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1 S ORGENDE G EMEINDE IM L EBEN UND S TERBEN ein Modellprojekt in der Stadtgemeinde Landeck, Tirol Forschungs- und Praxispartnerschaft zwischen dem Institut für Palliative Care und OrganisationsEthik (IFF Wien) und der Tiroler Hospiz Gemeinschaft Laufzeit: 2 Jahre, von Jan 2014 bis Dez 2015/Jan 2016 Gefördert vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Ko-beauftragt von der Stadtgemeinde Landeck Projektleitungsteam: Ass.-Prof. Mag. Dr. Klaus Wegleitner (Wissenschaftlicher Projektleiter, IFF Wien) Dr. Patrick Schuchter MPH (IFF Wien), DSA Sonja Prieth MA (Tiroler Hospiz Gemeinschaft) Kern - Projektteam: Angelika Scheiber (Koordinatorin der Hospizgruppe Landeck & der Selbsthilfegruppe Sonnenblume), StR. Mathias Niederbacher (Obmann des Jugend- Familien- und Sozialausschuss), Mitglieder des Jugend- Familien- und Sozialausschuss, Mag. (FH) Doris Habicher (GF Sozial- und Gesundheitssprengel Landeck-Zams-Fließ-Schönwieß), Christine Dellemann (Bestattung), Sr. Barbara Flad (Seelsorge, Krankenhaus Zams), Maria Kathrein (Ehrenamtliche MA Hospizgruppe), Anni Scherl (Koordinatorin der WegbegleiterInnen für pflegende Angehörige, Caritas), Erika Moser (Ehrenamtliche MA WegbegleiterInnen). Stadtgemeinde Landeck IFF-Wien Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung Institut für Palliative Care und Organisationsethik

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SORGENDE GEMEINDE IM LEBEN UND STERBEN

ein Modellprojekt in der Stadtgemeinde Landeck, Tirol

Forschungs- und Praxispartnerschaft zwischen

dem Institut für Palliative Care und OrganisationsEthik (IFF Wien)

und der Tiroler Hospiz Gemeinschaft

Laufzeit: 2 Jahre, von Jan 2014 bis Dez 2015/Jan 2016

Gefördert vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft,

Ko-beauftragt von der Stadtgemeinde Landeck

Projektleitungsteam:

Ass.-Prof. Mag. Dr. Klaus Wegleitner (Wissenschaftlicher Projektleiter, IFF Wien)

Dr. Patrick Schuchter MPH (IFF Wien), DSA Sonja Prieth MA (Tiroler Hospiz Gemeinschaft)

Kern - Projektteam: Angelika Scheiber (Koordinatorin der Hospizgruppe Landeck & der Selbsthilfegruppe

Sonnenblume), StR. Mathias Niederbacher (Obmann des Jugend- Familien- und Sozialausschuss),

Mitglieder des Jugend- Familien- und Sozialausschuss, Mag. (FH) Doris Habicher (GF Sozial- und

Gesundheitssprengel Landeck-Zams-Fließ-Schönwieß), Christine Dellemann (Bestattung), Sr. Barbara Flad

(Seelsorge, Krankenhaus Zams), Maria Kathrein (Ehrenamtliche MA Hospizgruppe), Anni Scherl

(Koordinatorin der WegbegleiterInnen für pflegende Angehörige, Caritas), Erika Moser (Ehrenamtliche

MA WegbegleiterInnen).

Stadtgemeinde Landeck

IFF-Wien Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung

Institut für Palliative Care und Organisationsethik

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Inhaltsverzeichnis

1 HINTERGRUND ................................................................................................................ 3

1.1 DIE SORGE AM LEBENSENDE GEHT ALLE AN ................................................................................. 3

1.2 SORGE AM LEBENSENDE ALS GESUNDHEITSFÖRDERUNG IM LEBEN ................................................... 5

1.3 COMPASSIONATE COMMUNITIES .............................................................................................. 7

1.4 SORGENDE GEMEINDE IM LEBEN UND STERBEN: ZIELSETZUNGEN UND INTERESSEN ............................. 8

2 PROJEKTARCHITEKTUR UND PROJEKTPROZESS .............................................................. 10

3 PHASE 1: DIE LOKALE SORGEKULTUR WÜRDIGEN UND ANALYSIEREN, MENSCHEN INS

GESPRÄCH BRINGEN UND VERNETZUNG STÄRKEN ............................................................... 12

3.1 AUFTAKTVERANSTALTUNG ZUM PROJEKT „SORGENDE GEMEINDE IM LEBEN UND STERBEN“ ............... 12

3.2 EXISTENTIELLE ERFAHRUNGEN UND WISSEN TEILEN, BEDARF ERHEBEN: EIN PARTIZIPATIVER

FORSCHUNGSPROZESS...................................................................................................................... 13

3.2.1 Landecker Handbüchlein zur Lebensklugheit in der Sorge.......................................... 16

4 PROJEKTPHASE 2: WIE WOLLEN WIR DAS LEBEN IN DER GEMEINDE GESTALTEN?

ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN UND MAßNAHMEN ...................................................................... 17

5 PROJEKTPHASE 3: SORGEKULTUR STÄRKEN - LOKALE MAßNAHMEN INITIIEREN, FÖRDERN

UND BEGLEITEN ................................................................................................................... 22

5.1 KÜMMERER- UND NACHBARSCHAFTSABEND .............................................................................. 23

5.2 BEVÖLKERUNGSKURS „VORSORGEN, PFLEGEN UND GUT LEBEN BIS ZULETZT“ ................................... 25

5.3 WEITERE INITIATIVEN ........................................................................................................... 26

6 LITERATUR .................................................................................................................... 28

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1 Hintergrund

1.1 Die Sorge am Lebensende geht alle an

Hospizarbeit und Palliative Care haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einem fixen Bestandteil

der nationalen Gesundheitssysteme in Europa und vielen anderen Regionen der Erde entwickelt

(Clark, Wright 2007, Centeno et al. 2013). Sie haben wesentlich dazu beigetragen, die Sorgekultur

am Lebensende zu verbessern. In den westlichen Industrienationen ist der Erfolg der rasanten

Verbreitung von Palliative Care wesentlich an die Professionalisierung und den Aufbau von

spezialisierten Versorgungsstrukturen gekoppelt (Gronemeyer et al. 2004). Erfreulicherweise

wird in den letzten Jahren national (Wegleitner et al. 2007; Hospiz Österreich 2012) und

international (Murray et al. 2004, Shipman et al. 2008, Froggatt, Reitinger 2011) zunehmend das

Augenmerk auch auf die Integration von Hospiz- und Palliativkultur in die regelversorgenden

Einrichtungen (die Pflegeheime, die ambulanten Dienste, die Krankenhäuser, den

niedergelassenen ÄrztInnenbereich) gelegt. Aber: Die Weiterentwicklung von Palliative Care hat

sich bislang primär auf die Verbesserung der institutionellen (Professionen, Organisationen) und

spezialisierten Sorge am Lebensende konzentriert. Und: Die Hospizbewegung selbst, die Idee,

dass die Themen Sterben, Tod und Trauer alle Bürgerinnen und Bürger angehen, ist in dieser

Dynamik in den Hintergrund getreten.

In den letzten beiden Jahrzehnten sind vielfältige internationale Bemühungen im Aufbau und der

Förderung neuer sozialraum-, quartiers- und gemeindeorientierter Sorgemodelle und

Hilfenetzwerke zu beobachten. Im Bereich der End-of-Life Care stehen dafür insbesondere

Projekte und Initiativen zur Gesundheitsförderung in Palliative Care (Kellehear 1999, Heller 1996,

Sallnow et al. 2012) und zur Etablierung von „Compassionate Communities“ (Kellehear 2005,

2013; Wegleitner et al. 2015). Im deutschsprachigen Raum werden inhaltlich ähnliche

Zielsetzungen vertreten durch die Förderung einer „neuen Hilfekultur im “Dritten Sozialraum”

(Dörner 2007, 2012), durch die Stärkung von „Caring Communities“ (z.B. Klie 2015) oder der

Entwicklung von „Demenzfreundlichen Kommunen“ (z.B. Gronemeyer, Rothe 2015). Diese

Initiativen und Bewegungen verbinden als Zielsetzung Empowerment der Betroffenen mit

zivilgesellschaftlichem Engagement im Alltag der Communities, der Gemeinden.

Dabei sind unter anderem folgende Einsichten und Annahmen handlungsleitend:

Schwere Krankheit, Demenz und Sterben sind vor allem auch soziale Prozesse und erfordern

daher gemeinsame, soziale Umgänge in der Sorge um Betroffene in unserer Gesellschaft.

