation ist entnommen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Elektrokardiogramm

Durch Anklicken kann man die Animation

starten bzw. stoppen.

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38 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Ein erregter Muskelbezirk verhält sich gegenüber einem unerregten Bezirk elektrisch negativ, sie bilden einen Dipol, von dem ein elektrisches Feld ausgeht, das an der Körperoberfläche mit Elektroden registriert werden kann.Zwischen gleichmäßig erregten oder gleichmäßig unerregten Muskelbezirken ist kein Potenzialunterschied nachweisbar. ( kein Dipol = kein elektr. Feld = kein Ausschlag im EKG )

Die Muskelzellen befinden sich im Ruhepotenzialund haben extrazellulär eine positive Ladung. In der Umgebungist kein elektrisches Feld messbar.

Der Muskelstrang wird von links nach rechts depolarisiert, es entsteht ein elek-trischer Dipol, von dem ein elektrisches Feld ausgeht. Die Erregungswelle erzeugt einen positiven Ausschlag, wenn sie auf eine Elektrode zuläuft und einen negativen Ausschlag, wenn sie sich von einer Elektrode weg bewegt.

Die Erregungswelle hat alle Zellen des Muskelstranges erfasst, alle Zellen sind depolarisiet und haben extrazellulär negative Ladung. In der Umgebung ist kein elektrisches Feld messbar.

Die zuerst erregten Zellen werden wieder repolarisiert, der Erregungs-rückgang ist langsamer und länger, erzeugt eine flache, langgezogene Kurve und ist im Vergleich zur Depolarisation elektrisch entgegengesetzt.

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7. DAS CAUCHY-PROBLEM, ELEKTROKARDIOGRAPHIE 39

Modelliert wird die ganze Sache nun wie folgt:

Es sei Γ0 die auere Ober ache, die eine geschlossene innere Ober ache umschliet,

wo das Potential gemessen wird, und sei Ω das Gebiet mit dem Rand ∂Ω = Γ1 ∪ Γ0.

Ω

Γ1

Γ0

Δu = 0

Das elektrische Potential u erfullt die folgende Laplace-Gleichung:

∆u = 0, in Ω,

u = u1, auf Γ1,

∂u

∂~n= 0, auf Γ1.

Die Funktion u1 beschreibt die Messwerte auf der Ober ache Γ1, die als isoliert

angenommen wird, so dass ~n · ∇u = 0 auf Γ1 gilt. Aus den Messwerten wird nun u0

auf Γ0 bestimmt (Vorwartsaufgabe).

7.1. Halbraum-Problem. Die starke Inkorrektheit des inversen Problems lasst

sich gut am Halbraum-Modell darstellen.

7.1.1. Elektrokardiograsche Anwendung. Dann lautet das Problem wie folgt:

∂2u

∂x2+∂2u

∂y2= 0, x ∈ R, y > 0,

u(x, 0) = u0(x), x ∈ R, (8)

∂u

∂y(x, 0) = g0(x), x ∈ R.

Gesucht ist u(x, y) fur eine parallele Gerade y = ρ > 0. Wir bezeichnen mit

u(k, y) = (Fx→ku) (k, y)

die Fourier-Transformierte bzgl. der x Variablen. Damit ergibt sich des folgende An-

fangswertproblem einer gewohnlichen Dierentialgleichung fur u:

−k2u+∂2u

∂y2= 0, k ∈ R, y > 0,

u(k, 0) = u0(k), k ∈ R,∂u

∂y(k, 0) = g0(k), k ∈ R.

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40 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Die Losung ist dann

u(k, y) = u0(k) cosh(|k|y) +g0(k)

|k|sinh(|k|y).

Setzt man nun voraus, dass

|k| u0(k) + g0(k) = 0,

so folgt

u(k, y) = u0(k)e−|k|y.

Durch Anwendung der inversen Fourier-Transformation erhalt man die Losung:

u(x, y) =

(u0 ∗

1

π

y

x2 + y2

)(x) =

1

π

∫Ru0(x− z)

y

z2 + y2dz.

Bemerkung 9. (i) Es gilt

1

∫Re−y|k| eixk dk =

1

π

y

x2 + y2.

(ii) Die Kompatibilitatsbedinung

|k|u0(k) + g0(k) =|k|kku0(k) + g0(k) = 0 ⇐⇒ −|k|

k(ik)u0(k) = ig0(k)

entspricht

g0(x) = −Hu′0(x), (9)

wobei H die Hilbert-Transformation ist.

Ist die Kompatibilitatsbedinung erfullt, so besitzt das Problem (8) eine eindeutige

Losung und ist korrekt gestellt, da∫Ru2(x, y) dx ≤

∫Ru2

0(x) dx, fur alle y > 0.

Dies folgt aus der Parsevalschen Gleichung.

Ist die Kompatitbiltatsbedinung aber nicht erfullt, wie das z.B. bei der Elektrokar-

diographie der Fall ist, wo gilt g0(x) = 0. In diesem Fall ergibt sich

u(k, y) = u0(k) cosh(|k|y).

Folglich werden hohe Frequenzen exponentiell verstarkt fur y > 0. Nehmen wir an,

dass das Potential fur y = y0 gesucht ist. Die Vorwartsaufgabe, wo wir u(x, y0)

kennen und u(x, 0) = A[u(x, y0)] zu bestimmen ist, ist korrekt gestellt, da (es gilt

cosh(|k|y) ≥ 12e|k|y)

||Av||L2(R) ≤ ||v||L2(R).

Dagegen ist das inverse Problem, welches u0(x) nach u(x, y0) abbildet stark inkorrekt

gestellt, da cosh(|k|y) nach nicht durch C(1 + |k|2)α/2 fur irgendein α beschrankt ist.

D.h. der inverse Operator A−1 ist nur fur hinreichend glatte Funktionen deniert,

genauer, sei

Xy(R) = u ∈ L2(R) : cosh(|k|y)u(k) ∈ L2(R).

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7. DAS CAUCHY-PROBLEM, ELEKTROKARDIOGRAPHIE 41

Dann ist A ein stetiger Operator in L(L2(R, Xy0(R)) und der dazugehorige inverse

Operator A−1 ist stetig in L(Xy0(R), L2(R) und lautet

A−1u = F−1k→x(cosh(|k|y)Fx→ku.

7.1.2. Analytische Fortsetzung. Die gleiche Vorgehensweise wie eben kann auf

das Problem der analytischen Fortsetzung einer auf der reellen Achse analytischen

Funktion angewandt werden.

Definition 6. Eine auf einer oenen Teilmenge I ⊆ R denierte Funktion

g : I → R, heit reell-analytisch, wenn g lokal in eine Potenzreihe entwickelbar

ist, d.h. fur jedes t0 ∈ I gibt es eine reelle Potenzreihe∞∑

n=0

an(t− t0)n mit an ∈ R,

die in einer Umgebung von t0 die Funktion g darstellt.

Definition 7. Eine komplexwertige Funktion f(z) = g(x, y)+ ih(x, y) ist in z0

analytisch (oder holomorph), wenn

∂f

∂z=

(∂

∂x+ i

∂y

)(g(x, y) + ih(x, y)) = 0. (10)

Die Bedingung (10) ist aquivalent zu

∂g

∂x− ∂h

∂y= 0,

∂g

∂x+∂h

∂y= 0.

Dieses Cauchy-Riemann-System impliziert, dass g und h harmonische Funktionen

sind, ∆g = ∆h = 0.

Es sei f(z) = g(z) + ih(z) eine analytische Funktion mit den reell-wertigen

Funktionen g und h. Die reell-wertigen Funktionen g und h seien entlang

der reellen Achse Im (z) = 0 gegeben. Man bestimme f(z) aus g(x, 0) = g(x)

und h(x, 0) = h(x).

Wir identizieren z = x+iy und setzen voraus, dass g(x) und h(x) Distributionen aus

S ′ sind, so dass ihre Fourier-Transformierten deniert sind. Dann muss das folgende

Problem gelost werden:

∆g = 0, y > 0, ∆h = 0, y > 0,

∂g

∂y(x, 0) = −∂h

∂x(x, 0),

∂h

∂y(x, 0) =

∂g

∂x(x, 0),

g(x, 0) bekannt h(x, 0) bekannt.

Die Losungen beider Probleme sind im Frequenzbereich gegeben durch

g(k, y) = g(k, 0) cosh(|k|y)− i sign (k)h(k, 0) sinh(|k|y);h(k, y) = h(k, 0) cosh(|k|y) + i sign (k)g(k, 0) sinh(|k|y).

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42 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

Das Problem ist korrekt gestellt, wenn die Kompatibilitatsbedingungen (9) erfullt

sind, d.h.

∂h

∂x= H

∂g

∂x,

∂g

∂x= −H∂h

∂x,

wegen H2 = −I sind beide Gleichungen aquivalent. Sind die Kompatibilitatsbedin-

gungen erfullt, so ist das Problem stabil, ansonsten wachsen die hohen Frequenzen

exponentiell mit y. Folglich ist das Problem der analytischen Fortsetzung stark in-

korrekt.

7.2. Der allgemeine 2D-Fall. Wir wollen das elektrokardiograsche Problem

in 2D fur relativ allgemeine Geometrien losen. Dazu benotigt man die Losung fur

einen Kreisring und den Riemannschen Abbildungssatz.

7.2.1. Die Laplace-Gleichung im Kreisring. Wir betrachten zunachst einen Kreis-

ring mit dem inneren Radius 1 und dem aueren Radius ρ > 1. Durch Streckung bzw.

Stauchung kann daraus jeder Kreisring mit beliebigen Radien a und b gewonnen wer-

den.

r=1 r=ρ

In Polarkoordinaten hat der Laplace-Operator die Gestalt:

∆u =1

r

∂r

(r∂u

∂r

)+

1

r2

∂2u

∂θ2.

Macht man den Separationsansatz mit u(r, θ) = u(r, θ + 2π) :

u(r, θ) = R(r)Θ(θ)

und setzt diesen in die Dierentialgleichung ein, so folgt:

1

rR′(r)Θ(θ) +R′′(r)Θ(θ) +

1

r2Θ′′(θ) = 0 ⇐⇒ r2R

′′(r)

R(r)+ r

R′(r)

R(r)= −Θ′′(θ)

Θ(θ)= λ.

Folgt

Θ′′(θ) + Θ(θ) = 0 mit Θ(θ) = Θ(θ + 2π)

und ergibt

λ = n2 und Θ(θ) = A cos(nθ) +B sin(nθ), n = 1, 2, . . .

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7. DAS CAUCHY-PROBLEM, ELEKTROKARDIOGRAPHIE 43

und fur λ = 0 ist Θ(θ) = A = const eine Losung. Die gewohnliche Dierential-

gleichung fur R ist eine Eulersche Dierentialgleichung und kann uber den Ansatz

R(r) = rα gelost werden. Man erhalt

α(α− 1) rα + α rα − n2rα = 0,

also α2 = n2 bzw. α = ±n. Damit wird R(r) = Crn +Dr−n und die separierte Losung

bekommt die Gestalt

u(r, θ) = (Crn +Dr−n)(A cos(nθ) +B sin(nθ)), n = 1, 2, . . . .

Fur n = 0 brauchen wir neben R = const eine weitere linear unabhangige Losung

und diese ist R(r) = ln r. Damit haben wir fur n = 0 die Losung

u(r, θ) = C +D ln r.

Alle Losungen sind harmonisch in der punktierten Ebene R2\0.Weiterhin sind alle

Funktionen endlich im Kreisring, d.h. die allgemeine Losung ist

u(r, θ) = C0 +D0 ln r +∞∑

n=1

(Cnrn +Dnr

−n)(An cos(nθ) +Bn sin(nθ)).

Wegen u(1, θ) = u1(θ) ergibt sich

C0+∞∑

n=1

(Cn+Dn)(An cos(nθ)+Bn sin(nθ)) = u1(θ) =a0

2+

∞∑n=1

(an cos(nθ)+bn sin(nθ)),

d.h. (Cn +Dn)An = an sowie (Cn +Dn)Bn = bn und mit ~n · ∇u = 0 auf r = 1 folgt

r∂u

∂r

∣∣∣∣r=1

= D0|r=1 +∞∑

n=1

(nCnrn − nDnr

−n)(An cos(nθ) +Bn sin(nθ))

∣∣∣∣∣r=1

= 0

ergibt sich D0 = 0 sowie Cn = Dn, n = 1, 2, . . . . Also ist

u(r, θ) =a0

2+

∞∑n=1

(rn + r−n

2

)(an cos(nθ) + bn sin(nθ)),

wobei

an =1

π

∫ 2π

0

u1(ϕ) cos(nϕ) dϕ und bn =1

π

∫ 2π

0

u1(ϕ) sin(nϕ) dϕ

die entsprechenden Koezienten der Fourierreihe von u1(θ) sind. In komplexer Schreib-

weise ergibt sich wegen c0 = a0

2und c±k = 1

2(ak∓ibk) und ck =

(12π

∫ 2π

0u1(ϕ)e−ikϕ dϕ

)die Losung:

u(r, θ) =∞∑

n=−∞

(1

∫ 2π

0

u1(ϕ)e−inϕ dϕ

)(rn + r−n

4

)einθ.

Wie man leicht sieht wachst ein Fehler δ bei der Bestimmung der Fourier-Koezienten

von u1 zu einem Fehler der Groe

cδen ln ρ an der Stelle r = ρ

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44 1. INVERSE PROBLEME UND FOURIER TRANSFORMATION

im Fourierkoezienten der Losung u. Folglich kann der Fehler nicht durch Cnα fur

irgendein α > 0 abgeschatzt werden, was bedeuten wurde, dass der Fehlerniveau

α-mal abgeleitet wurde. Damit ist das Rekonstruktionsproblem stark inkorrekt.

Bemerkung 10. Oftmals wird genau diese Beschrankung der Fehlerfortp an-

zung mit Cnα als Denition der maigen Inkorrektheit gewahlt.

7.2.2. Riemannscher Abbildungssatz. Es sei Ω ein oenes glattes 2D Gebiet

mit glattem Rand ∂Ω = Γ0 ∪ Γ1, der aus 2 glatten und zusammenhangenden Teilen

besteht, die auere Anteil sei mit Γ0 und die innere Anteil mit Γ1 bezeichnet.

Wir konstruieren nun eine holomorphe Funktion Ψ(z), die Ω auf den Kreisring 1 <

r < ρ abbildet.

Konstruktionsidee: Es sei v die eindeutig bestimmte Losung des Dirichlet-Problems:

∆v = 0 in Ω, v |Γ0= 1, v |Γ1= 0.

Es sei nun G = cv mit einem spater zu bestimmenden c = const. Dann gilt

I =

∫Γ1

−∂G∂y

dx+∂G

∂xdy = −c

∫Γ1

∂v

∂~nds > 0.

Nach dem Maximumprinzip harmonischer Funktionen nimmt, v sein Minimum und

Maximum auf dem Rand an, d.h. es gilt 0 < v(z) < 1, und die Ableitung in Richtung

der aueren Normalen muss negativ sein. Nun sei c so gewahlt, dass I = 2π gilt.

Weiterhin sei H(z), die zu G(z) konjugiert harmonische Funktion, d.h. G(z) + iH(z)

ist holomorph und G(z), H(z) sind harmonisch, welche gegeben ist durch

H(z) =

∫ z

p

−∂G∂y

dx+∂G

∂xdy,

wobei p ein beliebiger Punkt in Ω ist. Da G eine harmonische Funktion ist, ist das

Integral wegunabhangig. Unmittelbar folgt, dass

∂H

∂x= −∂G

∂y,

∂H

∂y=∂G

∂x,

was heit, dass G+ iH holomorph ist in Ω. Dann ist auch

Ψ(z) = eG(z)+iH(z)

holomorph. Nun gilt:

• Ψ(z) bildet Γ0 auf den Kreis |z| = ec ab und Γ1 auf den Einheitskreis |z| = 1.

• Es ist ∆Ψ(z) = 0 in Ω, da Ψ holomorph ist.

• Ψ ist ein Dieomorphismus zwischen Ω und dem Kreisring Kc = z ∈ C :

1 ≤ |z| ≤ ec.Deshalb kann das Problem fur Ω ersetzt werden durch das Losen der Laplace-Gleichung

fur den Kreisring Kc mit den Rannbedingungen u1(Ψ(z)) auf dem Einheitskreis und

verschwindender Neumannscher Randbedingung. (Man kann zeigen, dass die Neu-

mannsche Randbedingung unter der Abbildung Ψ invariant ist.)

