4
Das „Universum“ in Bremen gleicht einem gestrande- ten Wal. In seinem Bauch stehen ein Erdbebensofa und eine begehbare Gebärmutter. Die Kinder kommen auf ihre Kosten – die Naturwissen- schaften auch? (Foto: Universum) Bilden, unterhalten und neugierig machen: die Science Center ver- folgen ehrgeizige Ziele. Als inter- aktive Wissenschaftsausstellungen haben sie sich im angelsächsi- schen Raum längst etabliert. Auch hierzulande versprechen die neu- en „Mitmachmuseen“ gute Unter- haltung nebst wissenschaftlichen Aha-Erlebnissen. Die deutschen Zentren können aus Fehlern der Amerikaner lernen. A ls der Junge nach Stunden aus dem Gebäude kam, musste er feststellen, dass sein Tama- gotchi gestorben war. Monatelang hatte er es gehegt und gepflegt – nur diesmal hatte er das klägliche Piepsen nicht beachtet. Das Tier- chen war im Science Center ver- hungert.“ Walter Staveloz schildert die Geschichte mit sichtlichem Vergnügen. „Und das Beste daran: Es gab weder Tränen noch Ge- schrei. Dem Jungen war das Erleb- nis im Science Center wichtiger als der Tod seines künstlichen Haus- tiers.“ Die Anekdote, die der ge- schäftsführende Direktor der Ver- einigung Europäischer Wissen- schaftsausstellungen ECSITE auf der Konferenz Public Communica- tion of Science and Technology [1] zum Besten gab, bringt den An- spruch moderner Science Center auf den Punkt. Fern vom musealen Muff wollen diese Wissenschafts- ausstellungen den Besucher mit in- teraktiven Experimenten in den Bann der Naturwissenschaften zie- hen. Science Center sind „Mit- machmuseen“, in denen Wissen- schaft spielerisch erfahren werden kann. Statt „berühren verboten“ gilt hier „anfassen erwünscht“; ohne das Zutun der Besucher läuft nichts. Der Besucher soll die Faszi- nation der Phänomene hautnah er- leben, über das Glück des Aha-Er- lebnisses zu neuen Erkenntnissen gelangen – und möglichst von den Naturwissenschaften begeistert wie- der herauskommen. Im angelsächsischen Raum sind die Science Center längst etabliert. Jeder zweite Amerikaner besucht rein statistisch einmal im Jahr eine solche Ausstellung, jede größere amerikanische Stadt kann ihr eige- nes Zentrum vorweisen. In Europa haben die Science Center dagegen Seltenheitswert: TechniQuest in Cardiff, die Cité de la science et de l’industrie in Paris, das Technorama in Winterthur, das Experimentari- um in Kopenhagen ... In Deutsch- land findet man eine Reihe von Projekten, die noch mehr oder we- niger tief in der Schublade stecken: In Gießen soll das erste mathemati- sche Mitmachmuseum der Welt ent- stehen, in Wolfsburg das nächste Science Center. Doch was es bisher auf dem Markt gibt, lässt sich an den Fingern einer Hand abzählen. Da wäre die Phänomenta in Flens- burg mit Ablegern in Lüdenscheid, Bremerhaven, Peenemünde und Templin, das an das Berliner Tech- nikmuseum angegliederte Spec- trum, ein paar kleine Privatinitiati- ven – und seit September 2000 das Universum in Bremen [2]. Wie ein gigantischer gestrandeter Wal liegt das Gebäude an einem Teich nahe der Bremer Universität. Morgens um halb elf drängen sich 200 Schüler vor dem Eingang; kaum wird das Band zur Seite ge- nommen, stürmen die lärmenden Horden den Wal. „Ursprünglich hatten wir mit 850 Besuchern pro Tag gerechnet“, erklärt Kerstin Hal- ler, Leiterin der Ausstellungsbe- reichs „Kosmos“. „Wir liegen der- zeit jedoch bei etwa 1500. Unser geplantes Jahresziel von 300 000 Besuchern werden wir schon im April erreichen, also acht Monate nach der Eröffnung.“ Etwa ein Drit- tel der Besucherinnen und Besu- cher sind Schüler, die das Haus meist vormittags unsicher machen. Nachmittags sind Einzelpersonen, Lehrergruppen und Familien an der Reihe. Die Besucher kommen zu 80 Prozent aus einem Umkreis von zwei Stunden Fahrzeit. „Der An- drang hängt natürlich auch damit zusammen, dass unser Science Cen- ter neu ist“, gibt Kerstin Haller zu. Die Ausstellungsmacher haben des- halb keineswegs vor, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Sie planen schon jetzt die Erneuerung von Ex- ponaten, die nicht so gut ankom- men. In sieben Jahren sollen – bis auf die Highlights – alle derzeit vorhandenen 200 Exponate ausge- tauscht sein. Ziel ist es, das Zen- trum – dessen Aufbau zur Hälfte von der Stadt Bremen getragen wurde – in Zukunft allein aus Ein- trittsgeldern und Einnahmen von weiteren Aktionen zu finanzieren. An diesem Donnerstag toben Hunderte von Schülern zwischen den Exponaten herum. Plötzlich bleiben ein paar von ihnen faszi- niert stehen. An einem Seil hängt ein Ball, der sich in einer Glasröhre auf und ab bewegt. Jedesmal, wenn ein Junge im ersten Stock das Seil loslässt, fällt der Ball unten im Erd- geschoss auf ein Ventil – und in ei- Science Center – ein neuer Freizeittrend Kinder und Erwachsene rennen den Mitmachmuseen die Türen ein – Didaktiker streiten über die richtige Form der Inszenierung Ilka Flegel Forum Dipl.-Phys. Ilka Flegel ist freie Jour- nalistin in Jena 28 Physikalische Blätter 57 (2001) Nr. 5 0031-9279/01/0505-28 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2001