Mit der ausschließlichen Verbesserung der institutionellen Sorge am Lebensende kann die

Institutionalisierung des Sterbens nicht überwunden und die Kernanliegen der Hospizidee -

die (Re)Integration des Umgangs mit Sterben, Tod und Trauer in die Lebenszusammenhänge

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der Menschen und das Sterben in der vertrauten Umgebung zu ermöglichen - können nur

bedingt gefördert werden.

Die Sorgeverantwortungen können gesellschaftlich nicht an Professionen und Organisationen

delegiert werden, da schwere Krankheit, Demenz und Sterben alle angeht (Kellehear 2013).

Der ausschließliche Fokus auf die Etablierung spezialisierter Versorgungsangebote führen

entweder zur gesellschaftlichen Segregation (oder zur Ghettoisierung, siehe die

„Demenzdörfer“) oder aber, sie kommen viel zu wenigen betroffenen Menschen zu Gute

(siehe die spezialisierten Hospiz- und Palliativversorgungsangebote).

Gesellschafts- und gesundheitspolitisch sollten Rahmenbedingungen so verändert und

gestaltet werden, dass ein möglichst großer Anteil der Bevölkerung in die Lage versetzt wird,

Sorgeverantwortung zu übernehmen; dass somit die Sorge (Caring) möglichst demokratisch

verteilt und organisiert werden kann (Tronto 2013).

Die Sorge- und Hilfeformen sollten sich radikal am alltäglichen Hilfebedarf der Betroffenen,

den Lebens- und Sterbewelten innerhalb der Community, ausrichten und nicht an der

Optimierung von Versorgungsangeboten.

Die gesellschaftliche Organisation von Sorge am Lebensende sollte sich nicht auf den Aufbau

von spezialisierten Fachkompetenzen, die Etablierung von Versorgungsstrukturen

(Einrichtungen, Betten, Teams usw.) und die Entwicklung einer hospizlich-palliativen

Organisationskultur (Heller 2000) beschränken. Angestrebt werden der Aufbau von lokalen

Solidaritäts-, Beziehungs- und Hilfenetzwerken und die Ermöglichung von Kommunikations-

und Austauschräumen zu Fragen der Sorge füreinander und eines guten Lebens bis zuletzt.

Die nachhaltige Organisation gesellschaftlicher Sorge erfordert die intelligente Verknüpfung

von informeller und formeller Hilfe, sowie die Entwicklung alltagsnaher Hilfeformen zwischen

„dem Privaten“ oder „den eigenen vier Wänden“ und der öffentlich, institutionalisierten

Versorgung „im Dazwischen“, im „dritten Sozialraum“ (Dörner 2007); in der Nachbarschaft,

im Krätzl, im Kiez, im Quartier, in der Kommune, in der Gemeinde.

Die Stärkung der gesellschaftlichen Sorgekultur am Lebensende wird aus diesen Caring bzw.

Compassionate Community Bewegungen heraus als Fragen nach der gesamtgesellschaftlichen

Verteilung und Übernahme von Sorgeverantwortung – „End-of-life care as everyone’s

responsibility“ (Kellehear 2013)“ - sowie der Stärkung der Selbsthilferessourcen der Betroffenen

im Umgang mit Alter, Demenz, Sterben, Tod und Trauer verstanden.

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1.2 Sorge am Lebensende als Gesundheitsförderung im Leben

Die Bemühungen der Hospizidee und von Palliative Care fußen unter anderem auf der Einsicht,

dass das Sterben keine Krankheit ist. Sterben ist ein Teil des Lebens, es ist die letzte,

unterschiedlich lange dauernde - Zeit eines gesundheitlich meist eingeschränkten Lebens (durch

Mehrfacherkrankungen im hohen Alter, durch Krebserkrankungen, durch chronische,

neurologische Erkrankungen, durch Demenz). Oder ganz einfach gesagt, eine Phase relativen

Gesundseins. Und: Gesundheit ist wesentlich mehr als die Abwesenheit von Krankheit.

Gesundheit ist nicht statisch, sondern als ein Prozess zu verstehen. Dieser ist von individuellen

physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimensionen der Menschen abhängig und

bildet sich im Wechselspiel mit ihren Lebensbedingungen, der Umwelt, der Einbettung in

Gemeinschaften, der Verfügbarkeit von Mitteln, dem Zugang zu bestimmten Hilferessourcen,

Informationen und Wissen, den Möglichkeiten am gesellschaftlichen Leben Teil zu haben, den

Möglichkeiten Rahmenbedingungen mit zu gestalten heraus (Wegleitner, Heller 2014. Die

Aufmerksamkeit für die hohe Relevanz der sozialen, ökonomischen und ökologischen

Rahmenbedingungen für die Förderung von Gesundheit, aber auch für die Förderung einer

tragfähigen Sorgekultur bis zuletzt, drückt sich am deutlichsten im WHO Konzept der

Gesundheitsförderung, der Ottawa Charta (WHO 1986), aus:

„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an

Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer

Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales

Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre

Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen

sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können.“

Mittlerweile gehört es zum Allgemeinwissen in der Bevölkerung, dass etwa ein gesundes Herz

nicht erst beim Kardiologen hergestellt wird, oder im Herzkatheder entsteht. Ein gesundes Herz

wird gefördert durch die Lebensweise der Menschen und wird wesentlich beeinflusst von ihren

Lebensbedingungen. Es hat mit Fragen der Bewegung, der Ernährung, des Nichtrauchens, den

sozioökonomischen Lebensbedingungen, sozialer Gleichheit/oder Ungerechtigkeit, den

Arbeitsbedingungen, dem Stress und den Belastungen in der Arbeit, ökologischen

Umweltbedingungen und den individuellen Gesundheitskompetenzen der Menschen zu tun.

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Ein mitmenschlicher Umgang mit Sterben und Tod, eine Sorgekultur in Abschied und Trauer

entstehen ebenfalls nicht erst auf der Palliativstation, im Krankenhaus, im Pflegeheim, im Hospiz,

im Tageshospiz oder durch das Rufen eines Hospizdienstes, oder ambulanten Palliativteams.

Sorgekultur am Lebensende entsteht dort, wo Menschen leben, lieben und arbeiten, wo sie

gemeinsam alt werden, wo sie miteinander über existentielle Fragen des Lebens und des

Sterbens ins Gespräch kommen, wo sie miteinander und umeinander trauern, wo sie mit ihrer

Verletzlichkeit und Endlichkeit zurechtkommen müssen, wo sie sich umeinander kümmern und

sorgen; in den Familien, in den Freundschaftskreisen, in der Nachbarschaft, in der Schule, am

Arbeitsplatz, in den Vereinen, im Quartier und in der Gemeinde (Kellehear 2005).

Im letzten Jahrzehnt gewinnen international daher die Gesundheitsförderungsperspektive

(Kellehear 1999) und Public Health (Sallnow et al. 2012; Cohen, Delien 2012) in Palliative Care

immer mehr an Bedeutung. Ausgehend von Australien, vor allem in Großbritannien und teilweise

in Kanada und Indien, sind in den letzten 15 Jahren vielfältige Initiativen, Projekte und politische

Programme entstanden, eine kommunale Sorgekultur im Umgang mit Verlust, Trauer, Sterben,

Tod und Trauer zu fördern. Die Zielsetzungen dieser Public Health Bemühungen in Palliative Care

sind, dass a) vorsorgend Leiden gemindert wird, b) die „Community“ beteiligt wird, - d.h. die

Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden, dass c) Wissensvermittlung zu Gesundheit, Sterben

und Tod stattfindet und d) soziale Unterstützung und lokale Solidarität gefördert werden

(Kellehear 2008).

Public Health hat zum Ziel die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Settings so zu

gestalten, dass das Wohlbefinden und die (relative) Gesundheit der Bevölkerung (auf der

individuellen Ebene der BürgerIn) gefördert werden. Daher geht es primär nicht um die Stärkung

von Versorgungsangeboten, sondern um die Förderung von sozialem Kapital im Lebensumfeld

der einzelnen BürgerIn, in der Community. Im Kern geht es daher um die Frage, welche

gesellschaftlichen Rahmen- und Lebensbedingungen es braucht, damit Menschen ermächtigt

werden, ihre eigenen Ressourcen, natürlichen Umgänge mit Krankheit, Sterben, Tod und Trauer

zu mobilisieren um einen höheren Grad an Selbstbestimmung und Wohlbefinden zu erlangen. Im

Vordergrund steht dabei die Hilfe zur Selbsthilfe. Dies setzt ein subsidiarisches Hilfe- und

Sorgenetzwerk voraus, welches immer von den Lebens- und Sterbebedingungen der

Betroffenen, der Hilfsbedürftigen ausgeht und sich an den Sozial- und Lebensräumen orientiert.