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7. DAS CAUCHY-PROBLEM, ELEKTROKARDIOGRAPHIE 45

Bemerkung 11. Der Nachweis, dass diese Konstruktion die gewunschten

Eigenschaften hat, kann dadurch erbracht werden, dass man zeigt, dass jedes

2-fach zusammenhangende Gebiet (mit glattem Rand) in der komplexen Ebe-

ne uber eine konforme Abbildung auf einen Kreisring abgebildet werden kann.

(siehe z.B.: Y. Komatu, Existence Theorem of confomal mapping of doubly-

connected domains, Kodai Math. Sem. Rep., No.5-6, 1949 )

Eine weitergehende Aussage, die obige Konstruktion als Spezialfall ergibt, ist

Theorem 10, Seite 255, aus: L.V. Ahlfors, Complex Analysis, An Introduction

to the Theory of Analytic Functions of One Complex Variable, 3rd Edition, In-

ternational Series in Pure and Applied Mathematics, McGraw-Hill, Inc, 1979.

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KAPITEL 2

Identifikationsprobleme in Hilbert-Raumen

Bevor wir einige Begrie der Hilbert-Raum-Theorie wiederholen, wollen wir uns

mit dem Begri der verallgemeinerten Inversen beschaftigen. Verallgemeinerte Inver-

se werden benotigt, wenn ein Problem nicht (z.B. ein uberbestimmtes Problem mit

zu vielen Bedingungen) bzw. nicht eindeutig (z.B. ein unterbestimmtes Problem mit

nicht genugend Bedingungen) losbar ist.

Beispiel 3. \Minibeispiel\: Wir betrachten die lineare Abbildung T , die den

Hilbert-Raum R3 in den Hilbert-Raum R3 abbildet und durch die Matrix

T =

1 0 0

0 0 0

0 0 1

gegeben ist. Wie man leicht sieht ist R(T ) = R2, da die mittlere Komponente

immer auf 0 abgebildet wird. Auch ist die Matrix naturlich nicht invertierbar,

da die Determinante gleich Null ist. Genauso schnell sieht man ein, dass das

zugehorige Gleichungssystem fur jede rechte Seite ~y =

y1

0

y3

losbar (nicht ein-

deutig!!) ist und fur ~y =

y1

y2

y3

, y2 ∈ R\0, nicht losbar ist. Die verallgemei-

nerte Inverse kann nun als sogenannte Kleinste-Quadrate-Losung (least-square

solution) bestimmt werden.

~x ∈ R3 heit Kleinste-Quadrate-Losung von T~x = ~y, wenn

||T~x− ~y|| = inf||T~z − ~y||, ~z ∈ R3.

Fur unser Beispiel gilt

||Tz − y|| =((z1 − y1)

2 + y22 + (z3 − y3)

2)1/2 ≥ |y2|.

Folglich sind alle ~z =

y1

z2

y3

Kleinste-Quadrate-Losungen. Das sind naturlich

"zu viele\ Losungen. Deshalb verscharfen wir den Losungsbegri:

~x ∈ R3 heit Minimum-Norm-Losung (best-approximate solution) von T~x = ~y,

47

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48 2. IDENTIFIKATIONSPROBLEME IN HILBERT-RAUMEN

wenn

||~x|| = inf||~z∗|| : ||T~z∗ − ~y|| = inf~z∈R3

||T~z − ~y||, ~z∗ ∈ R3.

Die Minimum-Norm-Losung ~x in unserem Beispiel ist deshalb ~x =

y1

0

y3

die

Minimum-Norm-Losung.

Man beachte, dass auf diese Weise ein, im klassischen Sinne, nicht eindeutig

losbares Problem und unlosbare Probleme die gleiche Minimum-Norm-Losung

besitzen.

Bemerkung 12. Man uberlege sich, dass die Kleinste-Quadrate-Losung =

Minimum-Norm-Losung von1 0 0

0 1 0

0 0 1

0 1 0

1 0 0

x1

x2

x3

=

y1

y2

y3

y4

y5

gerade ~x =

y1+y5

2y2+y4

2

y3

ist.

Hinweis: Minimierung von f(x1, x2, x3) = ||Tx − y||2 = (x1 − y1)2 + (x2 − y2)

2 +

(x3 − y3)2 + (x2 − y4)

2 + (x1 − y5)2.

1. Einige Grundbegriffe der Hilbert-Raum-Theorie

Ein reeller Hilbert-Raum H ist ein normierter Raum mit einem Skalarprodukt

〈, 〉, das die folgenden Eigenschaften besitzt: Fur alle x, y, z ∈ H und λ ∈ R gilt:

(1) 〈x, x〉 ≥ 0 und 〈x, x〉 = 0 ⇐⇒ x = 0,(2) 〈x, y〉 = 〈y, x〉,(3) 〈λx+ y, z〉 = λ〈x, z〉+ 〈y, z〉.

Durch das Skalarprodukt wird eine Norm, die sogenannte induzierte Norm, bestimmt,

es ist ||x|| :=√〈x, x〉.

Es gilt

• die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung: |〈x, y〉| ≤ ||x|| ||y|| fur alle x, y ∈H,

• der Satz des Pythagoras: ||x+ y||2 = ||x||2 + ||y||2 fur alle x, y ∈ H.

Definition 8. Ein metrischer (oder auch topologischer) Raum heit sepa-

rabel, wenn er eine abzahlbare dichte Teilmenge besitzt.

Lemma 3. Fur einen normierten Raum X sind aquivalent:

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1. EINIGE GRUNDBEGRIFFE DER HILBERT-RAUM-THEORIE 49

(1) X ist separabel,

(2) Es gibt eine abzahlbare Menge A mit X = linA. (X ist gleich der Ab-

schlieung der linearen Hulle von A.)

Beweis: D. Werner, Funktionalanalysis, Springer-Verlag, 4. Au age 2005, Seiten 28

und 29.

Wir werden nur separable Hilbert-Raume betrachten. Separable Hilbert-Raume be-

sitzen u.a. endliche oder abzahlbare Orthonormalsysteme, die eine Anwendung der

Theorie der Fourierreihen und damit eine explizite Entwicklung von Elementen des

Hilbert-Raumes sowie von Operatorbildern in eine Reihe ermoglichen.

Wir bezeichnen mit

T⊥ := x ∈ H : 〈x, z〉 = 0 fur alle z ∈ T

das orthogonale Komplement T⊥ einer Teilmenge T von H. Das orthogonale Kom-

plement H⊥1 eines Teilraums H1 von H (d.h. die Teilmenge H1 ist ein Vektorraum)

ist ein abgeschlossener Teilraum von H. Ist H1 (also der Teilraum selbst) ein abge-

schlossener Teilraum von H, so kann H als orthogonale Summe

H = H1 ⊕H⊥1

dargestellt werden, d.h. fur jedes Element x ∈ H gibt es eindeutig bestimmte Ele-

mente x1 ∈ H1 und x2 ∈ H⊥1 mit x = x1 + x2.

Eine Folge en ⊂ H heit Orthonormalsystem, wenn die Orthonormalitatsrela-

tionen

〈em, en〉 =

1 fur m = n,

0 fur m 6= n,

gelten. Das Orthonormalsystem heit vollstandig, wenn sich jedes Element x ∈ H

in eine konvergente Fourier-Reihe

x =n∑

n=1

〈x, en〉 en,

entwickeln lasst, wobei fur alle x ∈ H die Parsevalsche Gleichung∞∑

n=1

〈x, en〉2 = ||x||2

erfullt ist. Ist das Orthonormalsystem nicht vollstandig, so gilt die Besselsche Un-

gleichung:∞∑

n=1

〈x, en〉2 ≤ ||x||2

Die Darstellung stetiger linearer Funktionale ergibt sich aus dem Satz von Riesz:

Zu jedem stetigen linearen Funktional f ∈ L(H, R uber dem Hilbert-Raum H exi-

stiert ein eindeutig bestimmtes Element g ∈ H, so dass

f(x) = 〈x, g〉 fur alle x ∈ H

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50 2. IDENTIFIKATIONSPROBLEME IN HILBERT-RAUMEN

gilt. Unter allen Konstanten C mit

|f(x)| ≤ C ||x|| fur alle x ∈ H

ist C = ||g|| der kleinstmogliche Wert.

1.1. Eigenschaften beschrankter linearer Operatoren in Hilbert-Raum-

en. Es seien X und Y separable reelle Hilbert-Raume und a ∈ L(X, Y ) ein stetiger

linearer Operator. Uber die Beziehung

〈Au, v〉Y = 〈u, A∗v〉X fur alle u ∈ X und v ∈ Y

lasst sich in eindeutiger Weise der zu A adjungierte Operator A∗ ∈ L(Y, X) de-

nieren.

Bemerkung 13. Der adjungierte Operator ist i.Allg. fur stetige lineare Abbil-

dungen in Banach-Raumen erklart. Es gilt: Sei T : X → Y ein stetiger linearer

Operator, der den Banach-Raum X in den Banch-Raum Y abbildet. Dann seiX ′

der Dualraum zu X und Y ′ der Dualraum zu Y. Fur jedes stetige lineare Funk-

tional y′ ∈ Y ′ ist y′(Tx) wohldeniert. Nun ist der zu T adjungierte Operator

T ′ deniert durch

(T ′y′)(x) := y′(Tx).

Dieser Operator ist linear und beschrankt, da

(T ′(c1y′1+c2y

′2)(x) = (c1y

′+c2y′)(Tx) = c1y

′(Tx)+c2y′2(Tx) = c1(T

′y′1)(x)+c2(T′y′2)(x)

und

|T ′y′(x)| = |y′(Tx)| ≤ ||y′||Y ′ · ||T ||L(X, Y ) · ||x||X , ⇐⇒|T ′y′(x)|||x||X

≤ ||y′||Y ′ · ||T ||L(X, Y ),

also ||T ′y′||X′ ≤ ||y′||Y ′ · ||T ||L(X, Y ) und damit ist

||T ′||L(Y ′, X′) ≤ ||T ||L(X, y).

(Genauer: es gilt die Gleichheit.) Sind nun X und Y sogar Hilbert-Raume und

JX : X → X ′ sowie JY : Y → Y ′ die Isometrien aus dem Rieszschen Darstel-

lungssatz, so sei fur T ∈ L(X, Y )

T ∗ = J−1X T ′JY

die Hilbert-Raum-Adjungierte zu T. Wie man leicht sieht gilt

Y JY→ Y ′ T ′→ X ′ J−1

X→ X

und

〈Tx, y〉Y = y′(Tx) = (JY y)(Tx) = (T ′JY y)(x) = 〈x, J−1X T ′JY y〉X = 〈x, T ∗y〉.

T ∗ ist wiederum ein linearer beschrankter Operator Y → X.

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1. EINIGE GRUNDBEGRIFFE DER HILBERT-RAUM-THEORIE 51

Zwischen den Nullraumen (Kernen) N(A) und N(A∗) sowie den Bildraumen R(A)

und R(A∗) bestehen die Beziehungen:

X = N(A)⊕R(A∗) und Y = R(A)⊕N(A∗).

Definition 9. Seien X, Y Banach-Raume. T ∈ L(X, Y ) heit Fredholm-

Operator, wenn N(T ) endlich dimensional und die Kodimension von R(T ), also

codimYR(T ), ebenfalls endlich ist. Die Ganze Zahl

indT = dimN(T )− codimR(T )

heit Index des Fredholm-Operators.

Bemerkung 14. Ist T ∈ L(X, Y ) ein Fredholm-Operator, so ist der adjun-

gierte Operator T ′ ∈ L(Y ′, X ′) ebenfalls ein Fredholm-Operator und es gilt

dimN(T ′) = dimR(T ), codimR(T ′) = dimN(T ) ⇒ indT = −indT ′.

Satz 17. Riesz-Schauder. Sei X ein unendlich dimensionaler Banach-

Raum und T ∈ K(X) ein vollstetiger (kompakter) Operator. Dann gilt

(1) 0 ist ein Spektralwert von T.

(2) Tλ = T −λI ist fur λ 6= 0 ein Fredholm-Operator vom Index Null,

insbesondere ist jeder Spektralwert Eigenwert.

(3) Es gibt hochstens abzahlbar viele Eigenwerte, die keinen

Haufungspunkt haben auer eventuell Null.

Als Folgerung ergibt sich die

Fredholmsche Alternative: Es sei X ein Banach-Raum und T ∈ K(X)

sowie λ 6= 0. Dann hat entweder die homogene Gleichung

λx− Tx = 0

nur die triviale Losung, und in diesem Fall ist die inhomogene Gleichung

λx− Tx = y

fur jedes y ∈ X eindeutig losbar, oder es existieren n = dimN(λI − T ) <

∞ linear unabhangige Losungen der homogenen Gleichung, und auch die

adjungierte Gleichung

λx′ − T ′x′ = 0

hat genau n linear unabhangige Losungen; in diesem Fall ist die inhomogene

Gleichung genau dann losbar, wenn y ∈ (N(λI − T ′))⊥ ist.

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52 2. IDENTIFIKATIONSPROBLEME IN HILBERT-RAUMEN

Definition 10. Sei X ein Hilbert-Raum. Dann heit der Operator T ∈ L(X)

normal, wenn

T ∗T − TT ∗ = 0

gilt.

Insbesondere sind selbstadjungierte Operatoren normal.

Satz 18. Spektralsatz fur vollstetige (kompakte) normale Operato-

ren. Ist X ein (komplexer) Hilbert-Raum und T ∈ K(X) normal, T 6= 0,

so gilt:

(1) Es gibt ein Orthonormalsystem ekk∈N mit N ⊂ N und 0 6= λk ∈C, so dass

Tek = λkek fur k ∈ N, σ(T )\0 = λk; k ∈ N,

d.h. die Zahlen λk sind die von Null verschiedenen Eigenwer-

te von T mit Eigenvektoren ek. (Beachte: Werte λk konnen fur

verschiedene k gleich sein!) Falls N unendlich ist, konvergiert

λk → 0 fur k →∞.

(2) Die Ordnung der Eigenwerte nλk= 1 fur alle k.

(3) X = N(T )⊕ span ek, k ∈ N.(4) Tx =

∑k∈N

λk〈x, ek〉Xek fur alle x ∈ X.

(5) Ist T selbstadjungiert, d.h. T ∗ = T und positiv semidenit, d.h.

〈Tx, x〉X ≥ 0 fur alle x ∈ X, so gilt σp(T ) ⊂ [0, ||T ||] und ||T || istEigenwert.

Bemerkung 15. 1. (5) ist eigentlich nur eine Folgerung, denn es gilt

λ||x||2X = 〈λx, x〉X = 〈Tx, x〉X = 〈x, T ∗x〉X = 〈x, Tx〉X = 〈x, λx〉X = λ||x||2x,

also λ = λ ≥ 0.

2. Insbesondere sind fur einen beliebigen Operator A ∈ (X, Y ) die Operatoren

A∗A ∈ L(X) und AA∗ ∈ L(Y ) selbstadjungiert bzw. normal.

Beispiel 4. Fredholmsche Integralgleichung 2. Art in L2[0, 1],

−λf(s) +

∫ 1

0

k(s, t) f(t) dt = g(s),

mit λ 6= 0, kann man schreiben als

(K − λI)f = g,

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1. EINIGE GRUNDBEGRIFFE DER HILBERT-RAUM-THEORIE 53

wobei K der von k(. .) erzeugte Integraloperator ist. Ist k symmetrisch, d.h.

k(s, t) = k(t, s), und quadratisch integrierbar, dann ist K ein vollstetiger (kom-

pakter) und selbstadjungierter Operator.

Falls λ kein Eigenwert von K ist, dann ist (K − λI)−1 ein beschrankter linearer

Operator und die Fredholmsche Integralgleichung 2. Art hat fur jedes g ∈ L2[0, 1]

eine eindeutig bestimmte Losung

f = (K − λI)−1g,

in L2[0, 1], die stetig von g abhangt. D.h. die Fredholmsche Integralgleichung 2.

Art ist ein korrekt gestelltes Problem, wenn λ kein Eigenwert ist, d.h. wenn die

homogene Gleichung keine nichttrivialen Losungen besitzt. Ist dagegen λ ein

Eigenwert, so ist noch nichts verloren, denn dann gibt es eine Losung genau

dann, wenn

g ∈ R(K − λI) = N(K − λI)⊥,

d.h. wenn g orthogonal zu allen Eigenvektoren zum Eigenwert λ ist. In diesem

Fall ist jede Funktion der Gestalt

f =∑i, i6=j

〈g, vi〉λi − λ

vi −1

λPg + ψ,

mit λ = λj (der Term fur λi = λ steht nicht in der Summe), wobei ψ eine beliebe

Funktion des Eigenraums N(K − λI) und Pg die orthogonale Projektion von g

auf N(K) ist.