Science Center - ein neuer Freizeittrend: Kinder und Erwachsene rennen den Mitmachmuseen die Türen ein - Didaktiker streiten über die richtige Form der Inszenierung

  • Upload
    ilka

  • View
    215

  • Download
    3

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Science Center - ein neuer Freizeittrend: Kinder und Erwachsene rennen den Mitmachmuseen die Türen ein - Didaktiker streiten über die richtige Form der Inszenierung

Das „Universum“in Bremen gleichteinem gestrande-ten Wal. In seinemBauch stehen einErdbebensofa undeine begehbareGebärmutter. DieKinder kommenauf ihre Kosten –die Naturwissen-schaften auch?(Foto: Universum)

Bilden, unterhalten und neugierigmachen: die Science Center ver-folgen ehrgeizige Ziele. Als inter-aktive Wissenschaftsausstellungenhaben sie sich im angelsächsi-schen Raum längst etabliert. Auchhierzulande versprechen die neu-en „Mitmachmuseen“ gute Unter-haltung nebst wissenschaftlichenAha-Erlebnissen. Die deutschenZentren können aus Fehlern derAmerikaner lernen.

A ls der Junge nach Stunden ausdem Gebäude kam, musste erfeststellen, dass sein Tama-

gotchi gestorben war. Monatelanghatte er es gehegt und gepflegt –nur diesmal hatte er das kläglichePiepsen nicht beachtet. Das Tier-chen war im Science Center ver-hungert.“ Walter Staveloz schildertdie Geschichte mit sichtlichemVergnügen. „Und das Beste daran:Es gab weder Tränen noch Ge-schrei. Dem Jungen war das Erleb-nis im Science Center wichtiger alsder Tod seines künstlichen Haus-tiers.“ Die Anekdote, die der ge-

schäftsführende Direktor der Ver-einigung Europäischer Wissen-schaftsausstellungen ECSITE aufder Konferenz Public Communica-tion of Science and Technology [1]zum Besten gab, bringt den An-spruch moderner Science Centerauf den Punkt. Fern vom musealenMuff wollen diese Wissenschafts-ausstellungen den Besucher mit in-

teraktiven Experimenten in denBann der Naturwissenschaften zie-hen. Science Center sind „Mit-machmuseen“, in denen Wissen-schaft spielerisch erfahren werdenkann. Statt „berühren verboten“ gilthier „anfassen erwünscht“; ohnedas Zutun der Besucher läuftnichts. Der Besucher soll die Faszi-nation der Phänomene hautnah er-leben, über das Glück des Aha-Er-lebnisses zu neuen Erkenntnissengelangen – und möglichst von denNaturwissenschaften begeistert wie-der herauskommen.

