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IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband SONDERHEFT Indien - Pakistan - Nepal - Iran Deutsch in Südasien [ Nr. 87 Juni 2015 ] [ [

SONDERHEFT Indien - Pakistan - Nepal - Iran Deutsch in Südasien

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IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

SONDERHEFT Indien - Pakistan - Nepal - Iran

Deutsch in Südasien

[ Nr. 87 • Juni 2015 ]

[ [

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

2

IDV - Der Internationale Deutschlehrerverband

ir freuen uns sehr, Ihnen die erste

Ausgabe des IDV-Magazins im Jahr 2015

vorstellen zu dürfen.

Die vorliegende Ausgabe wird als Sonderheft des

IDV-Magazins von Puneet Kaur, der General-

sekretärin des Internationalen Deutschlehrer-

verbands (IDV) und Vizepräsidentin des indischen

Deutschlehrerverbands (InDaF), herausgegeben

und ist dem Thema Deutsch in Südasien ge-

widmet. Durch Beiträge von DaF-Lehrer/inne/n

und Dozent/inn/en aus Indien, Nepal, Pakistan

An die Leserinnen und Leser

und dem Iran wird die Szene der Deutsch-

vermittlung in einer der neuen großen DaF-

Regionen exemplarisch dargestellt.

Ein Vorwort durch Puneet Kaur und Prof. Dr.

Pramod Talgeri präsentiert die reichhaltigen

Beiträge dieses Sonderhefts und führt die

Leserinnen und Leser in die traditionsreiche,

bedeutungsvolle und ständig neue Vermittlung

des Deutschen in der Region Südasien ein.

Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre!

Präsidentin: Marianne Hepp [email protected]

Vizepräsidentin: Alina Dorota Jarzabek [email protected]

Generalsekretärin: Puneet Kaur [email protected]

Schatzmeister: Benjamin Hedzic [email protected]

Schriftleiter: Geraldo de Carvalho [email protected]

Experte Deutschland: Sebastian Vötter [email protected]

Expertin Österreich: Sonja Winklbauer [email protected]

Experte Schweiz: Joachim Hoefele [email protected]

Grafikdesign: Andréa Vichi [email protected]

Herausgeberin: Puneet Kaur

Produktion: Schriftleitung des Internationalen Deutschlehrerverbands

Für Werbeinserate im IDV-Magazin: [email protected]

Nr. 87 | Juni 2015 | www.idvnetz.org

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

3

Vorwort Pramod Talgeri | Puneet Kaur

4

Die Germanistik in Indien wird hundert Jahre alt Pramod Talgeri

7

InDaF - der indische Deutschlehrerverband Puneet Kaur

13

Deutsche Institutionen zur Verbreitung der deutschen Sprache im Iran Mahrang Khalatbari |Amin Kassai | Hamid Mirhadi

17

Deutsche Sprache in Nepal durch das PASCH- Programm Uttam Dhital

21

Deutsch in Pakistan - Zitate von Deutschlernenden und Lehrenden Naureen Ahmed Zaki

23

„Romantisches“ Indien Wolfgang Franz

26

Lehreraus- und -fortbildung in Indien Puneet Kaur

30

Großgruppendidaktik im Deutschunterricht - Ein Beispiel aus Indien Janaki Narkar Waldraff

33

Germanistik an der Universität Mumbai, Indien Vibha Surana | Meher Bhoot

36

Überlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenpädagogik im Zeitalter der Globalisierung Madhu Sahni

39

In dieser Ausgabe

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

4

Vorwort

D ieser Sammelband bietet ein breites

Spektrum von didaktischen Möglich-

keiten der Vermittlung von DaF im

südasiatischen Bereich. Die Autoren

sind erfahrene Deutschlehrer/-innen sowie Ger-

manisten, die bestrebt sind, innovative Perspek-

tiven des Deutschunterrichts durch ihre Reflexion

und Praxis zu erschließen. Das anhaltende Inte-

resse der asiatischen Länder an der deutschen

Sprache, Literatur und Kultur hat eine lange

Geschichte. Auch das deutsche Interesse an der

Kultur und Sprache der asiatischen Länder ist ein

fester Bestandteil einer langen reziproken Kultur-

geschichte. Die Beiträge von Pramod Talgeri,

Meher Bhoot und Madhu Sahni in diesem

Band beschreiben den geschichtlichen Werdegang

dieser gegenseitigen Rezeption. Der Beitrag von

Wolfgang Franz über “‘Romantisches’ Indien”

verdeutlicht diesen soziokulturellen Prozess an-

hand von Beispielen aus der deutschen Romantik.

Er stellt fest: “Alle namhaften Denker des 19.

Jahrhunderts haben sich mit Indien […] und

seiner Kultur beschäftigt und dies durchweg mit

Begeisterung”.

Deutschland hatte immer gute Beziehungen zu

Indien und anderen asiatischen Ländern. Der

Grund dafür scheint hauptsächlich darin zu liegen,

dass es eines der wenigen Länder in Europa war,

das kein koloniales Interesse an Indien hegte, son-

dern eher Bewunderung und Respekt den Kultur-

nationen Asiens entgegenbrachte. Das kann man

bei den Klassikern, Romantikern sowie bei den

Gelehrten wie Max Mueller und Schriftstellern

wie Guenter Grass, Hermann Hesse, Stephan

Zweig feststellen. Indien seinerseits hat auch

immer die schöpferische Geisteskraft der deutsch-

sprachigen Länder in Philosophie, Musik,

Wissenschaft und Technologie bewundert. Ein

Deutschstudium in Indien ist daher kein zufälliges

Phänomen, sondern eher historisch begründet. Es

hat seinen Ursprung in der Hochschätzung der

altindischen Kultur, des Sanskrit und der Literatur

durch die deutschen “Dichter und Denker”, die

sonst von den herrschenden britischen Kolonial-

herren immer gering geschätzt wurden.

Pramod Talgeri betrachtet in seinem Beitrag

besonders die Aufnahme der deutschen Literatur

in die Lehrpläne der indischen Universität

Bombay (heute Mumbai) Anfang des 20. Jahr-

hunderts als “einen bewussten Versuch einer

indirekten Subversion des britischen Kolonial-

diskurses”. Dadurch wollten die Gründungsväter

zum einen “ein laterales Verständnis der nicht-

britischen Kulturen Europas erwerben, was über

die britischen Quellen nicht möglich war. Zum

anderen, was noch wichtiger war, wollten sie das

europäische, nicht-britische Verständnis Indiens

erwecken und absichern, um sich eines zu-

nehmend positiven Selbstverständnisses zu ver-

gewissern” (Talgeri,ibid.).

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der

indischen Kultur dieser Gelehrten führte im

frühen 19. Jahrhundert zur Gründung einer neuen

akademischen Disziplin: Indologie.

Der Artikel “Deutsche Institutionen zur Ver-

breitung der deutschen Sprache im Iran, Deutsche

Schule Teheran” der Kollegen Mahrang

Khalatbari, Amin Kassai und Hamid Mirhadi gibt

einen informativen Überblick über die historische

Entwicklung des Deutschunterrichts im Iran. Es

ist interessant zu sehen, dass die deutsche Sprache

mit Unterbrechungen seit mehr als hundert Jahren

im Iran von diversen Institutionen auf verschie-

denen Levels unterrichtet wurde. Die Deutsche

Schule in Teheran, gegründet 1905, hat zur Ver-

breitung von DaF beträchtlich beigetragen,

obwohl sie wegen der politischen Komplikationen

in den 70er Jahren geschlossen werden musste.

Aber der Deutschunterricht zusammen mit der

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

5

technischen Ausbildung für das technische Per-

sonal der iranischen Industrie hat sich durch die

1925 gegründete "Deutsch-Iranische Gewerbe-

schule" in Teheran fortgesetzt.

Das deutsche Auswärtige Amt hat in Zusammen-

arbeit mit dem Goethe-Institut ein ehrgeiziges

globales Programm „Schulen: Partner der Zu-

kunft“ (PASCH) entwickelt, infolgedessen ein

weltumspannendes Netz von 1700 Partnerschulen

weltweit aufgebaut wird. Mit der Unterstützung

des Goethe-Instituts wird im Iran Deutsch als

zweite Fremdsprache an PASCH-Schulen unter-

richtet.

Auch das Königreich Nepal im Himalaya ist ab

2009 ein aktiver Teilnehmer am PASCH-Projekt.

Julia Opitz, ehemalige PASCH-Koordinatorin in

Nepal, merkt dazu an: “Wie die beiden großen

Religionen, Hinduismus und Buddhismus, in Ne-

pal miteinander so gut harmonisiert sind, ist auch

die deutsche Sprache in den PASCH-Schulen in

Nepal harmonisch integriert und hat somit in Ne-

pal auch eine große Anerkennung gefunden!”

Mit PASCH hat auch Pakistan angefangen, den

Deutschunterricht im schulischen Bereich aufzu-

bauen. Frau Naureen Zaki war die treibende Kraft

dahinter und vermittelt uns Stimmen von jungen

Menschen aus diesem schönen Land.

Die Region Südasien hat bisher nur einen

Deutschlehrerverband, der vor sechs Jahren ge-

gründet wurde. Der Werdegang des Verbands

wird in einem Artikel von Puneet Kaur ge-

schildert.

Das Interesse an der deutschen Sprache und

Kultur im akademischen Bereich wurde u. a. auch

durch pragmatische Zweckmäßigkeit vertieft. Die

zunehmende Expansion der deutschen Industrie

im Iran, Indien und anderen asiatischen Ländern

hat bei der Jugend dieser Region ein erneutes

Interesse an der deutschen Sprache geweckt. Da-

bei wirkt das PASCH-Programm als effektiver

Multiplikator.

Auf der universitären Ebene werden in allen

diesen Ländern deutsche Literaturgeschichte,

Übersetzung sowie DaF in die Lehrgänge BA,

MA und Ph.D. aufgenommen. In diesem Zu-

sammenhang ist die Leistung der Deutsch-

Abteilungen der verschiedenen indischen Univer-

sitäten besonders beachtenswert. Paradigmatisch

kann man in diesem Kontext den Beitrag der

Mumbai-Universität erwähnen. Das ganze MA-

Curriculum wurde mit der Einführung der in-

dischen ästhetischen Theorie sowie der Philo-

sophie, der europäischen Kulturgeschichte, west-

lichen Literaturtheorien, der Migrantenliteratur

sowie Sprachwissenschaft interkulturell gestaltet.

Gleichzeitig wird deutsche, österreichische und

schweizerische Literatur in den Lehrplan der

Germanistik aufgenommen. „Die akademischen

Studiengänge werden so neu konzipiert, dass sie

einerseits eine allgemeine Geistesbildung erteilen

und zugleich Berufschancen nach dem Abschluss

eröffnen“. Neue Kurse wie Filmstudien, Kompa-

rative Ästhetik oder Einführung in die Kultur-

wissenschaft werden Teil des M.A.-Programms

im Fach Germanistik. Mehrsprachigkeit und

Interkulturalität werden weiter mit einem Über-

setzungsprojekt am Department of German ge-

fördert. Diese breite Auswahl von interdiszi-

plinären Kursen schafft eine solide Grundlage für

ein interkulturelles Forschungsprogramm in Ger-

manistik.

Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre.

Prof. Dr. Pramod Talgeri

Puneet Kaur

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7

Die Germanistik in Indien wird hundert Jahre alt

PRAMOD TALGERI

D er vorliegende Beitrag will die Ent-

wicklung und den heutigen herme-

neutischen Basispfeiler des Studiums

der Germanistik in Indien vorstellen

und sich mit diesen auseinandersetzen1. Vorausgeschickt sei: Das Erlernen einer Fremd-

sprache ist immer ein Versuch, mit einer fremd-

kulturellen Sensibilität in Kontakt zu treten. Jedes

Studium einer Fremdsprache ist gleichzeitig ein

Akt transnationaler oder transkultureller Aneig-

nung. Das Literaturstudium einer monokulturellen

fremdsprachigen Gesellschaft beruht dabei immer

gleichzeitig auf dem nationalen Paradigma der

Ausgangskultur und auch die pädagogische Ver-

mittlung der fremdsprachigen Literatur ist in den

jeweils besonderen Rahmen des eigenen natio-

nalen Selbstverständnisses eingebettet. In diesem

Sinne ist jede Produktion und Vermittlung je-

glicher einheimischer Literatur zuerst einmal eine

monokulturelle Beschäftigung.

Nun ist es aber genau der Fremdsprachen-

unterricht, der diesen monokuturellen Kontext

transzendiert und eine hermeneutische Situation

schafft, die einen neuen Horizont des interkul-

turellen Verständnisses eröffnet und damit eine

neue Grundlage für die Aneignung der Fremd-

sprache und deren Literatur im Ausland bildet.

Aus einer monokulturalen Beschäftigung mit

(literarischen) Texten wird eine interkulturelle. Auch das Deutschstudium in Indien versteht sich

von daher vor allem als eine interkulturelle

hermeneutische Beschäftigung. Solch ein Ver-

ständnis einer fremdsprachigen Literatur enthält

eine eingebaute relativistische Komponente,

indem es auf eine eigentümliche Weise sowohl

die Fremdkultur als auch die Eigenkultur hinter-

fragt. Damit stellt es auch den Begriff der Kultur

per se in Frage.

Bevor man auf den gegenwärtigen Stand der

Germanistik in Indien eingeht ist es unumgäng-

lich, einen raschen Blick auf ihre Vorgeschichte zu

werfen: Das indische Interesse an der deutschen

Literatur und Kultur hat seine Ursprünge in der

indischen Kolonialgeschichte und verdankt sein

Entstehen gleichzeitig auch dem besonderen Um-

stand, dass die deutschen „Dichter und Denker“

eine enorme Bewunderung für die indische Kultur

aufbrachten und damit in gewissem Sinne eine

verschollene Zivilisation und ihre reiche vergan-

gene Kultur wiederentdeckten, die besonders bei

den deutschen Romantikern als eine Quelle der

Revitalisierung der europäischen Kultur galt.

Diese indophile Einstellung der deutschen Intel-

lektuellen im 18. und 19.Jahrhundert verhalf den

Indern, die diffus gewordene indische Kultur-

identität wieder herzustellen und Indien als eine

„Kulturnation“ zu legitimieren.

Vor diesem historischen Hintergrund ist die

Entstehung und Entwicklung des Deutschstudiums

in Indien zu betrachten. Die Perspektiven und

Paradigmata haben sich im Lauf der hundert-

jährigen Geschichte der Germanistik in Indien im

Hinblick auf akademische Prioritäten im Fremd-

sprachenunterricht verschoben. Das neuzeitige in-

dische Bildungssystem ist in jeder Hinsicht ein

Produkt des britischen Kolonialismus. Die in-

dische Bildungsschicht kam in Berührung mit der

europäischen Kultur, als die britische Kolonial-

verwaltung in Indien im Jahre 1857 die ersten drei

Universitäten, Bombay, Kalkutta und Madras

gründete. Der Hauptzweck hinter der Gründung

der Universitäten lag darin, die indische Mittel-

schicht, die im Grund aus Priestern, mittleren An-

gestellten und Geschäftsleuten bestand, an den

westlichen Kulturwerten im öffentlichen Umgang

zu orientieren, mit der Absicht, die britische

Herrschaft in Indien weiterhin zu festigen und

durch die Schaffung einer Klasse von Verwaltern

1 Es handelt sich bei diesem Beitrag um eine gekürzte und umgearbeitete Fassung meines Artikels „Hundert Jahre Germanistik

in Indien“, erschienen in der italienischen Fachzeitschrift „Studi Germanici“, 6/2014, S. 355-364, online abrufbar unter

http://rivista.studigermanici.it/index.php/studigermanici.

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die verwaltungstechnischen Aufgaben im Lande

durchführen zu lassen.

Das alles sollte letzten Endes zur Konsolidierung

der britischen Herrschaft in Indien beitragen. Lord

Macaulay, der britische Gesandte in Indien, der

für die Bildungsfragen zuständig war, legte dem

britischen Parlament einen bildungsstrategischen

Plan vor, nach dem mit der Einführung des bri-

tischen Bildungssystems in Indien eine indische

Bildungsschicht erzeugt werden sollte, die nur

nach Hautfarbe und Blut indisch, nach Ge-

schmack, Gesinnung und Geist dagegen britisch

sein sollte. Der britische Verwaltungsapparat in

Indien sollte von dieser Bildungsschicht gestützt,

ja gar getragen werden: “We must at present do

our best to form a class who may be interpreters

between us and the millions whom we govern; a

class of persons, Indian in blood and colour, but

English in taste, in opinions, in morals, and in

intellect”2.

Dieser Strategie zufolge wurde in den Colleges

die zeitgenössische englische Literatur eingeführt.

Schon von Beginn des College-Studiums an hat

der Syllabus Kurse über die Geschichte der

englischen Literatur und Kultur vorgeschrieben.

Erstaunlicherweise fand die Einführung in die

englische Literatur großen Anklang bei den

sozialen Eliten von Kalkutta und Bombay. Be-

sonders die englische romantische Dichtung

wurde als der indischen Psyche nahe empfunden.

Bei den Gedichten von Wordsworth, Shelley,

Keates, Byron, Tennyson spürte man eine gewisse

Nähe zur indischen Verherrlichung der Natur, der

Mystik, der verinnerlichten Visionen.

Aber langsam führte diese Beschäftigung mit der

englischen Literatur zu einer Entfremdung gegen-

über der bildungspolitischen Hegemonie der

kolonialen Herrschaft. Auch die zunehmende Ver-

westlichung der indischen kulturellen Sensibi-

litäten und geistigen Traditionen führte zur

weiteren Entfremdung im öffentlichen Bereich,

was zu einem politischen Erwachen nationaler

Gesinnung beitrug.

Die gleiche Dichtung, für die sich die Inder bei

ihrer Einführung so begeistert gezeigt hatten,

wurde nun als niederdrückend empfunden: Sie

stand plötzlich nicht mehr für die Verherrlichung

der Natur, vielmehr eher repressiv und reprä-

sentativ für den britischen Kolonialismus, der

nicht nur politisch den indischen Boden besetzt,

sondern auch auf intellektueller Ebene den in-

dischen Geist versklavt hatte. Andererseits vertrat

aber die britische Literatur symbolisch die

westlichen intellektuellen Entwicklungsabläufe.

Die englische Sprache erschloss den Indern die

Welt des liberalen Rationalismus und der

europäischen Wissenschaft, obwohl sie auch als

ein Instrument der hegemonialen Macht und

Unterdrückung angesehen wurde. Aber, was noch

wichtiger war, sie eröffnete den Indern auch den

Zugang zu weiteren europäischen Kulturen. Unter

diesen waren es vor allem Deutschland und

Frankreich, die eine besondere Anziehungskraft

auf die Inder ausübten.

1914 wurde das erste Department of German,

French, Latin und Greek am Fergusson College in

der historischen Stadt Poona unter der national-

gesinnten politischen Führung von Lokmanya

Tilak und Gopal Ganesh Agarkar gegründet. Die

beiden Reformisten Tilak und Agarkar führten

dabei bewusst diese vier Sprachen als Studien-

fächer für den B.A. und M.A. an der Bombay

University ein3.

Die deutsche Indien-Begeisterung durch Max

Müller und andere Indologen relativierte zu ge-

wissem Grade die indische Euphorie für die bri-

tische Kolonialherrschaft. Viele Inder, die in der

Regel zu Studienzwecken nach England fuhren,

wechselten ihren Studienort nach Berlin, Heidel-

berg, Bonn, München, Göttingen, Wien, oder an

die Pariser Universität Sorbonne. Der indische

Dichter und der spätere geistige Gründer von

2 Macaulay's Minute on Indian Education, 2nd February, 1835. 3 Ich bin meinen Kolleginnen Savita Kelkar und Archana Gogate vom Fergusson College für ihre Bemühungen um diese

wertvollen Informationen dankbar.

