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IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
SONDERHEFT Indien - Pakistan - Nepal - Iran
Deutsch in Südasien
[ Nr. 87 • Juni 2015 ]
[ [
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
2
IDV - Der Internationale Deutschlehrerverband
ir freuen uns sehr, Ihnen die erste
Ausgabe des IDV-Magazins im Jahr 2015
vorstellen zu dürfen.
Die vorliegende Ausgabe wird als Sonderheft des
IDV-Magazins von Puneet Kaur, der General-
sekretärin des Internationalen Deutschlehrer-
verbands (IDV) und Vizepräsidentin des indischen
Deutschlehrerverbands (InDaF), herausgegeben
und ist dem Thema Deutsch in Südasien ge-
widmet. Durch Beiträge von DaF-Lehrer/inne/n
und Dozent/inn/en aus Indien, Nepal, Pakistan
An die Leserinnen und Leser
und dem Iran wird die Szene der Deutsch-
vermittlung in einer der neuen großen DaF-
Regionen exemplarisch dargestellt.
Ein Vorwort durch Puneet Kaur und Prof. Dr.
Pramod Talgeri präsentiert die reichhaltigen
Beiträge dieses Sonderhefts und führt die
Leserinnen und Leser in die traditionsreiche,
bedeutungsvolle und ständig neue Vermittlung
des Deutschen in der Region Südasien ein.
Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre!
Präsidentin: Marianne Hepp [email protected]
Vizepräsidentin: Alina Dorota Jarzabek [email protected]
Generalsekretärin: Puneet Kaur [email protected]
Schatzmeister: Benjamin Hedzic [email protected]
Schriftleiter: Geraldo de Carvalho [email protected]
Experte Deutschland: Sebastian Vötter [email protected]
Expertin Österreich: Sonja Winklbauer [email protected]
Experte Schweiz: Joachim Hoefele [email protected]
Grafikdesign: Andréa Vichi [email protected]
Herausgeberin: Puneet Kaur
Produktion: Schriftleitung des Internationalen Deutschlehrerverbands
Für Werbeinserate im IDV-Magazin: [email protected]
Nr. 87 | Juni 2015 | www.idvnetz.org
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
3
Vorwort Pramod Talgeri | Puneet Kaur
4
Die Germanistik in Indien wird hundert Jahre alt Pramod Talgeri
7
InDaF - der indische Deutschlehrerverband Puneet Kaur
13
Deutsche Institutionen zur Verbreitung der deutschen Sprache im Iran Mahrang Khalatbari |Amin Kassai | Hamid Mirhadi
17
Deutsche Sprache in Nepal durch das PASCH- Programm Uttam Dhital
21
Deutsch in Pakistan - Zitate von Deutschlernenden und Lehrenden Naureen Ahmed Zaki
23
„Romantisches“ Indien Wolfgang Franz
26
Lehreraus- und -fortbildung in Indien Puneet Kaur
30
Großgruppendidaktik im Deutschunterricht - Ein Beispiel aus Indien Janaki Narkar Waldraff
33
Germanistik an der Universität Mumbai, Indien Vibha Surana | Meher Bhoot
36
Überlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenpädagogik im Zeitalter der Globalisierung Madhu Sahni
39
In dieser Ausgabe
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
4
Vorwort
D ieser Sammelband bietet ein breites
Spektrum von didaktischen Möglich-
keiten der Vermittlung von DaF im
südasiatischen Bereich. Die Autoren
sind erfahrene Deutschlehrer/-innen sowie Ger-
manisten, die bestrebt sind, innovative Perspek-
tiven des Deutschunterrichts durch ihre Reflexion
und Praxis zu erschließen. Das anhaltende Inte-
resse der asiatischen Länder an der deutschen
Sprache, Literatur und Kultur hat eine lange
Geschichte. Auch das deutsche Interesse an der
Kultur und Sprache der asiatischen Länder ist ein
fester Bestandteil einer langen reziproken Kultur-
geschichte. Die Beiträge von Pramod Talgeri,
Meher Bhoot und Madhu Sahni in diesem
Band beschreiben den geschichtlichen Werdegang
dieser gegenseitigen Rezeption. Der Beitrag von
Wolfgang Franz über “‘Romantisches’ Indien”
verdeutlicht diesen soziokulturellen Prozess an-
hand von Beispielen aus der deutschen Romantik.
Er stellt fest: “Alle namhaften Denker des 19.
Jahrhunderts haben sich mit Indien […] und
seiner Kultur beschäftigt und dies durchweg mit
Begeisterung”.
Deutschland hatte immer gute Beziehungen zu
Indien und anderen asiatischen Ländern. Der
Grund dafür scheint hauptsächlich darin zu liegen,
dass es eines der wenigen Länder in Europa war,
das kein koloniales Interesse an Indien hegte, son-
dern eher Bewunderung und Respekt den Kultur-
nationen Asiens entgegenbrachte. Das kann man
bei den Klassikern, Romantikern sowie bei den
Gelehrten wie Max Mueller und Schriftstellern
wie Guenter Grass, Hermann Hesse, Stephan
Zweig feststellen. Indien seinerseits hat auch
immer die schöpferische Geisteskraft der deutsch-
sprachigen Länder in Philosophie, Musik,
Wissenschaft und Technologie bewundert. Ein
Deutschstudium in Indien ist daher kein zufälliges
Phänomen, sondern eher historisch begründet. Es
hat seinen Ursprung in der Hochschätzung der
altindischen Kultur, des Sanskrit und der Literatur
durch die deutschen “Dichter und Denker”, die
sonst von den herrschenden britischen Kolonial-
herren immer gering geschätzt wurden.
Pramod Talgeri betrachtet in seinem Beitrag
besonders die Aufnahme der deutschen Literatur
in die Lehrpläne der indischen Universität
Bombay (heute Mumbai) Anfang des 20. Jahr-
hunderts als “einen bewussten Versuch einer
indirekten Subversion des britischen Kolonial-
diskurses”. Dadurch wollten die Gründungsväter
zum einen “ein laterales Verständnis der nicht-
britischen Kulturen Europas erwerben, was über
die britischen Quellen nicht möglich war. Zum
anderen, was noch wichtiger war, wollten sie das
europäische, nicht-britische Verständnis Indiens
erwecken und absichern, um sich eines zu-
nehmend positiven Selbstverständnisses zu ver-
gewissern” (Talgeri,ibid.).
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der
indischen Kultur dieser Gelehrten führte im
frühen 19. Jahrhundert zur Gründung einer neuen
akademischen Disziplin: Indologie.
Der Artikel “Deutsche Institutionen zur Ver-
breitung der deutschen Sprache im Iran, Deutsche
Schule Teheran” der Kollegen Mahrang
Khalatbari, Amin Kassai und Hamid Mirhadi gibt
einen informativen Überblick über die historische
Entwicklung des Deutschunterrichts im Iran. Es
ist interessant zu sehen, dass die deutsche Sprache
mit Unterbrechungen seit mehr als hundert Jahren
im Iran von diversen Institutionen auf verschie-
denen Levels unterrichtet wurde. Die Deutsche
Schule in Teheran, gegründet 1905, hat zur Ver-
breitung von DaF beträchtlich beigetragen,
obwohl sie wegen der politischen Komplikationen
in den 70er Jahren geschlossen werden musste.
Aber der Deutschunterricht zusammen mit der
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
5
technischen Ausbildung für das technische Per-
sonal der iranischen Industrie hat sich durch die
1925 gegründete "Deutsch-Iranische Gewerbe-
schule" in Teheran fortgesetzt.
Das deutsche Auswärtige Amt hat in Zusammen-
arbeit mit dem Goethe-Institut ein ehrgeiziges
globales Programm „Schulen: Partner der Zu-
kunft“ (PASCH) entwickelt, infolgedessen ein
weltumspannendes Netz von 1700 Partnerschulen
weltweit aufgebaut wird. Mit der Unterstützung
des Goethe-Instituts wird im Iran Deutsch als
zweite Fremdsprache an PASCH-Schulen unter-
richtet.
Auch das Königreich Nepal im Himalaya ist ab
2009 ein aktiver Teilnehmer am PASCH-Projekt.
Julia Opitz, ehemalige PASCH-Koordinatorin in
Nepal, merkt dazu an: “Wie die beiden großen
Religionen, Hinduismus und Buddhismus, in Ne-
pal miteinander so gut harmonisiert sind, ist auch
die deutsche Sprache in den PASCH-Schulen in
Nepal harmonisch integriert und hat somit in Ne-
pal auch eine große Anerkennung gefunden!”
Mit PASCH hat auch Pakistan angefangen, den
Deutschunterricht im schulischen Bereich aufzu-
bauen. Frau Naureen Zaki war die treibende Kraft
dahinter und vermittelt uns Stimmen von jungen
Menschen aus diesem schönen Land.
Die Region Südasien hat bisher nur einen
Deutschlehrerverband, der vor sechs Jahren ge-
gründet wurde. Der Werdegang des Verbands
wird in einem Artikel von Puneet Kaur ge-
schildert.
Das Interesse an der deutschen Sprache und
Kultur im akademischen Bereich wurde u. a. auch
durch pragmatische Zweckmäßigkeit vertieft. Die
zunehmende Expansion der deutschen Industrie
im Iran, Indien und anderen asiatischen Ländern
hat bei der Jugend dieser Region ein erneutes
Interesse an der deutschen Sprache geweckt. Da-
bei wirkt das PASCH-Programm als effektiver
Multiplikator.
Auf der universitären Ebene werden in allen
diesen Ländern deutsche Literaturgeschichte,
Übersetzung sowie DaF in die Lehrgänge BA,
MA und Ph.D. aufgenommen. In diesem Zu-
sammenhang ist die Leistung der Deutsch-
Abteilungen der verschiedenen indischen Univer-
sitäten besonders beachtenswert. Paradigmatisch
kann man in diesem Kontext den Beitrag der
Mumbai-Universität erwähnen. Das ganze MA-
Curriculum wurde mit der Einführung der in-
dischen ästhetischen Theorie sowie der Philo-
sophie, der europäischen Kulturgeschichte, west-
lichen Literaturtheorien, der Migrantenliteratur
sowie Sprachwissenschaft interkulturell gestaltet.
Gleichzeitig wird deutsche, österreichische und
schweizerische Literatur in den Lehrplan der
Germanistik aufgenommen. „Die akademischen
Studiengänge werden so neu konzipiert, dass sie
einerseits eine allgemeine Geistesbildung erteilen
und zugleich Berufschancen nach dem Abschluss
eröffnen“. Neue Kurse wie Filmstudien, Kompa-
rative Ästhetik oder Einführung in die Kultur-
wissenschaft werden Teil des M.A.-Programms
im Fach Germanistik. Mehrsprachigkeit und
Interkulturalität werden weiter mit einem Über-
setzungsprojekt am Department of German ge-
fördert. Diese breite Auswahl von interdiszi-
plinären Kursen schafft eine solide Grundlage für
ein interkulturelles Forschungsprogramm in Ger-
manistik.
Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre.
Prof. Dr. Pramod Talgeri
Puneet Kaur
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
7
Die Germanistik in Indien wird hundert Jahre alt
PRAMOD TALGERI
D er vorliegende Beitrag will die Ent-
wicklung und den heutigen herme-
neutischen Basispfeiler des Studiums
der Germanistik in Indien vorstellen
und sich mit diesen auseinandersetzen1. Vorausgeschickt sei: Das Erlernen einer Fremd-
sprache ist immer ein Versuch, mit einer fremd-
kulturellen Sensibilität in Kontakt zu treten. Jedes
Studium einer Fremdsprache ist gleichzeitig ein
Akt transnationaler oder transkultureller Aneig-
nung. Das Literaturstudium einer monokulturellen
fremdsprachigen Gesellschaft beruht dabei immer
gleichzeitig auf dem nationalen Paradigma der
Ausgangskultur und auch die pädagogische Ver-
mittlung der fremdsprachigen Literatur ist in den
jeweils besonderen Rahmen des eigenen natio-
nalen Selbstverständnisses eingebettet. In diesem
Sinne ist jede Produktion und Vermittlung je-
glicher einheimischer Literatur zuerst einmal eine
monokulturelle Beschäftigung.
Nun ist es aber genau der Fremdsprachen-
unterricht, der diesen monokuturellen Kontext
transzendiert und eine hermeneutische Situation
schafft, die einen neuen Horizont des interkul-
turellen Verständnisses eröffnet und damit eine
neue Grundlage für die Aneignung der Fremd-
sprache und deren Literatur im Ausland bildet.
Aus einer monokulturalen Beschäftigung mit
(literarischen) Texten wird eine interkulturelle. Auch das Deutschstudium in Indien versteht sich
von daher vor allem als eine interkulturelle
hermeneutische Beschäftigung. Solch ein Ver-
ständnis einer fremdsprachigen Literatur enthält
eine eingebaute relativistische Komponente,
indem es auf eine eigentümliche Weise sowohl
die Fremdkultur als auch die Eigenkultur hinter-
fragt. Damit stellt es auch den Begriff der Kultur
per se in Frage.
Bevor man auf den gegenwärtigen Stand der
Germanistik in Indien eingeht ist es unumgäng-
lich, einen raschen Blick auf ihre Vorgeschichte zu
werfen: Das indische Interesse an der deutschen
Literatur und Kultur hat seine Ursprünge in der
indischen Kolonialgeschichte und verdankt sein
Entstehen gleichzeitig auch dem besonderen Um-
stand, dass die deutschen „Dichter und Denker“
eine enorme Bewunderung für die indische Kultur
aufbrachten und damit in gewissem Sinne eine
verschollene Zivilisation und ihre reiche vergan-
gene Kultur wiederentdeckten, die besonders bei
den deutschen Romantikern als eine Quelle der
Revitalisierung der europäischen Kultur galt.
Diese indophile Einstellung der deutschen Intel-
lektuellen im 18. und 19.Jahrhundert verhalf den
Indern, die diffus gewordene indische Kultur-
identität wieder herzustellen und Indien als eine
„Kulturnation“ zu legitimieren.
Vor diesem historischen Hintergrund ist die
Entstehung und Entwicklung des Deutschstudiums
in Indien zu betrachten. Die Perspektiven und
Paradigmata haben sich im Lauf der hundert-
jährigen Geschichte der Germanistik in Indien im
Hinblick auf akademische Prioritäten im Fremd-
sprachenunterricht verschoben. Das neuzeitige in-
dische Bildungssystem ist in jeder Hinsicht ein
Produkt des britischen Kolonialismus. Die in-
dische Bildungsschicht kam in Berührung mit der
europäischen Kultur, als die britische Kolonial-
verwaltung in Indien im Jahre 1857 die ersten drei
Universitäten, Bombay, Kalkutta und Madras
gründete. Der Hauptzweck hinter der Gründung
der Universitäten lag darin, die indische Mittel-
schicht, die im Grund aus Priestern, mittleren An-
gestellten und Geschäftsleuten bestand, an den
westlichen Kulturwerten im öffentlichen Umgang
zu orientieren, mit der Absicht, die britische
Herrschaft in Indien weiterhin zu festigen und
durch die Schaffung einer Klasse von Verwaltern
1 Es handelt sich bei diesem Beitrag um eine gekürzte und umgearbeitete Fassung meines Artikels „Hundert Jahre Germanistik
in Indien“, erschienen in der italienischen Fachzeitschrift „Studi Germanici“, 6/2014, S. 355-364, online abrufbar unter
http://rivista.studigermanici.it/index.php/studigermanici.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
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die verwaltungstechnischen Aufgaben im Lande
durchführen zu lassen.
Das alles sollte letzten Endes zur Konsolidierung
der britischen Herrschaft in Indien beitragen. Lord
Macaulay, der britische Gesandte in Indien, der
für die Bildungsfragen zuständig war, legte dem
britischen Parlament einen bildungsstrategischen
Plan vor, nach dem mit der Einführung des bri-
tischen Bildungssystems in Indien eine indische
Bildungsschicht erzeugt werden sollte, die nur
nach Hautfarbe und Blut indisch, nach Ge-
schmack, Gesinnung und Geist dagegen britisch
sein sollte. Der britische Verwaltungsapparat in
Indien sollte von dieser Bildungsschicht gestützt,
ja gar getragen werden: “We must at present do
our best to form a class who may be interpreters
between us and the millions whom we govern; a
class of persons, Indian in blood and colour, but
English in taste, in opinions, in morals, and in
intellect”2.
Dieser Strategie zufolge wurde in den Colleges
die zeitgenössische englische Literatur eingeführt.
Schon von Beginn des College-Studiums an hat
der Syllabus Kurse über die Geschichte der
englischen Literatur und Kultur vorgeschrieben.
Erstaunlicherweise fand die Einführung in die
englische Literatur großen Anklang bei den
sozialen Eliten von Kalkutta und Bombay. Be-
sonders die englische romantische Dichtung
wurde als der indischen Psyche nahe empfunden.
Bei den Gedichten von Wordsworth, Shelley,
Keates, Byron, Tennyson spürte man eine gewisse
Nähe zur indischen Verherrlichung der Natur, der
Mystik, der verinnerlichten Visionen.
Aber langsam führte diese Beschäftigung mit der
englischen Literatur zu einer Entfremdung gegen-
über der bildungspolitischen Hegemonie der
kolonialen Herrschaft. Auch die zunehmende Ver-
westlichung der indischen kulturellen Sensibi-
litäten und geistigen Traditionen führte zur
weiteren Entfremdung im öffentlichen Bereich,
was zu einem politischen Erwachen nationaler
Gesinnung beitrug.
Die gleiche Dichtung, für die sich die Inder bei
ihrer Einführung so begeistert gezeigt hatten,
wurde nun als niederdrückend empfunden: Sie
stand plötzlich nicht mehr für die Verherrlichung
der Natur, vielmehr eher repressiv und reprä-
sentativ für den britischen Kolonialismus, der
nicht nur politisch den indischen Boden besetzt,
sondern auch auf intellektueller Ebene den in-
dischen Geist versklavt hatte. Andererseits vertrat
aber die britische Literatur symbolisch die
westlichen intellektuellen Entwicklungsabläufe.
Die englische Sprache erschloss den Indern die
Welt des liberalen Rationalismus und der
europäischen Wissenschaft, obwohl sie auch als
ein Instrument der hegemonialen Macht und
Unterdrückung angesehen wurde. Aber, was noch
wichtiger war, sie eröffnete den Indern auch den
Zugang zu weiteren europäischen Kulturen. Unter
diesen waren es vor allem Deutschland und
Frankreich, die eine besondere Anziehungskraft
auf die Inder ausübten.
1914 wurde das erste Department of German,
French, Latin und Greek am Fergusson College in
der historischen Stadt Poona unter der national-
gesinnten politischen Führung von Lokmanya
Tilak und Gopal Ganesh Agarkar gegründet. Die
beiden Reformisten Tilak und Agarkar führten
dabei bewusst diese vier Sprachen als Studien-
fächer für den B.A. und M.A. an der Bombay
University ein3.
