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Selbst-Wahrnehmung Konstruktivistische Theorie der Sozialen Spiegelung: Das Selbstbild ist eine soziale Konstruktion!
• Identität, Selbstbild und Ichbewusstheit befinden sich in einem gemeinsamen Begriffsraum.
Ich- Bewusstheit wäre eher die Bewusstheit darüber, dass es der eigene Körper (oder Teile
davon wie den Mundraum) ist, den und über den man sinnlich wahrnimmt und dass es eine
eigene Urheberschaft der eigenen Wahrnehmungen und Handlungen gibt, dass es also mich
als ein Ich gibt ( möglich etwa nach dem zweiten Lebensjahr).
• Identität wäre eher die auch von außen wahrnehmbare stabile Unverwechselbarkeit einer
Person, also die auch äußerlich definierbaren Kennzeichen, wodurch sich ein Mensch von
einem anderen unterscheidet; wesentlich sind hier auch (selbst- und fremdbestimmt)
zugewiesene Zugehörigkeiten wie z.B. Gruppenzugehörigkeiten
• Das Selbstbild wäre eher eine über eine gewisse Zeit beständige, aber änderbare
Selbstwahrnehmung der eigenen Einschätzungen, Bewertungen, Erwartungen, Ethik, Moral,
Werthaltungen, Überzeugungen, Gefühlen hinsichtlich der eigenen körperlichen, psychischen
und sozialen Eigenschaften und Merkmale. Das Selbstbild entwickelt sich im Verlauf der
Sozialisation durch die kognitive Auseinandersetzung mit dem Bild, das sich andere von
einem machen, dem Fremdbild.
• Anfänglich wird keine Grenze erlebt zwischen Innen und Außen, zwischen Körper und Welt,
zwischen Ich und Du. Das eigene Ich, also die Ich-Bewusstheit sowie später dann das
Selbstkonzept bauen sich auf in der Wahrnehmung eigener Körperreize sowie der
Wahrnehmung des anderen, auch durch die Differenz zum anderen; durch Nachahmung,
Imitation, Mimetik und Zeigefunktionen lernt man: Es gibt den anderen als ein relativ
konstantes mentalisierungsfähiges (also mit Absichten versehenes) Ich, das auf mich
reagiert, als wäre ich ebenfalls ein mentalisierungsfähiges Ich und bei dem ich mir auch für
mich ein mentalisierungsfähiges Ich abschauen kann...
Dr. Fox, 2020 1
Selbst - Konzept
Selbst als soziale Konstruktion
• Zunächst entwickelt sich eine Ich-Bewusstheit dadurch, dass der
Säugling allmählich lernt, dass er es ist, der das sinnlich wahrnimmt,
was er beispielsweise im Mundraum exploriert, dass er also eine
Urheberschaft besitzt über die „eigenen“ Sinneswahrnehmungen
und Handlungen; und dass es sein Körper (oder Teile davon, wie
beispielsweise Mund- oder Genitalbereich ) ist, an dem diese
Sinneswahrnehmungen erlebbar werden; „das Ich ist ein
körperliches“ (S. Freud)
• Der andere löst Emotionen bei mir aus, die ich körperlich spüre;
Körpererfahrungen als Quelle des Aufbaus einer Ich-Bewusstheit,
die als Basis dient für die spätere und lebenslang modifizierbare
Konstruktion eines Selbstkonzepts (=eine erzählerische,
biografische Beschreibung und Bewertung des Ichs)
• Der andere löst durch Berührungen, durch Körperkontakt an der
Haut, also an der Grenze zwischen Innen und Außen, Ich und Du,
ein Spüren der eigenen körperlichen Identität als Basis für eine
Selbstkonzept aus
Dr. Fox, 2020 2
Selbst - Konzept Selbst als soziale Spiegelung
• Der andere löst durch seine Kommunikation und Interaktion mit mir, durch seine
Spiegelung meiner Person, erste Vorstellungen (z. B. Bewertung meiner Person durch
andere; emotionale Konditionierungen; Rollen-Konzept, etc.) über mein Ich aus; diese
Narrationen bilden die Grundlage der Konstruktion des Selbstkonzepts; das Selbst ist also
eine narrative Konstruktion
• Die Beziehung zum Du ist für das Ich konstitutiv; aus der Ich-Bewusstheit entsteht durch
Kommunikation mit dem anderen das Selbstkonzept: So wie niemand sein Gesicht ohne
Spiegel wahrnehmen kann, kann sich auch niemand selber wahrnehmen ohne die
Spiegelung durch den anderen
• In der Kommunikation und Interaktion in bedeutsamen (Liebes-) Beziehungen wird
permanent über die Konstruktion der Selbstkonzepte verhandelt, meist nichtbewusst
• Der andere bietet mir über Beziehung und die Kommunikation, wie er mich wahrnimmt,
eine geistvolle oder mentalisierungsfähige Identität an; diese Identität wird bei
Trennungen intimer Beziehungen stets beschädigt, daher ist jede Trennung vom
relevanten Anderen auch eine Trennung von meinem bisherigen Selbst
• Kommunikation ist selten ein direkter Austausch von Information, sondern eher eine
wechselseitige Anregung zur Konstruktion von Bedeutungen, Bedeutungen des
Kommunizierten, wobei diese Bedeutungen/ Deutungen/ Bewertungen immer aus der
jeweiligen individuellen Biografie (emotionale Konditionierungen) generiert werden und oft
auf das Selbstkonzept einwirken.