Im angelsächsischen Raum sinddie Science Center längst etabliert.Jeder zweite Amerikaner besuchtrein statistisch einmal im Jahr einesolche Ausstellung, jede größereamerikanische Stadt kann ihr eige-nes Zentrum vorweisen. In Europahaben die Science Center dagegenSeltenheitswert: TechniQuest inCardiff, die Cité de la science et del’industrie in Paris, das Technoramain Winterthur, das Experimentari-um in Kopenhagen ... In Deutsch-land findet man eine Reihe von

Projekten, die noch mehr oder we-niger tief in der Schublade stecken:In Gießen soll das erste mathemati-sche Mitmachmuseum der Welt ent-stehen, in Wolfsburg das nächsteScience Center. Doch was es bisherauf dem Markt gibt, lässt sich anden Fingern einer Hand abzählen.Da wäre die Phänomenta in Flens-burg mit Ablegern in Lüdenscheid,

Bremerhaven, Peenemünde undTemplin, das an das Berliner Tech-nikmuseum angegliederte Spec-trum, ein paar kleine Privatinitiati-ven – und seit September 2000 dasUniversum in Bremen [2].

Wie ein gigantischer gestrandeterWal liegt das Gebäude an einemTeich nahe der Bremer Universität.Morgens um halb elf drängen sich200 Schüler vor dem Eingang;kaum wird das Band zur Seite ge-nommen, stürmen die lärmendenHorden den Wal. „Ursprünglichhatten wir mit 850 Besuchern proTag gerechnet“, erklärt Kerstin Hal-ler, Leiterin der Ausstellungsbe-reichs „Kosmos“. „Wir liegen der-zeit jedoch bei etwa 1500. Unsergeplantes Jahresziel von 300 000Besuchern werden wir schon imApril erreichen, also acht Monatenach der Eröffnung.“ Etwa ein Drit-tel der Besucherinnen und Besu-cher sind Schüler, die das Hausmeist vormittags unsicher machen.Nachmittags sind Einzelpersonen,Lehrergruppen und Familien an derReihe. Die Besucher kommen zu 80Prozent aus einem Umkreis vonzwei Stunden Fahrzeit. „Der An-drang hängt natürlich auch damitzusammen, dass unser Science Cen-ter neu ist“, gibt Kerstin Haller zu.Die Ausstellungsmacher haben des-halb keineswegs vor, sich auf ihrenLorbeeren auszuruhen. Sie planenschon jetzt die Erneuerung von Ex-ponaten, die nicht so gut ankom-men. In sieben Jahren sollen – bisauf die Highlights – alle derzeitvorhandenen 200 Exponate ausge-tauscht sein. Ziel ist es, das Zen-trum – dessen Aufbau zur Hälftevon der Stadt Bremen getragenwurde – in Zukunft allein aus Ein-trittsgeldern und Einnahmen vonweiteren Aktionen zu finanzieren.

An diesem Donnerstag tobenHunderte von Schülern zwischenden Exponaten herum. Plötzlichbleiben ein paar von ihnen faszi-niert stehen. An einem Seil hängtein Ball, der sich in einer Glasröhreauf und ab bewegt. Jedesmal, wennein Junge im ersten Stock das Seilloslässt, fällt der Ball unten im Erd-geschoss auf ein Ventil – und in ei-

Science Center – ein neuer FreizeittrendKinder und Erwachsene rennen den Mitmachmuseen die Türen ein – Didaktiker streiten über die richtige Form der Inszenierung

Ilka Flegel

Forum

Dipl.-Phys. IlkaFlegel ist freie Jour-nalistin in Jena

28Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 50031-9279/01/0505-28$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 2001

