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Fachbereich 10: Sprach- und Litera- turwissenschaften Studiengang: Transnationale Literaturwissenschaft: Literatur, Theater, Film Masterarbeit SpurenLesen: Das narrative Moment im improvisierten Theater der Gegenwart vorgelegt von: Ina Schenker Römerstraße 28 28203 Bremen Telefon: 0176-84286568 Email: [email protected] Matrikelnummer: 255084 3 Gutachterin: Dr. Elke Richter Zweitgutachterin: Prof. Dr. Elisabeth Arend Abgabetermin: 27.01.2013 Vorgelegt.am: 31.12.2012

SpurenLesen: Das narrative Moment im improvisierten ... · Das abwesende Skript 42 3. Das Subjekt im Kollektiv 46 V Fazit und weiterführende Fragen 52 Bibliografie 57 Erklärung

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Fachbereich 10: Sprach- und Litera-

turwissenschaften

Studiengang:

Transnationale Literaturwissenschaft: Literatur,

Theater, Film

Masterarbeit

SpurenLesen:

Das narrative Moment im

improvisierten Theater der

Gegenwart

vorgelegt von: Ina Schenker

Römerstraße 28

28203 Bremen

Telefon: 0176-84286568

Email: [email protected]

Matrikelnummer: 255084 3

Gutachterin: Dr. Elke Richter

Zweitgutachterin: Prof. Dr. Elisabeth Arend

Abgabetermin: 27.01.2013

Vorgelegt.am: 31.12.2012

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Inhalt

I Einleitung: Ausführung der Fragestellung 3

II Das narrative Moment im improvisierten Theater 5

1. Wichtige Grundlagen dieser Arbeit 5

2. Definition des Gegenstands und Forschungsüberblick 7

a) kurzer Blick in die Entstehungsgeschichte 7

b) Improvisationstheater heute: eine Definition 9

c) Forschungstand 11

3. „group mind“ und Emergenz als konstituierende Parameter improvisierter

Narrationen? 14

a) Del Close und der Mythos des „group mind“ 15

b) Emergenz in der Ästhetik des Performativen bei Erika Fischer-Lichte 16

c) soziale Emergenz und kollaborative Kreativität bei Robert K. Sawyer 19

d) systemtheoretische Emergenz bei Gunter Lösel und Zwischenfazit 21

III Spuren und SpurenLesen 24

1. Verwendung des Spurbegriffs 25

a) Der Spurbegriff bei Jacques Derrida 27

b) Der Spurbegriff bei Carlo Ginzburg 29

2. Attribute der Spur und Ebenen des Spurenlesens 31

3. Das narrative Moment der Spur im Forschungsüberblick 35

IV SpurenLesen als Erklärungsmodell improvisierter Narrationen 39

1. Improvisierte Narrationen als Semioseprozesse 41

2. Das abwesende Skript 42

3. Das Subjekt im Kollektiv 46

V Fazit und weiterführende Fragen 52

Bibliografie 57

Erklärung 62

Anhang: DVD

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3

I Einleitung: Ausführung der Fragestellung

Ein Improvisations-Spieler muss wie ein Mensch sein, der

rückwärtsgeht: Er sieht, wo er gewesen ist, aber er achtet nicht

auf Zukünftiges. Seine Geschichte kann ihn überall hin führen,

doch er muss ihr ein „Gleichgewicht“ und Struktur geben, das

heißt sich an die vorangegangenen Episoden erinnern und sie

wieder in die Geschichte einführen.1

Pas des traces, pas d’histoires.2

Das moderne westliche Improvisationstheater wird oft in einer Schublade hinter Stand-Up-

Comedy versteckt, gilt als Laientheaterbewegung, gruppentherapeutische Theaterpädagogik-

übung oder wird als Vorform im Probenprozess einer Inszenierung verortet. All dies kann

improvisiertes Theater sein, es kann aber auch mehr. Neben den bereits erwähnten Erschei-

nungsformen wird improvisiertes Theater seit einiger Zeit verstärkt als eigenständiges ästheti-

sches Erlebnis wahrgenommen, dem so auch ein Platz in der wissenschaftlichen Forschung

eingeräumt werden muss.3 In den Vordergrund rücken dabei neben diachronen Fragen, die

eine historische Entwicklung des modernen Improvisationstheaters nachzeichnen, auch syn-

chrone Interessen. Diese orientieren sich vor allem am „Wie“ des theatralen Improvisations-

prozesses, für den theoretische Beschreibungs- und Erklärungsmodelle gesucht werden.

Auch in dieser Arbeit soll der Frage nach dem „Wie“ weiter auf den Grund gegangen werden.

Hauptanknüpfungspunkte bilden dabei die Grundpfeiler des improvisierten Theaters: Die un-

vorbereitete, momentgebundene Erzeugung narrativer Szenen in Gemeinschaft. Das Prozess-

hafte, Erlebnis- und Ereignisorientierte, das dieser hic et nunc-Situation eingeschrieben ist,

rückt das improvisierte Theater aus theaterwissenschaftlicher Perspektive in die Nähe eines

performanztheoretischen Ansatzes, der im deutschsprachigen Raum vor allem durch Erika

Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen aus dem Jahr 2004 geprägt ist. Als besonders re-

levant können dabei Fischer-Lichtes Überlegungen zur Entstehung von Bedeutung in einem

gemeinschaftlichen Prozess gelten, für die sie das Konzept der Emergenz anführt. Emergenz-

theorien werden auch von Robert Keith Sawyer in seinem Buch Improvised Dialogues.

Emergence and Creativity in Conversation von 2003 und Gunter Lösels 2011 verfasster und

bisher unveröffentlichter Dissertation „Das Spiel mit dem Chaos. Performativität und Sys-

temcharakter des Improvisationstheaters“4 herangezogen, um den Improvisationsprozess be-

schreiben zu können. Improvisationstheater wird in beiden letzteren Ansätzen als System ver-

1 Johnstone, Keith: Improvisation und Theater, S. 198. 2 Hard, Gerhard : Spuren und Spurenleser, S. 70. 3 Dörger, Dagmar/Nickel, Hans-Wolfgang: Improvisationstheater, S.8. 4 Die Dissertation ist vom Prüfungsausschuss bereits abgenommen und nach eigenen Angaben plant Gunter Lösel die Publikation für 2013.

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standen, das im Laufe seiner Entwicklung eigenständige Dynamiken hervorbringt, die nicht

mehr auf die einzelnen Spielerindividuen reduzierbar sind und die eine eigene Rolle bei der

Erzeugung von Bedeutung spielen. Aus diesen Betrachtungen resultieren wichtige und

schlüssige Erkenntnisse, es bleiben aber auch Lücken im Beschreibungsmodell. Diese bezie-

hen sich vor allem auf die Rolle des Individuums im Kollektiv und das narrative Moment an

sich, welches doch eine ganz besondere Funktion im improvisierten Theater einnimmt, da im

Gegensatz zu anderen zeitgenössischen performativen Formen in erster Linie und ganz expli-

zit versucht wird, Geschichten zu erzählen.

An diesen Leerstellen soll hier vor allem anhand der Arbeit von Gunter Lösel angesetzt und

eine erweiternde Theorie vorgestellt werden. Es wird davon ausgegangen, dass das Spie-

lersubjekt eine ganz entscheidende Rolle bei der Erzeugung von Narration im Kollektiv spielt.

Um diese zu erklären, wird als emergenztheoretisch ergänzendes Modell vorgeschlagen, den

Prozess des Improvisierens als SpurenLesen zu verstehen. SpurenLesen5, hier gekennzeichnet

durch einen starken Fokus auf einen aktiven Lesebegriff, wird als ein Semioseprozess ver-

handelt, dem das Narration konstruierende Moment durch den interpretierenden Spurenleser

eingeschrieben ist und der so vor allem die Wahrnehmung und Deutung durch ein Individuum

in den Vordergrund rückt.

Folgende Fragen werden also in dieser Arbeit gestellt: Wie kann das Subjekt in einem als

emergent verstandenen, theatralen Improvisationsprozess gedacht werden? Wo verlaufen die

Grenzen eines emergenztheoretischen Zugriffs? Wie können die Spieler Narrationen im im-

provisierten Theater erschaffen? Kann die Denkfigur des SpurenLesens als Beschreibungs-

modell greifen und welche Rückwirkungen hat diese Anwendung dann auf das Paradigma des

SpurenLesens und der Spur selbst?

Für die Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig, dass in einem ersten Schritt genau defi-

niert wird, was unter modernem, westlich geprägtem Improvisationstheater als Gegenstand

dieser Untersuchung verstanden wird und wie sich der Forschungsstand diesbezüglich verhält.

Anschließend werden das Konzept des Kollektiven, in der Improvisationstheaterfachsprache

als „group mind“ bekannt, und der daraus resultierende emergenztheoretische Zugriff auf sei-

ne Wirkung, Erklärungskraft und -schwäche untersucht. Schließlich gilt es, das weite Denkpa-

radigma der Spur und des SpurenLesens für den Analysezusammenhang dieser Arbeit zu de-

finieren und auf das Improvisationstheater anzuwenden. Dies soll über den theoretischen

5 Zur Verdeutlichung und Betonung der Tätigkeit des Lesens wird im Titel und in der Einleitung die Schreibung SpurenLesen verwendet. Im

weiteren Verlauf der Arbeit jedoch zur Kleinschreibung Spurenlesen zurückgekehrt, um den Lesefluss zu erleichtern.