Dr. Fox, 2020 3
Selbst - Konzept
Selbst als soziale Konstruktion
• Empathie ist die Fähigkeit, sich in das subjektive Erleben des anderen
hineinzuversetzen; damit ist Empathie die Grundvoraussetzung für jedes
soziale Miteinander; für dieses Miteinander ist unverzichtbar die Fähigkeit, nicht
nur die eigenen Wahrnehmungen und Erlebnisse zu erkennen, sondern auch
die der anderen
• Empathie kann sich erst mit einem Ich-Bewusstsein ausbilden, also erst ab
zirka zwei Lebensjahren; mitfühlende Handlungen sind bewusst möglich ab
zirka drei Lebensjahren
• Spiegelneurone (vornehmlich im prämotorischen und präfrontalen Kortex)
simulieren nicht die geistigen, aber die motorischen Aktivitäten des anderen
und ermöglichen dadurch das Nachempfinden der Empfindungen und
Absichten des anderen
• Spiegelneurone bilden im Verbund mit den Systemen für Gestik, Mimik und
Zeigen den biologischen Ort für das Imitationslernen (theory of mind,
Mentalisieren, kommunikative Absicht, Kooperationsabsicht, prosoziales
Verhalten, Modelllernen, Unterricht)
• Empathie ermöglicht sogar eine Resonanz für Empfindungen des anderen, die
für diesen noch nicht bewusstseinsfähig sind (z. B. in Beratung und Therapie)
• Empathie ist die notwendige, wenngleich nicht hinreichende Voraussetzung für
Mitgefühl und Kooperation
Dr. Fox, 2020 4
Selbst - Konzept Selbst als soziale Konstruktion
• Das Imitationslernen ist für die Konstruktion eines Selbst-Konzepts
unerlässlich
• Selbst-Bewusstsein hängt eng zusammen mit Empathie: Das Selbst-
Konzept konstruiert sich darüber, den anderen als ein Selbst
wahrzunehmen sowie vom anderen als ein Selbst wahrgenommen zu
werden; das gewonnene Selbstverständnis erlaubt dann wieder eine
komplettere Wahrnehmung der Person des anderen; es gibt hier eine
wechselseitige Abhängigkeit.
• überlebensnotwendig ist die Fähigkeit der Empathie, die Absichten und
die Kooperationswürdigkeit der anderen zu erkennen (wesentliche
Informationsquelle ist die nonverbale Kommunikation, speziell die Mimik
als Expression der die Handlung motivierenden Emotionen); Empathie ist
die Voraussetzung für Strategiebildung, Handlungsplanung und
Kooperation
• Empathie ist die Voraussetzung für Mitgefühl und prosoziales Handeln,
was die Konstruktion von Gruppen ermöglicht und damit die
Überlebenswahrscheinlichkeit drastisch verbessert
Dr. Fox, 2020 5
Wesentliche Ebenen des Selbst-Konzepts
Das Selbst (oder die personale Identität) wird
definiert über
• die autobiografischen Erinnerungen
• den Kern der eigenen Werthaltungen, Moral, ethischen und
lebensphilosophischen Überzeugungen (umgangssprachlich
„Charakter“ genannt)
• die Gruppenzugehörigkeit (Familie, Freunde, Beruf, Verein,
Heimat….)
Dr. Fox, 2020 6
Aspekte des Selbst - Konzepts
Was ist das Selbst? Drei erforschbare Teilaspekte: • Urheberschaft: „Ich-Bewusstheit“, d.h.: Ich bin überzeugt, auf Grund meiner
eigenen Wahrnehmungen, Einstellungen, Erinnerungen zu handeln;
Überzeugung von der Selbsterzeugung meiner Wahrnehmungen,
Handlungen und Gedanken (anders z. B. bei Schizophrenie, beim Stimmenhören).
• Transtemporale Einheit, Zeit-Identität: konstante Reizinformationen; „Ich-
Bewusstheit“, die über längere Zeit weiter besteht; als konstant und
konsistent wahrgenommene biografische Erfahrungen und Erinnerungen
konstituieren die Identität (anders bei Amnesien, keine Identität des Ichs in der Zeit)
und das Selbst-Konzept.
• Perspektivität: alle Informationen aus dem eigenen Erlebens- und
Handlungsraum werden um den eigenen Körper herum zentriert;
Wahrnehmungen und Handlungen stets aus der Ich-Perspektive; das Ich ist
in der Welt zentriert, der eigene Körper als Weltmitte (anders beim Neglect-
Syndrom: die eigene Mitte ist verloren, die meist linke Hälfte von Objekten, Raum und
eigenem Körper wird nicht mehr wahrgenommen).
Dr. Fox, 2020 7
Selbst-Wahrnehmung
• das Selbstbild ist ein machtolles Motivationssystem; es bedingt und erklärt das
Verhalten, auch das Verhalten anderen gegenüber
• es ist abhängig von Beziehungserfahrungen, von der Wahrnehmung der eigenen
Person durch den anderen („Fremdbild“ und „Selbstbild hängen wechselseitig von
einander ab)
• die Selbstwahrnehmung erfolgt auch durch Bewertungen des eigenen Verhaltens, die
in Abhängigkeit von der sozialen Situation interpretiert werden
• Verhaltens- und situationsabhängige Selbstwahrnehmung gilt insbesondere für
schwach oder mittel ausgeprägte sowie mehrdeutige innere Zustände sowie bei
Versagen
• unmittelbar wahrgenommen werden innere Zustände dann, wenn sie stark und
eindeutig und als erfolgreich erscheinen und werden dann eher eigenen vermeintlich
stabilen Persönlichkeitsmerkmalen als situativen Bedingungen zugeschrieben
• Als Dunning-Kruger-Effekt wird eine Verzerrung der Selbstwahrnehmung bei eher
inkompetenten Personen bezeichnet, das eigene Können zu überschätzen und die
Kompetenz anderer zu unterschätzen.
Weniger kompetente Personen neigen unter diesem Effekt dazu, ihre eigenen
Fähigkeiten zu überschätzen und die überlegenen Fähigkeiten bei anderen nicht zu
erkennen; sie sind nicht fähig, das Ausmaß ihrer tatsächlichen Inkompetenz zu
erkennen. Kurz gesagt, sie sind zu dumm, ihre eigene Dummheit zu erkennen….
Allerdings entwickeln diese Personen unter diesem Effekt ein höheres Selbstvertrauen;
aber es zeigt sich auch, dass das die eigenen tatsächlichen Leistungen eher schmälert,
während die Leistungen derjenigen, die diesem Effekt nicht unterliegen, deutlich besser
ausfallen.