Die deutsche Indien-Begeisterung durch Max
Müller und andere Indologen relativierte zu ge-
wissem Grade die indische Euphorie für die bri-
tische Kolonialherrschaft. Viele Inder, die in der
Regel zu Studienzwecken nach England fuhren,
wechselten ihren Studienort nach Berlin, Heidel-
berg, Bonn, München, Göttingen, Wien, oder an
die Pariser Universität Sorbonne. Der indische
Dichter und der spätere geistige Gründer von
2 Macaulay's Minute on Indian Education, 2nd February, 1835. 3 Ich bin meinen Kolleginnen Savita Kelkar und Archana Gogate vom Fergusson College für ihre Bemühungen um diese
wertvollen Informationen dankbar.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
9
Pakistan, Sir Mohammed Iqbal, immatrikulierte
sich an der Universität München und promovierte
dort mit einer Dissertation über “Die Entwicklung
der Metaphysik in Persien“ (1907). Zakir Husain,
der später in den sechziger Jahren Staatsoberhaupt
Indiens wurde, ging 1923 nach Berlin und stu-
dierte an der Humboldt-Universität griechische
Philosophie. Er arbeitete über Ethik und Staats-
konzepte, übersetzte Platons „Staat“ ins Urdu und
promovierte mit einer Dissertation über National-
ökonomie (1925). R.N. Dandekar, der renom-
mierte Indologe aus Pune, promovierte 1938 in
Heidelberg mit dem Dissertationstitel „Der
Vedische Mensch. Studien zur Selbstauffassung
des Inders in Rg-Veda“. Die Auswahl der Themen
der Dissertationen ist symptomatisch, indem diese
Abhandlungen den Versuch unternehmen, die
Wurzeln des “indischen” Selbstverständnisses
über die Wahrnehmungen der deutschen Schrift-
steller und Wissenschaftler wiederzuentdecken.
Die Entstehung der Germanistik in Indien muss
man vor allem in diesem Zusammenhang be-
leuchten. Man muss dabei gleichzeitig aber auch
einschränkend auf die Tatsache hinweisen, dass
dies anfängliche leicht nationalistisch ange-
hauchtete Deutschland-Begeisterung der national
gesinnten indischen Bildungsbürger während der
dreißiger und vierziger Jahre bald abflaute und
sich auf eine syllabus-fixierte Routine eines allge-
meinen Sprachunterrichts und die Lektüre der
deutschen Klassik und Romantik beschränkte.
Es war für die Inder besonders schmeichel-
haft, von der deutschen Indien-Begeisterung
zu erfahren. Besonders waren sie beeindruckt
von deutschen Klassikern wie Herder, Goethe,
Schiller, deutschen Romantikern wie den Ge-
brüdern Schlegel, Novalis, Schopenhauer und den
zahlreichen renommierten Indologen, besonders
Max Müller (Sohn des romantischen Dichters
Wilhelm Müller). Max Müller genießt als Über-
setzer und Vermittler der alten Sanskrit-Literatur
einen fast ikonenhaften Ruf in Indien. Das Goeth-
Institut in Indien ist bekanntlich nach Max Müller
umbenannt worden und heißt „Max Mueller
Bhavan“. Erst nach der Unabhängigkeit Indiens
1947 wurden die nächsten Versuche unter-
nommen, das Studium der neueren deutschen
Literaturgeschichte mit neuen Impulsen zu
versehen. Die Namen, die nun auf den Plan
gerufen wurden, schlossen Thomas Mann, Kafka,
Rilke und Gottfried Benn mit ein. Die adäquate
Aneignung und Beherrschung der deutschen
Sprache zum Zweck, das Studium der deutschen
Literatur aufnehmen zu können, war die vor-
nehmliche pädagogische Zielstellung des Faches
„Studies in German Language and Literature“,
sowohl für den Erwerb des B.A., als für
denjenigen des M.A.
In den 60er Jahren ging eine Anzahl von in-
dischen Studenten dank eines DAAD-Stipen-
diums in die Bundesrepublik Deutschland, um
dort das germanistische Studium mit einer
Promotion abzuschließen. Gleichzeitig wurden an
mehreren indischen Universitäten German De-
partments eingerichtet. Am prominentesten unter
ihnen ist das 1970 gegründete Centre for German
Studies an der Jawaharlal Nehru University
(JNU), New Delhi, das innerhalb der School of
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
10
Language, Literature and Culture Studies der
Universität ein neuorientiertes Studienprogramm
der Germanistik vorlegte. Schon die revidierte
Nomenklatur der Fakultät weist auf eine neue
Orientierung hin, die das Studium der fremd-
sprachigen Literatur in den soziokulturellen Kon-
text situiert. Das akademische Anliegen dieser
“Studies” äußert sich in der Aneignung “einer
Weltperspektive und internationalen Verständi-
gung”4. Von Anfang an wurde daher der Akzent
der Curriculum-Planung auf einen integrierenden
Ansatz gelegt, der das Studium der Sprache,
Literatur, Übersetzung, Kultur und Zivilisation
(Landeskunde) in die sozialen und historischen
Kontexte einbettet. Die akademische Intention
hinter dieser Integration war, die “German
Studies” in interdisziplinären Kontexten zu ent-
wickeln, die Literatur- bzw. Übersetzungstheorie,
Sprachdidaktik, Komparatistik, Sozialgeschichte,
kontrastive Linguistik und komparative Kultur-
studien einschließen. Inzwischen haben andere
Departments of German in Indien (u.a. in Pune,
Bombay, Benares, Hyderabad, Karnatak, Kerala,
Rajasthan, Banasthali, Himachal, Kashmir) ihre
Lehrpläne entsprechend umstrukturiert. Die
deutsche Abteilung der Hyderabader Fremd-
sprachenuniversität, Central Institute of English
and Foreign Languages (CIEFL, Gründungsjahr
1972/73) wurde vom Bildungsministerium der
DDR unterstützt.
Bis zum letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts
erschöpfte sich die institutionelle Verantwortung
des Fremdsprachenunterrichts auf der Universi-
tätsebene normalerweise ausschließlich in der
Vermittlung der klassischen Literaturkenntnisse
der Sprache, die in der Regel um literarisch
orientierte Texte kreiste. Der Hauptzweck der
Vermittlung der Fremdsprachen und -literaturen
bestand darin, sich die essentiellen Kenntnisse
einer bestimmten Fremdkultur anzueignen.
Lernen der Fremdsprache durch ihre repräsen-
tative klassische Nationalliteratur war die hervor-
gehobene methodologische Notwendigkeit. Daher
wurde die fremdsprachige Nationalliteratur als die
wichtigste, ja fast die einzige Quelle für den
Sprachunterricht akzeptiert und als das relevante
Unterrichtsmaterial zur Sprachvermittlung aner-
kannt, das alleine Einblick in den typischen Cha-
rakter der Fremdkultur zu gewähren vermochte.
Daher beeinflussten die nationalliterarischen
Kanons der Fremdsprache auch die Auswahl der
Texte für den Syllabus des Fremdsprachen-
unterrichts beträchtlich.
Aber auch die Aufnahme der literarischen Texte
der Fremdsprachen bereitete manchmal ernsthafte
Probleme bei der Widerspiegelung der kulturellen
oder nationalen Identität. Dies war der Fall,
wenn sie kontroverse politische oder ideologische
Konflikte in sich bargen, und zwar besonders
solche, die mit den Angelegenheiten aus der ge-
schichtlichen Vergangenheit zusammenhingen,
wie z.B. in der deutschen Geschichte des 20.
Jahrhunderts.
Außerdem war die Auswahl der literarischen
Texte und der kulturellen Information mitbedingt
durch die Perspektive der dominierenden einhei-
mischen Kultur. Jedwede politische Meinungs-
verschiedenheit, ideologische Präferenz oder poli-
tische Differenz innerhalb der Fremdkultur wurde
auch im Syllabus reflektiert. In diesem Zusam-
menhang ging der deutsche Literaturunterricht an
den indischen Universitäten in den 70er Jahren
auch durch ein spannungsreiches, eigenartiges
Dilemma bezüglich der Auswahl der deutschen
Literatur-Texte. Die German Departments an den
indischen Universitäten waren damals gänzlich
von der westdeutschen Version der literarisch-
kulturellen Vergangenheit und Gegenwart domi-
niert, während die DDR-Version der gleichen
Kulturgeschichte nicht oder höchstens minimalst
zur Kenntnis genommen wurde. Böll, Grass,
Dürrenmatt, Frisch, Handke, Bernhard wurden
gern zitiert, während Erwin Strittmatter, Stefan
Heym, Havemann, Hermann Kant ignoriert
wurden. Ausnahmen machten nur Biermann,
Sarah Kirsch, Uwe Johnson und Christa Wolff.
Erst nachdem die diplomatische Anerkennung der
DDR als separate, eigenständige politische Ein-
heit auch durch die Bundesrepublik erfolgt war,
wurde der DDR-Literatur Einlass in die Syllabi
der indischen Universitäten gewährt.
4 Zitiert in deutscher Übersetzung nach der Präambel der JNU-Statuten 1969.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
11
In den letzten Jahren sind Versuche unternommen
worden, die gegenwärtigen Trends der
theoretischen Überlegungen in die Bereiche der
Literatur und Übersetzung mit einzubeziehen.
Diese schließen Diskurse über den Feminismus,
Orientalismus, die Postmoderne, Medienkritik,
interkulturelle Hermeneutik und Begriffsge-
schichte Europas mit speziellem Bezug zur
deutschen Geistesgeschichte ein. So sind bei-
spielsweise gegenwärtig einige Kollegen mit
einem Forschungsprojekt beschäftigt, das den
hierfür aussagekräftigen Titel trägt: “Becoming
of Europe: Philosophical and Hermeneutic
Foundations of the Idea of Europe”.
Heute wird eine breite Palette von Themen und
Forschungsbereichen an indischen Universitäten
angeboten. Als Beispiele könnte man die Themen-
kreise „Deutschsprachige Literatur im 19. und 20.
Jahrhundert“, „Rezeption der deutschsprachigen
Literatur im indischen Kontext mit speziellem
Bezug zu Problemen der Übersetzung“, „Deutsch-
indische Kulturbegegnung“, „Angewandte Ger-
manistische Linguistik“, „Fremdsprachenpädago-
gik“ angeben5.
Auf diese Weise ist die lange Tradition der „Studies
in German Language and Literature“ mit der
zunehmend lebhaften internationalen Diskussion
über die Perspektiven und Ziele der Germanistik
als fremdsprachlicher Philologie verbunden und
integriert worden. Abschließend kann man
feststellen, dass eine gewisse produktive Aneignung
nationaler Erfahrung und internationaler Diskussion
die Basis für die Entwicklung der Germanistik in
Indien bildet.
5 Vgl. Studien-Prospekt „Course Content“ des Centre of German Studies, JNU 2008.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
12
5 Vgl. Studien-Prospekt „Course Content“ des Centre of German Studies, JNU 2008.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
13
InDaF - der indische Deutschlehrerverband
PUNEET KAUR
D er indische Deutschlehrerverband
InDaF wurde 2008 gegründet. Es war
ein Versuch, alle Deutschlehrer/-
innen in Indien unter einen Hut zu
bringen. Bis dahin gab es keine gemeinsame
Plattform für die Deutschlehrer/innen, sich zu
treffen oder auszutauschen. 2005 bis 2008 waren
auch die Jahre, in denen die DaF-Landschaft in
Indien einen Aufwind spürte und das Interesse an
der deutschen Sprache sowohl quantitativ als
auch qualitativ stieg. Vor diesem Hintergrund war
es ein opportuner Moment, einen Verband zu
gründen.
2008 nahmen beim ersten Gründungskongress in
Neu Delhi renommierte Referenten aus der DaF-
Welt wie Prof. Dr. Hans-Jürgen Krumm von der
Uni Wien, Prof Dr. Pramod Talgeri von der
Jawaharlal-Nehru-Universität, Neu Delhi, und
Prof. Dr. Ludwig Eichinger vom Institut für
Deutsche Sprache, Mannheim, aktiv teil. Es gab
auch indische Kollegen, die zum ersten Mal über
die Situation der deutschen Sprache in Indien
referiert haben. Das ist auch das Ethos des InDaF
bis heute, Experten aus Deutschland mit
Referenten aus den eigenen Kreisen zusammen zu
bringen.
2008 fing der InDaF mit 100 Mitgliedern an und
die Zahl ist 2014 auf 800 gestiegen, als die
indische DaF-Community 100 Jahre Deutsch-
unterricht in Indien feierte.
Diese 800 Kollegen unterrichten Deutsch als
Fremdsprache in verschiedenen Schulen, Colleges
und Instituten in ganz Indien. Seit seiner
Gründung 2008 hat sich der Verband bemüht, das
große Netzwerk von Lehrern bzw. Lehrerinnen zu
festigen, das sich durch den InDaF im ganzen
Land gebildet hat, um den Mitgliedern nicht nur
zu ermöglichen, persönlich miteinander in Kon-
takt zu treten und sich kennenzulernen, sondern
auch von den Erfahrungen der Kollegen und
Kolleginnen zu lernen. Das mit dem Ziel, die
eigene Lehre zu verbessern, in einem Umfeld, das
die Idee der kontinuierlichen Entwicklung
unterstützt.
Seit 2009 ist der InDaF Mitglied des Internatio-
nalen Deutschlehrerverbands (IDV).
V I E L L E I C H T I S T E S I N T E R E S S A N T Z U S E H E N , V O R W E L C H E M H I N T E R G R U N D D E R D E U T S C H L E H R E R V E R B A N D I N I N D I E N
G E G R Ü N D E T W U R D E
DaF war in Indien bis 2000 eine Rand-
erscheinung. Wenn man Deutsch lernen wollte,
ging man entweder zur Uni oder zum Goethe-
Institut. Es gab wenige Schulen, mit Ausnahme
derer von Pune und Delhi, wo Deutsch als
Fremdsprache unterrichtet wurde. Sehr wenige
Colleges haben auch Deutsch angeboten.
Bis 1985 boten sehr viele Universitäten gut
besuchte Deutschkurse an, weil für Studenten der
Naturwissenschaften Deutsch Pflichtfach war. Es
galt als die Sprache der Naturwissenschaften und
Technik. Aber Mitte der achtziger Jahre hat man
sich von dieser Auffassung getrennt und das
Pflichtfach Deutsch abgeschafft. Das führte zu
einer Abschaffung der Deutschkurse an zahl-
reichen Universitäten im Land.
Zu diesem Zeitpunkt entdeckten die Sekundar-
schulen in Indien die Fremdsprachen. Man
versprach sich eine bessere Zukunft mit Fremd-
sprachenkenntnissen. Aber es blieb ein exotisches
Fach, das nur an ein paar Eliteschulen angeboten
wurde.
Die Liberalisierung der indischen Wirtschaft um
1990 änderte einiges. Sehr viele ausländische
Firmen, darunter auch deutsche Unternehmen,
haben in Indien investiert. Noch wichtiger für den
Arbeitsmarkt war das „Outsourcing“. Große und
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
14
kleine Unternehmen haben ihre Arbeitsprozesse
nach Indien verlagert und in Großstädten wie
Bangalore und Delhi fanden Tausende von jungen
Leuten Arbeit mit Fremdsprachen. Wo konnten
sie aber ihre Deutschkenntnisse erwerben? Das
Goethe-Institut war eine Möglichkeit, aber das GI
konnte nur eine begrenzte Zahl von Studierenden
aufnehmen. Außerdem fehlten dem GI auch
qualifizierte Lehrer/-innen.
Liberalisierung bedeutete auch, dass eine wach-
sende Mittelschicht durch die neu entstandene
Kaufkraft ins Ausland reiste, auf Urlaub, für Ge-
schäftsreisen oder zum Studium. Auf diesen
Reisen erkannte man, wie wichtig Fremdsprachen
sind. Mit Englisch konnte man nicht jede Situa-
tion meistern.
So fing die Zahl der Schulen und Schüler/-innen
an zu steigen, die sich für Deutsch entschieden.
Der wachsende Bedarf nach Deutsch musste
durch qualifizierte Lehrer/-innen befriedigt wer-
den. Aber wegen der fehlenden Fremdsprachen-
ausbildung an indischen Universitäten gingen die
meisten Lehrer/-innen ohne besondere Qualifika-
tion ins Klassenzimmer, ein Manko, das bis heute
gegeben ist.
In dieser Situation wurde der indische Deutsch-
lehrerverband geboren. Das Ziel des Verbands
war, eine einzigartige Plattform für seine Mit-
glieder zur Verfügung zu stellen, um sie darin zu
unterstützen, die deutsche Sprache durch kommu-
nikative und interaktive Unterrichtsmethoden zu
vermitteln. Die Programme des Verbands konnten
eine eigentliche Deutschlehrerausbildung zwar
nicht ersetzen, aber durch zahlreiche Seminare,
Workshops und Vorträge wurde der Versuch
unternommen, den Lehrerenden Inputs zur
Methodik und Didaktik des Fremdsprachen-
unterrichts zu vermitteln. Mit Hilfe verschiedener
Experten, bekannter und angesehener Institute
wurden die Lehrenden miteinander vernetzt.
I N D A F - N E T Z W E R K
Der InDaF scheut keine Mühen, die Bedingungen
der Deutschlehrenden in Indien zu verbessern:
Den Lehrern und Lehrerinnen wird ein einfacher
Zugang zu neuen Büchern ermöglicht, es werden
ihnen zahlreiche Gelegenheiten angeboten, ihre
sprachlichen und methodisch-didaktischen Kennt-
nisse auszubauen. Die Lehrer/-innen werden on-
line oder telefonisch durch erfahrene Lehrer
unterstützt und Kollegen helfen sich gegenseitig
bei Problemen und Schwierigkeiten, die beim
Unterrichten auftauchen.
Informationen über Veranstaltungen, die für DaF-
Lehrende interessant sein könnten, werden sowohl
über die Facebook-Seite als auch über die Web-
Seite (www.indaf.in) verbreitet.
Die Web-Seite stellt den Lehrkräften auch Res-
sourcen in Form von Links, pdf-Dokumenten und
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
15
Bildergalerien zur Verfügung. Eine Job-Börse ist
auch auf der Web-Seite zugänglich und sie wird
aktiv auch von Kolleginnen und Kollegen genutzt.
Zu den Aktivitäten des InDaF gehören die
Deutscholympiade, deren Gewinner alle zwei
Jahre an der IDO teilnehmen, ein Quiz für
Deutschlehrer sowie verschiedene Konferenzen,
Seminare und Workshops.
Diese Aspekte der Vernetzung sollte man in
Indien nicht unterschätzen. Persönliche Kontakte
sind das A und O der Netzwerkbildung in Indien.
Diese neuen Netzwerke, die gebildet wurden,
schafften Verbindungen zwischen Schul- und
Hochschullehrern und -lehrerinnen. Außerdem
lernen sich so auch Unterrichtende aus ver-
schiedenen Teilen Indiens kennen. Bisher wusste
eine Lehrerin oder ein Lehrer aus Delhi sehr
wenig über die Arbeit ihrer Kollegen bzw.
Kolleginnen in Pune oder Chennai. Die Gründung
des InDaF änderte das. Viele lernten sich bei
InDaF-Konferenzen kennen und der dort
hergestellte Kontakt führte zu einem Erfahrungs-
austausch unter Lehrenden aus Ost, West, Nord
und Süd.
I N D A F - V E R A N S T A L T U N G E N
Die Asien-Konferenz, die vom InDaF in Neu
Delhi geleitet wurde und bei der 400
Teilnehmende aus Indien und dem Ausland
zusammen kamen, war der Höhepunkt der
Verbandsaktivitäten in Indien. Die Konferenz
wurde vom Vorstand des IDV begleitet und
unterstützt. Sie wurde von allen Anwesenden für
das umfangreiche und weite Spektrum von
Themen gelobt. Während drei Tagen teilten
Experten aus den verschiedenen Bereichen von
Deutsch als Fremdsprache ihr reiches Wissen und
ihre Erfahrung mit den Teilnehmenden. Neben der
Asien-Konferenz hat der InDaF in den letzten
Jahren andere regionale Konferenzen in
Chandigarh, Pune, Kolkata, Lucknow, Jaipur und
Trivandrum organisiert.