Angestrebt wird somit die Stärkung einer, die Relationalität von Autonomie anerkennende, Form

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von gesellschaftlicher, Community orientierter, Sorgekultur. Wichtig: Damit ist keinesfalls ein

wertkonservatives Bild eines - die Familie idealisierenden - Kommunitarismus, oder die Rückkehr

zur - an die Frauen delegierten - Privatisierung der Sorge gemeint. Vielmehr geht es dabei um die

grundsätzliche Frage, wie die lokale Partizipation und Vernetzung der BürgerInnen in der

Gestaltung von Hilfenetzwerken gestärkt werden kann; denn, „(…) participation and engagement

provide, however these are produced, important ways that people create networks and support

systems for each other“ (Kellehear 2005, S. 54).

Gemeinde-Entwicklung oder zumindest Maßnahmen, die eine Beteiligung der Gemeinde

ermöglichen sind daher vielfach zentrale Bausteine in den Public Health Modellprojekten in

Palliative Care (Wegleitner, Heimerl, Kellehear 2105). Trotz der relativ jungen Geschichte dieser

Initiativen weisen erste Überblicksarbeiten (Sallnow, Paul 2012; Sallnow et al. 2015) auf

vielfältige positive Wirkungen des Public Health Approaches in End-of-Life Care hin, wie etwa die

Verminderung sozialer Isolation, die Stärkung von lokalen Sorgenetzwerken sowie den positiven

Einfluss auf den Ort des Todes und die gezielte Einbindung von Palliative Care Angeboten.

1.3 Compassionate Communities

In der Tradition der Healthy Cities Gesundheitsförderungsprojekte stehend zielen somit auch die

Public-Health-Palliative-Care-Impulse darauf ab die Selbsthilferessourcen in der Bevölkerung zu

fördern (Empowerment und Soziales Kapital), hin zu einer „Compassionate Community“

(Kellehear 2013, Wegleitner et al. 2015). Mit dem Begriff „compassion“ – verstanden als

Anteilnahme, Empathie, Mitgefühl, Mitleidenschaft, Mitempfinden, Mitleid, Barmherzigkeit,

Mitsorge – wird als Zielsetzung somit eine Form kommunaler Sorgekultur angestrebt, die von

dieser ethischen Grundhaltung getragen wird und Achtsamkeit, Respekt und Solidarität im

menschlichen Zusammenleben fördert.

Sorgende Gemeinden (‘Compassionate Communities’) sind somit Gemeinden, die soziale

Netzwerke und Räume, sozialpolitische Konzepte und soziale Angebote entwickeln, die

Menschen unterstützen, die viele Stunden, Tage, Wochen und Monate – manchmal auch Jahre –

mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung, mit Alter und mit Trauer leben müssen. Sie tun das,

indem sie zivilgesellschaftliches Engagement in der Sorge am Lebensende fördern, Ehrenamtliche

ausbilden und koordinieren, indem sie unterstützende Sorge am Arbeitsplatz, in den Vereinen

und in den Schulen entwickeln, indem sie professionelle Angebote weiterentwickeln und die

ganze Gemeinde zu Engagement ermutigen. Gemeindenahe Sorgekultur fördert den Kontakt und

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die Hilfe zwischen NachbarInnen, zwischen Kirchengemeindemitgliedern oder zwischen

ArbeitskollegInnen – also die größtmögliche Teilhabe von BürgerInnen, wenn es um

Verantwortung für Sorgeaufgaben geht.

In der Entwicklung einer kommunalen Sorgekultur oder von „Compassionate Communities" steht

somit nicht die VERsorgung von PatientInnen im Mittelpunkt, sondern die Sorge und Solidarität

mit und für BürgerInnen in geteilter Verantwortung von zivilgesellschaftlicher und

professioneller Hilfe.

1.4 Sorgende Gemeinde im Leben und Sterben: Zielsetzungen und Interessen

Das Projekt „Sorgende Gemeinde im Leben und Sterben“ in Landeck ist der Versuch, im Sinne der

oben beschriebenen Compassionate Community Bewegung, den Paradigmenwechsel von einer

institutions- und professionszentrierten Versorgung am Lebensende hin zu einer

gemeindeorientierten Sorgekultur in Österreich zu fördern und modellhaft umzusetzen.

Das Institut für Palliative Care und OrganisationsEthik der IFF Wien/Alpen Adria Universität

Klagenfurt hat das Projekt in Kooperation mit der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft (THG) initiiert und

konnte die Stadtgemeinde Landeck als Mitauftraggeber gewinnen. Diese Projektpartnerschaft ist

in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:

a. Die Tiroler Hospizgemeinschaft fungiert nicht „nur“ als Praxispartner in der Region, sondern

ist über eine Mitarbeiterin im wissenschaftlichen Team eingebunden, wodurch das

partizipative Interventionsforschungsprojekt im besten Sinne transdisziplinär ist. Die

Projektidee und das Grundkonzept hat die IFF Wien entwickelt, die Projektphilosophie und

der genaue Projektprozess wurden gemeinsam aufgesetzt.

b. Nicht ein Versorgungsanbieter ist lokaler Projektpartner, sondern die kommunalpolitische

Ebene und damit potenziell die Stadtgemeinde Landeck als Ganzes. Landeck ist mit seinen ca.

8000 EinwohnerInnen im äußersten Westen Tirols im gebirgigen Dreiländereck Österreich,

Schweiz, Italien / Südtirol am Inn gelegen.

c. Als Modellregion wurde Landeck gewählt, da der Bezirk ein gut ausgebautes Sozial- und

Gesundheitssystem, eine Tradition in bürgerschaftlich engagierte Hilfeformen, jedoch keine

spezialisierten Palliativversorgunsgangebote hat (außer einer koordinierten ehrenamtlichen

Hospizgruppe der THG). Damit sollten jene Voraussetzungen gegeben sein um den Fokus auf

die Stärkung und Weiterentwicklung der gemeindeorientierten und regelversorgenden Sorge

am Lebensende zur richten.

Das Projekt zielt darauf ab …

… die Sorge für alte, schwer kranke und sterbende Menschen in der Gemeinde zu stärken.

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… die gelebte Sorgekultur und die bestehenden Hilferessourcen und Netzwerke am

Lebensende in der Stadtgemeinde für die Bürgerinnen und Bürger sichtbar machen und

würdigen.

o Die „informelle“ Sorge (Angehörigenpflege, Nachbarschaftshilfe) wird gewürdigt.

… die Vernetzung der bestehenden Hilferessourcen (informell und formell) in der Gemeinde

verbessern helfen.

… gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern über die Zukunft der Sorgekultur am

Lebensende nachdenken und sie zu zentralen Themen des Lebens und Sterbens

miteinander ins Gespräch bringen.

… gemeinsam Initiativen und Maßnahmen entwickeln, die dabei unterstützen, Solidarität

und Sorgekultur am Lebensende zu festigen und weiter zu entwickeln.

… Zukunftsbilder einer sorgenden Gemeinde im Leben und Sterben entwickeln.

Folgende Fragen stehen im Zentrum des seit Anfang 2014 laufenden beteiligungsorientierten

Forschungs- und Entwicklungsprojektes „Sorgende Gemeinde im Leben und Sterben“:

Wie ist die (formelle und informelle) Sorge am Lebensende und in Hinblick auf das

Lebensende organisiert und was macht sie aus?

Wie können (formelle und informelle) Sorge-Netzwerke am Lebensende in der Gemeinde

gestärkt werden?

o Wer sorgt für wen? In welcher Weise?

o Wie sollte das Verhältnis des informellen Netzes zu den professionellen Diensten

gestaltet werden?

o Wie können sich Helfende (von der Ehepartnerin über ehrenamtliche Gruppen bis

zum Krankenhaus gut vernetzen?)

o Wie können wir in der Gemeinde vorsorgen/vorbeugen, dass pflegende Angehörige

nicht in soziale und existenzielle Not geraten?

o Wie können Informationen über vielfältige existierende Unterstützungsmöglichkeiten

(finanziell, logistisch, für Entlastung) alle erreichen / zum Wissen aller werden?

o Wie kann es gelingen, das Annehmen von Hilfe zu erleichtern?

o Wie kann es gelingen, die Themen Sterben, Tod und Trauer nicht zu wegzudrängen

oder erst (zu) spät zu thematisieren?

o Wie können verschiedene Gruppen (Junge, Alte, Frauen, Männer usw.) zu den

Themen, Sterben, Tod und Trauer ins Gespräch kommen?

o Wie kann die Selbsthilfe von Bürgerinnen und Bürgern unterstützt werden?