Dr. Fox, 2020 8
Selbstkonzept
Dr. Fox, 2020 9
•Nichtbewusste Anteile des Selbst
•Privates Selbstbild
•Blinder Fleck •Öffentliches Selbstbild
Was ich und die anderen über mich
wissen
Was nur die anderen über mich wissen
Was niemand von mir weiß, auch ich nicht
Was nur ich über mich
weiß
Feedback
Selb
stö
ffnung
JOHARI-Fenster: Analyseschema nach Luft und Ingham Luft, Joseph: Klett, Stuttgart, 1971
Selbst-Wahrnehmung Selbst- Bewertung
• positive Selbstbewertung ist auch abhängig von
positiver Bewertung der eigenen Person durch eine
Person, die man selbst positiv bewertet
• negative Selbstbewertung wird wesentlich
verursacht durch negative Bewertungen der eigenen
Person durch geschätzte Personen
• negativ bewertete Personen haben kaum Einfluss auf
das eigene Selbstwertgefühl; Ausnahme: negativ
bewertete Personen, die Macht (über Belohnungs-
und Bestrafungsreize) ausüben
Dr. Fox, 2020 10
Selbst-Wahrnehmung
Kriterien der Selbstbewertung • positive Selbstbewertung ist lerntheoretisch abhängig
davon, dass man sich selbst oft in positiven
Situationen erlebt:
– eigene Beliebtheit bei anderen
– dass man sich moralisch integer erlebt
– eigene Fähigkeit der Lebensbewältigung (internale
Kontrollüberzeugung, Selbstständigkeit)
• negatives Selbstbild:
– Ablehnung durch andere
– eigene Unfähigkeit der Lebensbewältigung (externale
Kontrollüberzeugung, Abhängigkeit)
Dr. Fox, 2020 11
Selbstwahrnehmung
Selbstwahrnehmung auch abhängig von
Verhaltenskonsequenzen:
bei hoher materieller Belohnung wird das
eigene Verhalten eher der Belohnung
zugeschrieben und nicht mehr der eigenen
Einstellung, d. h.: stabile Einstellungen werden
intrinsisch erworben, nicht extrinsisch durch
Belohnungen oder Lobhudeleien!
Dr. Fox, 2020 12
Selbstbewertung - Selbstkonzept
Wirkungen des negativen Selbstwerts • leichter zu beeinflussen, subalternes Verhalten
• stärkeres Zuwendungs- und Bestätigungsbedürfnis, leicht kränkbar
• Ablehnung und Abwendung wird als besonders beeinträchtigend erlebt, als
Bestätigung des negativen Selbstwerts
• Selbstunsicherheit, Mutlosigkeit, Resignation, Erschöpfbarkeit
• bei niedrigem Selbstwert bewirkt sozialer Druck (Macht über Belohnung
und Bestrafung) erwünschtes und konformes Verhalten
• hohes Risiko für stressbedingte Erkrankungen
• gesundheitsschädigendes Verhalten, Drogenanfälligkeit
• wenig Impulskontrolle, Gewaltbereitschaft
• hohe emotionale Durchlässigkeit, mangelnde Emotionskontrolle
• rigides, ideologieanfälliges, autoritäres Verhalten
• externales Kontrollbedürfnis, passiv, den anderen als Führer suchend
• wenig beziehungsfähig, egozentrisch, schnell beleidigt, kränkbar
Dr. Fox, 2020 13
Selbstbewertung - Selbstkonzept
Wirkungen des positiven Selbstwerts • schwerer zu beeinflussen, eher nonkonformes Verhalten
• Selbstvertrauen: unabhängiger, selbstständiger, selbstverantwortlicher
• höhere Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen
• weniger ängstlich, misstrauisch oder aggressiv, kooperativer
• intrinsische Lernbereitschaft
• höhere Kreativität, Gestaltungskraft, Problemlösefähigkeit
• höhere Frustrationstoleranz, kritikfähiger (auch gegenüber sich selbst)
• bessere Empathiefähigkeit, bessere Bindungs- und Liebesfähigkeit
• größere Fürsorglichkeit anderen gegenüber
• Erwiderung von Sympathie (und Ablehnung)
• erfolgreichere Lebensbewältigung, Durchsetzungsfähigkeit
• höhere Lebenszufriedenheit
• mehr psychische und körperliche Gesundheit, weniger stressbelastet
• weniger drogenanfällig, weniger gesundheitsschädigendes Verhalten
Dr. Fox, 2020 14
Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für Verhalten
• Bei der Selbstwahrnehmung wird das alltägliche eigene Verhalten eher als abhängig von situativen Bedingungen (externale Attribution) interpretiert, also als situationsangepasst, variabel und zielgerichtet: Ich reagiere flexibel auf jeweilige Situationsbedingungen!
• Bei der Fremdwahrnehmung wird das Verhalten des anderen eher auf innere Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale (internale Attribution) zurückgeführt: Der ist immer so!
Dr. Fox, 2020 15
Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für eigenes Verhalten
Tendenz zu selbstwerterhaltenden Attributionen
– eigene Erfolge werden internal attribuiert und zwar auf stabile und globale Persönlichkeitsmerkmale
– eigene Misserfolge werden external attribuiert und internal auf instabile und spezifische Merkmale
– Personen, die mit eigenen Bewertungen übereinstimmen, werden als intelligenter eingeschätzt als solche, die nicht übereinstimmen
Funktion: Durch Selbstwerterhalt wenig Entmutigung bei Misserfolgen. Man bleibt eher dran...
Dr. Fox, 2020 16
Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für fremdes Verhalten
• die situativen Einflüsse auf den anderen werden
systematisch unterschätzt
• Ursachen werden auf vermeintlich stabile persönliche
Eigenschaften und Einstellungen attribuiert
Gründe: dem Beurteiler sind situative Kontexte beim
anderen wenig bekannt
Abhilfe: um das Verhalten des anderen besser beurteilen zu
können, bedarf es Kompetenz, Bewusstheit der
prinzipiellen Fehleranfälligkeit von
Personenbeurteilungen, Selbstbewusstheit, Empathie und
die Beschränkung der Beurteilung auf das Verhalten der
Person: nicht die Persönlichkeit beurteilen, sondern das Verhalten
in einem bestimmten situativen Kontext!
Dr. Fox, 2020 17
Attributionstendenzen weitere dysfunktionale Attributionsstile
• depressiver AS: eigene Erfolge werden situativen, glücklichen Umstände attribuiert; eigene Misserfolge werden stabilen und globalen Persönlichkeitsmerkmalen zugeschrieben
Funktion: Abschiebung von Eigenverantwortlichkeit; legitimiert mangelndes Engagement
• feindseliger AS: misstrauisch, anderen feindselige oder egoistische Absichten unterstellen
Funktion: dient der Rechtfertigung eigener Aggressionen; stabilisiert Aggressionen; legitimiert Ab- und Ausgrenzungen sowie mangelnde Kooperationsbereitschaft; erhält die Gruppenkohäsion in Bedrohungssituationen
Dr. Fox, 2020 18
Attributionsmuster
in beschädigten Beziehungen
• positives Verhalten des anderen wird instabilen zufälligen Umstände zugeschrieben, seiner eigentlichen Nichtabsicht, egoistischen oder anderen vermeintlich negativen Motivationen
• negatives Verhalten wird stabilen und globalen persönliche Eigenschaften des anderen zugeschrieben, einer Absicht sowie egoistischen oder anderen negativen Motivationen
Dieses Attributionsmuster ist nicht nur Folge negativer Beziehungen, sondern ist zugleich Prognose und Risikofaktor!