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Pakistan, Sir Mohammed Iqbal, immatrikulierte

sich an der Universität München und promovierte

dort mit einer Dissertation über “Die Entwicklung

der Metaphysik in Persien“ (1907). Zakir Husain,

der später in den sechziger Jahren Staatsoberhaupt

Indiens wurde, ging 1923 nach Berlin und stu-

dierte an der Humboldt-Universität griechische

Philosophie. Er arbeitete über Ethik und Staats-

konzepte, übersetzte Platons „Staat“ ins Urdu und

promovierte mit einer Dissertation über National-

ökonomie (1925). R.N. Dandekar, der renom-

mierte Indologe aus Pune, promovierte 1938 in

Heidelberg mit dem Dissertationstitel „Der

Vedische Mensch. Studien zur Selbstauffassung

des Inders in Rg-Veda“. Die Auswahl der Themen

der Dissertationen ist symptomatisch, indem diese

Abhandlungen den Versuch unternehmen, die

Wurzeln des “indischen” Selbstverständnisses

über die Wahrnehmungen der deutschen Schrift-

steller und Wissenschaftler wiederzuentdecken.

Die Entstehung der Germanistik in Indien muss

man vor allem in diesem Zusammenhang be-

leuchten. Man muss dabei gleichzeitig aber auch

einschränkend auf die Tatsache hinweisen, dass

dies anfängliche leicht nationalistisch ange-

hauchtete Deutschland-Begeisterung der national

gesinnten indischen Bildungsbürger während der

dreißiger und vierziger Jahre bald abflaute und

sich auf eine syllabus-fixierte Routine eines allge-

meinen Sprachunterrichts und die Lektüre der

deutschen Klassik und Romantik beschränkte.

Es war für die Inder besonders schmeichel-

haft, von der deutschen Indien-Begeisterung

zu erfahren. Besonders waren sie beeindruckt

von deutschen Klassikern wie Herder, Goethe,

Schiller, deutschen Romantikern wie den Ge-

brüdern Schlegel, Novalis, Schopenhauer und den

zahlreichen renommierten Indologen, besonders

Max Müller (Sohn des romantischen Dichters

Wilhelm Müller). Max Müller genießt als Über-

setzer und Vermittler der alten Sanskrit-Literatur

einen fast ikonenhaften Ruf in Indien. Das Goeth-

Institut in Indien ist bekanntlich nach Max Müller

umbenannt worden und heißt „Max Mueller

Bhavan“. Erst nach der Unabhängigkeit Indiens

1947 wurden die nächsten Versuche unter-

nommen, das Studium der neueren deutschen

Literaturgeschichte mit neuen Impulsen zu

versehen. Die Namen, die nun auf den Plan

gerufen wurden, schlossen Thomas Mann, Kafka,

Rilke und Gottfried Benn mit ein. Die adäquate

Aneignung und Beherrschung der deutschen

Sprache zum Zweck, das Studium der deutschen

Literatur aufnehmen zu können, war die vor-

nehmliche pädagogische Zielstellung des Faches

„Studies in German Language and Literature“,

sowohl für den Erwerb des B.A., als für

denjenigen des M.A.

In den 60er Jahren ging eine Anzahl von in-

dischen Studenten dank eines DAAD-Stipen-

diums in die Bundesrepublik Deutschland, um

dort das germanistische Studium mit einer

Promotion abzuschließen. Gleichzeitig wurden an

mehreren indischen Universitäten German De-

partments eingerichtet. Am prominentesten unter

ihnen ist das 1970 gegründete Centre for German

Studies an der Jawaharlal Nehru University

(JNU), New Delhi, das innerhalb der School of

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

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Language, Literature and Culture Studies der

Universität ein neuorientiertes Studienprogramm

der Germanistik vorlegte. Schon die revidierte

Nomenklatur der Fakultät weist auf eine neue

Orientierung hin, die das Studium der fremd-

sprachigen Literatur in den soziokulturellen Kon-

text situiert. Das akademische Anliegen dieser

“Studies” äußert sich in der Aneignung “einer

Weltperspektive und internationalen Verständi-

gung”4. Von Anfang an wurde daher der Akzent

der Curriculum-Planung auf einen integrierenden

Ansatz gelegt, der das Studium der Sprache,

Literatur, Übersetzung, Kultur und Zivilisation

(Landeskunde) in die sozialen und historischen

Kontexte einbettet. Die akademische Intention

hinter dieser Integration war, die “German

Studies” in interdisziplinären Kontexten zu ent-

wickeln, die Literatur- bzw. Übersetzungstheorie,

Sprachdidaktik, Komparatistik, Sozialgeschichte,

kontrastive Linguistik und komparative Kultur-

studien einschließen. Inzwischen haben andere

Departments of German in Indien (u.a. in Pune,

Bombay, Benares, Hyderabad, Karnatak, Kerala,

Rajasthan, Banasthali, Himachal, Kashmir) ihre

Lehrpläne entsprechend umstrukturiert. Die

deutsche Abteilung der Hyderabader Fremd-

sprachenuniversität, Central Institute of English

and Foreign Languages (CIEFL, Gründungsjahr

1972/73) wurde vom Bildungsministerium der

DDR unterstützt.

Bis zum letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts

erschöpfte sich die institutionelle Verantwortung

des Fremdsprachenunterrichts auf der Universi-

tätsebene normalerweise ausschließlich in der

Vermittlung der klassischen Literaturkenntnisse

der Sprache, die in der Regel um literarisch

orientierte Texte kreiste. Der Hauptzweck der

Vermittlung der Fremdsprachen und -literaturen

bestand darin, sich die essentiellen Kenntnisse

einer bestimmten Fremdkultur anzueignen.

Lernen der Fremdsprache durch ihre repräsen-

tative klassische Nationalliteratur war die hervor-

gehobene methodologische Notwendigkeit. Daher

wurde die fremdsprachige Nationalliteratur als die

wichtigste, ja fast die einzige Quelle für den

Sprachunterricht akzeptiert und als das relevante

Unterrichtsmaterial zur Sprachvermittlung aner-

kannt, das alleine Einblick in den typischen Cha-

rakter der Fremdkultur zu gewähren vermochte.

Daher beeinflussten die nationalliterarischen

Kanons der Fremdsprache auch die Auswahl der

Texte für den Syllabus des Fremdsprachen-

unterrichts beträchtlich.

Aber auch die Aufnahme der literarischen Texte

der Fremdsprachen bereitete manchmal ernsthafte

Probleme bei der Widerspiegelung der kulturellen

oder nationalen Identität. Dies war der Fall,

wenn sie kontroverse politische oder ideologische

Konflikte in sich bargen, und zwar besonders

solche, die mit den Angelegenheiten aus der ge-

schichtlichen Vergangenheit zusammenhingen,

wie z.B. in der deutschen Geschichte des 20.

Jahrhunderts.

Außerdem war die Auswahl der literarischen

Texte und der kulturellen Information mitbedingt

durch die Perspektive der dominierenden einhei-

mischen Kultur. Jedwede politische Meinungs-

verschiedenheit, ideologische Präferenz oder poli-

tische Differenz innerhalb der Fremdkultur wurde

auch im Syllabus reflektiert. In diesem Zusam-

menhang ging der deutsche Literaturunterricht an

den indischen Universitäten in den 70er Jahren

auch durch ein spannungsreiches, eigenartiges

Dilemma bezüglich der Auswahl der deutschen

Literatur-Texte. Die German Departments an den

indischen Universitäten waren damals gänzlich

von der westdeutschen Version der literarisch-

kulturellen Vergangenheit und Gegenwart domi-

niert, während die DDR-Version der gleichen

Kulturgeschichte nicht oder höchstens minimalst

zur Kenntnis genommen wurde. Böll, Grass,

Dürrenmatt, Frisch, Handke, Bernhard wurden

gern zitiert, während Erwin Strittmatter, Stefan

Heym, Havemann, Hermann Kant ignoriert

wurden. Ausnahmen machten nur Biermann,

Sarah Kirsch, Uwe Johnson und Christa Wolff.

Erst nachdem die diplomatische Anerkennung der

DDR als separate, eigenständige politische Ein-

heit auch durch die Bundesrepublik erfolgt war,

wurde der DDR-Literatur Einlass in die Syllabi

der indischen Universitäten gewährt.

4 Zitiert in deutscher Übersetzung nach der Präambel der JNU-Statuten 1969.

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

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In den letzten Jahren sind Versuche unternommen

worden, die gegenwärtigen Trends der

theoretischen Überlegungen in die Bereiche der

Literatur und Übersetzung mit einzubeziehen.

Diese schließen Diskurse über den Feminismus,

Orientalismus, die Postmoderne, Medienkritik,

interkulturelle Hermeneutik und Begriffsge-

schichte Europas mit speziellem Bezug zur

deutschen Geistesgeschichte ein. So sind bei-

spielsweise gegenwärtig einige Kollegen mit

einem Forschungsprojekt beschäftigt, das den

hierfür aussagekräftigen Titel trägt: “Becoming

of Europe: Philosophical and Hermeneutic

Foundations of the Idea of Europe”.

Heute wird eine breite Palette von Themen und

Forschungsbereichen an indischen Universitäten

angeboten. Als Beispiele könnte man die Themen-

kreise „Deutschsprachige Literatur im 19. und 20.

Jahrhundert“, „Rezeption der deutschsprachigen

Literatur im indischen Kontext mit speziellem

Bezug zu Problemen der Übersetzung“, „Deutsch-

indische Kulturbegegnung“, „Angewandte Ger-

manistische Linguistik“, „Fremdsprachenpädago-

gik“ angeben5.

Auf diese Weise ist die lange Tradition der „Studies

in German Language and Literature“ mit der

zunehmend lebhaften internationalen Diskussion

über die Perspektiven und Ziele der Germanistik

als fremdsprachlicher Philologie verbunden und

integriert worden. Abschließend kann man

feststellen, dass eine gewisse produktive Aneignung

nationaler Erfahrung und internationaler Diskussion

die Basis für die Entwicklung der Germanistik in

Indien bildet.

5 Vgl. Studien-Prospekt „Course Content“ des Centre of German Studies, JNU 2008.

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12

5 Vgl. Studien-Prospekt „Course Content“ des Centre of German Studies, JNU 2008.

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

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InDaF - der indische Deutschlehrerverband

PUNEET KAUR

D er indische Deutschlehrerverband

InDaF wurde 2008 gegründet. Es war

ein Versuch, alle Deutschlehrer/-

innen in Indien unter einen Hut zu

bringen. Bis dahin gab es keine gemeinsame

Plattform für die Deutschlehrer/innen, sich zu

treffen oder auszutauschen. 2005 bis 2008 waren

auch die Jahre, in denen die DaF-Landschaft in

Indien einen Aufwind spürte und das Interesse an

der deutschen Sprache sowohl quantitativ als

auch qualitativ stieg. Vor diesem Hintergrund war

es ein opportuner Moment, einen Verband zu

gründen.

2008 nahmen beim ersten Gründungskongress in

Neu Delhi renommierte Referenten aus der DaF-

Welt wie Prof. Dr. Hans-Jürgen Krumm von der

Uni Wien, Prof Dr. Pramod Talgeri von der

Jawaharlal-Nehru-Universität, Neu Delhi, und

Prof. Dr. Ludwig Eichinger vom Institut für

Deutsche Sprache, Mannheim, aktiv teil. Es gab

auch indische Kollegen, die zum ersten Mal über

die Situation der deutschen Sprache in Indien

referiert haben. Das ist auch das Ethos des InDaF

bis heute, Experten aus Deutschland mit

Referenten aus den eigenen Kreisen zusammen zu

bringen.

2008 fing der InDaF mit 100 Mitgliedern an und

die Zahl ist 2014 auf 800 gestiegen, als die

indische DaF-Community 100 Jahre Deutsch-

unterricht in Indien feierte.

Diese 800 Kollegen unterrichten Deutsch als

Fremdsprache in verschiedenen Schulen, Colleges

und Instituten in ganz Indien. Seit seiner

Gründung 2008 hat sich der Verband bemüht, das

große Netzwerk von Lehrern bzw. Lehrerinnen zu

festigen, das sich durch den InDaF im ganzen

Land gebildet hat, um den Mitgliedern nicht nur

zu ermöglichen, persönlich miteinander in Kon-

takt zu treten und sich kennenzulernen, sondern

auch von den Erfahrungen der Kollegen und

Kolleginnen zu lernen. Das mit dem Ziel, die

eigene Lehre zu verbessern, in einem Umfeld, das

die Idee der kontinuierlichen Entwicklung

unterstützt.

Seit 2009 ist der InDaF Mitglied des Internatio-

nalen Deutschlehrerverbands (IDV).

V I E L L E I C H T I S T E S I N T E R E S S A N T Z U S E H E N , V O R W E L C H E M H I N T E R G R U N D D E R D E U T S C H L E H R E R V E R B A N D I N I N D I E N

G E G R Ü N D E T W U R D E

DaF war in Indien bis 2000 eine Rand-

erscheinung. Wenn man Deutsch lernen wollte,

ging man entweder zur Uni oder zum Goethe-

Institut. Es gab wenige Schulen, mit Ausnahme

derer von Pune und Delhi, wo Deutsch als

Fremdsprache unterrichtet wurde. Sehr wenige

Colleges haben auch Deutsch angeboten.

Bis 1985 boten sehr viele Universitäten gut

besuchte Deutschkurse an, weil für Studenten der

Naturwissenschaften Deutsch Pflichtfach war. Es

galt als die Sprache der Naturwissenschaften und

Technik. Aber Mitte der achtziger Jahre hat man

sich von dieser Auffassung getrennt und das

Pflichtfach Deutsch abgeschafft. Das führte zu

einer Abschaffung der Deutschkurse an zahl-

reichen Universitäten im Land.

Zu diesem Zeitpunkt entdeckten die Sekundar-

schulen in Indien die Fremdsprachen. Man

versprach sich eine bessere Zukunft mit Fremd-

sprachenkenntnissen. Aber es blieb ein exotisches

Fach, das nur an ein paar Eliteschulen angeboten

wurde.

Die Liberalisierung der indischen Wirtschaft um

1990 änderte einiges. Sehr viele ausländische

Firmen, darunter auch deutsche Unternehmen,

haben in Indien investiert. Noch wichtiger für den

Arbeitsmarkt war das „Outsourcing“. Große und

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14

kleine Unternehmen haben ihre Arbeitsprozesse

nach Indien verlagert und in Großstädten wie

Bangalore und Delhi fanden Tausende von jungen

Leuten Arbeit mit Fremdsprachen. Wo konnten

sie aber ihre Deutschkenntnisse erwerben? Das

Goethe-Institut war eine Möglichkeit, aber das GI

konnte nur eine begrenzte Zahl von Studierenden

aufnehmen. Außerdem fehlten dem GI auch

qualifizierte Lehrer/-innen.

Liberalisierung bedeutete auch, dass eine wach-

sende Mittelschicht durch die neu entstandene

Kaufkraft ins Ausland reiste, auf Urlaub, für Ge-

schäftsreisen oder zum Studium. Auf diesen

Reisen erkannte man, wie wichtig Fremdsprachen

sind. Mit Englisch konnte man nicht jede Situa-

tion meistern.

So fing die Zahl der Schulen und Schüler/-innen

an zu steigen, die sich für Deutsch entschieden.

Der wachsende Bedarf nach Deutsch musste

durch qualifizierte Lehrer/-innen befriedigt wer-

den. Aber wegen der fehlenden Fremdsprachen-

ausbildung an indischen Universitäten gingen die

meisten Lehrer/-innen ohne besondere Qualifika-

tion ins Klassenzimmer, ein Manko, das bis heute

gegeben ist.

In dieser Situation wurde der indische Deutsch-

lehrerverband geboren. Das Ziel des Verbands

war, eine einzigartige Plattform für seine Mit-

glieder zur Verfügung zu stellen, um sie darin zu

unterstützen, die deutsche Sprache durch kommu-

nikative und interaktive Unterrichtsmethoden zu

vermitteln. Die Programme des Verbands konnten

eine eigentliche Deutschlehrerausbildung zwar

nicht ersetzen, aber durch zahlreiche Seminare,

Workshops und Vorträge wurde der Versuch

unternommen, den Lehrerenden Inputs zur

Methodik und Didaktik des Fremdsprachen-

unterrichts zu vermitteln. Mit Hilfe verschiedener

Experten, bekannter und angesehener Institute

wurden die Lehrenden miteinander vernetzt.

I N D A F - N E T Z W E R K

Der InDaF scheut keine Mühen, die Bedingungen

der Deutschlehrenden in Indien zu verbessern:

Den Lehrern und Lehrerinnen wird ein einfacher

Zugang zu neuen Büchern ermöglicht, es werden

ihnen zahlreiche Gelegenheiten angeboten, ihre

sprachlichen und methodisch-didaktischen Kennt-

nisse auszubauen. Die Lehrer/-innen werden on-

line oder telefonisch durch erfahrene Lehrer

unterstützt und Kollegen helfen sich gegenseitig

bei Problemen und Schwierigkeiten, die beim

Unterrichten auftauchen.

Informationen über Veranstaltungen, die für DaF-

Lehrende interessant sein könnten, werden sowohl

über die Facebook-Seite als auch über die Web-

Seite (www.indaf.in) verbreitet.

Die Web-Seite stellt den Lehrkräften auch Res-

sourcen in Form von Links, pdf-Dokumenten und

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

15

Bildergalerien zur Verfügung. Eine Job-Börse ist

auch auf der Web-Seite zugänglich und sie wird

aktiv auch von Kolleginnen und Kollegen genutzt.

Zu den Aktivitäten des InDaF gehören die

Deutscholympiade, deren Gewinner alle zwei

Jahre an der IDO teilnehmen, ein Quiz für

Deutschlehrer sowie verschiedene Konferenzen,

Seminare und Workshops.

Diese Aspekte der Vernetzung sollte man in

Indien nicht unterschätzen. Persönliche Kontakte

sind das A und O der Netzwerkbildung in Indien.

Diese neuen Netzwerke, die gebildet wurden,

schafften Verbindungen zwischen Schul- und

Hochschullehrern und -lehrerinnen. Außerdem

lernen sich so auch Unterrichtende aus ver-

schiedenen Teilen Indiens kennen. Bisher wusste

eine Lehrerin oder ein Lehrer aus Delhi sehr

wenig über die Arbeit ihrer Kollegen bzw.

Kolleginnen in Pune oder Chennai. Die Gründung

des InDaF änderte das. Viele lernten sich bei

InDaF-Konferenzen kennen und der dort

hergestellte Kontakt führte zu einem Erfahrungs-

austausch unter Lehrenden aus Ost, West, Nord

und Süd.

I N D A F - V E R A N S T A L T U N G E N

Die Asien-Konferenz, die vom InDaF in Neu

Delhi geleitet wurde und bei der 400

Teilnehmende aus Indien und dem Ausland

zusammen kamen, war der Höhepunkt der

Verbandsaktivitäten in Indien. Die Konferenz

wurde vom Vorstand des IDV begleitet und

unterstützt. Sie wurde von allen Anwesenden für

das umfangreiche und weite Spektrum von

Themen gelobt. Während drei Tagen teilten

Experten aus den verschiedenen Bereichen von

Deutsch als Fremdsprache ihr reiches Wissen und

ihre Erfahrung mit den Teilnehmenden. Neben der

Asien-Konferenz hat der InDaF in den letzten

Jahren andere regionale Konferenzen in

Chandigarh, Pune, Kolkata, Lucknow, Jaipur und

Trivandrum organisiert.