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2 Projektarchitektur und Projektprozess

Das Projektvorhaben erforderte ein, sich auf die lokalen Lebenszusammenhänge einlassendes,

kultursensibles Vorgehen, dass schrittweise …

1. beteiligungsorientiert (Action Research, vgl. Hockely et al. 2012) die kommunalen Lebens-

und Sterbekulturen erhebt und damit

a. zur Würdigung der bestehenden sozialen und fachlichen Unterstützungsressourcen

beiträgt.

b. Wissen zu den lokalen Sterbekulturen generiert.

c. Solidaritäts- und Sorgepotentiale sichtbar macht.

d. Entwicklungsbedarf der kommunalen Hospiz- und Palliativkultur sichtbar macht

2. mit BürgerInnnen und lokalen AkteurInnen des Sozial und Gesundheitswesens

Entwicklungsperspektiven und Maßnahmen zur Förderung der kommunalen Sorgekultur

entwickelt.

a. kommunalpolitische Strategien, Veranstaltungsformate, Medien, Hilfenetzwerke,

usw.

3. die Umsetzung von Maßnahmen begleitet, bzw. deren Durchführung unterstützt und

organisiert.

4. die Projektprozesse auswertet und inhaltliche Eckpfeiler für die weitere Entwicklung

lokaler/kommunaler Hospiz und Palliativkultur formuliert.

Über das Projektdesign sollte gewährleistet werden, dass eine möglichst breite Beteiligung in der

Gemeinde erreicht wird und die Frage der Stärkung der Sorgekultur sich am Bedarf der

Betroffenen und ihrer Hilfenetzwerke orientiert.

Der gesamte Projektprozess lässt sich daher idealtypisch in drei Phasen gliedern, wenngleich sich

diese auch ein wenig überlagerten und ineinander übergingen.

Phase 1: Die lokale Sorgekultur würdigen und analysieren, Menschen ins Gespräch bringen und

Vernetzung stärken

Vertrauen und inhaltliches Commitment in der Gemeinde aufbauen

Beschreiben, analysieren und würdigen der lokalen Sorgekultur und der Traditionen in der

Betreuung am Lebensende im Rahmen eines partizipativen Forschungsprozesses

Sichtbar machen des bestehenden Sorgenetzwerkes, wie auch der Slebtshilfemöglichkeiten

Förderung eines gemeinsamen Wissens zur lokalen Sorge

Phase 2: Wie wollen wir das Leben in der Gemeinde gestalten? Zukunftsperspektiven und

Maßnahmen

Die Vernetzung zwischen informellen und formellen HelferInnen fördern

Entwickeln von Zukunftsperspektiven einer sorgenden Gemeinde

Initiativen und Miniprojekte in unterschiedlichen Sphären der Gemeinde starten

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Öffentlichkeit schaffen

Phase 3: Sorgekultur stärken - Lokale Maßnahmen initiieren, fördern und begleiten

Begleitung/Unterstützung von Initiativen und Maßnahmen

Strategien der Nachhaltigkeit mit dem lokalen Sorgeteam und der Kommunalpolitik

entwickeln

Abbildung 1: Projektarchitektur

Abbildung 2: Projektprozess

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3 Phase 1: Die lokale Sorgekultur würdigen und analysieren, Menschen ins

Gespräch bringen und Vernetzung stärken

In einem ersten Schritt ging es im Projekt darum, die bestehende Sorgekultur gemeinsam mit den

Bürgerinnen und Bürgern sichtbar zu machen und zu würdigen, sowie die Vernetzung in der

Gemeinde zu stärken. Vielfältige Gespräche, Fokusgruppen und Workshops haben mit Personen

stattgefunden, die auf unterschiedliche Weise in die Pflege und Betreuung von Menschen in der

letzten Lebensphase involviert sind. Bei partizipativer Forschung geht es nicht nur darum, Daten

zu erheben, Informationen abzuholen und Wissen zu generieren, sondern vor allem auch darum,

die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Voraussetzung dafür ist, dass man mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommt, sich sozial

einlässt, um neben den qualitativen und quantitativen Daten vor allem ein Gefühl – ein „Gespür“

–- für die Lebensbedingungen, kulturellen Spezifika und die Sorge- und Beziehungsnetzwerke zu

bekommen. Ins Gespräch kommen, zuhören und wechselseitig Vertrauen aufzubauen sind vor

allem am Beginn wesentliche forschungsethische Gütekriterien partizipativer

Forschungsprojekte.

Die Erhebungs- und Vernetzungssettings sowie die öffentlichen Veranstaltungen haben in der

Gemeinde Räume geschaffen, in denen existenzielle Erfahrungen ausgetauscht, kollektives

Wissen zur lokalen Sorgekultur gefördert, beziehungsweise die in der Gemeinde bestehende,

meist implizite, kollektive „Weisheit“ zum Umgang mit der Sorge am Lebensende gehoben

werden konnte.

Beispielhaft sollen hier einige Settings skizziert werden:

3.1 Auftaktveranstaltung zum Projekt „Sorgende Gemeinde im Leben und Sterben“

am 10.3.2014, 18–21 Uhr im Rathaus Landeck

Zur Auftaktveranstaltung, welche Schlüsselpersonen in der Gemeinde adressierte, hat die

Gemeinde gemeinsam mit dem IFF-THG Projektteam eingeladen. Kommunalpolitiker,

VertreterInnen des Sozial- und Gesundheitswesens, ehrenamtlich Engagierte, persönlich

Betroffene sowie politisch und zivilgesellschaftlich aktive Personen wurden einerseits mit dem

Projektanliegen und dem Prozess vertraut gemacht, andererseits wurde die Veranstaltung als

erstes Diskussionsforum genutzt. In Gesprächsgruppen setzten sich die TeilnehmerInnen mit

folgenden Fragen auseinander:

Wie wird über Sterben, Tod und Trauer in unserer Gemeinde gesprochen?

Wie sieht in Landeck/Zams das Sorge-Netzwerk (formell und informell!) in der Betreuung am

Lebensende aus?

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o Wer trägt Sorge für wen und wie (von der familiären und Nachbarschafts-Hilfe bis zur

professionellen Zusammenarbeit)?

o Wer sorgt für die Sorgenden (pflegende Angehörige, MitarbeiterInnen …)?

Wie gerecht ist Sorge-Arbeit in der Gemeinde verteilt?

o Wer wird gewürdigt/sichtbar? Wer nicht?

o Wer sorgt / trägt Verantwortung? Wer nicht?

Was kann Sorge am Lebensende konkret sein?

o Was macht das Leben leichter (Handlungen, Tätigkeiten, gelungene, ungewöhnliche

Hilfeformen)?

o Was erleichtert es, Hilfe annehmen zu können?

In der Diskussion wurde deutlich, dass in Landeck bereits viele engagierte BürgerInnen

ehrenamtlich, etwa in der Hospizbegleitung, in der Pfarrgemeinde oder in der Organisation von

Selbsthilfe- und Unterstützungsgruppen für chronisch kranke, schwerkranke Menschen und ihre

Bezugspersonen, Sorge leisten. Zudem ist eine würdevolle Sorgekultur in der letzten

Lebensphase auch den Landecker Pflegeheimen, dem Sozialsprengel und dem Krankenhaus Zams

ein großes Anliegen. Die Bestattung in Landeck ist für Angehörige ebenfalls eine wichtige Stütze

im Abschied und in der Trauer. In der Schule tragen LehrerInnen dazu bei, Kinder und Jugendliche

für die Themen Pflegebedürftigkeit, Verlust, Trauer, Sterben und Tod zu sensibilisieren und ihnen

die Auseinandersetzung damit zu ermöglichen. Teilweise gibt es noch Verbesserungsbedarf in

der Kommunikation und Information, andernorts werden Schwachstellen in der Vernetzung

geortet. Generell wurde festgestellt, dass pflegende Angehörige in einem sehr hohen Maß

belastet sind und dass es ihnen aus vielfältigen Gründen schwer fällt, Hilfe anzunehmen. Dabei

spielen mangelnde Kenntnisse über die Hilfsangebote eine Rolle, auch finanzielle Belastungen

wurden als Problem genannt. Dazu kommt, dass pflegende Angehörige einen Druck verspüren,

alles allein schaffen zu müssen und dass es nicht leicht ist, Außenstehende in die familiäre

Betreuungssituation einzubinden. Wichtig erscheint, dass Pflege- und Hilfsbedürftigkeit, schwere

Krankheit, aber auch Sterben, Tod und Trauer gesellschaftlich und in der Gemeinde nicht

tabuisiert werden sollten, um wechselseitig Unterstützung leisten zu können. Das Projekt wird

als Chance gesehen, dazu einen wichtigen Beitrag zu leisten.