Dr. Fox, 2020 19
Attributionen von Verantwortlichkeit
Personen werden für negative Folgen ihres Verhaltens umso mehr persönlich verantwortlich (und nicht als situationsabhängig) beurteilt,
• je größer der Schaden
• je fremder und entfernter sie dem Beurteiler erscheinen
• je weniger attraktiv
Funktion: die eigene Bedrohtheit zu beschwichtigen sowie der
Erhalt des Glaubens an eine „gerechte Welt“ erklärt das Phänomen, z. B. Gewaltopfern eine Mitschuld zuzuschreiben
Dr. Fox, 2020 20
Gehorsamkeit und Autoritätsgläubigkeit Ergebnisse aus dem Milgram-Experiment
• zwei Drittel der VPn gehorchten dem Versuchsleiter als Autoritätsperson,
indem sie - eigene moralische Werte negierend - höchst körperschädigende
Bestrafungen an „Opfern“ vollstreckten, allerdings besonders häufig erst
dann, wenn sie ihr Handeln im Dienste einer guten Sache ansahen, hier also
im Dienste der Wissenschaft
• fühlen sich die „Bestrafer“ als „Rädchen im Getriebe“ erhöht sich die
Gehorsamsrate auf 92,5%
• diese Gehorsamsrate reduziert sich drastisch auf 10%, wenn zwei Vorbilder
inhumanen Gehorsam verweigern
• mit zunehmender Nähe zum Opfer fällt die Gehorsamsrate kontinuierlich ab
Fazit: Personen werden in ihrem Verhalten von situativen Einflüssen geleitet; sie verlieren
ihre moralischen Motivationen, wenn sie die Eigenverantwortlichkeit für ihr Handeln an
eine Autorität oder an die Loyalität gegenüber einer Gruppe, der man sich zugehörig
fühlt, abschieben
Beachte: Dieses Experiment, das nach dem zweiten Weltkrieg ursprünglich die Autoritätsgläubigkeit der Deutschen erkunden wollte, wurde
über Jahrzehnte in immer wieder neu aufgelegten Studien in verschiedensten Ländern und Kontinenten in seinen Ergebnissen
bestätigt: kulturübergreifend zeigen etwa 65% der Vpn autoritätsgläubigen Gehorsam und eine den anderen beschädigende
Selbstverantwortungsaufgabe
Dr. Fox, 2020 21
Stanford-Gefängnis- Experiment nach Philip Zimbardo (1971)
• Anfangs unauffällige Personen wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt, in die Gruppe
der Wärter und in die Gruppe der Insassen; das auf zwei Wochen angelegte Experiment
wurde bereits nach 6 Tagen abgebrochen, weil sich die Wärter völlig dehumanisiert
hatten und die Insassen, die als Versuchsanordnung keine Namen , sondern lediglich
Nummern als Kennzeichen führen durften und in sackähnliche „Kleidung“ ohne
Unterwäsche gesteckt wurden, zunehmend brutaler quälten und misshandelten,
insbesondere dann, wenn sie zu strengem Handeln aufgefordert wurden.
• (situative) Kontexte, die Böses in uns fördern können: rigide Gruppenzugehörigkeit,
Outgroup-Entwertungen, sozialer Druck, repressives Klima, Rassismus, Sexismus,
Faschismus, Beschämungen, Minderwertigkeitsgefühle, Überlegenheitsgefühle,
Narzissmus, drastische Verteilungsungerechtigkeiten, mangelnde Überwachung, keine
persönliche Verantwortung, keine ethischen Leitlinien, kognitive Dissonanzen, Vorurteile.
• Diese (situationsbedingten) Faktoren sind keinesfalls Entschuldigungen für Gewalt. Sie
lassen Gewaltentstehung aber verstehen im Sinne von Kapieren. Ebenso kann das
Verständnis der psychologischen Mechanismen, die bei der Ausübung und
Rechtfertigung von Gewalt wirken, die Prävention von Gewalt befördern.
• Merke: Bei der Reflexion unserer eigenen bösen Taten tragen wir nun mal eine sehr
trübe Brille
Dr. Fox, 2020 22
Schlussfolgerungen aus den
Milgram- und Zimbardo- Studien
• Böse Taten verüben auch ganz normale Menschen.
• Wir identifizieren uns bereits an Hand banaler Merkmale mit unserer
Eigengruppe (Ingroup), was zur Entwertung von Fremdgruppen (Outgroup) und
dadurch auch zu Gewalt führen kann, da der körperlichen Gewalt stets die
verbale vorausgeht.
• Nimmt man den anderen nicht mehr als Menschen wahr, sondern beispielsweise
als Tier oder nur eine Nummer, dehumanisiert man ihn, was die Hemmschwelle
absenkt, ihm Böses anzutun, wodurch man sich dann auch selber
dehumanisiert.
• Besteht ein Konflikt zwischen Handeln und Selbstkonzept, zwischen Gedanken
und Taten, zwischen eigener Moral und der der Gruppe, der man sich zugehörig
fühlt, tritt häufig eine kognitive Dissonanz auf: Man rationalisiert, indem man
seine Bewertungen und Einstellungen den Taten anpasst, um die Tat oder sich
selbst zu rechtfertigen; beispielsweise: Der Zweck heiligt die Mittel
• Bestimmte situative Bedingungen, insbesondere die Aufforderung zu
Gewalttaten durch als Autoritäten anerkannte Personen, können einen starken
sozialen Druck aufbauen, der fast alle Menschen veranlasst, Taten zu tun, die
unter normalen Bedingungen nicht getätigt würden und die man von sich selber
auch nie erwartet hätte!
Dr. Fox, 2020 23
Wahrnehmung Was ist Wahrnehmung?