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Rahmen hinaus anhand von Beispielaufnahmen an realen Aufführungen6 verdeutlicht werden.

Exemplarisch werden die Überlegungen vor allem an zwei Formaten, zum einen der extrem

freien Form aka nichts muss des Bremer Improvisationstheaterduos die beiden und zum ande-

ren einer improvisierten Langform, dem sogenannten „Harold“ der Gruppe Jennifer‘s Elch

demonstriert.

II Das narrative Moment im improvisierten Theater

1. Wichtige Grundlagen dieser Arbeit

Es soll direkt zu Beginn darauf hingewiesen werden, dass die Schwerpunktsetzung auf ein

wissenschaftstheoretisches Beschreibungsmodell für den Produktionsmodus improvisierten

Theaters seitens der Spieler viele weitere höchst interessante Fragen nur am Rande, in Fußno-

ten streifen kann, oder sie ganz außer Acht lassen muss. Darunter fallen unter anderem for-

schungsrelevante Themen wie die Rolle der Rezeption oder Vergleiche mit anderen improvi-

satorischen Formen wie dem Tanz, der Musik oder auch dem Alltagshandeln. Des Weiteren

wird sich in dieser Arbeit einer Reihe von Begriffen bedient, die selbst immer wieder Gegen-

stand wissenschaftlicher Diskussionen sind, die im Folgenden jedoch nur knapp definiert

werden können, um gezielt der Frage nach der Erzeugung von Narration im improvisierten

Theater nachgehen zu können. Demnach gilt es, die Begriffe Text, Narration, Lesen und Sub-

jekt, für die Verwendung in dieser Arbeit, im Kontext des improvisierten Theaters und des

Spurenlesens einzugrenzen, da sie das begriffliche und konzeptuelle Werkszeug stellen.

Unter Text (lat. textus: Gewebe, Geflecht) wird ganz allgemein zunächst ein Kommunikati-

onsinstrument verstanden. Er ist Prozess und Ergebnis einer von Produzenten und Rezipienten

kooperativen Tätigkeit.7 Darüber hinaus gilt nach Mieke Bal als entscheidendes Textkriterium

das Vorhandensein von Grenzen, innerhalb derer sich der Text als kunstvoll vernetzte Zei-

chenverbindungen in einem strukturierten Ganzen konstituiert.

The finite ensemble of signs does not mean that the text itself is finite, for its meanings, effects,

functions, and background are not. It only means that there is a first and a last word, to be identi-

6 Es soll hier noch betont werden, dass die gewählten Aufführungen einer gewissen Willkür unterliegen, da auch jede andere Aufführung als Beispiel dienen könnte. Dieser Fakt soll aber nur das Potential des theoretischen Zugriffs verdeutlichen. 7 Thiele, Wolfgang: „Text“, S.706.

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fied, a first and a last image of a film; a frame of a painting, even if those boundaries […] are

provisional and porous.8

Als Text wird hier im improvisierten Theater also die Gesamtheit der produzierten und rezi-

pierten Zeichen, die zur Kommunikation der Show innerhalb ihrer zeitlichen Begrenzung ge-

nutzt werden, betrachtet.9 Der Text ist so zugleich stets offen, in der individuellen Ausdeu-

tung mehrdeutig als auch zugleich operativ als strukturalistische Entität begrenzt.10

Während als Text also die Gesamtheit der im Laufe einer Show entstandenen Zeichenverbin-

dungen gilt, wird unter Narration, wesentlich enger gefasst, das verstanden, was in der struk-

turalistischen Auffassung Erzählungen von anderen Textarten unterscheidet: die zeitlich orga-

nisierte Handlungssequenz, in der es durch ein Ereignis zu einer Situationsveränderung

kommt.11

Es geht also um die Darstellung einer Handlung oder wie Martinez/Scheffel näher

definieren, um eine Geschichte, die neben einem chronologischen und kausalen Erklärungs-

zusammenhang auch motiviert ist, ein sinnvolles Ganzes zu ergeben.12

Dieses Charakteristi-

kum entspricht dem, was auch bei Genette eigentlich unter den Begriff der Geschichte, der

histoire, fällt. Nach Genette steht dann die Bezeichnung Narration oder Französisch narration

für den Akt der Narration selber.13

Beide Aspekte spielen im Kontext dieser Arbeit eine wich-

tige Rolle, wie auch Genette seine aufgefächerte Definition des Erzählungsbegriffs immer in

einem durchdringenden Wechselspiel der verschiedenen Funktionen denkt. Für den narrativen

Moment im improvisierten Theater und das Spurenlesen als Beschreibungsmodell ist zentral,

dass Geschichten, dass Veränderungen dargestellt werden, aber auch dass sie in diesem einen

Moment, im hic et nunc, im Akt des Erzählens selber überhaupt erst entstehen können. Die

Unterscheidung zwischen diesem engeren Narrationsbegriff und dem weiteren Textbegriff

eröffnet die analytische Möglichkeit, im Improvisationstheater innerhalb des großen Gesamt-

textes verschiedene narrative Einheiten und Momente zu denken und voneinander gelöst zu

untersuchen.

Von diesem Text- und Narrationsbegriff ist es kein weiter Weg zu einem aktiven Konzept des

Lesens. Hier ist vor allem bemerkenswert, dass Lesen, bevor es sich in einer Engführung auf

schriftlich fixierte Texte konzentrierte, auf das Auflesen, Sammeln und Auslesen bezog (ahd.

lesan; lat. legere). Vor allem Letzteres deutet so auch auf einen bewussten, subjektiven Selek-

8 Bal, Mieke: Narratology, S.5. 9 Von Mieke Bals Definition ausgehend hat Michel Büch ausführlich in seiner Masterarbeit zur Textualitität des improvisierten Theaters

gearbeitet und wird dies in einer geplanten Dissertation noch vertiefen. 10 Mit einem solchen Textbegriff arbeiten beispielsweise auch Elke Richter, Karen Struve und Natascha Ueckmann in Balzacs „Sarrasine“

und die Literaturtheorie, S. 58f. 11 Vgl. Nünning, Ansgar: „Narrativität“, S.528. 12 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, S. 188,189. 13 Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung, S.15

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tionsprozess hin. Diesem freieren, ursprünglicheren Konzept soll für das Spurenlesen im im-

provisierten Theater wieder gefolgt werden. Darüber hinaus steht die heute eng damit verbun-

dene „bewusst-intentionale und primär innere, d.h. geistige Handlung eines Individuums, in

der komplexe Prozesse der Aufnahme und Wahrnehmung […] zur Bedeutungsgenerierung

zusammenwirken“14

im Vordergrund. Ein weiter und aktiver Lesebegriff wird dieser Arbeit

also zugrunde gelegt, der in stimulierender Abhängigkeit des lesenden Individuums, des le-

senden Subjekts steht.

Auch die zuletzt genannten Begriffe, Individuum und Subjekt, sind basale Diskussions- und

Angelpunkte philosophischer Denkkonzepte und je nach Weltverständnis unterschiedlich de-

finiert worden. Für diese Arbeit werden beide Begriffe mehr oder weniger synonym verwen-

det, da hier nicht die psychoanalytische, postmoderne oder prozesshaft-diskursive Konstituti-

on des Individuums, des Subjekts im Vordergrund steht, sondern die damit verbundene Vor-

stellung eines aktiven Handelns und der damit einhergehenden Intentionalität15

eines nicht

vollständig abstrahierbaren und systematisierbaren, sondern einzigartigen Denken des Men-

schen in seiner Individualität.16

Ein solches Individuum ist das spurenlesende und szenisch

improvisierende Subjekt in dieser Arbeit, das durch selektive, aktive Rezeption überhaupt erst

produktiv tätig werden kann.

Diese Begriffe sind im Folgenden als zentral für meine Überlegungen zu erachten. Doch zu-

nächst gilt es noch, sich dem Untersuchungsgegenstand Improvisationstheater aus einer

Überblicksperspektive zu nähern, bevor detaillierte Betrachtungen angestellt werden können.

2. Definition des Gegenstandes und Forschungsüberblick

a) Kurzer Blick in die Entstehungsgeschichte

Auch wenn festgelegt wurde, dass es sich um eine synchrone Untersuchung handeln soll,

wirkt ein kurzer Blick in geschichtliche Zusammenhänge erhellend, um das Improvisations-

theater in seiner gegenwärtigen Ausrichtung und gesellschaftlichen, sowie wissenschaftlichen

Position zu verorten.

Die US-Amerikanischen Improvisationslehrer Tom Salinsky und Deborah Frances-White

führen in ihren historischen Durchgang mit einer etwas saloppen Aussage ein, die aber einen

wichtigen Faktor betont. 14 Müller-Oberhäuser, Gabriele: „Lesen/Lektüre“, S.417. 15 Vgl. Aczel, Richard: „Subjekt und Subjektivität“, S.691. 16 Vgl. Rudolph, Enno: Odyssee des Individuums, S.8.