Page 2: Science Center - ein neuer Freizeittrend: Kinder und Erwachsene rennen den Mitmachmuseen die Türen ein - Didaktiker streiten über die richtige Form der Inszenierung

ner zweiten Glasröhre springt einTennisball nach oben. Die Kinderhaben schnell die richtige Frequenzraus: Der Tennisball kommt garnicht mehr bis auf den Boden, derLuftdruck treibt ihn in seiner Röhrehöher und höher, fast bis an dasGeländer im ersten Stock. Ein paarErwachsene stehen unten und kom-mentieren das Geschehen. Bald istein reges Gespräch im Gange, überdas Geländer hinweg diskutierendie Besucher im Erdgeschoss mitden Jugendlichen im ersten Stock.

Dieses Verhalten scheint typischzu sein. Immer wieder finden sichkleine Gruppen an einem Experi-ment zusammen. Wildfremde Leutekommen ins Gespräch, tauschenIdeen und Kommentare zu den Ex-ponaten aus. Leider ist das Erdbe-bensofa außer Betrieb – eine Wohn-zimmerecke, in der regelmäßig einErdbeben simuliert wird –, und dasrudernde Skelett hat einen Band-scheibenvorfall. Doch der Nebeltor-nado wirbelt, und im „Taktildom“,einem völlig dunklen Raum, in demder erblindete Besucher auf ver-schlungenen Pfaden seinen Wegzwischen merkwürdig aufgehängtenObjekten ertasten muss, herrschtHochbetrieb.

Wie die meisten dieser Zentrenberuft sich auch das Bremer Uni-versum auf die „Urmutter allerScience Center“, das 1969 vonFrank Oppenheimer gegründeteExploratorium in San Francisco.Oppenheimer wollte ein positivesAmbiente schaffen, „in dem dieLeute sich im Detail mit Naturwis-senschaft und Technik auseinandersetzen und durch Betätigung vonlaborähnlichen Aufbauten oder Me-chanismen und durch Beobachtenihres Verhaltens ein erstes Ver-ständnis gewinnen können“. Diekonkrete Umsetzung des Explo-ratoriums war stark von den Anre-gungen des deutschen Pädagogen,Künstlers und Architekten HugoKükelhaus geprägt, der schon dendeutschen Pavillon auf der Weltaus-stellung in Montreal 1967 zu einemwahren Erfahrungsfeld der Sinnegemacht hatte. Die Menschen soll-ten im Science Center über alleSinne angesprochen werden, dieNaturphänomene unmittelbar er-fühlen und über die spielerischeAuseinandersetzung mit den Expo-naten einen Zugang sowohl zur na-turwissenschaftlichen Grundlagedes Phänomens als auch zur Praxisder Wissenschaft finden.

Interaktivität ist mehr alsein KnopfdruckexperimentIm Science Center können und

sollen die Neugierigen selber in dieAusstellungsobjekte eingreifen, umwie experimentierende Wissen-schaftler an ihren Versuchen zu ar-beiten und aktiv zu entdecken, an-statt davon nur erzählt zu bekom-men. Interaktivität der Exponatebedeutet hier mehr, als auf Knopf-druck einen vorprogrammiertenAblauf abspulen zu lassen oderDinge nur auf dem Bildschirm ser-viert zu bekommen. Dabei geht esnicht darum, etwas richtig oderfalsch zu machen, sondern vielmehrum die Möglichkeit, in angstfreier,spielerischer Atmosphäre den Phä-nomenen auf den Grund gehen zukönnen und sich von ihnen in denBann ziehen zu lassen. Jeder Besu-chertyp soll dabei seine eigene He-rangehensweise ausleben können,sei er nun eher ein stiller Betrach-ter, ein Denker oder ein „Macher“.Dabei verstehen sich die ScienceCenter nicht als Konkurrenz, son-dern als Ergänzung zum formal ori-entierten Schulunterricht.