• eine aktiv gestaltete Rekonstruktion der Welt mit dem Ziel der
Verhaltensanpassung an die Umwelt
• durch Selektion wird eine drastische Reduktion der Datenmenge
erreicht, wodurch Wahrnehmung erst möglich wird
• Sinnesreizen werden durch Informationsverarbeitungsprozesse
subjektive Bedeutungen abgerungen
• diese Bedeutungsverleihung von Sinneseindrücken gelingt im
Abgleich mit bereits abgespeicherten Erfahrungsbeständen
• Wahrnehmung als Motivation für Erleben und Verhalten ist
abhängig von der Biografie; Vergangenheit erklärt Gegenwart
• das Gehirn entwirft bei der Wahrnehmung in der Gegenwart
Modelle und Prognosen aus der Vergangenheit für die Zukunft
• Wahrnehmung ist also eine interne Modellbildung auf Grund von
Input aus der Welt zum Zwecke einer Verhaltensempfehlung, die
prognostisch für das Überleben günstig erscheint
Dr. Fox, 2020 24
Wahrnehmung • die Selektion der Wahrnehmung ist abhängig von den
Fähigkeiten der Sinnesorgane, den neurophysiologischen
Reizweiterleitungen (Transmitterprozesse) und der aktiv
interpretierenden, (be-)deutenden Informationsverarbeitung
• diese Informationsherstellung verläuft eher datengesteuert
(bottom-up) in unbekannten und uneindeutigen Situationen
• sie verläuft eher konzeptgesteuert (top-down) in bekannten
Situationen: Erwartungshaltungen lenken durch bereits
vorhandene Konzepte die aktuelle Wahrnehmung (z. B. in
bekannten Räumen, in langjährigen Beziehungen das Bild
vom anderen, etc.) und erschweren Detailwahrnehmungen
• je stärker die Erwartungshaltung, desto geringer die
differenziertere Wahrnehmung, desto stärker die rigide
Vorurteilsbildung
Dr. Fox, 2020 25
Einstellungen
• Einstellung: Bewertung (negativ, positiv, neutral) von
Verhaltensweisen, Begriffssystemen, Personen, Reizen,
Erfahrungen...
• Kognitive Dissonanz: widersprüchliche Einstellungen
gegenüber einem Einstellungsobjekt erzeugen innere
Spannungszustände; vor allem die Dissonanz zwischen
eigenem Handeln und Selbstbild erzeugt innere Spannungen;
die darauf üblichen Reaktion sind
Dissonanzreduktionsstrategien:
• Rationalisierungen, Verharmlosungen missliebiger
Argumente, Anpassung der Einstellung an das Verhalten
• Aufnahme neuer Informationen, die den missliebigen
entgegengesetzt sind, bis zur Dissonanzauflösung
Merke
Der Mensch ist nicht ein rationales, sondern ein
rationalisierendes Wesen !
Dr. Fox, 2020 26
Soziale Wahrnehmung
Untersuchung sozialer Einflussfaktoren auf die
Wahrnehmung des Einzelnen
Asch-Experiment
durch soziale Vergleichsprozesse passen Individuen ihre
zunächst individuellen Wahrnehmungen der majoren
Gruppenwahrnehmung an und entwickeln eine
Gruppenkonformität in Wahrnehmung und Bewertung
– Die Länge einer dargebotenen Linie wird bei drei Referenzlinien
(eine genauso lang, eine länger, eine kürzer) zunächst korrekt
bewertet, wenn aber 5-7 eingeweihte Vpn bewusst falsche Urteile
abgeben, sinkt die Rate der korrekten Bewertungen auf ca. 25%
Fazit: es gibt eine soziale Konformität, eine
Beurteilungstendenz in Richtung Mehrheitsmeinung
Grund: Beseitigung kognitiver Dissonanzen, Zugehörigkeitsbedürfnis
Dr. Fox, 2020 27
Vorurteile Vorurteile sind rasche Urteile aufgrund weniger Kriterien; es
sind emotional gefärbte, irrationale negative Einstellungen
meist gegenüber Angehörigen anderer, vor allem fremder
Gruppen
• Vorurteile sind Rückschlüsse von einem oder mehrerer Mitglieder
einer Gruppe auf die Gesamtheit der Gruppe und von der Gruppe
auch wieder zurück auf einzelne Mitglieder- es ist also ein
Beurteilungssystem zweier sich wechselseitig aufschaukelnder
Fehlschlüsse
• Stereotypen sind dann die Verfestigungen der behaupteten
Gemeinsamkeit dieser beiden Fehlschlüsse; Stereotypen sind dann
die kognitiven Komponenten
• Emotionalität äußert sich dann oft in Feindseligkeit und entzieht sich
rationaler Argumentationen
• die entsprechende Handlungsebene zeigt sich in Diskriminierungen,
ungerechten Behandlungen bis hin zu Gettoisierungen,
Ausgrenzungen und Gewalthandlungen
Dr. Fox, 2020 28
Vorurteile
Funktionen der Vorurteile
• schnelles selbstschutzwahrendes Handeln in
bedrohlich wirkenden Situationen
• Selbstwerterhöhung bei geringem Selbstwert
• Gruppenkohäsion, Wir-Gefühl
• Sicherung von Macht und Dominanz
• Aggressionsbereitschaft im Kampf um begrenzte
Ressourcen
• Reaktion auf Frustration von Bedürfnissen
• Der Selbsthass wird als Hass auf die vermeintlich
Hassenswerteren projiziert
Dr. Fox, 2020 29
Vorurteilsbildung
• Stereotypisierungen sind Urteilssimplifizierungen (dienen der
Ökonomisierung von Beurteilungen, der Reduktion von
komplexen Phänomenen auf wenige, selektive Signalreize)
oder Wahrnehmungsverzerrungen:
– Kategorisierung/ Typisierung: Einordnung von Menschen
in Typen, Geschlecht, Gruppen, Berufsgruppen, Nationen,
Organisationen
– Stereotyp: auf alle Gruppenmitglieder werden ungeprüft
zugeordnete und verfestigte Merkmalskomplexe
übertragen: Die sind alle so!