2014 standen die Feierlichkeiten zu „100

Jahre Deutsch in Indien“ im Mittelpunkt der

InDaF-Aktivitäten. Vor 100 Jahren begann der

Deutschunterricht in Indien in Pune. Dort be-

gannen im Februar 2014 auch die Feierlichkeiten.

Der InDaF hat zu diesem Anlass verschiedene

Deutschlehrertage und -symposien organisiert.

Die ersten Deutschlehrertage fanden im März

2014 in Jaipur mit 130 Lehrern aus ganz

Nordindien statt. Im September desselben Jahres

hat der InDaF mit der Jawaharlal-Nehru-

Universität eine Konferenz zu Methodik und

Didaktik des Deutschunterrichts organisiert.

Im November 2014 fanden noch zwei Konfe-

renzen statt, und zwar im Süden und Westen des

Landes.

I N D A F U N D D A C H L

Der InDaF versucht bei all seinen Veranstal-

tungen und Programmen das DACHL-Konzept

miteinzubeziehen. Denn der Verband arbeitet

mit allen drei Botschaften der deutschsprachigen

Länder zusammen. Der InDaF hat öfters Le-

sungen von Autoren aus diesen Ländern

organisiert und die Schweizer Botschaft hat schon

einmal auf dem Botschaftsgelände „Schweizer

Tage“ für InDaF Mitglieder angeboten. Außer-

dem hat der InDaF an einer interaktiven DVD

für Unterrichtende mitgearbeitet, wo Texte zur

Schweizer Landeskunde didaktisiert wurden.

Wir versuchen unseren Mitgliedern auch nahe-

zulegen, in ihrem Unterricht nicht nur sachliche

Informationen zu den deutschsprachigen Ländern

zu vermitteln. Sie sollen auch dahingehend wir-

ken, die Länder des deutschsprachigen Raums in

Sachen sprachlicher Eigenarten und kultureller

Besonderheiten als individuelle, voneinander ab-

gegrenzte Sprach- und Kulturräume zu sehen,

ohne dass es dabei zu einer Simplifizierung oder

Verallgemeinerung kommt. Natürlich wird trotz

all dieser Unterschiede auch auf die linguistische

und kulturelle Einheit im deutschsprachigen

Raum verwiesen.

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

16

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

17

Deutsche Institutionen zur Verbreitung der deutschen Sprache im Iran

MAHRANG KHALATBARI

AMIN KASSAI

HAMID MIRHADI

D E U T S C H E S C H U L E T E H E R A N

Die erste deutsche Schule in Teheran wurde im

Jahre 1905 im Rahmen eines Abkommens

zwischen den Regierungen der beiden Länder

gegründet. Das Lehrpersonal bestand aus acht

deutschen und acht persischen Lehrern. Der

Betrieb dieser Schule wurde finanziell von beiden

Regierungen unterstützt.

Nach einer kurzen Unterbrechung wegen des

Zweiten Weltkriegs wurde sie 1955 wieder-

eröffnet, und zwar wegen der steigenden Anzahl

der deutschen Familien, die aufgrund der sich

entwickelnden Wirtschaftsbeziehungen zwischen

den beiden Ländern in den Iran zogen. Die Schule

begann ihren Betrieb mit etwa 100 Schülern und

wuchs sehr schnell zu einem renommierten

Schulkomplex.

Die Deutsche Schule Teheran war als eine so

genannte additive Gesamtschule organisiert. Sie

zählte im Jahre 1976 etwa 2.000 Schüler. Die

Zahl setzte sich zusammen aus 300 Kindern im

Kindergarten, etwa 550 in der Grundschule

(Klasse 1 bis 4), ca. 170 Real- und Hauptschülern

und 950 Gymnasiasten.

Der fast 25-jährige Betrieb der Deutschen Schule

Teheran hatte eine große Wirkung: Eine Vielzahl

der Iraner, die heute die deutsche Sprache

beherrschen, haben die Fremdsprache ursprüng-

lich in der Deutschen Schule Teheran gelernt.

Die Schule hat Anfang der 80er Jahre ihren

Betrieb eingestellt, weil die neuen Regelungen

nach der Revolution im Jahre 1979 die

Tätigkeit der ausländischen Schulen im Iran nicht

mehr zuließen. Man fürchtete eine Infiltration

mit fremdem, vor allem mit nicht-islamischem

Gedankengut.

I R A N I S C H - D E U T S C H E S C H U L E

Im Jahre 1975 wurde in Teheran die Iranisch-

Deutsche Schule gegründet. Der Grund für die

Einrichtung dieser Schule lag in der Notsituation

der so genannten „Rückkehrer-Kinder''. Bei der

Gründung waren es 300 Schüler. Die Schüler

sollten nach Abschluss der Schule das Abitur

erhalten, das sie berechtigte, sowohl im Iran als

auch nach Ablegen eines einjährigen Studien-

kollegs für Ausländer in Deutschland studieren

zu können. Der Betrieb der Schule wurde nach

dem Umbruch im Iran Anfang der 80er Jahre

eingestellt.

D E U T S C H - I R A N I S C H E G E W E R B E S C H U L E I N T E H E R A N

Die verstärkte Präsenz der deutschen Unter-

nehmen machte es im Iran nach dem Ersten

Weltkrieg notwendig, entsprechende Fachkräfte

nach deutschen Maßstäben auszubilden. Diese

Notwendigkeit führte im Jahre 1925 zur Gründung

und Eröffnung der Deutsch-Iranischen Gewerbe-

schule in Teheran, die Techniker, Facharbeiter

und Meister für die iranische Industrie aus-

bildete. Diese Gewerbeschule hieß auf persisch

„Honarestane Sanati", sie war die Grundlage

und das Vorbild für die Entstehung weiterer

Gewerbeschulen in den iranischen Provinzen. So

wurde ein Teil des Systems der deutschen Beruf-

sausbildung im Iran eingeführt. D E U T S C H E B O T S C H A F T S S C H U L E

Entsprechend einem Erlass des hohen Rates der

Bildung und Erziehung der Islamischen Republik

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

18

Iran vom 30. Mai 1985 wurde erlaubt, die

Deutsche Botschaftsschule zu gründen. In diese

Schule werden nur nicht-iranische Staatsange-

hörige aufgenommen. Gegenwärtig zählt diese

Schule etwa 110 Schüler, die hauptsächlich aus

den Familien deutscher Diplomaten und Unter-

nehmer stammen. Weil die Aufnahme von Iranern

in die Deutsche Botschaftsschule nicht erlaubt ist,

kann diese Schule nicht als ein Instrument der

Verbreitung der deutschen Sprache unter den

Iranern betrachtet werden.

G O E T H E - I N S T I T U T

Im Jahre 1958 nahm das Goethe-Institut seine

Tätigkeit im Iran auf und erweiterte später seine

Aktivität in Form von Zweigstellen in Isfahan und

Shiraz. Bedingt durch Turbulenzen zwischen Iran

und Deutschland wurde das Goethe-Institut im

Jahre 1987 geschlossen.

D E U T S C H E S S P R A C H I N S T I T U T T E H E R A N ( D S I T )

Bis 1995 gab es keine deutsche Institution im

Iran, die sich für die Pflege und Verbreitung der

deutschen Sprache einsetzte. Am 1. März 1995

wurde auf Initiative des Kulturattachés der

deutschen Botschaft in Teheran und einigen

Unternehmensvertretern der deutschen Wirtschaft

in Teheran und mit deren Zusage zur finanziellen

Unterstützung ein Förderkreis zur Verbreitung der

deutschen Sprache im Iran gegründet.

Das DSIT ist heute das wichtigste Institut für das

Erlernen der deutschen Sprache in Teheran. Es

bietet allgemeine Sprachkurse für Erwachsene

und Jugendliche, Prüfungsvorbereitungskurse,

Spezialkurse zur Vorbereitung auf das Studium

bzw. auf Praktika in Deutschland und Spezial-

kurse für Unternehmen an. Das Deutsche Sprach-

institut Teheran arbeitet eng mit dem Goethe-

Institut zusammen, wobei das Unterrichtspro-

gramm dem Programm des Goethe-Instituts

entspricht. Es werden sowohl Normalkurse als

auch Intensivkurse und Superintensivkurse mit 72

Unterrichtseinheiten zu je 90 Minuten angeboten.

Das Kursstufensystem (A1-A2-B1-B2-C1-C2)

entspricht den Niveaustufen des Gemeinsamen

Europäischen Referenzrahmens.

Das Deutsche Sprachinstitut Teheran ist zur

Abnahme der Prüfungen von A1, A2, B1, B2, C1,

C2 und Test-DaF + TestAs-Prüfungen autorisiert.

D A S Ö S T E R R E I C H I S C H E K U L T U R F O R U M Ö K F

Seit 1959 besteht das Österreichische Kul-

turforum, zuvor: Österreichisches Kulturinstitut

Teheran. Das ÖKFT ist heute eine Plattform

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

19

kulturellen, wissenschaftlichen und künstlerischen

Austausches zwischen Österreich und dem Iran.

Das ÖKFT veranstaltet das ganze Jahr hindurch

Deutschkurse: in zwei Normalsemestern und

einem Sommer-Intensivprogramm. Die ÖKFT-

Bibliothek ist mit über 5.000 Werken die größte

deutschsprachige Bibliothek im Iran. Das Prü-

fungsangebot und das Kurssystem entsprechen

den Niveaustufen des Gemeinsamen Euro-

päischen Referenzrahmens.

I R A N I S C H E I N S T I T U T I O N E N Z U R

V E R B R E I T U N G D E R D E U T S C H E N S P R A C H E I M I R A N

I R A N L A N G U A G E I N S T I T U T ( I L I )

Das Iran Language Institute (ILI) ist die

Nachfolgeinstitution der Iran America Society

(lAS). Anfang 1995 begann ILI neben den

Fremdsprachen Englisch, Französisch und

Arabisch erstmalig auch Deutsch anzubieten.

Heute bietet ILI an den Standorten Teheran,

Karadj, Isfahan, Mashad, Shiraz und Täbriz

Deutschkurse an.

K I S C H - S P R A C H I N S T I T U T

Das Kish-Institut hat 1988 seine Arbeit damit

eingeleitet, Englishkurse anzubieten. Die

Deutsche Abteilung des Instituts wurde im Jahr

1996 gegründet. Heute bietet das Kish-Institut

neben Englisch und Deutsch auch andere

Sprachen an.

Es gibt auch weitere Privatanbieter für den

Deutschunterricht im Iran, die sowohl in Teheran

als auch in den Provinzen tätig sind.

D E U T S C H U N T E R R I C H T I M I R A N I S C H E N S C H U L S Y S T E M

Nach der islamischen Revolution im Iran im Jahre

1979 wurde das Schulsystem einer grundlegenden

Reform unterzogen. Im Rahmen dieser Reform

arbeitete das Ministerium für Bildung und

Erziehung im Jahre 1983 einen Plan aus, in dem

vorgesehen war, die nichtenglischen Fremd-

sprachen in den Oberschulen und Gymnasien

auszubauen. Durch den entsprechenden Erlass

wurde es den Schülern freigestellt, entweder

Englisch oder Deutsch, Französisch, Russisch

oder Italienisch als Fremdsprache zu wählen und

darin eine Prüfung abzulegen.

D E U T S C H U N T E R R I C H T A N P A S C H - S C H U L E N , D I E I N I T I A T I V E „ S C H U L E N : P A R T N E R D E R Z U K U N F T “

Im Februar 2008 rief das Auswärtige Amt in

Kooperation mit dem Goethe-Institut die Initiative

„Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) ins

Leben. Die Initiative stärkt und verbindet

ein weltumspannendes Netz von rund 1.500

Partnerschulen mit besonderer Deutschland-

bindung. Bei jungen Menschen soll damit nach-

haltiges Interesse und Begeisterung für das

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

20

moderne Deutschland und die deutsche Sprache

geweckt werden. In diesem Rahmen besteht nun

schon seit zwei Jahren die Zusammenarbeit

zwischen fünf iranischen Eliteschulen und dem

Goethe-Institut. Unter Aufsicht und mit der

Unterstützung des Goethe-Instituts wird Deutsch

als zweite Fremdsprache an diesen Schulen in den

Grundstufen A1 und A2 für die Jahrgangsstufen

„Rahnamayee“ und „Dabirestan“ angeboten.

D E U T S C H U N T E R R I C H T I N D E N

I R A N I S C H E N U N I V E R S I T Ä T E N D I E S T A A T L I C H E N U N I V E R S I T Ä T E N

Die älteste staatliche Universität im Iran ist die

Teheraner Universität, die im Jahre 1934 ge-

gründet wurde. Im Jahre 1988 wurde die Fakultät

für Fremdsprachen an der Teheraner Universität

mit verschiedenen Fachrichtungen, unter anderem

Deutsch als Fremdsprache, ins Leben gerufen.

Heute werden an drei staatlichen Universitäten,

der Teheraner Universität, der Behesshti Univer-

sität und der Isfahaner Universität in den Fach-

richtungen „DaF“, „Deutsche Literatur“ und

„Übersetzen der deutschen Sprache“ Studenten in

BA-, MA- und PhD-Studiengängen aufgenommen

und ausgebildet

D I E N I C H T S T A A T L I C H E N U N I V E R S I T Ä T E N

Seit 1982 sind nichtstaatliche Universitäten in

Iran tätig. Die Azad-Universität ist die aktivste

nichtstaatliche Universität im Bereich des Stu-

diums der deutschen Sprache und bietet BA-,

MA- und PhD-Studiengänge für „DaF“ und „Übe-

setzen der deutschen Sprache“ an.

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Deutsche Sprache in Nepal durch das PASCH- Programm

UTTAM DHITAL

D ie Initiative „Schulen: Partner der

Zukunft“, kurz: PASCH-Schulen

starteten im Jahr 2009 in Nepal,

wobei zwei Schulen nach langer

Suche sich bereit erklärten, den Traum von Frank

Walter Steinmeier, dem ehemaligen deutschen

Außenminister, auch in Nepal in Erfüllung gehen

zu lassen. Die neuen PASCH-Schulen heißen

„DAV Sushil Kedia Vishwa Bharati Higer

Secondary School, Lalitpur“ und „Nobel

Academy Higher Secondary School, Kath-

mandu“. Dank der Anstellung von Frau Julia

Opitz, der ehemaligen PASCH-Koordinatorin in

Nepal, war PASCH in Nepal geboren worden.

D E U T S C H U N T E R R I C H T I N D E N S C H U L E N

Nach der Unterzeichnung des MoU „Memo-

randum of Understanding“ am 19. September

2009 zwischen dem Goethe-Zentrum in Kath-

mandu, vertreten durch den Direktor Michael

Chand, und den beiden o.g. Schulen, vertreten

durch die Schulleiter, begann dann die Geschichte

von PASCH im Himalaja-Staat Nepal. Dabei

muss auch der Beitrag zur Einführung des

PASCH-Programms in Nepal von Eberhard

Weller, dem Ehemaligen RSL des MMB, New

Delhi, und Evelyn Singh anerkennend erwähnt

werden.

Tabellarisch sind folgende PASCH-Schulen in

Nepal aufzulisten:

a. Nobel Academy:

Schülerzahl: 2500

Deutschunterricht (Stufe 6,7,8 und 9): 410

Lehrkräfte: Sriya Amatya Shrestha, Suman Neu-

pane, Asha Khatri und Sanjay Lama

Tendenz: steigend

b. DAV School:

Schülerzahl: 3000

Deutschunterricht (Stufe 6, 7, 8 und 9): 400

Lehrkraft: Sabin Shakya

Tendenz: steigend

Angesichts der zunehmenden Tendenz des

Deutschunterrichts in den beiden Schulen bietet

das PASCH-Programm in Nepal den Schul-

kindern eine gute Möglichkeit, Deutsch am

Goethe-Zentrum in Kathmandu weiter zu lernen

(siehe Fotos). So besteht auch ein enger Kontakt

mit den beiden PASCH-Schulen und dem Goethe-

Zentrum Kathmandu.

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

22

In einem Land wie Nepal, wo alles so langsam

läuft und die Bildungsquote in der Bevölkerung

bei (ca. 57%) liegt, fällt es den Schülern schwer,

die deutsche Sprache schnell zu lernen. Das

gleiche Problem haben wir auch bei Französisch,

Spanisch, Englisch und anderen Fremdsprachen.

Darüber hinaus muss auch berücksichtigt werden,

dass der Unterricht der deutschen Sprache in den

beiden Schulen relativ neu ist. Deshalb sind die

Eltern nicht selten auch über die Wahl des

Deutschunterrichts durch ihre Kinder in den

PASCH-Schulen in Nepal verzweifelt. Grund:

Die Eltern und ihre Kinder fürchten, dass die

deutsche Sprache als Fach ihre Schulhauptfächer

leicht beeinflussen kann. Daher werden sie von

den Schulen erst beraten und sie entscheiden sich

dann für Deutsch als Wahlfach. In der DAV-

Schule werden auch Chinesisch, Französisch und

Deutsch unterrichtet, in der Nobel Academy

hingegen nur Deutsch als Pflichtfach.

P R I N C I P A L - K O N F E R E N Z E N U N D P A S C H -C A M P S :

Da das PASCH-Programm verschiedene Maß-

nahmen ergreift wie z. B. die Principal-Konferen-

zen und PASCH-Camps in verschiedenen Län-

dern (Jugendcamp viermal in Deutschland und

fünfmal in Indien), ist das PASCH-Programm in

Nepal nun von großer Bedeutung. Um das Ver-

hältnis zwischen den PASCH-Schulen und dem

Goethe-Zentrum Kathmandu aufrecht zu erhalten,

nehmen die PASCH-Schulen auch an den Veran-

staltungen des Goethe-Zentrums in Kathmandu,

so z. B. am Food Festival und an Weihnachten

teil. Das Goethe-Zentrum Kathmandu ist auch

sehr aktiv bei den Schulveranstaltungen beteiligt

(siehe Fotos).

Wie die beiden großen Religionen, der Hinduis-

mus und der Buddhismus, in Nepal gut mitei-

nander harmonieren, haben PASCH-Nepal und

Schulen auch eine große Anerkennung gefunden.

Es lebe das PASCH-Programm in Nepal!

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Deutsch in Pakistan Zitate von Deutsch Lernenden und Lehrenden

NAUREEN AHMED ZAKI

W E N N D U A N D E U T S C H I N P A K I S T A N D E N K S T , W A S F Ä L L T D I R S P O N T A N E I N ?

W I R F R A G E N U N S E R E L E H R E R / - I N N E N U N D S C H Ü L E R / - I N N E N I M A N N E M A R I E -S C H I M M E L - H A U S , D E M D E U T S C H E N K U L T U R Z E N T R U M I N D E R H I S T O R I S C H E N

M E T R O P O L E L A H O R E

„Eine Sprache ist eine Brücke zur Welt. Und die

deutsche Sprache ist eine der schönsten Sprachen

der Welt, die sich wie ein Blitz in den

südasiatischen Ländern verbreitet. Durch das

Angebot eines kostenlosen Studiums kann man in

Deutschland seine Träume verwirklichen…”

Syed Rizwan Husain,

Deutschlehrer am

Annemarie-Schimmel-

Haus, Lahore

„Die steigende Zahl der Studenten, die sich für

Deutsch interessieren, zeigt deutlich, dass wir in

Pakistan eine sehr vielversprechende Zukunft in

der deutschen Sprache sehen. Ich bin davon

überzeugt, dass wir bald Online-Kurse haben

werden, damit die Studenten, ohne ortsgebunden

zu sein, Deutsch lernen können.”

