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ISSN 0341-5910 PUBLIKATIONEN ZU WISSENSCHAFTLICHEN FILMEN SEKTION ETHNOLOGIE SONDERSERIE 7 • N U M M E R 1 3 • 1 9 8 9 FILM E 2 718 Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) Rückkehr zum normalen Leben nach einem Erdbeben INSTITUT FÜR DEN WISSENSCHAFTLICHEN FILM • GÖTTINGEN

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ISSN 0341-5910

PUBLIKATIONEN ZU WISSENSCHAFTLICHEN FILMEN

SEKTION

ETHNOLOGIE S O N D E R S E R I E 7 • N U M M E R 1 3 • 1 9 8 9

F I L M E 2 7 1 8

Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) Rückkehr zum normalen Leben nach einem Erdbeben

INSTITUT F Ü R DEN WISSENSCHAFTLICHEN FILM • G Ö T T I N G E N

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Angaben zum Film:

Tonfilm (Komm, deutsch), 16 mm, farbig, 330 m, 30V2 min (24 B/s). Hergestellt 1976, veröffent­licht 1983.

Das Filmdokument ist für die Verwendung in Forschung und Hochschulunterricht bestimmt. Die Aufnahmen wurden im Rahmen des Westirian-Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Dr. T H . M I C H E L , Frobenius-Institut, Frarikfurt, hergestellt. Bearbeitet und veröffentlicht durch das Institut für den Wissenschaftlichen Füm, Göttingen, Dr. F. SIMON; Schnitt: E. FISCHER.

Zitierform:

M I C H E L , T H . : Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) — Rückkehr zum normalen Leben nach einem Erdbeben. Film E 2718 des IWF, Göttingen 1983. Publikation von T H . M I C H E L , Publ. Wiss. Füm, Sekt. E t h n o l , Sonderserie 7, N r . 13/E 2718 (1989), 27 S.

Anschrift des Verfassers der Publikation:

Dr. T H . M I C H E L , V. Portheim-Stiftung, Hauptstr. 235, D-6900 Heidelberg.

P U B L I K A T I O N E N Z U W I S S E N S C H A F T L I C H E N F I L M E N

Sektion B I O L O G I E Sektion P S Y C H O L O G I E • PÄDAGOGIK Sektion E T H N O L O G I E Sektion T E C H N I S C H E W I S S E N S C H A F T E N Sektion M E D I Z I N N A T U R W I S S E N S C H A F T E N Sektion G E S C H I C H T E • PUBLIZISTIK

Herausgeber: H.-K. G A L L E • Redaktion: G. LÖTZ , I. S IMON

PUBLIKATIONEN Z U WISSENSCHAFTLICHEN FILMEN sind die schriftlichen Ergänzungen zu den Filmen des Instituts für den Wissenschaftlichen Film und der Encyclopaedia Cinematographica. Sie enthalten jeweils eine Einführung in das im Film behandelte Thema und die Begleitumstände des Films sowie eine genaue Beschreibung des Filminhalts. Film und Publikation zusammen stellen die wissenschaft­liche Veröffentlichung dar.

PUBLIKATIONEN Z U WISSENSCHAFTLICHEN FILMEN werden in deutscher, englischer oder französischer Sprache herausgegeben. Sie erscheinen als Einzelhefte, die in den fachlichen Sektionen zu Serien zusammengefaßt werden.

Bestellungen und Anfragen an: Institut für den Wissenschaftlichen Film Nonnenstieg 72 • D-3400 Göttingen Tel. (05 51) 2022 04

© Institut für den Wissenschaftlichen Film, Göttingen 1989 ISSN 0341-5910

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EthnoL-Sonderserie 7/13-E 2718

E N C Y C L O P A E D I A C I N E M A T O G R A P H I C A Editor: H.-K. GALLE Coeditores: D . G . BURKERT

E FUCHS

THOMAS M I C H E L , Frankfurt:

Film E 2718

Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) Rückkehr zum normalen Leben nach einem Erdbeben

Verfasser der Publikation: THOMAS M I C H E L

M i t 8 Abbildungen

Inhalt des Films:

Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) — Rückkehr zum normalen Leben nach einem Erdbeben. Katastrophenbewältigung nach einem Erdbeben: Anlegen neuer Pflanzungen; Bestat­tung eines Kindes; Abwehrzauber; Neubau eines sakralen Männerhauses (Bewirtung der Helfer, Einbringen der sakralen Grabstöcke und der Ahnenschädel); Jagen; Sammeln; Krankenheilung.

Summary of the Film:

Eipo (West New Guinea, Central Highlands) — Return to Every-day Life after an Earthquake. Overcoming an earthquake disaster: laying down new plantations; burying a child; aversive magic; building a new sacral men's house (distribution of food to the workers, placing of the sacred digging-sticks and the sculls of the ancestors); hunting; collecting; treating the sick.

Résumé du Film:

Eipo (Nouvelle-Guinée occidentale, hautes terres centrales)—Retour à la vie normale après un tremblement de terre. Les habitants surmontent la catastrophe d'un tremblement de terre: mise en culture de nouvelles plantations; enterrement d'un enfant; magie répulsive; construction d'une nouvelle maison sacrée des hommes (distribution de nourriture aux travailleurs, déposition du bâton à fouir sacré et des crânes des ancêtres); chasse; cueillette; traitement des malades.

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EthnoL-Sonderserie 7/13 - E 27IS

Allgemeine ^rbemerkungen

Einführung1

Die Hochtäler der Flüsse Eipomek und Famek, in denen eine Serie von Forschungsfilmen entstanden ist, liegen an der Nordseite des zentralen Gebirgsmassivs, das die große Insel Neuguinea von West nach Ost durchzieht, im Osten der indonesischen Provinz Irian Jaya (4 0 25 ' -4 ° 27' s. Br. und 139 ° 57'-140 0 05' ö. L.). Die Einheimischen, die Eipo und die Fa, siedeln hier auf Höhen von ca. 1400-2 300 m, begrenzt durch z.T. mehr als 3 000 m hohe Bergzüge ( H E L M C K E [4] ; Röixund Z I M M E R M A N N [7]). Es ist eine relativ un­wirtliche tropische Gebirgsregion, kühl, nebelig und regnerisch, mit Temperaturen zwi­schen 13 (in der Nacht) und 21 °C (am Tage) und mit Regenmengen von etwa 6 000 bis 7000 mm pro qm im Jahr ( H O F F M A N N und H O F F M A N N [6]). Diese Region ist das Forschungsgebiet des Schwerpunktprogramms (SPP) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „mtercHsziplinäre Erforschung von Mensch, Kultur und Umwelt im zentralen Hochland von West-Irian (Neuguinea)". Die Pläne für das Projekt wurden seit 1972 in der Abteilung Südsee des Berliner Museums für Völkerkunde, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, erarbeitet. Die Zielsetzung dieses SPP ist die möglichst ausführliche und systematische Dokumentation der Bevöl­kerung, ihrer Kultur und ihres natürlichen Lebensraumes. Eine Anzahl koordinierter Einzeluntersuchungen durch Wissenschaftler der fachlich zuständigen biowissenschaft­lichen, geisteswissenschaftlichen und geowissenschaftlichen Disziplinen ist bereits zwischen 1974 und 1980 durchgeführt worden. Das nunmehr am intensivsten erforschte Gebiet ist das südliche Eipomek-Tal. Die dortigen Einheimischen akzep­tieren die Expeditionsteilnehmer (aus Berlin und der weiteren Bundesrepublik Deutschland) freundschaftlich, so daß gerade auch die human- und geisteswissenschaft­lichen Forschungen in diesem noch weitgehend intakten „neolithischen" Kulturbereich unter besonders günstigen Voraussetzungen durchgeführt werden. Die Bewohner der Hochtäler sind nach anthropologischer Definition Pygmäen (BÜCHI

[2] ), mit einer Körperhöhe von weniger als 150 cm. Sie haben hellbraune bis dunkelbrau­ne Haut und dunkelbraunes bis schwärzliches Kraushaar. Abgesehen vom Kleinwuchs sind sie der nichtaustronesisch sprechenden Bevölkerung Neuguineas ähnHch. Trotz des geringen Eiweißgehaltes ihrer Nahrung sind diese Bergbewohner in gutem Gesundheitszustand, muskulös und vital. Sie sind recht aktiv, spontan, schnell im Entschluß und in der Durchführung und zu erstaunlichen Leistungen bei erheblicher Ausdauer fähig. Dem europäischen Gast erscheinen sie intelligent und sehr auffas­sungsfähig, recht gutartig und liebenswert, doch sie können auch heftig reagieren und sind durchaus zu (traditionsbedingten) bewaffneten Auseinandersetzungen bereit. Die Bevölkerung der Hochtäler gehört zur Mek-Sprachfamilie, deren Existenz und geographische Ausdehnung erst während der Forschungen erkannt worden sind ( S C H I E F E N H Ö V E L [9]). Die von ihr besiedelte Region Hegt zwischen den Siedlungsge­bieten der YaH im Westen und der O k im Osten. Die Bewohner des Eipomek- und des Famek-Tales zählen zu den „Berg-Papua" (Hoch­land-Papua), dunkelhäutigen und kraushaarigen Populationen (z.T. gleichfaUs

1 Dieses Kapitel wurde von G . K O C H und W . SCHIEFENHÖVEL verfaßt.

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Pygmäen), die weithin im zentralen Hochgebirge anzutreffen sind und in Höhenlagen zwischen 1000 und 2 500 m siedeln. Diese Altbevölkerung lebt seit mehr als 10 000

Jahren im Bergland von Neuguinea, zunächst als Wildbeuter, vor einigen tausend Jah­ren zum Anbau übergehend und seit mehr als drei Jahrhunderten die Süßkartoffel kulti-

Abb. 1. Die Eipomek-Region im zentralen Bergland von Neuguinea

vierend, die als besonders gut geeignete Kulturpflanze in dieser unwirtlichen Gegend dann auch größere Bevölkerungszahlen (in einzelnen weiten Hochtälern einige Zehn­tausende) zuläßt. Die Kulturen dieser Berg-Papua sind einander recht ähnhch, so daß man von einer „Hochlandkultur" sprechen kann. Die materielle Ausrüstung ist im all­gemeinen schlicht. Auf Kleidung wird weitgehend verzichtet. Die Subsistenzwirtschaft beruht auf dem Grabstockanbau, auch mit Terrassenanlagen. Die GeseUschaftsstruktur ist „segmentär" (Aufgliederung in exogame Sippen und weitere Untergruppierungen), patrilinear orientiert und ohne soziale Schichtung. In der Religion ist der Ahnenkult von besonderer Bedeutung. In dieses Schema passen die Eipo und die Fa durchaus. Kulturell stehen sie den östlichen Nachbarn der Mek, den Ok, nicht sehr fern. Sie siedeln im Zentrum der Mek-Region und zugleich im Grenzgebiet zwischen den östlichen und den westlichen Mek ( H E E S C H E N [3] ). Gemessen an der geringen Bevölkerungszahl (jeweils unter 1000) und an ihrem auffallend schlichten Kulturbesitz kann man sie aber auch als Randgruppen bezeichnen. Abgesehen von einzelnen Stahlbeilen, Buschmessern und Schmuckobjekten ist diese Be­völkerung zu Beginn der Forschungsarbeiten (Juli 1974) unbeeinflußt von westlicher Zivilisation. Infolge von Hilfsmaßnahmen nach zwei schweren Erdheben (Juni und Oktober 1976) und durch den anschließend beginnenden Einfluß der amerikanischen fundamentalistischen UFM-Mission setzt indessen ein weitreichender Kulturwandel ein.