3.2 Existentielle Erfahrungen und Wissen teilen, Bedarf erheben: ein partizipativer

Forschungsprozess

Im Rahmen unseres Projektprozesses verstanden wir den Begriff der Caring Community, der

sorgenden Gemeinde, in Anlehnung an Allan Kellehear (2005) als ein Netzwerk von

Sorgebeziehungen, welches den alltäglichen Sorgebedarf im Lebensraum der Betroffene und

ihrer Bezugspersonen aufnimmt. Dazu ist es erforderlich, dass die unterschiedlichen Kreise der

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Sorge, wie es Abel und KollegInnen nennen (Abel et al. 2013), gut ineinandergreifen und

abgestimmt sind. Die Unterstützung und Abstimmung beginnt mit dem innersten Netzwerk und

Kreis der Sorge, den Betroffenen, ihren Angehörigen und FreundInnen, erfordert dann die

Einbeziehung von weiteren Angehörigen, Freunden und Nachbarn als ein äußeres Netzwerk.

Damit sind die Hilferessourcen der Community und deren soziales Kapitel gefragt. Die

professionellen Dienste sind hier eine wichtige Stütze, die subsidiarisch, ergänzend,

ermöglichend, unterstützend tätig werden. Den äußersten Sorgekreis bildet die

kommunalpolitische Ebene. Diesem Bild der Kreise der Sorge entsprechend haben wir im

beteiligungsorientierten Forschungsprozess mit den Fokusgruppen mit Angehörigen begonnen,

gefolgt von Fokusgruppen und Gesprächen mit bürgerschaftlich engagierten Koordinatorinnen

von Selbsthilfegruppen und der Hospizgruppe. Danach wurden Fokusgruppen mit

professionellen HelferInnen (Hauskrankenpflege, ÄrztInnen) und Interviews (Pfarrer, Bestattung)

durchgeführt. Schließlich wurden im Rahmen eines Vernetzungsworkshops mit informellen und

formellen HelferInnen exemplarische Betreuungssituationen im Kontext des lokalen

Sorgenetzwerkes analysiert und die Verbesserung von Nahtstellen diskutiert. Nach jedem

Erhebungssetting wurde eine Zwischenauswertung gemacht und das erhobene Wissen in das

nächste Setting eingespeist. Zudem wurden Zwischenergebnisse auf unterschiedlichen Ebenen

in der Gemeinde rückgekoppelt und diskutiert. Auf diese Weise haben wir im Forschungs- und

Interventionsprozess die Mikro-Stories, Narrative und die Sorgeerfahrungen der Betroffenen mit

den unterschiedlichen Kreisen der Sorge in Beziehung gesetzt und die unterschiedlichen

Perspektiven und Sichtweisen in Austausch gebracht. Somit haben wir nicht „nur“ Daten

gesammelt und analysiert, sondern Kommunikationen initiierte und ein kollektives Bewusstsein

gefördert, von den Bedürfnissen der Betroffene und ihren existentiellen Sorgen und Nöten, aber

auch von den der Situation und den Rahmenbedingungen der Helfenden. Somit konnten

existentielle Erfahrungen und Wissen im zirkulären Projektprozess geteilt und aufeinander

bezogen werden (siehe die nächste Abbildung).

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Abbildung 3: Erfahrung und Wissen werden im partizipativen Forschungsprozess geteilt

Im Auswertungsprozess haben wir unter anderem versucht aus den Sorgeerfahrungen,

Geschichten und den analysierten Betreuungssituationen Charakteristika, „Zutaten“, einer

sorgenden Gemeinde abzuleiten (siehe nächste Abbildung im Überblick, im Artikel Wegleitner,

Schuchter, Prieth 2015 sind hierzu vertiefende Ausführungen zu finden).

Abbildung 4: Zutaten einer sorgenden Gemeinde

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3.2.1 Landecker Handbüchlein zur Lebensklugheit in der Sorge

In der Antike, insbesondere bei den griechischen und römischen Philosophen und

Philosophinnen (etwa die Stoiker oder die Epikureerinnen), war es nicht unüblich ein

„Handbüchlein der Lebensklugheit“ bei sich zu führen. Darin wurden wesentliche Erfahrungen

und Grundsätze niedergeschrieben, die Einsichten enthielten, die aus dem Leben entstanden

sind, nicht dem Vergessen überlassen werden sollten und für eine gute Lebensführung als

bedeutsam empfunden wurden. Im Notfall oder einfach als Wiederholung für das Gedächtnis

waren dann diese Leitsätze immer „bei der Hand“ und konnten so zum festen Bestand der

eigenen „Lebenskunst“ und Lebenshaltung werden. Insbesondere angesichts der Schläge des

Schicksals und der Erfahrungen, die aus der Endlichkeit des menschlichen Lebens resultieren, wie

etwa Krankheit, Schwäche, Angewiesenheit, Schmerz und Leid sollten diese Erinnerungen und

„Ermahnungen“ an sich selbst dazu dienen, diesen Lebenslagen gewachsen zu sein oder

zumindest damit zurecht zu kommen – oder sich vielleicht sogar mit irgendeinem Winkel der

Seele oder zumindest hie und da sich über das Leiden zu „erheben“.

Im Projekt ist aus den Lebenserfahrungen von Angehörigen und ehrenamtlich Tätigen ein solches

Handbüchlein entstanden, das entscheidende Sätze („Ermahnungen“) für eine kluge

Lebensführung in der Sorge für Andere (schwerstkranke und hochaltrige Personen) enthält. Die

weitgehend (stumme) Lebenserfahrung von Angehörigen und Ehrenamtlichen wird ernst

genommen und in eine markante Sprache mit pointierten Kurzerzählungen gegossen. Damit

wurde eine innovative Auswertungsform der Fokusgruppen-Interviews in der Erhebungsphase

erfunden, die in der wissenschaftlichen Literatur so noch nicht beschrieben ist und deren

Wirkung noch beobachtet werden kann. Das Handbüchlein dient als Anregung, über die Sorge

für Andere und die Endlichkeit des Lebens gemeinsam nachzudenken. Die Form des

Handbüchleins entspricht einem partizipativen („transdisziplinären“) Forschungsverständnis.

Das Handbüchlein liegt in einer Rohversion vor und Auszüge wurden wiederholt im Rahmen des

„Bevölkerungskurses“ vorgelesen. In Kooperation mit dem STUDIEN-Verlag wird es nun erweitert

und publiziert.

Daten zur Publikation: „Lebensklugheit in der Sorge – Ermahnungen an mich selbst. Landecker

Handbüchlein.“ Von: „Patrick Schuchter unter Mitarbeit von Klaus Wegleitner und Sonja Prieth,

Studien Verlag Innsbruck-Wien-Bozen 2015 (im Erscheinen).

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4 Projektphase 2: Wie wollen wir das Leben in der Gemeinde gestalten?

Zukunftsperspektiven und Maßnahmen

„Das wäre mir das Allerwichtigste, wenn jetzt in der Gemeinde was aufgebaut werden soll: Dass

an allererster Stelle gesagt wird, dass sich die Jungen unter Anführungszeichen, also egal wie

jung oder alt die jetzt wirklich sind, dass die sich schon ganz früh mit diesen Themen

auseinandersetzen sollten. Es braucht öffentliche Veranstaltungen, wo man über das viel, viel

redet. Damit es alle mitbekommen, auch schon die Jungen.“

(Zitat, Fokusgruppe, Koordinatorin Selbsthilfe, Landeck)

Ein zentrales Element in der zweiten Projektphase war die Durchführung eines

Bevölkerungsgesprächs (BürgerInnenforums) im Stadtsaal der Gemeinde. Zur Veranstaltung „Alt,

krank … und jetzt?“ im Januar 2015 kamen knapp hundert Menschen, die zur Zukunft des Helfens

in Landeck ins Gespräch kamen. Die Bürgerinnen und Bürger diskutierten zunächst engagiert jene

Themen, die pflegende Angehörige und Menschen aus dem lokalen Hilfenetzwerk in den

Interviews, Workshops und Fokusgruppengesprächen als besonders wichtig erachtet haben: a)

Unterstützung pflegender Angehöriger, b) Gegen die Vereinsamung im (hohen) Alter, c)

Lebensumbrüche und Vorsorge, d) Sorge ohne schlechtes Gewissen, e) Sorgearbeit gerecht

verteilen, f) Nachbarschaftskultur stärken/entwickeln.