Ghulam Farid Ahmed, Deutschlehrer am

Annemarie-Schimmel-Haus, Lahore

„Ich finde die deutsche Sprache sehr schön und

sie hat eine grosse Zukunft in Pakistan”.

Noor-ul-ain, Sprachkoordinatorin am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore

„Da viele Pakistaner in Deutschland leben und

viele davon ihre Ehegatten bzw. Ehegattinnen von

Pakistan nach Deutschland nachholen, steigt die

Zahl der Deutschlerner ständig an”.

Mansoora Butt, Deutschlehrerin am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore „Die deutsche Sprache nimmt in Pakistan einen

immer grösser werdenden Raum ein. Schossen

damals nach der Einführung des Ehegattennach-

zugsgesetzes überall Sprachinstitute für DaF wie

Pilze aus dem Boden, so erlebt diese Sprache

diese Tage einen zweiten Boom: Die vom Fern-

weh getriebenen Studenten, die dem Angebot

eines kostenlosen Studiums in Deutschland ein-

fach nicht widerstehen können.Von der Arbeit

der PASCH-Schulen einmal ganz abgesehen,

denn davon können die Kollegen noch mehr

erzählen...”

Saira Niazi,

Deutschlehrerin und

Multiplikatorin am

Annemarie-Schimmel-

Haus, Lahore

„Die Schule, in der ich Deutsch unterrichte, hat

sich in letzter Zeit entschlossen, das Ergebnis der

Deutschtests auf der Bescheinigung zu ver-

merken. Die Noten haben eine Auswirkung auf

die gesamte Prozentzahl des Ergebnisses, indem

sie auf dem Zeugnis erscheinen. Meiner Meinung

nach bestimmt dies und andere solcher Schritte

die Zukunft von Deutsch in Pakistan. Deutsch als

ein Hauptfach in den pakistanischen Schulen

finde ich sehr schön und positiv für die Zukunft

der Sprache”.

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Tayyaba Anwaar

Ahmad,

Deutschlehrerin in

der PASCH-Schule

Roots School

„Wenn ich über Deutsch nachdenke, denke ich

immer über meine Zukunft nach. Weil ich für

mein Studium Deutsch brauche”.

Nida Tasneem, Sprachschülerin am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore

„Das bringt eine neue Kultur, die deutsche

Kultur, in unser Land. Das ist sehr wichtig für

unsere Zukunft und das finde ich sehr interessant.

Wir haben durch das Goethe-Institut in Pakistan,

eine gute Möglichkeit, Deutsch zu lernen”.

Saddam Mazar,

Sprachschüler am Anne-

marie-Schimmel-Haus,

Lahore

„Es ist sehr wertvoll, Deutsch zu lernen, und es ist

wichtig für die Zukunft, z. B wenn man in

Deutschland studieren möchte oder eine Stelle in

Deutschland sucht”.

Khurram Shehzad, Sprachschüler am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore

„Wegen der guten Atmosphäre im Annemarie-

Schimmel-Haus und ebenfalls wegen der hilfs-

bereiten Lehrer finde ich Deutsch sehr interessant.

Das Annemarie-Schimmel-Haus lehrt seinen

Studenten und Studentinnen nicht nur Deutsch,

sondern auch die Kultur. Früher kannten die Leute

das Annemarie-Schimmel-Haus nicht, aber heutzu-

tage ist es sehr berühmt in der Stadt.”

Saif-Ur-Rehman, Student am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore

„Ich denke, es gibt zu wenige Institute für Deutsch

in Pakistan. Es gibt nur ein Goethe-Institut in

Karachi and in Lahore das Annemarie-Schimmel-

Haus. Die anderen Institute gehören nicht dem

Goethe-Institut an - also ist das Niveau von diesen

Instituten nicht zufriedenstellend”.

Ammad Mubashir, Student am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore

„Orient + Okzident = x; Deutschland + Pakistan;

Tagesmenü: Backwurst ‘halal’ mit Kartoffelsalat,

‘Garam Masala’ und Mango-Lassi für 3,90. Guten

Hunger!”

Shafqat Hussain, Deutschlehrer am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore

„Viele Leute möchten Deutsch lernen, davon sind

die meisten Studenten. Die Anzahl der deutschen

Institute ist sehr gering und immer mehr Leute

interessieren sich für diese Sprache. Es wäre schön,

wenn es mehrere Goethe-Institute in Pakistan

geben würde”.

Imran Naseer,

Student am Annemarie-

Schimmel-Haus, Lahore

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„Romantisches“ Indien

WOLFGANG FRANZ

A ls meine Frau zur Vorbereitung ihres

Seminars Arbeit mit Film im DaF-

Unterricht für Germanistikstudenten

der Universität Pune den Film Geliebte

Clara von Helma Sanders-Brahms mit Martina

Gedeck in der Hauptrolle als Clara Schumann

sichtete, ertönten immer wieder die Anfangstakte

der Rheinischen von Robert Schumann. Eine

Melodie, die mich nicht nur in meinen sauer-

ländischen Geburtsort Plettenberg zurückführte,

wo in den Fünfzigern eben diese Anfangstakte der

Rheinischen als Eingangsmelodie zur Radio-

sendung Zwischen Rhein und Weser vernehmlich

den Beginn des Abends signalisierte, sondern

auch einen weiteren Schritt zurück in die Epoche

der Romantik.

Derart animiert entschloss ich mich, mal wieder

einen Blick auf die Romantik bzw. das 19. Jahr-

hundert zu werfen, zu dem ich nicht nur wegen

der schönen Biedermeiermöbel in meiner

Wohnung ein besonderes Verhältnis habe. Jetzt in

Pune wohnend fiel mir auf, was ich bisher kaum

mehr als zur Kenntnis genommen hatte: Alle

namhaften Denker des 19. Jahrhunderts haben

sich mit Indien (angesichts aller kulturellen Viel-

falt und immenser geografischer Ausdehnung sind

die im Folgenden benutzten Begriffe Indien und

indisch mit einem gewissen Vorbehalt zu

verstehen) und seiner Kultur beschäftigt und dies

durchweg mit Begeisterung. Eine umfassende

Darstellung der romantischen Rezeption insbe-

sondere der indischen Mythologie findet sich in

Die Lesbarkeit der Romantik: Material, Medium,

Diskurs hrsg. v. Erich Kleinschmidt, Berlin 2009.

Der Enthusiasmus des 19. Jahrhunderts erweiterte

und systematisierte sich im Verlauf zu einer

Indologie. Walter Leifer, auf den ich mich im

Folgenden beziehe (und dem ich dieses Buch-

geschenk und viele interessante Gespräche in

unserer gemeinsamen Zeit in Korea in den acht-

ziger Jahren verdanke), hat dies in seinem

Buch India and the Germans – 500 Years of

Indo-German Contact, Bombay 1971. (Deutsch:

Indien und die Deutschen, 500 Jahre Begegnung

und Partnerschaft, Tübingen 1969) vortrefflich

zusammengefasst.

Und Bundespräsident Rau drückte die Faszination

Indiens auf Deutschland bei seinem Staatsbesuch

am 3. März 2003 folgendermaßen aus: „Wir

Deutschen waren immer schon von Indien und

seiner Kultur fasziniert. Der große Indienforscher

Max Müller hat einmal eine Vorlesungsreihe

unter die Überschrift gestellt: „Was kann uns

Indien lehren?“ Sein Resümee lautete: „Wenn ich

gefragt würde, unter welchem Himmel der

menschliche Geist einige seiner erlesensten

Gaben am vollsten entwickelt hätte [...], dann

würde ich auf Indien weisen.“ Ein anderer

Landsmann von mir hat geurteilt: „Indien besitzt

das Gold der Weisheit und das Silber der

Beredsamkeit und die Edelsteine aller Tugenden

in ausreichendem Maße". Dieses Zitat ist etwas

älter - genauer gesagt 1.200 Jahre. Es stammt von

dem großen Kleriker und Lehrer Rhabanus

Maurus.“ (Ansprache von Bundespräsident

Johannes Rau anlässlich eines Abendessens,

gegeben von Staatspräsident Dr. APJ Abdul

Kalam, Neu Delhi, 3. März 2003)

Eine Begeisterung, die heute noch in Deutschland

feststellbar ist und die mir vielfach begegnete,

wenn ich im Frühjahr 2013 von meiner bald an-

stehenden Versetzung nach Pune erzählte. Ich war

auch erstaunt, wie viele meiner Gesprächspartner

Indien offensichtlich schon bereist hatten. Aber

nicht nur positive Einstellungen waren zu hören,

sondern ebenso dezidierte Ablehnung - Entweder

oder. Keine Grautöne. Indien schien zu

polarisieren. Georg Lechner (Georg Lechner, Frau

und Mann in Indien – Gleichstellung und

Richtigstellung, Typoskript) beschreibt das so:

„Indien ist eine Definition der Welt sui generis.

(…) Man hatte mir von Anfang an eingeprägt:

Was immer man über Indien sagen mag, sein

Gegenteil beanspruche die gleiche Gültigkeit. In-

zwischen weiß ich, es gibt wohl kein Land der

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Welt, auf das dieses Paradox im gleichen Maße

zuträfe. (…) Die Polaritäten ließen sich mühelos

fortsetzen: Indien als Land der Meditation, des

Yoga und der Stille, aber auch das Land eines

wuchernden Dschungels an Geschrei und Ge-

bimmel, Gedrängel der Menschenmassen und

Tiere, hupenden Verkehrs und verstopfter Stra-

ßen, das Land Mahatma Gandhis, der Gewalt-

losigkeit und der Toleranz, aber ebenso des reli-

giösen Fanatismus und blutiger Massenexzesse.

Belassen wir es hier einfach bei der pauschalen

Warnung: Europäische Maßstäbe greifen in Indien

nicht, was hier tausendfach geschieht, geschieht

dort millionenfach, was hier als Ausnahme und

Regel funktioniert, kann dort in der Umkehrung

auftreten, auch philosophisch und mythologisch

steht dort Brahman, das All-Eine, einem endlosen

Götterdschungel gegenüber.“ Indien hat wohl für

jeden etwas. Was Begeisterung und Abneigung

und Faszination meiner Gesprächspartner erklärt.

Zurück zum Ausgangspunkt: Die im Deutschland

des 19. Jahrhunderts lebhaft geführte intellek-

tuelle Auseinandersetzung mit Indien lässt sich

zurückführen auf die Studien, die Engländer im

späten 18. Jahrhundert im Zuge des Wandels der

Ost-Indien-Kompanie von einer Handelsgesell-

schaft zu einer Territorialmacht (s. David Arnold,

Südasien. Frankfurt 2012, S. 360 ff.) zur Ver-

besserung ihrer Verwaltung durchführten.

Arnold nennt Warren Hastings, der, um die

Erforschung der indischen Sprachen und Kulturen

bemüht, Grammatiken und Wörterbücher ver-

fasste aus der Überzeugung, „ein informiertes

Verständnis des Rechts, der Sitten und der

Verwaltungspraxis des Subkontinents könnte

dem Empire von Nutzen sein,“ (S.363). Diese

praktische Absicht führte nicht nur z.B. zur Ver-

öffentlichung eines Code of Gentoo Laws (1776)

durch den Kompanieangestellten H. B. Halhed

im Rahmen der Erforschung des Hindu-Rechts-

wesens, sondern auch zur ersten Übersetzung in

eine europäische Sprache und der Publikation der

Bhagavadgītā durch Charles Wilkins, der in ihr

den Schlüssel zum Verständnis des hinduistischen

Glaubens erblickte.

Zu den Ersten, die die Geschichte Indiens stu-

dierten, um ihr Verständnis in einen globalen (eu-

ropäischen) Kontext zu setzen, gehörte Alexander

Dowe. William Jones verdanken wir den Nach-

weis der Verwandtschaft von Sanskrit, Griechisch

und Latein mit dem Folgeschluss, den drei

Sprachen müsse eine ältere Sprache vorange-

gangen sein. Dieser orientalistischen Sichtweise

gegenüber, die zunehmend die zivilisatorischen

Errungenschaften der indischen Kultur ins Licht

rückte, bildete sich gleichsam als Gegenpol mehr

und mehr eine „kolonialistische“ Position heraus,

die die Kolonialherrschaft durch die Überlegen-

heit der westlichen Zivilisation u.a. auf den Ge-

bieten von Wissenschaft und Technik legitimierte.

Die aus der Perspektive der Kolonialherren resul-

tierende Skepsis gegenüber der indischen Kultur

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war sicher auch in Deutschland bekannt, trübte

jedoch nicht – da kolonial gegenüber Indien unbe-

lastet – die enthusiastische Aufnahme indischer

Texte. Hans Arens (Sprachwissenschaft. Freiburg/

München1969, S 160ff.) schildert im Kapitel I.

Auftakt: Fr. v. Schlegel und die altindischen

Grammatiker wie Friedrich von Schlegel, der

übrigens Sanskrit von einem Engländer lernte, den

Standpunkt von Alexander Dowe und William

Jones aufnehmend, in seiner Schrift „Über die

Sprache und Weisheit der Indier. Ein Beitrag zur

Begründung der Altertumskunde“ (1808) konsta-

tierte, „Das alte indische Sonskrito, d.h. die

gebildete oder vollkommene, auch Gronthon, d. h.

die Schrift- oder Büchersprache, hat die größte

Verwandtschaft mit der römischen und grie-

chischen sowie mit der germanischen und per-

sischen Sprache. Die Ähnlichkeit liegt nicht nur

bloß in einer großen Anzahl von Wurzeln, die sie

mit ihnen gemein hat, sondern sie erstreckt sich

bis auf die innerste Struktur und Grammatik. Die

Übereinstimmung ist also keine zufällige, die sich

aus Einmischung erklären ließe, sondern eine

wesentliche, die auf gemeinschaftliche Abstam-

mung deutet. Bei der Vergleichung ergibt sich

ferner, dass die indische Sprache die ältere sei, die

anderen aber jünger und aus ihnen abge-

leitet.“ (zitiert nach Arens, S. 160). Hier wird der

„indischen Sprache“ eine fundamentale Bedeu-

tung sozusagen als „Mutter-Sprache“ zugewiesen!

Nach den Verheerungen des dreißigjährigen

Krieges blieb Deutschland lange ein entvölkertes,

rückständiges und von seinen Nachbarn besten-

falls belächeltes Land mit wenig nationaler Iden-

tität. Die kulturellen Wurzeln im Griechischen

und Lateinischen hatten die national denkenden

deutschen Geistesgrößen bis dato mit den (über-

legenen, besonders Frankreich) europäischen

Konkurrenten teilen müssen. Mit Schlegels „Ver-

gleichung“ war ein Schritt getan, das „national-

kulturelle Defizit“ auszugleichen, war das

Deutsche (das Indische noch etwas weiter vor) in

die erste Reihe gerückt! Man war entschlossen,

von der „Indienverbindung“ zu profitieren:

Heinrich Heine schildert in einem Brief an August

Wilhelm Schlegel (der als Gründer der roman-

tischen Indologie gelten darf): Jahr für Jahr haben

die Engländer, Portugiesen und Holländer

Schiffsladungen voll der geistigen Schätze Indiens

weg geschafft. Wir Deutsche konnten nur

zusehen. Aber uns werden diese Schätze nicht

entgehen (Leifer S. 120).

Leider hat man sich nicht mit sprachwissen-

schaftlichen Betrachtungen begnügt. Im 19. Jahr-

hundert lösten sich völkerkundliche Anschau-

ungen um den Begriff Arier von der Sprach-

betrachtung und konstatierten eine Art Abstam-

mungsgemeinschaft. Über die „Arier-Schiene“

erschloss sich eine neue Quelle kulturellen Na-

tionalstolzes. Es ist bekannt, welche unheilvollen

Blüten das letztendlich trieb. Einflussreich im

letzten Drittel des Jahrhunderts war der in

Dresden, Wien und Bayreuth wirkende Houston

Stewart Chamberlain. Er entwickelte Vorstel-

lungen, dass die Völker Europas, Irans und

Indiens Abkömmlinge des vorgeschichtlichen

Volks der Arier seien. Selbst der Sprachhistoriker

und Indologe Hermann Hirt verstieg sich in

seinem Werk Die Indogermanen. Ihre Verbrei-

tung, ihre Urheimat und ihre Kultur. 2 Bände.

Straßburg 1905-1907 soweit, das ursprüngliche

Siedlungsgebiet des „Urvolks der Arier“ ins

norddeutsche Flachland zu verlegen und ließ sie

sich von dort ausbreiten.

Als philologisch ist dagegen zu bezeichnen,

was Leifer (S. 75) „The German Shakuntala

Experience“ nennt. Shakuntala ist die Heldin

eines Dramas des 4./5. Jahrhunderts von Kālidāsa,

das von Georg Forster 1791 erstmals übersetzt

und in Deutschland publiziert wurde und dem im

Laufe des 19. Jahrhunderts der Nachfrage

entsprechend eine Vielzahl von Übersetzungen

und Veröffentlichungen folgten. Für Forster

bedeutete Indien das Symbol von „a world of

dignified ingenuousness and lucid symplicity“.

Forster sandte Exemplare u. a. zu Goethe und

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Herder, den die Lektüre des Dramas zu folgendem

Gedicht veranlasste.

Wo Sakuntala lebt mit ihrem entschwundenen

Knaben,

Wo Duschnanta sie neu, neu von den Göttern

empfängt,

Sei mir gegrüsst, o heiliges Land, und du, Führer

der Töne,

Stimme des Herzens, erheb‘ oft mich im Äther

dahin.

In einem Brief an Forster beschreibt Herder die

Heldin als „a true flower of the Orient; and the

first, the fairest of her kind” (S. 79). Goethe setzte

sich ebenfalls in Gedichtform mit dem Drama

auseinander:

Willst du die Blüten des frühen, die Früchte des

späten Jahres,

willst du, was reizt und entzückt,

willst du, was sättigt und nährt,

nenn ich, Shakuntala, dich, und damit ist alles

gesagt.

Schillers Aufmerksamkeit für Shakuntala äußert

sich in der Publikation einer Szene in der Thalia

Nr. 10 von 1790. In einem Brief an Wilhelm von

Humboldt von 1795 erklärt er enthusiastisch, dass

in der ganzen griechischen Antike keine Schil-

derung „von weiblicher Schönheit und herrlicher

Liebe“ zu finden sei (S. 78), die an Shakuntala

heranreiche. In einem Brief an Goethe von 1802

gesteht er, sich erneut mit dem Stück beschäftigt

zu haben. Leifer (S.79) erwähnt, Karl Viktor von

Bonstetten habe den Hinweis gegeben, Schiller

habe im Wilhelm Tell Motive aus Shakuntala ver-

wendet.

Leifer (S. 79 ff.) nennt noch mehr als ein Dutzend

Namen von am „Shakuntala-Hype“ Beteiligten.

Diese Aufzählung hier kann nicht vollständig sein

(und die Wirkung Indiens geht weit über die

Romantik hinaus). Ich möchte aber Max Weber

nicht unerwähnt lassen, dessen Abhandlung über

Die protestantische Ethik und der Geist des

Kapitalismus (Max Weber, Die protestantische

Ethik und der Geist des Kapitalismus, München,

2004) ich so viele erklärende Hinweise zur mich

prägenden Lebenswelt verdanke und dessen

Schrift Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen,

Hinduismus und Buddhismus (Max Weber, Die

Wirtschaftsethik der Weltreligionen, Hinduismus

und Buddhismus, Schriften 1916 – 1920,

Tübingen 1998) mir nun beim Verständnis be-

stimmter Aspekte meines aktuellen Aufent-

haltsortes hilft.