– Stereotypisierung: Übertragung des Stereotyps auf
Personen
Dr. Fox, 2020 30
Vorurteilsbildung: Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus sind ethnische
Vorurteile, die durch abwertende Kommunikation vervielfältigt wird und
sich pseudomäßig auf biologische Unterschiede beruft; abwertende
stereotype Einstellungen gegenüber einer Ethnie sind abhängig von:
• Ethnozentrismus (eigene Gruppe gilt als höherwertig)
• wenig tatsächliche intergruppale persönliche Kontakte
• niedriger Sozialstatus, soziale Benachteiligungen, keine Bildungsteilhabe,
Opfer elterlicher Misshandlungen, autoritäres Familienklima
• niedriges Selbstwertgefühl, niedrige Intelligenz, Intoleranz gegenüber der
Mehrdeutigkeit und Wechselhaftigkeit des Daseins, wenig Selbstreflexion
• Der autoritäre Charakter, der Fromm (1932) und Adorno (1950) als
Nährboden der Vorurteilsbildung gilt, ist zugleich autoritär und autoritätshörig;
er gibt die Repression, die er durch andere erfahren hat, an die weiter, die er
mittels Vorurteile unter sich gestellt wahrnimmt; in einer
verteilungsungerechten Gesellschaft kämpfen die Verlierer gegen die
Verlierer und werden so zu den Stabilisatoren des Systems, das sie zu
Verlieren gemacht hat
• Angst der „Satten“, etwas zu verlieren bei Erhöhung der
Verteilungsgerechtigkeit
Dr. Fox, 2020 31
Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit. (Ebner-Eschenbach, um 1860)
Rassismus
Die Jenaer Erklärung vom 10.September 2019 (112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft)
stellt fest:
Das Konzept der Rasse ist (lediglich, eingefügt von Fox) das Ergebnis von Rassismus…
Eine irgendwie geartete Rasse unter Menschen gibt es also gar nicht, es ist lediglich
ein Konstrukt von Rassisten!
Dazu Johannes Krause (2019): Es gibt im menschlichen Genom unter den 3,2
Milliarden Basenpaaren keinen einzigen fixierten Unterschied, der z.B. Afrikaner von
Nicht-Afrikanern trennt, erst recht kein einziges Gen.
Die angeblich biologische und dadurch angeblich wissenschaftlich begründete
Rassentheorie entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Evidenz, ist also lediglich
Propaganda von Rassisten und eine pseudoanthropologische Konstruktion, die sich
stützt auf willkürlich gewählte Eigenschaften wie z.B. Haar- , Augen- oder Hautfarbe.
Die zweifellos beobachtbaren Unterschiede zwischen Menschen sind eher
unterschiedliche Ausprägungen auf einem Kontinuum von jeweiligen Eigenschaften
und eben nicht diskrete Kategorien; Taxonomien dieser Art wären also willkürlich und
nicht wissenschaftlich begründbar.
Vgl. Krause: ein eingeborener Thüringer kann sich genetisch mehr von einem
anderen Thüringer unterscheiden als von einem nordafrikanischen Migranten.
(siehe: Johannes Krause: Die Reise unserer Gene, Propyläen, 2019)
Dr. Fox, 2020 32
Reduktion von Vorurteilen: Kontakthypothese
• Der Sozialpsychologe Gordon Allport entwickelte bereits 1954 in einer Art Metastudie seine
Kontakthypothese, die besagt, dass sich Vorurteile dann auflösen würden, wenn sich Personen,
die einander in Vorurteilen verstrickt hassen, sich persönlich begegnen würden. Allports
Kontakthypothese wurde mittlerweile in Tausenden (!) von Nachfolgestudien bestätigt: Wenn sich
Gruppen, die sich zunächst einander vorurteilungsbefangen feindlich gegenüberstehen, persönlich
begegnen, lösen sich vorurteilsbedingter Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus,
Antisemitismus auf (bei einer Felduntersuchung von Juliana Schroeder sogar die Feindschaften zwischen israelischen
und palästinensischen Jugendlichen). Das effektivste Mittel, Vorurteile und dadurch bedingte intergruppale
Feindseligkeiten und Hass aufzulösen, wäre also die Ermöglichung von persönlichen Kontakten
zwischen diesen Gruppen. Umgekehrt ließen sich Vorurteile chronifizieren durch Kontaktsperren
(vgl. hierzu Berbner, 2019).
• Vorurteile entwickeln sich meistens eben nicht aus persönlichen Beziehungen, sondern aus einer
gewissen Ferne und kommen dann deshalb zustande, weil man ein entsprechend
vorurteilungsbeladene Gerücht, das von interessegeleiteten Populisten in die Welt gesetzt wird,
unreflektiert übernimmt, also weil man einem Konformitätsdruck erliegt.
• Der Sozialpsychologe Solomon Asch konnte bereits 1951 nachweisen, dass man eigenen
Wahrnehmungen und Einstellungen nicht mehr traut, wenn man von genügend
Gruppenmitgliedern konträre Einschätzungen hört; dann nehmen Personen nicht mehr wahr, was
sie eigentlich unabhängig wahrnehmen würden, sondern das, was ihnen von anderen suggeriert
wird; Menschen sind, wenn ein Konformitätsdruck vorherrscht, sehr anfällig für Ideologien, auch
weil das Imitationslernen eine sehr effektive Lernform darstellt.
Dr. Fox, 2020 33
Gewaltprovozierende Ideologien
• Fremdenfeindlichkeit und Rassismus provozieren
intergruppale Gewaltbereitschaften
• Gewaltaffine Ideologien werden begünstigt durch: • Verteilungsungerechtigkeiten
• Frustration menschlicher Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit,
Geborgenheit, positiver Selbst-Bestätigung, Selbstachtung, Sicherheit
• Mangel an interner Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeit sowie
freien Entfaltungsmöglichkeiten
• Gruppen-Loyalität und Konformitätsdruck
• Kollektive chronische Beschämungen und Entwertungen
• Beschämte hassen vor allem jene, die anders als sie selbst erscheinen
• Verletzungen der Menschenrechte
(vgl. dazu auch Forschungen von Ervin Staub, The Roots of Goodness and Resistance to Evil, 2015)
Dr. Fox, 2020 34
Erwartungshaltungen
Selbsterfüllende Prophezeiung
Pygmalion Effekt oder Rosenthal- Experiment
• Der Pygmalion Effekt zeigt die Macht, die eine Erwartung an den
anderen über dessen Selbstbild-Konstruktion hat; in Folgeexperimenten
des klassischen Rosenthal Experiment (mit Studenten, die die
Lernleistungen genetisch vergleichbarer Ratten nichtbewusst beeinflussten in
Abhängigkeit ihrer positiven bzw. negativen Leistungserwartung) zeigte sich,
wie sich die (unbegründete) vorweggenommene positive Einschätzung
einer Person (Schüler) durch einen Beurteiler (Lehrer) im späteren
Verlauf bestätigt.