Was passiert im Fall der Fredholmschen Integralgleichung 1. Art, die ein stark

inkorrektes Problem darstellt. Wir betrachten auch dieses Problem als Operatorglei-

chung

Kf = g

mit einem linearen vollstetigen (kompakten) OperatorK : H1 → H2 aus dem Hilbert-

RaumH1 in den Hilbert-RaumH2. (K wird nicht als selbstadjungiert vorausgesetzt.)

Dann sind, wie man leicht leicht nachvollzieht, sind K∗K und KK∗ positiv semide-

nit in H1 bzw. H2 und besitzen die gleichen Eigenwerte λ1 ≥ λ2 ≥ . . . mit den

dazugehorigen orthonormalen Eigenvektoren v1, v2, . . . . Dann ist die Menge der Ei-

genvektoren ein vollstandiges Orthonormalsystem in R(K∗K) = N(K)⊥. Es sei nun

µj =√λj und uj := µ−1

j Kvj

dann gilt

K∗uj = µjvj und KvJ = µjuj

und auerdem gilt

KK∗uj = µjKvj = µ2juj = λjuj

und wie man leicht nachpruft bilden die orthonormalen Eigenvektoren uj von KK∗

eine vollstandiges Orthonormalsystem fur R(KK∗) = N(K∗)⊥.

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54 2. IDENTIFIKATIONSPROBLEME IN HILBERT-RAUMEN

Definition 11. Das System vj, uj ;µj heit singulares System des

Operators K ∈ K(H1, H2). und die Werte µj heien Singularwerte von

K. Jedes f ∈ H1 hat die Darstellung

f = Pf +∞∑

j=1

〈f, vj〉vj,

wobei P die orthogonale Projektion von H1 auf N(K) ist. Folglich ist

Kf =∞∑

j=1

µj〈f, vj〉uj.

Diese Darstellung des Operators K heit Singularwertzerlegung von

K.

Hat nun die Fredholmsche Integralgleichung 1. Ordnung Kf = g eine Losung f, dann

ist g ∈ R(K) und

1

λj

|〈g, uj〉|2 =1

λj

|〈Kf, 1

µj

Kvj〉|2 = |〈f, vj〉|2.

Mit Hilfe der Besselschen Ungleichung folgt hieraus

∞∑j=1

|〈g, uj〉|2

µ2j

=∞∑

j=1

1

λj

|〈g, uj〉|2 =∞∑

j=1

|〈f, vj〉|2 ≤ ||f ||2 <∞.

Ist umgekehrt g ∈ R(K) = N(K∗)⊥ und gilt

∞∑j=1

|〈g, uj〉|2

µ2j

=∞∑

j=1

1

λj

|〈g, uj〉|2 <∞,

dann ist jede Funktion der Form

f =∞∑

j=1

〈g, uj〉µj

vj + ϕ

mit ϕ ∈ N(K) eine Losung von Kf = g. Damit haben wir die

Satz 19. Picard-Bedinung. Sei K : H1 → H2 ein vollstetiger (kom-

pakter) Operator mit dem singularen System vj, uj;µj. Ein Element

g ∈ R(K) liegt genau dann in R(K), wenn gilt∞∑

j=1

|〈g, uj〉|2

µ2j

<∞.

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1. EINIGE GRUNDBEGRIFFE DER HILBERT-RAUM-THEORIE 55

1.2. Verallgemeinerte oder Moore-Penrose-Inverse. Zu gegebenem g ∈ H2

suchen wir eine Losung der Gleichung

Af = g, A ∈ L(H1, H2).

Als erstes suchen wir alle die Elemente f ∈ H1 fur die gilt

||Af − g||H2 ≤ ||Aϕ− g||H2 fur alle ϕ ∈ H1.

Satz 20. Sei g ∈ H2 und A ∈ L(H1, H2). Dann sind folgende Aussagen aqui-

valent:

(1) f ∈ H1 erfullt Af = PR(A)g.

(2) f ∈ H1 minimiert das Residuum: ||Af − g||H2 ≤ ||Aϕ − g||H2 fur alle

ϕ ∈ H1.

(3) f ∈ H1 lost die Normalgleichung

A∗Af = A∗g.

Bemerkung 16. Die Normalgleichung verdankt ihren Namen der Tatsache,

dass das Residuum Af − g senkrecht (normal) auf dem Bild von A steht:

A∗Af = A∗g ⇐⇒ A∗(Af − g) = 0 ⇐⇒ Af − g ∈ N(A∗) = R(A)⊥. (11)

Der Beweis des Satzes ist leicht nachzuvollziehen.

Wenn wir also Losungen der Gleichung Af = g nden wollen, so mussen wir uns mit

der Normalgleichung naher befassen. Es gilt

Lemma 4. Sei g ∈ H2. Dann gelten folgende Aussagen:

(1) Die Menge der Losungen der Normalgleichung L(g) = ϕ ∈ H1 : A∗Aϕ =

A∗g ist genau dann nicht leer, wenn g ∈ R(A)⊕R(A)⊥ liegt.

(2) Die Menge L(g) ist abgeschlossen und konvex.

Bemerkung 17. Im Allg. ist R(A) ⊕ R(A)⊥ 6= H2. Sollte g ein Randelement

von R(A) sein, dann hat die Normalgleichung keine Losung!

Beweis: zu (1) des Lemmas: Sei ϕ ∈ L(g), dann folgt aus g = Aϕ + (g − Aϕ) ∈R(A) ⊕ R(A)⊥, wegen (11). Sei nun g ∈ R(A) ⊕ R(A)⊥, dann existieren ein ϕ ∈ H1

und ein g ∈ R(A)⊥ mit g = Aϕ + g. Wendet man nun auf diese Gleichung den

Projektor PR(A) an, dann erhalt man PR(A)g = Aϕ, dann gilt aber auch A∗Aϕ = A∗g,

d.h. ϕ ∈ L(g). Insbesondere ist L(g) nicht leer.

zu (2): Abgeschlossenheit von L(g). Es sei ϕnn∈N ⊂ L(g) eine Folge, die gegen

ϕ ∈ H1 konvergiert. Wegen

A∗g = limn→∞

A∗Aϕn = A∗Aϕ

gilt ϕ ∈ L(g) und somit ist L(g) abgeschlossen.

Konvexitat: Sei λ ∈ [0, 1] und ϕ, ψ ∈ L(g). Dann

A∗A(λϕ+ (1− λ)ψ) = λA∗Aϕ+ (1− λ)A∗Aψ = λA∗g + (1− λ)A∗g = A∗g,

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56 2. IDENTIFIKATIONSPROBLEME IN HILBERT-RAUMEN

d.h. mit ϕ und ψ gehort auch die Verbindungsstrecke λϕ+ (1− λ)ψ zu L(g). #

Lemma 5. Fur g ∈ R(A)⊕ R(A)⊥ enthalt L(g) ein eindeutig bestimmtes Ele-

ment f+ mit minimaler Norm:

||f+||H1 < ||ϕ||H1 fur alle ϕ ∈ L(g)\f+.

Der Beweis folgt aus folgendem Satz, da L(g) eine abgeschlossene und konvexe

Teilmenge des Hilbert-Raums H1 ist.

Satz 21. Projektionssatz. Sei H ein Hilbert-Raum und L ⊂ H sei abge-

schlossen und konvex, und sei x0 ∈ H. Dann existiert genau ein x ∈ L mit

||x− x0||H = infy∈L

||y − x0||H .

Beweis: siehe Werner, Funktionalanlysis.

Definition 12. Die Abbildung A+ : D(A+) ⊂ H2 → H1 mit dem Deni-

tionsbereich

D(A+) = R(A)⊕R(A)⊥,

die jedem Element g ∈ D(A+) das eindeutig bestimmte Element f+ mi-

nimaler Norm aus L(g) zuordnet, heit verallgemeinerte Inverse oder

Moore-Penrose-Inverse von A ∈ L(X, Y ).

Das Element f+ = A+g heit Minimum-Norm-Losung von Af = g.

Wie bestimmt man die Moore-Penrose-Inverse?

Satz 22. Sei g ∈ D(A+), dann ist f+ = A+g die eindeutig bestimmte

Losung der Normalgleichung A∗Af = A∗g in N(A)⊥.

Beweisidee: A∗Aϕ = 0 ⇐⇒ Aϕ = 0, da

〈A∗Aϕ, ϕ〉H1 = 0 ⇐⇒ 〈Aϕ, Aϕ〉H2 = 0 ⇐⇒ Aϕ = 0.

Folglich unterscheiden sich zwei Losungen der Normalgleichung nur um Elemente

aus N(A), d.h. jede Losung hat die Gestalt f = ϕ + f0 mit ϕ ∈ N(A) beliebig und

f0 ∈ N(A)⊥ eindeutig bestimmt. Dann gilt fur die Norm

inff∈L(g)

||f ||H1 = inff∈L(g)

√||ϕ+ f0||2H1

= inff∈L(g)

√||ϕ||2H1

+ ||f0||2H1= ||f0||H1 .

Bemerkung 18. In der Menge L(g) der Losungen der Normalgleichung haben

wir die Losung mit minimaler Norm ausgezeichnet. Das war willkurlich. Mitun-

ter ist es durchaus sinnvoll, eine Losung zu suchen, die den Abstand zu einem

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1. EINIGE GRUNDBEGRIFFE DER HILBERT-RAUM-THEORIE 57

bestimmten Element f∗ ∈ H1 minimiert. Es gibt nur eine derartige Losung, sie

wird f∗-Minimum-Norm-Losung genannt. Sie sei ebenfalls mit f+ bezeichnet,

dann gilt

f+ = A+g + PN(A)f∗.

Satz 23. Die verallgemeinerte Inverse A+ von A ∈ L(H1, H2) hat die

folgenden Eigenschaften:

(1) A+ ist genau dann auf ganz H2 deniert, wenn R(A) = R(A) gilt,

also R(A) abgeschlossen ist,

(2) R(A+) = N(A)⊥, d.h. der Bildraum der verallgemeinerten Inver-

sen ist das orthogonale Komplement vom Nullraum von A,

(3) A+ ist linear,

(4) A+ ist genau dann stetig, wenn das Bild von A abgeschlossen

ist, d.h. R(A) = R(A).

Beweis: (1) ist oensichtlich.

(2) Aus Satz 22 folgt R(A+) ⊂ N(A)⊥. Umkehrung: Sei ϕ ∈ N(A)⊥. Fur g := Aϕ ist

PR(A)g = Aϕ und nach Satz 20 folgt ϕ ∈ L(g). Sei nun ψ ∈ L(g) beliebig, dann ist

A(ϕ− ψ) = 0 bzw. ϕ− ψ ∈ N(A). Wegen ϕ ∈ N(A)⊥ erhalt man mittels des Satzes

des Pythagoras

||ψ||2H1= ||ϕ||2H1

+ ||ψ − ϕ||2H1≥ ||ϕ||2H1

.

Also ist ϕ = A+g das Element mit minimaler Norm und N(A)⊥ ⊂ R(A+).

(3) Seien ϕ, ψ ∈ D(A+). Beiden Gleichungen AA+ϕ = PR(A)ϕ, da A+ϕ die verallge-

meinerte Losung von Af = ϕ ist und damit die Normalgleichung lost (siehe Satz 20),

und AA+ψ = PR(A)ψ implizieren

A(A+ϕ+ A+ψ) = PR(A)(ϕ+ ψ) = AA+(ϕ+ ψ).

Analog A+(αϕ) = αA+ϕ fur α ∈ R bzw. C.(4) Sei A+ stetig. Da D(A+) dicht in H2 ist, konnen wir A+ stetig fortsetzen durch

ein B ∈ L(H2, H1), dass ABϕ = PR(A)ϕ fur alle ϕ ∈ H2 erfullt. Dann ist aber

R(A) = R(PR(A)) ⊆ R(A).

Sei R(A) = R(A). Wir betrachten die lineare Abbildung A : N(A)⊥ → R(A) de-

niert durch ϕ 7→ Aϕ. Dann ist A bijektiv und beschrankt. Nach dem Satz uber die

stetige Inverse existiert A−1 und ist ebenfalls beschrankt. Somit durfen wir wie folgt

abschatzen:

||A+ϕ||H1 = ||A−1(AA∗ϕ)||H1 ≤ ||A−1||L(H2, H1)||AA+ϕ||H2 = ||A−1||L(H2, H1)||AA+ϕ||H2

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58 2. IDENTIFIKATIONSPROBLEME IN HILBERT-RAUMEN

fur alle ϕ ∈ D(A+) = H2. Schlielich folgt

||ϕ||H2 ≥ ||PR(A)ϕ||H2 = ||AA+ϕ||H2 ≥ ||A−1||−1L(H2, H1)||A

+ϕ||H1

fur alle ϕ ∈ H2. Insgesamt erhalten wir damit ||A+||L(H2, H1) ≤ ||A−1||L(H2, H1) und

folglich A+ ∈ L(H2, H1). #

Satz 24. Die verallgemeinerte Inverse A+ von A ∈ L(H1, H2) ist eindeutig

durch die vier Moore-Penrose-Axiome charakterisiert:

AA+A = A, A+AA+ = A+, A+A = PR(A∗), AA+ = PR(A).

ohne Beweis.

Durch den eingefuhrten verallgemeinerten Losungsbegri einer linearen Operator-

gleichung, ist also nur noch der Fall von Interesse, wenn A+ unstetig ist.

Definition 13. Die lineare Operatorgleichung Ax = y in den Hilbert-

Raumen H1 und H2 heit korrekt (gestellt) nach Nashed, wenn der

Bildraum des Operator A abgeschlossen ist.

Ist der Bildraum nicht abgeschlossen, so heit die Operatorgleichung

inkorrekt vom Typ I, falls A kein vollstetiger (kompakter) Operator

ist, jedoch inkorrekt vom Typ II, wenn A ein vollstetiger (kompakter)

Operator ist.

Satz 25. Verallgemeinerte Inverse eines vollstetigen (kompakten)

Operators. Sei K ∈ K(H1, H2) mit singularem System vj, uj; µj. Dannist

K+g =∞∑

j=1

1

µj

〈g, uj〉H2vj fur g ∈ D(K+).

Hat K ein endlich dimensionales Bild, dann ist K+ stetig.

Beweis: Fur g ∈ R(K)⊕R(K)⊥ existieren f ∈ H1 und ϕ ∈ R(K)⊥ mit g = Kf +ϕ.

Wegen 〈g, uj〉H2 = 〈Kf, uj〉H2 = µj〈f, vj〉H1 konvergiert die Reihe

f :=∞∑

j=1

1

µj

〈g, uj〉H2vj =∞∑

j=1

〈f, vj〉H1vj.

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1. EINIGE GRUNDBEGRIFFE DER HILBERT-RAUM-THEORIE 59

Das Element f liegt in N(K)⊥ (da Kvj = µjuj) und erfullt die Normalgleichung bzgl.

g :

K∗Kf =∞∑

j=1

1

µj

〈g, uj〉H2µ2jvj =

∞∑j=1

µj〈g, uj〉H2vj = K∗g.

Die Behauptung folgt nun aus Satz 22. #

Aus dieser Darstellung der verallgemeinerten Inversen K+ eines vollstetigen (kom-

pakten) Operators ersieht man, dass K+ unbeschrankt ist, wenn R(K) unendlich

dimensional ist. Dazu betrachten wir eine Storung von g der Form εun und erhalten

als neue rechte Seite

gε = g + εun

fur die gilt ||gε − g||H2 = ε. Dann erhalt man

||K+g −K+gε||H1 =ε

µn

→∞ fur n→∞.

Beispiel 5. Kompakter Integraloperator K : L2(0, 1) → L2(0, 1) mit

Kf(x) =

∫ x

0

f(t)dt =

∫ 1

0

k(x, t) f(t) dt mit k(x, t) =

1, 0 ≤ t ≤ x ≤ 1,

0, 0 ≤ x < t ≤ 1.

Dann ist der adjungierte Operator

K∗g(x) =

∫ 1

x

g(t) dt

und wir erhalten

K∗Kf(x) =

∫ 1

x

∫ t

0

f(τ) dτ dt.