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Die Berge, die mit ihren Flanken und bisweilen senkrechten Steilstufen diese Täler abschließen, haben alpinen Charakter. Es ist ein Waldland, mit weiten Bergwäldern immergrüner Laubbäume ( H I E P K O und S C H U L T Z E - M O T E L [5]). Die teilweise stark geneigten Hänge werden von der Bevölkerung ebenso geschickt zum Anbau von Knol¬lenfrüchten und Gemüse genutzt wie der Talboden. Die Gartenanlagen sind z.T. recht ausgedehnt. Die Männer (und auch Frauen) legen Hochbeete mit Entwässerungssy­stemen an. Weithin werden die Hänge mit Terrassenanlagen überzogen. Die intensive Arbeit eines jeden Tages gilt der Produktion von Süßkartoffeln (Ipotnoea batatas). Doch auch Taro (Colocasia esculenta), Zuckerrohr (Saccharum officinarum), Bananen (Musa sp.) und etliche verschiedene Arten von Gemüse werden gepflanzt. Zudem kul­tiviert man Tabak (Nicotiana tabacum). Die Garten werden zumeist auf sekundärem Grasland angelegt, d.h. in Tal­abschnitten, die bereits früher bestellt worden sind, dann aber bis etwa 15 Jahre lang brach gelegen haben. Bisweilen rodet man auch primären Bergwald, um Gartenland zu gewinnen. Die Ausrüstung dafür ist denkbar einfach. M a n gebraucht allein das Steinbeil (vom Gebrauch der wenigen Stahlwerkzeuge abgesehen) und den hölzernen, roh geschnitzten Grabstock, zudem Transportnetze aus Bastfasern. Während die Frauen kontinuierlich wirken (vor allem zur UiLkrautbekämpfung) und die Erntelasten heimtragen, leisten die Männer vor allem die Schwerarbeit des Rodens und Terrassie-rens. Die Sammelwirtschaft hat geringere Bedeutung. Die Frauen und Mädchen sammeln Larven, Insekten, Frösche, Eidechsen und andere Kleintiere und gelangen so in den Genuß des derart gewonnenen Eiweißes. Da die Säugetierfauna — wie in ganz Neu­guinea — relativ artenarm und zudem in diesen Hochlagen zahlenmäßig gering ist, hat die Jagd wenig Bedeutung. Sie wird vor allem vor großen Festen betrieben, bei denen die Besucher, die in Handels- und Heiratspartnerschaft stehen, nach einem Tanz groß­zügig bewirtet werden. Bogen und Pfeile sind die Jagdwaffen (ebenfalls zum Kampf genutzt, mit z.T. anderen Pfeiltypen). Nagetieren und Vögeln stellt man auch mit Fallen nach ( B L U M [1]). Die Tierhaltung ist auf Hund und Schwein beschränkt. Ersteren (Canis lupus f. fami-liaris [LINNÉ]) braucht man verschiedentHch zur Jagd, vernachlässigt ihn jedoch meist. Das Schwein (Sus scrofa vittatus [BOIE] 1 ) wird kaum als FleiscHieferant betrachtet. Es ist vielmehr zeremoniales Wert- und Tauschobjekt. Zudem existieren sippenspezifische Schweineverzehrtabus, denen zufolge z. B. im oberen Eipomek-Tal über die Hälfte der Bevölkerung (die sich auf das Schwein als Ahnherrn zurückführt) kein derartiges Fleisch essen darf. Infolge bestimmter traditioneller Teclmiken (z. B. der Nutzung von Gestein — als Beil­klingen, Messer und Schmuck [Nasenstäbe] — mit der Fertigung durch Schleifen und Polieren) kann die materielle Kultur dieser Bevölkerungsgruppen „neoHthisch" genannt werden. Trotz aller Abhängigkeit von einer relativ unwirtlichen Umwelt begnügen sich diese Hochgebirgsbewohner mit einem Minimum an Ausrüstung. Sie sind dem Klima gut angepaßt und verzichten weitgehend auf Kleidung. Während den Männern Leib-

1 Die botanischen Bezeichnungen sind HIEPKO und SCHULTZE-MOTEL [5], die zoologischen W. SCHULTZ, Kiel , zu verdanken.

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binden aus Blattstreifen und Rotan-Wickelgürtel sowie Penishüllen ausreichen, tragen die Mädchen und Frauen kleine Schurze aus gekürzten Sumpfriedstengeln. Schmuck ist indessen relativ reichlich vorhanden. Unter Berücksichtigung des gesamten „Arsenals" von Kleidung und Schmuck, von Beilen, Messern, Schnitzwerkzeugen, Pfriemen, Bogen, Pfeilen, Brustpanzern, Grabstöcken, Netzen, Reibsteinen, Feuerzangen, Was­serbehältern usw. weist aber die gesamte „materielle Kultur" hier kaum 7 0 Objektty­pen auf. Doch selbst bei der Produktion solch schhchten Gutes ist man nicht autark. Stembeilklingen und komplette Beile, Bogenholz, Bambus, Orchideenbast und Vogel­federn (vom Paradiesvogel und vom Kasuar) u. a. müssen aus den Nachbarregionen im Süden und Norden, Westen und Osten im Tauschhandel besorgt werden. Diesen Menschen — mit hoher geistiger Beweglichkeit und recht pragmatischer Einstel­lung — genügen auch die sehr schlichten Hütten- und Hausbauten (aus Pfosten, Latten und Planken mit einem Minimum an Aufwand mit Rotanstreifen zusammengebundene Konstruktionen), die von Anspruchslosigkeit, weitgehender Anpassung an die karge Umwelt und wenig Interesse an Perfektion und Weiterentwicklung zeugen. Jede Sied­lung besteht aus einer Anzahl solcher Rundhütten. Z u einer Dorfschaft gehören etwa 10—30 (vereinzelt auch wesentlich mehr) Familienhütten, mindestens ein Männerhaus, das auch „Tempelfunktion" haben kann, und eine bis zwei Frauenhütten, die vor allem Menstruations- und Geburtsstätten sind (G. und W. S C H I E F E N H Ö V E L [8]).

Die Siedlungen Hegen — überwiegend als Haufendörfer (mit durchschnittHch 30—140, vereinzelt auch mit erhebhch mehr Bewohnern) — zur bestmögHchen Verteidigungsbe­reitschaft zumeist auf Anhöhen in dem zerklüfteten Gelände. Sie sind poHtisch, sozial und wirtschaftUch autonome Einheiten, aUenfaUs mit anderen Dorfschaften verbündet; permanente Feindschaften können zu weiteren Dörfern bestehen. Erscheint die Bevölkerung dieser Hochtäler kultureU und sprachHch einheitHch, so ist sie poHtisch weitgehend zerspHttert. Die soziale AufgHederung ist indessen noch vielfäl­tiger. Nach ihrer Abstammung orientiert, gehört die Bevölkerung eines Hochtales (wie z.B. die ca. 8 0 0 Bewohner des oberen Eipomek-Tales) etkchen Sippen pattilinearer Deszendenz an, die weit über die Region verstreut sind. Heiratsregeln (Exogamie) und unterschiedHche Tabus (z.B. Speiseverzehrtabus, Schweine u.a. Tiere betreffend) werden von den jeweiHgen Sippenangehörigen in den verschiedenen Landesteilen als unverletzHch anerkannt. In den Dorfschaften haben indessen die Untersippen eine größere Bedeutung, vor aUem den Landbesitz und dessen Nutzung betreffend. Die Ehe ist überwiegend monogam (verschiedentHch auch polygyn; Polyandrie ist selten); man siedelt im allgemeinen virilokal. Die Jungen werden im Alter von etwa 5—16 Jahren in einer mehrtägigen Zeremonie initnert. Danach dürfen sie die Männerhäuser betreten, werden jeweils einem solchen zugeordnet und unterHegen nunmehr einer Vielzahl von Tabus. Diese segmentären Gesellschaften, die auch „akephal" genannt werden, haben kein ausgeprägtes Führungssystem. Häuptlinge sind unbekannt. Es gibt nur führende Männer mittleren Alters, die auf die jeweiHge Männerhaus- und Dorfgemeinschaft gewissen Einfluß haben, jedoch eher empfehlen als befehlen können. Sie zeichnen sich durch besondere geistige und/oder körperHche Fähigkeiten aus, wirken als Initiatoren und Organisatoren und übernehmen besondere Rollen bei sakralen Zeremonien. Der­artige Positionen werden nicht vererbt, und die führenden PersönHchkeiten können

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nicht sicher sein, solchen Einfluß über einen langen Zeitraum zu behalten. In dieser un­geschichteten Gesellschaft, in der jedermann einen erheblichen Freiraum genießt, ande­rerseits aber auch sorgsam die traditionsbedingten Grenzen beachtet, haben außer den führenden PersönHchkeiten die heilkundigen Männer und Frauen und die Seher heraus­gehobene Stellungen. Die Männerhausgemeinschaft ist zugleich eine Kultgemeinschaft, vor allem in den sakralen Männerhäusern, in denen die mit Reliquien und mit dem materiellen Erbe der Ahnen gefüllten heiligen Netze oder andere heilige Gegenstände bewahrt werden. Der Ahnenkult beruht auf dem Glauben an die Ahnherren (z.B. Mond, Sonne, Schwein, Hund), die als großartige Urzeitwesen die Weltordnung begründet haben; auf sie führen die Sippen jeweils ihren Ursprung zurück. Im übrigen sind diese Bergbewohner von der Existenz der Totengeister und verschiedener Naturgeister überzeugt. Ihnen gelten zahlreiche Zeremonien — zur Abwehr und zur Hilfe im Gartenland wie auch zur Behandlung von Kranken, für den Jagderfolg und bei etlichen anderen Unterneh­mungen. Die in den Mythen, den sakralen Formeln und den Gesängen deutlich werdenden Gedanken und Metaphern bezeugen den geistigen Reichtum dieser Kultur.