2014 standen die Feierlichkeiten zu „100
Jahre Deutsch in Indien“ im Mittelpunkt der
InDaF-Aktivitäten. Vor 100 Jahren begann der
Deutschunterricht in Indien in Pune. Dort be-
gannen im Februar 2014 auch die Feierlichkeiten.
Der InDaF hat zu diesem Anlass verschiedene
Deutschlehrertage und -symposien organisiert.
Die ersten Deutschlehrertage fanden im März
2014 in Jaipur mit 130 Lehrern aus ganz
Nordindien statt. Im September desselben Jahres
hat der InDaF mit der Jawaharlal-Nehru-
Universität eine Konferenz zu Methodik und
Didaktik des Deutschunterrichts organisiert.
Im November 2014 fanden noch zwei Konfe-
renzen statt, und zwar im Süden und Westen des
Landes.
I N D A F U N D D A C H L
Der InDaF versucht bei all seinen Veranstal-
tungen und Programmen das DACHL-Konzept
miteinzubeziehen. Denn der Verband arbeitet
mit allen drei Botschaften der deutschsprachigen
Länder zusammen. Der InDaF hat öfters Le-
sungen von Autoren aus diesen Ländern
organisiert und die Schweizer Botschaft hat schon
einmal auf dem Botschaftsgelände „Schweizer
Tage“ für InDaF Mitglieder angeboten. Außer-
dem hat der InDaF an einer interaktiven DVD
für Unterrichtende mitgearbeitet, wo Texte zur
Schweizer Landeskunde didaktisiert wurden.
Wir versuchen unseren Mitgliedern auch nahe-
zulegen, in ihrem Unterricht nicht nur sachliche
Informationen zu den deutschsprachigen Ländern
zu vermitteln. Sie sollen auch dahingehend wir-
ken, die Länder des deutschsprachigen Raums in
Sachen sprachlicher Eigenarten und kultureller
Besonderheiten als individuelle, voneinander ab-
gegrenzte Sprach- und Kulturräume zu sehen,
ohne dass es dabei zu einer Simplifizierung oder
Verallgemeinerung kommt. Natürlich wird trotz
all dieser Unterschiede auch auf die linguistische
und kulturelle Einheit im deutschsprachigen
Raum verwiesen.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
17
Deutsche Institutionen zur Verbreitung der deutschen Sprache im Iran
MAHRANG KHALATBARI
AMIN KASSAI
HAMID MIRHADI
D E U T S C H E S C H U L E T E H E R A N
Die erste deutsche Schule in Teheran wurde im
Jahre 1905 im Rahmen eines Abkommens
zwischen den Regierungen der beiden Länder
gegründet. Das Lehrpersonal bestand aus acht
deutschen und acht persischen Lehrern. Der
Betrieb dieser Schule wurde finanziell von beiden
Regierungen unterstützt.
Nach einer kurzen Unterbrechung wegen des
Zweiten Weltkriegs wurde sie 1955 wieder-
eröffnet, und zwar wegen der steigenden Anzahl
der deutschen Familien, die aufgrund der sich
entwickelnden Wirtschaftsbeziehungen zwischen
den beiden Ländern in den Iran zogen. Die Schule
begann ihren Betrieb mit etwa 100 Schülern und
wuchs sehr schnell zu einem renommierten
Schulkomplex.
Die Deutsche Schule Teheran war als eine so
genannte additive Gesamtschule organisiert. Sie
zählte im Jahre 1976 etwa 2.000 Schüler. Die
Zahl setzte sich zusammen aus 300 Kindern im
Kindergarten, etwa 550 in der Grundschule
(Klasse 1 bis 4), ca. 170 Real- und Hauptschülern
und 950 Gymnasiasten.
Der fast 25-jährige Betrieb der Deutschen Schule
Teheran hatte eine große Wirkung: Eine Vielzahl
der Iraner, die heute die deutsche Sprache
beherrschen, haben die Fremdsprache ursprüng-
lich in der Deutschen Schule Teheran gelernt.
Die Schule hat Anfang der 80er Jahre ihren
Betrieb eingestellt, weil die neuen Regelungen
nach der Revolution im Jahre 1979 die
Tätigkeit der ausländischen Schulen im Iran nicht
mehr zuließen. Man fürchtete eine Infiltration
mit fremdem, vor allem mit nicht-islamischem
Gedankengut.
I R A N I S C H - D E U T S C H E S C H U L E
Im Jahre 1975 wurde in Teheran die Iranisch-
Deutsche Schule gegründet. Der Grund für die
Einrichtung dieser Schule lag in der Notsituation
der so genannten „Rückkehrer-Kinder''. Bei der
Gründung waren es 300 Schüler. Die Schüler
sollten nach Abschluss der Schule das Abitur
erhalten, das sie berechtigte, sowohl im Iran als
auch nach Ablegen eines einjährigen Studien-
kollegs für Ausländer in Deutschland studieren
zu können. Der Betrieb der Schule wurde nach
dem Umbruch im Iran Anfang der 80er Jahre
eingestellt.
D E U T S C H - I R A N I S C H E G E W E R B E S C H U L E I N T E H E R A N
Die verstärkte Präsenz der deutschen Unter-
nehmen machte es im Iran nach dem Ersten
Weltkrieg notwendig, entsprechende Fachkräfte
nach deutschen Maßstäben auszubilden. Diese
Notwendigkeit führte im Jahre 1925 zur Gründung
und Eröffnung der Deutsch-Iranischen Gewerbe-
schule in Teheran, die Techniker, Facharbeiter
und Meister für die iranische Industrie aus-
bildete. Diese Gewerbeschule hieß auf persisch
„Honarestane Sanati", sie war die Grundlage
und das Vorbild für die Entstehung weiterer
Gewerbeschulen in den iranischen Provinzen. So
wurde ein Teil des Systems der deutschen Beruf-
sausbildung im Iran eingeführt. D E U T S C H E B O T S C H A F T S S C H U L E
Entsprechend einem Erlass des hohen Rates der
Bildung und Erziehung der Islamischen Republik
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
18
Iran vom 30. Mai 1985 wurde erlaubt, die
Deutsche Botschaftsschule zu gründen. In diese
Schule werden nur nicht-iranische Staatsange-
hörige aufgenommen. Gegenwärtig zählt diese
Schule etwa 110 Schüler, die hauptsächlich aus
den Familien deutscher Diplomaten und Unter-
nehmer stammen. Weil die Aufnahme von Iranern
in die Deutsche Botschaftsschule nicht erlaubt ist,
kann diese Schule nicht als ein Instrument der
Verbreitung der deutschen Sprache unter den
Iranern betrachtet werden.
G O E T H E - I N S T I T U T
Im Jahre 1958 nahm das Goethe-Institut seine
Tätigkeit im Iran auf und erweiterte später seine
Aktivität in Form von Zweigstellen in Isfahan und
Shiraz. Bedingt durch Turbulenzen zwischen Iran
und Deutschland wurde das Goethe-Institut im
Jahre 1987 geschlossen.
D E U T S C H E S S P R A C H I N S T I T U T T E H E R A N ( D S I T )
Bis 1995 gab es keine deutsche Institution im
Iran, die sich für die Pflege und Verbreitung der
deutschen Sprache einsetzte. Am 1. März 1995
wurde auf Initiative des Kulturattachés der
deutschen Botschaft in Teheran und einigen
Unternehmensvertretern der deutschen Wirtschaft
in Teheran und mit deren Zusage zur finanziellen
Unterstützung ein Förderkreis zur Verbreitung der
deutschen Sprache im Iran gegründet.
Das DSIT ist heute das wichtigste Institut für das
Erlernen der deutschen Sprache in Teheran. Es
bietet allgemeine Sprachkurse für Erwachsene
und Jugendliche, Prüfungsvorbereitungskurse,
Spezialkurse zur Vorbereitung auf das Studium
bzw. auf Praktika in Deutschland und Spezial-
kurse für Unternehmen an. Das Deutsche Sprach-
institut Teheran arbeitet eng mit dem Goethe-
Institut zusammen, wobei das Unterrichtspro-
gramm dem Programm des Goethe-Instituts
entspricht. Es werden sowohl Normalkurse als
auch Intensivkurse und Superintensivkurse mit 72
Unterrichtseinheiten zu je 90 Minuten angeboten.
Das Kursstufensystem (A1-A2-B1-B2-C1-C2)
entspricht den Niveaustufen des Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmens.
Das Deutsche Sprachinstitut Teheran ist zur
Abnahme der Prüfungen von A1, A2, B1, B2, C1,
C2 und Test-DaF + TestAs-Prüfungen autorisiert.
D A S Ö S T E R R E I C H I S C H E K U L T U R F O R U M Ö K F
Seit 1959 besteht das Österreichische Kul-
turforum, zuvor: Österreichisches Kulturinstitut
Teheran. Das ÖKFT ist heute eine Plattform
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
19
kulturellen, wissenschaftlichen und künstlerischen
Austausches zwischen Österreich und dem Iran.
Das ÖKFT veranstaltet das ganze Jahr hindurch
Deutschkurse: in zwei Normalsemestern und
einem Sommer-Intensivprogramm. Die ÖKFT-
Bibliothek ist mit über 5.000 Werken die größte
deutschsprachige Bibliothek im Iran. Das Prü-
fungsangebot und das Kurssystem entsprechen
den Niveaustufen des Gemeinsamen Euro-
päischen Referenzrahmens.
I R A N I S C H E I N S T I T U T I O N E N Z U R
V E R B R E I T U N G D E R D E U T S C H E N S P R A C H E I M I R A N
I R A N L A N G U A G E I N S T I T U T ( I L I )
Das Iran Language Institute (ILI) ist die
Nachfolgeinstitution der Iran America Society
(lAS). Anfang 1995 begann ILI neben den
Fremdsprachen Englisch, Französisch und
Arabisch erstmalig auch Deutsch anzubieten.
Heute bietet ILI an den Standorten Teheran,
Karadj, Isfahan, Mashad, Shiraz und Täbriz
Deutschkurse an.
K I S C H - S P R A C H I N S T I T U T
Das Kish-Institut hat 1988 seine Arbeit damit
eingeleitet, Englishkurse anzubieten. Die
Deutsche Abteilung des Instituts wurde im Jahr
1996 gegründet. Heute bietet das Kish-Institut
neben Englisch und Deutsch auch andere
Sprachen an.
Es gibt auch weitere Privatanbieter für den
Deutschunterricht im Iran, die sowohl in Teheran
als auch in den Provinzen tätig sind.
D E U T S C H U N T E R R I C H T I M I R A N I S C H E N S C H U L S Y S T E M
Nach der islamischen Revolution im Iran im Jahre
1979 wurde das Schulsystem einer grundlegenden
Reform unterzogen. Im Rahmen dieser Reform
arbeitete das Ministerium für Bildung und
Erziehung im Jahre 1983 einen Plan aus, in dem
vorgesehen war, die nichtenglischen Fremd-
sprachen in den Oberschulen und Gymnasien
auszubauen. Durch den entsprechenden Erlass
wurde es den Schülern freigestellt, entweder
Englisch oder Deutsch, Französisch, Russisch
oder Italienisch als Fremdsprache zu wählen und
darin eine Prüfung abzulegen.
D E U T S C H U N T E R R I C H T A N P A S C H - S C H U L E N , D I E I N I T I A T I V E „ S C H U L E N : P A R T N E R D E R Z U K U N F T “
Im Februar 2008 rief das Auswärtige Amt in
Kooperation mit dem Goethe-Institut die Initiative
„Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) ins
Leben. Die Initiative stärkt und verbindet
ein weltumspannendes Netz von rund 1.500
Partnerschulen mit besonderer Deutschland-
bindung. Bei jungen Menschen soll damit nach-
haltiges Interesse und Begeisterung für das
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
20
moderne Deutschland und die deutsche Sprache
geweckt werden. In diesem Rahmen besteht nun
schon seit zwei Jahren die Zusammenarbeit
zwischen fünf iranischen Eliteschulen und dem
Goethe-Institut. Unter Aufsicht und mit der
Unterstützung des Goethe-Instituts wird Deutsch
als zweite Fremdsprache an diesen Schulen in den
Grundstufen A1 und A2 für die Jahrgangsstufen
„Rahnamayee“ und „Dabirestan“ angeboten.
D E U T S C H U N T E R R I C H T I N D E N
I R A N I S C H E N U N I V E R S I T Ä T E N D I E S T A A T L I C H E N U N I V E R S I T Ä T E N
Die älteste staatliche Universität im Iran ist die
Teheraner Universität, die im Jahre 1934 ge-
gründet wurde. Im Jahre 1988 wurde die Fakultät
für Fremdsprachen an der Teheraner Universität
mit verschiedenen Fachrichtungen, unter anderem
Deutsch als Fremdsprache, ins Leben gerufen.
Heute werden an drei staatlichen Universitäten,
der Teheraner Universität, der Behesshti Univer-
sität und der Isfahaner Universität in den Fach-
richtungen „DaF“, „Deutsche Literatur“ und
„Übersetzen der deutschen Sprache“ Studenten in
BA-, MA- und PhD-Studiengängen aufgenommen
und ausgebildet
D I E N I C H T S T A A T L I C H E N U N I V E R S I T Ä T E N
Seit 1982 sind nichtstaatliche Universitäten in
Iran tätig. Die Azad-Universität ist die aktivste
nichtstaatliche Universität im Bereich des Stu-
diums der deutschen Sprache und bietet BA-,
MA- und PhD-Studiengänge für „DaF“ und „Übe-
setzen der deutschen Sprache“ an.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
21
Deutsche Sprache in Nepal durch das PASCH- Programm
UTTAM DHITAL
D ie Initiative „Schulen: Partner der
Zukunft“, kurz: PASCH-Schulen
starteten im Jahr 2009 in Nepal,
wobei zwei Schulen nach langer
Suche sich bereit erklärten, den Traum von Frank
Walter Steinmeier, dem ehemaligen deutschen
Außenminister, auch in Nepal in Erfüllung gehen
zu lassen. Die neuen PASCH-Schulen heißen
„DAV Sushil Kedia Vishwa Bharati Higer
Secondary School, Lalitpur“ und „Nobel
Academy Higher Secondary School, Kath-
mandu“. Dank der Anstellung von Frau Julia
Opitz, der ehemaligen PASCH-Koordinatorin in
Nepal, war PASCH in Nepal geboren worden.
D E U T S C H U N T E R R I C H T I N D E N S C H U L E N
Nach der Unterzeichnung des MoU „Memo-
randum of Understanding“ am 19. September
2009 zwischen dem Goethe-Zentrum in Kath-
mandu, vertreten durch den Direktor Michael
Chand, und den beiden o.g. Schulen, vertreten
durch die Schulleiter, begann dann die Geschichte
von PASCH im Himalaja-Staat Nepal. Dabei
muss auch der Beitrag zur Einführung des
PASCH-Programms in Nepal von Eberhard
Weller, dem Ehemaligen RSL des MMB, New
Delhi, und Evelyn Singh anerkennend erwähnt
werden.
Tabellarisch sind folgende PASCH-Schulen in
Nepal aufzulisten:
a. Nobel Academy:
Schülerzahl: 2500
Deutschunterricht (Stufe 6,7,8 und 9): 410
Lehrkräfte: Sriya Amatya Shrestha, Suman Neu-
pane, Asha Khatri und Sanjay Lama
Tendenz: steigend
b. DAV School:
Schülerzahl: 3000
Deutschunterricht (Stufe 6, 7, 8 und 9): 400
Lehrkraft: Sabin Shakya
Tendenz: steigend
Angesichts der zunehmenden Tendenz des
Deutschunterrichts in den beiden Schulen bietet
das PASCH-Programm in Nepal den Schul-
kindern eine gute Möglichkeit, Deutsch am
Goethe-Zentrum in Kathmandu weiter zu lernen
(siehe Fotos). So besteht auch ein enger Kontakt
mit den beiden PASCH-Schulen und dem Goethe-
Zentrum Kathmandu.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
22
In einem Land wie Nepal, wo alles so langsam
läuft und die Bildungsquote in der Bevölkerung
bei (ca. 57%) liegt, fällt es den Schülern schwer,
die deutsche Sprache schnell zu lernen. Das
gleiche Problem haben wir auch bei Französisch,
Spanisch, Englisch und anderen Fremdsprachen.
Darüber hinaus muss auch berücksichtigt werden,
dass der Unterricht der deutschen Sprache in den
beiden Schulen relativ neu ist. Deshalb sind die
Eltern nicht selten auch über die Wahl des
Deutschunterrichts durch ihre Kinder in den
PASCH-Schulen in Nepal verzweifelt. Grund:
Die Eltern und ihre Kinder fürchten, dass die
deutsche Sprache als Fach ihre Schulhauptfächer
leicht beeinflussen kann. Daher werden sie von
den Schulen erst beraten und sie entscheiden sich
dann für Deutsch als Wahlfach. In der DAV-
Schule werden auch Chinesisch, Französisch und
Deutsch unterrichtet, in der Nobel Academy
hingegen nur Deutsch als Pflichtfach.
P R I N C I P A L - K O N F E R E N Z E N U N D P A S C H -C A M P S :
Da das PASCH-Programm verschiedene Maß-
nahmen ergreift wie z. B. die Principal-Konferen-
zen und PASCH-Camps in verschiedenen Län-
dern (Jugendcamp viermal in Deutschland und
fünfmal in Indien), ist das PASCH-Programm in
Nepal nun von großer Bedeutung. Um das Ver-
hältnis zwischen den PASCH-Schulen und dem
Goethe-Zentrum Kathmandu aufrecht zu erhalten,
nehmen die PASCH-Schulen auch an den Veran-
staltungen des Goethe-Zentrums in Kathmandu,
so z. B. am Food Festival und an Weihnachten
teil. Das Goethe-Zentrum Kathmandu ist auch
sehr aktiv bei den Schulveranstaltungen beteiligt
(siehe Fotos).
Wie die beiden großen Religionen, der Hinduis-
mus und der Buddhismus, in Nepal gut mitei-
nander harmonieren, haben PASCH-Nepal und
Schulen auch eine große Anerkennung gefunden.
Es lebe das PASCH-Programm in Nepal!
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
23
Deutsch in Pakistan Zitate von Deutsch Lernenden und Lehrenden
NAUREEN AHMED ZAKI
W E N N D U A N D E U T S C H I N P A K I S T A N D E N K S T , W A S F Ä L L T D I R S P O N T A N E I N ?
W I R F R A G E N U N S E R E L E H R E R / - I N N E N U N D S C H Ü L E R / - I N N E N I M A N N E M A R I E -S C H I M M E L - H A U S , D E M D E U T S C H E N K U L T U R Z E N T R U M I N D E R H I S T O R I S C H E N
M E T R O P O L E L A H O R E
„Eine Sprache ist eine Brücke zur Welt. Und die
deutsche Sprache ist eine der schönsten Sprachen
der Welt, die sich wie ein Blitz in den
südasiatischen Ländern verbreitet. Durch das
Angebot eines kostenlosen Studiums kann man in
Deutschland seine Träume verwirklichen…”
Syed Rizwan Husain,
Deutschlehrer am
Annemarie-Schimmel-
Haus, Lahore
„Die steigende Zahl der Studenten, die sich für
Deutsch interessieren, zeigt deutlich, dass wir in
Pakistan eine sehr vielversprechende Zukunft in
der deutschen Sprache sehen. Ich bin davon
überzeugt, dass wir bald Online-Kurse haben
werden, damit die Studenten, ohne ortsgebunden
zu sein, Deutsch lernen können.”