Frank Oppenheimers Idee kaman. Inzwischen zählt das Explorato-rium mit seinen 650 Exponaten zuden Hauptattraktionen San Fran-ciscos, pro Jahr zieht es über600 000 Besucher an. In den meis-ten Science Centern weltweit fin-den sich Originale oder Weiterent-wicklungen der Exponate aus SanFrancisco. „Auch wir haben fünfExponate direkt aus dem Explora-torium gekauft,“ erklärt KerstinHaller vom Universum in Bremen.Anders als im Exploratorium, wodie Experimente eher unzusammen-hängend in den großen Räumenstehen, sind die Exponate in Bre-men in eine „Erlebnisdramaturgie“eingebunden. „Wir haben versucht,Geschichten zu erzählen, um dieExponate in einen sinnstiftendenKontext zu bringen“, sagt Haller. Je-der Besucher erhält am Eingang ei-ne Landkarte mit den Kontinenten„Mensch“, „Erde“ und „Kosmos“,die er wie auf einer Expeditiondurch ein unbekanntes Land erkun-den kann. Die Expedition „Kos-mos“ führt die Besucher von dengrößten Dimensionen zu denkleinsten. Im Bereich „Mensch“ be-ginnt die Reise in einer künstlerischgestalteten Gebärmutter, die Expe-dition „Erde“ führt vom Mittel-punkt des Planeten durch die Scha-len und Schichten an die Ober-fläche. Expeditionsbegleitend bieten

unaufdringliche Erklärungstafelnund Infoterminals Gelegenheit, sichintensiver mit dem Thema ausein-ander zu setzen. „Wir haben dieAusstellung so gestaltet, dass derBesucher auch mal den Überblickverlieren kann, schließlich wolltenwir keine Zwangsführung“, sagtKerstin Haller. „Doch die Besucherwollen eher noch mehr geführt wer-

den und beschweren sich, wenn siedie Orientierung verloren haben.“Die Inszenierungen kommen unter-schiedlich gut an. „Am geilsten wardie Gebärmutter“, befand die Klas-se 8a aus Otterndorf im Gästebuch.„Stell dir mal vor, in einer echtenGebärmutter stinkt es wirklich so“,sagt dagegen eine Schülerin zu ih-rer Freundin. Die Zeitreise zum Ur-knall in einer sich rumpelnd bewe-genden Raumkapsel ist indes einunangefochtener Renner der Aus-stellung.

An der Frage der Inszenierungund der Besucherinformation schei-den sich die Geister. Die Ausstel-lungsmacher der Phänomenta [3] inFlensburg sind in dieser HinsichtPuristen. „Die Besucher – Kinderwie Erwachsene – sollen sich selbstmit dem Exponat auseinander set-zen“, erklärt der PhysikdidaktikerMichael Kiupel, Vorsitzender desFlensburger Phänomenta-Vereins.„Deswegen verzichten wir in derAusstellung fast völlig auf Erklärun-gen.“ Die Exponate sind schlichtgehalten, an den einzelnen Statio-nen befindet sich nur eine kurze,auf das Phänomen zielende Frage.Diese soll die Neugier des Besu-chers ungefähr in die beabsichtigteRichtung lenken – doch die Aus-stellungsmacher haben nichts dage-gen, wenn an dem Experiment et-was ganz anderes untersucht wird.„Die Phänomenta ist keine ‚beleh-

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 5

Forum

29

„Hands on“, anfas-sen erwünscht. Inder Flensburger„Phänomenta“kann man dieLichtbrechung aneiner Seifenhautstudieren. (Foto: S. Thießen)