Das Erdbeben und seine Auswirkungen für die Eipo

Das erste der über Monate andauernden Beben ereignete sich am 26. 6.1976, nachts gegen 4 Uhr Ortszeit. Z u dieser Zeit befand ich mich in meiner Hütte und wurde, wie die übrigen Dorfbewohner von Moknerkon gleichfalls, aus dem Schlaf geschreckt. Die Stärke des Bebens erreichte 7,8 auf der Richterskala und hatte verheerende Auswir­kungen, die durch die Hangneigungen noch verstärkt wurden. Weite Hangbereiche rutschten ab und begruben ganze Dörfer unter sich. Einzig die Art der Felsschichtung im engeren Siedlungsbereich von Moknerkon verllinderte ein Abrutschen des Dorfes, das wegen seiner exponierten Lage unterhalb einer Felswand und am Steilhang des Eipomek ständig durch die Nachbeben gefährdet war. Unmittelbar nach dem Beben flohen wir alle zusammen auf ein oberhalb des Dorfes gelegenes Primärwald-Plateau. Große Schwierigkeiten machte der Transport aller Schweine, die in der Dunkelheit unter Lebensgefahr über nachgebende Geröllhalden getragen werden mußten. Das Schwein spielt in der Religion der Eipo eine herausragende Rolle, und die Abstammung des Menschen ist eng an die Entstehung des Urschweines (kwemdina besam) gebunden. Diese Bedeutung und der hohe Wert des Schweines machten solchen Einsatz notwendig. Im Laufe des Tages konnte vom Plateau aus das wahre Ausmaß der Schäden im oberen Eipomek-Tal erkannt werden. Nahezu alle Dörfer waren stark beschädigt. Das Dorf Munggona (zuvor 180 Einwohner) wurde von einer riesigen Geröll- und Felslawine vollkommen verschüttet. Bis auf wenige Personen konnten sich jedoch alle Bewohner rechtzeitig in Sicherheit bringen. Ein Großteil der Gärten (je nach Dorf zwischen 40—90%) war gleichfalls zerstört. Über Rauchsignale gelang es mir, mich bemerkbar zu machen, und konnte so von einem Hubschrauber gerettet werden. Den im Primärwald ziirückgebliebenen Bewohnern von Moknerkon wurden in der nächsten Zeit, ebenso wie den übrigen Eipo, deren Aufenthaltsort durch Rauch der Feuerstellen zu sehen war, Säcke mit Nahrungsmitteln aus dem Hubschrauber abge-

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worfen. Die im Eipomek-Tal verbliebenen vier Projektteilnehmer leiteten sofort nach dem Erdbeben über Funk Hilfsmaßnahmen ein, um der Bevölkerung im weiteren Umkreis medizinische Betreuung zu geben und sie mit den dringend benötigten Nahrungsmitteln zu versorgen. In der Folgezeit wurde das Untersuchungsgebiet durch Pressemitteilungen und Besuche höchster indonesischer Regierungsmitglieder (u.a. Generalgouverneur von Irian Jaya und Präsidentengattin Frau SUHARTO) schnell bekannt. Innerhalb der nächsten Wochen kamen zahlreiche Besucher, Beamte, Reporter, Hilfskräfte und Militär in das Eipomek-Gebiet, die sich häufig nur wenige Stunden im Tal, meist in der Nähe der Basisstation aufhielten. Auch das Militär, in einer Stärke von durchschnittlich 10 Mann, wurde nach nur wenigen Tagen ausgetauscht. Erleichternd für diese Mobilität waren große Hubschrauber mit Nutzlastkapazitäten von 2,5 Tonnen. So konnten die Eipo bis etwa September 1976 ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Es gab jedoch durch die vielen neuen Personen, die meist unvorbereitet und häufig mit Vorurteilen belastet in das Gebiet kamen, ein erheb­liches Konfliktpotential. Die Inflation neuer Geräte und Material führte bei den Eipo zu einer ständig zunehmenden Spannung zwischen diesen Objekten gegenüber Aufge­schlossenen (meist Jugendliche) und den Traditionalisten. So wurden nicht nur Tabus verletzt, sondern Areale besetzt, ohne die Besitzer zu entschädigen, und gelegentlich mußten die Projelctteilnehmer eingreifen, um ernste Konflikte zu verllindern, die durch Nahrungsdiebstahl und Frauenbelästigung entstanden. Solche negativen Kontakte blieben aUerdings weitgehend auf den Umkreis der Basisstation beschränkt und berührten das tägliche Leben in den Dörfern kaum. Hubschrauber landeten nur selten in den Dörfern und stellten aus Sicherheitsgründen die Motoren nicht ab, um bei eventuellen Nachbeben das Gebiet sofort verlassen zu können. Eine erhebliche Gefährdung kam durch die Übertragung von Krankheiten auf die Eipo zu. Durch einige spontan eingereiste Personen verbreitete sich eine Grippe-Epidemie, an der etwa 7 °/o der Gesamtbevölkerung gestorben sind. Die medizinische Versorgung der Eipo war sehr mühsam, da nach den Erdbeben alle Brücken zerstört, die reißenden Flüsse unpassierbar waren und auch Hangbereiche durch Abrutsche und nachge­benden Boden nicht betreten werden konnten. Für eine Wegstrecke, die vor dem Erdbeben in 4 Stunden zurückzulegen war, benötigte man zu dieser Zeit fast zwei Tage, einige Dörfer waren gänzlich abgeschnitten. Durch viele Nachbeben wurden ständig neue Felsabbrüche und Hangrutsche ausgelöst, die eine Beruhigung der Situation verllinderten und die intensive Nahrungsversorgung der Bevölkerung weiterhin erforderlich machten. Im Laufe der Zeit wurde es eine immer dringlichere Aufgabe, die Eipo darauf hinzuweisen, daß sie nur noch eine kurze Zeit lang Nahrungsmittel erhalten würden und sofort mit der Wiederanlage zerstörter Gärten beginnen müßten. Durch die fortwährenden Zerstörungen wuchs die Gefahr einer allgemeinen Lethargie. Zwar gab es immer genügend pragmatische Eipo, die mit ihrer hohen Arbeitsleistung anregend wirkten, aber gerade Jugendliche entzogen sich zuweilen den Anstrengungen (s. Abb. 2 und 3). Traditionell eingestellte ältere Eipo versuchten durch vermehrten Amtischadenzauber die für das Erdbeben verantwortlich gemachten bösen Geister abzuwehren. Projektteil­nehmer wurden zu keiner Phase für das Erdbeben verantwortlich gemacht. Es war auch

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für die Eipo deutlich geworden, daß wir nur durch glückliche Umstände überlebten sowie unsere Geräte und Hütten auch zerstört wurden. Die Eipo suchten natürlich ständig nach Erklärungen für diese Katastrophe, aber aus der eigenen Geschichte war kein gleichschweres Erdbeben überliefert. Verschiedene Dinge wurden dafür verant-

Stunden proTag

Alter 10 20 3 0 4 0 so 6 0 70 in Jahren

• ••• , Durchschnitt :

aller produktiven Personen j

mm^^ Vor dem Erdbeben j _>___ Nach dem Erdbeben j

Abb. 2. Folgen des Erdbebens: Altersspezifische Veränderung der Arbeitsbelastung

wortlich gemacht: ein im Süden wohnendes Geisterpaar war der Auslöser. Dieses Geistergebiet stimmte mit dem Epizentrum des Bebens überein, ca. 15 km südöstlich des oberen Eipomek-Tals. Interessant war auch die Erörterung einer Ausbreitung des Bebens von Norden her: der Norden war für die Eipo die Richtung, aus der unsere Flugzeuge kamen. Im Norden liegen auch die niedrigen, malariaverseuchten Sumpfge­biete des Idenburg-Flusses. Z u diesem Gebiet bestanden die geringsten Kontakte, und der von dort vermuteten Gefahr begegnete man mit der Errichtung von Geisterabwehr-Toren am Rande der Dörfer. Zusätzlich wurden z. B. Gruben ausgehoben, mit Wasser gefüllt und mit kleinen Stämmen überbrückt, auf denen Geister ausrutschen sollten, um zu ertrinken. Ferner wurden überall Abwehrzeichen gemalt, in Bäume gekerbt und Ringe zum Schutz aufgehängt. Während ständig versucht wurde, durch rituelle

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Maßnahmen die Naturkatastrophen zu beeinflussen, war man gegenüber den funda­mentalen Eingriffen in die Kultur hilfloser. So konnten die Eipo kaum verstehen, daß Leute, die sie nie gesehen hatten, ihnen Nahrungsmittel brachten. In ihrem System von Distribution und Redistribution hatte diese anonyme, ohne erkennbaren Anspruch auf

Minuten prolag

Abb. 3. Veränderung der täglichen Dauer wichtiger Arbeitsaktivitäten

Gegenleistung gebrachte, langandauernde und umfangreiche Hilfsbereitschaft keine Entsprechung. Die Eipo fragten stets nach den Dorf- und Personennamen der NahrungsUeferer, um diese mit Ausgleichsgütern besuchen zu können. Diese Entwicklungen dauerten noch im Dezember 1976 an, als die letzten drei Projekt­teilnehmer das Eipomek-Gebiet verlassen mußten, da der Wunsch nach Verlängerung

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von Forschungsgenehrrugungen durch die indonesischen Behörden verweigert wurde. Z u dieser Zeit widmete man sich bereits wieder intensiv der Anbauarbeit, die Nahrungslieferungen nahmen ab. Eine Normalisierung des täglichen Lebens war auch daran zu erkennen, daß Anfang Dezember die erste Frau ihr neugeborenes Kind annahm, während in den ersten Monaten nach dem Erdbeben alle Neugeborenen von ihren Müttern nicht behalten wurden.