• Der Grund für die faktische Leistungssteigerung (bis zu 20 IQ-Punkte
Zugewinn innerhalb eines Schuljahres) bei etwa 40% der positiv
etikettierten Schüler (in den unteren Schulklassen, in höheren verliert
sich der Effekt) kann im Rosenthal Experiment nur in den Erwartungen
der Lehrer gegenüber diesen Schülern gelegen haben.
• Hier zeigt sich die Macht der wechselseitigen Beeinflussung auf das
Selbstkonzept und die Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen
(hier: Intelligenz) in Abhängigkeit von der Erwartung des anderen an die
eigene Person
Dr. Fox, 2020 35
Effekte von Merkmalsreihenfolgen und zentralen Merkmalen bei der Personenwahrnehmung
Tests nach Asch
Reihenfolgeneffekt intelligent-fleißig-impulsiv-kritisch-hartnäckig- neidisch
neidisch-hartnäckig-kritisch-impulsiv-fleißig-intelligent
zentrales Merkmal intelligent- geschickt-fleißig-warmherzig-entschlossen-praktisch-vorsichtig
intelligent- geschickt-fleißig-kalt-entschlossen-praktisch-vorsichtig
jeweils anschließend nach Sympathie einschätzen oder nach der
Ausprägung anderer Merkmale beurteilen
Dr. Fox, 2020 36
Beurteilungsfehler Systematische Verzerrungen bei Personen-Wahrnehmung
• Konditionierungen, kontext- und rollenabhängige Bewertungen
• Assimilationseffekte/ projektive Ähnlichkeit: Einstellungen der anderen erscheinen den eigenen ähnlicher als tatsächlich
• Kontrasteffekte: verschiedener als tatsächlich
• implizite Persönlichkeitstheorien inferieren nach zentralen Merkmalen zum Beispiel: warm-kaltherzig, intelligent-dumm
• generelle Merkmal-Bewertungsmaßstäbe: soziale und intellektuelle Kriterien
• Halo-Effekt: Tendenz zur fälschlicherweise konsistenten Bewertung von unterschiedlichen Merkmale: generell positiv oder generell negativ
• Positionseffekt: Dominanz des ersten Eindrucks; Dominanz des letzten Eindrucks bei längerem Zeitabstand zwischen verschiedenen Eindrücken
• Stimmungseffekt: negative Stimmung verstärkt negative Beurteilung v.v.
• Urteilsgenauigkeit unterliegt vielfältigen Fehlern:
– Unter-Überschätzung der interpersonalen Konstanz, Variabilität und Stereotypie von Merkmalen
Fazit: Der Mensch ist ein schlechter Menschenkenner!
Dr. Fox, 2020 37
Änderung von Einstellungen durch Kommunikation
Sympathie des Senders als größter
Einflussfaktor
• bewirkt Appetenzverhalten beim Empfänger
• Verhaltensänderungen beim Empfänger sind
schneller, bedeutsamer und nachhaltiger
• Modell- und Imitationslernen effektiv
• auch Unterricht ist effektiver bei Begeisterung des
Senders für sein Fach
• Kritik wird eher angenommen
Dr. Fox, 2020 38
Anzeichen von Sympathie
• Dauer des Blickkontakts länger
• Pupillendurchmesser größer
• geringere räumliche Distanz
• häufigeres Ansprechen
• häufigerer (beiläufiger) Körperkontakt
• Synchronizität der Körperbewegungen und Haltungen
Dr. Fox, 2020 39
Änderung von Einstellungen durch
Kommunikation
Einflussfaktoren beim Empfänger
Beeinflussbarkeit
• unterschiedliche Suggestibilität, allerdings
situations- und senderabhängig
• Geschlecht
• Selbstkonzept, Selbstwert: Menschen, die einem
Sympathie entgegenbringen, werden ebenfalls
sympathisch bewertet- aber nur bei positiven
Selbstbild des Empfängers, bei negativen Selbstbild gegenläufig (Tendenz zur Bewertungskonsistenz)
Dr. Fox, 2020 40
Kooperation
Definition
kooperatives Verhalten zielt auf den
gemeinsamen Nutzen der Interaktionspartner
altruistisches oder prosoziales Verhalten zielt
auf den Nutzen des Partners (ist aber niemals
„selbstlos“, da soziale Anerkennung, evolutionäre Vorteile oder
Erhabenheitsgefühle in der Folge belohnend wirken)
wettbewerb- oder konkurrenzorientiertes
Verhalten zielt vor allem auf Eigennutz
Dr. Fox, 2020 41
Kooperation
• Kooperation ist für den Menschen
überlebensnotwendig
• Kooperation als Evolutionsvorteil, erhöht
Effektivität und Schutz für die Gruppe
• Kooperatives Verhalten setzt Vertrauen voraus,
dass sich auch der andere kooperativ verhält
• Kooperationswürdigkeit des anderen wird
spontan im ersten Eindruck eingeschätzt
Dr. Fox, 2020 42
Kooperation
prosoziales und kooperatives Verhalten
• entspringt dem Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit und
Selbstwerterhöhung
• Reflexe, zu helfen, entwicklungspsychologisch schon sehr früh
(Hinweis auf biopsychologische Grundlage): Schon einjährige
Kleinkinder gehen mit Mitgefühl und fürsorglichen Aktivitäten auf
Hilfsbedürftige zu (vgl. Forschungen von Carolyn Zahn-Waxler, University of Wisconsin)
• wird vermittelt über Lernen: Modelllernen, Nachahmung, Imitation,
Erfolgslernen, Botschaften, Internalisierung von Normen sozialer
Verantwortung
Aber: Erfolg ist hier nicht materieller Art, sondern wird verstärkt durch
positive soziale Feedbacks!