Wir betrachten den Ansatz:

K∗Kf(x) =

∫ 1

x

∫ t

0

f(τ) dτ dt = λf(x) fur ein λ > 0.

Hieraus folgt zunachst f(1) = 0. Dierentation der Gleichung liefert

−∫ x

0

f(τ) dτ = λf ′(x)

und damit f ′(0) = 0. Nochmaliges Dierenzieren fuhrt auf −f(x) = λf ′′(x) und

wir haben ein Randwertproblem zur Bestimmung von λ und f gewonnen:

λf ′′(x) + f(x) = 0 fur x ∈ (0, 1), f ′(0) = 0, f(1) = 0.

Die allgemeine Losung dieser linearen Dierentialgleichung 2. Ordnung ist mit

dem charakteristischen Polynom α2 = − 1λ

f(x) = c1 cos

(1√λx

)+ c2 sin

(1√λx

).

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60 2. IDENTIFIKATIONSPROBLEME IN HILBERT-RAUMEN

Aus den Randbedinungen erhalt man

f ′(0) = c21√λ

= 0,

also c2 = 0 und die erste Bedinungung wird damit zu

0 = f(1) = c1 cos1√λ.

Fur c1 gibt es nur die triviale Losung, also muss cos 1√λ

= 0 sein, d.h.

1√λj

= (2j − 1)π

2= (j − 1

2)π, j ∈ N.

Die Konstante c1 bestimmen wir so, dass∣∣∣∣∣∣c1 cos

(1√λjx)∣∣∣∣∣∣ = 1, d.h. c1 =

√2.

Weiterhin erhalten wir die Eigenfunktionen vj =√

2 cos((j − 1

2)πx). Aus den

Singularwerten und den vj erhalten die uj via

uj(x) =1

µj

Kvj(x) = (j − 1

2)π

∫ x

0

√2 cos

((j − 1

2)πt

)dt =

√2 sin

(j − 1

2

)πx.

Die ujj∈N bilden eine Orthonormalbasis in L2(0, 1), also gilt R(K) = L2(0, 1).

Wir formulieren die Picard-Bedingung: Eine Funktion g ∈ L2(0, 1) ist in R(K)

dann und nur dann, wenn∞∑

j=1

(j − 1

2)2π2

∣∣∣∣∫ 1

0

g(t)vj(t) dt

∣∣∣∣2 =∞∑

j=1

(j − 1

2)22π2

∣∣∣∣∫ 1

0

g(t) sin((j − 1

2)πt) dt

∣∣∣∣2 <∞.

Bemerkung 19. Im Beispiel sieht man, dass die Frequenz der singularen

Funktionen mit kleiner werdenden Singularwerten zunimmt (sie oszillieren starker).

Das ist typisch fur schlecht gestellte Probleme. Im Rekonstruktionsprozess mussen

daher die Anteile der Losung zu kleinen Singularwerten gedampft werden, da

sie besonders mit hochfrequentem Rauschen kontaminiert sind.

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KAPITEL 3

Regularisierungsmethoden

1. Heuristischer Zugang

Wir hatten bereits festgestellt, das eine Fredholmsche Integralgleichung 2. Art

ein korrekt gestelltes Problem darstellt, die Fredholmsche Integralgleichung 1. Art

dagegen inkorrekt gestellt ist. Wenn wir also an Stelle der Fredholmschen Integral-

geichung 1. Art eine geeignete Fredholmsche Integralgleichung 2. Art betrachten und

der Fehler dabei"klein\ bleibt, so hatten wir einen Weg gefunden aus inkorrekt ge-

stellte Probleme auf korrekt gestellte zuruckzufuhren.

Es sei K ein kompakter Operator, der zwischen den unendlich dimensionalen, sepa-

rablen Hilbert-Raum H1 und H2 wirkt. Wir betrachten die Operatorgleichung

Kx = y.

Im Allgemeinen hat diese Gleichung wie wir gesehen hatten, keine eindeutig bestimm-

te Losung, deshalb suchen wir die verallgemeinerte Inverse bzw. die verallgemeinerte

Losung. Wir setzen dabei voraus, dass y ∈ D(K+) und wir wollen K+y approximie-

ren. Dabei soll die Approximation stetig von y abhangen.

Ziel der Regularisierung ist es, die Losung eines inkorrekt gestelltes Problem

durch Losungen korrekt gestellter Probleme zu approximieren.

Nun erfullt die verallgemeinerte Losung x = K+y die Normalgleichung, d.h.

K∗Kx = K∗y,

wobei K∗ der zu K adjungierte Operator ist. Da K∗K ein selbstadjungiert, positiv-

semideniter Operator ist, sind alle seine Eigenwerte nichtnegativ und der einzige

Haufungspunkt ist die Null. Ersetzen wir nun K∗K durch den Operator K∗K + αI

mit α > 0, dann besitzt dieser Operator positive Eigenwerte λj +α. Auerdem besitzt

der Operator K∗K+αI eine beschrankte Inverse, deshalb ist das Losen der Gleichung

(K∗K + αI)xα = K∗y

ein korrekt gestelltes Problem. Die eindeutig bestimmte Losung

xα = (K∗K + αI)−1K∗y (12)

heit Tikhonov Approximation zu K+y.

61

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62 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Wir zeigen nun, dass xα → K+y fur α→ 0. Dazu verwenden wir das singulare System

vj, uj, µj furK. Dann ist vj ein vollstandiges Orthonormalsystem furN(K)⊥ und

uj ein vollstandiges Orthonormalsystem fur R(K), weiterhin gilt µj =√λj → 0,

und

Kvj = µjuj, K∗uj = µjvj.

Wegen (12) ist nun αxα = K∗y −K∗Kxα ∈ R(K∗) ⊆ N(K)⊥ und kann deshalb als

Reihe

xα =∞∑

j=1

〈xα, vj〉vj

dargestellt werden, analog ist

K∗y =∞∑

j=1

〈K∗y, vj〉vj =∞∑

j=1

〈y, Kvj〉vj =∞∑

j=1

µj〈y, uj〉vj.

Setzen wir dies in (12) ein, so folgt

∞∑j=1

(µ2j + α)〈xα, vj〉vj =

∞∑j=1

µj〈y, uj〉vj.

Deshalb gilt

〈xα, vj〉 =µj

µ2j + α

〈y, vj〉

und damit

xα =∞∑

j=1

µj

µ2j + α

〈y, uj〉vj.

Nach Satz 25 ist die verallgemeinerte Losung der Operatorgleichung gerade

K+y =∞∑

j=1

〈y, uj〉vj.

Deshalb ist

||xα −K+y||2H1=

∞∑j=1

µj(µ2j + α)

)2

|〈y, uj〉|2.

Wegen(α

µj(µ2j + α)

)2

|〈y, uj〉|2 ≤1

µ2j

|〈y, uj〉|2 und∞∑

j=1

1

µ2j

|〈y, uj〉|2 = ||K+y||2H1<∞,

kann man Integration und Grenzwertbildung α→ 0 vertauschen und wir erhalten:

limα→0

||xα −K+y||2H1= 0.

Da fur festes α > 0, der Operator (K∗K + αI)−1K∗ beschrankt ist, hangt xα stetig

von y ab fur jedes feste α > 0.

Im Allgemeinen ist die rechte Seite y aber nicht genau bekannt, sondern nur eine

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1. HEURISTISCHER ZUGANG 63

"gute\ Naherung fur y, deshalb nehmen wir an, dass die Schatzung yδ fur y der

Abschatzung

||y − yδ||H2 ≤ δ mit bekannten Messfehler δ.

Aus den bisherigen Ergebnissen folgt, dass die Approximationen xα gegen K+y kon-

vergieren, wenn y der tatsachliche Wert ist. Klappt das auch noch mit yδ, d.h. ver-

wenden wir anstelle von y die gestorten Daten yδ wie gut approximiert dann xδα die

Werte xα? Dazu betrachten wir:

xδα − xα = (K∗K + αI)−1K∗(yδ − y).

Als Hilfsaussage benutzen wir, dass

Lemma 6. Es ist

(K∗K + αI)−1K∗ = K∗(KK∗ + αI)−1.

Beweis: Wir betrachten die Dierenz der Operatoren:((K∗K + αI)−1K∗ −K∗(KK∗ + αI)−1

)Dann ist(

(K∗K + αI)−1(K∗K + αI)) (

(K∗K + αI)−1K∗ −K∗(KK∗ + αI)−1)

= (K∗K + αI)−1(K∗ − (K∗K + αI)K∗(KK∗ + αI)−1

)= (K∗K + αI)−1

(K∗ −K∗(KK∗ + αI)(KK∗ + αI)−1

)= O,

d.h. (K∗K + αI)−1K∗ = K∗(KK∗ + αI)−1. #

Wir konnen nun berechnen:

||xδα − xα||2 = 〈K∗(KK∗ + αI)−1(yδ − y), K∗(KK∗ + αI)−1(yδ − y)〉

= 〈(KK∗ + αI)−1(yδ − y), KK∗(KK∗ + αI)−1(yδ − y)〉

Aus dem Spektralsatz folgt

||KK∗(KK∗ + αI)−1|| ≤ 1 und ||(K∗K + αI)−1|| ≤ 1

α

und damit konnen wir abschatzen:

||xδα − xα|| ≤

δ√α.

Hieraus ersieht man das Grundproblem der Regularisierung inkorrekt gestellter Pro-

bleme. Fur festes δ wachst die Abschatzung fur α → 0 gegen unendlich, was die

Instabilitat das Ausgangsproblems wiederspiegelt. Die Aufgabe besteht also darin,

einen geeigneten Regularisirierungparameter α in Abhangigkeit vom Fehlerniveau δ

zu wahlen. Man sagt deshalb

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64 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Bemerkung 20. Die Wahl α(δ) erzeugt einen regularen Algorithmus bzw.

die Regularisierung konvergiert fur das inkorrekt gestellte Problem, wenn

α(δ) → 0 und xδα(δ) → K+y fur δ → 0

gilt.

Fur die Tikhonov-Regularisierung erhalten wir,

||xδα(δ) −K+y|| ≤ ||xδ

α(δ) − xα(δ)||+ ||xα(δ) −K+y|| ≤ δ√α(δ)

+ ||xδα(δ) − xα(δ)||

und da wir bereits gezeigt haben, dass xα(δ) → K+y fur α(δ) → 0, ist die Bedingung

δ√α(δ)

→ 0 fur δ → 0,

hinreichend um die Konvergenz der Tikhonov-Regularisierung zu sichern.

Beispiel 6. Wie sieht die Regularisierung aus?

2. Ein allgemeines Regularisierungsschema

Definition 14. Eine Familie Rαα>0 von beschrankten linearen Opera-

toren Rα ∈ L(H2, H1) heit lineare Regularisierung fur den Operator

A+, wenn

limα→0+

Rαy = A+y fur alle y ∈ R(A)

gilt. Der Operator Rα heit linearer Regularisierungsoperator fur A+ mit

dem Regularisierungsparameter α > 0.

Die Operatoren Rα approximieren fur α→ 0+ punktweise die Moore-Penrose-Inverse

A+.

Lemma 7. Wenn der Wertebereich R(A) des Operators A ∈ L(H1, H2) in H2

nicht abgeschlossen ist, und ist Rαα>0 eine lineare Regularisierung fur A+,

dann ist

limα→0+

||Rα||L(H2,H1) = ∞.

Beweis: Indirekter Beweis: Wir nehmen an, dass es ein C mit ||Rα|| ≤ C fur

alle α > 0 gibt. Da Rαα>0 punktweise gegen A+ in R(A) konvergiert, ubertragt

sich die Stetigkeit von Rα in R(A) auf A+. Da A+ aber nur dann stetig ist, wenn

R(A) abgeschlossen ist, erhalten wir einen Widerspruch und die Aussage ist bewiesen.

#

Wendet man die Operatoren Rα fur einen festen Wert α > 0 auf die Daten y bzw.

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 65

die gestorten Daten yδ an, so erhalt man die regularisierten Losungen

xα := Rαy bzw. xδα := Rαy

δ,

die wegen der Beschranktheit von Rα stetig von den Daten abhangen. Dann gilt

||xδα−A+y||H1 = ||Rαy

δ−Rαy+Rαy−A+y||H1 ≤ ||Rα||L(H2,H1)||yδ−y||H2+||Rαy−A+y||H1

und damit

||xδα − A+y||H1 ≤ ||Rα||L(H2,H1)δ︸ ︷︷ ︸+ ||Rαy − A+y||H1 .︸ ︷︷ ︸

Datenfehler Approximationsfehler

Aus dieser Abschatzung wird das Dilemma der Regularisierung sichtbar, fur α→ 0+

konvergiert Rαy gegen A+y, also strebt der Approximationsfehler gegen Null, dagegen

wachst der Datenfehler uber alle Grenzen.

GesamtfehlerApproximations- fehler

Datenfehlerαopt

α

2.1. Wahl des Regularisierungsparameters. Die Wahl eines optimalen Re-

gularisierungsparameters αopt wird auf der Grundlage eines Kompromisses zwi-

schen Stabilitat und Approximation gewonnen. Leider hangt αopt von der Losung

selbst ab und ist nicht anhand der Daten a priori bestimmbar.

Frage: Gibt es fur eine Folge von Daten, deren Datenfehlerniveau δ gegen Null

strebt, eine zugehorige Folge von Regularisierungsparametern α = α(δ), so dass such

||xα − A+y||H1 → 0?

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66 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Definition 15. Es sei Rαα>0 eine lineare Regularisierung fur den

Operator A+. Dann heit diese Regularisierung fur eine Vorschrift

α = α(δ, yδ) zur Auswahl des positiven Regularisierungsparameters kon-

vergent, wenn fur alle y ∈ R(A)

limδ→0

sup||Rα(δ, yδ)yδ − A+y|| : yδ ∈ Y, ||yδ − y||H2 ≤ δ = 0

gilt.

Wir sprechen von einer a priori Parameterwahl, α = α(δ), wenn der Regularisie-

rungsparameter α nur vom Datenfehlerniveau δ abhangig gemacht wird, andernfalls

von einer a posterio Parameterwahl, bei der z.B. α so gewahlt werden kann, dass

die aktuelle Defektnorm ||Axδα − yδ||H2 einer gewunschten Groe entspricht, die von

δ abhangen darf.

Bemerkung 21. Als Babushinsky-Veto bezeichnet man die Nichtexistenz

von konvergenten linearen Regularisierungen fur nach Nashed inkorrekte linea-

re Operatorgleichungen, bei denen mit α = α(yδ) die Parameterwahlvorschrift

nur von den Daten yδ abhangt, ohne das Datenfehlerniveau explizit zu beruck-

sichtigen. Vorschriften zur Regularisierungsparameterwahl, die ohne Kenntnis

von δ auskommen, liefern daher niemals konvergente lineare Regularisierungen.

Satz 26. Eine lineare Regularisierung Rαα>0 fur A+ ist konvergent,

wenn der Regularisierungsparameter α = α(δ) so gewahlt wird, dass

limδ→0

α(δ) = 0 und limδ→0

||Rα(δ)||LH2, H1)δ = 0

gilt.

2.2. Regularisierungsverfahren. Frage: Wie kann man konvergente lineare Re-

gularisierungen konstruieren?

Ausgangspunkt fur die Uberlegungen ist die Darstellung von K+y eines kompakten

Operator K mit dimR(K) = ∞, als Reihe mit Hilfe der Singularwertzerlegung:

A+y =∞∑

j=1

1

µj

〈y, uj〉H2vj, y ∈ R(A)

und fuhren Filterfaktoren f(α, µj) zur Dampfung der die Instabilitat verursachen-

den Vorfaktoren 1µj

ein.

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 67

Satz 27. Es sei K ∈ L(H1, H2) ein kompakter Operator mit singularem

System vj, uj; µj∞j=1. Dann ist die durch die Vorschrift

Rαyδ :=

∞∑j=1

f(α, µj)

µj

〈yδ, uj〉H2vj, yδ ∈ H2

denierte Familie Rαα>0 von beschrankten linearen Operatoren aus

L(H2, H1) eine lineare Regularisierung fur K+, wenn fur die Filterfunk-

tion f gilt:

(1) 0 ≤ f(α, µ) ≤ 1 fur alle α > 0 und 0 ≤ µ ≤ ||K||L(H1, H2),

(2) |f(α, µ)| ≤ C(α)µ fur alle 0 ≤ µ ≤ ||K||L(H1, H2),

(3) limα→0

f(α, µ) = 1 fur alle 0 ≤ µ ≤ ||K||L(H1, H2).