Hintergrund der filmischen Dokumentation bei den Eipo

Z u Beginn meiner Untersuchungen waren die Eipo bereits mit der Technik von Film¬und Fotoapparaten bestens vertraut. Dies ging soweit, daß sie an das rechtzeitige Aufziehen des Federwerks erinnerten. Das Ergebnis der Filmarbeit, d. h. der Einsatz der Teclmik um der Abbildung willen, blieb ihnen verborgen. Gegen das Filmen gab es nur selten Einwand. Geheime Handlungen konnten zu Beginn meines Aufenthaltes jedoch überhaupt nicht gefilmt werden. Alles, was ich aufgenommen habe, ist ehrlich geduldet worden. A n einigen Einstellungen sieht man das Prinzip der teilnehmenden Beobach­tung sogar während der Airmahmen, d.h., die Eipo sprechen in die Kamera oder deuten in eine Richtung. Niemals wurde heimlich aufgenommen oder mit Teleobjek­tiven extremer Brennweite gearbeitet. Die Eipo haben diese Filmarbeit so verstanden, wie es auch für die übrige Dokumenta­tion geplant war: ihre Handlungen und Interessen sollten festgehalten werden, aber sie konnten natürlich jederzeit selbst das Ende der Filmarbeit bestimmen. Wenn sie keinen Grund mehr sahen oder ihnen die Geduld fehlte, weiter aufgenommen zu werden, sind sie gegangen. So konnten Filmairmahmen häufig nur wenige Minuten gemacht werden. Allerdings kamen sie dann später wieder und führten eine Handlung fort. Da die Filmkamera in der Vorstellung der Eipo ein Gerät zum besseren Sehen war, mir die geheimen Handlungen aber verborgen bleiben sollten, beschränkten sich die ersten Filme auf Konstruktionsarbeit (Film E 2708 [21]). Erst nach längerem Aufenthalt und durch das gemeinsame Erlebnis der schweren Erdbeben baute sich ein Vertrauensver­hältnis auf, das dann auch Dokumentationen stark tabuierter Handlungen zuließ, wie z.B. Pflanzzauber (Film E 2706 [19]); Bau eines Männerhauses, dabei besonders das Hereinheben der sakralen Grabstöcke und der Ahnenschädel, Bestattung eines Kindes, Schadenabwehr-Zauber; Baumbestattung einer Frau (Film E 2707 [20]) usw. In keinem Fall wurde bei Kritik auf der Filmarbeit insistiert. So wurde z.B. darauf verzichtet, Aufnahmen in der Nähe des Frauenhauses zu machen oder kranke Frauen zu filmen. Filmaufnahmen wurden niemals gestellt oder auf „Bestellung" gefertigt. Gelegentlich wurden die Eipo jedoch bei Filmwechsel gebeten, eine bestimmte Handlung kurz zu unterbrechen. Sie hatten dafür stets Verständnis, da ich auch nach ihrer Vorstellung möglichst alle Abläufe filmen bzw. „sehen" sollte. Häufig wurde von den Eipo selbst auf Handlungen oder Personen verwiesen, die gerade etwas Wichtiges taten. Ein wesentliches AnHegen meiner Filmarbeit war jedoch, einen Abriß tägHcher Routi­nearbeit, Kornmunikation und die RoUe des Eipo in seiner Umwelt zu geben. Lange Einstellungen eintöniger, anstrengender Arbeiten soUten die Bemühungen der Eipo zur Sicherung ihrer Versorgung in einer unwirtHchen Umwelt aufzeigen. A m besten ist

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dieses Anliegen m.E. in dem Film E 2705 [18], Gartenbauarbeiten im Sumpfgelände, zu erkennen. Der Wunsch, eine Langzeit-Chronologie des täglichen Lebens zu erstellen, konnte wegen der 4 Monate andauernden Erdbeben und Nachbeben, die eine kontinuierliche Arbeit unmöglich machten, nur phasenweise verwirklicht werden. In den Monaten September bis Dezember 1976 ist dies noch am ehesten gelungen. Während der Untersuchungszeit von Ende März bis Mitte Dezember 1976 wurden 1200 m Farbnegativ-Film (16 mm) belichtet, von denen 7 Filmeinheiten zusammenge­stellt und im Institut für den Wissenschaftlichen Film in Göttingen veröffentlicht wurden.

Z u r Entstehung des Films

Unmittelbar nach dem Erdbeben vom 26. Juni 1976 mußte ich mit den übrigen Dorfbe­wohnern fluchtartig die Siedlung Moknerkon verlassen. Einzig Gummistiefel, eine Taschenlampe und das von der Antenne gekappte Funkgerät konnten zu dieser Zeit aus meiner Hütte geborgen werden. Sämtliches Filmmaterial blieb in dicht verschlossenen Leichtmetallkisten in meiner Hütte zurück. Durch die extreme Gefährdung des Dorfbe­reichs und breite, unpassierbare, schlammige Flüsse war es nicht möglich, während der nächsten Wochen dorthin zurückzugehen. Erst nachdem die Steinschläge und Abrutsche der gelockerten Felsformationen infolge zahlreicher heftiger Nachbeben an Intensität verloren, konnten die Geräte aus dem Dorf transportiert werden. So existieren aus den ersten Wochen nach dem Juni-Erdbeben keine Filmaufnahmen. Zur Verfügung stand eine Bolex-H-16-Reflex-Kamera mit Federaufzug und den Objek­tiven Kern-Paillard f 10 mm, f 25 mm, f 50 mm. Es wurden ausschließlich 30-m-Rollen und Farbnegativ-Filmmaterial Eastman Color Negative II (ECN II) bei einer Frequenz von 24 B/s belichtet. Dies entspricht einer angepassten BeUchtungszeit von 1/60 s. Durch Vorschaltung des TagesHchtfilters Kodak Wratten 85 wurde der Film mit 19°DLN beuchtet.

Die Aufnahmen entstanden zwischen dem 7. 9. und 14.12. 1976.

Filmbeschreibung Die ersten Einstellungen wurden im Apri l 1976 von M A N F R E D K R Ü G E R (IWF), Göttingen, aufgenommen. Standort des Schwenks über das obere Eipomek-Tal ist Malingdam, und die Schwenkrichtung verläuft von Norden über Osten nach Süden. Das Dorf Malingdam wurde mit Teleobjektiv aus dem Bereich des Dorfes Moknerkon gefilmt. Den Abschluß der Aufnahmen, die das noch unzerstörte Eipomek-Tal zeigen, bildet die Einstellung mit dem Dorf Moknerkon, von Mumyerunde aus gesehen. Die folgenden Einstellungen lassen das Ausmaß der Zerstörungen im Bereich der Dörfer Kwarelala und Munggona erkennen. Bereits kurze Zeit nach dem Erdbeben werden die Geröllhalden neu bepflanzt. Ein großer Teil des bei starker Sonnenein­strahlung empfindUchen Pflanzgutes vertrocknet auf solchen schattenlosen Geröll­arealen. A m Rande des Dorfes Kwarelala kann man diese negativen Auswirkungen erkennen. Unterhalb der Basisstation bepflanzt L E L A N G eine Geröllhalde mit Stecldingen von Süßkartoffehanken.

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Nach der Arbeit begibt sich Y A N G I P N E R gegen 16.30 Uhr auf den Weg zurück nach Dingerkon. Sie transportiert in ihrem Kopfnetz einige Nahnmgsmittel und Feuerholz, trägt auf der Schulter ihren kleinen Sohn WISEGIL . Bei einer Pause hebt sie ihn mit einem A r m von der Schulter, setzt ihn auf den angewinkelten Oberschenkel und stillt. Auch ihr Mann L E L A N G schließt sich ihr nach Beendigung seiner Arbeit für den Rückweg an.

Abb. 4. Das Erdbeben vom 26. 6.1976 hatte eine Stärke von 7,8 auf der Richter-Skala. Es verur­sachte im steilen Gelände des Eipomek-Gebietes vor allem im Hangbereich der Flüsse, dort wo die meisten Gärten angelegt wurden, erhebliche Zerstörungen

Nach ihrer Arbeit in den noch erhalten gebliebenen Gärten des Ululwul-Gebietes zwischen Malingdam und Bolbirdye bündelt A N I N T O dort Feuerholz und trägt es an einer Schlaufe aus Rinde über dem Kopf in das Dorf Bolbirdye. Ihre Tochter FiNiNTo,die durch Nahrungsmangel und Krankheit stark abgemagert ist, muß im steilen Gartenge­lände getragen werden. Die Tochter von N I R I K T O (Frau des M I N G E ) , TALWALIPTO, ist gestorben. Unmittelbar nach ihrem Tod trägt N I R I K T O das Kind in einem Netz aus dem Dorf Bolbirdye zum westlich gelegenen Brachgebiet Ululune. Dort legen die Männer SAR, E L E B E L E B und U L M A (alle aus Bolbirdye) das Kind in Blattscheiden einer Bananenstaude und wickeln den Leichnam in gestreckter Haltung fest darin ein. Zusammen mit N I R I K T O stehen trauernd und die Bestattung beobachtend beieinander: YOTO, FIBITO, S U G U P T O , S U K T O ,

L E T E R Y A , D I R I R I N G , W A L A N G , B A N U R . In einer grob behauenen Astgabel wird das Bündel befestigt und von E L E B E L E B und SAR in das Brachland getragen. A n einen kleinen Baum wird zum Abschluß das Gestell gebunden.