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Almost any book on improvisation will tell you that improvised theatre began with the

Commedia Dell’Arte – and for once, “any book“ is right, although possibly not for the

reasons supposed.17

Das Stegreifspiel der Commedia Dell’Arte wird häufig als Vorläufer des heutigen improvi-

sierten Theaters genannt, da es eine Gegenbewegung zu dem in der Renaissance entstandenen

National- und Literaturtheater darstellt und so als Gegenpol zu dramentextbasierten Inszenie-

rungen definiert werden kann. Improvisationstheater gibt es aber, wie auch Dörger und Nickel

in ihrem Überblick darstellen, der im Folgenden skizziert wird, nicht erst seit der Commedia

Dell’Arte, sondern begleitet, ja dominiert das Theater sogar seit seinen Anfängen.18

Allein die

Eigenständigkeit und Anerkennung der Improvisation als theatralem Erleben an sich unterlie-

gen verschiedenen Hochzeiten.

Einen großen Einfluss übte die Improvisation nach Aristoteles bereits bei der Entstehung von

Komödie und Tragödie aus, die ihren Ursprung vor jeder Verschriftlichung fand und auch im

Mittelalter spielte die Improvisation bei der festlichen Gestaltung von Ostermessen und ande-

ren Feiertagen eine große Rolle. Unterstützt wurden diese Veranstaltungen vor allem durch

fahrendes Volk, Gaukler und Akrobaten, die wie später die Commedia Dell’Arte durch die

Lande zogen und auf Marktplätzen und anderen öffentlichen Plätzen auftraten. Das universi-

täre, rekonstruierende Theater der Renaissance begann, wie bereits erwähnt, diese freien The-

aterformen zu überlagern, doch verschwanden sie nie ganz und erleben seit dem 20. Jahrhun-

dert sogar eine neue Hochkonjunktur. Diese lässt sich nach Dörger und Nickel in zwei grobe

Phasen einteilen.

Die erste Generation bis zum zweiten Weltkrieg entdeckte die Improvisation spätestens in den

1930ern und etablierte sie in drei festen Formen. Als Ausbildungsprozess in der Schau-

spielausbildung und als Vorbereitung im Probeprozess ist sie vor allem mit den Namen Sta-

nislawski, Wachtangow, Copeau und Boyd verbunden. Während sie über Jacob Moreno und

Viola Spolin hauptsächlich als eigene Theaterform etabliert wurde. Spolin gilt dabei als eine

Schlüsselfigur, die das Improvisationstheater durch ihre theaterpädagogischen Spiele für die

zweite Generation nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend mitprägte. Diese Generation

differenzierte vor allem weiter aus, was bereits vor dem ersten Weltkrieg etabliert wurde und

betonte die Eigenständigkeit der szenischen Improvisation als theatraler Form. Spolin und ihr

Sohn Paul Sills gaben dazu von Chicago aus wichtige Impulse, die zur Gründung von The

Second City als erster professioneller Improvisationstheatergruppe führten. Weitere wichtige

17 Salinsky, Frances-White: The Improv Handbook, S.2. 18 Vgl. im Folgenden: Dörger, Dagmar/Nickel, Hans-Wolfgang: Improvisationstheater, S. 13-46.

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Einflüsse kamen später aus dem britisch-kanadischen Raum über Keith Johnstone, der das

Konzept des Theatersports ausarbeitete und wieder aus den USA von Del Close und Charna

Halpern. Del Close wird als Erfinder des „Harolds“, der Spielstruktur der in der späteren Ana-

lyse dieser Arbeit die Aufmerksamkeit geschenkt wird, auch als Begründer der sogenannten

improvisierten Langformen gesehen. Diese Formen unterscheiden sich insofern von den so-

genannten Kurformen als sie sich nicht aus vielen verschiedenen Theaterspielen zusammen-

setzten, sondern ein eigenes abendfüllendes Format darstellen und so zu einem qualitativen

Sprung in der professionalisierten Improvisationstheaterszene führten.

b) Improvisationstheater heute: eine Definition

Aus dieser diachronen Sicht kann für ein Verständnis des heutigen Improvisationstheaters

erkannt werden, dass es eine sehr heterogene Landschaft gibt, in der verschiedenste Formen

nebeneinander bestehen. Darunter in sehr grober Einteilung diejenigen, die eher der Theater-

sportszene und ihren Kurzformen mit verschiedenen Spielen nachkommen und diejenigen, die

sich aus sogenannten Langformen unterschiedlichster Strukturen zusammensetzen. In dieser

Arbeit soll versucht werden, narrative Funktionsweisen des improvisierten Theaters zu be-

schreiben, die auf alle Formen gleichwertig anwendbar sind. So gilt es also eine Definition

des improvisierten Theaters zu geben, die auf strukturelle und funktionelle Gemeinsamkeiten

abstrahiert ist und mit der wissenschaftlich operativ gearbeitet werden kann.

Der Begriff Improvisationstheater ist so grundsätzlich in zwei Teile zerlegbar: Improvisation

und Theater. Beide stehen in keinerlei ursächlichem Zusammenhang, im Gegenteil. Improvi-

sation ist eigentlich ein Begriff, der sich in vielen anderen Künsten findet, wie dem Tanz oder

der Musik, aber vor allem auch im Alltag. „Improvisieren im Alltag ist Handeln aus dem

Stegreif, ist Tun im Moment – nicht unbedingt ohne Überlegung, aber jedenfalls ohne lang-

wierige Planung“19

, definieren Dörger und Nickel. Dieses Handeln erfordert vom ausführen-

den Subjekt stets ein gewisses Maß an Kreativität und ist dabei doch oft mit einer negativen

Konnotation der mangelnden Vorbereitung verbunden. Gerade dieser Mangel an Vorberei-

tung wird von der bewusst künstlerisch eingesetzten Improvisation als eigener Wert verstan-

den und umgesetzt. Es gilt also, dieser Alltagsdefinition noch weiter auf den Grund zu gehen

und sie für einen künstlerischen Prozess zu vertiefen. Was bedeutet Improvisation in der

Kunst, für das Theater und aus einer wissenschaftlichen Perspektive?

19 Dörger, Dagmar/Nickel, Hans-Wolfgang: Improvisationstheater, S.8.

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Etymologisch ist das Substantiv *improvisatio in der gesamten Latinität nicht bekannt, son-

dern taucht erst als modernes Substantiv ital. improvvisazione und fr. improvisation im 19.

Jahrhundert auf. Das Verb improvisieren dagegen stammt schon von lateinisch improvisus –

unvorhergesehen, unvermutet im Gegensatz zu providere: vorhersehen, Vorkehrungen treffen

ab.20

Bereits an dieser Herleitung lässt sich erkennen, dass die Tätigkeit, der Prozess des Han-

delns, aus dem heraus die Improvisation entsteht, im Fokus liegt und dass es sich dabei um

eine Verhaltensweise handelt, die nicht auf Kontrolle und Planbarkeit des Handelns abzielt,

sondern Kontingenz und Unvorhersehbares als situationsbestimmend anerkennt und sich so

einem unwiederholbaren Prozess öffnet. Um jedoch als von Plänen und Regeln befreit aner-

kannt werden zu können, muss es Pläne und Regeln geben, von denen sich die Improvisation

absetzen kann. Die Improvisation bewegt sich also immer in einem Spannungsverhältnis von

Regeln und Regellosigkeit21

, von Ordnung und Unordnung in einer variablen Gradualität.22

Die Anerkennung des improvisierenden Handelns als ständig neu entstehender Ordnung

ergibt sich dabei stets durch eine daran anschließende an- und aufnehmende Reaktion und ist

so immer nur im Nachhinein fixierbar. Es entstehen Bindungen zwischen den einzelnen

Handlungen, die immer erst rückbezüglich verstanden werden können. Wichtig dabei ist, dass

der Spielraum zwischen Ausgangssituationen und Anschlussreaktionen dabei weder völlig

beliebig noch völlig bestimmt ist, sondern sich wechselseitig bedingt, denn auch die Aus-

gangssituationen können gewisse Anforderungen an das folgende improvisierte Handeln stel-

len. Damit diese Wechselseitigkeit aus Anspruch der Ausgangssituation und Anerkennung

über die Anschlussreaktion nebeneinanderbestehen können, ist die Kommentarfunktion der

Gemeinschaft über die Improvisation essentiell. „Improvisatorisches Tun steht dadurch in der

Alternative, zu gelingen oder zu misslingen, dass die Interaktionen von Ausgangs- und An-

schlussaktivität in Kommentaren thematisiert werden können.“23

Misslingen und Gelingen

sind in diesem Zusammenhang als (Nicht-)Anerkennung der Improvisation durch die folgen-

den Handlungen zu verstehen. Die Kommentarfunktion wird dabei auf einer Metaebene ge-

dacht, die es in jedem Medium ermöglicht, darzustellen, wer gerade was und wie improvi-

siert. Dafür braucht es in der künstlerischen Gemeinschaft ein „totales Bewusstsein“24

für die

20 Vgl. Ax, Wolfram: „Improvisation in der antiken Rhetorik“, S. 63. 21 Die Begriffe Regeln und Regellosigkeit rücken den Improvisationsprozess auch in die Nähe des Spiels. Ein Aspekt, auf den in dieser

Arbeit leider nicht mehr eingegangen werden kann, der aber viel Potential mit sich bringt. 22 Vgl. Bormann/Brandstetter/Matzke: „Improvisieren: Eine Eröffnung“, S.9. 23 Bertram, Georg W.: „Improvisation und Normativität“, S. 34. 24 Dell, Christopher: „Subjekte der Wiederverwertung, Remix“, S.225.