Als Diskussionsimpuls dienten vom WissenschaftlerInnen-Team vorgestellte Originalzitate und

kurze erläuternde Thesen zu den jeweiligen Themen entlang der Grundsatzfrage: „ Wie

wollen/können wir das Leben in und um Landeck so gestalten, dass …

Themenimpuls: Unterstützung pflegender Angehöriger

Zitat - Angehörige:

„In letzter Zeit muss ich ganz ehrlich sagen, hab ich keine guten Nerven mehr. Da werd ich auch

manchmal ein bisschen ungeduldig. Wenn sie gerade beim Essen wieder so kompliziert ist ... Mein

Gott. Da hab ich keine Nerven mehr. Und dann ist das genau dieses Wort: ungeduldig. Sag das

mal zu jemandem, der noch nie so etwas erlebt hat, sag zu dem, ich werde ungeduldig. „Ja, mit

der Mama wirst doch du nicht ungeduldig sein“, heißt es dann. Na hundertprozentig. Da gibt es

kein Verständnis.“

Frage: Wie wollen/können wir das Leben in und um Landeck so gestalten, dass niemand vor der

Situation Angst haben muss, wenn jemand in der Familie pflegebedürftig wird?

Herausforderungen:

Pflege lastet oft auf nur einer Person

Soziale Kontakte gehen verloren

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„Was habe ich noch vom Leben?“

Finanzielle Belastung

Organisation von Hilfe und Hilfsmitteln ist kompliziert und mühsam

Pflege fordert oft Tag und Nacht und geht an die gesundheitliche Substanz

Themenimpuls: Gegen die Vereinsamung im (hohen) Alter

Zitat - Angehörige:

„Also ich betreue meine Mutter seit einigen Jahren. Sie ist über 90, im Kopf ist sie noch sehr gut,

aber ihre Augen … sie sieht sehr, sehr schlecht. Sie hat immer viel gelesen, Kreuzworträtsel

gemacht und so weiter. Und jetzt kann sie nix mehr, auch nicht fernsehen und das belastet sie

sehr, sie ist sehr unglücklich. Fast jeden Tag sagt sie zu mir, dass ihr das so leid tut, dass sie mich

so beansprucht, obwohl sie das eigentlich nicht will. Sie kann alleine nicht mehr vor die Tür gehen.

Wenn sie sich dann so einsam fühlt, sagt sie oft solche Dinge: ‚Wenn er mich nur holen würde‘

oder ‚Wenn ich nur schon bei meinem lieben Franz wäre‘. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl,

sie hat schon mit dem Leben abgeschlossen.“

Frage: Wie wollen/können wir das Leben in und um Landeck so gestalten, dass alte Menschen,

die hilfsbedürftig sind und (fast) „niemanden mehr haben“, trotz allem am sozialen Leben

teilhaben und Lebensqualität empfinden können?

Herausforderungen:

Partner/Partnerin, Freunde, Bekannte sind oft schon verstorben

Die Bewältigung des Alltagslebens wird beschwerlicher

Es wird schwieriger soziale Kontakte zu pflegen

Bei vielen alten Menschen ist das Geld knapp (Risiko der Verarmung)

Themenimpuls: Lebensumbrüche und Lebensereignissen durch Vorsorge gewachsen sein

Zitat-Angehörige:

„Wenn in der Familie jemand pflegebedürftig wird, ist nichts mehr wie es war. Und zwar für

niemanden. Also für den, der krank ist und für die, die sich um ihn kümmern. Alles ändert sich. Für

die ganze Familie.

Das sind Phasen, die ändern sich ständig. Und bis man sich mit einer Situation arrangiert hat und

alles organisiert hat, kommt schon wieder das nächste. Für mich war das das Schlimmste: Ich hab

nie gewusst, was am nächsten Tag ist. Ich hab eigentlich nicht einmal gewusst, was in der

nächsten Stunde ist. Und ein Problem ist, dass man da nicht gut aufgeklärt wird. Das sagt dir

niemand. Und man weiß ja nicht, wie lange das dann so geht. Und dann heißt es: „Ja das ist doch

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schön, wenn man die eigene Mama pflegen kann!“ Ja, ja, das ist alles gut und recht, aber ich

meine, ich leb ja auch noch. Mich fragt niemand, wann hast du frei oder wo gehst du hin?“

Frage: Wie wollen/können wir das Leben in und um Landeck so gestalten, dass der Verlust eines

Menschen, schwere Krankheit, Altwerden oder die Pflege eines Angehörigen – bei allem Schmerz

– niemanden völlig unvorbereitet treffen und in Unsicherheit stürzen?

Herausforderungen

Gespräche über Sterben, Tod, Trauer, Kranksein, Pflegen finden zu „gesunden“ Zeiten oft

nicht statt (Tabuisierung)

Durch schwerwiegende „Lebensereignisse“ verändern sich Beziehungen, Selbstbild und

Selbstempfinden, die Prioritäten im Leben

Neuorientierung im Leben braucht viel Zeit

Themenimpuls: Sorge ohne schlechtes Gewissen

Zitat-Angehörige:

„Ich fahre zweimal am Tag zu meiner Mutter, um halb elf am Vormittag zum ersten Mal. Ich richte

ihr das Mittagessen, bleibe dort, putze und tu, was halt zu tun ist. Das ist nicht relevant, das ist

die Arbeit, die sie für mich auch einmal getan hat. Und dann fahr ich heim, mittagessen. Ich kann

einfach nicht mit ihr essen, es tut mir leid, auch wenn sie sich das so wünschen würde. Und am

Abend um sechs, halb sieben fahr ich wieder hin. Bis sie im Bett ist.“

Zitat-Koordinatorin:

„Wenn pflegende Angehörige etwas nicht so machen, wie es erwartet wird oder wie man es auch

von sich selbst erwartet, dann ist das schlechte Gewissen da. Und das verfolgt viele sehr, sehr

lange. Das ist auch das, was weiterhin noch da ist, auch wenn eine Pflegesituation abgeschlossen

ist, also wenn der Betroffene verstorben ist. Die quälen sich dann richtig: Das hab ich nicht getan,

das hätte ich noch besser machen können. Das geht nicht einfach so weg.“

Frage: Wie wollen/können wir das Leben in und um Landeck so gestalten, dass Menschen, die

zuhause ihre Mutter oder ihren Vater pflegen, nicht in die Lage gebracht werden, mit einem

schlechten Gewissen und Schuldgefühlen allein zu sein?

Herausforderungen

Oft glauben pflegende Angehörige alles „alleine schaffen zu müssen“ und haben ein

schlechtes Gewissen, Hilfe zu holen oder anzunehmen

-Gefühle wie Wut, Verzweiflung, Überforderung gehören manchmal dazu – aber

erzeugen auch Schuldgefühle

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-Ein Einzug ins Altersheim könnte manchmal eine gute Lösung sein – aber pflegende

Angehörige fühlen sich oft schon beim Gedanken daran schuldig

Themenimpuls: Sorgearbeit gerecht verteilen

Zitat-Angehörige:

„Also ich denke mir schon manchmal, meine Mutter hat wirklich viele Kinder und … und eines

bleibt übrig. Ich bin sehr allein damit. Ich hab schon eine Schwester, die mir ein bisschen hilft, aber

sie hat wenig Zeit und … es ist schwer. Es wäre halt fein, wenn jemand einmal drei, vier Tage oder

auch über Nacht bleiben könnte. Aber das gibt es fast nie. Also es ist schon so, wenn man es

anfängt, dann heißt es, du hast Zeit, du hast es jetzt getan, du kennst dich aus. Sie kommen schon

alle mal auf Besuch, aber dann sagen sie, ich muss gehen, wir müssen noch, wir haben noch … es

hat halt niemand Zeit. Es nimmt sich niemand Zeit. Das find ich am allerschrecklichsten.“

Frage: Wie wollen/können wir das Leben in und um Landeck so gestalten, dass die Pflege zu

Hause nicht nur von einer Person (einer Frau) getragen wird, sondern „gerecht“ verteilt wird?