Page 3: Science Center - ein neuer Freizeittrend: Kinder und Erwachsene rennen den Mitmachmuseen die Türen ein - Didaktiker streiten über die richtige Form der Inszenierung

rende‘, informierende Ausstellungzu einem bestimmten Thema“, soKiupel. „Vielmehr sollen die Statio-nen eigene, individuelle Lernpro-zesse in Gang setzen.“ Durch dieVielzahl der Exponate werden dieBesucher mit Beobachtungen undErfahrungen konfrontiert, die ihnenzwar ungewohnt, jedoch nicht völ-lig fremd vorkommen. Die Möglich-keit, die Parameter des Experimentsfrei zu verändern, gibt ihnen danndie Chance, auf eigene Faust Ab-hängigkeiten zu untersuchen, Vor-aussagen zu überprüfen, Größen-ordnungen abzuschätzen – kurz,ihrem eigenen Forscherdrang freienLauf zu lassen. Die Aufbauten sinddurchschaubar, auf Messgeräte wird

weitgehend verzichtet, und die un-mittelbare Erfahrung – zum Bei-spiel, wie sich ein Kantstein mitund ohne Flaschenzug bewegenlässt – sorgt dafür, dass so man-chem hier ein Licht aufgeht.„Natürlich wollen wir zeigen, dassPhysik und NaturwissenschaftenSpaß machen,“ begründet Kiupeldie Motivation des Vereins. „UndSpaß macht es – so unsere Erfah-rung –, wenn es nicht beim Staunenbleibt, sondern wenn dem Staunendie unmittelbare, forschende Aus-einandersetzung mit dem Phäno-men folgen kann.“ Vielleicht veran-lassen die positiven Erfahrungenden Besucher dazu, sich auch ananderer Stelle mit naturwissen-schaftlichen Fragen zu beschäftigen.

Der Verein Phänomenta e.V. istvor zehn Jahren aus einer Ausstel-lung von interaktiven Stationenhervorgegangen, die seit 1985 unterder Leitung von Prof. Lutz Fiesseran der Universität Flensburg ent-wickelt wurden. Seit fünf Jahren istdie Ausstellung in einem altenKaufmannshof unmittelbar amWahrzeichen Flensburgs, dem Nor-dertor, untergebracht, die über 100Exponate werden immer wiederdurch Neuentwicklungen ergänzt.

Im Gegensatz zu ihren Kollegen inBremen verfügen die Flensburgeralso bereits über eine langjährigeBesucherstatistik – und die beweist,wie erfolgreich der Science Center-Ansatz auch hierzulande ist. „Zwi-schen 1993 und 2000 sind unserejährlichen Besucherzahlen von et-wa 9000 auf über 68 000 gestiegen“,sagt Kiupel. Dabei entspricht dieAusstellungsfläche von 1800 m2 we-niger als der Hälfte des Universumsin Bremen. Die Phänomenta nutztdas Gebäude mietfrei, trägt sich an-sonsten durch die Eintrittsgelder,den Verkauf von Exponaten undweitere Aktionen jedoch selbst.

Auch das älteste Science Centerin Europa, das Spectrum [4] in Ber-lin, verzeichnet seit der Eröffnungals „Versuchsfeld“ des DeutschenTechnikmuseums 1982 wachsendeBesucherzahlen. Von zehn Expona-ten ist die Anzahl der „Hands-on“-Stationen auf mehr als 250 gestie-gen, 175 000 Besucher kamen imvergangenen Jahr in das 1500 m2

große Zentrum im ehemaligen Ver-waltungsbau des Anhalter Güter-bahnhofs. Schon 1996 war der An-drang so groß, dass man sich ge-zwungen sah, eine Anmeldepflichtfür Schulklassen einzuführen. Auchdiese Ausstellung, die seit 1990 denNamen „Spectrum“ führt, leitet sichdirekt vom Exploratorium ab. Prof.Otto Lührs, der spätere Leiter desSpectrums, besuchte das kaliforni-sche Science Center Anfang 1982und entwarf daraufhin im Auftragdes Museumsdirektors GüntherGottmann zehn Exponate, die imgleichen Jahr gefertigt und ausge-stellt wurden.