Keinem der Vorgenannten war es vergönnt,

Indien selbst zu besuchen. Sie bezogen ihre Er-

kenntnisse, ihren Enthusiasmus aus dem Studium

der Texte. Ganz nach der Herderschen Sprach-

auffassung, dass Sprache als etwas geschichtlich

Gewordenes, ihre Erforschung die Beschäftigung

mit der Vergangenheit, mit den geschichtlichen

Leistungen des eigenen Volkes, die National-

sprache als die volle, bewusste Ausprägung des

Nationalcharakters zu betrachten sei. (s. Hugo

Moser, Deutsche Sprachgeschichte. Tübingen

1969, S. 26).

Und der Doyen der romantischen Sprachwissen-

schaft, Wilhelm von Humboldt, entwickelte die

Einfühlung in den Geist früherer Zeitstufen und

anderer Völker als Bildungs- und Forschungs-

prinzip. Wie Herder und Grimm ist er überzeugt

von einer ständigen Wechselwirkung zwischen

Sprache und Volkscharakter. (Moser, S. 29)

Damit gaben die romantischen Sprachwissen-

schaftler den Indern selbst ein Werkzeug in die

Hand, ihre eigene indische Geisteswelt, ihre

nationale Kultur zu erkennen und zu beschreiben.

Vielleicht wurde bis dato das kulturelle Selbst-

bewusstsein Indiens, die indische Tradition unter

Wert gehandelt. Jetzt wurde sie mit den Kulturen

der übrigen Welt in Verbindung gebracht und

damit ein Einfluss auf die Weltkultur impliziert.

Irgendwie beschleicht mich der Eindruck, dass

dieses einen konstitutiven Beitrag - bei (oder

trotz) aller kulturellen Vielfalt und immenser

geografischer Ausdehnung Indiens - zur Ausbil-

dung eines nationalkulturellen Bewusstseins bei-

getragen hat und die Wirkung noch anhält. Ein

Indiz mag sein, die Berühmtheit des Indologen

Max Müller in Indien, den Bundespräsident Rau

in seiner o. g. Rede hervorhebt. Max Müller ist in

Deutschland außerhalb von Fachkreisen völlig

unbekannt, während sein Name in Indien zum

Begriff geworden ist. (Das Goethe-Institut in

Indien hat sich diese Bekanntheit und das positive

Image des Namens zu Nutze gemacht und seine

Kulturinstitute Max Mueller Bhavan benannt.)

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Lehreraus- und -fortbildung in Indien

PUNEET KAUR

M ita ist Deutschlehrerin an einer

indischen staatlichen Schule. Sie

hat im Goethe-Institut Deutsch bis

zur Stufe C1 gelernt und hat

anschließend angefangen, in einer indischen

staatlichen Schule Deutschunterricht zu geben.

Eine pädagogische Ausbildung hat sie nicht.

Bevor sie in der Schule anfing, wurde sie von

einer Referentin schnell in den Lehrplan und in

das Lehrmaterial eingewiesen.

Jenny hat an der Uni Germanistik studiert. Als

Teil ihres Studiums hat sie einen Kurs mit 3

Credits im Fach Didaktik gehabt. Danach ist sie in

ihre Heimat, 1200 km von der nächsten Univer-

sität/Goethe-Institut/Fortbildungszentrum entfernt

zurückgegangen. Dort unterrichtet sie Deutsch an

einer privaten Schule.

Monika hatte in der Schule Deutsch gelernt.

Danach hat sie Psychologie studiert, aber nie

gearbeitet. Sie hat jung geheiratet und Kinder

bekommen. Sie hört, dass es in ihrer Stadt Bedarf

an Deutschlehrern bzw. -lehrerinnen gibt. Sie geht

zum nächstgelegenen Sprachinstitut und belegt

einen Deutschkurs. Sie schafft es, die B1-Prüfung

zu bestehen und bewirbt sich als Deutschlehrerin.

Sie bekommt die Stelle.

Mita, Jenny und Monika arbeiten auch unter ganz

verschiedenen Bedingungen. Die eine arbeitet in

einer Schule mit Buch, Kreide und Tafel. Die

zweite in einer modernen Schule mit einer

interaktiven Tafel. Die dritte hat keine interaktive

Tafel im Unterrichtsraum, aber ein Audiogerät

und kann einmal in der Woche Zugang zu einem

Computerzimmer bekommen, wo die Schüler

eigenständig Webquests machen können. Alle

drei, Mita, Jenny und Monika, sind im selben

Beruf und brauchen regelmäßig Fortbildungen,

um ihren Beruf ausüben zu können.

Eine Deutschlehrerausbildung für Schullehrer gibt

es an indischen Universitäten nicht. Die einzige

Deutschlehrerausbildung in der Region gibt es

beim Goethe-Institut und sie ist eher an Lehr-

personen in der Erwachsenenbildung gerichtet.

Daher sind Fortbildungen der einzige Weg für

die Vermittlung methodisch-didaktischer Fach-

kompetenz im schulischen Bereich.

Wie aus den drei Fallbeispielen hervorgeht, ist die

Landschaft bunt. Daher ist es eine Herausforde-

rung, ein Fortbildungskonzept zu entwickeln, das

den Bedürfnissen von Mita, Jenny und Monika

entgegenkommt und den Realitäten des herr-

schenden Schulsystems Rechnung trägt.

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den drei

Damen, von denen man ausgehen kann, bevor

man sich mit den Unterschieden befasst?

Die eine große Gemeinsamkeit, die alle drei

möglicherweise haben, ist ihre eigene schulische

Erfahrung. Das ist der Unterricht, den sie selbst

als Schüler erlebt haben. Unbewusst haben sie da

Lehrerbilder im Kopf, die Lehr-/Lerntraditionen

bei ihnen eingeprägt haben. Das Lehrer-Schüler-

Verhältnis hat für sie eine bestimmte Dynamik.

Wie sieht diese Realität aus? Der Unterricht an

den meisten indischen Schulen ist frontal. Die

Lehrperson ist eine Respektsperson und es wird

viel Wert auf die Vermittlung von informations-

schweren Inhalten gelegt.

Kann mit dieser Erfahrung und Tradition ein mo-

derner kommunikativer Deutschunterricht ange-

boten werden? Wie geht man da vor? Wie bereitet

man Inhalte vor? Wie ist der Ansatz da?

I N H A L T E E I N E R F O R T B I L D U N G

Erstmals sollte es darum gehen, die festge-

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fahrenen Lehr-/Lerntraditionen in Frage zu

stellen. Ist es heute noch aktuell, im Fremd-

sprachenunterricht frontal zu unterrichten? Oder

hat die Lehrperson nicht eher eine Trainer-

funktion? Der Übergang vom traditionellen Bild

einer Lehrperson als Respektsperson zu dem Bild

von einer Lehrperson als Vermittler, Trainer oder

Ansprechpartner muss angebahnt werden.

Ein reflektiver Ansatz, durch den die Lehrperson

angeregt wird, anhand bestimmter Kriterien über

den eigenen Unterricht nachzudenken, die

Stärken und Schwächen zu analysieren und

daraus Schlüsse zu ziehen, könnte der erste

Schritt sein. Im zweiten Schritt sollte man

überlegen, wie man fachliche Inhalte am besten

vermitteln kann.

Wegen des Sprachstands einiger Lehrer ist es

ratsam, Inhalte der Fremdsprachendidaktik in ein-

facher Sprache anzubieten. Oft sind die DaF-

Methodik-Didaktik-Lektüren sprachlich für viele

Lehrer zu anspruchsvoll. Die Fachterminologie

kennen sie nicht und daher sind sie nicht moti-

viert, die Lektüre zu bearbeiten.

Die fachlichen Inhalte müssen daher vereinfacht

auf Deutsch angeboten werden. Es herrscht auch

die Meinung, dass man die Inhalte in der Landes-

sprache anbieten sollte. Aber sehr wenige Kolle-

gen tendieren zu dieser Meinung, weil man will,

dass Deutschlehrer auf Deutsch in die Lektüre

von DaF einsteigen sollten. Was ihnen aber sehr

hilft, ist eine Einweisung in den deutschspra-

chigen Wortschatz im Vorfeld.

Außer den „herkömmlichen“ Fachinhalten, die

Lehrer in verschiedenen Fortbildungsprogram-

men bekommen, braucht man heute in einem

Lehrerfortbildungsprogramm auch Hinweise auf

die Möglichkeiten, die neue Medien anbieten.

Sei es in der Form von Online-Übungen, landes-

kundlichen Informationen oder Projekten mit

Partnerklassen. Neue sowie erfahrene Lehrer

müssen auf diese Möglichkeiten hingewiesen

werden.

Der Umgang mit interaktiven Tafeln gehört heute

auch zu einer Lehrerfortbildung. Die Handhabung

dieser neuen Technologie gehört zu den Skills,

die ein moderner Lehrer beherrschen muss.

Diese Inhalte gibt es im Land bisher in zwei

Formen. Einmal sind es die Fernstudieneinheiten

des Goethe-Instituts. Neuerdings wird das im

Programm Deutsch lehren lernen (DLL)

eingesetzt. Es gibt auch ein eigens für eine

Fernuni in Indien entwickeltes Programm. Das ist

für indische Lehrer von indischen und deutschen

Autoren entwickelt worden und trägt den

Gegebenheiten in der Region Rechnung.

Es gibt auch einen „Foreign Language

Education“-Kurs an der Universität Delhi. Dieser

Kurs hat einen gemeinsamen Lehrplan für alle

Fremdsprachen, aber mit ein paar sprachen-

spezifischen Modulen wie Landeskunde oder

Grammatikvermittlung. Die meisten Inhalte die-

ses Programms sind auf Englisch.

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A R T D E R V E R M I T T L U N G

Wie werden diese und andere Inhalte an die

Lehrer/-innen vermittelt? Da sie verstreut über

das ganze Land leben, ist ein Online-Kurs eine

gute Lösung. Ein Online-Kurs ermöglicht jedem

jederzeit Zugang zu den Lerninhalten. Aber oft ist

die Online-Bearbeitung der Aufgaben wegen

der schlechten Internetverbindungen besonders in

abgelegenen Gebieten recht schwierig. Daher ist

es ratsam, die Inhalte auf CDs zur Verfügung

zu stellen. So können Lehrer/-innen die Lektüre

offline bearbeiten und die Lösungen zu den

Aufgaben können per Mail geschickt werden.

Außer den theoretischen Inhalten brauchen die

Kandidaten bzw. Kandidatinnen auch einen

praktischen Teil. Hospitationskurse mit Modell-

unterricht mit Vor- und Nachbesprechung sind

hier eine bewährte Lösung. Bei diesen Kursen

können sie selbst beobachten, wie der Deutsch-

unterricht in der Praxis gestaltet wird. Welche

Überlegungen fließen in die Vorbereitung ein?

Wie werden Lehrmaterialien ausgesucht, didak-

tisiert und nachbereitet? Warum sind bestimmte

Sozialformen für bestimmte Aufgaben geeignet?

Diese und viele andere Fragen können be-

sprochen und analysiert werden. Die Hospita-

tionen, gekoppelt mit Vor- und Nachbespre-

chungen, können Lehrern und Lehrerinnen, die

kein pädagogisches Studium hinter sich haben,

sehr viele praktische Tipps mit auf dem Weg

geben, die zur Verbesserung der Unterrichts-

qualität beitragen können. Außerdem bieten die

Hospitationsphasen den Lehrern bzw. Lehrerin-

nen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit

anderen Kollegen und Kolleginnen zu teilen. In

der Gruppe wird man viele Ängste los und

lernt von den Erfahrungen der Kollegen und

Kolleginnen.

S C H L U S S

Fortbildungen im DaF-Bereich sind unentbehrlich

in Ländern, wo das örtliche Landessystem den

angehenden Fremdsprachenlehrern keine Mö-

glichkeit für eine Lehrer/-innen-Ausbildung

bietet. Diese Ausbildung muss sowohl sprachlich

als auch inhaltlich auf die Bedürfnisse der Lehrer/

-innen zugeschnitten sein und das Angebot muss

für alle sowohl in Großstädten als auch in abgele-

genen Gebieten zugänglich sein. Dafür muss auch

bei dem „Endverbraucher“ ein Bewusstsein vor-

handen sein, dass er/sie in regelmäßigen Ab-

ständen Fortbildungen braucht und sich dafür

selbstständig anmeldet.

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Großgruppendidaktik im Deutschunterricht Ein Beispiel aus Indien

JANAKI NARKAR WALDRAFF

U nterrichten in großen Gruppen stellt

eine besondere Herausforderung so-

wohl für Schulen und Schüler als

auch für Deutsch als Fremdsprache-

Lehrer/-innen dar. Im Gegensatz zu kleinen

Klassen, wo die Mehrheit der Lehr- und Lern-

herausforderungen am besten erarbeitet wurden,

ist die methodisch-didaktische Landschaft für

große Gruppen noch leer. Viele Projekte und

Theorien sind international noch in den Anfangs-

stadien. In einer Zeit, in der viele Erkenntnisse

und Diskussionen über die Bedeutung des ak-

tiven, selbstgesteuerten Lernens, den schüler-

zentrierten Unterricht und die gemeinsame Ver-

antwortung für den Erfolg der Lernergebnisse der

Schüler/-innen zu lesen ist, stellen große Klassen

eine Anomalie dar. Wie kann man den Unterricht

so individuell wie möglich gestalten und ihn mehr

interaktiv machen, wenn man so viele Schüler in

der Klasse hat?

Großgruppen haben in den meisten asiatischen

Ländern eine lange Tradition und besonders in

Indien sind sie nicht zu vermeiden. Die sozio-

ökonomische Entwicklung der Klassengröße in

Indien hängt von diversen Faktoren ab.

Indien hat die Eine-Billion-Zahl überschritten.

So eine enorme Bevölkerungszahl benötigt eine

schulische Infrastruktur, die nicht einheitlich im

ganzen Land zu finden ist. So gibt es einen

starken Unterschied zwischen Schulen in den

Metropolen und denen auf dem Lande.

Mangelnde Schulen führen dazu, dass alle

Schüler mit unterschiedlichem Kenntnisstand

oft in einer Klasse untergebracht werden.

Das ist der Fall in entlegenen Dörfern, in denen

ein Lehrer oder eine Lehrerin alle Fächer

unterrichten muss. In Metropolen sind Schüler

gemäß ihrem Einschulungsalter untergebracht.

Bildungsbehörden der indischen Bundesländer

setzen die Obergrenze der Klassengröße nach

der Bewohnerzahl in den jeweiligen Städten und

die Zahl der zertifizierten Schulen fest.

Eltern sind verpflichtet, die gesetzlich fest-

gelegte Schulpflicht einzuhalten. Sozio-

ökonomische Faktoren ermöglichen es nicht

immer, dass ein Kind die Schule abschließen

kann. Politisch beeinflusste Programme wie z.B.

die kostenlose schulische Ausbildung für alle

Mädchen in der Altersgruppe zwischen 6-16

führen dazu, dass Regierungsschulen oft

überfüllt sind. Kasten in der indischen

Gesellschaft, die ökonomisch benachteiligt sind,

haben in jeder Schule eine Sonderquote an

reservierten Schulplätzen. Dabei muss man

bedenken, dass über 50% der indischen

Bevölkerung zu diesen Kasten gehört.

Gute berufliche Chancen werden nur mit einer

guten akademischen Qualifikation in bekannten

Schulen garantiert. Daher ist das Schulwesen in

Indien zu einem lukrativen Geschäft geworden.

Größere Gruppen im Unterricht machen das

Geschäft rentabel.

Erziehung ist ein Privileg in Indien und keine

Selbstverständlichkeit. Eltern wollen ihre

Kinder in gute und renommierte Schulen

schicken, damit die zukünftigen Karriere-

möglichkeiten gesichert sind. Die Klassengröße

ist daher oft kein Kriterium für die Qualität des

Unterrichts in einer Schule.

Schuladministratoren und hochrangige Ent-

scheidungsträger in den Bildungsbehörden

reagieren auf die mangelnde Finanzierung und

vergrößern die Klassenstärken und übersehen

oft die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte von

großen Klassen. Es gibt einen ernsthaften

Bedarf an Aus- und Fortbildung für Lehrer und

Lehrerinnen in großen Schulklassen.

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Eine zahlenmäßige Definition einer Großgruppe

variiert von Land zu Land. In Indien haben

wir bei dem Großgruppendidaktik-Forschungs-

projekt folgende Klassengrößen festgestellt: 30-

50 Schüler/Studenten gelten als eine kleine

Großgruppe, 50-70 sind eine mittlere Großgruppe

und über 70 Schüler/Studenten bilden eine große

Großgruppe.

Für den Deutschunterricht aber, wie auch in

anderen Fächern, stellt die Gruppengröße eine

große Herausforderung dar. In den meisten öffent-

lichen und in manchen privaten Schulen und

Colleges sind große Gruppen die Norm. Im Fol-

genden sind ein paar Herausforderungen kurz

aufgelistet:

Lehrerbezogene Herausforderungen

Binnendifferenzierung in heterogene Gruppen –

Die Lehrkraft kann physisch und zeitlich

einen binnendifferenzierten Deutschunterricht

oft nicht leisten. Die Heterogenität der Gruppe

sollte aber nicht als Problem gesehen werden,

sondern eher als Chance, einen differenzierten

Unterricht zu gestalten.

Disziplin in großen Gruppen - Störungen im

Unterricht. Das Schulmanagement fordert von

der Lehrkraft eine sehr strenge Disziplin in der

Klasse. Alle Schüler müssen sitzen und so

wenig wie möglich reden. Es ist eine

Herausforderung für den Lehrer und die

Schüler, interaktives Unterrichtsgeschehen ohne

viel Lärm und Chaos durchzuführen. Die

Erfahrung zeigt, dass die Durchführung

handlungsorientierter Aktivitäten das erste Mal

oft mit Lärm und Chaos verbunden ist. Sobald

die Schüler/-innen aber lernen, mit solchen

Aktivitäten umzugehen, reduziert sich der

Lärmspiegel deutlich und der Deutschunterricht

wird als Spaß gesehen.

Mangel an Platz für Gruppenarbeit und

interaktiven Unterricht. Räumliche Begren-

zungen behindern oft die Durchführung von

schönen und interessanten Unterrichtsideen zum

ganzheitlichen Lernen.

Erreichen der Lernziele. Mangel an Zeit und die

Größe der Gruppen machen das Erreichen der

Lernziele zu einer großen Herausforderung.

Alle Fertigkeiten können nicht richtig eingeübt

werden. Fertigkeiten wie das Hören und

Sprechen werden oft weniger geübt, da sie eine

aktive Teilnahme fordern. Passive Kenntnisse

beim Lesen und Schreiben werden oft schnell

und problemlos erworben.

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Schülerbezogene Herausforderungen

Passives Lernverhalten. Eine aktive Teilnahme

ist oft verpönt. Der Schüler entwickelt und lernt,

dass die passive Lernmethode die beste ist und

bevorzugt sie in allen Lernsituationen.

Anonymität. Die soziale Entwicklung eines

indischen Kindes unterstützt die Anonymität in

einer Gruppe, sei es die Familie, Kaste oder der

Freundeskreis. Indische Schüler finden es daher

unangenehm, wenn ihre Individualität gefragt

ist Daher ist Gruppenarbeit ideal in solchen

Situationen.

Lernstil und Lerntyp. Die Lehrkraft hat oft

wenig Geduld und Zeit, auf jeden Lernstil und

Lerntyp individuell einzugehen und Aktivitäten

so zu fördern, dass sie alle Kriterien berück-

sichtigt.