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Durch eine konzentrierte Behandlung der Dorfbewohner erhofft man sich einen wirk­samen Schutz vor weiteren Zierstörungen und Krankheiten. 1 Zunächst wird ein kleines Stück Holz (yo akola) in die Erde am Rande des Tanzplatzes (kata) vom Dorf Malingdam (Weiler Imarin) gesetzt. Direkt daneben pflanzen einige Männer eine Cordyline (yourye)2. Viele Männer drücken unter ruckartigen Bewegungen Grab-

Abb. 5. Die kleine Tochter von NIRIKTO wird in Bananenblättern eingewickelt und, in einem Geäst festgebunden, am Dorfrand von Bolbirdye bestattet

stock und Gordyline in die Erde, um damit der Handlung eine größere Wirkung zu verleihen. Eine führende Rolle beim Pflanzen der Cordyline übernimmt D E Y A N

aus dem Dorf Dengkon und beim Setzen des Holzes K E L E P K E L E P aus Lomdakne. Nach diesen Behandlungen des Bodens, die eine Abwehr der für das Erdbeben verant­wortlich gemachten Geister darstellen, werden alle Dorfbewohner unter lautstarken Rufen zusammengetrieben und mit Wasser aus den mitgeführten Bambusrohren bespritzt.3

1 Da man den im benachbarten Famek-Tal Wohnenden eine größere Macht über die Eipomek-Geister zutraute, wurden etwa 30 Männer von dort zu dem Abwehrzauber gebeten. 2 Das kleine Stück Holz wurde als stark tabuierter Grabstock (fi mem kamdj bezeichnet. 3 Danach sitzen die Männer noch einige Stunden im Männerhaus und auf dem Tanz­platz beisammen, wobei auch Tausch (mund) mitgebrachter Geräte und Materialien statt­findet.

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In den ersten Einstellungen vom Bau des Männerhauses1 sieht man, wie die unteren Ringbefestigungen (aik afanya) an die Hauspfosten (aikekumna) gebunden werden (7.35 Uhr). Über dieser Ringbefestigung hegen später die Bodenbalken (wanuna) der Wohnplattform. U m 8.20 Uhr befestigt man die mittlere Rundverstrebung (abeling afanya) etwa I m über der Plattform. Während die Arbeiten am Männerhaus mit dem Einschieben der Bodenhauptträger (waningyo) fortgeführt werden, bereiten einige Männer die Nahrungsmittel für die Erdöfen (fito) vor. Die von den Frauen aus Gärten des Dorfes Kwarelala herbeigebrachten Nahrungsmittel umfassen: verschiedene Gemüse wie teyang (Setaria palmifolia, Fam. Gramineae), mula (Rungia klossii, Fam. Acanthaceae), asulye {Oenanthe javanica, Fam. Umbelliferae), junge Farnwedel (balting bok; Cyatbea pilulifera), junge Bananenblätter (kwalye bok; Musa paradisiaca L.), Pilze (lulubyang; Lentinus spec), Süßkartoffeln (kwaning; Ipomoea batatas), Taro (am; Colocasia esculenta), Gewürzblätter (babok; Piper spp.), Ingwer (kuma; Zingiber spec). Männer putzen Taroknollen und bereiten aus Bananenblättern eine Unterlage, auf die schichtweise Gemüse, Knollenfrüchte, Bananenblätter und heiße Steine gelegt werden. Die heißen Steine werden mit Zangen (tauwe) aus der Glut eines Holzstoßes gegriffen. Gegen 9.00 LThr werden die oberen Rundverstrebungen (afanya kwemna) etwa 2 m über der Plattform an die Hauspfosten gebunden. Die Hauspfosten müssen noch auf die Höhe der Rundverstrebung gekürzt werden, denn das Dach liegt an dieser Stelle auf und wird an den Verstrebungen festgebunden. U m 9.05 Uhr können die Erdöfen geschlossen werden, die in etwa 2 Vi Stunden das Gemüse und die KnoUenfrüchte gegart haben. U m 10.00 Uhr setzen alle anwesenden Männer das Dach auf. Diese Arbeit wird durch laute, rhythmische Rufe begleitet und löst auch bei den umstehenden Frauen und Kindern erhebliche Aufregung aus. Die Teil­nahme von zwei alten Frauen 2 gerade bei dieser Arbeit verleiht der Dachaufsetzung eine herausragende Dimension.

1 Der Wiederaufbau des Männerhauses von Kwarelala war eines der größten sakralen Ereignisse während der Nach-Erdbeben-Zeit. Z u m letzten M a l auch konnte damit dieser Vorgang doku­mentiert werden. Bereits kurz nach der Missionierung durch die U F M (Unevangelized Fields Mission) im Jahre 1980 wurde die Institution des sakralen Männerhauses aufgegeben. 1981 waren nur noch die Reste zerfallener Männerhäuser vorhanden (mündliche Mitteilung von VOLKER HEESCHEN, M a i 1982). Die Weiterverwendung alten Materials war nicht nur Folge der Erdbebenzerstörungen, sondern Ausdruck für eine auch materielle Fortführung dieser Institution. Das vom alten Männerhaus abgehobene Dach wird nach der Reinigung von vermoderten Pandanus-Blattresten später auf das neu errichtete Haus gesetzt. Noch in der Morgendämmerung hatte man gegen 5.15 Uhr das alte Dach abgesetzt und zur Seite gelegt. Nachdem das Männerhaus vollkommen abgebaut war und ein das Haus schützendes Bündel aus der Asche unter der Feuerstelle ausgegraben wurde, glättete man zunächst den Boden. Bis etwa 6.30 Uhr war ein großer Teil der Hauspfosten eingerammt. Die Filmaufnahmen beginnen etwa um 6.30 Uhr, denn infolge Lichtmangels waren Aufnahmen erst ab diesem Zeitpunkt möglich. 2 Da erst bei der Filmbetrachtung im IWF die Frauen zu aller Überraschung erkannt werden konnten, fehlt jegliche Information über die Hintergründe. G . K O C H und W SCHIEFENHÖVEL (Film E 2475 [16]) konnten bei der Dokumentation des Männerhausbaus in Munggona gleichfalls die

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Korrekturen der Dachstellung und dessen Befestigung dauern bis ca. 10.45 Uhr. Gegen 10.25 Uhr verarbeiten Männer den von Frauen und Mädchen aus dem Primärwald transportierten Lehm (kera) für die Feuerstelle (asing ukwe). M i t Händen und Füßen wird die Form herausgearbeitet und unter Zugabe von Wasser geglättet. Parallel dazu befestigen andere Männer den Bodenbelag aus Rinde sowie die Seitenverkleidungen. Noch brauchbare Stücke des alten Männerhauses werden wiederverwendet. Gegen 11.20 Uhr ist die Wand des Hauses fertiggestellt, und alle Anwesenden erwarten die Öffnung der Erdöfen. Führende Personen des Männerhauses übernehmen die Vertei­lung der gegarten Nahrungsmittel *. Etwa 100 Männer hocken auf dem Tanzplatz vor dem fast fertiggestellten Männerhaus und essen unter lautstarken, freudigen Kommen­taren. Einige entfernen sich für wenige Minuten und führen die Arbeit am Haus weiter. Gegen 13.00 Uhr sind die gegarten Nahrungsmittel verzehrt, und einige Männer verteilen Zuckerrohr und einige rohe Graspflanzen (batye) an die Besucher 2 . Innerhalb kurzer Zeit brechen die Männer in kleineren Gruppen auf, um rechtzeitig vor der Dunkelheit ihre Dörfer zu erreichen. Die letzten noch am Männerhaus auszuführenden Arbeiten können von wenigen Personen vollendet werden. IMSER trägt die mit trockenen Bananenblättern zusammengebundenen vier sakralen Grabstöcke von einem Aufbewahrungsort am Dorfrand zum Eingang des Männer­hauses. 3 Während er in zeitlupenartigem Gang die Stöcke mit gestreckten Armen vor sich trägt, beobachtet er aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu bewegen, die Umge­bung, um böse Geister durch Blickkontakt rechtzeitig abschrecken zu können. Mit großer Vorsicht reicht er die Grabstöcke durch den Eingang 4 . Wenige Minuten später werden, in krassem Gegensatz zu der vorigen Handlung, unter großer Eile die Netze mit Ahnenschädeln in das Haus gehoben. Beim Bepflanzen einer neuen Geröllhalde richtet sich K A P S A N T O genau nach den Nutzungsrechten und legt über ihrem verschütteten Garten eine neue Pflanzung an. Das Gelände liegt unmittelbar am Rand von Kwarelala, von dem nur noch einige Hütten geblieben sind.

Mitwirkung von Frauen bei der Dachaufsetzung filmen; diese Teilnahme wurde auch erst bei der Sichtung des Filmmaterials erkannt. Nach Aussagen der Eipo war jedenfalls das Mitwirken von Frauen am Männerhausbau streng tabu. Ein weiterer Hinweis auf die eventuelle Bedeutungs­stärke von Dachaufsetzungen kommt aus dem Famek-Tal (mündl. Information von W. N E L K E ) : beim Neubau eines Männerhauses trug man das Dach des alten Hauses über eine weite Entfer­nung und mußte für diesen Transport eine breite Schneise in den Primärwald schlagen. 1 Bereits früh am Morgen mußten Frauen und Mädchen des Dorfes Kwarelala die weit verstreut gelegenen, noch intakten Gärten aufsuchen, um eine ausreichende Menge an Nahrungsmitteln bereitzustellen. Viele Männer kamen aus Nachbardörfern und demonstrierten damit ihre Verbun­denheit mit dem Kwarelala-Männerhaus. In dieser Zeit besonderer Versorgungsengpässe kam der Bekräftigung freundschaftlicher Beziehungen eine hohe Bedeutung zu. 2 Die Zugaben werden später in den Heimatdörfern weiterverteilt. 3 Nachdem alle Besucher Kwarelala verlassen hatten, forderten Männer energisch alle Frauen auf, sich in ihre Familienhütten zurückzuziehen und ihre Augen von den nun durchzuführenden sakralen Handlungen abzuwenden. Einige Männer standen im Dorf verteilt und überwachten die Einhaltung dieser Maßnahme. 4 Die Stöcke werden an der Wand gegenüber des Einganges (Bogenseite, yin tam) hinter einem Ablagebrett festgebunden.