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Selbstbeobachtung und die Auseinandersetzung mit den Anderen25

im improvisatorischen

Prozess.

In jeder Anschlussreaktion, die in ihrer Nachträglichkeit Handlungen fixiert, schwingt aber

auch immer mit, dass es Alternativen und andere Möglichkeiten gegeben hätte, die aber auf-

grund der Unwiederholbarkeit und Flüchtigkeit nicht mehr einzulösen sind. So kommt der

Improvisationsforscher Dell zu dem Schluss: „Improvisation ist ein Ordnungsverfahren, das

die maximale Mehrdeutigkeit einer Situation zulässt.“26

Um diese auf allgemeine künstlerische Handlungen bezogene Definition von Improvisation

vor einen narrativen Kontext zu setzen, lässt sich in einem ersten Schritt festhalten, dass die

verschiedenen neuen Ordnungen, die stets entstehen und die im vielskizzierten Beispiel des

Jazz dann einzelnen Stücken entsprechen würden, im improvisierten Theater als einzelne nar-

rative Szenen verstanden werden sollen. Die Narration setzt sich also immer durch die an-

schließende Reaktion fort und überhaupt erst fest, wobei immer Alternativen im Raum beste-

hen bleiben. Am zeitlichen Ende der Improvisation ergibt sich eine große Gesamtordnung, die

dann den improvisierten Text darstellt. Um aber zu erklären wie die einzelnen Narrationen

überhaupt erst entstehen können, werden in den folgenden Kapiteln das Modell der Emergenz

und des Spurenlesens herangezogen.

Zunächst gilt es jedoch, eine Definition zu finden, die Improvisation und Theater zusammen-

bringt, bevor auf diesen entscheidenden Punkt näher eingegangen wird. Für eine Definition

von Theater sollen hier Erika Fischer-Lichte, die ganz basal und formelhaft definiert „Theater,

reduziert auf seine minimalen Voraussetzungen, bedarf also einer Person A, welche X reprä-

sentiert, während S zuschaut“ und dem Performance-Theoretiker Richard Schechner gefolgt

werden, der unter Theater bzw. dem Theatralen „the event enacted by a specific group of per-

formers; what the performers actually do during production”27

versteht. Fügt man nun die

Charakteristiken der Improvisation mit denen der theatralen Situation zusammen und abstra-

hiert sie auf eine wissenschaftliche Definition kann unter Improvisationstheater wie folgt ver-

standen werden:

Improvisationstheater stellt in seiner Fiktionalität transitorische, unwiederholbare, fiktive28

Inhalte her und aus, die sich aus reaktiven, gemeinschaftlichen und jederzeit auf einer Me-

taebene kommentierbaren Prozessen ergeben. In diesen Prozess werden graduell unterschied- 25 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die spannende Frage nach der Möglichkeit der Einzelimprovisation in der theoretischen Forschung noch kaum behandelt wurde, aber aus der Praxis heraus wohl durchaus relevant scheint, in der Solo-Tanzimprovisation beispiels-

weise. 26 Dell, Christopher: „Subjekte der Wiederverwertung, Remix“, S.230. 27 Schechner, Richard: Performance Theory, S.71. 28 Vgl. für die Definition von fiktiv und fiktional Weidacher, Georg: Fiktionale Texte - fiktive Welten, S. 38, der nach Rühling als fiktiv in der

Wirklichkeit nicht existente Objekte und Personen und als fiktional eine Darstellungsweise fiktiver Welten betrachtet. Siehe dazu auch Martinez/Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, S. 188f. Der reale Autor im Erzähltext entspricht dann dem realen Spieler im Improvisa-

tionstheater, der erfundene Sprecher/Erzähler, der Figur.

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lich kontingente beziehungsweise unvorhersehbare Elemente in eine stetig neu entstehende

narrative Ordnung integriert.

Improvisationstheater treibt das, was die theatrale Aufführung an sich bereits charakterisiert,

nämlich Flüchtigkeit, Ereignishaftigkeit und Unwiederholbarkeit noch auf die Spitze, da Pro-

duktion und Rezeption stets zur gleichen Zeit stattfinden und oft der improvisierende Prozess,

die Erzeugung von Narrationen und des Textes an sich, gegenüber der entstehenden fiktiven

Welt im Vordergrund steht.29

Christel Weiler sieht in dieser strukturellen Einzigartigkeit auch

die besondere Herausforderung durch die theatrale Improvisation an die Theaterwissenschaft,

rückt es durch seine Ereignishaftigkeit in die Nähe des Performativen und schlussfolgert: „Ei-

ne Theorie der Improvisation als Theorie schauspielerischen Handelns im Kontext der Erfor-

schung der performativen Dimension des Theaters steht noch aus.“30

Wie gestaltet sich sonst

die Forschungslandschaft zum improvisierten Theater?

c) Forschungsstand

Das Wenigste, was bisher zum Improvisationstheater geschrieben wurde, ist wissenschaftli-

cher Art, sondern lässt sich als sogenannte „Ratgeber-Literatur“ bezeichnen, die von Prakti-

kern an Praktiker gerichtet ist und sich vornehmlich mit der Qualität der Improvisation ausei-

nandersetzt. Diese „How to improvise“-Bücher stellen meist bestimmte Trainingspraktiken

vor, die den Spielern helfen sollen, Hemmungen abzubauen, sich auf die anderen Spieler ein-

zulassen und Unvorhergesehenes in Erzähleinheiten zu strukturieren. Neben diesen Übungen

finden sich noch Beschreibungen bestimmter Formate, wie beispielsweise bereits erwähntem

„Harold“, und Glossare einer Improvisationstheaterfachsprache, wie sie sich im Laufe der

Zeit entwickelt hat. Als die drei Klassiker dieser Ratgeber-Literatur gelten dabei Viola Spo-

lins Improvisation for the Theater aus dem Jahr 1963, Keith Johnstones Impro: Improvisation

and the Theater, 1979 erschienen, und das erstmals 1994 publizierte Truth in Comedy von

Charna Halpern, Del Close und Kim Johnson, das Del Closes Ansatz erklärt und als Grundla-

ge der meisten Langformen dient. Auf diesen drei „Bibeln“ bauen die meisten neueren pra-

xisorientierten Improvisationstheaterbücher auf, wie auch die bereits zitierten The Improv

Handbook von Salinsky und Frances-White und Improvisationstheater. Das Publikum als

Autor von Dörger und Nickel. Meist kommen noch eigene Spielformen oder Trainingsübun-

gen dazu, die sich aber nicht mehr grundsätzlich von den bereits entwickelten Ideen unter-

29 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die prozesshafte Offenheit im improvisierten Theater auch viele kunstästhetische Fragen

aufwirft. Wie ließe sich beispielsweise Improvisationstheater vor dem Hintergrund von Umberto Ecos Das offene Kunstwerk diskutieren und positionieren? 30 Weiler, Christel: „Improvisation“, S.146.

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scheiden. Vieles, was mit der praktischen Umsetzung und Gestaltung von Improvisationsthea-

ter zu tun hat, wird auch kaum mehr über publizierte Literatur diskutiert, sondern über Inter-

netplattformen wie www.improwiki.de oder http://improvencyclopedia.org. Die praxisorien-

tierten Theorien verbreiten und vergrößern sich in zunehmendem Maße und speisen sich über

das Internet aus weltweiten Erfahrungen, wobei vor allem Beiträge aus den USA, Kanada und

Europa verhandelt werden. Häufig wird der rein praktische Teil durch einen historischen

Überblick über die Entwicklung des Improvisationstheaters ergänzt. Dies trägt größtenteils

zur eigenen Verortung bei, ist aber selten mit einem spezifisch wissenschaftlichen Anspruch

verbunden. Diese Bücher und Internetforen dienen jedoch selbst wiederum als Ausgangsma-

terial für wissenschaftliche Überlegungen, daneben werden hin und wieder transkribierte Sze-

nen verwendet, mit Videomaterial ist in Publikationen bis jetzt noch gar nicht gearbeitet wor-

den.

Unabhängig vom Theater wird der Begriff der Improvisation sonst gerade in den ver-

schiedensten Wissenschaften neu entdeckt und diskutiert, um Ansätze einer konzeptuellen

Verortung zu erlangen. Beispiele wären die beiden Tagungsbände Improvisation. Kultur- und

lebenswissenschaftliche Perspektiven aus dem Jahr 2009 und Improvisieren. Paradoxien des

Unvorhersehbaren aus dem Jahr 2010. Näher am bereits definierten Verständnis von improvi-

siertem Theater sind zwei Beiträge aus der englischsprachigen Community, von denen sich

der eine, Improvisation in Drama, von Anthony Frost und Ralph Yarrow neben einem histori-

schen Überblick auch mit der Semiotizität und Interkulturalität des improvisierten Theaters

beschäftigt. Der Begriff Improvisation wird allerdings sehr breit gefasst, so dass die Spezifizi-

tät des improvisierten Theaters als eigenständiger Kunstform aufgeweicht und sich verstärkt

auch auf Probenprozesse in Inszenierungen konzentriert wird. Der zweite Beitrag Improvised

Dialogues von Robert Keith Sawyer, einem Kommunikationswissenschaftler, versucht, an-

hand von improvisierten Dialogen das Entstehen kollaborativer Kreativität zu erklären.

