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Rezepte für die Entzugsmedikation
Dr. Ralf Hardenberg
Krankenhaus St. Elisabeth, Damme
Klinik für Innere Medizin
Rahmenbedingungen für die Behandlung alkoholbezogener Störungen in der Inneren Medizin 2015 (1)
S3 – Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“
AWMF Register Nr. 076-001 – 23.2.2015
Vollbelegung – minimierte Liegedauer (5d) – Unterfinanzierung der Inneren Medizin – Ärztemangel
Alkoholbezogene Störungen immer unter den TOP 3 der häufigsten Diagnosen
Weiterbildungsordnung Innere Medizin ohne Schwerpunkt alkoholbezogene Störungen
Mangelndes Krankheitsverständnis bei den Ärzten, kulturelle Verständigungsschwierigkeiten (Ärzte aus nichtkonsumierenden Kulturen)
Rahmenbedingungen für die Behandlung alkoholbezogener Störungen in der Inneren Medizin 2015 (2)
Fehlende Ausbildung in Kurzinterventionen
Fehlende Ausbildung im MI
= fehlende Professionalität
Leitlinien nicht bekannt
Entgiftungsbehandlung durch die Ärzte nach individuellen aber fixen Schemata ( „4 x 2 Distra“ – jeden weiteren Behandlungstag 2 Kapseln weniger)
Schlechte ärztliche Dokumentation der Behandlungsverläufe
Lösungsansatz: Klinischer Pfad Qualifizierter Entzug / medikamentöse Entgiftung – der Chefarzt als Pfadkontroller
Leitlinien und klinische Pfade
• AWMF: Leitlinien sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen
• Klinische Pfade sind Instrumente zur Leitlinien - Implementierung. Sie organisieren die interdisziplinäre Versorgung bestimmter Patientengruppen in einer bestimmten Institution auf der Zeitachse.
OPS 8-985 Qualifizierter Entzug
• Mindestmerkmale: Behandlung durch ein multidisziplinär zusammengesetztes, systematisch supervisiertes Behandlungsteam (Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten oder Suchttherapeuten, Sozialpädagogen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Krankenpflege mit suchtmedizinischer Zusatzqualifikation wie z.B. Fortbildung in motivierender Gesprächsführung) unter Leitung eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie, eines Arztes mit der Zusatzweiterbildung Spezielle Schmerztherapie oder eines Facharztes für Innere Medizin mit belegter Fachkunde bzw. Zusatzweiterbildung Suchtmedizinische Grundversorgung. Im letztgenannten Fall muss das für den qualifizierten Entzug zuständige Team über kontinuierlichen psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverstand verfügen (z.B. mehrmals wöchentliche Konsiliartätigkeit eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie)
• Mindestmerkmale: Somatische Entgiftung, differenzierte somatische und psychiatrische Befunderhebung mit Behandlung der Folge- und Begleiterkrankungen, Aufklärung über Abhängigkeitserkrankungen, soziale Stabilisierung, Motivierung zur problemspezifischen Weiterbehandlung und Einleitung suchtspezifischer Anschlussbehandlungen
• Mindestmerkmale: Standardisiertes suchtmedizinisches und soziales Assessment • Mindestmerkmale: Ressourcen- und lösungsorientiertes Therapiemanagement unter Einsatz