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L E T E R Y A erklettert ohne Hilfsmittel einen ca. 10 m hohen Baum bei Bolbirdye und versucht, mit einem Pfeil Vögel zu schießen. In einer Flugschneise versucht ein Mann, mit dem Pfeilbündel tief fliegende Vögel zu schlagen. FERETO aus Kwarelala sammelt wildwachsendes Gemüse {teyang und baltenga). Die Stengel von Teyang werden in ca. 20 cm langen Stücken in das Brustnetz gesteckt. Nach vollendeter Tagesarbeit begeben sich die Frauen mit schweren Netzen auf den Rückweg in die Dörfer. Sie transportieren dabei: Pflanzgut, Nahrungsmittel, Feuerholz und Kleinkinder. Nicht selten müssen dabei Gewichte bis zu 40 kg auf schwierigen Wegen getragen werden. Aufnahmen des Dorfes Bolbirdye zeigen provisorisch errichtete Hütten. Vor dem Männerhaus (Wiriing aik), das in aller Eile ebenerdig und wegen Materialmangel undicht errichtet wurde, sieht man den ca. 70 Jahre alten L E N G D E . Er stellt einen Ring (doupwe) zur Abwehr von Geistern her. 1

Z u den täglichen Routinearbeiten im Dorf gehören die Pflege von Tabakpflanzen an den geschützten Hüttenwänden sowie die Herstellung und Reparatur der Netze. M a n sieht F O T O N G N E R , die zur Fadenherstellung mit der flachen Hand Pflanzenfasern auf dem Oberschenkel dreht. Während seltener Mußezeiten suchen sich Frauen und Mädchen gegenseitig Läuse aus den Kopfhaaren, spielen mit den Kleinkindern oder pflegen ihre Verletzungen. Während der schweren Grippe-Epidemie führten die Heilkundigen des Dorfes in großem Umfange Antischadenzauber durch. E L E B E L E B bestreicht die Wirbelsäule von K E T I M D E in Höhe der Schulterblätter mit einem Schweinefettbündel (besam kalye). Die eine Krankheit verursachenden Geister sollen damit aus der betroffenen Körperstelle gezogen werden. Dazu werden Zaubersprüche (ninye kwetena yupe) gesagt. S U G U F T O und ein kleiner Junge wippen am Dorfrand von Bolbirdye auf einem gefällten Baumstamm. Beim Werfen mit Graspfeilen üben sich die Knaben A M U M D E , G U M U R W A N

und K E L U M im Ausweichen, Abducken und Zielen. Das Übungsgelände ist ein einige Jahre altes Brachland unterhalb des Dorfes Kwarelala. Nach etwa Vz Stunde Spiel setzen sich die Knaben zu einigen Jugendlichen, die bereits zuvor das Pfeilwerfen kommentiert hatten, und nehmen gemeinsam eine Süßkartoffel-Mahlzeit ein; K E L U M bricht Stücke einer Knollenfrucht ab, die wegen der groben Fasern (Sorte: bangal) nur in Mangel­zeiten gegessen wird. Dabei wird ein Hund mit Speichel und einem kleinen Stück Süßkartoffel aus dem Mund gefüttert. In der nächsten Einstellung geht die hochschwangere K W A L I P N E R mit Bamusrohren und Kalebassen zum Wasserholen in den Primärwald2 und schöpft vom Boden aufgesam­meltes Wasser mit einer Kalebasse in die Bambusrohre. Auf dem Rückweg reicht sie die

1 Beim Anblick solcher Ringe sollen Geister fliehen, da sie sich sonst darin verfangen würden. Eine andere Information zur Bedeutung dieser Ringe erhielt W. SCHIEFENHÖVEL (schriftl. Mittei­lung, M a i 1982): danach symbolisieren die Ringe Totemtiere, die beim Heilzauber eine Rolle spielen. 2 Dabei geht sie nicht zur nächstgelegenen Quelle am Dorfrand von Bolbirdye, sondern zu einer weiter entfernten Wasserstelle. Die Eipo bevorzugen bestimmte Quellen und nehmen dafür auch erhebliche Wege auf sich.

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Behälter an zwei Mädchen weiter, um ihr im Primärwald angepflocktes Schwein zurück in das Dorf zu führen. In Bolbirdye sieht man D I R I R I N G beim Wassertrinken aus einer Kalebasse sowie K O M T O

und SUGUPTO, die etwas Gemüse verzehren. Abends sitzen die Bewohner von Bolbirdye beisammen, unterhalten sich, spielen mit Kindern oder verrichten kleinere Arbeiten. Bereits zu dieser Zeit werden die Feuer in den Hütten entfacht, um die Abendmahlzeit zu bereiten und die Hütten zu erwärmen. K W A L I P N E R aus Moknerkon hält ihren einen Tag alten Sohn D O R I K auf dem A r m . Der Neugeborene Hegt geschützt im Netz auf einer Unterlage aus jungen Farnwedeln und ist noch ungereinigt. In der letzten EinsteUung sieht man das Dorf Bolbirdye kurz vor der Dunkelheit gegen 18 Uhr mit dem die Dächer durchdringenden Rauch der FeuersteUen.

Wortlaut des gesprochenen Kommentars

Einen EinbHck in die intakte Kulturlandschaft des oberen Eipomek-Tales sollen einige Aufnahmen vom April 1976 geben. Z u dieser Zeit war das Eipomek-Tal noch eine lang gewachsene Einheit von Primärwald, Brachland und kultivierten Arealen. Dieses Gebiet bot etwa 600 Menschen eine ausreichende VersorgungsmögHchkeit. Weit­gehend autonome Siedlungen lehnten sich häufig aus strategischen Gründen an steile Hänge an. Dies ist das Dorf Moknerkon. Es wurde, wie viele andere, zwei Monate später zerstört.

Zwischen Juni und Oktober 1976 erschütterten Erdbeben von bis dahin nicht bekannten Ausmaßen das Eipomek-Gebiet. In diesem Zeitraum entstanden die Aufnahmen zu diesem Film. Grüne, fruchtbare Täler, mit Primärwald überzogene Berge wurden innerhalb von Stunden zu einer Stein- und Geröllwüste. Die Steilheit des Geländes verschHmmerte noch die katastrophalen Folgen der Beben. Zahlreiche Dörfer wurden verschüttet, und nur wenig nutzbares Gartenland bHeb für die Überlebenden übrig.

Aus den Trümmern versuchten die Eipo ihr Überleben zu organisieren, ständig in Angst vor den schweren Nachbeben, die gelockerte Felsformationen abstürzen Heßen. In Ermangelung ausreichender Gebiete für den notwendigen Anbau ist man gezwungen, auf den Geröllhalden neu zu kultivieren. Die Arbeiten werden häufig direkt unter gelok-kerten Felskanten ausgeführt, eine äußerst gefährHche Tätigkeit auf dem ständig von Nachbeben schwankenden Boden. Ein Teil des Pflanzgutes geht auf solchen Böden nicht an.

Bei der Auswahl neuer Anbauflächen richtet man sich genau nach den Nutzungs­rechten und der Gartenlage vor dem Erdbeben. Lelang bepflanzt eine Geröllhalde auf dem Gebiet des Dorfes Kwarelala mit Stecklingen von Süßkartoffelranken, nachdem die kurz zuvor von den Frauen gepflanzten kultivierten Graspflanzen, Batye, bereits vertrocknet sind. Es werden noch die verschiedenen Anbaufrüchte getestet.

Bei der ständigen Suche nach den Ursachen dieser Erdbeben — zugleich schwankend zwischen Hoffnung und Verzweiflung — machte man unter anderem böse Geister, die

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Verletzung von Taburegelungen und Missionare für solche dramatischen Entwick­lungen verantwortlich. Das Vertrauen zu den selbst stark betroffenen Projektteilneh­mern wurde dadurch nicht berührt.

Abb. 6. In Ermangelung besserer Areale muß nach dem Erdbeben auch auf Geröllhalden, wie hier bei dem vollkommen zerstörten Dorf Munggona, angepflanzt werden

Yangipner stillt ihren Sohn Wisegil im nun vollkommen zerstörten Areal unterhalb des Dorfes Dingerkon. Einzelne Familien, so auch die Familie von Yangipner, hatten nahezu alle Gärten verloren. Die am stärksten Betroffenen erhielten Unterstützung im Rahmen eines Wirtschafts- und Sozialsystems, das den ständigen Ausgleich unterein­ander ermöglicht.

In dieser Zeit, die von allen den letzten Einsatz fordert, sind auch Männer verstärkt mit Pflanzaktivitäten beschäftigt und entlasten erheblich ihre Frauen. Lelang legt auf einer Geröllhalde, die seinen Garten verschüttete, an der gleichen Stelle eine neue Pflanzung an.

Nach der Arbeit in einem noch teilweise erhaltenen Garten bündelt Ariinto den täglichen Bedarf an Feuerholz. Die Bündel werden, wie auch die Netze, an Schlaufen über dem Kopf getragen. Bei den steilen Wegen hat sie somit immer die Hände frei und kann sich mit einem Stock abstützen. Sie muß ihre durch Nahrungsmangel geschwächte und erkrankte Tochter Fininto im Steilgelände tragen.

Einige der geschwächten Kinder sterben. Nirikto trauert um ihr Kind, das sie unmit­telbar nach dem Tod in ihrem Netz zur Bestattung in das Brachland getragen hat. Männer aus dem Dorf legten den Leichnam in Blattscheiden einer Bananenstaude und wickeln ihn fest ein. A n den Ästen eines schnell behauenen Baumes wird das Bündel

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befestigt, um es vor Hunden zu schützen, intensive Trauer beschränkt sich weitgehend auf die Mutter. Die Schnelligkeit der Bestattung ist durchaus üblich, da man aus Angst vor Totengeistern die Verstorbenen rasch aus dem Wohnbereich bringen muß. Noch in Sichtweite des Dorfes wird das Gestell in das Brachland gesetzt.