Institutionelle Herausforderungen

Unterrichtseinheiten zu kurz. In der Sekun-

darstufe dauert der Unterricht 35 Minuten und

im Junior College (11. und 12. Klasse) 45

Minuten. Nach langem Überreden gelingt es der

Lehrkraft manchmal, das Schulmanagement zu

überzeugen, zwei Unterrichtseinheiten à 35

Minuten zusammenzulegen, damit genug Zeit

für einen guten Unterricht bleibt.

Anzahl des Deutschunterrichts pro Woche. Da

Fremdsprachenunterricht in den meisten

Schulen keine große Wichtigkeit genießt, wird

weniger Unterrichtszeit in den Klassen pro

Woche für den Deutschunterricht zuge-

sprochen. Meistens ist es 3-4 mal in der Woche.

Konkurrenz zu anderen Fächern. Nach den

meisten Eltern und dem Schulmanagement

gelten naturwissenschaftliche Fächer als

wichtig, da sie beruflich von Bedeutung sind.

Daher wird der Deutschunterricht/Deutsch-

lehrer oft zeitlich und räumlich benachteiligt.

Trotz der institutionellen und der Lehrer- und

Schüler-Schwierigkeiten, die große Gruppen ver-

ursachen, bieten sie gleichzeitig interessante

Chancen und Möglichkeiten für einen interaktiven

Unterricht.

Ein grundsätzlicher Konzeptwechsel ist hier ange-

sagt. Beobachtungen und Hospitationen in den

Klassen mit großen Gruppen haben gezeigt, dass

der durchschnittliche Schüler mit den bisherigen

Unterrichtsmethoden und Vorstellung unzufrieden

ist. Ein Methodenwechsel im Unterricht dürfte den

Schülern und Schülerinnen also verständlich, plau-

sibel und schließlich fruchtbar für sie sein. Die

Aufgabe des Lehrers ist es, die Vorstellungen der

Schüler zu erfassen und den Unterricht auf sie

abzustimmen, damit dem Lerner der Weg zu einem

systematischen, wissenschaftlichen Blick geebnet

wird.

Dabei ist die Vorbereitung der Lehrer eine wichtige

Voraussetzung. Die Lehrkraft muss sich einem

selbstkritischen Durchdenken der eigenen Lehrer-

rolle unterziehen. Die Anerkennung und Reali-

sierung von autonomen Lern- und Unterrichts-

prinzipien hilft dabei. Unterschiedliche Lernange-

bote, z.B. Partnerarbeit, Gruppenarbeit, freies

Sprechen ohne Angst vor den eigenen Fehlern,

müssen ermutigt und können im Unterricht ange-

wendet werden. Eine erweiterte Themenwahl, bei

der das Lebensumfeld und die Erfahrungen der

Schüler/-innen mit berücksichtigt werden, kann

den oft eintönigen Deutschunterricht interessant

machen. Die Umgestaltung der Lernumgebung

kann einen großen Beitrag zur Erhöhung der

Lernmotivation darstellen, z. B. Klassenraum-

wände mit selbst hergestellten Postern schmücken,

Projektarbeitergebnisse im Klassenzimmer ausstel-

len, wenn möglich eine Klassenbücherei mit Bild-

wörterbüchern und Ordnern für selbst erstellte

Bildersammlungen usw. anbieten.

Ziel ist es, dass man einen interessanten, inter-

aktiven und Erfolg bringenden Deutschunterricht

mit wenigen Mitteln, viel Einsatz seitens der

Lehrer und Schüler gestalten kann. Man darf nicht

vergessen, Jugendliche finden es sehr schwierig,

still zu sitzen. Sie heißen physische und geistige

Bewegung sehr willkommen. Den ganzheitlichen

Lernprinzipien entsprechend kann man passive

Schüler/-innen dazu bringen, im Deutschunterricht

in einer großen Gruppe mitzuwirken.

Es wäre ideal, wenn man als Deutschlehrer

kleinere Klassen hätte. Die wirtschaftlichen und

traditionellen Gegebenheiten, von denen die

meisten Entscheidungen in den Schulen getragen

sind, werden es nicht zulassen. Die Alternative ist,

einen ernsthaften Versuch durchzuführen, die

Situation zu verbessern, indem man Prioritäten

innerhalb des realistischen Kontexts setzt, den wir

in der Schulbildung haben.

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Germanistik an der Universität Mumbai, Indien

VIBHA SURANA / MEHER BHOOT

D ie Universitä t Mumbai (früher

Bombay) ist nicht nur das älteste

Zentrum der Germanistik in Indien, das

Department of German ist vielmehr mit

derzeit etwa 1000 DaF/Germanistik-Studenten/

Doktoranden, sechs festen Lehrstellen (darunter

eine von einer Humboldtianerin, zwei von

ehemaligen DAAD-Stipendiaten und drei weiteren

zeitweilig besetzt), etwa zwanzig Gastdozenten

und drei internationalen Projekten auch eine der

aktivsten Germanistik-Abteilungen in Indien. Inter-

kulturelle Studien bilden in den letzten 30 Jahren

den Schwerpunkt für Forschung und Lehre.

D I E A N F Ä N G E V O N D A F U N D G E R M A N I S T I K

Der Deutschunterricht in Mumbai hat eine viel

ältere Tradition, als angenommen wird. Die

historische Entwicklung der Germanistik an der

Universität Mumbai fängt 1911-12 mit der

Genehmigung des Syllabus für einen B.A.-

Studiengang in der Germanistik ab 1913 an.

Unmittelbar darauf wird an der Universität Mumbai

ein fester Lehrplan für M.A. in Germanistik für die

Jahre 1916-18 genehmigt.

Ausgerechnet am 3. Oktober 1910 nimmt der Senat

der Universität den Vorschlag des damaligen

Rektors an, Bestimmungen für die Einführung von

modernen europäischen Sprachen (darunter auch

Deutsch), Geschichte, Philosophie, Logik und

Mathematik als Studieninhalte zu entwerfen1.

Bereits 1911 wurde das Board of Studies gegründet.

Ab 1911-12 konnten Studie-rende Englisch und

moderne Sprachen wie Deutsch und Französisch

wählen2. So studierte man ab 1913 nebst deutscher

Grammatik Lyrik, Prosa und Dramen.

Mit literarischen und sprachlichen Kursen ist die

Geschichte des Deutschunterrichts in Mumbai

Zeuge des politischen Wandels in Indien und

Europa. Beide Weltkriege markieren Meilensteine

in der Geschichte der Germanistik in Mumbai.

Während der Kriegsjahre zwischen 1914-18 werden

die deutschen und österreichischen Lektoren

zurückgerufen. Von 1942-1946 verbringt der erste

Professor in der indischen Germanistik, R. V.

Paranjape, seine Zeit in München, wo er deutsche

Literatur und englische Sprache unterrichtet. Mit

seiner Ankunft 1947 am Elphinstone College

beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der

Germanistik in Mumbai.

In den 60er Jahren erweitert die Universität

Mumbai die Kurse und 1964 wird das Department

of Foreign Languages gegründet. Französisch,

Russisch, Arabisch, Persisch und im Jahr 1965

Deutsch3 werden unter einen institutionellen „Hut“

gebracht. 1966 wird Dr. Paranjape zum Leiter der

Abteilung und bekommt die erste Professur für

Germanistik in Indien. Bis zu seiner Emeritierung

1974 wird Deutsch an zahlreichen Colleges wie

Khalsa, SIES, Ruparel, Jai Hind usw. unterrichtet.

Als die Zahl der Studierenden an der Universität

Mumbai wuchs, wird ein neuer Campus gesucht.

Anfang der 80er Jahre ziehen viele Abteilungen

nach Kalina um. Vom 16. August 1980 bis 21. Juli

1982 wird das Department von Prof. Vridhagiri

Ganeshan geleitet. Allmählich werden die BA- und

MA-Kurse auch geographisch getrennt. Der BA-

Studiengang wird am Elphinstone College weiter

geführt und wird zum Erbe von Südmumbai. Lange

ist es das einzige College in Mumbai, wo man einen

BA-Abschluss im Fach Germanistik erwerben

kann. Der neue Campus in Kalina in Nordmumbai

bietet dann den MA-Studiengang in Germanistik

an.

D I E E N T W I C K L U N G

Das Jahr 1988 markiert einen weiteren Wandel in

1 Ebd. S. 69. 2 University of Mumbai. Calendar 1913-14, Vol. 1. Bombay 1913. S. 811. 3 Annual Report 1965-66, S. 79

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

37

der Geschichte der Germanistik. Als 1988 Prof.

Annakutty V. K. Findeis die Professorenstelle

annimmt, wird das Curriculum nach und nach

interkulturell gestaltet. Sie führt die indische

ästhetische Theorie in den Lehrplan der

Germanistik ein und plädiert durchgehend für

eine interkulturelle Germanistik. Kurse wie

Philosophie, europäische Kulturgeschichte,

indische ästhetische Theorie, westliche Literatur-

theorien, sogar Migrantenliteratur, sowie Sprach-

wissenschaft werden in den MA-Kurs eingebaut.

Deutsche, österreichische und schweizerische

Literatur wird nebeneinander gelehrt. Regel-

mäßige Kolloquien für Doktoranden bereichern

die Forschungsarbeiten. DaF-Kurse werden ab

1994 auch sonntags angeboten. Bis in die späten

90er Jahre gibt es über 1000 Lernende, die

Deutsch als Fremdsprache lernen.

Mit ihrem Einsatz werden Sonderkurse in DaF für

Firmen und IIT, Mumbai angeboten. Nicht nur

das Magisterstudium, auch Forschung wird zu

einem integralen Bestandteil des Unistudiums.

Unter der Betreuung von Prof. Annakutty

V. K. Findies haben bis jetzt 11 Studierende

promoviert. 1996 wird der M.-Phil.-Kurs einge-

führt. Zahlreiche renommierte Gastprofessoren,

Theaterpersönlichkeiten, Schriftsteller sowie die

deutsche, österreichische und schweizerische

Diplomatie besuchen das Department. Gastvor-

träge, Workshops, Kolloquien und internationale

Tagungen werden zum integralen Teil des

akademischen Kalenders.

Während die Academia in der Abteilung expan-

diert, löst sich das Department of Foreign

Languages auf. 1993 wird es zum Department of

German/Russian und seit 2003 heißt es Depart-

ment of German. Mit dem Schwerpunkt Inter-

kulturelle Germanistik setzt sich Prof. Annakuttys

weiter für Sprachen ein, plädiert für die

Einführung von asiatischen Sprachen. 2001

beginnt der Certificate-Kurs für Japanisch. Heute

bietet die deutsche Abteilung zusätzlich Kurse für

Certificate, Diploma, Advanced Diploma in

Japanese, und Conversational Course in

Japanese und Business Japanese an.

Als 2003 Prof. Annakutty emeritierte, übernahm

Dr. Madhuri Bajpai die Leitung. Jetzt wird zum

ersten Mal der Teilzeitskurs für Übersetzung und

Tourismus eingeführt, den Prof. Annakutty schon

in die Wege geleitet hatte. 2006 wird unter Dr.

Bajpais Leitung der BA-Kurs vom Department of

German auf dem Uni Campus in Kalina ein-

geführt und das 5-jährige integrierte Programm

für BA- und MA-Studiengänge wurde angeboten.

Mit der Einführung des BA-Kurses auf dem

Kalina-Campus findet Maria Stuart ihren Weg

dahin wie bereits 1913-1917. 2008 werden die

Studierenden des zweiten BA-Jahres ausgewählt,

um an dem internationalen Workshop zum

Thema “Mobilität” in Stuttgart teilzunehmen.

Aus aller Welt werden nur sieben Gruppen

ausgewählt, darunter die Studierenden der

deutschen Abteilung der Mumbaier Universität.

Sie fliegen zusammen mit Dr. Bajpai nach

Stuttgart. Zu ihrer Zeit wird das Memorandum of

Understanding (MoU) mit der Universität

Klagenfurt unterschrieben.

Als Dr. Bajpai Anfang 2009 in den Ruhestand

tritt, wird Prof. Dr. Vibha Surana Leiterin der

Abteilung. Als Humboldtstipendiatin macht

sie die Forschung wieder zum Schwerpunkt

der deutschen Abteilung. Vier Studentinnen

schreiben sich für eine Doktorarbeit ein. Die

akademischen Studiengänge werden neu konzi-

piert, so dass sie einerseits eine allgemeine

Geistesbildung beinhalten und zugleich Berufs-

chancen nach dem Abschluss eröffnen. Die

Studierenden können einen MA mit Schwerpunkt

Übersetzung oder Kulturwissenschaft machen.

Neue Kurse wie Filmstudien, Komparative

Ästhetik oder Einführung in die Kultur-

wissenschaft werden zum Teil des MA-

Programms im Fach Germanistik. Neben Kursen

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

38

zur klassischen deutschen Literatur werden Kurse

über zeitgenössische deutsche Literatur ange-

boten. Um die deutsche Sprache zu verbessern,

werden für BA- und MA-Studierende zusätzliche

Kurse wie Deutsch für Fortgeschrittene ange-

boten. Unter Prof. Suranas Leitung werden zum

ersten Mal Projekte eingeführt, wodurch Studie-

rende aus dem Department die Gelegenheit

wahrnehmen können, ein Semester in Deutsch-

land zu verbringen. Mit akademischem Austausch

von Studierenden, Praktikanten und Doktoranden

werden gemeinsame Forschungsprojekte mit

deutschen Universitäten durchgeführt.

Das erste Projekt beginnt 2009 unter dem Titel

„Interkultureller Topos Hafenstadt: Mumbai und

Hamburg im medialen Vergleich. Prof. Vibha

Surana und Prof. Ortrud Gutjahr von der

Universität Hamburg leiten das Projekt. Das

Projekt wird vom DAAD (A New Passage to

India) und vom Bundesministerium für Bildung

und Forschung, Deutschland unterstützt.

Gemeinsame Filmanalysen deutscher und in-

discher Hafenfilme von deutschen und indischen

Studierenden, Doktoranden und Professorinnen

bringen aufschlussreiche Einsichten. Die Ergeb-

nisse der ersten Phase dieses Projekts sind in

einem Film festgehalten, der von den indischen

und deutschen Studierenden und Doktoranden

produziert wurde. Eine detaillierte Publikation

der Projektergebnisse ist in absehbarer Zukunft

vorgesehen. Da Mumbai und Hamburg als

Hafenstädte eine reiche Palette für Forschung

bieten, wird die zweite Phase des Projekts mit

Professor Ortrud Gutjahr 2014 im Rahmen des

DAAD-Förderprogramms PPP-Indien-UGC in

Angriff genommen. Das Thema ist Mediale

Semantisierung maritimer Urbanität: Die Hafen-

städte Hamburg und Mumbai im Vergleich. Ziel

ist die Beantwortung der Frage, inwiefern die

literarischen und filmischen Inszenierungen der

Hafenstädte Hamburg und Mumbai eine auf das

Meer bezogene, interkulturelle Urbanität in den

Blick nehmen. Beteiligt an dem Projekt sind

Ortrud Gutjahr, Stellan Pantleon, Vibha Surana,

Meher Bhoot und Girissha Tilak.

2010 wird insofern ein besonders ergiebiges Jahr,

als der DAAD das gemeinsame Forschungs-

projekt zum Thema “Mehrsprachigkeit” fördert

und die Universitäten Mumbai, Göttingen und

Pune eine germanistische Institutspartnerschaft

(GIP) ins Leben rufen. Nochmals haben die MA-

Studierenden und Doktoranden die Gelegenheit,

ein akademisches Semester in Deutschland,

dieses Mal in Göttingen, zu verbringen. Eine

nennenswerte Leistung dieses Projekts wird darin

bestehen, dass die Universitäten von Mumbai und

Göttingen einen Transfer von Credits im jewei-

ligen Semester anerkennen werden. Das Projekt

fördert auch den Austausch von Lehrkräften.

Darüber hinaus wird im Rahmen dieses Projekts

jährlich eine gemeinsame interdisziplinäre Tagung

organisiert. Der Band Inszenierte Mehr-

sprachigkeit. (Con)texting Multilingualism wird

von Andrea Bogner, Manjiri Paranjape, Vibha

Surana und Meher Bhoot herausgegeben und

erscheint bald beim Transcript-Verlag.

Mehrsprachigkeit und Interkulturalität werden

weiter mit einem Übersetzungsprojekt am

Department of German gefördert. Vibha Surana

und Meher Bhoot haben in Zusammenarbeit mit

Susanne Koopmann und Sabine Arenz einen

Übersetzungsband Einfach menschlich herausge-

bracht. Er enthält 15 Kurzprosatexte, die aus

indischen Sprachen wie Hindi, Marathi und in-

dischem Englisch ins Deutsche übersetzt worden

sind. Der Band ist mit Mitteln der Uni Mumbai

2011 im Draupadi-Verlag in Deutschland ver-

öffentlicht worden. Sowohl das städtische als auch

das ländliche Leben werden zum Hintergrund

dieser Texte, die facettenreiche menschliche Be-

ziehungen darstellen. Das Projekt befindet sich

jetzt in der zweiten Phase.

Der Diskurs über die Theorien, Konzepte und

Inszenierungen der Mehrsprachigkeit gewinnt mit

tatkräftigem Engagement für die Förderung der

sprachlichen Vielfalt an Sinn. Seit August 2012

leitet Vibha Surana ein innovatives Projekt, um mit

Hilfe der kommunikativen Methode des DaF-

Unterrichts in Zusammenarbeit mit Marathi-

Experten den Erwerb der regionalen Sprache

Marathi durch Produktion von Lehrmaterialien für

Nicht-Muttersprachler zu erleichtern.

Zum 100-jährigen Jubiläum der Germanistik an der

Universität Mumbai wird in Zusammenarbeit mit

der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik

(GIG) eine internationale Tagung zum Thema

Komparative Ästhetik(en) (15.12.-21.12.14) orga-

nisiert. Über 50 Germanisten aus aller Welt und

etwa 30 indische Germanisten sind aktiv daran

beteiligt.

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

39

Überlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenpädagogik im

Zeitalter der Globalisierung

MADHU SAHNI

D ie Auswirkungen der wirtschaftlichen

Globalisierung sowie der Liberali-

sierung der Märkte haben für den

Fremdsprachenunterricht in Indien

sowohl auf universitärer Ebene wie auch für die

Sprachinstitute gewisse Folgen. Das Paper

diskutiert das Deutschlernen und -lehren im

Kontext eines Hochschulstudiums (B.A.) im

Zeichen der Globalisierung und des Begleit-

phänomens bzw. der Vermarktung von Sprach-

kenntnissen. Die Entwicklung der Informations-

technik(industrie) seit den 90er Jahren führte auch

zu einer verstärkten Nachfrage nach jungen

Menschen mit Sprachkenntnissen. Jobs in dieser

Industrie waren zunächst gesichert, dabei mussten

die Sprachkenntnisse nicht unbedingt von höherer

Qualität sein, denn die Firmen boten auch nach

Eintritt in den Job genügend Gelegenheit zur

beruflichen Weiterbildung. Mit Recht spricht die

Webseite des Goethe-Instituts von einem

‚Deutsch-Boom‘. Deutschkenntnisse gelten als

‚Pluspunkt‘ bei der Arbeitssuche, denn es gibt

mittlerweile viele deutsche Firmen in Indien1.

In einer Untersuchung über den ‚new sun-shine

sector‘ (Ramesh, p. 492) äußerte sich Babu P.