Ghulam Farid Ahmed, Deutschlehrer am
Annemarie-Schimmel-Haus, Lahore
„Ich finde die deutsche Sprache sehr schön und
sie hat eine grosse Zukunft in Pakistan”.
Noor-ul-ain, Sprachkoordinatorin am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore
„Da viele Pakistaner in Deutschland leben und
viele davon ihre Ehegatten bzw. Ehegattinnen von
Pakistan nach Deutschland nachholen, steigt die
Zahl der Deutschlerner ständig an”.
Mansoora Butt, Deutschlehrerin am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore „Die deutsche Sprache nimmt in Pakistan einen
immer grösser werdenden Raum ein. Schossen
damals nach der Einführung des Ehegattennach-
zugsgesetzes überall Sprachinstitute für DaF wie
Pilze aus dem Boden, so erlebt diese Sprache
diese Tage einen zweiten Boom: Die vom Fern-
weh getriebenen Studenten, die dem Angebot
eines kostenlosen Studiums in Deutschland ein-
fach nicht widerstehen können.Von der Arbeit
der PASCH-Schulen einmal ganz abgesehen,
denn davon können die Kollegen noch mehr
erzählen...”
Saira Niazi,
Deutschlehrerin und
Multiplikatorin am
Annemarie-Schimmel-
Haus, Lahore
„Die Schule, in der ich Deutsch unterrichte, hat
sich in letzter Zeit entschlossen, das Ergebnis der
Deutschtests auf der Bescheinigung zu ver-
merken. Die Noten haben eine Auswirkung auf
die gesamte Prozentzahl des Ergebnisses, indem
sie auf dem Zeugnis erscheinen. Meiner Meinung
nach bestimmt dies und andere solcher Schritte
die Zukunft von Deutsch in Pakistan. Deutsch als
ein Hauptfach in den pakistanischen Schulen
finde ich sehr schön und positiv für die Zukunft
der Sprache”.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
24
Tayyaba Anwaar
Ahmad,
Deutschlehrerin in
der PASCH-Schule
Roots School
„Wenn ich über Deutsch nachdenke, denke ich
immer über meine Zukunft nach. Weil ich für
mein Studium Deutsch brauche”.
Nida Tasneem, Sprachschülerin am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore
„Das bringt eine neue Kultur, die deutsche
Kultur, in unser Land. Das ist sehr wichtig für
unsere Zukunft und das finde ich sehr interessant.
Wir haben durch das Goethe-Institut in Pakistan,
eine gute Möglichkeit, Deutsch zu lernen”.
Saddam Mazar,
Sprachschüler am Anne-
marie-Schimmel-Haus,
Lahore
„Es ist sehr wertvoll, Deutsch zu lernen, und es ist
wichtig für die Zukunft, z. B wenn man in
Deutschland studieren möchte oder eine Stelle in
Deutschland sucht”.
Khurram Shehzad, Sprachschüler am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore
„Wegen der guten Atmosphäre im Annemarie-
Schimmel-Haus und ebenfalls wegen der hilfs-
bereiten Lehrer finde ich Deutsch sehr interessant.
Das Annemarie-Schimmel-Haus lehrt seinen
Studenten und Studentinnen nicht nur Deutsch,
sondern auch die Kultur. Früher kannten die Leute
das Annemarie-Schimmel-Haus nicht, aber heutzu-
tage ist es sehr berühmt in der Stadt.”
Saif-Ur-Rehman, Student am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore
„Ich denke, es gibt zu wenige Institute für Deutsch
in Pakistan. Es gibt nur ein Goethe-Institut in
Karachi and in Lahore das Annemarie-Schimmel-
Haus. Die anderen Institute gehören nicht dem
Goethe-Institut an - also ist das Niveau von diesen
Instituten nicht zufriedenstellend”.
Ammad Mubashir, Student am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore
„Orient + Okzident = x; Deutschland + Pakistan;
Tagesmenü: Backwurst ‘halal’ mit Kartoffelsalat,
‘Garam Masala’ und Mango-Lassi für 3,90. Guten
Hunger!”
Shafqat Hussain, Deutschlehrer am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore
„Viele Leute möchten Deutsch lernen, davon sind
die meisten Studenten. Die Anzahl der deutschen
Institute ist sehr gering und immer mehr Leute
interessieren sich für diese Sprache. Es wäre schön,
wenn es mehrere Goethe-Institute in Pakistan
geben würde”.
Imran Naseer,
Student am Annemarie-
Schimmel-Haus, Lahore
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
26
„Romantisches“ Indien
WOLFGANG FRANZ
A ls meine Frau zur Vorbereitung ihres
Seminars Arbeit mit Film im DaF-
Unterricht für Germanistikstudenten
der Universität Pune den Film Geliebte
Clara von Helma Sanders-Brahms mit Martina
Gedeck in der Hauptrolle als Clara Schumann
sichtete, ertönten immer wieder die Anfangstakte
der Rheinischen von Robert Schumann. Eine
Melodie, die mich nicht nur in meinen sauer-
ländischen Geburtsort Plettenberg zurückführte,
wo in den Fünfzigern eben diese Anfangstakte der
Rheinischen als Eingangsmelodie zur Radio-
sendung Zwischen Rhein und Weser vernehmlich
den Beginn des Abends signalisierte, sondern
auch einen weiteren Schritt zurück in die Epoche
der Romantik.
Derart animiert entschloss ich mich, mal wieder
einen Blick auf die Romantik bzw. das 19. Jahr-
hundert zu werfen, zu dem ich nicht nur wegen
der schönen Biedermeiermöbel in meiner
Wohnung ein besonderes Verhältnis habe. Jetzt in
Pune wohnend fiel mir auf, was ich bisher kaum
mehr als zur Kenntnis genommen hatte: Alle
namhaften Denker des 19. Jahrhunderts haben
sich mit Indien (angesichts aller kulturellen Viel-
falt und immenser geografischer Ausdehnung sind
die im Folgenden benutzten Begriffe Indien und
indisch mit einem gewissen Vorbehalt zu
verstehen) und seiner Kultur beschäftigt und dies
durchweg mit Begeisterung. Eine umfassende
Darstellung der romantischen Rezeption insbe-
sondere der indischen Mythologie findet sich in
Die Lesbarkeit der Romantik: Material, Medium,
Diskurs hrsg. v. Erich Kleinschmidt, Berlin 2009.
Der Enthusiasmus des 19. Jahrhunderts erweiterte
und systematisierte sich im Verlauf zu einer
Indologie. Walter Leifer, auf den ich mich im
Folgenden beziehe (und dem ich dieses Buch-
geschenk und viele interessante Gespräche in
unserer gemeinsamen Zeit in Korea in den acht-
ziger Jahren verdanke), hat dies in seinem
Buch India and the Germans – 500 Years of
Indo-German Contact, Bombay 1971. (Deutsch:
Indien und die Deutschen, 500 Jahre Begegnung
und Partnerschaft, Tübingen 1969) vortrefflich
zusammengefasst.
Und Bundespräsident Rau drückte die Faszination
Indiens auf Deutschland bei seinem Staatsbesuch
am 3. März 2003 folgendermaßen aus: „Wir
Deutschen waren immer schon von Indien und
seiner Kultur fasziniert. Der große Indienforscher
Max Müller hat einmal eine Vorlesungsreihe
unter die Überschrift gestellt: „Was kann uns
Indien lehren?“ Sein Resümee lautete: „Wenn ich
gefragt würde, unter welchem Himmel der
menschliche Geist einige seiner erlesensten
Gaben am vollsten entwickelt hätte [...], dann
würde ich auf Indien weisen.“ Ein anderer
Landsmann von mir hat geurteilt: „Indien besitzt
das Gold der Weisheit und das Silber der
Beredsamkeit und die Edelsteine aller Tugenden
in ausreichendem Maße". Dieses Zitat ist etwas
älter - genauer gesagt 1.200 Jahre. Es stammt von
dem großen Kleriker und Lehrer Rhabanus
Maurus.“ (Ansprache von Bundespräsident
Johannes Rau anlässlich eines Abendessens,
gegeben von Staatspräsident Dr. APJ Abdul
Kalam, Neu Delhi, 3. März 2003)
Eine Begeisterung, die heute noch in Deutschland
feststellbar ist und die mir vielfach begegnete,
wenn ich im Frühjahr 2013 von meiner bald an-
stehenden Versetzung nach Pune erzählte. Ich war
auch erstaunt, wie viele meiner Gesprächspartner
Indien offensichtlich schon bereist hatten. Aber
nicht nur positive Einstellungen waren zu hören,
sondern ebenso dezidierte Ablehnung - Entweder
oder. Keine Grautöne. Indien schien zu
polarisieren. Georg Lechner (Georg Lechner, Frau
und Mann in Indien – Gleichstellung und
Richtigstellung, Typoskript) beschreibt das so:
„Indien ist eine Definition der Welt sui generis.
(…) Man hatte mir von Anfang an eingeprägt:
Was immer man über Indien sagen mag, sein
Gegenteil beanspruche die gleiche Gültigkeit. In-
zwischen weiß ich, es gibt wohl kein Land der
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
27
Welt, auf das dieses Paradox im gleichen Maße
zuträfe. (…) Die Polaritäten ließen sich mühelos
fortsetzen: Indien als Land der Meditation, des
Yoga und der Stille, aber auch das Land eines
wuchernden Dschungels an Geschrei und Ge-
bimmel, Gedrängel der Menschenmassen und
Tiere, hupenden Verkehrs und verstopfter Stra-
ßen, das Land Mahatma Gandhis, der Gewalt-
losigkeit und der Toleranz, aber ebenso des reli-
giösen Fanatismus und blutiger Massenexzesse.
Belassen wir es hier einfach bei der pauschalen
Warnung: Europäische Maßstäbe greifen in Indien
nicht, was hier tausendfach geschieht, geschieht
dort millionenfach, was hier als Ausnahme und
Regel funktioniert, kann dort in der Umkehrung
auftreten, auch philosophisch und mythologisch
steht dort Brahman, das All-Eine, einem endlosen
Götterdschungel gegenüber.“ Indien hat wohl für
jeden etwas. Was Begeisterung und Abneigung
und Faszination meiner Gesprächspartner erklärt.
Zurück zum Ausgangspunkt: Die im Deutschland
des 19. Jahrhunderts lebhaft geführte intellek-
tuelle Auseinandersetzung mit Indien lässt sich
zurückführen auf die Studien, die Engländer im
späten 18. Jahrhundert im Zuge des Wandels der
Ost-Indien-Kompanie von einer Handelsgesell-
schaft zu einer Territorialmacht (s. David Arnold,
Südasien. Frankfurt 2012, S. 360 ff.) zur Ver-
besserung ihrer Verwaltung durchführten.
Arnold nennt Warren Hastings, der, um die
Erforschung der indischen Sprachen und Kulturen
bemüht, Grammatiken und Wörterbücher ver-
fasste aus der Überzeugung, „ein informiertes
Verständnis des Rechts, der Sitten und der
Verwaltungspraxis des Subkontinents könnte
dem Empire von Nutzen sein,“ (S.363). Diese
praktische Absicht führte nicht nur z.B. zur Ver-
öffentlichung eines Code of Gentoo Laws (1776)
durch den Kompanieangestellten H. B. Halhed
im Rahmen der Erforschung des Hindu-Rechts-
wesens, sondern auch zur ersten Übersetzung in
eine europäische Sprache und der Publikation der
Bhagavadgītā durch Charles Wilkins, der in ihr
den Schlüssel zum Verständnis des hinduistischen
Glaubens erblickte.
Zu den Ersten, die die Geschichte Indiens stu-
dierten, um ihr Verständnis in einen globalen (eu-
ropäischen) Kontext zu setzen, gehörte Alexander
Dowe. William Jones verdanken wir den Nach-
weis der Verwandtschaft von Sanskrit, Griechisch
und Latein mit dem Folgeschluss, den drei
Sprachen müsse eine ältere Sprache vorange-
gangen sein. Dieser orientalistischen Sichtweise
gegenüber, die zunehmend die zivilisatorischen
Errungenschaften der indischen Kultur ins Licht
rückte, bildete sich gleichsam als Gegenpol mehr
und mehr eine „kolonialistische“ Position heraus,
die die Kolonialherrschaft durch die Überlegen-
heit der westlichen Zivilisation u.a. auf den Ge-
bieten von Wissenschaft und Technik legitimierte.
Die aus der Perspektive der Kolonialherren resul-
tierende Skepsis gegenüber der indischen Kultur
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
28
war sicher auch in Deutschland bekannt, trübte
jedoch nicht – da kolonial gegenüber Indien unbe-
lastet – die enthusiastische Aufnahme indischer
Texte. Hans Arens (Sprachwissenschaft. Freiburg/
München1969, S 160ff.) schildert im Kapitel I.
Auftakt: Fr. v. Schlegel und die altindischen
Grammatiker wie Friedrich von Schlegel, der
übrigens Sanskrit von einem Engländer lernte, den
Standpunkt von Alexander Dowe und William
Jones aufnehmend, in seiner Schrift „Über die
Sprache und Weisheit der Indier. Ein Beitrag zur
Begründung der Altertumskunde“ (1808) konsta-
tierte, „Das alte indische Sonskrito, d.h. die
gebildete oder vollkommene, auch Gronthon, d. h.
die Schrift- oder Büchersprache, hat die größte
Verwandtschaft mit der römischen und grie-
chischen sowie mit der germanischen und per-
sischen Sprache. Die Ähnlichkeit liegt nicht nur
bloß in einer großen Anzahl von Wurzeln, die sie
mit ihnen gemein hat, sondern sie erstreckt sich
bis auf die innerste Struktur und Grammatik. Die
Übereinstimmung ist also keine zufällige, die sich
aus Einmischung erklären ließe, sondern eine
wesentliche, die auf gemeinschaftliche Abstam-
mung deutet. Bei der Vergleichung ergibt sich
ferner, dass die indische Sprache die ältere sei, die
anderen aber jünger und aus ihnen abge-
leitet.“ (zitiert nach Arens, S. 160). Hier wird der
„indischen Sprache“ eine fundamentale Bedeu-
tung sozusagen als „Mutter-Sprache“ zugewiesen!
Nach den Verheerungen des dreißigjährigen
Krieges blieb Deutschland lange ein entvölkertes,
rückständiges und von seinen Nachbarn besten-
falls belächeltes Land mit wenig nationaler Iden-
tität. Die kulturellen Wurzeln im Griechischen
und Lateinischen hatten die national denkenden
deutschen Geistesgrößen bis dato mit den (über-
legenen, besonders Frankreich) europäischen
Konkurrenten teilen müssen. Mit Schlegels „Ver-
gleichung“ war ein Schritt getan, das „national-
kulturelle Defizit“ auszugleichen, war das
Deutsche (das Indische noch etwas weiter vor) in
die erste Reihe gerückt! Man war entschlossen,
von der „Indienverbindung“ zu profitieren:
Heinrich Heine schildert in einem Brief an August
Wilhelm Schlegel (der als Gründer der roman-
tischen Indologie gelten darf): Jahr für Jahr haben
die Engländer, Portugiesen und Holländer
Schiffsladungen voll der geistigen Schätze Indiens
weg geschafft. Wir Deutsche konnten nur
zusehen. Aber uns werden diese Schätze nicht
entgehen (Leifer S. 120).
Leider hat man sich nicht mit sprachwissen-
schaftlichen Betrachtungen begnügt. Im 19. Jahr-
hundert lösten sich völkerkundliche Anschau-
ungen um den Begriff Arier von der Sprach-
betrachtung und konstatierten eine Art Abstam-
mungsgemeinschaft. Über die „Arier-Schiene“
erschloss sich eine neue Quelle kulturellen Na-
tionalstolzes. Es ist bekannt, welche unheilvollen
Blüten das letztendlich trieb. Einflussreich im
letzten Drittel des Jahrhunderts war der in
Dresden, Wien und Bayreuth wirkende Houston
Stewart Chamberlain. Er entwickelte Vorstel-
lungen, dass die Völker Europas, Irans und
Indiens Abkömmlinge des vorgeschichtlichen
Volks der Arier seien. Selbst der Sprachhistoriker
und Indologe Hermann Hirt verstieg sich in
seinem Werk Die Indogermanen. Ihre Verbrei-
tung, ihre Urheimat und ihre Kultur. 2 Bände.
Straßburg 1905-1907 soweit, das ursprüngliche
Siedlungsgebiet des „Urvolks der Arier“ ins
norddeutsche Flachland zu verlegen und ließ sie
sich von dort ausbreiten.
Als philologisch ist dagegen zu bezeichnen,
was Leifer (S. 75) „The German Shakuntala
Experience“ nennt. Shakuntala ist die Heldin
eines Dramas des 4./5. Jahrhunderts von Kālidāsa,
das von Georg Forster 1791 erstmals übersetzt
und in Deutschland publiziert wurde und dem im
Laufe des 19. Jahrhunderts der Nachfrage
entsprechend eine Vielzahl von Übersetzungen
und Veröffentlichungen folgten. Für Forster
bedeutete Indien das Symbol von „a world of
dignified ingenuousness and lucid symplicity“.
Forster sandte Exemplare u. a. zu Goethe und
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
29
Herder, den die Lektüre des Dramas zu folgendem
Gedicht veranlasste.
Wo Sakuntala lebt mit ihrem entschwundenen
Knaben,
Wo Duschnanta sie neu, neu von den Göttern
empfängt,
Sei mir gegrüsst, o heiliges Land, und du, Führer
der Töne,
Stimme des Herzens, erheb‘ oft mich im Äther
dahin.
In einem Brief an Forster beschreibt Herder die
Heldin als „a true flower of the Orient; and the
first, the fairest of her kind” (S. 79). Goethe setzte
sich ebenfalls in Gedichtform mit dem Drama
auseinander:
Willst du die Blüten des frühen, die Früchte des
späten Jahres,
willst du, was reizt und entzückt,
willst du, was sättigt und nährt,
nenn ich, Shakuntala, dich, und damit ist alles
gesagt.
Schillers Aufmerksamkeit für Shakuntala äußert
sich in der Publikation einer Szene in der Thalia
Nr. 10 von 1790. In einem Brief an Wilhelm von
Humboldt von 1795 erklärt er enthusiastisch, dass
in der ganzen griechischen Antike keine Schil-
derung „von weiblicher Schönheit und herrlicher
Liebe“ zu finden sei (S. 78), die an Shakuntala
heranreiche. In einem Brief an Goethe von 1802
gesteht er, sich erneut mit dem Stück beschäftigt
zu haben. Leifer (S.79) erwähnt, Karl Viktor von
Bonstetten habe den Hinweis gegeben, Schiller
habe im Wilhelm Tell Motive aus Shakuntala ver-
wendet.
Leifer (S. 79 ff.) nennt noch mehr als ein Dutzend
Namen von am „Shakuntala-Hype“ Beteiligten.
Diese Aufzählung hier kann nicht vollständig sein
(und die Wirkung Indiens geht weit über die
Romantik hinaus). Ich möchte aber Max Weber
nicht unerwähnt lassen, dessen Abhandlung über
Die protestantische Ethik und der Geist des
Kapitalismus (Max Weber, Die protestantische
Ethik und der Geist des Kapitalismus, München,
2004) ich so viele erklärende Hinweise zur mich
prägenden Lebenswelt verdanke und dessen
Schrift Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen,
Hinduismus und Buddhismus (Max Weber, Die
Wirtschaftsethik der Weltreligionen, Hinduismus
und Buddhismus, Schriften 1916 – 1920,
Tübingen 1998) mir nun beim Verständnis be-
stimmter Aspekte meines aktuellen Aufent-
haltsortes hilft.