Abb. 7. Nur ein kleiner Teil der neuen Anpflanzungen auf den schnell austrock­nenden Geröllhalden konnte ausreichende Ernteerträge bringen

Nach der Erdbebenkatastrophe nehmen schwere Krankheiten und Todesfälle erheblich zu. Als Folge wird in allen vom Erdbeben betroffenen Dörfern umfangreicher Abwehr­zauber durchgeführt. Dabei sollen Schaden verursachende Geister beruhigt und vertrieben werden. A n einer Familienhütte von Imarin, in der kürzlich Menschen gestorben sind, wird ein Pflanzloch für die Gordyline gegraben. Sie soll Geister abwehren und das Dorf bewahren. Viele Männer fassen die Gordyline an, um der Handlung eine größere Wirkung zu verleihen. Ausführende der Handlungen hier in Imarin sind etwa 30 Männer aus dem benachbarten Famek-Tal, die man eigens zu dieser Handlung eingeladen hat, um den Zaubererfolg zu vergrößern. Ein Massen­zauber dieser Größenordnung war bis dahin nicht bekannt und entspricht den Erfor­dernissen einer extremen Krisenzeit. Aus Bambusrohren wird Wasser über die Köpfe der dicht beieinanderstehenden Dorfbewohner gespritzt. Geister, die vor Wasser Angst haben, können dadurch vertrieben werden. Weitere Qjrdylinen werden an den Hütten eingesetzt.

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Nach Beendigung der rituellen Handlungen werden die Ausfuhrenden von den Dorfbe­wohnern bewirtet und erhalten Tabak, bevor sie zu der nächsten Siedlung aufbrechen, um dort ebenfalls den Zauber durchzuführen.

Abb. 8. A m Rande der Siedlungen (hier: Bolbirdye) wurden nach dem Erdbeben Tore zur Abwehr von Schaden verursa­chenden Geistern errichtet. Schlingen als Geisterfallen und Strichzeichnungen sollen abschreckend wirken

Gleichbedeutend mit der Abwehr von Geistern ist die Wiederherstellung des sakralen Männerhauses von Kwarelala, das bei dem Erdbeben erheblich beschädigt wurde. Nachdem auch das bis daliin bedeutendste Männerhaus in Munggona verschüttet wurde, kommt dem Männerhaus in Kwarelala eine führende Rolle zu. Bei dem Wieder­aufbau verwendet man alles noch brauchbare Material des alten Hauses. Auch das Dach blieb vollständig erhalten. Währenddessen werden die unteren Ringbefesti­gungen an den Hauspfosten angebracht. Auf der Höhe dieser Befestigung Hegt später die Wohnplattform.

Aus Anlaß des Hausbaus bereiten die Angehörigen des Männerhauses, trotz Nahrungs­mittelknappheit, ein großes Essen. In mehreren Erdöfen werden KnoUenfrüchte und Gemüse gegart. Währenddessen arbeiten stets einige Männer weiter am Männerhaus, um mit allen Arbeiten innerhalb eines Tages fertig zu sein. Dies erfordert eine arbeits-teiHge Zusammenarbeit und konrinuierHche Tätigkeit.

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Inzwischen ist die Wohnplattform angelegt und die das Dach tragende obere Ringbefe¬stigung fertiggestellt, während die Erdöfen mit Bananenblättern abgedeckt werden. Die im Feuer erhitzten Steine legt man mit Hilfe von Zangen auf die Blätter.

Alle anwesenden Männer setzen unter lautstarken Kommentaren das Dach auf die Pfosten. Die Arbeit der Frauen beschränkt sich auf die Herbeischaffung von Lehm für die Feuerstelle. Äußerst bemerkenswert ist die Teilnahme von zwei alten Frauen an der Dachaufsetzung. Die Frauen sind rechts auf der Steigleiter an ihren Grasröcken zu erkennen. Für Frauen ist sonst der Bereich des Männerhauses streng tabu, und während keiner anderen Phase des Bauens waren Frauen beteiligt.

U m den zentralen Dachpfosten genau über der Feuerstelle auszurichten, wird die Dach­stellung stufenweise korrigiert. Noch nicht initiierte Knaben und die weiblichen Dorf­bewohner verfolgen unterdessen mit Spannung die Aktivitäten. Einige Hauspfosten müssen noch etwas verkürzt werden, um eine stabile und zentrierte Lage des Daches zu erreichen. Der Lehm an der Feuerstelle wird mit Wasser glattgestrichen und in die endgültige Form gebracht. Andere Tätigkeiten, wie das Binden der Bodenstreben und Auslegen der Rinden als Bodenbelag, werden gleichzeitig ausgeführt. Aus dem alten Männerhaus noch brauchbare Rindenstücke werden als Seitenverkleidung verwendet.

Aus den gerade geöffneten Erdöfen bedienen sich alle am Hausbau Beteiligten. Große Gemeinschaftsessen sind bei solchen herausragenden Ereignissen wie dem Männer­hausbau ein unverzichtbarer Bestandteil. Die Risiken einer weiteren Verknappung von Nahrungsmitteln und Pflanzgut nimmt man dabei in Kauf. Führende Personen der Männerhausgemeinschaft übernehmen die Verteilung der besonders begehrten Taro­knollen. Weitere Bestandteile wie Blattgemüse, junge Bananenblätter, Farnwedel, Teyang, Pilze, kultivierte Graspflanzen und Süßkartoffeln stehen zur freien Verfügung.

Nach dem Erdbeben bietet dieser Anlaß den schwer geprüften Eipo die MögHchkeit, ihre freundschaftlichen Beziehungen und auf gegenseitiger Verpflichtung basierenden Bindungen neu zu bestätigen. Anläßlich solcher großen Essen werden von jeder Einzel­person erhebliche Mengen Nahrungsmittel verzehrt. Die abseits stehenden Frauen und Mädchen erhalten davon einen kleinen Teil. Aus weiter Entfernung gekommene Freunde und Verwandte erhalten zusätzlich Knollenfrüchte und Kürbisse sowie Zuckerrohr und zum späteren Verzehr vorgesehene Graspflanzen. Ein Teil davon wird später in den Heimatdörfern weiterverteilt. Dabei wird jeder zufriedengestellt.

Für die Besucher ist nun die Zeit des Aufbruchs gekommen, um rechtzeitig vor der Dunkelheit (gegen 18 Uhr) den bis zu 2 Stunden langen Weg in ihre Dörfer zurückzu­legen.

Die letzten noch auszuführenden Arbeiten am bereits außen fertigen Männerhaus, das nur 4 Tage später bei einem weiteren schweren Erdbeben endgültig zerstört werden sollte, werden dann von der Männerhausgemeinschaft von Kwarelala vollendet.

Kurz vor der Dunkelheit trägt Imser die sakralen Grabstöcke, die aus dem alten Männerhaus stammen und zwischenzeitlich verborgen aufbewahrt wurden, in extrem langsamem Gang zum Männerhaus. Unachtsamkeit würde den Nahrungsmangel noch

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vergrößern. — Imser wurde 4 Tage später bei einem neuen Erdbeben getötet. — Behutsam werden die Grabstöcke durch den Eingang gereicht. Aufmerksame Blicke sollen böse Geister abwehren, während die heiligen Netze mit den Ahnenschädeln in das Haus gehoben werden.

Ein neuer, von einem weiteren schweren Erdbeben ausgelöster Erdrutsch forderte das Leben von 18 Personen. A n dieser Stelle, die nun neu bepflanzt wird, befanden sich zuvor Häuser von Kwarelala. Nach weiteren katastrophalen Erdrutschen mußten die Dörfer Kwarelala, Dingerkon und Malingdam zunächst verlassen werden.

Durch vermehrte Jagdaktivitäten versucht man in dieser Zeit extremer Nalrrungsmittel-knappheit einen Ausgleich zu erhalten. In der Hoffnung auf Eßbares versuchen die Männer sogar, Vögel auf ihrer Flugbahn mit einem Pfeilbiindel zu schlagen. Leterya spannt den Bogen und verfehlt mit seinem Pfeil einen Vogel.

Zuckerrohr, Taro, Süßkartoffeln und Graspflanzen werden aus den wenigen noch erhaltenen Gärten als Pflanzgut verwendet. Der Sammeltätigkeit kommt zu dieser Zeit eine größere Bedeutung zu. Die Stengel vom wild wachsenden Teyang werden im Brustnetz gesammelt und gelegentlich auch gleich roh verzehrt.

Das Gewicht der Netze mit Feuerholz, Pflanzgut und Nahrungsmitteln beträgt häufig über 30 kg. Diese schweren Transportarbeiten werden überwiegend von Frauen ausge­führt.

Da man unmittelbar nach dem ersten Erdbeben wieder Nahrungspflanzen angebaut hat, lassen sich 4 Monate später bereits erste Wachstumserfolge erkennen.

Aus Angst vor weiteren Zerstörungen verzichtet man vorerst noch auf die Errichtung stabilerer Hütten. — Der etwa 70 Jahre alte Lengde aus Moknerkon stellt zur Abwehr böser Geister einen Ring her. Nach dem Erdbeben wurde eine große Zahl solcher Abwehrzeichen eingesetzt. — Im Schutz der neu errichteten Hütten werden auch wieder die hochgeschätzten Tabakpflanzen angebaut und ausschließlich von Männern gepflegt. — Lengde trägt das Abwehrzeichen in das Männerhaus von Bolbirdye.

Eine für Frauen spezifische Tätigkeit ist die Herstellung von Netzen. Hier dreht Fotongner aus Pflanzenfasern eine Schnur. Während der seltenen Mußezeiten sitzen die Frauen mit ihren Kindern beisammen und entlausen sich gegenseitig. Trotz anhaltender Furcht vor Nachbeben werden die alltäglichen Arbeiten nicht vernachlässigt. Zudem muß ein großer Teil der zerstörten Netze wiederhergestellt werden, was einen zusätz­lichen Arbeitsaufwand für die Frauen bedeutet.

Die scharfkantigen Steine der Geröllhalden und Felsabbrüche verursachen häufig eitrige Verletzungen an Füßen und Beinen.

Während des Tages haken sich nur gelegentlich Kinder und Alte in den Dörfern auf. Alle anderen sind mit Anbauarbeiten beschäftigt. — Das provisorische, ebenerdige Männerhaus von Bolbirdye bietet den darin wohnenden ca. 20 Personen kaum Schutz vor Regen und Kälte.