Dr. Fox, 2020 43
Kooperation
Einstellungen als Kooperationsbedingungen
• generelle Einstellungen (Bewertungen) zur Kooperation:
konkurrenz- und statusorientierte Personen kooperieren generell
seltener als kooperationseingestellte
• liberale versus autoritäre Einstellungen (familiär erworben):
liberale Personen sind überwiegend vertrauensvoll und
vertrauenswürdig
deutlich autoritär eingestellte sind überwiegend misstrauisch und
vertrauensunwürdig
• bei internaler Kontrollüberzeugung höhere Kooperation
Merke:
Kooperation ist nicht selbstverständlich. Unkooperatives Verhalten ist zunächst häufiger. Kooperation wird über Erfolg stabilisiert
Dr. Fox, 2020 44
Kooperation
Kooperationsförderlich:
• kommunikativer Austausch vor der Kooperationssituation: erhöht deutlich die
Kooperationsrate bei zunächst kooperationsunwilligen Interaktionspartnern
• selektive Belohnungen für kooperatives Verhalten
• konsekutives Kooperationsverhalten:
– konstruktiv ist ein bedingt kooperatives Verhalten: weitere Kooperation
nur dann, wenn Partner kooperiert hat
– bedingungslose Kooperation oder Nichtkooperation senkt die
Kooperationsrate des Partners
• erwartetes Kooperationsverhalten des Partners:
– erwartete Kooperation erhöht eigene K
– erwartete Nichtkooperation erhöht eigene NK
– kooperativ eingestellte Partner erwarten eher Kooperation
– konkurrenzorientierte erwarten eher Nichtkooperation
Dr. Fox, 2020 45
Kooperation
Situationsfaktoren als Kooperationsbedingungen
• möglicher Gewinn und Verlust:
– je höher der mögliche Gewinn für beide Interaktionspartner bei
Kooperation beider, desto stärker die Kooperationsneigung
– je höher der mögliche Verlust für beide bei Egoismus beider, desto
stärker die Kooperationsneigung
– je höher die mögliche Gewinnerwartung bei eigenem Egoismus und
gleichzeitiger Kooperation des Partners, desto schwächer die KN
– je höher der mögliche Verlust bei eigener Kooperation und
gleichzeitigem Egoismus des Partners, desto schwächer die KN
Merke:
Wenn nur ein Partner egoistisch handelt, senkt sich die
Kooperationsneigung aller; sich als fair behandelt fühlende Personen
handeln kooperativer!
Dr. Fox, 2020 46
Fairness • Der Mensch hat– ebenso die großen Menschenaffen (vgl.
Experimente von Frans de Waal an Primaten)- bereits
frühkindlich- einen Sinn für Fairness: Der Mensch
handelt nicht ökonomisch-rational, sondern auch
moralisch oder nach einem Empfinden für Gerechtigkeit:
Das Verhalten in entsprechenden Versuchen (Menschen spielen dabei
meist um Geld) zeigt, dass Menschen beim Ultimatum-Spiel (vgl.
Fehrs) ihren Spielpartnern in der Regel die Hälfte der Belohnung
zukommen lassen. Sie sichern sich allerdings einen größeren Anteil
des Gewinns, wenn ihr Partner keine Möglichkeit des Einspruchs hat.
• Sinn für Fairness hat die Funktion der besseren
Kooperation und der Reduktion von Egoismus
• PS: Erleben von Unfairness zeigt sich hirnphysiologisch in den
neuronalen Netzwerken (Insula), in denen auch Schmerzen erlebt
werden
• PSS: Ein unbegrenztes Wachstum führt zu Krebsgeschwüren, ein
unbegrenztes Wachstum von Egoisten würde das Verderben aller
bedeuten
Dr. Fox, 2020 47
Kooperation
Situationsfaktoren als Kooperationsbedingungen
• Macht in asymmetrischen Beziehungen:
– der machtvolle Partner zeigt weniger Kooperationsneigung als
der schwächere Partner
– der machtvolle Partner kann den schwachen Partner eher zur
Kooperation veranlassen als umgekehrt
• Macht in symmetrischen Beziehungen:
– bei zweiseitigen Drohungspotenzialen erhöht sich das Risiko für
Verluste bei beiden, vor allem dann, wenn die
Drohungspotenziale nicht exakt gleichwertig sind
Dr. Fox, 2020 48
Altruismus
Altruismus wird verstärkt durch
• selektive Belohnung
• soziale Normen
• Selbstverstärkung, Gefühl der Erhabenheit
• Lernen durch Beobachtung einer beliebten Modellperson
• Beobachtung anderer Hilfe leistender Personen
• gegenseitige Hilfeleistungen, Reziprozität des Altruismus
• Training von Empathie und Mitgefühl:
– Empathie ermöglicht Mitgefühl
– Mitgefühl ist die Motivation für fürsorgliches Handeln und
Hilfeleistungen
– Empathie und Mitgefühl nehmen zu bei Ähnlichkeit und
Nähe zum Hilfsbedürftigen
Dr. Fox, 2020 49
Altruismus
Altruismus wird geschwächt durch
• Partner verhält sich nicht ebenfalls hilfsbereit
• aversive Konsequenzen bei geleisteter Hilfe, Misserfolg, eigener
Schaden, Stigmatisierungen, Ausgenutztwerden
• hoher Aufwand, Zeitdruck
• nichtreagierende Zuschauer:
die Wahrscheinlichkeit prosozialen Handelns nimmt mit der Anzahl
anwesender Personen ab
Gründe: Abschiebung der Verantwortung; auch die fälschliche
Annahme, man würde die Situation angesichts der Passivität der
Interaktionspartner dramatisieren und sich bei Eingreifen blamieren
Abhilfe: Verantwortung laut ansprechen und verteilen, eigenes
Eingreifen laut ankündigen und das der anderen einfordern!
Dr. Fox, 2020 50
Prosoziales Handeln
Prozessmodell prosozialen Handelns Stufe 1: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit
Stufe 2: Bewusstheit eigener sozialer Verantwortung
Stufe 3: Kosten-Nutzen-Abwägung
Stufe 4: Konsequenz
– überwiegt erwarteter Nutzen, tritt prosoziales Handel auf
– überwiegen erwartete Kosten, erfolgen zum Selbstwertschutz
Rationalisierungen auf den Stufen 1-3
• Stufe1: „ich hab nichts gesehen“ „alles halb so schlimm“
• Stufe2: “warum gerade ich?“
• Stufe3: „ich schaff das nicht“ „man kann nichts dagegen tun“
Dr. Fox, 2020 51
Literatur
— Adorno, Theodor W./ Frenkel-Brunswik, Else/ Levinson, Daniel J./ Sanford,
R. Nevitt (1950): The Authoritarian Personality. New York: Harper und
Brothers.
— Fromm, Erich (1936): Sozialpsychologischer Teil. In: Horkheimer, Max/
Fromm, Erich/ Marcuse, Herbert (Hrsg.): Studien über Autorität und Familie.
Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Paris: Alcan. S.
77–135.
— Berbner, Bastian (2019): 180 Grad- Geschichten gegen den Hass, C.H.
Beck
Dr. Fox, 2020 52