Keinem der Vorgenannten war es vergönnt,
Indien selbst zu besuchen. Sie bezogen ihre Er-
kenntnisse, ihren Enthusiasmus aus dem Studium
der Texte. Ganz nach der Herderschen Sprach-
auffassung, dass Sprache als etwas geschichtlich
Gewordenes, ihre Erforschung die Beschäftigung
mit der Vergangenheit, mit den geschichtlichen
Leistungen des eigenen Volkes, die National-
sprache als die volle, bewusste Ausprägung des
Nationalcharakters zu betrachten sei. (s. Hugo
Moser, Deutsche Sprachgeschichte. Tübingen
1969, S. 26).
Und der Doyen der romantischen Sprachwissen-
schaft, Wilhelm von Humboldt, entwickelte die
Einfühlung in den Geist früherer Zeitstufen und
anderer Völker als Bildungs- und Forschungs-
prinzip. Wie Herder und Grimm ist er überzeugt
von einer ständigen Wechselwirkung zwischen
Sprache und Volkscharakter. (Moser, S. 29)
Damit gaben die romantischen Sprachwissen-
schaftler den Indern selbst ein Werkzeug in die
Hand, ihre eigene indische Geisteswelt, ihre
nationale Kultur zu erkennen und zu beschreiben.
Vielleicht wurde bis dato das kulturelle Selbst-
bewusstsein Indiens, die indische Tradition unter
Wert gehandelt. Jetzt wurde sie mit den Kulturen
der übrigen Welt in Verbindung gebracht und
damit ein Einfluss auf die Weltkultur impliziert.
Irgendwie beschleicht mich der Eindruck, dass
dieses einen konstitutiven Beitrag - bei (oder
trotz) aller kulturellen Vielfalt und immenser
geografischer Ausdehnung Indiens - zur Ausbil-
dung eines nationalkulturellen Bewusstseins bei-
getragen hat und die Wirkung noch anhält. Ein
Indiz mag sein, die Berühmtheit des Indologen
Max Müller in Indien, den Bundespräsident Rau
in seiner o. g. Rede hervorhebt. Max Müller ist in
Deutschland außerhalb von Fachkreisen völlig
unbekannt, während sein Name in Indien zum
Begriff geworden ist. (Das Goethe-Institut in
Indien hat sich diese Bekanntheit und das positive
Image des Namens zu Nutze gemacht und seine
Kulturinstitute Max Mueller Bhavan benannt.)
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
30
Lehreraus- und -fortbildung in Indien
PUNEET KAUR
M ita ist Deutschlehrerin an einer
indischen staatlichen Schule. Sie
hat im Goethe-Institut Deutsch bis
zur Stufe C1 gelernt und hat
anschließend angefangen, in einer indischen
staatlichen Schule Deutschunterricht zu geben.
Eine pädagogische Ausbildung hat sie nicht.
Bevor sie in der Schule anfing, wurde sie von
einer Referentin schnell in den Lehrplan und in
das Lehrmaterial eingewiesen.
Jenny hat an der Uni Germanistik studiert. Als
Teil ihres Studiums hat sie einen Kurs mit 3
Credits im Fach Didaktik gehabt. Danach ist sie in
ihre Heimat, 1200 km von der nächsten Univer-
sität/Goethe-Institut/Fortbildungszentrum entfernt
zurückgegangen. Dort unterrichtet sie Deutsch an
einer privaten Schule.
Monika hatte in der Schule Deutsch gelernt.
Danach hat sie Psychologie studiert, aber nie
gearbeitet. Sie hat jung geheiratet und Kinder
bekommen. Sie hört, dass es in ihrer Stadt Bedarf
an Deutschlehrern bzw. -lehrerinnen gibt. Sie geht
zum nächstgelegenen Sprachinstitut und belegt
einen Deutschkurs. Sie schafft es, die B1-Prüfung
zu bestehen und bewirbt sich als Deutschlehrerin.
Sie bekommt die Stelle.
Mita, Jenny und Monika arbeiten auch unter ganz
verschiedenen Bedingungen. Die eine arbeitet in
einer Schule mit Buch, Kreide und Tafel. Die
zweite in einer modernen Schule mit einer
interaktiven Tafel. Die dritte hat keine interaktive
Tafel im Unterrichtsraum, aber ein Audiogerät
und kann einmal in der Woche Zugang zu einem
Computerzimmer bekommen, wo die Schüler
eigenständig Webquests machen können. Alle
drei, Mita, Jenny und Monika, sind im selben
Beruf und brauchen regelmäßig Fortbildungen,
um ihren Beruf ausüben zu können.
Eine Deutschlehrerausbildung für Schullehrer gibt
es an indischen Universitäten nicht. Die einzige
Deutschlehrerausbildung in der Region gibt es
beim Goethe-Institut und sie ist eher an Lehr-
personen in der Erwachsenenbildung gerichtet.
Daher sind Fortbildungen der einzige Weg für
die Vermittlung methodisch-didaktischer Fach-
kompetenz im schulischen Bereich.
Wie aus den drei Fallbeispielen hervorgeht, ist die
Landschaft bunt. Daher ist es eine Herausforde-
rung, ein Fortbildungskonzept zu entwickeln, das
den Bedürfnissen von Mita, Jenny und Monika
entgegenkommt und den Realitäten des herr-
schenden Schulsystems Rechnung trägt.
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den drei
Damen, von denen man ausgehen kann, bevor
man sich mit den Unterschieden befasst?
Die eine große Gemeinsamkeit, die alle drei
möglicherweise haben, ist ihre eigene schulische
Erfahrung. Das ist der Unterricht, den sie selbst
als Schüler erlebt haben. Unbewusst haben sie da
Lehrerbilder im Kopf, die Lehr-/Lerntraditionen
bei ihnen eingeprägt haben. Das Lehrer-Schüler-
Verhältnis hat für sie eine bestimmte Dynamik.
Wie sieht diese Realität aus? Der Unterricht an
den meisten indischen Schulen ist frontal. Die
Lehrperson ist eine Respektsperson und es wird
viel Wert auf die Vermittlung von informations-
schweren Inhalten gelegt.
Kann mit dieser Erfahrung und Tradition ein mo-
derner kommunikativer Deutschunterricht ange-
boten werden? Wie geht man da vor? Wie bereitet
man Inhalte vor? Wie ist der Ansatz da?
I N H A L T E E I N E R F O R T B I L D U N G
Erstmals sollte es darum gehen, die festge-
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
31
fahrenen Lehr-/Lerntraditionen in Frage zu
stellen. Ist es heute noch aktuell, im Fremd-
sprachenunterricht frontal zu unterrichten? Oder
hat die Lehrperson nicht eher eine Trainer-
funktion? Der Übergang vom traditionellen Bild
einer Lehrperson als Respektsperson zu dem Bild
von einer Lehrperson als Vermittler, Trainer oder
Ansprechpartner muss angebahnt werden.
Ein reflektiver Ansatz, durch den die Lehrperson
angeregt wird, anhand bestimmter Kriterien über
den eigenen Unterricht nachzudenken, die
Stärken und Schwächen zu analysieren und
daraus Schlüsse zu ziehen, könnte der erste
Schritt sein. Im zweiten Schritt sollte man
überlegen, wie man fachliche Inhalte am besten
vermitteln kann.
Wegen des Sprachstands einiger Lehrer ist es
ratsam, Inhalte der Fremdsprachendidaktik in ein-
facher Sprache anzubieten. Oft sind die DaF-
Methodik-Didaktik-Lektüren sprachlich für viele
Lehrer zu anspruchsvoll. Die Fachterminologie
kennen sie nicht und daher sind sie nicht moti-
viert, die Lektüre zu bearbeiten.
Die fachlichen Inhalte müssen daher vereinfacht
auf Deutsch angeboten werden. Es herrscht auch
die Meinung, dass man die Inhalte in der Landes-
sprache anbieten sollte. Aber sehr wenige Kolle-
gen tendieren zu dieser Meinung, weil man will,
dass Deutschlehrer auf Deutsch in die Lektüre
von DaF einsteigen sollten. Was ihnen aber sehr
hilft, ist eine Einweisung in den deutschspra-
chigen Wortschatz im Vorfeld.
Außer den „herkömmlichen“ Fachinhalten, die
Lehrer in verschiedenen Fortbildungsprogram-
men bekommen, braucht man heute in einem
Lehrerfortbildungsprogramm auch Hinweise auf
die Möglichkeiten, die neue Medien anbieten.
Sei es in der Form von Online-Übungen, landes-
kundlichen Informationen oder Projekten mit
Partnerklassen. Neue sowie erfahrene Lehrer
müssen auf diese Möglichkeiten hingewiesen
werden.
Der Umgang mit interaktiven Tafeln gehört heute
auch zu einer Lehrerfortbildung. Die Handhabung
dieser neuen Technologie gehört zu den Skills,
die ein moderner Lehrer beherrschen muss.
Diese Inhalte gibt es im Land bisher in zwei
Formen. Einmal sind es die Fernstudieneinheiten
des Goethe-Instituts. Neuerdings wird das im
Programm Deutsch lehren lernen (DLL)
eingesetzt. Es gibt auch ein eigens für eine
Fernuni in Indien entwickeltes Programm. Das ist
für indische Lehrer von indischen und deutschen
Autoren entwickelt worden und trägt den
Gegebenheiten in der Region Rechnung.
Es gibt auch einen „Foreign Language
Education“-Kurs an der Universität Delhi. Dieser
Kurs hat einen gemeinsamen Lehrplan für alle
Fremdsprachen, aber mit ein paar sprachen-
spezifischen Modulen wie Landeskunde oder
Grammatikvermittlung. Die meisten Inhalte die-
ses Programms sind auf Englisch.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
32
A R T D E R V E R M I T T L U N G
Wie werden diese und andere Inhalte an die
Lehrer/-innen vermittelt? Da sie verstreut über
das ganze Land leben, ist ein Online-Kurs eine
gute Lösung. Ein Online-Kurs ermöglicht jedem
jederzeit Zugang zu den Lerninhalten. Aber oft ist
die Online-Bearbeitung der Aufgaben wegen
der schlechten Internetverbindungen besonders in
abgelegenen Gebieten recht schwierig. Daher ist
es ratsam, die Inhalte auf CDs zur Verfügung
zu stellen. So können Lehrer/-innen die Lektüre
offline bearbeiten und die Lösungen zu den
Aufgaben können per Mail geschickt werden.
Außer den theoretischen Inhalten brauchen die
Kandidaten bzw. Kandidatinnen auch einen
praktischen Teil. Hospitationskurse mit Modell-
unterricht mit Vor- und Nachbesprechung sind
hier eine bewährte Lösung. Bei diesen Kursen
können sie selbst beobachten, wie der Deutsch-
unterricht in der Praxis gestaltet wird. Welche
Überlegungen fließen in die Vorbereitung ein?
Wie werden Lehrmaterialien ausgesucht, didak-
tisiert und nachbereitet? Warum sind bestimmte
Sozialformen für bestimmte Aufgaben geeignet?
Diese und viele andere Fragen können be-
sprochen und analysiert werden. Die Hospita-
tionen, gekoppelt mit Vor- und Nachbespre-
chungen, können Lehrern und Lehrerinnen, die
kein pädagogisches Studium hinter sich haben,
sehr viele praktische Tipps mit auf dem Weg
geben, die zur Verbesserung der Unterrichts-
qualität beitragen können. Außerdem bieten die
Hospitationsphasen den Lehrern bzw. Lehrerin-
nen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit
anderen Kollegen und Kolleginnen zu teilen. In
der Gruppe wird man viele Ängste los und
lernt von den Erfahrungen der Kollegen und
Kolleginnen.
S C H L U S S
Fortbildungen im DaF-Bereich sind unentbehrlich
in Ländern, wo das örtliche Landessystem den
angehenden Fremdsprachenlehrern keine Mö-
glichkeit für eine Lehrer/-innen-Ausbildung
bietet. Diese Ausbildung muss sowohl sprachlich
als auch inhaltlich auf die Bedürfnisse der Lehrer/
-innen zugeschnitten sein und das Angebot muss
für alle sowohl in Großstädten als auch in abgele-
genen Gebieten zugänglich sein. Dafür muss auch
bei dem „Endverbraucher“ ein Bewusstsein vor-
handen sein, dass er/sie in regelmäßigen Ab-
ständen Fortbildungen braucht und sich dafür
selbstständig anmeldet.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
33
Großgruppendidaktik im Deutschunterricht Ein Beispiel aus Indien
JANAKI NARKAR WALDRAFF
U nterrichten in großen Gruppen stellt
eine besondere Herausforderung so-
wohl für Schulen und Schüler als
auch für Deutsch als Fremdsprache-
Lehrer/-innen dar. Im Gegensatz zu kleinen
Klassen, wo die Mehrheit der Lehr- und Lern-
herausforderungen am besten erarbeitet wurden,
ist die methodisch-didaktische Landschaft für
große Gruppen noch leer. Viele Projekte und
Theorien sind international noch in den Anfangs-
stadien. In einer Zeit, in der viele Erkenntnisse
und Diskussionen über die Bedeutung des ak-
tiven, selbstgesteuerten Lernens, den schüler-
zentrierten Unterricht und die gemeinsame Ver-
antwortung für den Erfolg der Lernergebnisse der
Schüler/-innen zu lesen ist, stellen große Klassen
eine Anomalie dar. Wie kann man den Unterricht
so individuell wie möglich gestalten und ihn mehr
interaktiv machen, wenn man so viele Schüler in
der Klasse hat?
Großgruppen haben in den meisten asiatischen
Ländern eine lange Tradition und besonders in
Indien sind sie nicht zu vermeiden. Die sozio-
ökonomische Entwicklung der Klassengröße in
Indien hängt von diversen Faktoren ab.
Indien hat die Eine-Billion-Zahl überschritten.
So eine enorme Bevölkerungszahl benötigt eine
schulische Infrastruktur, die nicht einheitlich im
ganzen Land zu finden ist. So gibt es einen
starken Unterschied zwischen Schulen in den
Metropolen und denen auf dem Lande.
Mangelnde Schulen führen dazu, dass alle
Schüler mit unterschiedlichem Kenntnisstand
oft in einer Klasse untergebracht werden.
Das ist der Fall in entlegenen Dörfern, in denen
ein Lehrer oder eine Lehrerin alle Fächer
unterrichten muss. In Metropolen sind Schüler
gemäß ihrem Einschulungsalter untergebracht.
Bildungsbehörden der indischen Bundesländer
setzen die Obergrenze der Klassengröße nach
der Bewohnerzahl in den jeweiligen Städten und
die Zahl der zertifizierten Schulen fest.
Eltern sind verpflichtet, die gesetzlich fest-
gelegte Schulpflicht einzuhalten. Sozio-
ökonomische Faktoren ermöglichen es nicht
immer, dass ein Kind die Schule abschließen
kann. Politisch beeinflusste Programme wie z.B.
die kostenlose schulische Ausbildung für alle
Mädchen in der Altersgruppe zwischen 6-16
führen dazu, dass Regierungsschulen oft
überfüllt sind. Kasten in der indischen
Gesellschaft, die ökonomisch benachteiligt sind,
haben in jeder Schule eine Sonderquote an
reservierten Schulplätzen. Dabei muss man
bedenken, dass über 50% der indischen
Bevölkerung zu diesen Kasten gehört.
Gute berufliche Chancen werden nur mit einer
guten akademischen Qualifikation in bekannten
Schulen garantiert. Daher ist das Schulwesen in
Indien zu einem lukrativen Geschäft geworden.
Größere Gruppen im Unterricht machen das
Geschäft rentabel.
Erziehung ist ein Privileg in Indien und keine
Selbstverständlichkeit. Eltern wollen ihre
Kinder in gute und renommierte Schulen
schicken, damit die zukünftigen Karriere-
möglichkeiten gesichert sind. Die Klassengröße
ist daher oft kein Kriterium für die Qualität des
Unterrichts in einer Schule.
Schuladministratoren und hochrangige Ent-
scheidungsträger in den Bildungsbehörden
reagieren auf die mangelnde Finanzierung und
vergrößern die Klassenstärken und übersehen
oft die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte von
großen Klassen. Es gibt einen ernsthaften
Bedarf an Aus- und Fortbildung für Lehrer und
Lehrerinnen in großen Schulklassen.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
34
Eine zahlenmäßige Definition einer Großgruppe
variiert von Land zu Land. In Indien haben
wir bei dem Großgruppendidaktik-Forschungs-
projekt folgende Klassengrößen festgestellt: 30-
50 Schüler/Studenten gelten als eine kleine
Großgruppe, 50-70 sind eine mittlere Großgruppe
und über 70 Schüler/Studenten bilden eine große
Großgruppe.
Für den Deutschunterricht aber, wie auch in
anderen Fächern, stellt die Gruppengröße eine
große Herausforderung dar. In den meisten öffent-
lichen und in manchen privaten Schulen und
Colleges sind große Gruppen die Norm. Im Fol-
genden sind ein paar Herausforderungen kurz
aufgelistet:
Lehrerbezogene Herausforderungen
Binnendifferenzierung in heterogene Gruppen –
Die Lehrkraft kann physisch und zeitlich
einen binnendifferenzierten Deutschunterricht
oft nicht leisten. Die Heterogenität der Gruppe
sollte aber nicht als Problem gesehen werden,
sondern eher als Chance, einen differenzierten
Unterricht zu gestalten.
Disziplin in großen Gruppen - Störungen im
Unterricht. Das Schulmanagement fordert von
der Lehrkraft eine sehr strenge Disziplin in der
Klasse. Alle Schüler müssen sitzen und so
wenig wie möglich reden. Es ist eine
Herausforderung für den Lehrer und die
Schüler, interaktives Unterrichtsgeschehen ohne
viel Lärm und Chaos durchzuführen. Die
Erfahrung zeigt, dass die Durchführung
handlungsorientierter Aktivitäten das erste Mal
oft mit Lärm und Chaos verbunden ist. Sobald
die Schüler/-innen aber lernen, mit solchen
Aktivitäten umzugehen, reduziert sich der
Lärmspiegel deutlich und der Deutschunterricht
wird als Spaß gesehen.
Mangel an Platz für Gruppenarbeit und
interaktiven Unterricht. Räumliche Begren-
zungen behindern oft die Durchführung von
schönen und interessanten Unterrichtsideen zum
ganzheitlichen Lernen.
Erreichen der Lernziele. Mangel an Zeit und die
Größe der Gruppen machen das Erreichen der
Lernziele zu einer großen Herausforderung.
Alle Fertigkeiten können nicht richtig eingeübt
werden. Fertigkeiten wie das Hören und
Sprechen werden oft weniger geübt, da sie eine
aktive Teilnahme fordern. Passive Kenntnisse
beim Lesen und Schreiben werden oft schnell
und problemlos erworben.
Copyright GIA Pune
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35
Schülerbezogene Herausforderungen
Passives Lernverhalten. Eine aktive Teilnahme
ist oft verpönt. Der Schüler entwickelt und lernt,
dass die passive Lernmethode die beste ist und
bevorzugt sie in allen Lernsituationen.
Anonymität. Die soziale Entwicklung eines
indischen Kindes unterstützt die Anonymität in
einer Gruppe, sei es die Familie, Kaste oder der
Freundeskreis. Indische Schüler finden es daher
unangenehm, wenn ihre Individualität gefragt
ist Daher ist Gruppenarbeit ideal in solchen
Situationen.
Lernstil und Lerntyp. Die Lehrkraft hat oft
wenig Geduld und Zeit, auf jeden Lernstil und
Lerntyp individuell einzugehen und Aktivitäten
so zu fördern, dass sie alle Kriterien berück-
sichtigt.