Herausforderungen:

Die „Pflegerolle“ übernimmt oft eine Tochter, aber eine Diskussion hat nie stattgefunden

Die Pflegerolle kann sehr undankbar sein – wenn der Besuch der „fernen“ Kinder mehr

gilt als die tägliche Pflege

Männer entziehen sich oft ganz und mit aller Selbstverständlichkeit der Pflege

Der optimale „Mix“ der Pflege aus: Verwandten, Bekannten, Hilfen von FreundInnen und

Nachbarn und professionellen Diensten und Institutionen ist schwer zu bestimmen

Themenimpuls: Nachbarschaftskultur stärken/entwickeln

Zitat-Hausbesorger:

„Wenn am Balkon der Blumenschmuck fehlt, ist das ein erstes Zeichen für den Rückzug. Da sollte

man dann schon mal aufmerksam werden und schauen, ob die Nachbarn vielleicht was

brauchen.“

Zitat-Ehrenamtliche:

„Also sehr wichtig sind so alltägliche Kleinigkeiten der Nachbarschaftshilfe. Dass ich eben, wenn

ich weiß, die Frau nebenan kann nicht mehr gut gehen, dass ich eben sage, ich geh morgen

einkaufen, schreib mir auf, was Du brauchst, dann bringe ich Dir das mit. Also ganz kleine Dinge,

die wirklich jeder tun kann, das sollte verstärkt werden. Nicht verpflichtend natürlich, sondern so,

dass man einfach mitdenkt, dass man Augen und Ohren offen hat. Ich koch sogar meiner bösen

Nachbarin eine Suppe, wenn sie krank ist. Ich denk mir, sie ist halt sehr alt. Was solls.“

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Frage: Wie wollen/können wir das Leben in und um Landeck so gestalten, dass wir einander als

Nachbarn und Nachbarinnen im Blick haben und kleine Hilfeleistungen eine

Selbstverständlichkeit sind?

Herausforderungen:

Nachbarn und Nachbarinnen sind in der Sorge eine wichtige Ressource, aber:

Viele fühlen sich beobachtet oder schämen sich vor dem Gerede der Nachbarn

Ansprechen, nachfragen, kleine Hilfeleistungen geben: das erfordert (anfänglich) Mut

und Initiative

Hilfe anzunehmen fällt oft schwer, weil man meint, alles selbst schaffen zu müssen oder

immer etwas zurückgeben zu müssen

BürgerInnen-Vorschlagskarten

Im Laufe des Bevölkerungsgesprächs sollten von den TeilnehmerInnen Ideen möglichst konkret

auf „BürgerInnen –Vorschlagskarten“ festgehalten werden.

Über vierzig Vorschläge wurden von den BürgerInnen entwickelt, wie die Sorgekultur in der

Stadtgemeinde gestärkt werden kann.

Diese Vorschläge wurden gesammelt, vom Projektteam ausgewertet und im Sozialausschuss der

Stadtgemeinde vorgestellt und besprochen. Folgende Handlungsfelder standen im Zentrum der

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BürgerInnen-Vorschläge: Belebung und Stärkung der Nachbarschaftskultur (für

Nachbarschaftlichkeit sensibilisieren, freiwillige und nachbarschaftliche Sorge

aufbauen/koordinieren, sich kümmern), soziale Teilhabe ermöglichen, Ansprechpartner und

Koordination von Sorgeangeboten schaffen, darüber reden und informiert werden.

Neben der Entwicklung von konkreten Zukunftsperspektiven diente das Bevölkerungsgespräch

auch dazu, dass formelle und informelle HelferInnen und ihre Angebote sichtbar gemacht und

ein Raum für Wissens- und Informationsaustausch für die Bevölkerung geschaffen wurde.

5 Projektphase 3: Sorgekultur stärken - Lokale Maßnahmen initiieren, fördern und

begleiten

Parallel zum Bevölkerungsgespräch und als Ergebnis aus den Vorschlägen wurden in

unterschiedlichen Bereichen der Gemeinde Impulse und Initiativen mit einem engagierten

Team von lokalen AkteurInnen (Sorgeteam) und mit Unterstützung der Kommunalpolitik auf

den Weg gebracht und umgesetzt.

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5.1 Kümmerer- und Nachbarschaftsabend

So wurde unter dem Titel „Wie geht es dir eigentlich?“ ein „Kümmerer- und

Nachbarschaftsabend“ veranstaltet. Dabei wurden Erfahrungen ausgetauscht, um im Erzählen

die „unsichtbare“ Sorge und Hilfe bewusst zu machen, die Friseure, Briefträgerinnen, Verkäufer,

Taxifahrerinnen, Hausbesorger, Nachbarinnen und andere „Kümmerer“ in ihrem Alltag erbringen.

Einladungstext:

„Wie geht es dir eigentlich?“

Einladung zu einem „Kümmerer- und Nachbarschaftsabend“

Frisörinnen kennen oft die Sorgen und Lebenslagen ihrer älteren Kundinnen. Gastwirte sind Ansprechpartner für einsame Menschen. Fachkräfte im Handel oder in anderen

Dienstleistungsberufen schenken kranken und gebrechlichen Menschen Zuwendung oder ganz konkrete Unterstützung über ihr eigentliches „Kerngeschäft“ hinaus. Nachbarn und

Nachbarinnen haben einander im Blick. Sie kümmern sich, ganz selbstverständlich und alltäglich.

Die Einsamkeit von alten und/oder kranken Menschen, aber auch von pflegenden Angehörigen kann groß sein. Umso wichtiger sind diese kleinen Gesten der Aufmerksamkeit und

Unterstützung für sie.

Kleine Gesten und Worte machen oft einen großen Unterschied

Deshalb laden wir ein – im Rahmen des Projekts Sorgende Gemeinde im Leben und Sterben der Stadtgemeinde Landeck – zu einem

„Kümmerer- und Nachbarschaftsabend“

im Alten Widum am Mittwoch, 25. März 2015 von 18 Uhr bis max. 21 Uhr

Wir wollen Erfahrungen austauschen und im Erzählen die „unsichtbare“ Sorge und Hilfe

bewusst machen, die Friseure, Briefträgerinnen, Verkäufer, Taxifahrerinnen, Hausbesorger, Nachbarinnen und andere „Kümmerer“ in ihrem Alltag erbringen. Was sind die kleinen,

kostbaren Hilfen im Alltag? Welche Möglichkeiten gibt es? Eine Kernfrage ist auch: Wie kann die Sorge für andere nicht als Last, sondern als Bereicherung erfahren werden? In einer

„sorgenden Gemeinde“ lebt es sich für alle besser!

Das Treffen richtet sich an alle, die sich angesprochen fühlen – an alle „Kümmerer“ und solche, die es werden wollen.

Diskussion

Im zweiten Teil des Abends wurden sehr interessante Themen herausgearbeitet, die hier in ein

paar Sätzen kurz skizziert werden:

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Ein Thema war die Frage nach der "guten Nachbarschaft": Nachbarschaftliche Beziehungen

müssen gepflegt werden, auch wenn man nichts voneinander braucht. Nur so können sie

wachsen und in schwierigen Zeiten (Alter, Krankheit ...) zu einer wertvollen Ressource werden,

die für beide Seiten bereichernd ist.

Traditionell starke Nachbarschaftsbeziehungen sind nicht mehr selbstverständlich, weil die

Gesellschaft anonymer und individualistischer wird. Eine Folge daraus ist, dass das Misstrauen

untereinander steigt, Zuwendung und Interesse können leicht als Einmischung oder

ungebührliche Neugier interpretiert werden (Balance von Nähe und Distanz, Fürsorge und

Intimität wahren!).

Wie kann dem entgegengewirkt werden? Die Diskussionsrunde ist zu dem Schluss gekommen,

dass es "Brücken" braucht, zwischen einzelnen Menschen, aber auch zwischen unterschiedlichen

Bevölkerungsgruppen, die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben. Nur wenn

Verbindungen entstehen und Brücken gebaut werden, kann Vertrauen in der Gesellschaft

entstehen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich mehr aufeinander beziehen.

Dieses Brückenbauen wurde von den TeilnehmerInnen am Kümmerer- und Nachbarschaftsabend

recht umfassend gesehen und es hat sich gezeigt, dass gesellschaftliche Teilhabe für ALLE

Gruppen, egal wie alt sie sind, woher sie kommen, wie gesund oder krank sie sind, Voraussetzung

für ein gutes Miteinander in einer Gesellschaft ist. Diese gesellschaftliche Teilhabe bzw. Inklusion

muss strukturell ermöglicht werden, ist also letztlich auch eine Aufgabe für die Politik.

Ein Wunsch, der geäußert wurde: Nachbarschaftshilfe sollte organisiert werden. Das heißt, es

braucht eine Plattform, wo ganz unbürokratisch Hilfeleistungen angeboten werden können.