differenzierter Therapieelemente patientenbezogen in Kombination von Gruppen- und Einzelarbeit mit mindestens drei Stunden pro Tag: Psychoedukative Informationsgruppen, medizinische Informationsgruppen, Ergotherapie, Krankengymnastik/Bewegungstherapie, Entspannungsverfahren, Angehörigeninformation und -beratung, externe Selbsthilfegruppen, Informationsveranstaltungen von Einrichtungen des Suchthilfesystems
• Mindestmerkmale: Eingliederung des Patienten in das bestehende regionale ambulante und stationäre Suchthilfesystem
Klinischer Pfad Qualifizierter Entzug
Tag 1 Aufnahme Körperliche Untersuchung – Aufnahmeanamnese – Erstdiagnostik - Labor Einteilung Schweregrad nach AES Skala - Schweregradbezogene Einleitung der Therapie Tag 2 Schweregrad im Verlauf - Anpassung der medikamentösen Entgiftung Diagnostikblock 1 – erweiterte Anamnese Motivationsgespräch 1 Tag 3 Schweregrad im Verlauf – Anpassung der Entgiftungsbehandlung Motivationsgespräch 2 - Suchtanamnese Entscheidung: ausschließlich körperliche Entgiftung – Teilnahme qualifizierter Entzug Tag 4 Beginn Programm QE oder Vorbereitung auf die Entlassung an Tag 5
Definition: körperliche Entgiftung
„Eine körperliche Entgiftung umfasst die Behandlung von Alkoholintoxikationen mit körperlich-neurologischen Ausfallerscheinungen und/oder von Alkoholentzugssymptomen, wie sie bei einem relevanten Anteil der alkoholabhängigen Patienten auftreten können. Ziel ist die Sicherstellung der Vitalfunktionen und die Vermeidung von Komplikationen (z.B. epileptischer Anfall oder Delirium tremens) sowie die Reduzierung / Linderung von Entzugserscheinungen.“
Medikamentös gestützte Entgiftung als ärztliche Aufgabe
Symptomorientierte Behandlung statt festgelegtes Dosierschema ! • Schweregrad festlegen • Therapie nach Schweregrad festlegen • Behandlung überwachen • Behandlung anpassen
• Primäre Behandlungsziele: Vermeidung von
epileptischen Anfällen und Delir. Symptomkontrolle und den Weg öffnen in den Qualifizierten Entzug und die Langzeittherapie.
Alkoholentzugssyndrom (AES)
Beginn 6 – 8 Stunden nach Beendigung oder substanzieller Reduktion des Alkoholkonsums
„Peak“ nach 10 – 30 Stunden
Beginn Symptomlindernung: 40 – 50 Stunden
Entzugsanfälle in den ersten 12 – 48 Stunden
Delir < 5 % mit einer Mortalitätsrate von 1 %
Vegetative – neurologische und psychiatrische Symptomatik
CIWA AR Skala (Clincial Institut Withdrawl Assessement)
Vegetativ
• Pulsfrequenz • 0 < 100 1 100–110 2 110–120 3 > 120 • 4 Herzrhythmusstörungen • Diastolischer Blutdruck • 0 < 95 1 95–100 2 100–104 3 > 105 • Temperatur • 0 < 37,0 1 < 37,5 2 < 38,0 3 > 38,0 • Atemfrequenz • 0 < 20 1 20–24 2 > 24 • Schwitzen • 0 kein 1 leicht (feuchte Hände) 2 deutlich (Stirn
und Gesicht) 3 massiv (profuses Schwitzen) • Tremor • 0 kein 1 leicht (Arm vorhalten und Finger
spreizen) 2 deutlich (Finger und Spreizen) 3 schwer (spontan)
• Zerebrale Krampfanfälle in letzten 24 Stunden
Psychiatrisch • Psychomotorische Unruhe • 0 keine 1 Nesteln 2 Wälzen im Bett 3 will
aufstehen 4 erregt • Kontakt • 0 kann kurzem Gespräch folgen - 1 leicht