Institutionelle Herausforderungen
Unterrichtseinheiten zu kurz. In der Sekun-
darstufe dauert der Unterricht 35 Minuten und
im Junior College (11. und 12. Klasse) 45
Minuten. Nach langem Überreden gelingt es der
Lehrkraft manchmal, das Schulmanagement zu
überzeugen, zwei Unterrichtseinheiten à 35
Minuten zusammenzulegen, damit genug Zeit
für einen guten Unterricht bleibt.
Anzahl des Deutschunterrichts pro Woche. Da
Fremdsprachenunterricht in den meisten
Schulen keine große Wichtigkeit genießt, wird
weniger Unterrichtszeit in den Klassen pro
Woche für den Deutschunterricht zuge-
sprochen. Meistens ist es 3-4 mal in der Woche.
Konkurrenz zu anderen Fächern. Nach den
meisten Eltern und dem Schulmanagement
gelten naturwissenschaftliche Fächer als
wichtig, da sie beruflich von Bedeutung sind.
Daher wird der Deutschunterricht/Deutsch-
lehrer oft zeitlich und räumlich benachteiligt.
Trotz der institutionellen und der Lehrer- und
Schüler-Schwierigkeiten, die große Gruppen ver-
ursachen, bieten sie gleichzeitig interessante
Chancen und Möglichkeiten für einen interaktiven
Unterricht.
Ein grundsätzlicher Konzeptwechsel ist hier ange-
sagt. Beobachtungen und Hospitationen in den
Klassen mit großen Gruppen haben gezeigt, dass
der durchschnittliche Schüler mit den bisherigen
Unterrichtsmethoden und Vorstellung unzufrieden
ist. Ein Methodenwechsel im Unterricht dürfte den
Schülern und Schülerinnen also verständlich, plau-
sibel und schließlich fruchtbar für sie sein. Die
Aufgabe des Lehrers ist es, die Vorstellungen der
Schüler zu erfassen und den Unterricht auf sie
abzustimmen, damit dem Lerner der Weg zu einem
systematischen, wissenschaftlichen Blick geebnet
wird.
Dabei ist die Vorbereitung der Lehrer eine wichtige
Voraussetzung. Die Lehrkraft muss sich einem
selbstkritischen Durchdenken der eigenen Lehrer-
rolle unterziehen. Die Anerkennung und Reali-
sierung von autonomen Lern- und Unterrichts-
prinzipien hilft dabei. Unterschiedliche Lernange-
bote, z.B. Partnerarbeit, Gruppenarbeit, freies
Sprechen ohne Angst vor den eigenen Fehlern,
müssen ermutigt und können im Unterricht ange-
wendet werden. Eine erweiterte Themenwahl, bei
der das Lebensumfeld und die Erfahrungen der
Schüler/-innen mit berücksichtigt werden, kann
den oft eintönigen Deutschunterricht interessant
machen. Die Umgestaltung der Lernumgebung
kann einen großen Beitrag zur Erhöhung der
Lernmotivation darstellen, z. B. Klassenraum-
wände mit selbst hergestellten Postern schmücken,
Projektarbeitergebnisse im Klassenzimmer ausstel-
len, wenn möglich eine Klassenbücherei mit Bild-
wörterbüchern und Ordnern für selbst erstellte
Bildersammlungen usw. anbieten.
Ziel ist es, dass man einen interessanten, inter-
aktiven und Erfolg bringenden Deutschunterricht
mit wenigen Mitteln, viel Einsatz seitens der
Lehrer und Schüler gestalten kann. Man darf nicht
vergessen, Jugendliche finden es sehr schwierig,
still zu sitzen. Sie heißen physische und geistige
Bewegung sehr willkommen. Den ganzheitlichen
Lernprinzipien entsprechend kann man passive
Schüler/-innen dazu bringen, im Deutschunterricht
in einer großen Gruppe mitzuwirken.
Es wäre ideal, wenn man als Deutschlehrer
kleinere Klassen hätte. Die wirtschaftlichen und
traditionellen Gegebenheiten, von denen die
meisten Entscheidungen in den Schulen getragen
sind, werden es nicht zulassen. Die Alternative ist,
einen ernsthaften Versuch durchzuführen, die
Situation zu verbessern, indem man Prioritäten
innerhalb des realistischen Kontexts setzt, den wir
in der Schulbildung haben.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
36
Germanistik an der Universität Mumbai, Indien
VIBHA SURANA / MEHER BHOOT
D ie Universitä t Mumbai (früher
Bombay) ist nicht nur das älteste
Zentrum der Germanistik in Indien, das
Department of German ist vielmehr mit
derzeit etwa 1000 DaF/Germanistik-Studenten/
Doktoranden, sechs festen Lehrstellen (darunter
eine von einer Humboldtianerin, zwei von
ehemaligen DAAD-Stipendiaten und drei weiteren
zeitweilig besetzt), etwa zwanzig Gastdozenten
und drei internationalen Projekten auch eine der
aktivsten Germanistik-Abteilungen in Indien. Inter-
kulturelle Studien bilden in den letzten 30 Jahren
den Schwerpunkt für Forschung und Lehre.
D I E A N F Ä N G E V O N D A F U N D G E R M A N I S T I K
Der Deutschunterricht in Mumbai hat eine viel
ältere Tradition, als angenommen wird. Die
historische Entwicklung der Germanistik an der
Universität Mumbai fängt 1911-12 mit der
Genehmigung des Syllabus für einen B.A.-
Studiengang in der Germanistik ab 1913 an.
Unmittelbar darauf wird an der Universität Mumbai
ein fester Lehrplan für M.A. in Germanistik für die
Jahre 1916-18 genehmigt.
Ausgerechnet am 3. Oktober 1910 nimmt der Senat
der Universität den Vorschlag des damaligen
Rektors an, Bestimmungen für die Einführung von
modernen europäischen Sprachen (darunter auch
Deutsch), Geschichte, Philosophie, Logik und
Mathematik als Studieninhalte zu entwerfen1.
Bereits 1911 wurde das Board of Studies gegründet.
Ab 1911-12 konnten Studie-rende Englisch und
moderne Sprachen wie Deutsch und Französisch
wählen2. So studierte man ab 1913 nebst deutscher
Grammatik Lyrik, Prosa und Dramen.
Mit literarischen und sprachlichen Kursen ist die
Geschichte des Deutschunterrichts in Mumbai
Zeuge des politischen Wandels in Indien und
Europa. Beide Weltkriege markieren Meilensteine
in der Geschichte der Germanistik in Mumbai.
Während der Kriegsjahre zwischen 1914-18 werden
die deutschen und österreichischen Lektoren
zurückgerufen. Von 1942-1946 verbringt der erste
Professor in der indischen Germanistik, R. V.
Paranjape, seine Zeit in München, wo er deutsche
Literatur und englische Sprache unterrichtet. Mit
seiner Ankunft 1947 am Elphinstone College
beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der
Germanistik in Mumbai.
In den 60er Jahren erweitert die Universität
Mumbai die Kurse und 1964 wird das Department
of Foreign Languages gegründet. Französisch,
Russisch, Arabisch, Persisch und im Jahr 1965
Deutsch3 werden unter einen institutionellen „Hut“
gebracht. 1966 wird Dr. Paranjape zum Leiter der
Abteilung und bekommt die erste Professur für
Germanistik in Indien. Bis zu seiner Emeritierung
1974 wird Deutsch an zahlreichen Colleges wie
Khalsa, SIES, Ruparel, Jai Hind usw. unterrichtet.
Als die Zahl der Studierenden an der Universität
Mumbai wuchs, wird ein neuer Campus gesucht.
Anfang der 80er Jahre ziehen viele Abteilungen
nach Kalina um. Vom 16. August 1980 bis 21. Juli
1982 wird das Department von Prof. Vridhagiri
Ganeshan geleitet. Allmählich werden die BA- und
MA-Kurse auch geographisch getrennt. Der BA-
Studiengang wird am Elphinstone College weiter
geführt und wird zum Erbe von Südmumbai. Lange
ist es das einzige College in Mumbai, wo man einen
BA-Abschluss im Fach Germanistik erwerben
kann. Der neue Campus in Kalina in Nordmumbai
bietet dann den MA-Studiengang in Germanistik
an.
D I E E N T W I C K L U N G
Das Jahr 1988 markiert einen weiteren Wandel in
1 Ebd. S. 69. 2 University of Mumbai. Calendar 1913-14, Vol. 1. Bombay 1913. S. 811. 3 Annual Report 1965-66, S. 79
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
37
der Geschichte der Germanistik. Als 1988 Prof.
Annakutty V. K. Findeis die Professorenstelle
annimmt, wird das Curriculum nach und nach
interkulturell gestaltet. Sie führt die indische
ästhetische Theorie in den Lehrplan der
Germanistik ein und plädiert durchgehend für
eine interkulturelle Germanistik. Kurse wie
Philosophie, europäische Kulturgeschichte,
indische ästhetische Theorie, westliche Literatur-
theorien, sogar Migrantenliteratur, sowie Sprach-
wissenschaft werden in den MA-Kurs eingebaut.
Deutsche, österreichische und schweizerische
Literatur wird nebeneinander gelehrt. Regel-
mäßige Kolloquien für Doktoranden bereichern
die Forschungsarbeiten. DaF-Kurse werden ab
1994 auch sonntags angeboten. Bis in die späten
90er Jahre gibt es über 1000 Lernende, die
Deutsch als Fremdsprache lernen.
Mit ihrem Einsatz werden Sonderkurse in DaF für
Firmen und IIT, Mumbai angeboten. Nicht nur
das Magisterstudium, auch Forschung wird zu
einem integralen Bestandteil des Unistudiums.
Unter der Betreuung von Prof. Annakutty
V. K. Findies haben bis jetzt 11 Studierende
promoviert. 1996 wird der M.-Phil.-Kurs einge-
führt. Zahlreiche renommierte Gastprofessoren,
Theaterpersönlichkeiten, Schriftsteller sowie die
deutsche, österreichische und schweizerische
Diplomatie besuchen das Department. Gastvor-
träge, Workshops, Kolloquien und internationale
Tagungen werden zum integralen Teil des
akademischen Kalenders.
Während die Academia in der Abteilung expan-
diert, löst sich das Department of Foreign
Languages auf. 1993 wird es zum Department of
German/Russian und seit 2003 heißt es Depart-
ment of German. Mit dem Schwerpunkt Inter-
kulturelle Germanistik setzt sich Prof. Annakuttys
weiter für Sprachen ein, plädiert für die
Einführung von asiatischen Sprachen. 2001
beginnt der Certificate-Kurs für Japanisch. Heute
bietet die deutsche Abteilung zusätzlich Kurse für
Certificate, Diploma, Advanced Diploma in
Japanese, und Conversational Course in
Japanese und Business Japanese an.
Als 2003 Prof. Annakutty emeritierte, übernahm
Dr. Madhuri Bajpai die Leitung. Jetzt wird zum
ersten Mal der Teilzeitskurs für Übersetzung und
Tourismus eingeführt, den Prof. Annakutty schon
in die Wege geleitet hatte. 2006 wird unter Dr.
Bajpais Leitung der BA-Kurs vom Department of
German auf dem Uni Campus in Kalina ein-
geführt und das 5-jährige integrierte Programm
für BA- und MA-Studiengänge wurde angeboten.
Mit der Einführung des BA-Kurses auf dem
Kalina-Campus findet Maria Stuart ihren Weg
dahin wie bereits 1913-1917. 2008 werden die
Studierenden des zweiten BA-Jahres ausgewählt,
um an dem internationalen Workshop zum
Thema “Mobilität” in Stuttgart teilzunehmen.
Aus aller Welt werden nur sieben Gruppen
ausgewählt, darunter die Studierenden der
deutschen Abteilung der Mumbaier Universität.
Sie fliegen zusammen mit Dr. Bajpai nach
Stuttgart. Zu ihrer Zeit wird das Memorandum of
Understanding (MoU) mit der Universität
Klagenfurt unterschrieben.
Als Dr. Bajpai Anfang 2009 in den Ruhestand
tritt, wird Prof. Dr. Vibha Surana Leiterin der
Abteilung. Als Humboldtstipendiatin macht
sie die Forschung wieder zum Schwerpunkt
der deutschen Abteilung. Vier Studentinnen
schreiben sich für eine Doktorarbeit ein. Die
akademischen Studiengänge werden neu konzi-
piert, so dass sie einerseits eine allgemeine
Geistesbildung beinhalten und zugleich Berufs-
chancen nach dem Abschluss eröffnen. Die
Studierenden können einen MA mit Schwerpunkt
Übersetzung oder Kulturwissenschaft machen.
Neue Kurse wie Filmstudien, Komparative
Ästhetik oder Einführung in die Kultur-
wissenschaft werden zum Teil des MA-
Programms im Fach Germanistik. Neben Kursen
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
38
zur klassischen deutschen Literatur werden Kurse
über zeitgenössische deutsche Literatur ange-
boten. Um die deutsche Sprache zu verbessern,
werden für BA- und MA-Studierende zusätzliche
Kurse wie Deutsch für Fortgeschrittene ange-
boten. Unter Prof. Suranas Leitung werden zum
ersten Mal Projekte eingeführt, wodurch Studie-
rende aus dem Department die Gelegenheit
wahrnehmen können, ein Semester in Deutsch-
land zu verbringen. Mit akademischem Austausch
von Studierenden, Praktikanten und Doktoranden
werden gemeinsame Forschungsprojekte mit
deutschen Universitäten durchgeführt.
Das erste Projekt beginnt 2009 unter dem Titel
„Interkultureller Topos Hafenstadt: Mumbai und
Hamburg im medialen Vergleich. Prof. Vibha
Surana und Prof. Ortrud Gutjahr von der
Universität Hamburg leiten das Projekt. Das
Projekt wird vom DAAD (A New Passage to
India) und vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung, Deutschland unterstützt.
Gemeinsame Filmanalysen deutscher und in-
discher Hafenfilme von deutschen und indischen
Studierenden, Doktoranden und Professorinnen
bringen aufschlussreiche Einsichten. Die Ergeb-
nisse der ersten Phase dieses Projekts sind in
einem Film festgehalten, der von den indischen
und deutschen Studierenden und Doktoranden
produziert wurde. Eine detaillierte Publikation
der Projektergebnisse ist in absehbarer Zukunft
vorgesehen. Da Mumbai und Hamburg als
Hafenstädte eine reiche Palette für Forschung
bieten, wird die zweite Phase des Projekts mit
Professor Ortrud Gutjahr 2014 im Rahmen des
DAAD-Förderprogramms PPP-Indien-UGC in
Angriff genommen. Das Thema ist Mediale
Semantisierung maritimer Urbanität: Die Hafen-
städte Hamburg und Mumbai im Vergleich. Ziel
ist die Beantwortung der Frage, inwiefern die
literarischen und filmischen Inszenierungen der
Hafenstädte Hamburg und Mumbai eine auf das
Meer bezogene, interkulturelle Urbanität in den
Blick nehmen. Beteiligt an dem Projekt sind
Ortrud Gutjahr, Stellan Pantleon, Vibha Surana,
Meher Bhoot und Girissha Tilak.
2010 wird insofern ein besonders ergiebiges Jahr,
als der DAAD das gemeinsame Forschungs-
projekt zum Thema “Mehrsprachigkeit” fördert
und die Universitäten Mumbai, Göttingen und
Pune eine germanistische Institutspartnerschaft
(GIP) ins Leben rufen. Nochmals haben die MA-
Studierenden und Doktoranden die Gelegenheit,
ein akademisches Semester in Deutschland,
dieses Mal in Göttingen, zu verbringen. Eine
nennenswerte Leistung dieses Projekts wird darin
bestehen, dass die Universitäten von Mumbai und
Göttingen einen Transfer von Credits im jewei-
ligen Semester anerkennen werden. Das Projekt
fördert auch den Austausch von Lehrkräften.
Darüber hinaus wird im Rahmen dieses Projekts
jährlich eine gemeinsame interdisziplinäre Tagung
organisiert. Der Band Inszenierte Mehr-
sprachigkeit. (Con)texting Multilingualism wird
von Andrea Bogner, Manjiri Paranjape, Vibha
Surana und Meher Bhoot herausgegeben und
erscheint bald beim Transcript-Verlag.
Mehrsprachigkeit und Interkulturalität werden
weiter mit einem Übersetzungsprojekt am
Department of German gefördert. Vibha Surana
und Meher Bhoot haben in Zusammenarbeit mit
Susanne Koopmann und Sabine Arenz einen
Übersetzungsband Einfach menschlich herausge-
bracht. Er enthält 15 Kurzprosatexte, die aus
indischen Sprachen wie Hindi, Marathi und in-
dischem Englisch ins Deutsche übersetzt worden
sind. Der Band ist mit Mitteln der Uni Mumbai
2011 im Draupadi-Verlag in Deutschland ver-
öffentlicht worden. Sowohl das städtische als auch
das ländliche Leben werden zum Hintergrund
dieser Texte, die facettenreiche menschliche Be-
ziehungen darstellen. Das Projekt befindet sich
jetzt in der zweiten Phase.
Der Diskurs über die Theorien, Konzepte und
Inszenierungen der Mehrsprachigkeit gewinnt mit
tatkräftigem Engagement für die Förderung der
sprachlichen Vielfalt an Sinn. Seit August 2012
leitet Vibha Surana ein innovatives Projekt, um mit
Hilfe der kommunikativen Methode des DaF-
Unterrichts in Zusammenarbeit mit Marathi-
Experten den Erwerb der regionalen Sprache
Marathi durch Produktion von Lehrmaterialien für
Nicht-Muttersprachler zu erleichtern.
Zum 100-jährigen Jubiläum der Germanistik an der
Universität Mumbai wird in Zusammenarbeit mit
der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik
(GIG) eine internationale Tagung zum Thema
Komparative Ästhetik(en) (15.12.-21.12.14) orga-
nisiert. Über 50 Germanisten aus aller Welt und
etwa 30 indische Germanisten sind aktiv daran
beteiligt.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
39
Überlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenpädagogik im
Zeitalter der Globalisierung
MADHU SAHNI
D ie Auswirkungen der wirtschaftlichen
Globalisierung sowie der Liberali-
sierung der Märkte haben für den
Fremdsprachenunterricht in Indien
sowohl auf universitärer Ebene wie auch für die
Sprachinstitute gewisse Folgen. Das Paper
diskutiert das Deutschlernen und -lehren im
Kontext eines Hochschulstudiums (B.A.) im
Zeichen der Globalisierung und des Begleit-
phänomens bzw. der Vermarktung von Sprach-
kenntnissen. Die Entwicklung der Informations-
technik(industrie) seit den 90er Jahren führte auch
zu einer verstärkten Nachfrage nach jungen
Menschen mit Sprachkenntnissen. Jobs in dieser
Industrie waren zunächst gesichert, dabei mussten
die Sprachkenntnisse nicht unbedingt von höherer
Qualität sein, denn die Firmen boten auch nach
Eintritt in den Job genügend Gelegenheit zur
beruflichen Weiterbildung. Mit Recht spricht die
Webseite des Goethe-Instituts von einem
‚Deutsch-Boom‘. Deutschkenntnisse gelten als
‚Pluspunkt‘ bei der Arbeitssuche, denn es gibt
mittlerweile viele deutsche Firmen in Indien1.
In einer Untersuchung über den ‚new sun-shine
sector‘ (Ramesh, p. 492) äußerte sich Babu P.
