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Psychische Störungen in der Peripartalzeit
Prof. Dr. med. Michael DettlingMutter-Kind-Einheit Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, CBF
Überblick
I. Postpartale psychische Störungen im ÜberblickII. Postpartale psychotische StörungIII. postpartale DepressionIV. postpartale ZwangsstörungV. Mutter-Kind-Interaktion, BindungsstileVI. Fallvorstellung postpartale DepressionVII. Fallvorstellung postpartale Zwangsstörung
Postpartale psychische Störungen
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind auch zu unserer heutigen Zeit noch hochgradig idealisiert
... sind jedoch jedoch gleichzeitig der „gefährlichste“ Zeitraum im Leben einer jungen Frau (bzgl. Morbidität und Mortalität)
Die peripartale Zeit ist insbesondere eine Zeit massiver Vulnerabilität gegenüber psychischen Störungen, insbesondere affektiver Störungen
Alle postpartalen psychischen Störungen sind auch heute noch mit einem starken Stigma assoziiert
in Folge dessen unterdiagnostiziert und (bislang) kaum systematisch untersucht
Die Häufigkeit postpartaler Störungen
Charakteristika HäufigkeitPostpartaler Blues(„baby blues“)
Traurigkeit, AffektlabilitätErste Woche postpartal
Bis zu 80%
Depression Depressive EpisodeBis zu 12 Monaten postpartal
13-15%
Zwangsstörung Kontamination und Aggression Erste Monate postpartal
mind. 5%!
Psychotische Störung Meist schizomanisches Syndrom Meist in den ersten vier Wochen
ca. 0.2%
Die postpartale psychotische Störung
1 bis 2 / 1000 Wöchnerinnen betroffen, Beginn meist akut in den ersten 1 bis 2 Wochen postpartal
Gekennzeichnet durch meist relativ plötzlich auftretenden „Verwirrtheits-zustand“, formale Denkstörungen, massive Stimmungsschwankungen, Antriebssteigerung, Insomnie
Häufig lebhafte Halluzinationen (sowohl akustische als auch szenische)
Wahn, häufig unter Einbeziehung des Kindes (vom Teufel besessen, existiert gar nicht, Kind des Teufels etc)
Hohes Risiko einer Kindesgefährdung in der akuten Phase, meist rasches Ansprechen auf eine medikamentöse antipsychotische Therapie
Hohes Risiko einer Kindesgefährdung in der akuten Phase
Zunächst meist (kurzfristige) vom Kind getrennte stationäre Behandlung notwendig
Meist rasches Ansprechen auf antipsychotische Therapie. Genaue Diagnostik bzgl. der Ätiologie muss angeschlossen werden (Schizophrenie? BipolareStörung?)
Die postpartale psychotische Störung
Die postpartale Depression
Häufigste postpartale psychische Störung
Bis zu 15% der Frauen betroffen
Depressive Episode im ersten Jahr nach der Entbindung
Häufigster Beginn vier bis acht Wochen nach der Entbindung
Klinik der postpartalen Depression
Niedergedrückheit, Hoffnungslosigkeit, Anhedonie
Affektlabilität
Erschöpftheit, Antriebsmangel
Insuffizienzerleben Kognitive Auffälligkeiten
Schuld- und Schamgefühle Ängste
Gefühl der Gefühllosigkeit Suizidalität
Risikofaktoren
Erhöhte Vulnerabilität
Depression in der Vorgeschichte
Schwieriger Schwangerschaftsverlauf Traumatisch
Erlebter Geburtsverlauf Frühgeburtlichkeit
Fehlende / geringe soziale Unterstützung
Partnerschaftskonflikte
Auswirkungen der postpartalen Depression
Störung der Mutter-Kind-Beziehung
Entwicklungsstörung des Kindes (emotional, kognitiv, motorisch)
Verstärkung von Schuld- und Schamgefühlen
Partnerschaftskonflikte
Kindesmisshandlung, Vernachlässigung
Suizid, Infantizid, „Mitnahme“Suizid
Postpartale Depression und Suizidrisiko
Suizid häufigste Todesursache bei Frauen im ersten postpartalen Jahr
Fast ausschließlich „harte“ Methoden (Sprung aus der Höhe, Erhängen)
Häufig hohes sozioökonomisches Niveau
Bis zu 40-fach erhöhtes Suizid-Risiko erstes Jahr postpartal
5% der Suizidentinnen töten dabei auch ihr Kind
Postpartale Depression und Infantizidrisiko
Gestörte Mutter-Kind-Interaktion resultiert in einer Beziehungsstörung zumKind
Dadurch erhöhtes Risiko für Kindesvernachlässigung und Kindesmisshand-lung bis hin zur Kindstötung
Bis zu 60% postpartal depressiver Frauen haben Infantizidgedanken
Höchstes Risiko eines Kindes/Jugendlichen, getötet zu werden, besteht in den ersten 12 Lebensmonaten (hier meistens die Mutter)
Auswirkungen der mütterlichen Erkrankung
Erkrankte Mütter zeigen eine eingeschränkte Sensitivität und Responsibilität auf kindliche Signale.