Sawyer bettet seinen Ansatz dabei in die Gesprächsanalyse und Emergenztheorien ein. Letzte-

rer Ansatz in Verbindung mit Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen, die ebenfalls

Emergenz von Bedeutung als einen wichtigen Aspekt für ereignishafte, prozessorientierte

Performances sieht, inspirierte einen Großteil der ersten spezifischen, noch nicht veröffent-

lichten, deutschsprachigen Dissertation zum Improvisationstheater „Das Spiel mit dem Chaos

– Performativität und Systemcharakter des Improvisationstheaters“ von Gunter Lösel. In letz-

teren drei Arbeiten wird der Emergenzbegriff aus den Naturwissenschaften und Systemtheo-

rien entlehnt, um Funktionsweisen von prozessorientierten, ästhetischen Erlebnissen erklären

zu können, doch hierbei bleiben bereits erwähnte Lücken. Im Folgenden soll versucht werden,

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diese Lücken über den Ansatz des Spurenlesens zu füllen. Dazu gilt es zunächst, den

Emergenzbegriff und seine für die gemeinschaftliche, theatrale Situation übertragene Rolle

darzustellen und als Erklärungsmodell für das Funktionieren und die Entstehung von Narrati-

on im improvisierten Theater zu prüfen.

3. „group mind“ und Emergenz als konstituierende Parameter improvisierter Narratio-

nen?

Das Improvisationstheater als wissenschaftlicher Gegenstand ist noch so wenig erforscht und

doch scheint bereits ein Bereich besonderes Interesse geweckt zu haben. Der gemeinschaftli-

che Schaffensprozess eines ästhetischen Erlebnisses steht bei den meisten Untersuchungen im

Vordergrund. Dabei geht es im improvisierten Theater neben einem Erlebnisprozess, der so

für alle performativen Künste gilt, um eine besondere narrative Ausrichtung, denn aus dieser

Gemeinschaft entstehen Erzählungen und das quasi von selbst und wie „aus dem Nichts“31

.

Dahinter steht dann die große Frage, wie diese Narrationen im improvisierten Theater entste-

hen können.

Innerhalb des Gesamttextes einer Improvisationstheatershow bilden sich oft bestimmte Struk-

turen, Muster und Patterns heraus, die dann als einzelne narrative Zusammenhänge nebenei-

nander stehen oder sich miteinander verweben können. Diese narrativen Muster werden ge-

meinsam von den Spielern zumeist auf Grundlage einer Publikumsvorgabe hervorgebracht

und scheinen dann aber ein Eigenleben zu führen. Dergleichen Dynamiken dienen for-

schungstheoretisch als Grundlage für emergenztheoretische Ansätze. Doch bevor dargelegt

werden soll, wie aus wissenschaftlicher Perspektive anhand des Emergenzbegriffs diese

Struktur-und Musterbildung erklärt wird, gilt es einen Blick in Truth in Comedy zu werfen,

denn dort sind in der Beschreibung und Anleitung des „Harold“, neben eigenen Spiel- und

Schauerfahrungen der Forschenden, die meisten Hinweise für einen solchen theoretischen

Zugriff zu finden.

a) Del Closes und der Mythos des “group mind”

31 Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, S.128.

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Del Close beeinflusste in den 70er und 80er Jahren als Direktor bei The Second City in Chica-

go die entstehende Improvisationstheaterszene in den USA und später auch in Europa nach-

haltig. Seine Langformen, darunter vor allem der „Harold“, zeichnen sich durch ein Spiel in

Gemeinschaft aus, das auf wiederkehrende Verbindungen zwischen Szenen und einzelnen

Momenten abzielt und so eigene narrative Dynamiken erzeugt, die sehr fein, subtil und asso-

ziativ, aber auch sehr klar und deutlich sein können.

Der klassische „Harold“ wird von mehreren Spielern, meist zwischen fünf und acht Personen,

performt. Er gibt eine grobe Struktur vor, die als Gerüst, an dem sich die einzelnen Szenen

entlanghangeln können, dient. Zuerst holt sich die Gruppe einen Themenvorschlag aus dem

Publikum, dieser wird dann in einem sogenannten „opening“ mit Ideen gefüllt. Diese können

sprachlicher oder körperlicher Natur sein und zeigen sich in Form von verbalen oder bewe-

gungsfokussierten Assoziationsketten, die die Spieler hervorbringen. Nach dem „opening“

werden drei Szenen gespielt, die sich aus den davor zusammengetragenen Ideen nähren, aber

nicht bereits miteinander verknüpft sein müssen. Anschließend entsteht ein „group game“, das

über viel körperliche Energie und Bewegung das Eröffnungsthema noch einmal weiter aus-

schöpft. Daraufhin folgen wieder drei Szenen, die Elemente aus den ersten Szenen, dem „o-

pening“ und dem „group game“ aufnehmen und miteinander verknüpfen. Ein zweites „group

game“, gefolgt von einer letzten großen, alles miteinander verbindenden Szene schließt den

„Harold“.32

Entscheidend für einen Ansatzpunkt der Emergenztheorie als wissenschaftlichem Erklä-

rungsmodell ist nun wie dieser kollaborative Schöpfungsprozess des „Harold“ beschrieben

wird. Das Konzept des „group mind“ ist bei Del Close allgegenwärtig, denn „the group intel-

ligence is much more than the sum of its parts“33

. Das individuelle Ego eines Spielers darf

dem gemeinschaftlichen Schaffensprozess nicht im Weg stehen, indem es versucht, herauszu-

stechen und gesehen zu werden. Die Spieler müssen eine genaue Aufmerksamkeit für einan-

der haben, ihr Spiel gegenseitig immer bejahen und so ihre jeweiligen Plätze im „Harold“

finden, dann kann es nach Close gelingen, „higher and greater powers oft the human being“

freizusetzen, „that is what we mean when we say that Harold appears‘“34

. Der „Harold“ wird

so fast zu etwas Mystischem, dem die Kraft zugeschrieben wird zu „erscheinen“. Dieser Ein-

druck entsteht vor allem über die Verbindungen, die als Muster und Patterns innerhalb des

„Harolds“ fungieren, ihn zusammenhalten und größer werden lassen, indem sie eine Konti-

nuität herstellen. Agiert die Gruppe so zusammen, kann es auch keine „Fehler“ geben, da sol- 32 Vgl. Halpern, Charna /Close, Del / Johnson, Kim: Truth in Comedy, S. 18f. 33 Ebd., S. 92. 34 Ebd., S.87.

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che immer nachträglich in die Gemeinschaftsarbeit integriert werden und keiner der Spielerb-

eiträge „stehen gelassen“ wird, was gleichbedeutend wäre mit einer Nichtaufnahme ins Narra-

tiv. Über diese besonderen, musterhaft-narrativen Verbindungen kann dann auch das Mehr

entstehen, was oft als eine Art Thema bezeichnet wird. Close und seine Mitautoren verwen-

den für dieses Entstehen oft das englische Verb to emerge: „As a theme emerges“35

, „we can

see a major theme emerge“36

, „five characters can easily emerge“37

. Das Englische to emerge

ist dabei zwar ein rein alltagssprachlicher Begriff und kann in diesem Kontext gut mit hervor-

gehen übersetzt werden38

, er legt so jedoch auf subtile Art auch bereits eine wissenschaftliche

Erklärung über den Emergenzbegriff nahe. Wie wird dieser nun bisher für das Performative

und das Improvisationstheater angewendet, um narrative Muster zu erklären?

b) Emergenz in der Ästhetik des Performativen bei Erika Fischer-Lichte

Auf den Emergenzbegriff bei Erika Fischer-Lichte soll im Folgenden näher eingegangen wer-

den, da sie mit ihrer Ästhetik des Performativen die Diskussion um prozessorientierte, ereig-

nishafte Aufführungserlebnisse, zumindest in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft,

weiter vorantrieb und entscheidend belebte. Gunter Lösel hat in seiner Dissertation bereits

Fischer-Lichtes Ästhetik in Anwendung auf das Improvisationstheater umfassend geprüft und

vor allem das Konzept der Emergenz als ein fruchtbares Feld zur Beschreibung von improvi-

siertem Theater befunden, welches aber noch einer Vertiefung durch Sawyers und andere sys-

temtheoretische Ansätze bedarf.39

Wie gestaltet sich nun Emergenz bei Fischer-Lichte und

welche Rolle nimmt sie in performativ-theatralen Prozessen ein?

Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass Fischer-Lichte den Begriff und das Konzept

der Emergenz nicht ausführlich definiert, sondern nur in einer knappen Fußnote auf drei Ar-

beiten von Achim Stephan, Michael Pauen/Gerhard Roth und Thomas Wägenbaur verweist

und damit ein sehr heterogenes und nicht unproblematisches Feld aus Philosophie, Evoluti-

onstheorie und Neurowissenschaften beschreitet. Die beiden charakteristischen Eigenschaften,

die sie dann für emergente Erscheinungen herausstreicht, sind Unvorhersehbarkeit und Un-

motiviertheit.40

35 Halpern, Charna /Close, Del / Johnson, Kim: Truth in Comedy, S.42. 36 Ebd., S.97. 37 Ebd., S.115. 38 Collins Langenscheidt: Großes Studienwörterbuch Englisch, S. 296. 39 Auf viele Aspekte des Performativen in Zusammenhang mit dem improvisierten Theater kann und muss deshalb in dieser Arbeit nicht

weiter eingegangen werden, stattdessen wird sich auf diesen einen Punkt beschränkt. Zur Vertiefung vgl. Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, Kapitel III. 40 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S. 186.

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Im weiteren Verlauf kommt den unmotivierten und unvorhersehbaren und somit emergenten

Phänomenen dann eine ganz entscheidende Rolle bei der Konstitution von Bedeutung in der

performativen Kunst zu. Nach Fischer-Lichte sind emergente Erscheinungen frei von kausaler

Verkettung, tauchen völlig unmotiviert in rhythmischen Pattern auf, stabilisieren sich und

verschwinden wieder. Dies zieht in der Folge eine Desemantisierung bestimmter materieller

Phänomene nach sich, die sich aus der Isolierung dieser einzelnen Elemente ergibt. Zugleich

jedoch können gerade diese isolierten, in ihrer Materialität wahrgenommenen Elemente eine

Pluralität von neuen Signifikaten hervorbringen, die durch Assoziationen und Gefühle im

wahrnehmenden Betrachter entstehen.41

Fischer-Lichte setzt die emergenten Phänomene so-

dann mit der Selbstreferentialität42

des Performativen in engste Verbindung, um dieses vor-

gebliche Paradox um Desemantisierung und Neusemantisierung zu lösen:

Indem Aufführungen der letzten dreißig Jahre immer wieder theatrale Elemente aus jeder

Art von übergeordneten Kontexten herauslösen, sie ohne Rückführung auf bzw. Eingliede-

rung in irgendwelche Kausalzusammenhänge erscheinen und verschwinden lassen – häufig

mit vielen Wiederholungen – und sie so nachdrücklich als emergente Phänomene hervortre-

ten lassen, die auf nichts anderes als sich selbst verweisen, haben sie für die Einsicht sensi-

bilisiert, daß Wahrnehmung und Bedeutungserzeugung der gleiche Prozeß sind.43

So spielt Emergenz nach Fischer-Lichte eine doppelte Rolle bei der Erzeugung von Bedeu-

tung in der performativen Kunst. Zum einen sind es die emergenten Phänomene an sich, die

aus konventionellen Zeichenkontexten gelöst, neu entstehen und die, zum anderen dann auf

einen nicht intentional nach Deutung suchenden Betrachter stoßen. Dessen Wahrnehmung

wird hauptsächlich von Assoziationen und Gefühlen geleitet, was wiederum emergente Be-

deutungen auch gegen seinen Willen und bar von Anstrengung entstehen lässt. Entscheidend

für Fischer-Lichte ist, dass keinerlei Intention im Spiel ist. Beide Prozesse stehen in enger

Verbindung miteinander und sind so Teil der autopoietischen Feedbackschleife, die in jeder

Aufführung wirksam ist und jede Aufführung zu einem einzigartigen Erlebnis macht, das von

den unterschiedlichen Reaktionen der beteiligten Subjekte gesteuert wird.44

Das wahrneh-

mende Subjekt oszilliert also mit seiner Aufmerksamkeit in jeder Aufführung zwischen einem

konventionellen Prozess von Zeichendeutung und interpretativer Bedeutungsgenerierung und

freien Assoziationen, deren Emergenz von den Bedingungen des Wahrnehmenden selbst ab-

41 Vgl. Ebd., S. 243ff. 42 Ein Begriff, der seine eigenen Schwierigkeiten und Komplexitäten birgt, da er die Aufspaltung des Zeichens in Signifikat und Signifikant wieder in sich und mit seiner Materialität zusammenfallen lässt, als hätte es Saussures Gedankenschritte nie gegeben. Auf diese Thematik

kann aber nicht weiter eingegangen werden, sie wäre aber eine eigene Untersuchung wert und findet erste Ansätze in der geplanten Disserta-

tion von Michel Büch. 43Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S.247. 44 Vgl. Ebd., S. 249.

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hängen. Die Sprünge, die dabei entstehen, bezeichnet Fischer-Lichte selbst auch wiederum als

emergent, „da für das Umspringen der Wahrnehmung kein Grund angegeben werden kann“45

.

So kann zwar bewusst sein, dass soeben von der Ordnung der Repräsentation in die Ordnung

der Präsentation, der Selbstreferentialität und der emergenten Phänomene gewechselt wurde,

doch entzieht sich der Wechsel selbst der Kontrolle des Zuschauers. Das Subjekt hat Fischer-

Lichtes Argumentation zufolge so sowohl einen aktiven als auch einen passiven Anteil an der

Erzeugung von Bedeutung: es bestimmt sie mit und wird von ihr mitbestimmt, beides ist nicht

völlig kontrollierbar, nicht intendiert und somit emergent.46

Fischer-Lichte verwendet den Begriff der Emergenz als ein sehr zentrales Element in ihrer

Ästhetik und bindet ihn in unterschiedliche Prozesse bei der Hervorbringung und assoziativen

Verknüpfung von Bedeutung ein, dabei bleibt dennoch unklar, wie diese „geometrischen und

rhythmischen“ Phänomene genau aussehen sollen. Sie spricht von einer „kontemplativen Ver-

senkung in diese Geste, dieses Ding, diese Lautfolge, in der die wahrgenommenen Dinge sich

dem Subjekt als das zeigen, was sie sind“47

und eröffnet damit ein sehr weites und zerstreutes

Feld, das zeichentheoretisch sicherlich diskussionswürdig ist, hier aber nicht weiter erörtert

werden kann.

Für das Improvisationstheater bleibt zu Fischer-Lichte als entscheidend herauszustreichen,

dass der Modus der Bedeutungserzeugung durch emergente Phänomene und emergente

Wahrnehmung sich schlüssig auf einen sehr individuell rezipierten Text einer Show beziehen,

aber wenig über einen generellen Erzeugungsmodus von Narrationen seitens der Spieler aus-

sagen kann, was das Interesse dieser Arbeit ist. Dies liegt an ihrer Kontextualisierung des

Konzepts der Emergenz gerade in einem Bereich, wo der Zeichenbegriff zu schwimmen be-

ginnt und mehr oder weniger konventionalisierte, kausal-chronologisch motivierte Erzähl-

strukturen, wie sie im improvisierten Theater meist hervorgebracht werden, aufbrechen, denn

grundlegend ist ein emergentes Phänomen für sie unmotiviert und unvorhersehbar. Damit lädt

sie ihn mit einer eigenen Bedeutung auf, lässt ihn aber zugleich ohne ausführliche Rückkopp-

lung an seine systemtheoretische Herkunft stehen.

Achim Stephan, der wohl den umfassendsten Beitrag zum Emergenzbegriff im deutschspra-

chigen Raum geleistet hat und auf den Fischer-Lichte auch verweist, findet es grundsätzlich

spannend, diesen Begriff aus der naturwissenschaftlichen Philosophie hinausgetragen zu se-

hen, warnt aber zugleich vor einer inflationären Verwendung und damit einer Entleerung des

Begriffs, wie sie sich in einer Art „schwachem Emergentismus“, der für viele kollektive und

45Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S.257. 46 Vgl. Ebd., S. 269. 47 Ebd., S.246.

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unvorhersehbare Phänomene verwendet wird, niederschlägt: „Der Sache nach angemessener

und weniger konnotativ belastet wäre es deshalb, hier nicht von emergenten, sondern – etwas

schlichter von systemischen oder kollektiven Eigenschaften zu sprechen.“48

Auch findet sich

nur das Charakteristikum der Unvorhersehbarkeit, das Fischer-Lichte als maßgeblich ansieht,

in Stephans Übersicht, das der Unmotiviertheit dagegen überhaupt nicht, stattdessen wird

noch von Irreduzibilität und einem abwärts gerichteten Einfluss auf die Systemteile als ge-

meinsamer Basis der Emergenztheorien gesprochen.49

Eine derartige Rückkopplung an die Systemtheorien und ihre Basiseigenschaften in Anwen-

dung auf das Improvisationstheater über einen performativen Ansatz hinaus, auch in seiner

Narrativität, finden sich dann bei Robert Keith Sawyer und Gunter Lösel. Da Lösel den Ver-

such anstellt, Fischer-Lichtes und Sawyers Theorien verbindend zu integrieren, soll hier zu-

nächst auf Sawyer eingegangen werden.

c) Soziale Emergenz und kollaborative Kreativität bei Robert K. Sawyer

Sawyers wissenschaftliches Interesse liegt vorwiegend auf einem kommunikationstheoreti-

schen Kontext des „framing“ nach Erving Goffman, den er durch einen Ansatz sozialer

Emergenz erweitert, um zu einer Außenperspektive auf soziale Systeme zu gelangen, die bis

dahin forschungstheoretisch von einer interpretativen Innenperspektive geprägt waren.