„Didaktik der Freiheit und Freiwilligkeit“Es bedurfte jedoch einiger Über-

zeugungsarbeit, um die „Hands-On“-Abteilung im sozial-historischorientierten Technikmuseum durch-zusetzen. Als sehr hilfreich erwiessich dabei die Rückbesinnung aufdie alte Berliner Urania, in der dasPublikum schon Ende des 19. Jahr-hunderts Experimente durchführenkonnte: Die Urania war 1888 zumZweck der „Verbreitung der Freudean der Naturerkenntnis“ gegründetworden. Sie umfasste neben einerVolkssternwarte und einem wissen-schaftlichen Theater (!) auch denersten physikalischen Experimen-tiersaal der Welt fürs Laienpubli-kum. Hier standen die erstenDruckknopfexperimente – eine Tra-dition, die das Deutsche Museum in

München erfolgreich weiterführte.Eine ganze Reihe berühmter For-scher, unter ihnen Max von Laue,Manfred von Ardenne und Wernhervon Braun, verdankte ihre erste Be-gegnung mit der Wissenschaft derUrania. In den Krisenjahren1928/29 wurde die Einrichtung auf-gelöst, einige der historischen Ver-suche stehen als Nachbau im Spec-trum Science Center.

Neben interaktiven Experimen-ten, von der Optik und Mechaniküber die visuelle Wahrnehmungund Mathematik bis hin zur techni-schen Musik, bietet das Spectrumauch mehrere Großversuche, die ei-nen ganzen Raum einnehmen. Ei-nes der Highlights ist die Hexen-schaukel, ein Raum, in dem die Be-sucher auf einer fest mit dem Bodenverbundenen Bank Platz nehmen.Dann fängt das Hexenhaus um sieherum an zu schwingen. Der Ein-druck ist verwirrend: Plötzlich istnicht mehr klar, was sich bewegt,die Bank oder das Häuschen?Schließt man die Augen, ist derSpuk vorbei. Was den didaktischenAnspruch angeht, so ist das Spec-trum wohl zwischen dem inszenier-ten Universum und der puristischenPhänomenta anzusiedeln. Auchhier kann man Physik und Techniknicht lernen, das Science Centerkann Anstöße geben und Interessewecken, aber die Schule nicht erset-zen. Die Besucher können experi-mentieren, staunen, Spaß habenund gleichzeitig über Text- undBildinformationen etwas zu histori-schen Hintergründen und techni-schen Anwendungen erfahren. OttoLührs spricht von einer „Didaktikder Freiheit und Freiwilligkeit“.

Ob man im Science Center tat-sächlich etwas lernt, ist nicht ganzeinfach zu beweisen. Die Besucherschlendern umher und lassen sichtreiben, bis sie von einem Exponat„eingefangen“ werden. Bei einemAusstellungsbesuch von mehrerenStunden beschäftigen sie sich bis zu30 Minuten intensiv mit einem be-stimmten Phänomen. Viele findenso „ihr“ Exponat, zu dem sie immerwieder zurückkehren, dessen Para-meter sie verändern. Aber wie lässtsich ein potentieller Zuwachs anWissen quantifizieren und abfra-gen? Insbesondere, wenn mannicht nur das Kurzzeitgedächtnis,sondern auch langfristige Lernef-fekte berücksichtigen möchte? Die-se Frage beschäftigt auch die Verei-nigung der Europäischen ScienceCenter ECSITE, die ein Programm

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 530

Forum

Unendliches Nach-denken? Die Phä-nomenta verzichtetweitgehend auf Er-klärungen. (Foto:Phänomenta)

Page 4: Science Center - ein neuer Freizeittrend: Kinder und Erwachsene rennen den Mitmachmuseen die Türen ein - Didaktiker streiten über die richtige Form der Inszenierung

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 5

Forum

31

zur Evaluation der Zentren in Sa-chen Lerneffekt initiiert hat. Unter-suchungen an einzelnen Institutio-nen belegen die erstaunlich langeZeitdauer, nach der sich die Besu-cher noch an Einzelheiten erinnernkönnen: So konnten Besucher derPhänomenta die erfahrenen Zusam-

menhänge und Beobachtungennach mehr als vier Monaten nochgenau beschreiben.