Alarmsignale: Ablehnung des Kindes,Übertragen der Kindesversorgung auf andere Familienmitglieder,
Feindseligkeit/Konkurrenzdenken gegenüber dem Kind, Klagen über Verlust der Muttergefühle
Zunahme von Schuldgefühlen und weitere Zunahme der Depressivität
Depression und Mutter-Kind-Interaktion
RückzugWenig expressiver Ausdruck
Weniger körperliche Berührung Mangelnde Kontingenz Geringe SensitivitätWeniger Sprache/keine AmmenspracheFehlende Grußreaktion auf kindliche Blickzuwendung
Vermehrter RückzugGeringes Ausmaß an positivemAffektausdruck Niedriger Aktivitätslevel Erhöhte IrritabilitätErhöhtes ArousalGeringe Selbstregulation/weniger Vokalisation Vermeidung des Blickkontaktes
Verlauf der Depression / Mutter-Kind-Interaktion
Zeit
Depression Interaktionsstörung
Die (lege artis) Behandlung der postpartalen depressiven Störung kann die Mutter-Kind-Interaktionsstörung nicht komplett auflösen.Auch nach Remission der Depression persistiert die Mutter-Kind - Interaktions-störung noch einige Zeit auf geringerem Niveau (siehe Möhler, 2006)!
Folgen für die kindliche Entwicklung
Mütterliche Depressivität 4 Monate postpartal ist ein Prädiktor für behaviorale Auffälligkeiten des Kindes im Alter von 14 Monaten (Möhler et al., 2006). Mädchen und Jungen postpartal depressiver Mütter zeigen im Entwicklungsverlauf seltener Imitationslernen (Hay et al., 2015)
Eine postpartum Depression und folgende depressive Episoden haben direkte Effekte auf die Kognitionsleistungen von Jungen im Alter von 11 Jahren (Hay et al., 2008)
Die mütterliche Sensitivität ist definiert als die Genauigkeit der Mutter in der Wahrnehmung und Interpretation kindlicher Botschaften, die sich im kindlichen Verhalten äußern sowie die Fähigkeit, angemessen, kontingent und prompt darauf zu reagieren. Diese Sensitivität bzw. die Ausbildung/das Erlernen dieser stellt entwicklungspsychologisch einen bedeutenden Aspekt für das Kind dar.
Schlussfolgerungen
Postpartal depressive Mütter zeigen häufig eine gestörte Mutter-Kind-Interaktion
Die Remission der Depression bedeutet nicht automatisch auch eine Verbesserung der gestörten Mutter-Kind-Interaktion!
Es wird angenommen, dass die Qualität der Mutter-Kind-Interaktionund nicht die Vulnerabilität mit Depression per se entwicklungsrelevant für das Kind ist. Die therapeutische Aufgabe ist die MKI trotz Depressivität zu fördern bzw. zu entwickeln.
Die postpartale Zwangsstörung
Prävalenz von mindestens 5% in der Postpartalzeit
Über 30% der von einer Zwangsstörung betroffenen Patientinnen zeigten die Erstmanifestation der Erkrankung in der Postpartalzeit
Ebenfalls ca. 30% zeigten eine Exazerbation einer bekannten Zwangsstörungpost partum
Definition Zwangsgedanken / - handlungen
ZwangsgedankenLästige, aufdringliche Gedanken, bildhafte Vorstellungen und dranghafte Impulse. Personen, die solche Intrusionen erleben, betrachten diese in der Regel als abstoßend, unannehmbar, sinnlos, schwer zu verscheuchen.
ZwangshandlungenSich wiederholende Stereotypien zur Vorbeugung gegen ein objektiv unwahrscheinliches Ereignis, das Schaden bringt Sinnloses, ineffektivesVerhalten.
Postpartale Zwangsstörung – klinische Charakteristika I
Bei der perinatalen Zwangsstörung überwiegen Befürchtungen, die im Zusammenhang mit dem Wohl des Neugeborenen stehen
Am häufigsten Zwangsgedanken, die sich auf Verschmutzung, Kontamination und Infektion des Kindes beziehen
Aber auch aggressive Zwangsgedanken, z.B. das eigene Kind zu erstechen,ersticken, aus dem Fenster zu werfen
Postpartale Zwangsstörung – klinische Charakteristika II
Häufig zunächst (z.T. bizarr wirkende) Vermeidungsstrategien und fließender Übergang zu Zwangshandlungen
Meist Wasch- und Kontrollhandlungen, häufig in ritualisierter Form
Häufig auch Einbeziehung des Kindes in die Zwangshandlungen
Risikofaktoren
Erhöhte Vulnerabilität (in Form einer familiären Belastung)
Schwieriger Schwangerschaftsverlauf
Frühgeburtlichkeit
Erstgebärende
Schwierige / ambivalente Beziehung zur eigenen Mutter
Auswirkungen der postpartalen Zwangsstörung
Entweder massive Distanzierung vom Kind oder Einbeziehung in die Zwangshandlungen bzw. Zwangsrituale
Deutliche Störung der Mutter-Kind-Beziehung
Häufig Entwicklungsstörungen des Kindes (emotional, kognitiv, motorisch, Verhaltensauffälligkeiten)
Dadurch weitere Zunahme der Schuld- und Schamgefühle der Mutter, sehr häufig Entwicklung einer komorbiden Depression