Ramesh skeptisch über die Zukunft dieser In-
dustrie. Gebrochene Identitäten, geborgte Identi-
täten – man sei gezwungen, tagsüber als Inder zu
leben und nach Sonnenuntergang als Abend-
länder. Man müsse sich mit verärgerten und
aggressiven Kunden abfinden. Es sei, so Babu P.
Ramesh, eine Industrie, die ‚expensively educated
cheap labour‘ anstellt (Ramesh, 496). Ferner
macht Ramesh auf die hohe Personalabbaurate
aufmerksam. Es gebe demzufolge keine
Arbeitsplatzsicherheit2. Susan Sontag war ganz
anderer Meinung und sah im Florieren der
Business-Process-Outsourcing-(BPO)-Industrie in
Indien endlose Gelegenheiten für Menschen mit
Englisch- und Fremdsprachenkompetenz. In
ihrem Essay ‚Die Welt als Indien. Übersetzen als
Kunst der Anverwandlung des Fremden‘ meinte
sie, eine Befragung unter diesen Menschen habe
ergeben, dass ‚Nancy‘ oder ‚Bill‘, ‚(…) wirklich
lieber die echte Nancy und der echte Bill‘ wären.
(Sontag, 85)
Die im Jahr 2008 initiierte PASCH-Initiative des
Auswärtigen Amts der Bundesrepublik bietet die
weitere große Chance für Absolventen eines
Deutschstudiums. Zurzeit ist die BPO-Industrie
der größte Arbeitgeber für die Mehrheit der
Fremdsprachenabsolventen der Jawaharlal-Nehru-
Universität. Studenten, die seit Ende der 90er-
Jahre ein B.A.- oder ein M.A.-Studium in Deutsch
abschließen, müssen nicht mehr notwendiger-
weise traditionelle Beschäftigungen wie etwa in
der Tourismusbranche oder im Lehramt auf-
nehmen oder sich in anderen Bereichen weiter-
bilden. Fremdsprachenlernen ist nicht mehr eine
elitäre Beschäftigung für gebildete junge Inder. Es
ist zu begrüßen, dass eine Mehrheit der Studenten
sich am Ende eines B.A.-Studiums in Fremd-
sprachen auf einen gesicherten Job und auf öko-
nomische Selbstständigkeit freuen kann. Doch
was nehmen diese Studenten außer gewissen
Sprachkenntnissen mit? Wie haben sie die Spra-
che erworben und mit welchem Ziel? War es
tatsächlich nur, um einen Job bei einer BPO-
Industrie zu bekommen, gab es also nur eine
extrinsische Motivation? Daher ist die Frage nach
dem ‚Wie‘ des Lernens und Lehrens wichtig. Eine
veränderte Lehr-und Lernsituation verlangt eine
Grundsatzdiskussion über die Unterrichtspraxis.
Wie könnte eine Fremdsprachenpädagogik in
einer globalisierten Welt aussehen, wo Homoge-
nisierungsbestrebungen und Identitätspolitik trotz
eines scheinbaren Widerspruchs parallel exis-
tieren?
Sprachkenntnisse sind jetzt ‚wirtschaftliche
Güter‘ und wie Block und Cameron in
Globalization and Language Teaching (Block &
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
40
Cameron, 5) behaupten, diese Verwirtschaft-
lichung wirke sowohl auf die Motivation wie
auch auf die Wahl der Sprache. Motivation sei
eng verbunden mit dem materiellen, monetären
Wert der Sprache und habe wenig mit Interesse
an Kultur oder Literatur des Ziellandes oder dem
Wissen über das Land zu tun. Aber Sprachen-
lernen ohne Kulturerfahrung ist undenkbar, unge-
achtet der Debatten um die soziale Irrelevanz von
Literatur. Häufig entwickelt sich ein Kommuni-
kationsproblem zwischen den Lehrenden, die oft
noch einem humanistischen und gesellschafts-
transformierenden Bildungsideal verpflichtet
sind, und der Mehrheit der Lernenden, die Spra-
chenlernen mit marktkompatiblen Fertigkeiten
gleichsetzen. Fragt man Studenten heute, warum
sie Deutsch lernen wollen, hört man oft, dass sie
an der Jawaharlal-Nehru-Universität (JNU als
Markenname) studieren wollten. Manche er-
wähnen auch die herkömmlichen Gründe, man
wolle ins Ausland, sei an einer fremden Kultur
interessiert, wolle die Kultur von Hegel und Marx
kennen lernen usw.
Ein weiteres Phänomen lässt sich erkennen: Das
Profil des Sprachenlernenden hat sich grund-
legend geändert. Im B.A.-Programm der School
of Languages an der JNU studieren heute
wesentlich mehr Männer als Frauen. Das ist inso-
fern wichtig, als die BPO-Industrie einen
‚gendered‘ Arbeitsplatz darstellt und demzufolge
nicht frauenfreundlich ist (Ramesh, p.496f). Als
im Jahr 1982 die Universität zum ersten Mal in
ihrem Jahresbericht die Zahl der männlichen und
weiblichen Studierenden dokumentierte, stand
fest, dass in der School of Languages mehr
Frauen als Männer studierten. Unter den ins-
gesamt 348 Studenten gab es 191 Frauen. Der
Unterschied zwischen den Zahlen der männlichen
und weiblichen Studierenden war damals nicht
sehr groß, doch das änderte sich in den folgenden
Jahrzehnten stark. Laut Statistik des akade-
mischen Jahres 2014-15 absolvieren 540 Männer
und 321 Frauen in der School of Languages ein
B.A.-Studium. Das ist immerhin ausgeglichener
als in den Jahren 2007-2008. Damals bekamen
210 Männer und 40 Frauen eine Zulassung zum
B.A.-Studium. Im selben Jahr haben insgesamt
935 Männer und 557 Frauen einen Studienplatz
an der JNU erhalten. Es kam zu einer Reform in
der Zulassungspolitik, in deren Gefolge Frauen
zusätzlich 5 Punkte bei der Aufnahmeprüfung
erhielten, um dieses Missverhältnis auszu-
gleichen. Im Jahr 2008-2009 bekamen 778
Männer und 757 Frauen einen Studienplatz an der
Universität. In den drei großen Schulen der JNU3
studierten nur in der School of Language,
Literature and Culture Studies (SLL & CS)
weniger Frauen. Dieser Trend entwickelte sich
weiter und im Jahr 2013-2014 bekamen ins-
gesamt 2089 Personen einen Studienplatz, davon
1055 Frauen und 1034 Männer (unten in der
Abbildung exemplarisch dargestellt). Hier muss
erwähnt werden, dass diese Statistik leicht ver-
zerrt ist, da es nur in der SLL & CS ein B.A.-
Programm gibt. Wenn man einen Blick auf die
Zahlen der M.A.-Studenten in der SLL & CS
wirft, stellt man fest, dass die Statistiken der drei
Schulen nicht so stark voneinander abweichen.
Im Jahr 2009-2010 bekamen 64 Männer und 63
Frauen einen Studienplatz für das M.A.-
Programm, dagegen wurden 244 Männer und 79
Frauen zum B.A.-Studium zugelassen4.
Zahlen der neu aufgenommenen Studenten an den drei Schulen exemplarisch dargestellt
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
41
Wie erklärt man diesen zunehmenden Rückgang
der Frauenbeteiligung am Sprachenlernen an der
JNU? Über 50% der B.A.-Fremdsprachen-
studenten kommen aus indischen Kleinstädten,
sind männlich, verfügen häufig nur über geringe
Englischkenntnisse und haben ein begrenztes
Interesse an literarischen bzw. kulturellen Aspek-
ten der Zielkultur. Nicht selten gehören sie zur
ersten Generation von Collegestudenten in der
Familie. In den 80er Jahren haben dagegen vor-
wiegend Frauen ein Sprachstudium aufge-
nommen, das als elitär galt, denn mit diesem
Studium hatte man keine Garantie auf einen
Arbeitsplatz.
Wie gewöhnen sich nun die heutigen Stu-
dierenden an die neuen, ihnen fremden Lern-
bedingungen? Bleiben sie Außenseiter oder
passen sie sich an? Diese Optionen sind im
Grunde Auswege, sie stellen kein echtes Enga-
gement in der akademischen Umwelt dar, in der
sie sich befinden.
Der positive Aspekt dieses Wandels ist das
veränderte Selbstbild der Männer. Junge Stu-
denten schätzen sich nicht mehr negativ ein, weil
sie ein Fach gewählt haben, das traditionell als
‚weiches‘ und ‚weibliches‘ Fach gegolten hatte.
(Es gab selbstverständlich immer Ausnahmen.)
Grund dafür sind die neuen Berufschancen, die
sich jetzt dank der Sprachkenntnisse bieten. Die
gesellschaftlichen Aufstiegschancen, die durch
den Erwerb von Fremdsprachen heute ermöglicht
werden, sind durchaus attraktiv. Allerdings unter-
schätzen viele Studenten die Leidenschaft und die
Disziplin, die man für den Erwerb einer Sprache
braucht, und daher ist trotz eines nahezu ge-
sicherten Arbeitsplatzes nach dem Abschluss des
B.A.-Studiums die Abbruchquote relativ hoch.
Das ist besorgniserregend, denn die Studierenden
beginnen ihr Studium mit hohen Erwartungen, die
auch von ihren Familien geteilt werden5.
Man will sich oft nur die ‚Sprache‘ aneignen, und
die ‚Kultur‘ ist weniger ‚interessant‘. Gerade hier
liegt die größte Kluft zwischen den Erwartungen
der Lernenden und Lehrenden. Hinzu kommt, dass
für die Mehrheit der Studierende das Sprachen-
studium keineswegs die erste Wahl war, sondern
lediglich für 37.87%, von denen 52% sich an
erster Stelle für Deutsch entschieden6. Was be-
deutet das für die Konzeption des Fremdsprachen-
unterrichts? Wie kann man die Lerner motivieren?
Allein das geänderte Lernerprofil und die Ver-
wirtschaftlichung der Sprachkenntnisse erklärt
nicht hinreichend, warum viele Studenten die er-
wartete Sprachkompetenz trotz eines Sprach-
unterrichts von 20 Wochenstunden nicht er-
reichen. Ein kurzer Einblick in die Praxis des
schulischen Sprachunterrichts sowie in die Bil-
dungspolitik wird dazu beitragen, diese Leis-
tungslücke zu erklären.
D I E S T E L L U N G D E S S P R A C H E N L E R N E N S I M I N D I S C H E N B I L D U N G S W E S E N
Hier soll anhand von zwei Dokumenten ein
kurzer Überblick zum Stellenwert des Sprach-
unterrichts im Bildungswesen sowohl auf der
schulischen wie auch auf der universitären Ebene
skizziert werden. 2000/2001wurde das letzte Mal
ein ‚Curriculum Development Committee for
English and other Western Languages‘ gebildet.
Weil im Anschluss daran kein Treffen der
Fremdsprachenexperten auf universitärer Ebene
mehr stattfand, beziehe ich mich auf den Bericht
des Komitees sowie auf den Bericht der ‚National
Knowledge Commission‘ von 20057, um auf zwei
wichtige Beiträge zur Entwicklung eines Sprach-
curriculums auf nationaler Ebene einzugehen.
Diese beiden Dokumente dienen hier als Refe-
renzrahmen, um die staatliche Bildungspolitik im
Hinblick auf den Sprachunterricht zu analysieren.
Im Vorwort des Komitees für Englisch und
andere westliche Sprachen erklärt die University
Grants Commission (UGC), Fremdsprachen
werde viel zu wenig Beachtung geschenkt und bis
jetzt gebe es noch keine unabhängige Kommis-
sion für Fremdsprachen. In diesem Dokument
werden Zertifikatskurse, B.A. und M.A. sowie
M.Phil und Ph.D. in (abendländischen) Fremd-
sprachen diskutiert. Allerdings liefert dieses
Dokument keinerlei neue Ergebnisse. Zwei
Vorschläge sind jedoch zu erwähnen: Zum einen
wird im Einklang mit der ökonomischen Libera-
lisierungspolitik Indiens auf die Notwendigkeit
der Förderung von Fremdsprachenkompetenz für
sogenannte ‚need-based‘ Kurse8 und fachspe-
zifische Fremdsprachenausbildung9 hingewiesen,
und zum anderen werden einjährige Fremd-
sprachenkurse für Forschungsstudenten emp-
fohlen, was jedoch nicht begründet wird. Es ist
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
42
zwar selbstverständlich, dass sich die staatliche
Ausbildung auf den Arbeitsmarkt beziehen muss,
doch lässt das Dokument die Frage nach dem
kritischen Potential interkultureller Begegnung
vermissen. Was bedeutet es in einem multi-
lingualen Land wie Indien, in dem laut natio-
nalem Zensus im Jahr 2001 6,7% der Be-
völkerung einen universitären Abschluss haben10,
eine Fremdsprache zu lernen? Dieses Dokument
stellt auch nicht in Frage, warum Sprach-
kompetenz in dieser multilingualen Realität kein
hohes Prestige genießt und warum mit abend-
ländischen Sprachen in erster Linie immer noch
Französisch, Deutsch, Spanisch und Russisch ge-
meint sind. Auch mit der Frage nach der Rolle
des Fremdsprachenlernens an einer Universität
setzt sich dieses Dokument nicht auseinander.
Kurz gesagt fehlt hier der historische, gesell-
schaftliche und politische Kontext des Fremd-
sprachenunterrichts in Indien, dessen Unter-
suchung neue, dem veränderten sozialen Kontext
entsprechende Lehransätze hätte bieten können.
Das zweite in diesem Zusammenhang wichtige
Dokument ist der Bericht der National Know-
ledge Commisison, die im Jahr 2005 gebildet
wurde und die Aufgabe hatte, Richtlinien zu
formulieren, nach denen Indien sich in eine
Wissensgesellschaft umwandeln könnte. Eine der
Empfehlungen dieser Kommission betrifft die
Einführung des Englischen als Pflichtfach in der
ersten Grundschulklasse, denn Englischkennt-
nisse gälten als emanzipierend und würden
Chancengleichheit sichern. Dieses Ziel könnte
durch ein Lehrerausbildungsprogramm erreicht
werden. ‘In order to meet the requirement for a
large pool of English language teachers,
graduates with high proficiency in English and
good communication skills should be inducted
without formal teacher-training qualifications.
They could be selected through an appropriate
procedure developed by the National Testing
Service and then given a short-term orientation.
The nearly four million school teachers all over
the country, regardless of their subject expertise,
especially teachers at the primary level, should be
trained to improve their proficiency in English
through vacation training programs or other short
-term courses’11. Abgesehen von diesem nicht
unproblematischen Lehrerausbildungsprogramm
ist auch schwer zu verstehen, warum dieses
Dokument die Sprachpolitik im Bildungswesen
überhaupt nicht erwähnt. Der Bericht spricht auch
nicht von der Notwendigkeit der Entwicklung
kritischer Kompetenz und selbständiger Denk-
fähigkeit durch einen intensiven Sprachunterricht.
Was sind die Implikationen eines dekontextua-
lisierten Erwerbs des Englischen? Führt dieser
wirklich zu Chancengleichheit, sowohl wirt-
schaftlich wie auch intellektuell?
Dass diese Entwicklung sich parallel zu den
Änderungen in den ökonomischen Strukturen
vollzog, ist nicht überraschend. Indien stellt einen
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
43
enormen Wachstumsmarkt dar. Der Bedarf an
qualifizierten Arbeitskräften ist heute kaum zu
decken.
S P R A C H E N L E R N E N A N D E R S C H U L E
Ein weiteres Dokument, das für die Sprachpolitik
im Bildungswesen prägend war, war der Bericht
der Bildungskommission 1964/66, die als Kothari-
Kommission bekannt ist. Dieser Bericht hat dem
Anschein nach viel Wert auf Sprachenlernen als
Teil nationalen Aufbaus gelegt. Einer der Vor-
schläge, der wirklich ins Schulcurriculum inte-
griert wurde, war die Drei-Sprachen-Formel. Im
Kindergarten verwenden die Schüler nur die
Muttersprache oder die regionale Sprache, in den
nächsten Jahren lernen sie die offizielle oder
associate offizielle Sprache und schließlich sollten
in den Klassen 8 bis 10 drei Sprachen obliga-
torisch sein.
Auf der Universität habe, so der Bericht, diese
Drei-Sprachen-Formel keinen Platz, denn dies
wäre ‘a heavy language load on students and
(would) lead to a waste of scarce resources and
deterioration of standards of subject knowledge in
higher education‘ (KCR, 341). Die Bildungs-
kommission hatte aber nicht behauptet, dass die
Drei-Sprachen-Formel im Dienste eines geistigen
Fortschritts der Schüler einzuführen sei, sondern
aus politischen und sozialen Gründen. Sprachen-
lernen spielt heute im Schulcurriculum keine be-
deutende Rolle und das enorme kritische Poten-
zial, das automatisch durch Sprachenerwerb oder
auch ein bilinguales Lernen zustande gekommen
wäre, wird in den meisten indischen Schulen
vernachlässigt.
Obwohl die Drei-Sprachen-Formel immer noch in
Schulen praktiziert wird, folgt man doch häufig
einem anderen System, wobei English und Hindi
schon in den ersten Schuljahren simultan ein-
geführt werden; ab der 6. Klasse kommt für zwei
Jahre die dritte Sprache hinzu. In einigen Schulen
in Delhi kann man zwischen einer Fremdsprache
und Sanskrit wählen. Ganz deutlich ist, dass einzig
die englische Sprache einen hohen Stellenwert
besitzt. Seit der Unabhängigkeit sind das mit
dieser Sprache verbundene soziale Prestige und die
soziale Mobilität unverändert und unangefochten
geblieben. Im Positionspapier des National
Curriculum Framework (für Schulen) von 2005
wird festgestellt, dass die koloniale Herkunft des
Englischen heute in Indien keine Rolle mehr
spiele. Das Erlernen dieser Sprache symbolisiere
für die Inder eine hohe Bildungsqualität und
erlaube ihnen eine stärkere Teilnahme an
nationalen und internationalen Angelegenheiten.
(NCERT 2006, 1) Ob die koloniale Herkunft des
Englischen heute in Indien in Vergessenheit
geraten ist, mag bestritten werden, aber es ist
unbestritten, dass Englisch als wichtigstes interna-
tionales Verständigungsmittel erlernt werden
sollte. Es ist daher kaum verwunderlich, dass
Eltern es bevorzugen, ihre Kinder in Schulen mit
Unterrichtssprache Englisch zu schicken, und das,
obwohl sie selbst kaum Englisch sprechen und das
Schulgeld in diesen Schulen wesentlich höher ist
als in solchen, in denen die Regionalsprache
Unterrichtssprache ist. Von den 66 Studenten des
Centre of German Studies, die an der oben er-
wähnten Umfrage teilgenommen haben, erhielten
25 ihre Schulbildung in der Muttersprache/
Erstsprache, allerdings wurden von diesen nur 4
bis zum Schulabschluss in der Muttersprache/
Erstsprache unterrichtet. Hier handelt es sich nicht
um bilinguales Lernen. Und aus der Unterrichts-
erfahrung weiß man, dass die Vernachlässigung
der Muttersprache/Erstsprache die Kreativität und
Spontaneität beim Lerner unterdrückt und als
Lernbarriere wirkt. In einem Land, in dem Mul-
tilingualität die Norm ist, wird somit Mono-
lingualität gefördert. Schüler verlernen die Mutter-
sprache/Erstsprache oder können sie nur mit
Einschränkung verwenden. Sie lernen sämtliche
Inhalte entweder auf Englisch oder in der
dominanten Sprache der Region, was in Nord-
indien zumeist Hindi bedeutet. Es scheint, dass
Sprachenlernen innerhalb des Schulsystems heute
ein geringes Prestige genießt, obwohl es sicher-
lich private Schulen gibt, in denen dem Sprachen-
erwerb viel Zeit gewidmet wird.