Ramesh skeptisch über die Zukunft dieser In-

dustrie. Gebrochene Identitäten, geborgte Identi-

täten – man sei gezwungen, tagsüber als Inder zu

leben und nach Sonnenuntergang als Abend-

länder. Man müsse sich mit verärgerten und

aggressiven Kunden abfinden. Es sei, so Babu P.

Ramesh, eine Industrie, die ‚expensively educated

cheap labour‘ anstellt (Ramesh, 496). Ferner

macht Ramesh auf die hohe Personalabbaurate

aufmerksam. Es gebe demzufolge keine

Arbeitsplatzsicherheit2. Susan Sontag war ganz

anderer Meinung und sah im Florieren der

Business-Process-Outsourcing-(BPO)-Industrie in

Indien endlose Gelegenheiten für Menschen mit

Englisch- und Fremdsprachenkompetenz. In

ihrem Essay ‚Die Welt als Indien. Übersetzen als

Kunst der Anverwandlung des Fremden‘ meinte

sie, eine Befragung unter diesen Menschen habe

ergeben, dass ‚Nancy‘ oder ‚Bill‘, ‚(…) wirklich

lieber die echte Nancy und der echte Bill‘ wären.

(Sontag, 85)

Die im Jahr 2008 initiierte PASCH-Initiative des

Auswärtigen Amts der Bundesrepublik bietet die

weitere große Chance für Absolventen eines

Deutschstudiums. Zurzeit ist die BPO-Industrie

der größte Arbeitgeber für die Mehrheit der

Fremdsprachenabsolventen der Jawaharlal-Nehru-

Universität. Studenten, die seit Ende der 90er-

Jahre ein B.A.- oder ein M.A.-Studium in Deutsch

abschließen, müssen nicht mehr notwendiger-

weise traditionelle Beschäftigungen wie etwa in

der Tourismusbranche oder im Lehramt auf-

nehmen oder sich in anderen Bereichen weiter-

bilden. Fremdsprachenlernen ist nicht mehr eine

elitäre Beschäftigung für gebildete junge Inder. Es

ist zu begrüßen, dass eine Mehrheit der Studenten

sich am Ende eines B.A.-Studiums in Fremd-

sprachen auf einen gesicherten Job und auf öko-

nomische Selbstständigkeit freuen kann. Doch

was nehmen diese Studenten außer gewissen

Sprachkenntnissen mit? Wie haben sie die Spra-

che erworben und mit welchem Ziel? War es

tatsächlich nur, um einen Job bei einer BPO-

Industrie zu bekommen, gab es also nur eine

extrinsische Motivation? Daher ist die Frage nach

dem ‚Wie‘ des Lernens und Lehrens wichtig. Eine

veränderte Lehr-und Lernsituation verlangt eine

Grundsatzdiskussion über die Unterrichtspraxis.

Wie könnte eine Fremdsprachenpädagogik in

einer globalisierten Welt aussehen, wo Homoge-

nisierungsbestrebungen und Identitätspolitik trotz

eines scheinbaren Widerspruchs parallel exis-

tieren?

Sprachkenntnisse sind jetzt ‚wirtschaftliche

Güter‘ und wie Block und Cameron in

Globalization and Language Teaching (Block &

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

40

Cameron, 5) behaupten, diese Verwirtschaft-

lichung wirke sowohl auf die Motivation wie

auch auf die Wahl der Sprache. Motivation sei

eng verbunden mit dem materiellen, monetären

Wert der Sprache und habe wenig mit Interesse

an Kultur oder Literatur des Ziellandes oder dem

Wissen über das Land zu tun. Aber Sprachen-

lernen ohne Kulturerfahrung ist undenkbar, unge-

achtet der Debatten um die soziale Irrelevanz von

Literatur. Häufig entwickelt sich ein Kommuni-

kationsproblem zwischen den Lehrenden, die oft

noch einem humanistischen und gesellschafts-

transformierenden Bildungsideal verpflichtet

sind, und der Mehrheit der Lernenden, die Spra-

chenlernen mit marktkompatiblen Fertigkeiten

gleichsetzen. Fragt man Studenten heute, warum

sie Deutsch lernen wollen, hört man oft, dass sie

an der Jawaharlal-Nehru-Universität (JNU als

Markenname) studieren wollten. Manche er-

wähnen auch die herkömmlichen Gründe, man

wolle ins Ausland, sei an einer fremden Kultur

interessiert, wolle die Kultur von Hegel und Marx

kennen lernen usw.

Ein weiteres Phänomen lässt sich erkennen: Das

Profil des Sprachenlernenden hat sich grund-

legend geändert. Im B.A.-Programm der School

of Languages an der JNU studieren heute

wesentlich mehr Männer als Frauen. Das ist inso-

fern wichtig, als die BPO-Industrie einen

‚gendered‘ Arbeitsplatz darstellt und demzufolge

nicht frauenfreundlich ist (Ramesh, p.496f). Als

im Jahr 1982 die Universität zum ersten Mal in

ihrem Jahresbericht die Zahl der männlichen und

weiblichen Studierenden dokumentierte, stand

fest, dass in der School of Languages mehr

Frauen als Männer studierten. Unter den ins-

gesamt 348 Studenten gab es 191 Frauen. Der

Unterschied zwischen den Zahlen der männlichen

und weiblichen Studierenden war damals nicht

sehr groß, doch das änderte sich in den folgenden

Jahrzehnten stark. Laut Statistik des akade-

mischen Jahres 2014-15 absolvieren 540 Männer

und 321 Frauen in der School of Languages ein

B.A.-Studium. Das ist immerhin ausgeglichener

als in den Jahren 2007-2008. Damals bekamen

210 Männer und 40 Frauen eine Zulassung zum

B.A.-Studium. Im selben Jahr haben insgesamt

935 Männer und 557 Frauen einen Studienplatz

an der JNU erhalten. Es kam zu einer Reform in

der Zulassungspolitik, in deren Gefolge Frauen

zusätzlich 5 Punkte bei der Aufnahmeprüfung

erhielten, um dieses Missverhältnis auszu-

gleichen. Im Jahr 2008-2009 bekamen 778

Männer und 757 Frauen einen Studienplatz an der

Universität. In den drei großen Schulen der JNU3

studierten nur in der School of Language,

Literature and Culture Studies (SLL & CS)

weniger Frauen. Dieser Trend entwickelte sich

weiter und im Jahr 2013-2014 bekamen ins-

gesamt 2089 Personen einen Studienplatz, davon

1055 Frauen und 1034 Männer (unten in der

Abbildung exemplarisch dargestellt). Hier muss

erwähnt werden, dass diese Statistik leicht ver-

zerrt ist, da es nur in der SLL & CS ein B.A.-

Programm gibt. Wenn man einen Blick auf die

Zahlen der M.A.-Studenten in der SLL & CS

wirft, stellt man fest, dass die Statistiken der drei

Schulen nicht so stark voneinander abweichen.

Im Jahr 2009-2010 bekamen 64 Männer und 63

Frauen einen Studienplatz für das M.A.-

Programm, dagegen wurden 244 Männer und 79

Frauen zum B.A.-Studium zugelassen4.

Zahlen der neu aufgenommenen Studenten an den drei Schulen exemplarisch dargestellt

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

41

Wie erklärt man diesen zunehmenden Rückgang

der Frauenbeteiligung am Sprachenlernen an der

JNU? Über 50% der B.A.-Fremdsprachen-

studenten kommen aus indischen Kleinstädten,

sind männlich, verfügen häufig nur über geringe

Englischkenntnisse und haben ein begrenztes

Interesse an literarischen bzw. kulturellen Aspek-

ten der Zielkultur. Nicht selten gehören sie zur

ersten Generation von Collegestudenten in der

Familie. In den 80er Jahren haben dagegen vor-

wiegend Frauen ein Sprachstudium aufge-

nommen, das als elitär galt, denn mit diesem

Studium hatte man keine Garantie auf einen

Arbeitsplatz.

Wie gewöhnen sich nun die heutigen Stu-

dierenden an die neuen, ihnen fremden Lern-

bedingungen? Bleiben sie Außenseiter oder

passen sie sich an? Diese Optionen sind im

Grunde Auswege, sie stellen kein echtes Enga-

gement in der akademischen Umwelt dar, in der

sie sich befinden.

Der positive Aspekt dieses Wandels ist das

veränderte Selbstbild der Männer. Junge Stu-

denten schätzen sich nicht mehr negativ ein, weil

sie ein Fach gewählt haben, das traditionell als

‚weiches‘ und ‚weibliches‘ Fach gegolten hatte.

(Es gab selbstverständlich immer Ausnahmen.)

Grund dafür sind die neuen Berufschancen, die

sich jetzt dank der Sprachkenntnisse bieten. Die

gesellschaftlichen Aufstiegschancen, die durch

den Erwerb von Fremdsprachen heute ermöglicht

werden, sind durchaus attraktiv. Allerdings unter-

schätzen viele Studenten die Leidenschaft und die

Disziplin, die man für den Erwerb einer Sprache

braucht, und daher ist trotz eines nahezu ge-

sicherten Arbeitsplatzes nach dem Abschluss des

B.A.-Studiums die Abbruchquote relativ hoch.

Das ist besorgniserregend, denn die Studierenden

beginnen ihr Studium mit hohen Erwartungen, die

auch von ihren Familien geteilt werden5.

Man will sich oft nur die ‚Sprache‘ aneignen, und

die ‚Kultur‘ ist weniger ‚interessant‘. Gerade hier

liegt die größte Kluft zwischen den Erwartungen

der Lernenden und Lehrenden. Hinzu kommt, dass

für die Mehrheit der Studierende das Sprachen-

studium keineswegs die erste Wahl war, sondern

lediglich für 37.87%, von denen 52% sich an

erster Stelle für Deutsch entschieden6. Was be-

deutet das für die Konzeption des Fremdsprachen-

unterrichts? Wie kann man die Lerner motivieren?

Allein das geänderte Lernerprofil und die Ver-

wirtschaftlichung der Sprachkenntnisse erklärt

nicht hinreichend, warum viele Studenten die er-

wartete Sprachkompetenz trotz eines Sprach-

unterrichts von 20 Wochenstunden nicht er-

reichen. Ein kurzer Einblick in die Praxis des

schulischen Sprachunterrichts sowie in die Bil-

dungspolitik wird dazu beitragen, diese Leis-

tungslücke zu erklären.

D I E S T E L L U N G D E S S P R A C H E N L E R N E N S I M I N D I S C H E N B I L D U N G S W E S E N

Hier soll anhand von zwei Dokumenten ein

kurzer Überblick zum Stellenwert des Sprach-

unterrichts im Bildungswesen sowohl auf der

schulischen wie auch auf der universitären Ebene

skizziert werden. 2000/2001wurde das letzte Mal

ein ‚Curriculum Development Committee for

English and other Western Languages‘ gebildet.

Weil im Anschluss daran kein Treffen der

Fremdsprachenexperten auf universitärer Ebene

mehr stattfand, beziehe ich mich auf den Bericht

des Komitees sowie auf den Bericht der ‚National

Knowledge Commission‘ von 20057, um auf zwei

wichtige Beiträge zur Entwicklung eines Sprach-

curriculums auf nationaler Ebene einzugehen.

Diese beiden Dokumente dienen hier als Refe-

renzrahmen, um die staatliche Bildungspolitik im

Hinblick auf den Sprachunterricht zu analysieren.

Im Vorwort des Komitees für Englisch und

andere westliche Sprachen erklärt die University

Grants Commission (UGC), Fremdsprachen

werde viel zu wenig Beachtung geschenkt und bis

jetzt gebe es noch keine unabhängige Kommis-

sion für Fremdsprachen. In diesem Dokument

werden Zertifikatskurse, B.A. und M.A. sowie

M.Phil und Ph.D. in (abendländischen) Fremd-

sprachen diskutiert. Allerdings liefert dieses

Dokument keinerlei neue Ergebnisse. Zwei

Vorschläge sind jedoch zu erwähnen: Zum einen

wird im Einklang mit der ökonomischen Libera-

lisierungspolitik Indiens auf die Notwendigkeit

der Förderung von Fremdsprachenkompetenz für

sogenannte ‚need-based‘ Kurse8 und fachspe-

zifische Fremdsprachenausbildung9 hingewiesen,

und zum anderen werden einjährige Fremd-

sprachenkurse für Forschungsstudenten emp-

fohlen, was jedoch nicht begründet wird. Es ist

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

42

zwar selbstverständlich, dass sich die staatliche

Ausbildung auf den Arbeitsmarkt beziehen muss,

doch lässt das Dokument die Frage nach dem

kritischen Potential interkultureller Begegnung

vermissen. Was bedeutet es in einem multi-

lingualen Land wie Indien, in dem laut natio-

nalem Zensus im Jahr 2001 6,7% der Be-

völkerung einen universitären Abschluss haben10,

eine Fremdsprache zu lernen? Dieses Dokument

stellt auch nicht in Frage, warum Sprach-

kompetenz in dieser multilingualen Realität kein

hohes Prestige genießt und warum mit abend-

ländischen Sprachen in erster Linie immer noch

Französisch, Deutsch, Spanisch und Russisch ge-

meint sind. Auch mit der Frage nach der Rolle

des Fremdsprachenlernens an einer Universität

setzt sich dieses Dokument nicht auseinander.

Kurz gesagt fehlt hier der historische, gesell-

schaftliche und politische Kontext des Fremd-

sprachenunterrichts in Indien, dessen Unter-

suchung neue, dem veränderten sozialen Kontext

entsprechende Lehransätze hätte bieten können.

Das zweite in diesem Zusammenhang wichtige

Dokument ist der Bericht der National Know-

ledge Commisison, die im Jahr 2005 gebildet

wurde und die Aufgabe hatte, Richtlinien zu

formulieren, nach denen Indien sich in eine

Wissensgesellschaft umwandeln könnte. Eine der

Empfehlungen dieser Kommission betrifft die

Einführung des Englischen als Pflichtfach in der

ersten Grundschulklasse, denn Englischkennt-

nisse gälten als emanzipierend und würden

Chancengleichheit sichern. Dieses Ziel könnte

durch ein Lehrerausbildungsprogramm erreicht

werden. ‘In order to meet the requirement for a

large pool of English language teachers,

graduates with high proficiency in English and

good communication skills should be inducted

without formal teacher-training qualifications.

They could be selected through an appropriate

procedure developed by the National Testing

Service and then given a short-term orientation.

The nearly four million school teachers all over

the country, regardless of their subject expertise,

especially teachers at the primary level, should be

trained to improve their proficiency in English

through vacation training programs or other short

-term courses’11. Abgesehen von diesem nicht

unproblematischen Lehrerausbildungsprogramm

ist auch schwer zu verstehen, warum dieses

Dokument die Sprachpolitik im Bildungswesen

überhaupt nicht erwähnt. Der Bericht spricht auch

nicht von der Notwendigkeit der Entwicklung

kritischer Kompetenz und selbständiger Denk-

fähigkeit durch einen intensiven Sprachunterricht.

Was sind die Implikationen eines dekontextua-

lisierten Erwerbs des Englischen? Führt dieser

wirklich zu Chancengleichheit, sowohl wirt-

schaftlich wie auch intellektuell?

Dass diese Entwicklung sich parallel zu den

Änderungen in den ökonomischen Strukturen

vollzog, ist nicht überraschend. Indien stellt einen

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

43

enormen Wachstumsmarkt dar. Der Bedarf an

qualifizierten Arbeitskräften ist heute kaum zu

decken.

S P R A C H E N L E R N E N A N D E R S C H U L E

Ein weiteres Dokument, das für die Sprachpolitik

im Bildungswesen prägend war, war der Bericht

der Bildungskommission 1964/66, die als Kothari-

Kommission bekannt ist. Dieser Bericht hat dem

Anschein nach viel Wert auf Sprachenlernen als

Teil nationalen Aufbaus gelegt. Einer der Vor-

schläge, der wirklich ins Schulcurriculum inte-

griert wurde, war die Drei-Sprachen-Formel. Im

Kindergarten verwenden die Schüler nur die

Muttersprache oder die regionale Sprache, in den

nächsten Jahren lernen sie die offizielle oder

associate offizielle Sprache und schließlich sollten

in den Klassen 8 bis 10 drei Sprachen obliga-

torisch sein.

Auf der Universität habe, so der Bericht, diese

Drei-Sprachen-Formel keinen Platz, denn dies

wäre ‘a heavy language load on students and

(would) lead to a waste of scarce resources and

deterioration of standards of subject knowledge in

higher education‘ (KCR, 341). Die Bildungs-

kommission hatte aber nicht behauptet, dass die

Drei-Sprachen-Formel im Dienste eines geistigen

Fortschritts der Schüler einzuführen sei, sondern

aus politischen und sozialen Gründen. Sprachen-

lernen spielt heute im Schulcurriculum keine be-

deutende Rolle und das enorme kritische Poten-

zial, das automatisch durch Sprachenerwerb oder

auch ein bilinguales Lernen zustande gekommen

wäre, wird in den meisten indischen Schulen

vernachlässigt.

Obwohl die Drei-Sprachen-Formel immer noch in

Schulen praktiziert wird, folgt man doch häufig

einem anderen System, wobei English und Hindi

schon in den ersten Schuljahren simultan ein-

geführt werden; ab der 6. Klasse kommt für zwei

Jahre die dritte Sprache hinzu. In einigen Schulen

in Delhi kann man zwischen einer Fremdsprache

und Sanskrit wählen. Ganz deutlich ist, dass einzig

die englische Sprache einen hohen Stellenwert

besitzt. Seit der Unabhängigkeit sind das mit

dieser Sprache verbundene soziale Prestige und die

soziale Mobilität unverändert und unangefochten

geblieben. Im Positionspapier des National

Curriculum Framework (für Schulen) von 2005

wird festgestellt, dass die koloniale Herkunft des

Englischen heute in Indien keine Rolle mehr

spiele. Das Erlernen dieser Sprache symbolisiere

für die Inder eine hohe Bildungsqualität und

erlaube ihnen eine stärkere Teilnahme an

nationalen und internationalen Angelegenheiten.

(NCERT 2006, 1) Ob die koloniale Herkunft des

Englischen heute in Indien in Vergessenheit

geraten ist, mag bestritten werden, aber es ist

unbestritten, dass Englisch als wichtigstes interna-

tionales Verständigungsmittel erlernt werden

sollte. Es ist daher kaum verwunderlich, dass

Eltern es bevorzugen, ihre Kinder in Schulen mit

Unterrichtssprache Englisch zu schicken, und das,

obwohl sie selbst kaum Englisch sprechen und das

Schulgeld in diesen Schulen wesentlich höher ist

als in solchen, in denen die Regionalsprache

Unterrichtssprache ist. Von den 66 Studenten des

Centre of German Studies, die an der oben er-

wähnten Umfrage teilgenommen haben, erhielten

25 ihre Schulbildung in der Muttersprache/

Erstsprache, allerdings wurden von diesen nur 4

bis zum Schulabschluss in der Muttersprache/

Erstsprache unterrichtet. Hier handelt es sich nicht

um bilinguales Lernen. Und aus der Unterrichts-

erfahrung weiß man, dass die Vernachlässigung

der Muttersprache/Erstsprache die Kreativität und

Spontaneität beim Lerner unterdrückt und als

Lernbarriere wirkt. In einem Land, in dem Mul-

tilingualität die Norm ist, wird somit Mono-

lingualität gefördert. Schüler verlernen die Mutter-

sprache/Erstsprache oder können sie nur mit

Einschränkung verwenden. Sie lernen sämtliche

Inhalte entweder auf Englisch oder in der

dominanten Sprache der Region, was in Nord-

indien zumeist Hindi bedeutet. Es scheint, dass

Sprachenlernen innerhalb des Schulsystems heute

ein geringes Prestige genießt, obwohl es sicher-

lich private Schulen gibt, in denen dem Sprachen-

erwerb viel Zeit gewidmet wird.