ablenkbar (Geräusche) • 2 schweift andauernd ab - 3 geordnete
Gespräche unmöglich • Orientierung (Zeit, Ort, Person) • 0 voll orientiert 1 eine Qualität gestört (zum
Beispiel Zeit) • 2 zwei gestört 3 alle gestört • Halluzinationen (optisch, akustisch, taktil) • 0 keine 1 suggestibel (liest vom leeren Blatt) • 2 eine Qualität (zum Beispiel optisch) • 3 zwei Qualitäten (zum Beispiel optisch + taktil) • 4 alle Qualitäten 5 szenische Halluzinationen
(«Filme» – mehrere Halluzinationen hintereinander im Handlungsablauf)
• Angst • 0 keine 1 leicht (auf Befragen) 2 stark (spontan
angegeben)
Schweregrade des Alkoholentzugssyndroms (AES) auf der Basis der CIWA – Ar - Skala
• Leichtes AES: < 8 Punkte
• Mittelschweres AES: 9 – 14 Punkte
• Schweres AES: > 15 Punkte
Risiken für die Entwicklung eines schweren Alkoholentzugssyndroms
• Entzug in der Vorgeschichte erhöht die Wahrscheinlichkeit für ein schweres Alkoholentzugssyndrom von 7.3 auf 32 %
• Starke Entzugserscheinungen bei Aufnahme • Hohe Alkoholtrinkmenge, hoher aktueller
Blutalkoholspiegel • Delir in der Vorgeschichte • Substanzbeigebrauch • Entzugskrämpfe in der Vorgeschichte • Leberwerterhöhung und Elektrolytverschiebung
Pharmakotherapie
„Eine medikamentengestützte Alkoholentzugsbehandlung ist einer Nichtbehandlung bezüglich der Schwere der auftretenden Entzugssymptome und der Häufigkeit von Entzugskomplikationen überlegen. Eine Pharmakotherapie des Alkoholsyndroms soll daher unter Berücksichtigung von Entzugsschwere und Entzugskomplikationen erfolgen.“ (A) Benzodiazepine – Clomethiazol – Antikonvulsiva – Neuroleptika – Betablocker und Clonidin und andere Medikamente
Clomethiazol
• Mittel der ersten Wahl (B)
• Nur unter kontrollierten stationären Bedingungen (Abhängigkeits- und Mißbrauchpotenzial, geringe therapeutische Breite) – keine Zulassung für die ambulante Behandlung
• Bei deliranten Syndromen mit Halluzinationen in Kombination mit Neuroleptika (Haloperidol) (B)
• Soll in keinem Fall mit Benzodiazepinen kombiniert werden
Clomethiazol praktisch
• Distraneurin ® Kapseln
• 2 – 4 Weichkapseln mit reichlich Flüssigkeit (nicht zerkauen) – bei Bedarf wiederholen aber nicht mehr als 6 – 8 Kapseln innerhalb von 2 Stunden
• Absetzen ausschleichend über mehrere Tage
• NW: Atemdepression insbesondere bei bereits bestehender respiratorischer Insuffizienz und Risiko der Atemwegsinfektion / Pneumonie
Benzodiazepine
• Sollen eingesetzt werden. Reduzieren Schwere und Häufigkeit von Alkoholentzugssymptomen und reduzieren schwere Entzugskomplikationen wie Delir und Entzugskrampfanfälle. (A)
• Keine wissenschaftliche Evidenz für die Überlegenheit einer Substanz oder Substanzgruppe (HWZ)
• Bei eingeschränkter Leberfunktion: Benzodiazepine mit kurzer HWZ (KKP)
• Bei deliranten Syndromen Kombination mit Neuroleptika (Haloperidol) (B)
Benzodiazepin Umrechnungstabelle Äquivalenzdosis zu 10 mg Diazepam
Wirkstoff Halbwertszeit Äquivalenzdosis
• Alprazolam 6-12h 0,5 mg
• Bromazepam 10-20h 5 mg
• Diazepam 20-100h 10 mg
• Flunitrazepam 18-26h 1 mg
• Flurazepam 40-250h 15-30 mg