Der Versuch, Englisch so vielen Schülern und
Studenten wie möglich zugänglich zu machen,
hat in den 90er Jahren zur Einführung des
Kommunikativen Ansatzes in den Schulen geführt,
der dem CBSE-Prüfungssystem folgt. Geht man
von den Lehrbüchern aus, so scheint fraglich, ob
man sich intensiv genug mit dem kommunikativen
Ansatz auseinandergesetzt hat, denn schon ab der
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
44
1. Klasse sollen Schüler grammatische Termini
verwenden, die sie nicht verstehen können. Bei
der Schulabschlussprüfung spielen weder sprach-
liche Korrektheit eine Rolle noch die Fähigkeit,
längere, kohärente Texte zu schreiben. Hinzu
kommt, dass kein Schüler bei der Schulabschluss-
prüfung in einer zweiten Sprache geprüft wird12.
Die Mehrheit der an indischen Schulen und
Universitäten praktizierten Sprachlehr- und Lern-
methoden sind Importe, und, wie A. Suresh
Canagarajah feststellt, Methoden sind keineswegs
wertfreie Werkzeuge, die allein durch empirische
Forschung bestätigt für die praktische Anwen-
dung entwickelt werden, sondern es sind
kulturelle und ideologische Konstrukte mit
politischen und ökonomischen Konsequenzen
(Block and Cameron 2002, 135)13. Sie sind häufig
auch nicht erfolgreich, denn es fehlt eine
ausreichende Lehrerausbildung. Und Methoden,
die für kleinere Gruppen von Schülern/Studenten
entwickelt wurden, funktionieren nicht in
größeren Gruppen von manchmal 40 bis 50
Lernern. Weitere Gründe, warum diese ge-
liehenen Methoden nicht effektiv sind, hängen
mit unterschiedlichen Lerngewohnheiten und
Themen zusammen, die oft kontextspezifisch sind
und sich nicht unmittelbar übertragen lassen.
Daher ist es vonnöten, regionenspezifische Lehr-
und Lernmethoden zu entwickeln.
Für einen überwiegenden Teil der Studenten-
schaft ist Sprachenlernen schon seit der Schulzeit
keine sehr geschätzte Aktivität, und die Studie-
renden haben es kaum mit Begriffen wie Weltan-
schauung, Horizonterweiterung, Meinungsbil-
dung o. Ä. Zu tun. Wenn sie dennoch ein Uni-
versitätsstudium in Fremdsprachen aufnehmen
und es unwichtig ist, was die Motivation dazu ist,
muss man dies als eine Herausforderung und
Chance auffassen, Sprachenlehren und -lernen
dynamisch umzugestalten.
S P R A C H C U R R I C U L A A N D E R U N I V E R S I T Ä T
Was bedeutet das für die Entwicklung eines
Sprachcurriculums an der Universität? Sprach-
lehrer an Universitäten neigen dazu, so früh wie
möglich literarische Texte einzusetzen, denn sie
werden im Gegensatz zu den simulierten Texten
aus Lehrbüchern als authentisch aufgefasst. Lehr-
buchtexte haben, so gesehen, auch eine kompen-
satorische Funktion. Erwachsene sollen an Uni-
versitäten durch Sprachlehrwerke, die meist
künstlich und intellektuell wenig anspruchsvoll
sind, die Zielkultur kennen lernen. So findet man
häufig in Lehrwerken vereinfachte Zeitungstexte,
bei denen der Fokus auf der Schlagzeile liegt, und
die das Passiv vermitteln sollen, oder etwa Ge-
spräche über das Einkaufen. Obwohl der kommu-
nikative und der interkulturelle Ansatz für eine
größere Auswahl an Texttypen gesorgt haben,
bleiben diese oft fern der Realität der Lernenden.
Das gilt insbesondere für die Lernsituation in
Indien. Trotz einer langen Tradition der Be-
schäftigung mit deutscher Sprache und Kultur an
indischen Hochschulen hat man hier kein Lehr-
werk entwickelt, das der Lernsituation besser
gerecht würde. Die Lehrbücher, die am Centre of
German Studies von Anfang an eingesetzt
wurden, sind in Deutschland geschrieben und
entwickelt worden. Solange der Fremdsprachen-
erwerb an Universitäten eine marginale und zum
Teil elitäre Beschäftigung war, stellte das kein
großes Problem dar, denn die europäische Kultur
war vielen Studenten bereits vor Aufnahme des
Sprachstudiums nicht ganz unbekannt. Man
könnte annehmen, dass heute das Internet die
gleiche Funktion ausübt, denn es schafft einen
Zugang zu fremden Kulturen. Doch das entspricht
leider nicht der Realität.
Eines der Hauptziele eines Sprachstudiums ist es,
Raum für einen interkulturellen Dialog zu
schaffen, der Diversitäten respektiert. Ein instru-
mentelles Sprachlernen ohne ein starkes Enga-
gement für die Zielsprachkultur oder die Aus-
gangskultur kann dieses Ziel kaum erreichen.
Einerseits spricht man von einer globalisierten
Welt und gleichzeitig vollzieht sich ein gefähr-
licher Aufschwung des Partikularismus. Vor
diesem Hintergrund kann etwa die legitime For-
derung, man müsse sich mit dem Alten Testament
beschäftigen, wenn man eine europäische Kultur
studiert, als unannehmbar abgelehnt werden. Be-
trachtet man diese Entwicklung im Zusammen-
hang mit dem Bedeutungsverlust der Geistes-
wissenschaft weltweit, wird es dringend not-
wendig, sich einer Pädagogik zuzuwenden, die
dem Dialog verpflichtet ist. Ein dialogischer An-
satz kann dazu beitragen, manche Konfliktzonen
zu überbrücken. Die Lernerautonomie, die den
kognitiven und konstruktiven Ansatz verbindet,
muss im Rahmen einer dialogischen Pädagogik
wirken, wenn der Markt die Studenten nicht bloß
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
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als billige Arbeitskräfte betrachten will. Es muss
möglich sein, seinen Lebensunterhalt zu ver-
dienen und gleichzeitig seine Autonomie nicht zu
verlieren.
S T E L L T D I E K R I T I S C H E P Ä D A G O G I K E I N E C H A N C E D A R ?
Ohne die Kommerzialisierung des Sprachstu-
diums grundsätzlich abzulehnen und den Grund
für die hohe Abbruchquote ausschließlich bei der
extrinsischen Motivation der Sprachlernenden zu
suchen, stellt sich die Frage, welche metho-
dischen Ansätze zu einer Verbesserung des Dia-
logs zwischen Lernenden, Lehrenden und ihrer
Umwelt führen könnten. Hier sollen einige
Grundideen der kritischen Pädagogik skizziert
und ein Versuch unternommen werden, deren
Relevanz für den Fremdsprachenunterricht in
Indien darzustellen. Die Frage lautet: Kann die
kritische Pädagogik helfen, sowohl Lehrende wie
auch Studenten zu motivieren und den Schritt von
einer nur extrinsischen zu einer intrinsischen
Motivation zu vollziehen? Denn das weitere En-
gagement für das Fach hängt eng damit zu-
sammen, ob man durch die Unterrichtspraxis eine
Beziehung zu sich und seiner Umwelt herstellen
kann oder ob die Unterrichtspraxis realitätsfern
bleibt. Wie kann man durch das Erlernen einer
fremden Sprache die eigene indische Realität und
die Welt besser verstehen? Damit ist nicht der
häufig erwähnte Prozess der Annäherung an die
eigene Kultur durch das Kennenlernen einer
fremden Kultur gemeint, sondern eine Infrage-
stellung der Ideen und Vorstellungen von der
‚eigenen‘ Realität. Norton und Toohey behaupten
mit Recht in der einführenden Bemerkung zu
ihrem Buch Critical Pedagogies and Language
Learning, dass man nicht von ‚der‘ kritischen
Pädagogik sprechen dürfe, vielmehr gebe es eine
Methodenvielfalt, die der lokalen Situation und
den entsprechenden Bedürfnissen angemessen
entwickelt wird. ‘(…) critical pedagogy cannot be
a unitary set of texts, beliefs, convictions, or
assumptions’14.
Die kritische Pädagogik bietet Flexibilität in Lehr
- und Lernmethoden. Hier wird Bezug genommen
auf einige Gedanken der transformativen bzw.
humanisierenden Pädagogik Paolo Freires, die er
in den 60er-Jahren in Lateinamerika entwickelte
und die auch für die Lernsituation in Indien eine
Bedeutung hat. Freire gehört zu den wichtigsten
Stimmen der kritischen Pädagogik, und trotz der
Ablehnung von mancher Seite bleibt seine dialo-
gische Praxis relevant für die Entwicklung einer
emanzipierenden Pädagogik. Die inzwischen
mehr als 50 Jahre alten Ideen von Paulo Freire
sind noch heute für Erziehungssysteme wie das
indische sehr wichtig, denn hier wurden zahl-
reiche Strukturen der kolonialen Bildungssysteme
übernommen, und das trotz der Einrichtung
mehrerer Bildungskommissionen mit fortschritt-
lichen Konzepten, die von der Realität eines mul-
tikulturellen Landes wie Indien ausgehend doch
viele Elemente eines autoritären Erziehungs-
wesens beibehalten haben. Einer der Haupt-
gründe, die für die Pädagogik von Freire
sprechen, ist, dass sie die mentalen Strukturen der
Abhängigkeit, die den Lernern in der Schule
vermittelt wurden, auflösen will. Dialog und
Bewusstseinsbildung sind zwei Kerngedanken
dieser Pädagogik. Der Dialog ist hier eine
‚existentielle Notwendigkeit‘ (Freire, 72) und soll
anstelle des ‚Bankiers-Konzept‘ der Erziehung
eingeführt werden. Das entfremdete Lernen einer
europäischen Sprache in Indien soll durch das
partnerschaftliche Lernen ersetzt werden. Dies er-
möglicht ein Gespräch zwischen Lehrendem und
Lernenden, denn sie entscheiden gemeinsam,
worüber sie sprechen wollen und wie sie darüber
sprechen wollen. Anknüpfend an die Idee der
‚generativen Themen‘ (Freire, 84 f.) könnte man
selbst im ersten Semester des Deutschlernens
einen Wortschatz entwickeln, der der Realität,
den Hoffnungen und Ängsten der Studenten nahe
liegt und sie ermutigt, den Unterrichtsdialog aktiv
mitzugestalten. Der Unterrichtsraum ist ein multi-
lingualer Ort. Die Monolingualität der früheren
Methoden ist längst überholt. So bietet die Be-
schäftigung mit einem Thema wie ‚Arbeitslosig-
keit‘, das sehr viele Deutschlernende unmittelbar
anspricht, eine gute Gelegenheit, die Studenten
zur Beteiligung am Unterricht zu motivieren. Im
Studio d A1 findet man unter den üblichen
Themen (Im Cafè, Sehenswürdigkeiten, Berufe,
Verabredungen, Orientierung, Urlaub, Ess-
gewohnheiten, Mode usw.) in Kapitel 7 (Beruf)
einen kleinen Text zur ‚Arbeitslosigkeit‘15. Ein
Anlass, sich intensiv mit dem Thema Arbeits-
losigkeit auseinanderzusetzen, das sehr aktuell ist,
geht man vom gegenwärtigen Lernerprofil aus.
Zwar geht es im Text hauptsächlich um eine
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
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Arbeitsagentur, was als Gesprächsthema eher für
den Deutschunterricht als Zweitsprache in
Deutschland/Europa geeignet ist. Doch es besteht
die Möglichkeit, den Themenbereich zu erweitern
und situationsadäquat mit dem Text zu arbeiten.
‚Die problemformulierende Methode spaltet das
Handeln des Lehrer-Schülers nicht: Er ist nicht an
einem Punkt „erkennend“ und an einem anderen
Punkt „mitteilend“, er ist vielmehr immer
„erkennend“ (…) (Freire, 65). Daher ist es
erforderlich, die Gedanken der Bewusstseins-
bildung und -änderung in die Lehr- und
Lernmethode einzubauen. Die Lehr- und
Lernmethoden des Fremdsprachenunterrichts
haben sich seit den 80er Jahren in Europa in
Richtung eines lernerzentrierten Unterrichts ent-
wickelt. Es gibt innerhalb dieser Richtung
verschiedene Ansätze wie zum Beispiel kommu-
nikative und interkulturelle Konzepte, die zur
Selbstständigkeit führen sollen. Allerdings bein-
haltet diese Selbstständigkeit nicht automatisch
ein kritisches Bewusstsein. Doch nur in wenigen
indischen Klassenzimmern (obwohl angeblich
diese Methoden angewendet werden) sehen wir
selbstständige Schüler/Studenten und selbststän-
dige Lehrende. Das hängt zum großen Teil mit
den fremden und geborgten Unterrichtsmethoden
zusammen, auf die Canagarajah hingewiesen
hat16. Es gilt, eine Sprachunterrichtspraxis zu ge-
stalten, die auf Elementen der existierenden
Methoden und Ansätze aufbaut und sowohl
übernommene wie auch die einheimische Praxis
einbezieht. Ein solches Vorgehen bietet die
Chance, dass Studenten und Lehrende sich von
passiven zu aktiven, selbstständig und kritisch be-
wussten Lernenden entwickeln. Denn eine
Sprache zu lernen, muss selbstverständlich
bedeuten, sich kritisch mit der Welt auseinander-
setzen zu können.
Um die Frage zu beantworten, ob ein neues
Curriculum für die veränderte Situation zur
Verfügung steht, muss mit Bedauern festgestellt
werden, dass diese Frage unter den Fremd-
sprachenlehrern noch nicht thematisiert wird. Die
alten Methoden funktionieren allerdings auch
nicht mehr. Daher ist es an der Zeit, sich mit einer
kritischen Pädagogik auseinanderzusetzen. Auch
ohne allzu große Kritik an der BPO-Industrie zu
üben, die ja zahlreiche Arbeitsplätze (wenn auch
keinen Beruf) für Fremdsprachenlerner bereit-
stellt, müsste es doch möglich sein, die eman-
zipativen Ziele eines kritischen Fremdsprachen-
unterrichts in Indien zu erreichen.
__________________________ 1 www.goethe.de/ resources/ files/pdf19/StADaF_DE_2012. pdf
2 Siehe auch: Dale Hudson, Undesirable Bodies and Desirable Labor: Documenting the Globalization and Digitization of
Transnational American Dreams in Indian Call Centres. In: Cinema Journal 49, No.1, Fall 2009. pp.82-102. Jstor, Project Muse
19.03.2010. 3 In der Jawaharlal-Nehru-Universität gibt es insgesamt 10 Schulen und 4 Centres / Special Centres. Die überwiegende Mehrheit
der Studenten studiert aber in einer der drei großen Schulen, die im Text erwähnt wurden.
4 Der Grund dafür ist bei den Anfängen der Universität zu suchen, denn in den späten 60er Jahren, als die JNU ge-gründet wurde, war ein Sprachstudium kein bedeutendes Fach. Durch die Gründung einer School of Languages an der JNU sollte dieses Fach
einen neuen Anstoß bekommen.
5 Hier nur zwei Beispiele dafür: Im Jahr 2006 waren 214 Studenten in dem B.A.I-Sprachkursen für 9 Sprachen ein-geschrieben
worden, von denen haben 129 im Jahr 2009 ihr B.A.-Studium abgeschlossen, 28,5% haben das Studium ab-gebrochen. Im Jahr
2010 waren 277 Studenten einge-schrieben, 111 haben ihr Studium abgebrochen, also 40% der Studenten. 6 Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die ich im Winter 2013 unter einer schmalen Gruppe von 66 Studenten des Centre of
German Studies durchgeführt habe. Die Umfrage haben 15 B.A. II, 34 B.A.III und 16 M.A. I Studenten ausgefüllt. 7 ‘Curriculum Development Committee for English and other Western Languages’, February 2001, (UGC Committee)
http://www.ugc.ac.in/oldpdf/modelcurriculum/western.pdf.
8 In: UGC Committee Report. Hier die Liste: Übersetzung und Dolmetschen, Synchronisierung und Untertitelung, Bankwesen,
Handelskorrespondenz, Journalismus und Informationstechnologie. p. 130 f. 9 In: UGC Committee Report. Erwähnt wurden die folgenden Gebiete: Hotel- und Gastgewerbe, Tourismus, Wissenschaft und
Technologie, Diplomatie, Handel u. Gewerbe, Kommu-nikation. p. 131 f.
IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband
47
10 Censusindia.gov.in/Census_And_You/literacy_and_level_ of_ education.aspx. 19.4.14
11 Report to the Nation 2006-2009. http://knowledge-commission.gov.in/downloads/report2009/eng/report09.pdf. p.33
12 Mit ‚Schulen‘ sind hier die Schulen gemeint, die dem CBSE (Central Board of Secondary Education) Prüfungs-system folgen.
Das ist eines der zwei nationalen Prüfungs-systeme. 13 A. Suresh Canagarajah, Globalization, Methods and Practice in Periphery Classrooms. p.134-150, In: Block and Cameron
(eds.), Globalization and Language Teaching. 14 Norton, Bonny and Toohey, Kellen (eds.), Critical Pedagodies and Language Learning, Cambridge University Press, New
Delhi. First South Asian edition 2010. pp.1-17, hier p.2. 15 S. 117 in Studio d A1. Das nur als Beispiel. Studio d A1 ist das Lehrwerk, das zurzeit an dem Centre of German Studies benutz
wird. p. 117.
16 Block and Cameron, p. 134-150 .
________________________________
Bibliographie
1. Block, David and Cameron, Deborah (eds.), Globalization and Language Teaching. Routledge, London, 2002.
2. Censusindia.gov.in/Census_And_You/literacy_and_level_ of_education.aspx. 19.4.14
3. UGC Committee Report, Curriculum Development Committee for English and other Western Languages, New Delhi,
February 2001. Part II, Western Languages, pp.105-234. http://www.ugc.ac.in/oldpdf/modelcurriculum/western. pdf. 19.4.14
4. Education and National Development. Report of the Education Commission 1964-66. National Council of Educational
Research and Training, 1971, New Delhi (Kothari Commission Report, KCR).
5. Freire, Paulo, Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Übertragung von Werner Simpfendörfer.
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1973.
6. Funk, Hermann u.a. (eds.), Studio d A1, Kurs- und Übungsbuch, Cornelsen Verlag, Berlin, 2005.
7. Hudson, Dale, Undesirable Bodies and Desirable Labor: Documenting the Globalization and Digitization of Transnational
American Dreams in Indian Call Centres. In: Cinema Journal 49, No.1, Fall 2009. Pp.82-102. Jstor, Project Muse 19.03.2010.
8. NCERT Position Paper – Teaching of English (1.4), National Curriculum Framework. Delhi, 2006.
9. Norton, Bonny and Toohey, Kellen (eds.), Critical Pedagogies and Language Learning, Cambridge University Press, New
Delhi. First South Asian edition 2010.
10. Ramesh, Babu P., ‘Cyber Coolies’ in BPO: Insecurities and Vulnerabilities of Non-Standard Work, In: Economic and
Political weekly, Vl.39, No.5 (Jan 31-Feb6 2004) pp.492-497
11. National Knowledge Commission. Report to the Nation 2006-2009. http://knowledgecommission.gov.in/downloads/
report2009/eng/report09.pdf. 19.10.14.
12 https://www.goethe.de/resources/files/pdf19/StADaF_ DE_2012.pdf. 5.10.14 .
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