Dabei gilt ||Rα||L(H2, H1) ≤ C(α), und die Regularisierung ist konvergent

fur eine a priori Parameterwahl α = α(δ), wenn aus δ → 0 die Grenz-

wertbeziehungen α(δ) → 0 und δC(α) → 0 folgen.

Beweis: Fur alle yδ ∈ Y gilt

||Rαyδ||2H2

=∞∑

j=1

(f(α, µj))2

µ2j

〈yδ, uj〉2H2≤ (C(α))2

∞∑j=1

〈yδ, uj〉2H2≤ (C(α))2||yδ||2H2

und folglich ist der Operator Rα beschrankt mit ||Rα||L(H2, H1) ≤ C(α). Nun besitzt

x ∈ H1 die Darstellung x = x0 +∑∞

j=1〈x, vj〉vj mit x0 ∈ N(K) und mit y = Kx

ergibt sich

Kx =∞∑

j=1

〈x, vj〉H1Kvj =∞∑

j=1

µj〈x, vj〉uj

und damit

K+Kx =∞∑

j=1

1

µj

〈Kx, uj〉vj =∞∑

j=1

1

µj

µj〈x, vj〉H1vj

und

Rα(Kx) =∞∑

j=1

f(α, µj)

µj

µj〈x, vj〉vj.

Deshalb konnen wir abschatzen:

||Rαy −K+y||2H1= ||RαKx−K+Kx||2H1

=∞∑

j=1

(f(α, µj)− 1)2〈x, vj〉2H1, (13)

Wegen∞∑

j=1

(f(α, µj)− 1)2〈x, vj〉2H1≤

∞∑j=1

〈x, vj〉2H1≤ ||x||2H1

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68 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

ist das Majorantenkriterium anwendbar und wir konnen Grenzwertbildung und Sum-

mation vertauschen, d.h. aus limα→0+

f(α, µ) = 0 folgt limα→0+

||Rαy − K+y||2H1= 0 fur

alle y ∈ R(K). Die Konvergenzaussage fur die Regularisierung ist dann eine direkte

Folgerung aus Satz 26. #

Bemerkung 22. Die Konvergenz des Approximationsfehlers limα→0

||RαKx −K+Kx||2H1

= 0 ist nicht gleichmaig fur alle x ∈ H1. So existiert keine positive

Funktion h(α) mit h(α) → 0, die eine Konvergenzrate bezuglich des Regulari-

sierungsparameters α fur diese Komponente des Regularisierungsfehlers zum

Ausdruck bringen wurde, derart dass

||RαKx−K+Kx||2H1≤ h(α)||x||H1 fur α > 0 und alle x ∈ H1. (14)

Wegen (13) folgt aus (14) namlich supj∈N |f(α, µj) − 1| ≤ h(α). Dies kann aber

nicht gelten, denn mit limj→0

µj = 0 folgt aus der Ungleichung |f(α, µ)| ≤ C(α)µ fur

alle α > 0 die Grenzwertbeziehung limj→∞

f(α, µj) = 0 und damit supj∈N

|f(α, µj)−1| =

1.

Beispiel 7. Abgeschnittene oder abgebrochene Singularwertzerlegung.

Als Naherung wird verwendet (α = 1n)

xn =n∑

j=1

1

µj

〈y, uj〉H2vj, d.h. f(α, µj) =

1, 1 ≤ j ≤ n,

0, j > n.

Wie man leicht sieht gilt 0 ≤ f(α, µj) ≤ 1 und |f(α, µj)| ≤ µn

µ jfur alle j ∈ N.

Auerdem ist limα→0 f(α, µj) = limn→∞ f(α, µj) = 1. Eshandelt sich deshalb um

eine lineare Regularisierung. Wird n = n(δ) so gewahlt, dass

µ2n+1 ≤ δ < µ2

n,

dann gilt mit δ → 0 strebt n→∞ bzw. α→ 0 und

δ · C(α) = δ · 1

µn

<µ2

n

µn

= µn → 0

fur n→∞. Also ist unter dieser Wahl von n die Regularisierung konvergent.

2.3. Tikhonov-Regularisierung.

Beispiel 8. Tikhonov-Regularisierung. Es ist nach unseren bisherigen Uber-

legungen:

Rαyδ(= xδ

α

)=

∞∑j=1

µj

µ2j + α

〈yδ, uj〉vj.

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 69

Folglich sind die Filterfaktoren:

f(α, µj) =µ2

j

µ2j + α

.

Wir uberprufen die Voraussetzungen des Satzes 14:

(1) 0 ≤ f(α, µj) =µ2

j

µ2j+α

≤ 1 fur alle α > 0 und j ∈ N.

(2) |f(α, µj)| =µ2

j

µ2j+α

≤ µj√a, d.h. C(α) = 1

2√

a.

(3) limα→0+ f(α, µj) = limα→0+µ2

j

µ2j+α

= 1.

Deshalb ist es eine lineare Regularisierung. Diese Regularisierung ist konver-

gent, wenn aus δ → 0 folgt α(δ) → 0 und C(α)δ → 0, d.h. wenn α(δ) → 0 undδ2

α(δ)→ 0 fur δ → 0.

Folglich muss α mit δ gegen Null streben, aber nicht zu schnell, damit auch δ2

α(δ)

gegen Null strebt.

Weiterhin gilt: bei festem α > 0 fallt der Dampfungsfaktor f(α, µj) umso kleiner

aus, je groer j wird, da die Singularwerte µj eine fallende Nullfolge bilden.

Die Summanden der Reihe

K+y =∞∑

j=1

1

µj

〈y, uj〉H2vj

mit groem j werden bei der Regularisierung stark gedampft, dagegen bleiben

die mit kleinem j wegenµ2

j

µ2j+α

≈ 1 fur genugend kleines α fast unverandert.

Dies bedeutet, dass hochfrequente Anteile, z.B. Vielfache von sinωt mit hoher

Frequenz ω stark gedampft werden.

Man rekonstruiert mit der Tikhonov Regularisierung die niederfrequenten An-

teile recht genau und stabil in Bezug auf die gegebenen Daten, wahrend auf die

hochfrequenten Anteile in der Naherungslosung mit zunehmender Frequenz im-

mer mehr verzichtet wird. Das ist schlecht fur die Rekonstruktion hochfrequenter

Anteile, gilt aber mehr oder weniger fur alle Standard-Regularisierungsverfahren.

Folgerung 5. Die durch die Methode der Tikhonov-Regularisierung

xδα := Rαy

δ := (A∗A+ αI)−1A∗yδ

denierte Operatorfamilie Rαα>0 ist eine lineare Regularisierung fur den Ope-

rator A+ mit ||Rα||L(H2, H1) ≤ 12√

α. Genugt eine a priori Parameterwahl α = α(δ)

den Bedinungen

α(δ) → 0 undδ2

α(δ)→ 0 fur δ → 0,

so ist die Regularisierung auch konvergent.

Wir wollen die Tikhonov-Regularisierung nun neu interpretieren, dafur benotigen

wir folgende Aussage:

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70 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Lemma 8. Ein selbstadjungierter Operator B ∈ L(H, H), der positiv denit

ist, d.h. fur den

〈Bx, x〉H ≥ β||x||2H fur alle x ∈ H

gilt, besitzt einen stetigen inversen Operator B−1 ∈ L(H, H) mit

||B−1||L(H, H) ≤1

β.

Weiterhin ist fur jedes feste z ∈ H das Extremalproblem

〈Bx, x〉H − 2〈x, z〉H = min!, x ∈ H,

aquivalent zur Operatorgleichung

Bx = z, x ∈ H,

und besitzt die eindeutig bestimmte Losung x = B−1z.

Anwendung auf die Tikhonov-Regularisierung: Setzt man

B := A∗A+ αI, z := A∗yδ

so liefert β = α sofort die Korrektheit der Operatorgleichung

(A∗A+ αI)x = A∗yδ, x ∈ H1,

nach Hadamard. Weiterhin ist diese Operatorgleichung aquivalent zur Minimierung

des Funktionals

〈(A∗A+ αI)x, x〉H1 − 2〈x, A∗yδ〉H1 = 〈A∗Ax, x〉H1 + α〈x, x〉H1 − 2〈x, A∗yδ〉H1

= 〈Ax, Ax〉H2 + α||x||2H1− 2〈Ax, yδ〉H2 = 〈Ax, Ax− yδ〉H2 − 〈Ax, yδ〉H2 + α||x||2H1

= 〈Ax− yδ, Ax− yδ〉H2 + α||x||2H1+ 〈yδ, Ax− yδ〉H2 − 〈Ax, yδ〉H2

= ||Ax− yδ||2H2+ α||x||2H1

− ||yδ||2H2, fur alle x ∈ H1.

(in reellen Hilbert-Raumen). Der letzte Term ist konstant und kann deshalb weg-

gelassen werden. Dann heit der folgende Ausdruck Tikhonov-Funktional

Tα(x) := ||Ax− yδ||2H2+ α||x||2H1

und

xδα = Rαy

δ = (A∗A+ αI)−1A∗yδ

ist fur alle yδ ∈ H2 die eindeutig bestimmte Losung des Extremalproblems

Tα(x) := ||Ax− yδ||2H2+ α||x||2H1

= min!

Die Theorie fur die Tikhonov-Regularisierung (wie wir sie bisher kennen und noch

weiter kennenlernen werden) lasst sich ein Extremalproblem der Gestalt

Tα(x) := ||Ax− yδ||2H2+ αΩ(x) = min!, x ∈ H1,

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 71

mit einem Sympathiefunktional ubertragen. Das Sympathiefunktional wird so kon-

struiert, dass Elemente x, die den Erwartungen an die Losung gut entsprechen ("sym-

patisch sind\), kleinere Werte Ω(x) zugeordnet werden, wahrend"unsympathischen\

Elementen x groe Werte zugeordnet werden. Mogliche Sympathiefunktionale sind

• Mochte man vorzugsweise Elemente x, die moglichst wenig von einem Refe-

renzelement x∗ abweichen, so ist

Ω(x) = ||x− x∗||X bzw. Ω(x) = ||x− x∗||2X im Hilbert-Raum

ein geeignetes Funktional. Mit x∗ = 0 wird dabei speziell auf Elemente mit

moglichst kleiner Norm zuruckgegrien.

• Fur Raume glatter (dierenzierbarer, mehrfach dierenzierbarer) Funktionen

x(t) (a ≤ t ≤ b) kommt haug ein Sympathiefunktional

Ω(x) = ||x′||2L2(a, b) =

∫ b

a

(x′(t))2 dt

zur Anwendung. Dahinter steckt der Gedanke, dass wenig oszillierende Losun-

gen in der Regel bevorzugt werden. Eine im Mittel kleine Ableitung x′ tritt

namlich nur fur Funktionen mit im Durchschnitt geringerer Schwankung auf.

• Maximum-Entropie-Methode. Im Sinne des wahrscheinlichkeitsttheoretischen

Konzepts der Entropie ist ein Sympathiefunktional der Gestalt

Ω(x) =

∫ b

a

x(t) logx(t)

x∗(t)dt

mit einer aus Zusatzinformationen resultierenden Referenzfunktion x∗(t) >

0, a ≤ t ≤ b, motiviert. Dies ist eine Moglichkeit positive Losungen zu iterie-

ren. Im Allgemeinen sind keine Algorithmen bekannt wie man die Positivitat

einer Losung erreicht!

Andererseits entsteht durch dieses in x(t) nichtlineare Sympathiefunktio-

nal ein nichtlineares Problem, das wesentlich aufwendiger zu losen ist als ein

lineares Problem.

Subjektive a priori Informationen sollten bei de Behandlung inverser Aufgaben aber

so zuruckhaltend wie moglich eingesetzt werden.

2.4. Diskrepanzprinz. Wir betrachten eine weitere Eigenschaft der Tikhonov-

Regularisierung. Die regularisierte Losung xδα hangt wegen der Beschranktheit des

linearen Operators Rα stetig von den Daten yδ ab. Ebenso ist eine stetige Abhangig-

keit vom Regularisierungsparameter festzustellen, da

(A∗A+ αI)xδα = A∗yδ und (A∗A+ (α+ h)I)xδ

α+h = A∗yδ mit α+ h > 0,

so gilt

(A∗A+ αI)(xδα+h − xδ

α) = −hxδα+h =

h

α+ hA∗(Axδ

α+h − yδ)

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72 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

da

hxδα+h + αxδ

α+h + A∗Axδα+h = A∗yδ ⇐⇒ xδ

α+h = − 1

α+ hA∗(Axδ

α+h − yδ)

und

||xδα+h − xδ

α||H1 ≤|h|

α+ h||(A∗A+ αI)−1||L(H1, H1)||A∗||L(H2, H1)||Axδ

α+h − yδ||H2

≤||A||L(H1, H2)

α

|h|α+ h

(||A||L(H1, H2)||xδ

α+h||H1 + ||yδ||H2

).

Nun ist wegen Tα(xδα) ≤ T (0) fur alle α > 0 auch

(α+ h)||xδα+h||2H1

≤ Tα+h(xδα+h) ≤ ||yδ||2H2

und damit

||xδα+h − xδ

α||H1 ≤||A||L(H1, H2)

α

|h|α+ h

(||A||L(H1, H2)√

α+ h+ 1

)||yδ||H2 → 0 fur |h| → 0.

Dann existiert wegen

(A∗A+ αI)xδ

α+h − xδα

h= −xδ

α+h

sogar das Ableitungselement

dxδα

dα= lim

h→0

xδα+h − xδ

α

h∈ H1,

welches die Operatorgleichung

(A∗A+ αI)x = −xδα

lost und folglich die Darstellung

dxδα

dα= −(A∗A+ αI)−1xδ

α

besitzt. Die Losung hangt sogar stetig dierenzierbar von α ab!

Fur die Herleitung sinnvoller Strategien einer a posteriori Parameterwahl bei der

Tikhonov-Regularisierung ist es nutzlich, die Funktionen

ϕ(α) := ||Axδα − yδ||2H2

und ψ(α) := ||xδα||2H1

naher zu betrachten.

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 73

Es gilt

ϕ′(α) = limh→0

1

h

(〈Axδ

α+h − yδ, Axδα+h − yδ〉H2 − 〈Axδ

α − yδ, Axδα − yδ〉H2

)= lim

h→0

1

h

(〈Axδ

α+h − yδ − (Axδα − yδ), Axδ

α+h − yδ〉H2

+〈Axδα − yδ, Axδ

α+h − yδ〉H2 − 〈Axδα − yδ, Axδ

α − yδ〉H2

)= lim

h→0

(〈A(xδ

α+h − xα), Axδα+h − yδ〉H2 + 〈Axδ

α − yδ, A(xα+h − xα〉H2

)= lim

h→0

(〈A(xδ

α+h − xδα

h

), Axδ

α+h − yδ〉H2 + 〈Axδα − yδ, A

(xδ

α+h − xδα

h

)〉H2

)= 2〈Adx

δα

dα, Axδ

α − yδ〉H2 = 2〈dxδα

dα, A∗(Axδ

α − yδ)〉H1 = −2α〈dxδα

dα, xδ

α〉H1 .

Da (A∗A+ αI)xδα = A∗yδ ⇐⇒ A∗(Axδ

α − yδ) = −αxδα. Wegen (A∗A+ αI)dxδ

α

dα= −xδ

α

folgt

ϕ′(α) = 2α〈dxδα

dα, (A∗A+ αI)

dxδα

dα〉 = 2α2

∣∣∣∣∣∣∣∣dxδα

∣∣∣∣∣∣∣∣2H1

+ 2α

∣∣∣∣∣∣∣∣Adxδα

∣∣∣∣∣∣∣∣2H2

≥ 0,

d.h. die Funktion ϕ(α) ist monoton wachsend und fur yδ 6∈ N(A∗) gilt

(A∗A+ αI)xδα 6= 0 y xδ

α 6= 0 y (A∗A+ αI)dxδ

α

dα6= 0 y

dxδα

dα6= 0,

also ist insbesondere ϕ′(α) > 0 und die Funktion ϕ(α) streng monoton wachsend.