Zwischen den deutschen ScienceCentern herrscht bislang keineKonkurrenz, dafür sind es zu weni-ge. Im Gegenteil: Die Phänomentaund das Spectrum beliefern dasUniversum mit Exponaten, und alsersten Preis kann man bei einemWettbewerb der Phänomenta Bre-merhaven einen Besuch in Bremengewinnen. Selbst die ideologischeTrennlinie, die vielfach zwischentraditionellen Museen und „moder-nen“ Science Centern gezogenwird, nimmt beim näheren Betrach-ten verschwommene Konturen an.„Das Deutsche Museum hat einefast 100 Jahre alte Tradition von in-teraktiven Elementen“, meint Marc-Denis Weitze, wissenschaftlicherMitarbeiter am Deutschen Museumin München, dem größten naturwis-senschaftlich-technischen Museumder Welt. „In unserem Haus versu-chen wir, beide Ansätze zu verei-nen: die Phänomene ‚zum Anfas-sen‘ und die historischen Origina-le.“ So kann der Besucher einerseitsdie authentischen MagdeburgerHalbkugeln bewundern, anderer-seits mit eigener Kraft versuchen,zwei leer gepumpte Miniaturausga-ben der Halbkugeln auseinanderzu-ziehen. Wo immer möglich, kommtman auch hier von den einfachen

Knopfdruckexperimenten ab. DieMuseumsmitarbeiter pflegen regel-mäßig Kontakt zu anderen Zentrenim In- und Ausland; man tauschtExponate und Wanderausstellungenaus. Die erneuerte Ausstellung zurAtom- und Kernphysik, die das Mu-seum im Mai 2001 eröffnet, wird ei-ne ganze Reihe weiterer interakti-ver Experimente enthalten.

Kürzlich unkte die ZEIT,Deutschland drohe ebenfalls diegroße Pleite, die den Science Cen-tern in Holland, England und denUSA jetzt schon den Garaus mache[5]. Die Warnung scheint übertrie-ben: In den letzten Jahren musstendrei Zentren schließen, zwei davonwegen zu geringer Besucherzahlen,die dritte aufgrund von Manage-mentfehlern – bei mehr als 1000Science Centern weltweit keinZeugnis für eine aussterbendeBranche. Die Amerikanische Scien-ce Center-Vereinigung ASTC ver-zeichnete zwischen 1993 und 1998einen Besucherzuwachs von 14 Pro-zent [6]. Marc-Denis Weitze vomDeutschen Museum sieht die deut-sche Science-Center-Szene sogarim Vorteil: „Viele Zentren in denUSA kaufen die Exponate einfachnur ein, die Science Center wirkenoft geklont. Die meisten deutschenZentren haben dagegen eigeneWerkstätten, in denen sie selbstEntwicklungsarbeit leisten, sodasssich die Ausstellungen hierzulandedurch ihre Vielfalt auszeichnen.“

Bleibt also nur, diese Vielfaltauszubauen, ohne die amerikani-schen Fehler zu wiederholen. Dennin Zeiten akuter Nachwuchssorgenund „Akzeptanzprobleme“ der Na-turwissenschaften ist die Frage, obman die Science Center überhauptbraucht, eine müßige. In jedemKind, das von seinen Erlebnissenmit den Experimenten schwärmt,obwohl sein Tamagotchi dabei ge-storben ist, wird der Besuch imScience Center mehr Begeisterungfür die Wissenschaft geweckt ha-ben, als es der Schulunterricht wohljemals tun wird.

Literatur und Anmerkungen[1] PCST 2001, 1.–3. Februar 2001,

beim Forschungszentrum CERN inGenf, www.cern.ch/PCST2001

[2] www.universum.bremen.de, Eintritt 18,–/11,– DM

[3] www.phaenomenta.com, Eintritt 13,–/9,– DM

[4] www.dtmb.de/Spectrum, Eintritt 5,–/2,– DM

[5] Urs Willmann, Die ZEIT, 22.03.01[6] P.-E. Persson, Public Understand.

Sci. 9, 449 (2000)

Die Berliner Urania zeigte schon vorhundert Jahren Druckknopfexperimente.Erklärtes Ziel war die „Verbreitung derFreude an der Naturerkenntnis“. DasDeutsche Museum in München führtediese Tradition fort. (Foto: DeutschesMuseum, München)