• Lorazepam 10-20h 1 mg
• Lormetazepam 10-12h 1-2 mg
• Oxazepam 4-15h 20 mg
Benzodiazepine Hausliste
Diazepam (Valium®) 5 – 20 mg alle 2 – 4 Stunden
Gabe vorzugsweise enteral
2 – 10 mg i.v. alle 3 – 4 Stunden (Injektionsgeschwindigkeit max.: 1mg/min)
Lorazepam (Tavor®)
0,05 mg / kgKG i.v. alle 2 Stunden
0,5 – 2,5 mg per os (max 7,5 mg / die)
(Tavor expidet – buccal)
Neuroleptika
• Empfehlung beim akuten Alkoholdelir mit Wahnsymptomen oder Halluzinationen (B)
• Kombination mit Clomethiazol oder Benzodiazepinen (fehlende Wirkung der Neuroleptika auf die vegetativen Entzugssymtome) (B)
• Haloperidol (Haldol®): (1) 5 – 10 mg oral / i.m. / i.v. bis maximal 100 mg/24 h
Antikonvulsiva
• Antikonvulsiva können zur Verhinderung von Krampfanfällen eingesetzt werden (B)
• Carbamazepin, Valproinsäure, Gabepentin und Oxcarbazepin können zur Therapie leicht- bis mittelgradiger Alkoholentzugssyndrome eingesetzt werden (offen = 0)
• Bei eingeschränkter Leberfunktion können zur Anfallsbehandlung Gabapentin und Levetirazetam eingesetzt werden (renale Elimination) (KKP)
Antikonvulsiva Hausliste Damme
• Carbamazepin: 3-4 x 200 mg .
Nicht bei > 3 fach erhöhten Leberwerten, nicht bei Hyponatriämie
Kontrolle Leberwerte !
• Gabapentin: 1200 – 1600 mg / Tag in drei Einzeldosen
Nicht bei Pankreatitis
Clonidin und Betablocker
• Eignen sich nicht zur Monotherapie (0)
• Können mit Benzodiazepinen oder Clomethiazol zur Therapie der vegetativen Entzugssymptome eingesetzt werden (0)
• Hausliste: Clonidin 2 x 75 mg Tag 1 – Steigerung bei Bedarf auf 2 x 150 (2 x 300) mg
Paracefan i.v.: Bolus mit 0,15-0,6 mg und Perfusor 0,3 – 4 mg/Tag
Andere Substanzen
• Baclofen: sollte auf Grund der derzeitigen Studienlage nicht eingesetzt werden (0)
• Gammhydroxybuttersäure GHB: sollte aufgrund der Nutzen-Risiko Bewertung nicht eingesetzt werden (B)
• Alkohol: soll nicht für eine medizinisch überwachte Alkoholentzugsbehandlung eingesetzt werden (KKP)
• Medikamente mit prokonvulsiven und anticholinergen Wirkungen wie niedrig potente Neuroleptika, trizyklische Antidepressiva sollten vermieden werden (KKP)
Vitamin B1 (C12H17N4OS) und Glukose
• Im Alkoholentzug sollte zur Prophylaxe der Wernicke Encephalopathie Thiamin gegeben werden. (Klinischer Konsenspunkt: KKP)
• Wenn eine parenterale Glukosegabe erfolgt, sollte diese mit einer parenteralen Thiamin-Applikation kombiniert werden. (KKP)
• Hausrezept: 500 ml G 5 % mit 100 mg Thiamin Tag 1 – dann für 5 Tage 100 mg Thiamin per os
Checkliste für den Pfadcontroller
• Wissensportal: haben die Ärzte die S3 Leitlinie, den QE Pfad mit SOP Entgiftung zur Kenntnis genommen
• Wurde der individuelle Schweregrad des Alkoholentzugssyndroms ermittelt und dokumentiert
• Wurde eine individuelle Therapie festgelegt
• Wurden die Algorithmen „Medikamentös gestützte Alkoholentgiftung“ eingehalten
• Wurde die Wirksamkeit der Therapie überprüft und die Therapie angepasst
• Wurde Vitamin B 12 gegeben
• Ist der Verlauf der ärztlichen Behandlung dokumentiert
• Wurde die Weiterbehandlung besprochen und organisiert