Andererseits ist

ψ′(α) = 2〈dxδα

dα, xδ

α〉H1 = −2α

∣∣∣∣∣∣∣∣dxδα

∣∣∣∣∣∣∣∣2H1

− 2

∣∣∣∣∣∣∣∣Adxδα

∣∣∣∣∣∣∣∣2H2

≤ 0,

d.h. die Funktion ψ(α) istmonoton fallend, und fur yδ 6∈ N(A∗), gilt wegen ψ(α) < 0

wieder die strenge Monotonie.

Wir setzen im weiteren N(A∗) = 0 voraus.Dann gilt mit

||yδ||2H2=

∞∑j=1

〈yδ, vj〉2,

die Beziehung

ϕ(α) = ||Axδα−yδ||2H2

=∞∑

j=1

(µ2

j

µ2j + α

− 1

)2

〈yδ, vj〉2H2=

∞∑j=1

α2

(µ2j + α)2

〈yδ, vj〉2H2≤ ||yδ||2H2

.

Wegen der sich daraus ergebenden Vertauschbarkeit von Summation und Grenzwert-

bildung fur α→ 0 bzw. α→∞ in der Reihendarstellung folgt

limα→0

ϕ(α) = 0 und limα→∞

ϕ(α) = ||yδ||2H2. (15)

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74 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Definition 16. Gegeben seien ein Datenfehlerniveau δ > 0 und eine

gestorte rechte Seite yδ ∈ H2 der linearen Operatorgleichung Ax = y mit

exakter rechter Seite y ∈ R(A), mit

||yδ − y||H2 ≤ δ < ||yδ||H2 . (16)

Unter dem Diskrepanzprinzip nach Morozov verstehen wir dann die

a posteriori Parameterwahl αdis = αdis(δ, yδ) des Regularisierungspara-

meters α > 0 der Tikhonov-Regularisierung, die auf der Losung der

Gleichung

||Axαdis− yδ||H2 = δ

beruht.

Bemerkung 23.

• Mit N(A∗) = 0 und (16) liefert das Diskrepanzprinzip wegen der stren-

gen Monotonie und der Grenzwertbeziehung (15) immer einen eindeutig

bestimmten Regularisierungsparameter αdis > 0.

• Interpretation: Unter den im Sinne von ||Ax− yδ||H2 ≤ δ mit den Daten

yδ vertraglichen Elementen x sollten solche bevorzugt werden, bei denen

die Ungleichung sogar als Gleichung gilt.

• Uberregularisierung: In diesem Fall approximieren regularisierte Losun-

gen xδα mit ||Axδ

α− yδ||H2 < δ die verallgemeinerte Losung A+y besser als

xδαdis

. Das Diskrepanzprinzip erzeugt in diesem Fall zu groe Regulari-

sierungsparameter und damit zu glatte regularisierte Losungen.

• Unterregularisierung: Im Gegensatz dazu fuhren zu kleine Regulari-

sierungparameter zu Naherungslosungen, die eine zu kleine Defektnorm

||Axδα − yδ||H2 aufweisen und in der Regel starker als gewunscht oszillie-

ren.

• Motivation: Eine regularisierte Losung xδαdis

mit ||Axδαdis

− yδ||H2 = δ lost

das restringierte Extremalproblem

||x||H1 = min!, x ∈ H1 : ||Ax− yδ||H2 ≤ δ. (17)

Beweis: Ware namlich ||x||H1 < ||xδαdis||H1 fur ein x ∈ H1 mit ||Ax −

yδ||H2 ≤ δ, so musste auch

Tαdis(x) = ||Ax− yδ||2H2

+ αdis||x||2H1

< ||Axδαdis

− yδ||2H2+ αdis||xδ

αdis||2H1

= Tαdis(xδ

αdis)

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 75

gelten dies widerspricht aber der Eigenschaft Tαdis(xδ

αdis) ≤ Tαdis

(x) fur

alle x ∈ H1. Umgekehrt ist ubrigens auch jede Losung des restringierten

Extremalproblems (17) eine regularisierte Losung. #

• Wenn der Regularisierungsparameter uber das Diskrepanzprinzip be-

stimmt wird, so minimiert jede nach Tikhonov regularisierte Losung

xδαdis

das Sympathiefunktional Ω(x) = ||x||H1 unter allen mit den Daten

vertraglichen Elementen x ∈ H1, das sind diejenigen mit ||Ax−yδ||H2 ≤ δ.

Die Tikhonov-Regularisierung erzwingt also nicht nur Naherungslosun-

gen, die stabil von den Daten abhangen, sondern sie beein usst auch

die Eigenschaften der Naherungslosung zielgerichtet. Insbesondere ist

eine regularisierte Losung xδα0

mit ||xδα0||H1 = K auch Losung des Extre-

malproblems

||Ax− yδ||H2 = min! x ∈ H1, ||x||H1 ≤ K.

Die regularisierten Losungen haben also minimale Defektnormen, wenn bei

einer solchen Minimierung nur Elemente aus einer Kugel im Hilbert-Raum

H1 mit festem Radius K > 0 zugelassen werden.

2.5. Prinzip der Quasioptimalitat. Dies ist ein weiteres Verfahren zur a po-

steriori Wahl des Regularisierungsparameters bei der Tikhonov-Regularisierung. Aus

der Gleichung

(A∗A+ αI)dxδ

α

dα= −xδ

α

fur das Ableitungselement erhalt man die Beziehung

αdxδ

α

dα= −α(A∗A+ αI)−1xδ

α.

Die Wahl von αqo als Losung des Extremalproblems

ξ(α) :=

∣∣∣∣∣∣∣∣αdxδα

∣∣∣∣∣∣∣∣H1

→ min!, α > 0,

wird nun motiviert durch die auf der Neumannschen Reihe beruhenden und fur

y ∈ R(A) gultigen Gleichung

A+y = xα + α(A∗A+ αI)−1xα +∞∑

j=2

αj(A∗A+ αI)−jxα,

welche unter Vernachlassigung der unendlichen Summe (α ist"klein\, αj ist noch

"viel kleiner\) ohne Berucksichtigung von Datenfehlern die Dierenz ||xα − A+y||H1

klein bleibt, wenn ξ(α) minimiert wird.

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76 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Satz 28. Unter den Voraussetzungen N(A∗) = 0 und

||yδ − y||H2 ≤ δ < ||yδ||H2

ist die Tikhonov-Regularisierung

xδα := (A∗A+ αI)−1A∗yδ

mit dem Regularisierungsparameter αdis = αdis(δ, yδ), die nach dem Dis-

krepanzprinzip

||Axαdis− yδ||H2 = δ

ausgewahlt werden, konvergente Regularisierung fur A+.

Definition 17. Eine Folge (xk)k∈N konvergiert schwach gegen x ∈ X, falls

〈xk, x′〉 → 〈x, x′〉 fur alle x′ ∈ X ′.

Eine Abbildung A ∈ L(X, Y ) ist schwach stetig, wenn aus xk x (schwach),

stets folgt Axk Ax (schwach).

Bemerkung 24. Der schwache Grenzwert ist eindeutig bestimmt. Die Norm

ist unterhalb stetig bzgl. der schwachen Konvergenz, d.h. aus xk x (schwach)

in X fur k →∞ folgt ||x|| ≤ lim infk→∞

||xk||. Beweis siehe H.W. Alt, Lineare Funk-

tionalanalysis, Seite 213.

Bemerkung 25. Aus der schwachen Konvergenz xk x und der Normkon-

vergenz ||xk|| → ||x|| folgt die starke Konvergenz xk → x, da im reellen Hilbert-

Raum H gilt

||xk − x||2 = 〈xk − x, xk − x〉H = 〈xk, xk〉H − 〈xk, x〉H − 〈x, xk〉+ 〈x, x〉= ||xk||2H + ||x||2H − 2〈xk, x〉 → 0 fur k →∞.

Bemerkung 26. In Banach-Raumen X, Y ist A genau dann stetig, wenn A

schwach stetig ist. Nachweis uber Satz uber den abgeschlossenen Graphen.

Satz 29. In einem re exiven Raum X besitzt jede beschrankte Folge eine

schwach konvergente Teilfolge.

Beweis: siehe D. Werner, Funktionalanlysis, Seite 107.

Beweis: zu Satz 28: Wir betrachten Folgen δn → 0 und yn := yδn ∈ R(A) fur

n→∞ sowie xn := xαdis(δn, yn). Der Satz ist bewiesen, wenn wir zeigen konnen, dass

xn → A+y gilt.

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 77

Es gilt ||Axn − yn||H2 = δn und folglich Axn → y fur n→∞. Weiterhin ist

Tαdis(δn, yn)(xn) = ||Axn − yn||2H2+ αdis(δn, yn)||xn||2H1

= δ2n + αdis(δn, yn)||xn||2H1

≤ Tαdis(δn, yn)(A+y) = ||y − yn||2H2

+ αdis(δn, yn)||A+y||2H1

≤ δ2n + αdis(δn, yn)||A+y||2H1

und damit

||xn||H1 ≤ ||A+y||H1 fur alle n. (18)

Die Elemente xn sind also in H1 beschrankt und folglich gibt es eine schwach kon-

vergente Teilfolge xnkk∈N mit xnk

x ∈ H1. Wegen der schwachen Stetigkeit von

A und der Eindeutigkeit des schwachen Grenzwerts gilt Ax = y. Dies impliziert,

dass A∗Ax = A∗y, d.h. x lost die Normalgleichung und deshalb ist x = A+y und

damit insgesamt xn A+y. Wegen der Unterhalbstetigkeit der Norm bei schwacher

Konvergenz folgt auerdem

||A+y||H1 ≤ lim infn→∞

||xn||H1 ≤ lim supn→∞

||xn||H1

(18)≤ ||A+y||H1

Damit ist die Normkonvergenz ||xn||H1 → ||A+y||H1 nachgewiesen und letztlich die

starke Konvergenz xn → A+y. #

Durch die Verwendung von Quelldarstellungen lassen sich Konvergenzraten er-

reichen, es gilt

Satz 30. Unter den Voraussetzungen von Satz 28 gibt es eine Konstante

C > 0, so dass die auf der Grundlage des Diskrepanzprinzips gewonne-

nen regularisierten Losungen xδαdis

mit αdis = αdis(δ, yδ) der Abschatzung

||xδαdis

− A+y||H1 ≤ C√δ,

genugen, falls die verallgemeinerte Losung A+y die folgende Quelldar-

stellung besitzt:

A+y = A∗w, w ∈ H2.

Beweis: Im Beweis von Satz 28 ergab sich die Abschatzung: ||xδαdis||X ≤ ||Ay+||X .

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78 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Dann gilt

||xδαdis

− A+y||2H1= 〈xδ

αdis− A+y, xδ

αdis− A+y〉H1

= 〈xδαdis

, xδαdis〉H1 − 〈xδ

αdis, A+y〉H1 − 〈A+y, xδ

αdis〉H1 + 〈A+y, A+y〉H1

≤ 2(||A+y||2H1

− 〈xδαdis

, A+y〉H1

)= 2〈A+y − xδ

αdis, A+y〉H1 = 2〈A+y − xδ

αdis, A∗w〉H1

= 2〈A(A+y − xδαdis

), w〉H2 = 2〈y − yδ, w〉H1 + 2〈yδ − Axδαdis

, w〉H2

≤ 2(||y − yδ||H2||w||H2 + ||yδ − Axδ

αdis||H2||w||H2

)= 4||w||H2δ,

d.h. ||xδαdis

−A+y||H1 ≤ C√δ mit C = 2

√||w||H2 . Falls die Operatorgleichung Ax = y

inkorrekt nach Nashed ist, so kann der Regularisierungsfehler ||xδαdis

− A+y||H1 des

Diskrepanzprinzips fur δ → 0 auch nicht schneller als√δ gegen Null streben. Jedoch

gibt es Quelldarstellungen, die eine a priori Parameterwahl α = α(δ) ermoglichen, so

dass sich der Regeularisierungsfehler proportional zu δ2/3 verhalt.

Satz 31. Es seien c und C positive Konstanten. Dann erhalt man fur

die a priori Parameterwahl α = α(δ) = cδ2/3 eine Abschatzung

||xδαdis

− A+y||H1 ≤ Cδ2/3

des Regularisierungsfehlers, wenn die verallgemeinerte Losung A+y ei-

ner Quelldarstellung

A+y = A∗Av, v ∈ H1

genugt.

Beweis: Wie wir bereits gesehen hatten, ist die Norm des Operators (A∗A+αI)−1A∗A

kleiner gleich 1. Dann folgt

Rαy − A+y = (A∗A+ αI)−1A∗A(A+y)− A+y

= −α(A∗A+ αI)−1(A+y) = −α(A∗A+ αI)−1A∗Av

und damit

||Rαy − A+y||H1 ≤ α||v||H1 .

Fur den Regularisierungsfehler erhalten wir deshalb

||xδα − A+y||H1 ≤ ||Rα||L(H2, H1)δ + ||Rαy − A+y||H1

≤ ||Rα||L(H2, H1)δ + α||v||H1 ≤1

2√αδ + α||v||H1 ,

da ||Rα||L(H2, H1) ≤ 12√

αδ nach Folgerung 5. Mit α(δ) = cδ2/3 ergibt sich

||xδα − A+y||H1 ≤ Cδ2/3,

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 79

wobei C = 12√

c+ c||v||H1 ist. #

Bemerkung 27. Es gilt auch ein sogenanntes Sattigungsprinzip, das be-

sagt, dass fur nach Nashed inkorrekte lineare Operatorgleichungen keine a priori

Parameterwahl exisitert, so dass der Fehler der Tikhonov-Regularisierung fur

δ → 0 schneller als δ2/3 gegen die verallgemeinerte Losung A+y 6= 0 konvergiert.

2.6. Weitere Regularisierungsmethoden. Dies sind z.B. iterative Methoden

wie die

2.6.1. Landweber-Iteration. Wir gehen von der Normalgleichung A∗Ax = A∗y

aus und multiplizieren sie mit einem positiven Faktor ω und schreiben die Norma-

lengleichung neu als x = x + ω(A∗y − A∗Ax). Die impliziert die folgende Iterations-

vorschrift:

Landweber-Iteration. Man bestimme die Losung der Fixpunktgleichung

x = x+ ω(A∗y − A∗Ax)

durch die Iteration:

x0 = 0, xn+1 = (I − ωA∗A)xn + ωA∗yδ, N ≥ n ≥ 0, (19)

wobei 0 < ω < 2||A||2L(H1, H2)

ist.

Durch Induktion erhalt man fur die n-te Iterierte die Darstellung:

xn =n−1∑i=0

(I − ωA∗A)iωA∗yδ, n = 1, 2, . . . .

(Aus x0 = folgt x1 = ωA∗yδ folgt x2 = (I − ωA∗A)ωA∗yδ + ωA∗yδ usw. usf.) Wir

untersuchen die Konvergenz des Verfahrens. Wir betrachten zunachst den Fall yδ ∈D(A+) = R(A)⊕R(A)⊥. In diesem Fall ist die Normalgleichung losbar mit der Losung

A+yδ. Dann gilt wegen

n−1∑i=0

(I − ωA∗A)iωA∗A = I − (I − ωA∗A)n

(Hinweis: Es gilt an − bn = (a− b)

(n−1∑j=0

an−1−jbj

)und damit ist

1− (1− x)n = 1n − (1− x)n = (1− (1− x))

(n−1∑j=0

1n−1−j(1− x)j

)=

n−1∑j=0

(1− x)jx.)

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80 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

die Beziehung

A+yδ − xn = A+yδ −n−1∑i=0

(I − ωA∗A)iωA∗yδ = A+yδ −n−1∑i=0

(I − ωA∗A)iωA∗A(A+yδ)

= (I − I + (I − ωA∗A)n)(A+yδ) = (I − ωA∗A)n(A+yδ)

Wir benutzen das singulare System vj, uj; µj mit A∗Avj = µ2jvj und x ∈ H1 hat

die Darstellung x =∑∞

k=0〈x, vk〉H1vk. Dann ist

(I−ωA∗A)

(∞∑

k=0

〈x, vk〉H1vk

)=

∞∑k=0

(〈x, vk〉H1 − ωµ2

k〈x, vk〉H1

)vk =

∞∑k=0

(1−ωµ2k)〈x, vk〉H1vk

und damit

(I − ωA∗A)mx =∞∑

k=0

(1− ωµ2k)

m〈x, vk〉H1vk,

wobei die Faktoren (1 − ωµ2k)

m nur dann gegen Null streben fur m → ∞, wenn

|1− ωµ2k| < 1 fur alle k ∈ N gilt. Es gilt

|1− ωµ2k| < 1 ⇐⇒ −1 < 1− ωµ2

k < 1 fur alle k

⇐⇒ 0 < ω <2

µ2k

fur alle k ⇐⇒ 0 < ω <2

µ21

=2

||A||2L(H1,H2)

.