Der Versuch, Englisch so vielen Schülern und

Studenten wie möglich zugänglich zu machen,

hat in den 90er Jahren zur Einführung des

Kommunikativen Ansatzes in den Schulen geführt,

der dem CBSE-Prüfungssystem folgt. Geht man

von den Lehrbüchern aus, so scheint fraglich, ob

man sich intensiv genug mit dem kommunikativen

Ansatz auseinandergesetzt hat, denn schon ab der

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

44

1. Klasse sollen Schüler grammatische Termini

verwenden, die sie nicht verstehen können. Bei

der Schulabschlussprüfung spielen weder sprach-

liche Korrektheit eine Rolle noch die Fähigkeit,

längere, kohärente Texte zu schreiben. Hinzu

kommt, dass kein Schüler bei der Schulabschluss-

prüfung in einer zweiten Sprache geprüft wird12.

Die Mehrheit der an indischen Schulen und

Universitäten praktizierten Sprachlehr- und Lern-

methoden sind Importe, und, wie A. Suresh

Canagarajah feststellt, Methoden sind keineswegs

wertfreie Werkzeuge, die allein durch empirische

Forschung bestätigt für die praktische Anwen-

dung entwickelt werden, sondern es sind

kulturelle und ideologische Konstrukte mit

politischen und ökonomischen Konsequenzen

(Block and Cameron 2002, 135)13. Sie sind häufig

auch nicht erfolgreich, denn es fehlt eine

ausreichende Lehrerausbildung. Und Methoden,

die für kleinere Gruppen von Schülern/Studenten

entwickelt wurden, funktionieren nicht in

größeren Gruppen von manchmal 40 bis 50

Lernern. Weitere Gründe, warum diese ge-

liehenen Methoden nicht effektiv sind, hängen

mit unterschiedlichen Lerngewohnheiten und

Themen zusammen, die oft kontextspezifisch sind

und sich nicht unmittelbar übertragen lassen.

Daher ist es vonnöten, regionenspezifische Lehr-

und Lernmethoden zu entwickeln.

Für einen überwiegenden Teil der Studenten-

schaft ist Sprachenlernen schon seit der Schulzeit

keine sehr geschätzte Aktivität, und die Studie-

renden haben es kaum mit Begriffen wie Weltan-

schauung, Horizonterweiterung, Meinungsbil-

dung o. Ä. Zu tun. Wenn sie dennoch ein Uni-

versitätsstudium in Fremdsprachen aufnehmen

und es unwichtig ist, was die Motivation dazu ist,

muss man dies als eine Herausforderung und

Chance auffassen, Sprachenlehren und -lernen

dynamisch umzugestalten.

S P R A C H C U R R I C U L A A N D E R U N I V E R S I T Ä T

Was bedeutet das für die Entwicklung eines

Sprachcurriculums an der Universität? Sprach-

lehrer an Universitäten neigen dazu, so früh wie

möglich literarische Texte einzusetzen, denn sie

werden im Gegensatz zu den simulierten Texten

aus Lehrbüchern als authentisch aufgefasst. Lehr-

buchtexte haben, so gesehen, auch eine kompen-

satorische Funktion. Erwachsene sollen an Uni-

versitäten durch Sprachlehrwerke, die meist

künstlich und intellektuell wenig anspruchsvoll

sind, die Zielkultur kennen lernen. So findet man

häufig in Lehrwerken vereinfachte Zeitungstexte,

bei denen der Fokus auf der Schlagzeile liegt, und

die das Passiv vermitteln sollen, oder etwa Ge-

spräche über das Einkaufen. Obwohl der kommu-

nikative und der interkulturelle Ansatz für eine

größere Auswahl an Texttypen gesorgt haben,

bleiben diese oft fern der Realität der Lernenden.

Das gilt insbesondere für die Lernsituation in

Indien. Trotz einer langen Tradition der Be-

schäftigung mit deutscher Sprache und Kultur an

indischen Hochschulen hat man hier kein Lehr-

werk entwickelt, das der Lernsituation besser

gerecht würde. Die Lehrbücher, die am Centre of

German Studies von Anfang an eingesetzt

wurden, sind in Deutschland geschrieben und

entwickelt worden. Solange der Fremdsprachen-

erwerb an Universitäten eine marginale und zum

Teil elitäre Beschäftigung war, stellte das kein

großes Problem dar, denn die europäische Kultur

war vielen Studenten bereits vor Aufnahme des

Sprachstudiums nicht ganz unbekannt. Man

könnte annehmen, dass heute das Internet die

gleiche Funktion ausübt, denn es schafft einen

Zugang zu fremden Kulturen. Doch das entspricht

leider nicht der Realität.

Eines der Hauptziele eines Sprachstudiums ist es,

Raum für einen interkulturellen Dialog zu

schaffen, der Diversitäten respektiert. Ein instru-

mentelles Sprachlernen ohne ein starkes Enga-

gement für die Zielsprachkultur oder die Aus-

gangskultur kann dieses Ziel kaum erreichen.

Einerseits spricht man von einer globalisierten

Welt und gleichzeitig vollzieht sich ein gefähr-

licher Aufschwung des Partikularismus. Vor

diesem Hintergrund kann etwa die legitime For-

derung, man müsse sich mit dem Alten Testament

beschäftigen, wenn man eine europäische Kultur

studiert, als unannehmbar abgelehnt werden. Be-

trachtet man diese Entwicklung im Zusammen-

hang mit dem Bedeutungsverlust der Geistes-

wissenschaft weltweit, wird es dringend not-

wendig, sich einer Pädagogik zuzuwenden, die

dem Dialog verpflichtet ist. Ein dialogischer An-

satz kann dazu beitragen, manche Konfliktzonen

zu überbrücken. Die Lernerautonomie, die den

kognitiven und konstruktiven Ansatz verbindet,

muss im Rahmen einer dialogischen Pädagogik

wirken, wenn der Markt die Studenten nicht bloß

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

45

als billige Arbeitskräfte betrachten will. Es muss

möglich sein, seinen Lebensunterhalt zu ver-

dienen und gleichzeitig seine Autonomie nicht zu

verlieren.

S T E L L T D I E K R I T I S C H E P Ä D A G O G I K E I N E C H A N C E D A R ?

Ohne die Kommerzialisierung des Sprachstu-

diums grundsätzlich abzulehnen und den Grund

für die hohe Abbruchquote ausschließlich bei der

extrinsischen Motivation der Sprachlernenden zu

suchen, stellt sich die Frage, welche metho-

dischen Ansätze zu einer Verbesserung des Dia-

logs zwischen Lernenden, Lehrenden und ihrer

Umwelt führen könnten. Hier sollen einige

Grundideen der kritischen Pädagogik skizziert

und ein Versuch unternommen werden, deren

Relevanz für den Fremdsprachenunterricht in

Indien darzustellen. Die Frage lautet: Kann die

kritische Pädagogik helfen, sowohl Lehrende wie

auch Studenten zu motivieren und den Schritt von

einer nur extrinsischen zu einer intrinsischen

Motivation zu vollziehen? Denn das weitere En-

gagement für das Fach hängt eng damit zu-

sammen, ob man durch die Unterrichtspraxis eine

Beziehung zu sich und seiner Umwelt herstellen

kann oder ob die Unterrichtspraxis realitätsfern

bleibt. Wie kann man durch das Erlernen einer

fremden Sprache die eigene indische Realität und

die Welt besser verstehen? Damit ist nicht der

häufig erwähnte Prozess der Annäherung an die

eigene Kultur durch das Kennenlernen einer

fremden Kultur gemeint, sondern eine Infrage-

stellung der Ideen und Vorstellungen von der

‚eigenen‘ Realität. Norton und Toohey behaupten

mit Recht in der einführenden Bemerkung zu

ihrem Buch Critical Pedagogies and Language

Learning, dass man nicht von ‚der‘ kritischen

Pädagogik sprechen dürfe, vielmehr gebe es eine

Methodenvielfalt, die der lokalen Situation und

den entsprechenden Bedürfnissen angemessen

entwickelt wird. ‘(…) critical pedagogy cannot be

a unitary set of texts, beliefs, convictions, or

assumptions’14.

Die kritische Pädagogik bietet Flexibilität in Lehr

- und Lernmethoden. Hier wird Bezug genommen

auf einige Gedanken der transformativen bzw.

humanisierenden Pädagogik Paolo Freires, die er

in den 60er-Jahren in Lateinamerika entwickelte

und die auch für die Lernsituation in Indien eine

Bedeutung hat. Freire gehört zu den wichtigsten

Stimmen der kritischen Pädagogik, und trotz der

Ablehnung von mancher Seite bleibt seine dialo-

gische Praxis relevant für die Entwicklung einer

emanzipierenden Pädagogik. Die inzwischen

mehr als 50 Jahre alten Ideen von Paulo Freire

sind noch heute für Erziehungssysteme wie das

indische sehr wichtig, denn hier wurden zahl-

reiche Strukturen der kolonialen Bildungssysteme

übernommen, und das trotz der Einrichtung

mehrerer Bildungskommissionen mit fortschritt-

lichen Konzepten, die von der Realität eines mul-

tikulturellen Landes wie Indien ausgehend doch

viele Elemente eines autoritären Erziehungs-

wesens beibehalten haben. Einer der Haupt-

gründe, die für die Pädagogik von Freire

sprechen, ist, dass sie die mentalen Strukturen der

Abhängigkeit, die den Lernern in der Schule

vermittelt wurden, auflösen will. Dialog und

Bewusstseinsbildung sind zwei Kerngedanken

dieser Pädagogik. Der Dialog ist hier eine

‚existentielle Notwendigkeit‘ (Freire, 72) und soll

anstelle des ‚Bankiers-Konzept‘ der Erziehung

eingeführt werden. Das entfremdete Lernen einer

europäischen Sprache in Indien soll durch das

partnerschaftliche Lernen ersetzt werden. Dies er-

möglicht ein Gespräch zwischen Lehrendem und

Lernenden, denn sie entscheiden gemeinsam,

worüber sie sprechen wollen und wie sie darüber

sprechen wollen. Anknüpfend an die Idee der

‚generativen Themen‘ (Freire, 84 f.) könnte man

selbst im ersten Semester des Deutschlernens

einen Wortschatz entwickeln, der der Realität,

den Hoffnungen und Ängsten der Studenten nahe

liegt und sie ermutigt, den Unterrichtsdialog aktiv

mitzugestalten. Der Unterrichtsraum ist ein multi-

lingualer Ort. Die Monolingualität der früheren

Methoden ist längst überholt. So bietet die Be-

schäftigung mit einem Thema wie ‚Arbeitslosig-

keit‘, das sehr viele Deutschlernende unmittelbar

anspricht, eine gute Gelegenheit, die Studenten

zur Beteiligung am Unterricht zu motivieren. Im

Studio d A1 findet man unter den üblichen

Themen (Im Cafè, Sehenswürdigkeiten, Berufe,

Verabredungen, Orientierung, Urlaub, Ess-

gewohnheiten, Mode usw.) in Kapitel 7 (Beruf)

einen kleinen Text zur ‚Arbeitslosigkeit‘15. Ein

Anlass, sich intensiv mit dem Thema Arbeits-

losigkeit auseinanderzusetzen, das sehr aktuell ist,

geht man vom gegenwärtigen Lernerprofil aus.

Zwar geht es im Text hauptsächlich um eine

IDV - Magazin | Der Internationale Deutschlehrerverband

46

Arbeitsagentur, was als Gesprächsthema eher für

den Deutschunterricht als Zweitsprache in

Deutschland/Europa geeignet ist. Doch es besteht

die Möglichkeit, den Themenbereich zu erweitern

und situationsadäquat mit dem Text zu arbeiten.

‚Die problemformulierende Methode spaltet das

Handeln des Lehrer-Schülers nicht: Er ist nicht an

einem Punkt „erkennend“ und an einem anderen

Punkt „mitteilend“, er ist vielmehr immer

„erkennend“ (…) (Freire, 65). Daher ist es

erforderlich, die Gedanken der Bewusstseins-

bildung und -änderung in die Lehr- und

Lernmethode einzubauen. Die Lehr- und

Lernmethoden des Fremdsprachenunterrichts

haben sich seit den 80er Jahren in Europa in

Richtung eines lernerzentrierten Unterrichts ent-

wickelt. Es gibt innerhalb dieser Richtung

verschiedene Ansätze wie zum Beispiel kommu-

nikative und interkulturelle Konzepte, die zur

Selbstständigkeit führen sollen. Allerdings bein-

haltet diese Selbstständigkeit nicht automatisch

ein kritisches Bewusstsein. Doch nur in wenigen

indischen Klassenzimmern (obwohl angeblich

diese Methoden angewendet werden) sehen wir

selbstständige Schüler/Studenten und selbststän-

dige Lehrende. Das hängt zum großen Teil mit

den fremden und geborgten Unterrichtsmethoden

zusammen, auf die Canagarajah hingewiesen

hat16. Es gilt, eine Sprachunterrichtspraxis zu ge-

stalten, die auf Elementen der existierenden

Methoden und Ansätze aufbaut und sowohl

übernommene wie auch die einheimische Praxis

einbezieht. Ein solches Vorgehen bietet die

Chance, dass Studenten und Lehrende sich von

passiven zu aktiven, selbstständig und kritisch be-

wussten Lernenden entwickeln. Denn eine

Sprache zu lernen, muss selbstverständlich

bedeuten, sich kritisch mit der Welt auseinander-

setzen zu können.

Um die Frage zu beantworten, ob ein neues

Curriculum für die veränderte Situation zur

Verfügung steht, muss mit Bedauern festgestellt

werden, dass diese Frage unter den Fremd-

sprachenlehrern noch nicht thematisiert wird. Die

alten Methoden funktionieren allerdings auch

nicht mehr. Daher ist es an der Zeit, sich mit einer

kritischen Pädagogik auseinanderzusetzen. Auch

ohne allzu große Kritik an der BPO-Industrie zu

üben, die ja zahlreiche Arbeitsplätze (wenn auch

keinen Beruf) für Fremdsprachenlerner bereit-

stellt, müsste es doch möglich sein, die eman-

zipativen Ziele eines kritischen Fremdsprachen-

unterrichts in Indien zu erreichen.

__________________________ 1 www.goethe.de/ resources/ files/pdf19/StADaF_DE_2012. pdf

2 Siehe auch: Dale Hudson, Undesirable Bodies and Desirable Labor: Documenting the Globalization and Digitization of

Transnational American Dreams in Indian Call Centres. In: Cinema Journal 49, No.1, Fall 2009. pp.82-102. Jstor, Project Muse

19.03.2010. 3 In der Jawaharlal-Nehru-Universität gibt es insgesamt 10 Schulen und 4 Centres / Special Centres. Die überwiegende Mehrheit

der Studenten studiert aber in einer der drei großen Schulen, die im Text erwähnt wurden.

4 Der Grund dafür ist bei den Anfängen der Universität zu suchen, denn in den späten 60er Jahren, als die JNU ge-gründet wurde, war ein Sprachstudium kein bedeutendes Fach. Durch die Gründung einer School of Languages an der JNU sollte dieses Fach

einen neuen Anstoß bekommen.

5 Hier nur zwei Beispiele dafür: Im Jahr 2006 waren 214 Studenten in dem B.A.I-Sprachkursen für 9 Sprachen ein-geschrieben

worden, von denen haben 129 im Jahr 2009 ihr B.A.-Studium abgeschlossen, 28,5% haben das Studium ab-gebrochen. Im Jahr

2010 waren 277 Studenten einge-schrieben, 111 haben ihr Studium abgebrochen, also 40% der Studenten. 6 Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die ich im Winter 2013 unter einer schmalen Gruppe von 66 Studenten des Centre of

German Studies durchgeführt habe. Die Umfrage haben 15 B.A. II, 34 B.A.III und 16 M.A. I Studenten ausgefüllt. 7 ‘Curriculum Development Committee for English and other Western Languages’, February 2001, (UGC Committee)

http://www.ugc.ac.in/oldpdf/modelcurriculum/western.pdf.

8 In: UGC Committee Report. Hier die Liste: Übersetzung und Dolmetschen, Synchronisierung und Untertitelung, Bankwesen,

Handelskorrespondenz, Journalismus und Informationstechnologie. p. 130 f. 9 In: UGC Committee Report. Erwähnt wurden die folgenden Gebiete: Hotel- und Gastgewerbe, Tourismus, Wissenschaft und

Technologie, Diplomatie, Handel u. Gewerbe, Kommu-nikation. p. 131 f.

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47

10 Censusindia.gov.in/Census_And_You/literacy_and_level_ of_ education.aspx. 19.4.14

11 Report to the Nation 2006-2009. http://knowledge-commission.gov.in/downloads/report2009/eng/report09.pdf. p.33

12 Mit ‚Schulen‘ sind hier die Schulen gemeint, die dem CBSE (Central Board of Secondary Education) Prüfungs-system folgen.

Das ist eines der zwei nationalen Prüfungs-systeme. 13 A. Suresh Canagarajah, Globalization, Methods and Practice in Periphery Classrooms. p.134-150, In: Block and Cameron

(eds.), Globalization and Language Teaching. 14 Norton, Bonny and Toohey, Kellen (eds.), Critical Pedagodies and Language Learning, Cambridge University Press, New

Delhi. First South Asian edition 2010. pp.1-17, hier p.2. 15 S. 117 in Studio d A1. Das nur als Beispiel. Studio d A1 ist das Lehrwerk, das zurzeit an dem Centre of German Studies benutz

wird. p. 117.

16 Block and Cameron, p. 134-150 .

________________________________

Bibliographie

1. Block, David and Cameron, Deborah (eds.), Globalization and Language Teaching. Routledge, London, 2002.

2. Censusindia.gov.in/Census_And_You/literacy_and_level_ of_education.aspx. 19.4.14

3. UGC Committee Report, Curriculum Development Committee for English and other Western Languages, New Delhi,

February 2001. Part II, Western Languages, pp.105-234. http://www.ugc.ac.in/oldpdf/modelcurriculum/western. pdf. 19.4.14

4. Education and National Development. Report of the Education Commission 1964-66. National Council of Educational

Research and Training, 1971, New Delhi (Kothari Commission Report, KCR).

5. Freire, Paulo, Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Übertragung von Werner Simpfendörfer.

Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1973.

6. Funk, Hermann u.a. (eds.), Studio d A1, Kurs- und Übungsbuch, Cornelsen Verlag, Berlin, 2005.

7. Hudson, Dale, Undesirable Bodies and Desirable Labor: Documenting the Globalization and Digitization of Transnational

American Dreams in Indian Call Centres. In: Cinema Journal 49, No.1, Fall 2009. Pp.82-102. Jstor, Project Muse 19.03.2010.

8. NCERT Position Paper – Teaching of English (1.4), National Curriculum Framework. Delhi, 2006.

9. Norton, Bonny and Toohey, Kellen (eds.), Critical Pedagogies and Language Learning, Cambridge University Press, New

Delhi. First South Asian edition 2010.

10. Ramesh, Babu P., ‘Cyber Coolies’ in BPO: Insecurities and Vulnerabilities of Non-Standard Work, In: Economic and

Political weekly, Vl.39, No.5 (Jan 31-Feb6 2004) pp.492-497

11. National Knowledge Commission. Report to the Nation 2006-2009. http://knowledgecommission.gov.in/downloads/

report2009/eng/report09.pdf. 19.10.14.

12 https://www.goethe.de/resources/files/pdf19/StADaF_ DE_2012.pdf. 5.10.14 .

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