Sawyers Ansatz wird so vor allem in den Kommunikationswissenschaften als neuer Ausrich-

tungshorizont in der Forschungsgemeinschaft gesehen.

Sawyer proposes a more macro-sociological account in which the object of inquiry is the

interactional process, and the goal is to make statistical predictions about participants‘ be-

havior over a set of instances. Drawing on theories of sociological emergentism, Sawyer

claims that interactional frames arise out of a series of individual turns of dialogue, but are

not reducible to them.50

Das Improvisationstheater als Gegenstand dient in seiner Arbeit folglich eher dem Zweck, die

theoretische Perspektive auf Kommunikationsprozesse zu untermauern, als selbst in seinem

ganzen Umfang untersucht zu werden. So beschränkt Sawyer sich weitestgehend auf die Un-

tersuchung von transkribierten Dialoganfängen improvisierter Szenen, da diese ihm für das

Entstehen des Kommunikationsprozesses am meisten Material bieten.

48 Stephan, Achim: Emergenz, S.248. 49 Vgl. Ebd., S. XI. 50 Johnstone, Barbara: „Review“, S.440.

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Nichtsdestotrotz ergeben sich in wechselseitigen Schlüssen auch Erkenntnisse über das Im-

provisationstheater im Allgemeinen, das Sawyer vor seinem Hintergrund des sozialen

Emergentismus als komplexes System versteht, was seine Rückbindung des Emergenzbegriffs

an die Systemtheorie herausstreicht. Dass sein Verständnisschwerpunkt in erster Linie auf der

Unvorhersehbarkeit und der Irreduzibilität liegt und in zweiter Konsequenz auf den Auswir-

kungen des Systems auf seine Bestandteile, lässt sich aus seinen Beschreibungen der improvi-

sierten Theatersituation ableiten. So setzt er fest:

a speaker’s action cannot be predicted by the other actors on stage because there are so many

potential creative acts, and the range of potential frames that might emerge multiplies from

turn to turn. […] Such moment-to-moment combinatories often result in analytically irreduc-

ible phenomena, as demonstrated by studies of complex dynamical systems. 51

Diese irreduziblen und unvorhersehbaren Phänomene, um die es Sawyer geht, sind die Kom-

munikationsrahmen und entstehen aus den Dialogen der Teilnehmer quasi von selbst. Sind sie

erst einmal entstanden üben sie, wie es emergenten Systemen auch nach Achim zugeschrie-

ben wird, einen entscheidenden Einfluss auf die Spielsituation aus. Es bilden sich also Wech-

selwirkungen aus Bottom-up und Top-Down-Kausalitäten, die ein zirkuläres Modell mit zwei

Ebenen begründen: Die Sprechakte der Spieler steigen bildlich gesprochen auf und bilden die

Rahmen, die dann als eigenständig gedachter Akteur wiederum abwärts wirkenden Einfluss

auf die Spielerhandlungen ausüben.52

“The emergent interactional frame must analytically be

considered to have its own causal force, which is both enabling and constraining”53

, so Saw-

yer. Dabei ist es jedoch keineswegs so, dass der einmal entstandene Rahmen eine fixierte En-

tität darstellt, sondern stets durch jede neue Spieleraktion bestätigt oder verändert werden

kann und so auch immer erst im Nachhinein als Rahmen etabliert wird.

Sawyers Anliegen ist es also die Wirkungskraft der Rahmen in diesen Prozessen zu beschrei-

ben und welche Auswirkungen sie auf die Kommunikatoren, in diesem Fall die Spieler bei

der Gestaltung von Szenen haben. Methodisch geht er dabei so vor, dass er unter anderem

Pausenlängen und Spielereinsätze zeitlich misst und feststellt, dass nach der Etablierung des

Rahmens, die Szenen schneller und die Pausen kürzer gespielt werden, da der Rahmen als

eigenständiger Akteur das Setting mitbestimmt und der Fortgang der Szenen dadurch für die

Spieler potentiell vereinfacht wird.54

Er bezieht sich dabei nicht explizit auf den Begriff des

Narrativen, doch könnte man aus Sawyers Analysen ableiten, dass der Kommunikationsrah-

51Sawyer, Robert Keith: Improvised Dialogues, S. 59. 52 Vgl. Ebd., S. 73. 53 Ebd., S.63. 54 Vgl. Sawyer, Robert Keith: Improvised Dialogues, Chapter 8.

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men seinen eigenen Beitrag zur Narration leistet, indem er, einmal entstanden, deren Verlauf

beeinflusst. Er kann dann Ausgangs- und Anschlussreaktionen bis zu einem gewissen Grad

beschränken und in einen narrativen Zusammenhang setzen.

So erklärt Sawyer den kollaborativen, kreativen Prozess der Schaffung einer gemeinsamen,

fiktiven Realität mit einem Emergenzbegriff, der auf Irreduzibilität, Unvorhersehbarkeit und

Einflussnahme des Systems auf seine Einzelteile beruht und bringt dabei erkenntnisgewin-

nend die Möglichkeit ein, einen aus einzelnen Dialogen entstandenen Mehrwert als analytisch

unabhängige Größe mitdenken zu können. Diese mögliche analytische Unabhängigkeit eines

metapragmatischen Elements als potentieller narrativer Stimme ist eine schlüssige Ableitung

aus den empirischen Daten. 55

Doch durch diesen Fokus wird die Rolle des Spielersubjekts bei

der Erzeugung der Rahmen als narrativem Element und der Narration an sich nicht tieferge-

hend analysiert. Gerade hier liegt nun der Punkt an dem diese Arbeit weiter denken möchte,

denn bei diesen nicht reduzierbaren Einzelteilen, auf die das System Improvisationstheater

seine Wirkung ausübt, handelt es sich um Menschen mit einer künstlerischen Intention. Dar-

über hinaus können viele Aspekte wie die Atmosphäre durch die Reaktionen des Publikums,

das Licht und eventuelle musikalische Begleitung, wie sie eher im Konzept von Fischer-

Lichtes performativem Raum56

mitgedacht werden, keinen Zugang in Sawyers theoretischen

Zugriff und das narrative Moment finden.

d) Systemtheoretische Emergenz bei Gunter Lösel und Zwischenfazit

Für Gunter Lösel stellt das Konzept der Emergenz einen ganz entscheidenden Schritt zur wis-

senschaftlichen Beschreibung des Improvisationstheaters dar, das die Phänomene des „group

mind“ und der „aus dem Nichts“-entstehenden Figuren, Szenerien und Narrationen, wie sie in

der Ratgeber-Literatur beschrieben werden, erklären kann.

Verbindungen emergieren während des Harold sowohl in der Wahrnehmung der Zuschauer als

auch in der Wahrnehmung der Akteure. Sie bilden dabei Muster (Patterns). Sowohl der Prozess

der Musterbildung als auch der Mustererkennung geschieht dabei ,von selbst‘. Die Verbindungen,

um die es Close geht, sind keine geplanten, gewollten Verbindungen, sondern solche, die sich er-

geben, indem Elemente auf der Bühne unverbunden improvisiert werden. Solche Verbindungen

sind mithin emergent, d.h. unvorhersehbar, irreduzibel und neu.57

55 Vgl. Ebd. S.67. 56 Vgl. Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S.188ff. 57 Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, S.133.

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Lösel gibt mit dieser Beschreibung des „Harold“ auch seine Definition von Emergenz wieder.

Er bezieht sich dabei neben Fischer-Lichte und Sawyer auch auf Systemtheoretiker wie

Luhman, die Gametheory und ein synergetisches Denken im Allgemeinen. Auf diesem Weg

findet er griffige Beschreibungsmodelle, die die Prozesse des improvisierten Theaters auf der

Makroebene theoretisch fundiert darstellen können.58

Die Makroebene entspricht den Phäno-

menen, die aus dem Kollektiv hervorgegangen sind und auf dieses zurückwirken, wie bereits

bei Sawyer skizziertem Gesprächsrahmen.

Es bleiben jedoch Spannungsmomente auf der Mikroebene, wo es um das künstlerische Indi-

viduum geht. So lässt sich das improvisierte Theater mit Luhmann nach Lösel als eine „Art

subjektloser Prozess von sich bedingenden Anschlussoperationen“59

verstehen und bei

Sawyer sieht Lösel, das „Ideal der Subjektlosigkeit“, wie es beispielsweise für das „group

mind“ gefordert ist wissenschaftstheoretisch unterlegt.