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Die durch Krankheiten und Nahrungsmangel erheblich Geschwächten werden im Männerhaus von Heilkundigen des Dorfes behandelt. Mi t einem Schwemefettbündel werden durch Abstreifen die den Schaden verursachenden bösen Geister aus den kranken Körperpartien gezogen.

Da ein großer Teil der Bevölkerung durch Krankheiten an der Verrichtung täglich notwendiger Arbeiten verllindert ist, können nur wenige die Versorgungsaufgaben übernehmen. A n eine regelmäßige Pflege der Anbauflächen und die qualitative Verbes­serung der Hütten ist dabei nicht zu denken. Kinder und Jugendliche finden sich am ehesten mit den neuen Verhältnissen ab.

Nachdem die notwendigsten Aufbauarbeiten abgeschlossen sind, normalisiert sich das Leben im Tal langsam und läßt auch wieder Raum für Pfeilspiele der Knaben, die damit ihre Geschicldichkeit für spätere Kriege üben. Bereits beim Spiel mit Graspfeilen können erhebliche Verletzungen auftreten, und es ist eine im HinbHck auf spätere Kampfhandlungen wichtige Übung, das Abducken und Ausweichen zu perfektionieren. Während der Erdbeben wurden sämtliche kriegerischen Auseinandersetzungen vertagt, um alle Kräfte auf die Existenzsicherung zu konzentrieren.

Nach dem Pfeilwerfen nehmen die Beteiligten gemeinsam eine Süßkartoffelmahlzeit zu sich. Hunde werden bei solchen Gelegenheiten häufig von Mund zu Mund gefüttert.

A m späten Nachmittag geht die hochschwangere Kwalipner, die als erste nach dem Erdbeben ihr Kind behalten wird, mit Bambusrohren und Kalebassen in den Primär­wald, um dort Wasser zu holen. Die Eipo bevorzugen ganz bestimmte Quellen und nehmen dafür auch weite Wege auf sich.

Das mitten im Primärwald neu errichtete Dorf Bolbirdye wird von etwa 60 Personen bewohnt, hat zwei Männerhäuser und ein Frauenhaus. Es hegt sicher vor Hang­abrutschen auf einem leicht geneigten Bergrücken.

Der tägliche Trinkwasserbedarf der Eipo ist gering. Zwischen den beiden Hauptmahl­zeiten am frühen Morgen und am Abend nimmt man kleinere Mengen Süßkartoffeln und Gemüse zu sich.

Die zwischen 16 und 17 Uhr aus den Gärten in das Dorf zurückkehrenden Bewohner finden nun etwas Muße für Gespräche und das Spiel mit Kleinkindern. Z u dieser Zeit müssen aber bereits die Feuer in den Hütten entfacht werden, denn nach kurzer Dämmerung wird es um 18 Uhr dunkel, und die Temperatur sinkt schnell auf etwa 15 Grad ab.

Die normale Rate von ca. einem Drittel nicht akzeptierter Neugeborener erhöhte sich mit dem Erdbeben wesentlich. Der noch ungereinigte 1 Tag alte Säugling von Kwalipner war 5 Monate nach dem Erdbeben das erste Neugeborene, das von der Mutter behalten wurde. Die Verringerung des Bevölkerungswachstums wird als Notwendigkeit für die Krisenbewältigung gesehen.

Die realitätsbezogene Einstellung der Eipo und ihre Hinwendung zu den praktischen Erfordernissen lassen sie in zunehmendem Ausmaße die Verzweiflung und Hilflosig-

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keit überwinden, die angesichts einer unfaßbaren Naturkatastrophe monatelang ihr Leben bestimmt hat. Es verdient höchste Bewunderung, wie es den Eipo gelingt, sich in einer unwirtlichen Umwelt mit geringen Mitteln zu behaupten. Daß sie dabei die ihnen eigenen Charakteristika wie FreundHchkeit, AusgegÜchenheit, Selbstbewußtsein und kulturelle Identität nicht verloren haben, sollte man nicht als selbstverständlich annehmen.

Literatur

[XI B L U M , J. P.: Untersuchungen zur Tierwelt im Leben der Eipo im zentralen Bergland von Irian Jaya (West-Neuguinea), Indonesien. Sammel-, Fang- und Jagdmethoden. 2. Beitr. z. Schriften­reihe Mensch, Kultur und Umwelt im zentralen Bergland von West-Neuguinea. Berlin 1979.

[2] Bücm, E . C . : Physische Anthropologie der Eipo im zentralen Bergland von M a n Jaya (West-Neuguinea), Indonesien. 8. Beitr. z. Schriftenreihe Mensch, Kultur und Umwelt im zentra­len Bergland von West-Neuguinea. Berlin 1981.

[3] HEESCHEN, V : The Mek languages of Irian Jaya with special reference to the Eipo language. I R I A N Bulletin of Irian Jaya Development. Vol. VII, N o . 2. Jayapura 1978.

[4] H E L M C K E , D.: Das Entwässerungssystem der Nord-Seite des Zentralgebirges von Irian Jaya (Indonesien) zwischen Habhfuri und Sepik nach LANDSAT-Szenen. 4. Beitr. z. Schriften­reihe Mensch, Kultur und Umwelt im zentralen Bergland von West-Neuguinea. Berlin 1979.

[5] HIEPKO, P., und W SCHULTZE-MOTEL: Horistische und ethnobotanische Untersuchungen im Eipomek-Tal, Irian Jaya (West-Neuguinea), Indonesien. 7. Beitr. z. Schriftenreihe Mensch, Kultur und Umwelt im zentralen Bergland von West-Neuguinea. Berlin 1981.

[6] HOFFMANN, G., und M . H O F F M A N N : Khmabeobachtungen in Eipomek — 140° 01' E 4° 26 ' S 1 8 0 0 m — Irian Jaya (West-Neuguinea), Indonesien. 9. Beitr. z. Schriftenreihe Mensch, Kultur und Umwelt im zentralen Bergland von West-Neuguinea. Berlin 1985.

[7] R Ö L L , W , und G . R . Z I M M E R M A N N : Untersuchungen zur Bevölkerungs-, Siedlungs- und Agrarstruktur im zentralen Bergland von Irian Jaya (West-Neuguinea), Indonesien. 1. Beitr. z. Schriftenreihe Mensch, Kultur und Umwelt im zentralen Bergland von West-Neuguinea. Berlin 1979.

[8] SCHIEFENHÖVEL, G. , und W SCHIEFENHÖVEL: Vorgänge bei der Geburt eines Mädchens und Änderung der Infantizid-Absicht. Eipo, M a n Jaya (West-Neuguinea). Humanethologisches Filmarchiv der Max-Planck-Gesellschaft, H F 70. Homo 29 (1978), 121-138 .

[9] SCHIEFENHÖVEL, W : Die Eipo-Leute des Berglands von mdonesisch-Neuguinea. Homo 26 (1976), 2 6 3 - 2 7 5 .

Weiterführende Literatur

[10] FUSSY, H . : Erdbeben in Neuguinea. Beilage zur Berliner Wetterkarte des Inst, für Meteoro­logie der Freien Universität Berlin, 73/77 SO 19/77 (1977).

[H] M I C H E L , T H . : Soziale und ökonomische Veränderung im Malingdam-Bereich (Eipomek). Unveröffentl. M s . 1977.

[12] M I C H E L , T H . : Forschungsprojekt Ethnologie. Krisenbewältigung nach den beiden Erdbeben­katastrophen im Jahre 1976. In: Führungsblätter zur Sonderausstellung „Forschungen im Bergland von Neuguinea". Das interdisziplinäre West-Irian-Projekt, Nr . 23, Staad. Museen Preuß. Kulturbesitz Berlin, 1978.

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[13] M I C H E L , T H . : Interdependenz von Wirtschaft und Umwelt in der Eipo-Kultur von Moknerkon. Bedingungen für Produktion und Reproduktion bei einer Dorfschaft im zentralen Bergland von Irian Jaya (West-Neuguinea), Indonesien. 11. Beitr. z. Schriftenreihe Mensch, Kultur und Umwelt im zentralen Bergland von West-Neuguinea. Berlin 1983.

[14] N E L K E , W : Some practical proposals for measures to overcome the negative consequences for the inhabitants of the area devasted by the recent earthquake in the highlands of Irian Jaya, an outline. In: Team koordinasi pelaksana penanggulangan bencana alam dan Univer-sitas Cenderawasih Jayapura (eds.): Diskusi pembinaan masyarakat daerah bencana alam, Jayawijaya, Irian Jaya (1976).

[15] PATTY, S. A . : Laporan dari daerah gempa bumi Irian Jaya. In: Team koordinasi pelaksana penanggulangan bencana alam dan Universitas Cenderawasih Jayapura (eds.): Diskusi pembinaan masyarakat daerah bencana alam: 5—21, Jayapura (1976).

Filmveröffentlichungen

[16] K O C H , G. , und W SCHIEFENHÖVEL: Eipo (West-Neuguinea, zentrales Hochland) — Neubau des sakralen Männerhauses in Munggona. Film E 2475 des IWF, Göttingen 1979. Publika­tion von G . K O C H und W. SCHIEFENHÖVEL, Publ. Wiss. F i l m , Sekt. E thno l , Sonderserie 7, N r . 9/E 2475 (1987), 28 S.

[17] M I C H E L , T H . : Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) — Baumfällen mit dem Steinbeil. Film E 2704 des IWF, Göttingen 1988.

[18] M I C H E L , T H . : Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) — Gartenbauarbeiten im Sumpf­gelände. Film E 2705 des IWF, Göttingen 1989.

[19] M I C H E L , TH. : Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) — Pflanz-Zauber. Film E 2706 des IWF, Göttingen 1989.

[20] M I C H E L , T H . : Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) — Baumbestattung einer Frau. Film E 2707 des IWF, Göttingen 1989.

[21] M I C H E L , TH. : Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hochland) — Bauen einer Brücke. Film E 2708 des IWF, Göttingen 1989.

[22] M I C H E L , T H . : Gartenbauarbeiten am Steilhang — Eipo (West-Neuguinea, Zentrales Hoch­land). Film D 1472 des IWF, Göttingen 1989.

Abbildungsnachweis

Abb. 1—3: Zeichnung U. GEBAUER, Museum für Völkerkunde Berlin; Abb. 4—8: Foto TH. M I C H E L .

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