Somit erhalten wir insgesamt

||A+yδ−xn||H1 = ||(I−ωA∗A)n(A+yδ)||H1 ≤ ||(I−ωA∗A)n||L(H1,H1)||(A+yδ)||H1 → 0 fur n→∞.

In diesem Fall konvergiert die Landweber-Iteration gegen das Element A+yδ, welches

wegen der Unbeschranktheit des Operators A+ auch fur kleine δ > 0 weit von der

tatsachlichen verallgemeinerten Losung A+y entfernt sein kann.

Was passiert, wenn yδ 6∈ D(A+) = R(A)⊕R(A)⊥? Sei A dazu ein kompakter Operator

mit dimR(A) = ∞. Dann ist

xn =∞∑

j=1

n−1∑i=0

(1− ωµ2j)

iωµj〈yδ, uj〉H2vj =∞∑

j=1

1− (1− ωµ2j)

n

µj

〈yδ, uj〉H2vj.

Wegen 0 < 1− ωµ2j < 1 strebt ||xn||2H1

fur n→∞ gegen die Reihe

∞∑j=1

〈yδ, uj〉H2

µ2j

,

die aber gegen∞ divergiert, weil fur yδ 6∈ D(A+) = R(A)⊕R(A)⊥ die Picardsche Be-

dingung (siehe Satz 19) verletzt ist. Es macht also fur inkorrekte Probleme kei-

nen Sinn, eine moglichst große Zahl von Schritten der Landweber-Iteration

auszufuhren! Wir nehmen deshalb eine endliche Zahl N von Iterationsschritten,

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2. EIN ALLGEMEINES REGULARISIERUNGSSCHEMA 81

wobei diese Zahl die Rolle des Regularisierungsparameters ubernimmt, d.h. es sei

α := 1N. Mit

xδα := RNy

δ := xN :=∞∑

j=1

1− (1− ωµ2j)

N

µj

〈yδ, uj〉H2vj =∞∑

j=1

1− (1− ωµ2j)

1/α

µj

〈yδ, uj〉H2vj

erhalten wir die Filterfaktoren

f(α, δ) = 1− (1− ωµ2j)

1/α fur1

α∈ N und 0 < µj ≤ ||A||L(H1, H2).

Damit gilt oensichtlich 0 < f(α, δ) < 1 und limα→0

f(α, δ) = 1. Auch die 3. Bedingung

des Satzes 27 fur die Konvergenz des Regularisierungsverfahrens ist erfullt, denn es

gilt

1− (1− τ)N ≤√τN fur alle N ∈ N und 0 ≤ τ ≤ 1.

Nachweis: Sei zunachst 0 ≤ τ ≤ 1N, dann ergibt die Bernoulli-Ungleichung (1−τ)N ≥

1 − Nτ und damit√Nτ ≥ Nτ ≥ 1 − (1 − τ)N . Fur τ ≥ 1

Nist aber trivialerweise√

τN ≥ 1 und damit 1 ≤√Nτ + (1− τ)N . Mit τ = ωµ2

j ergibt sich damit

1− (1− ωµ2j)

N

µj

≤√N√ωµj

µj

=√ωN fur alle N ∈ N und 0 < ω <

1

µ2j

.

So ist mit α = 1N

und C(α) :=√

ωαdie Ungleichung |f(α, δ)| ≤ C(α)µj fur alle µj

erfullt. Das heit:

Folgerung 6. Die zur Methode der Landweber-Iteration denierte Opera-

torfamilie RNN∈N ist eine lineare Regularisierung fur den Operator A+ mit

||RN ||L(H1,H2) ≤√ωN. Sofern eine a priori Parameterwahl N = N(δ) die Bedin-

gungen

N(δ) →∞ und δ2N(δ) → 0 fur δ → 0

erfullt, ist diese Regularisierung auch konvergent.

Bemerkung 28.

• Um eine Konvergenz der regularisierten Losungen xN(δ) gegen A+y zu

erreichen, muss fur δ → 0 die Zahl der Iterationsschritte zwar ins Un-

endliche wachsen, dies darf aber wegen δ2N(δ) → 0 nicht zu schnell

geschehen.

• Man kann auch sogenannte heuristische Strategien zur Wahl des Regu-

larisierungsparameters N = 1αverwenden. Vorzugweise verwende man

ein auf Iterationen zugeschnittenes Diskrepanzprinzip. Man wahlt dazu

Ndis fur eine gegebene Konstante τ > 1 so, dass

||AxNdis− yδ||H2 ≤ τδ < ||AxNdis−1 − yδ||H2

erfullt wird. Da ||Axn − yδ||2H2=∑∞

j=1(1 − ωσ2j )

2n〈yδ, uj〉2H2→ 0 fur n →

∞ gilt, ist fur τδ < ||yδ||H2 der Regularisierungsparameter Ndis immer

eindeutig bestimmt.

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82 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

• Die Landweber-Iteration ist im Vergleich zur Tikhonov-Regularisierung

und zur abgebrochenen Singularwertzerlegung mit sehr geringem auf-

wand zu losen, da weder Operatorgleichungen zu losen noch Eigenele-

mente bestimmt werden mussen. Auch das Diskrepanzprinzip ist ko-

stengunstig, da es nur die Defektbestimmung der Iterierten von (19)

erfordert.

• Wird als Startwert nicht x0 = 0 gewahlt, sondern x0 = f0 ∈ H1, so wird

A+y + PN(A)f0 iteriert.

2.6.2. Asymptotische Regularisierung. Hier wird wieder die Normalgleichung

gestort, diesmal aber durch Hinzufugen eines Ableitungsterms, d.h.

Asymptotische Regularisierung. Man sucht die Losung der gewohnlichen

Dierentialgleichung

x′(t) + A∗Ax(t) = A∗yδ

unter der Anfangsbedingung x(0) = 0. Die Losungen dieses Anfangswertpro-

blems sind Elemente x(t), t ≥ 0, des Hilbertraums H1, deren Variable t als

Zeit interpretiert werden kann.

Fur den kompakten Operator A kann man unter Verwendung eines singularen Sy-

stems die Losungen als Reihe in der Form

x(t) =∞∑

j=1

1− exp(−tµ2j)

µj

〈yδ, uj〉H2vj, t ≥ 0,

darstellen. Man sieht sofort, dass es keinen Sinn macht diese Losungen fur groe

Zeiten t zu bestimmen, denn fur t → ∞ strebt ||x(t)||2H1wieder gegen die Reihe∑∞

j=1

〈yδ , uj〉2H2

µ2j

. Man wahlt in diesem Fall eine Endzeit T, die hier der Regularisie-

rungsparameter ist und betrachtet α := 1T. Als Filterfunktionen ergeben sich

f(α, δ) = 1− exp(−µ2

j

α) fur α > 0 und alle µj.

Wegen 0 < f(α, δ) < 1, limα→0

f(α, δ) = 1 und

1− exp(−µ2

j

α

)µj

≤ 1√α

(Man betrachte die Funktion exp(−x2) fur x ≥ 0, dann kann man mit dem Mittel-

wertsatz abschatzen:

exp(−x2)− exp 0

x− 0=

exp(−x2)− 1

x= −2ξ exp(−ξ2) =

−2ξ

exp(ξ2)

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3. ANWENDUNG DER TIKHONOV-REGULARISIERUNG AUF NICHTLINEARE OPERATORGLEICHUNGEN83

und damit

1− exp(−x2)

x=

∣∣∣∣exp(−x2)− 1

x

∣∣∣∣ = 2ξ exp(−ξ2) =2ξ

exp(ξ2)≤ 2ξ

1 + ξ2≤ 1.

)Deshalb ist C(α) = 1√

αund damit alle Bedingungen gema Satz 27 erfullt, somit gilt

Folgerung 7. Die zur Methode der asymptotischen Regularisierung gehori-

ge Operatorfamilie RTT>0 ist eine lineare Regularisierung fur den Operator

A+ mit ||RT ||L(H1,H2) ≤√T . Sofern eine a priori Parameterwahl T = T (δ) die

Bedingungen

T (δ) →∞ und δ2T (δ) → 0 fur δ → 0

erfullt, ist diese Regularisierung auch konvergent.

Bemerkung 29. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Landweber-Iteration

und der asymptotischen Regularisierung. "Diskretisiertman namlich die asym-

ptotische Regularisierung mit tn := nω, xn := x(tn), n = 0, 1, 2, . . . und ersetzt

die Ableitung durch den Dierenzenquotientenx(tn+1)−x(tn)

tn+1−tn= x(tn+1)−x(tn)

ω, so lau-

tet der Ansatz der asymptotischen Regularisierung:

x(tn+1)− x(tn)

ω+ A∗Ax(tn) = A∗yδ, x(t0) = 0,

⇐⇒ xn+1 = x(tn+1) = x(tn) + ωA∗yδ − ωA∗Ax(tn)

= (I − ωA∗A)x(tn) + ωA∗yδ = (I − ωA∗A)xn + ωA∗yδ

also die Landweber-Iteration.

Bemerkung 30. Ein weiteres Standard-Verfahren auf das wir hier nicht ein-

gehen ist die Regularisierung durch endlichdimensionale Approximation.

3. Anwendung der Tikhonov-Regularisierung auf nichtlineare

Operatorgleichungen

Wir betrachten das nichtlineare Identifikationsproblem

F (x) = y, x ∈ D ⊆ H1, y ∈ H2, (20)

wobei H1 und H2 unendlichdimensionale separable, reelle Hilbert-Raume und F ein

nichtlinearer Operator ist.

3.1. Frechet-Ableitung. Wir benotigen zunachst ein paar Begrie und Deni-

tionen fur nichtlineare Operatoren.

Definition 18. Seien X und Y normierte Raume, U ⊂ X oen und f : U →Y eine Abbildung:

(1) F heit Gateaux-dierenzierbar bei x0 ∈ U, falls ein stetiger linearer

Operator T ∈ L(X, Y ) existiert mit

limh→0

1

h(F (x0 + hv)− F (x0)) = Tv fur alle v ∈ X. (21)

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84 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

(2) F heit Frechet-differenzierbar bei x0 ∈ U, falls die Konvergenz in (21)

gleichmaig bezuglich v ∈ x ∈ X : ||x||X ≤ 1.(3) F heit Gateaux- bzw. Frechet-dierenzierbar auf U, falls f an jeder

Stelle x0 ∈ U Gateaux- bzw. Frechet-dierenzierbar ist.

Bemerkung 31. Man beachte, dass die Ableitung von F an einer Stelle ein

linearer Operator ist, die Ableitung von F als Funktion ist eine operatorwertige

Abbildung F ′ : U → L(X, Y ).

Lemma 9. Mit den Bezeichnungen von Denition 18 ist eine Abbildung F :

U → Y genau dann Frechet-dierenzierbar bei x0 ∈ U, falls ein stetiger Operator

T ∈ L(X, Y ) existiert mit

F (x0 + u) = F (x0) + Tu+ r(u) mit lim||u||→0

r(u)

||u||= 0.

In diesem Fall ist F ′(x0) = T.

Diese Aussagen ndet man in D. Werner, Funktionalanalysis, Seite 113.

Beispiel 9. Wir betrachten die Hammersteinsche Integralgleichung

F : D(F ) = H1[0, 1] → L2[0, 1] mit F (x)(s) :=

∫ s

0

(s− t)x3(t) dt.

Dann ist F Frechet-dierenzierbar mit

(F ′(x)h)(s) = 3

∫ s

0

(s− t)x2(t)h(t) dt.

Begrundung: Wenn F Frechet-Dierenzierbar ist, dann ist F auch Gateaux-

dierenzierbar und es gilt

limτ→0

1

τ(F (x+ τh)− F (x)) = F ′(x)h =

d

dτF (x+ τh)

∣∣∣∣τ=0

,

fur die Hammersteinsche Integralgleichung heit das

d

dτF (x+ τh)

∣∣∣∣τ=0

=

∫ s

0

(s− t)3(x(t) + τh(t))2 h(t) dt

∣∣∣∣τ=0

= 3

∫ s

0

(s− t)x2(t)h(t) dt.

Wie man leicht sieht ist F ′(x) ein linearer Operator. Wir bestimmen F ′(x)∗

in folgender Weise, wir bestimmen zunachst den L2-Adjungierten Operator und

dann ergibt sich F ′(x)∗ daraus durch Anwendung des adjungierten Operators B∗

zum Einbettungsoperator B : H1[0, 1] → L2[0, 1]. Es ist

〈F ′(x)h1, h2〉L2 =

∫ 1

0

3

∫ s

0

(s− t)x2(t)h(t) dt h2(s) ds =

∫ 1

0

3

∫ 1

t

(s− t)x2(t)h(t)h2(s) ds dt

=

∫ 1

0

h1(t) 3x2(t)

∫ 1

t

(s− t)h2(s) ds dt = 〈h1, (F ′(x)∗)L2h2〉L2

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3. ANWENDUNG DER TIKHONOV-REGULARISIERUNG AUF NICHTLINEARE OPERATORGLEICHUNGEN85

mit dem L2-adjungierten Operator

(F ′(x)∗)L2(s) = 3x2(t)

∫ 1

t

(t− s)h2(t) dt

und damit ist

(F ′(x)∗h)(s) = B∗(

3x2(t)

∫ 1

t

(t− s)h2(t) dt

).

3.2. Parameteridentifikation. Diese nichtlinearen Probleme treten typischer

Weise bei der Parameteridentikation auf, wobei das direkte Problem sehr wohl linear

sein kann, das inverse Problem ist dann trotzdem nichtlinear. Wir wollen das an einem

einfachen Beispiel erlautern:

Beispiel 10. Wir betrachten das Anfangswertproblem

y′ − ay = f, y(0) = 2.

Es hat wie man leicht nachrechnet die Losung

y(t) = eat

(∫ t

0

e−asf(s) ds+ 2

).

Probe: y(0) = e0(∫ 0

0. . . ds+ 1

)= 2 und

y′ − ay = aeat

(∫ t

0

e−asf(s) ds+ 2

)+ eate−atf(t)− aeat

(∫ t

0

e−asf(s) ds+ 2

)= f(t).

Wir untersuchen nun das inverse Problem, d.h. wir wollen aus der Kenntnis

der Losung den unbekannten Parameter a bestimmen. D.h. wir mussen die

nichtlineare Operatorgleichung

F (a) = y, mit (F (a))(t) = eat

(∫ t

0

e−asf(s) ds+ 2

)= y(t), t ≥ 0,

losen. Das Problem ist inkorrekt gestellt. Das sieht man daran, dass fur f(t) = 1

und die Losungen yn(t) = 1n

sin(nt)+2 stets ein Parameter an(t) existiert fur den

yn(t) Losung des Anfangswertproblems ist. Wir betrachten also das Anfangs-

wertproblem

y′ − a(t)y = 1, y(0) = 2,

und fur yn(t) = 1n

sin(nt) + 2 ist yn(0) = 2 und es muss deshalb gelten

n

ncos(nt)− an(t)

nsin(nt)− 2an(t) = 1 ⇐⇒ n cos(nt)− an(t) sin(nt)− 2nan(t) = n

⇐⇒ an(t) (2 sin(nt) + 2n) = n (cos(nt)− 1) ⇐⇒ an(t) =n(cos(nt)− 1)

2(sin(nt) + n)=

cos(nt)− 1

2(

sin(nt)n

+ 1) .

Es konvergiert zwar yn(t) fur n→∞ gleichmaig in t gegen y(t) = 2, aber an(t)

konvergiert nur fur t = 0.

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86 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

3.3. Regularisierung nichtlinearer Operatorgleichungen. Wir betrachten

die nichtlineare Operatorgleichung (20).

3.3.1. Diskretisierung. Die Diskretisierung fuhrt auf ein nichtlineares Glei-

chungssystem und dieses wird anschlieend regularisiert.

Beispiel 11. Selbstfaltungsgleichung. Wie bekannt, ist die Wahrscheinlich-

keitsdichte y einer Summe vom zwei stochastisch unabhangigen Zufallsgroen

mit den Wahrscheinlichkeitsdichten u und v uber die Faltung

y(s) =

∫ ∞

−∞u(s− t)v(t) dt, −∞ < s <∞,

berechenbar. Gilt spezielle u(t) = v(t) = 0 fur t < 0 und x(t) := u(t) = v(t), d.h.,

die beiden summierten Zufallsgroen sind identisch verteilt und nehmen mit

Wahrscheinlichkeit Eins positive Werte an, dann haben wir y(s) = 0 fur s < 0

und

y(s) =

∫ s

0

x(s− t)x(t) dt, 0 ≤ s <∞.