Wichtig dabei ist, dass Nachbarschaftshilfe nicht als "Tauschgeschäft" gesehen wird. In einer

"Sorgenden Gemeinde" bieten Menschen Hilfeleistungen an, ohne dafür etwas zu erwarten, und

andere nehmen diese Hilfe an, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Das Prinzip der

Gegenseitigkeit muss in diesem Zusammenhang größer gedacht werden: Wenn ich etwas gebe,

bekomme ich immer etwas zurück - allerdings vielleicht von ganz woanders, möglicherweise auch

von ganz unerwarteter Seite.

Da das Annehmen von Hilfe in unserer Gesellschaft offenbar oft schwer fällt, ist es wichtig, es in

der Bevölkerung zum Thema zu machen.

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5.2 Bevölkerungskurs „Vorsorgen, pflegen und gut leben bis zuletzt“

Wo und von wem bekomme ich in einer Pflege- und Betreuungssituation Hilfe? Was ist mir in

der letzten Lebensphase wichtig? Welche Möglichkeiten der Vorsorge gibt es? Wie merke ich,

wenn ein Mensch dem Sterben nahe ist? Wie verlaufen Trauerprozesse? Was hilft mir, nach dem

Tod eines geliebten Angehörigen wieder Kraft zu finden? Diese und viele andere Fragen wurden

seit Mai 2015 an vier Abenden im Rahmen des Bevölkerungskurses „Vorsorgen, pflegen und gut

leben bis zuletzt“ in Landeck behandelt. Der Kurs richtete sich an alle Bürgerinnen und Bürger.

Die Teilnahme war kostenlos und die Abende konnten auch einzeln besucht werden. Der Kurs

wurde vom IFF-THG Projektteam mit informellen und formellen HelferInnen aus der Region

gemeinsam entwickelt. Moderiert und inhaltlich gestaltet wurde der Bevölkerungskurs von den

lokalen HelferInnen (Sozial- und Gesundheitssprengel, Hospizteam, Bestattung, Seelsorge des

Krankenhauses, WegbegleiterInnen zur Unterstützung pflegender Angehöriger, Palliativpflege

und Palliativmedizin, usw.). Der Bevölkerungskurs sollte: a) zu einer frühzeitigen

Auseinandersetzung mit Fragen der Begleitung, Sorge und Selbstsorge bei Pflegebedürftigkeit

und am Ende des Lebens beitragen. b) Menschen dazu ermutigen, Fragen der

Pflegebedürftigkeit und der letzten Lebensphase frühzeitig zu besprechen und eine aktive bzw.

aktiv unterstützende Rolle einzunehmen. c) Orientierungswissen und Unterstützung in Fragen

der Begleitung von alten, schwer kranken und sterbenden Menschen sowie im Umgang mit

Sterben, Tod und Trauer anbieten.

Die jeweils 3 stündigen Abende haben sich inhaltlich in folgende Module aufgeteilt:

Mi, 6. Mai, Beginn 18.00: Hilfe organisieren, annehmen und sich kümmern

Do, 28. Mai, Beginn 18.30: Vorsorgen, planen und entscheiden

Mi, 10. Juni, Beginn 18.00: Beistehen, pflegen und betreuen – die letzten Tage und Stunden

Mi, 24. Juni, Beginn 18.00: Abschied nehmen, trauern und Kraft finden

Ältere Menschen, pflegende Angehörige, interessierte BürgerInnen und Menschen, die

professionell oder ehrenamtlich im Bereich der Pflege und Begleitung tätig sind haben sich in

einer sehr offenen Atmosphäre ausgetauscht, ihre Ängste, Sorgen und Interessen eingebracht

und von den ReferentInnen (aus dem lokalen Sorgenetzwerk) hilfreiche Informationen und

Hilfestellungen erhalten.

Doris Habicher, die Geschäftsführerin des Sozial- und Gesundheitssprengels Landeck-Zams-

Fließ-Schönwieß, die alle 4 Abende moderierend einen vertrauensvollen Rahmen gespannt hat

resümierte folgendermaßen:

„Ich war überrascht und es hat mich sehr gefreut, welch große und positive Resonanz der Kurs in

der Bevölkerung ausgelöst hat. Alle vier Kursabende waren sehr gut besucht. So kamen am letzten

Abend ca. 40 Menschen in den Alten Widum. Ältere Menschen, pflegende Angehörige,

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interessierte BürgerInnen und Menschen, die professionell oder ehrenamtlich im Bereich der

Pflege und Begleitung tätig sind haben sich in einer sehr offenen Atmosphäre ausgetauscht, ihre

Ängste, Sorgen und Interessen eingebracht und von den ReferentInnen hilfreiche Informationen

und Hilfestellungen erhalten. Viele Gespräche und Situationen haben mich berührt und auch mich

haben die Abende sehr bereichert.“ Sonja Prieth, Bildungsreferentin der Tiroler Hospiz-

Gemeinschaft und Mitglied des Projektleitungsteams: „An jedem der vier Abende war spürbar,

dass es zwar anfangs nicht leicht ist, offen über diese Themen zu reden, letztlich aber von allen

als erleichternd und wohltuend empfunden wird, es zu tun. Innerhalb kurzer Zeit entstand eine

vertraute Atmosphäre und die Menschen gingen beschenkt nach Hause.“

Ein Kernthema aller vier Abende war die Kommunikation: Immer wieder äußerten Menschen,

wie hilfreich es sein kann, wenn jemand sich Zeit für ein Gespräch nimmt und wirklich zuhört.

Gespräche mit Angehörigen, Freundinnen und Freunden über die eigenen Wünsche und

Vorstellungen das Lebensende betreffend sollten außerdem immer wieder geführt werden.

Denn nur, wenn die Angehörigen wissen, was der Vater, die Mutter sich für eine bestimmte

Situation wünschen würden, können sie sich dafür einsetzen, dass diese Wünsche respektiert

werden. Eines der schwierigsten Themen rund um die Sorge am Lebensende ist es, Hilfe

anzunehmen.

„Wir wollen auch in Zukunft diesen vierteiligen Bevölkerungskurs durchführen. Damit bleibt das

Thema im öffentlichen Bewusstsein und es wird ein Ort der Begegnung, des Austausches und der

Unterstützung von Menschen, die als Betroffene oder Betreuende Hilfe brauchen, etabliert. Wir

sehen den Bevölkerungskurs als wichtigen Beitrag, die Sorgekultur zu stärken. Denn Alter,

Sterben, Tod und Trauer geht uns alle an“, meint Doris Habicher.

5.3 Weitere Initiativen

Gemeinsam mit LehrerInnen und SchülerInnen wurden in der Schule Miniprojekte zur

„Sorgekultur in der Gemeinde“ initiiert und eine Kooperation mit einer lokalen Tageszeitung

etabliert. Beispielsweise haben SchülerInnen Gespräche mit ihren Großeltern über das

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Altwerden, über Sorgeerfahrungen und über ihre Wünsche, Ängste und Sorgen in der letzten

Lebensphase geführt. Gemeinsam mit dem Lehrer haben die SchülerInnen daraus einen sehr

berührenden Kurzfilm entwickelt und im Beisein der Großeltern im Projekt vorgeführt und den

Prozess der persönlichen Auseinandersetzung mit den Themen reflektiert.

Parallel zum Bevölkerungskurs wurden über 10 Wochen jeweils 1-2 Beiträge zum Projekt

Sorgende Gemeinde im Leben und Sterben in einer Lokalzeitung (eine Kooperation mit der

Oberländer Rundschau) veröffentlicht um die Themen und Kursangebote in die Bevölkerung zu

tragen und um die handelnden AkteurInnen des informellen und formellen Sorgenetzwerkes

bekannter zu machen. Beispiele:

In Kooperation mit den vier Trägergemeinden des Sozial- und Gesundheitssprengels Landeck-

Zams-Fließ-Schönwies wird momentan an der Umsetzung eines Modellprojektes zur Etablierung

einer Sorgekoordination gearbeitet.

Im Jugend- Familien- und Sozialausschuss der Stadtgemeinde Landeck wurde die fortlaufende

Förderung des Schwerpunktes „Sorgende Gemeinde“, über den Projektprozess hinaus,

beschlossen.

Im November 2015 findet im Rathaus ein Forum zur Nachhaltigkeit der Sorgenden Gemeinde

statt.

Im Januar 2016 endet das Projekt mit einer öffentlichen Projektmesse und Zukunftswerkstatt im

Stadtsaal Landeck.

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