Es sei nun die Funktion y(s) im Einheitsintervall s ∈ [0, 1] bekannt. Davon

ausgehend soll die Dichte Funktion x(t) in eben diesem Intervall rekonstruiert

werden. Dies ist ein nichtlineares Identikationsproblem. Es ist

[F (x)](s) :=

∫ s

0

x(s− t)x(t) dt = y(s), 0 ≤ s ≤ 1,

mit H1 = H2 = L2(0, 1).

Vorgehensweise:

1) Unterteilen Einheitsintervall [0, 1] in n Teilintervalle Ij := [sj−1, sj] mit den

Randpunkten sj := jn, j = 0, 1, 2, . . . und den Mittelpunkten tj :=

i− 12

n, i =

1, 2, . . . .

2) Die Integrale

y(sj) =

∫ sj

0

x(sj − t)x(t) dt

lassen sich mit Hilfe der Rechteckregel unter Verwendung von Funktionswerten

in den Mittelpunkten der Teilintervalle durch die Summen

1

n

j∑i=1

x(sj − ti)x(ti)

annahern.

3) Da in L2(0, 1) Funktionswerte nicht punktweise deniert sind, substituiert

man y(sj) und auch x(ti) durch gewichtete Durchschnitte

yj :=

∫Ij

w1(t)y(t) dt bzw. xi :=

∫Ii

w2(t)x(t) dt

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3. ANWENDUNG DER TIKHONOV-REGULARISIERUNG AUF NICHTLINEARE OPERATORGLEICHUNGEN87

mit geeigneten Gewichtsfkt. w1 bzw. w2 mit∫

Ijw1(t) dt =

∫Iiw2(t) dt = 1.

4) Mit ~x = (x1, x2, . . . , xn)T und ~y = (y1, y2, . . . , yn)T sowie

F (~x) :=1

n

j∑i=1

xj+1−ixi,

so lasst sich die inkorrekte nichtlineare Integralgleichung durch das entsprechen-

de schlechtkonditionierte nichtlineare Gleichungssystem

F (~x) = ~y, ~x ∈ D ⊆ Rn, ~y ∈ Rn (22)

annahern, wobei

D := ~x ∈ Rn : xi ≥ 0, i = 1, 2, . . . , n

als Denitionsbereich betrachtet werden soll, um negative Losungen auszuschlie-

en.

5) Die auf der Losung des nichtlinearen Optimierungsproblems

Tα(x) := ||F (~x)− ~yδ||2H2+ α||~x− ~x∗||2H1

= min!, x ∈ D,

beruhende Tikhonov-Regularisierung liefert dann fur einen Referenzvektor ~x∗

und genugend groes α > 0 wieder stabile Naherungslosungen ~xδα von (22).

3.3.2. Levenberg-Marquardt-Methode. Wir betrachten wieder die nichtlineare

Operatorgleichung (20):

F (x) = y, x ∈ D ⊆ H1, y ∈ H2,

wobei die rechte Seite nur bis auf das Fehlerniveau δ > 0 bekannt ist, d.h. ||y−yδ||H2 ≤δ. Wir suchen deshalb ein Element a∗ ∈ H1, das ||F (x)− y||H2 minimiert.

Vorgehensweise:

1) Als Startwert a0 ∈ D(F ) wird ein beliebiges zulassiges Element aus dem Deni-

tonsbereich von F gewahlt und das direkte Problem

F (a0) = y0

gelost.

2) Nun wird uberpruft, wie nahe y0 an yδ ist. Ist F Frechet-dierenzierbar, so gilt

F (a0 + h) = F (a0) + F ′(a0)h+ r(a0;h).

Da F (a0) = y0 ist und wir mochten h so wahlen, dass F (a0 + h) = yδ ist, ergibt sich

unter Vernachlassigung des Restglieds:

yδ = y0 + F ′(a0)h ⇐⇒ F ′(a0)h = yδ − y0.

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88 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

3) Diese Operatorgleichung ist i. Allg. inkorrekt gestellt. Deshalb wird auf diese linea-

re Operatorgleichung (die Frechet-Ableitung ist ein linearer Operator!) die Tikhonov-

Regularisierung angewandt und somit ist h die Losung der Gleichung:

(F ′(a0)∗F ′(a0) + αI)h = F ′(a0)

∗(yδ − y0).

4) Nun wird a0+h als neues a0 verwendet und mit Schritt 2) weitergemacht bis F (a0)

nahe genug an yδ herankommt.

Bemerkung 32. Anstelle der Tikhonov-Regularisierung kann auch die Landweber-

Iteration verwendet werden, d.h.

aδn := aδ

n−1 + F ′(aδn−1)

∗(yδ − F (aδn−1)), n ∈ N,

mit einem Startwert a0.

Bemerkung 33. Fur diese Iterationsmethoden gibt es keine globalen Konver-

genzeigenschaften, da das Argument der Frechet-Ableitung sich in jedem Itera-

tionsschritt andert.

3.3.3. Nichtlineare Tikhonov-Regularisierung. Wir suchen die x∗-Minimum-Norm-

Losung der Operatorgleichung F (x) = y zu einem gegebenen Referenzelement x∗ ∈H1. Die nach Tikhonov regularisierten Losungen xδ

α ∈ D werden dabei ausgehend

von den gestorten Daten yδ ∈ H2 mit

||yδ − y||H2 ≤ δ

als Losungen des regularisierten nichtlinearen Extremalproblems

Tα(x) := ||F (x)− yδ||2H2+ α||x− x∗||2H1

= min!, x ∈ D, (23)

zu einem positiven Regularisierungsparameter α > 0 konstruiert.

Voraussetzungen:

(1) Der Denitionsbereich D ⊆ H1 sei konvex.

(2) Der nichtlineare Operator F : D ⊆ H1 → H2 sei stetig und schwach ab-

geschlossen. Auerdem besitze F fur alle x ∈ D eine Frechet-Ableitung

F ′(x).

(3) Zur exakten rechten Seite y ∈ H2 existiere wenigstens ein x0 ∈ H1 mit

F (x0) = y.

Definition 19. Ein nichtlinearer Operator F : H1 k D → H2, heit schwach

abgeschlossen, wenn fur xn ⊂ D die schwache Konvergenz der Folgen xn x0

in H1 und F (xn) y0 in H2 die Beziehungen x0 ∈ D und F (x0) = y0 nach sich

ziehen.

Es gilt insbesondere:

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3. ANWENDUNG DER TIKHONOV-REGULARISIERUNG AUF NICHTLINEARE OPERATORGLEICHUNGEN89

Lemma 10. Es sei F : H1 k D → H2 ein auf der oenen Menge S ⊆ D

kompakter Operator, die im Punkt x0 ∈ S Frechet-dierenzierbar ist. Dann stellt

die Frechet-Ableitung F ′(x0) ∈ L(H1, H2) ebenfalls einen kompakten Operator

dar.

Wir kommen nun zum regularisierten nichtlinearen Extremalproblem zuruck:

Lemma 11. Unter den formulierten Voraussetzungen besitzt das regularisierte

nichtlineare Extremalproblem (23) fur alle yδ ∈ H2 und α > 0 wenigstens eine

Losung xδα ∈ D.

Beweis: Man bilde eine Folge xn ⊂ D, so dass Tα(xn) ≤ infx∈D

Tα(x) + ηn und

limn→∞ ηn = 0, dann sind auch die Folgen

||F (xn)− yδ||2H2 und ||xn − x∗||2H1

sowie wegen∣∣||F (xn)||H2 − ||yδ||H2

∣∣ ≤ ||F (xn)− yδ||H2 auch

||F (xn)||H2 und ||xn||H1

beschrankte Folgen. Deshalb gibt es eine schwach konvergente Teilfolge xnk x ∈ D

mit F (xnk) → y. Wegen der schwachen Abgeschlossenheit von F gilt y = F (x) und

damit

||x− x∗||H1 ≤ lim infk→∞

||xnk− x∗||H1

und

||F (x)− yδ||H2 ≤ lim infk→∞

||F (xnk)− yδ||H2 .

Wegen

Tα(x) ≤ lim infk→∞

Tα(xn) = infx∈D

Tα(x)

ist dann x = xδα eine Losung des Extremalproblems. #

Analog zeigt man die Stabilitat der regularisierten Losungen xδα bezuglich kleiner

Storungen in den Daten: Gilt yδn → yδ0 in H2, so gibt es in der Folge regularisierter

Losungen xδnα eine in H1 konvergente Teilfolge, und das Grenzelement jeder solchen

konvergenten Teilfolge ist eine regularisierte Losung xδ0α .

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90 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

Satz 32. Die Regularisierungsparameter α = α(δ) seien derart gewahlt,

dass

α(δ) → 0 undδ2

α(δ)→ 0 fur δ → 0

gilt. Dann hat unter den formulierten Voraussetzungen an F fur δn → 0

jede Folge xδnαn

von Losungen des regularisierten Extremalproblems

Tα(x) := ||F (x)− yδ||2H2+ α||x− x∗||2H1

= min!, x ∈ D,

mit δ := δn, ||yδn−y||H2 ≤ δn, und α := αn = αn(δn) eine in H1 konvergen-

te Teilfolge, deren Grenzelement eine x∗-Minimum-Norm-Losung der

Operatorgleichung F (x) = y darstellt.

Beweis: Es sei xmn eine x∗-Minimum-Norm-Losung von F (x) = y. Dann gilt fur die

Elemente der Folge xδnαn regularisierter Losungen die Ungleichung:

Tαn

(xδn

αn

)= ||F

(xδn

αn

)− yδn||2H2

+ αn||xδnαn− x∗||2H1

≤Tαn(xmn) = ||F

(xδn

mn

)− yδn||2H2

+ αn||xδnmn − x∗||2H1

≤ δ2n + αn||xmn − x∗||2H1

,

dann ist die Folge F(xδn

αn

)− yδn und mehr noch die Folge F

(xδn

αn

) in H2 be-

schrankt, d.h. es gibt eine schwach konvergente Teilfolge F(x

δnkαnk

) y und wegen

der Eindeutigkeit des schwachen Grenzwerts y = y. Insgesamt erhalt man daraus,

dass F(x

δnkαnk

) y und∣∣||F (xδn

αn

)− y||H2 − ||y − yδn||H2

∣∣2 ≤ ||F(xδn

αn

)− yδn||2H2

≤ δ2n + αn||xmn − x∗||2H1

also

||F(xδn

αn

)− y||H2 ≤

√δ2n + αn||xmn − x∗||2H1

+ δn → 0

fur n→∞, also die schwache und Normkonvergenz und damit die Konvergenz

F(xδn

αn

)→ y fur n→∞.

Aus

αn||xδnαn− x∗||2H1

≤ δ2n + αn||xmn − x∗||2H1

⇐⇒ ||xδnαn− x∗||2H1

≤ δ2n

αn

+ ||xmn − x∗||2H1

und limn→∞

δ2n

αn= 0 fur n→∞ gilt

lim supn→∞

||xδnαn− x∗||H1 ≤ ||xmn − x∗||H1 .

Da nun xδnαn beschrankt ist, haben wir eine schwach konvergente Teilfolge x

δnkαnk

x ∈ D fur k → ∞. Die schwache Abgeschlossenheit von F liefert dann F (x) = y.

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3. ANWENDUNG DER TIKHONOV-REGULARISIERUNG AUF NICHTLINEARE OPERATORGLEICHUNGEN91

Wegen xδnkαnk

− x∗ x− x∗ ist

||x− x∗||H1 ≤ lim infk→∞

||xδnkαnk

− x∗||H1 ≤ lim supk→∞

||xδnkαnk

− x∗||H1 ≤ ||xmn − x∗||H1

und somit x selbst x∗-Minimum-Norm-Losung ist. (Im Allgemeinen ist x 6= xmn!)

#

Wie im Fall der linearen Tikhonov-Regularisierung lassen sich Konvergenzraten nur

durch Quelldarstellungen erreichen. Es gilt

Satz 33. Es sei xmn eine x∗-Minimum-Norm-Losung der nichtlinearen

Operatorgleichung (20) mit

||F ′(x)− F ′(xmn)||L(H1, H2) ≤ L||x− xmn||H1 fur alle x ∈ D. (24)

Dann gilt unter den formulierten Voraussetzungen an den Operator F

fur eine a priori Parameterwahl α = α(δ) ∼ δ, d.h. es gibt c1, c2 > 0 mit

c1δ ≤ α(δ) ≤ c2δ, fur alle betrachteten δ > 0, die Fehlerabschatzung

||xδα − xmn||H1 ≤ C

√δ

fur eine Konstante C > 0, falls xmn eine Quelldarstellung der Gestalt

xmn − x∗ = F ′(xmn)∗w, w ∈ H2 (25)

mit

L||w||H2 < 1 (26)

erfullt.

Beweis: Zunachst gilt wiederum

Tα(xδα) = ||F (xδ

α)− yδ||2H2+ α||xδ

α − x∗||2H1≤ Tα(xmn) ≤ δ2 + α||xmn − x∗||2H1

,

welche

||F (xδα)− yδ||2H2

+ α||xδα − xmn||2H1

=

= ||F (xδα)− yδ||2H2

+ α||xδα − x∗||2H1

−α||xδα − x∗||2H1

+ α||xδα − xmn||2H1

≤≤ δ2 + α

(||xmn − x∗||2H1

+ ||xδα − xmn||2H1

− ||xδα − x∗||2H1

)= δ2 + 2α〈xmn − x∗, xmn − xαδ〉H2

nach sich zieht. Wegen (24) und der Taylorreihenentwicklung F (xδα) = F (xmn) +

F ′(xmn)(xα − xmn) + rδα(xδ

α, xmn) gilt ||rδα||H2 ≤ L

2||xδ

α − xmn||2H1also

||F (xδα − F (xmn)− F ′(xmn)(xδ

α − xmn)||H2 ≤L

2||xα − xmn||2H1

.

(grobe Begrundung: Sei f einfach eine Funktion, dann ist die Taylorreihe

f(xδα) = f(xmn) + f ′(xmn)(xα − xmn) + rδ

α(xδα, xmn),

Page 92: PD Dr. Swanhild Bernstein, TU Bergakdemie reibFerg ...bernstei/InvProbl/InvProbl_SS2007.pdf · spinresonanz (engl. nuclear magnetic resonance, NMR). Hier nutzt man die atsacThe, dass

92 3. REGULARISIERUNGSMETHODEN

wobei das Restglied

rδα =

1

2f ′′(ξ)(xδ

α − xmn)

Dann kann man approximieren:

1

2f ′′(ξ)(xδ

α − xmn)2 ∼ 1

2

f ′(ξ)− f ′(xmn)

ξ − xmn

(xδα − xmn)2 /

L

2|xδ

α − xmn|2.)

Damit folgt unter Berucksichtigung der Quelldarstellung (25)

||F (xδα)− yδ||2H2

+ α||xδα − xmn||2H1

≤ δ2 + 2α〈w, F ′(xmn)(xmn − xδα)〉H2 ≤

δ2 + 2α〈w, (y − yδ) + (yδ − F (xδα)) + (F (xδ

α)−F (xmn)− F ′(xmn)(xδα − xmn))〉H2 ≤

δ2 + 2αδ||w||H2 + 2α||w||H2||F (xδα)− yδ||H2 + αL||xδ

α − xmn||2H1.

Dies wiederum liefert die Ungleichung

(||F (xδα)− yδ||H2 − α||w||H2)

2 + α(1− L||w||H2)||xδα − xmn||2H1

≤ (δ + α||w||H1)2

und schlielich wegen (26)

||xδα − xmn||H1 ≤

δ + α||w||H2√α√

1− L||w||H2

.

Hieraus erhalt man mit c1δ ≤ α ≤ c2δ die Abschatzung

||xδα − xmn||H1 ≤

√δ(1 + c2||w||H2)√c1√

1− L||w||H2

≤ C√δ.

#

Bemerkung 34. Aus obigen Uberlegungen wird auch deutlich, dass wenn die

Voraussetzungen des Satzes erfullt sind, es nur eine x∗-Minimum-Norm-Losung

xmn der Operatorgleichung F (x) = y geben kann.