In diesem Kontext lässt sich das Ideal der Subjektlosigkeit sinnvoll interpretieren: Indem es

die Einmischung des Individuums in die Prozesse der kollaborativen Kreativität unterbindet,

schafft es die Bedingungen für emergente Phänomene, denn Alles, was von den Individuen

eingebracht wird, kann per definitionem nicht emergent sein (denn es wäre reduzibel).60

Lösel treibt das in der Ratgeber-Literatur geforderte Sich-Zurückhalten des Spielers zuguns-

ten eines gruppendynamischen Spiels hier auf die Spitze und versucht wissenschaftstheore-

tisch, das Subjekt fast völlig auszulöschen oder ihm nur kleine „spontane Fluktuationen“61

auf

der Mikroebene anzurechnen. Abgesehen davon, dass dies weder bei Fischer-Lichte noch bei

Sawyer der Ausgangspunkt war, da erstere nur von der Frage der Intentionalität des wahr-

nehmenden Subjekts geleitet wurde und letzterer den Individuen aus seiner Forschungsper-

spektive zwar keine große Aufmerksamkeit schenkt, sie aber doch als Ausgangspunkt ansetzt,

stößt Lösel hier auf ein Problem. In der Bestärkung eines starken Emergentismus, der Redu-

zibilität nicht zulässt, eröffnet er einen Widerspruch, denn gleichzeitig stellt er in seiner Ar-

beit die These auf, „dass das heutige Improvisationstheater […] ein Konzept der freien Im-

provisation zugrunde legt, das von der Vision eines freien, schöpferischen Individuums inspi-

riert ist“62

. Ein Widerspruch, der ihm bewusst zu sein scheint, denn er selbst stellt in diesem

Kontext die Frage, „wie die Spieler ihre Freiheit im Spiel zurückgewinnen [können] und wie

dies theoretisch fassbar ist“63

. Ein „Ideal der Subjektlosigkeit“ im Spielschein bedeutet

58 Vgl. Ebd., Kapitel IV. 59 Ebd., S.358. 60 Ebd., S. 369. 61 Ebd., S.401. 62 Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, S.69. 63 Ebd., S.397.

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schließlich nicht, dass keine künstlerischen Subjekte mehr vorhanden sind. Darüber hinaus

steckt im Begriff des Ideals auch nur ein Wunsch, der sich aus einer gewissen Bühnenästhetik

ergibt, in der Realität aber bei weitem nicht immer so umgesetzt wird. Es kann so aussehen,

als gäbe es nur die Gruppe, es kann aber eben auch ein einzelner Spieler besonders auffallen.

Beides ist für die Spielpraxis wohl relevant, spielt aber für die wissenschaftliche Argumenta-

tion eigentlich keine Rolle, denn in beiden Fällen sind künstlerische Subjekte vorhanden. So

stößt der Emergenzbegriff auf einige Ungereimtheiten.

Wolfgang Raible bezeichnet deshalb die durch Improvisation entstandenen Ordnungen, in

diesem Fall auch Narrationen, Muster oder Rahmen nur dann als emergent, sofern sie sozial

und ungeplant sind, nicht aber wenn sie individueller Kreativität geschuldet werden.64

Hier

zeigt sich eine Spaltung, die den Begriff der Improvisation im künstlerischen Bereich vom

Begriff der Improvisation als soziale, alltägliche Verhaltensweise unterscheidet und dieser

Scheidepunkt lässt sich scheinbar am Konzept der Emergenz festmachen. Der Unterschied

liegt dann gerade am Bewusstsein des schaffenden Individuums für sein improvisiertes Ver-

halten, ob es auf dieses zurückgeführt werden kann oder eher Handeln aus einer sozialen Dy-

namik entspricht, die nicht mehr auf die „Einzelteile“ reduzierbar ist.

Geht man mit Fischer-Lichte davon aus, dass Unvorhersehbarkeit und Unmotiviertheit

emergente Phänomene charakterisieren, kann der Begriff dann kaum noch greifen, da die Mo-

tiviertheit der Spieler im Improvisationstheater groß ist, aus den Vorlagen, die sie sagen, hö-

ren, wahrnehmen und selbst gestalten eine Szenerie, eine Narration zu schaffen, die kausal-

chronologisch motiviert ist. Auch wenn kontingente Elemente aufgenommen werden und zu

Beginn nicht vorhersehbar ist, was passiert, steckt ein Subjekt mit einer Intention in Verarbei-

tung und Ausführung dahinter. Sicher ist allerdings, dass Vieles, was nach Fischer-Lichte

emergent in den Beziehungen zwischen Publikum und Akteuren, Akteuren und Akteuren und

Publikum und Publikum auftaucht, Einfluss auf den Wahrnehmungsgrad und das Spielverhal-

ten der Spieler hat und auf diese subtile Weise in die Narrationen eingeht.

Möchte man Fischer-Lichtes, Sawyers und Lösels Überlegungen und Erkenntnisse im Zu-

sammenhang mit den Emergenztheorien für das improvisierte Theater fruchtbar halten,

kommt man bei einem „schwachen Emergentismus“ an, der von Achim zwar für eine Auf-

weichung gehalten wird, die dem Sinn des Konzepts gefährlich werden kann, aber doch be-

reits Gebrauch findet. Dann kann man auf Basis dieser Makrostrukturen, die dann als eigene

narrative Stimmen gewertet werden die Rolle des Subjekts für die Entstehung dieser Stimmen

und der Narrationen weiter verfolgen, denn das narrative Moment an sich, konnte durch diese

64 Raible, Wolfgang: „Adaptation aus kultur- und lebenswissenschaftlicher Perspektive“, S.24.

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Modelle noch nicht erklärt werden. Von einem starken Emergentismus ist sich im künstleri-

schen Kontext des Improvisationstheater abzugrenzen, da dieser dem Gegenstand nicht ge-

recht werden kann beziehungsweise sogar seine wichtigsten Glieder ausschaltet, die Subjekte,

die das gemeinschaftliche Erlebnis überhaupt erst schaffen.

Wie geht man sonst mit diesen einerseits fruchtbaren Erkenntnissen aus dem Emergenzmodell

für das Improvisationstheater im Allgemeinen und dem andererseits widersprüchlichen Ein-

satzes des Individuums um? Man kann auch den Weg wählen und wie Gabrielle Brandstetter,

die sich mit Tanzimprovisation auseinandergesetzt hat, von der Improvisation im künstleri-

schen Bereich als einem Modell sprechen, dass „Effekte von Emergenz“65

entstehen lässt.

Wie können nun aber diese „Effekte von Emergenz“ mit der subjektiven Intention des Spie-

lers und einer daraus entstehenden gemeinschaftliche Narration in einem theoretischen Mo-

dell verbunden werden? Als auf der Mikroebene ergänzend soll im Folgenden vorgeschlagen

werden, das gemeinschaftliche narrative Moment im Improvisationstheater wissenschaftsthe-

oretisch als Spurenlesen zu verstehen. Was bedeutet das?

III Spuren und Spurenlesen

In einer ersten Assoziation werden Spuren wohl kaum mit dem Improvisationstheater ver-

knüpft, sondern eher mit Jägern, die der Fährte des Wildes folgen, um sich Nahrung zu be-

schaffen oder mit den Hinterlassenschaften des Täters am Ort seines Verbrechens. Das Spu-

renlesen in diesem Sinne versteht sich als eine der ganz grundlegenden Fähigkeiten des Men-

schen, sich in der Welt zu orientieren und zu handeln. Die Spur ist so von größter Bedeutung

für den menschlichen Alltag, sie erlangt in jüngster Zeit aber auch als vielschichtige Episteme

„verstärkt kulturtheoretische Relevanz“66

. In der Vielzahl der Konzepte bleiben den Spuren

gemeinsam, dass sie „gelesen bzw. konstruiert werden müssen und Kontextualisierung erfor-

dern, um Orientierungsbedürfnisse befriedigen zu können“67

. Genau um diese Konstruktions-

und Kontextualisierungsleistung als Orientierung für das Entstehen einer narrativen Szenerie

im Improvisationstheater soll es im Folgenden gehen. Wie kann dieser Transfer gelingen?

1. Verwendung des Spurbegriffs

65 Brandstetter, Gabriele: „Improvisation im Tanz“, S. 148. 66 Hengst, Lutz: „Spur“, S. 672. 67 Ebd., S.674.

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Der Spurbegriff, wie er im Alltag gebraucht wird, leitet sich vom althochdeutschen spor ab

und bezieht sich in seiner ersten Wortbedeutung auf den hinterlassenen Fußabdruck. Das

Verb spüren steht etymologisch dazu in sehr engem Zusammenhang. Objekt und Tätigkeit

gehen eine elementare Beziehung ein, an der das Besondere ist, dass sich die Tätigkeit jedoch

nicht auf das Machen, sondern auf die Deutung und Verfolgung bezieht, was Sybille Krämer

zum Anlass nimmt, festzustellen und zu fragen:

Nicht also die Entstehung einer Spur, sondern der ihrer Genese nachträgliche Gebrauch ist die zur

Spur scheinbar >passende< Tätigkeitsform. Ist hier schon angelegt, dass erst der Gebrauch als Spur

etwas zu einer Spur macht?68

Mit der Reflexion, was eine Spur zur Spur macht und in welcher Beziehung Objekt und Tä-

tigkeit stehen, wird die alltägliche Verwendung des Begriffs überschritten und auf einen wis-

senschaftlichen Diskurs verwiesen, den Krämers Frage prägnant zusammenfasst und der im

Folgenden kurz skizziert und in seinem narrativen Potential dargestellt werden soll.

Spurdiskussionen finden sich in verschiedensten wissenschaftlichen Kontexten. So wird bei-

spielweise in naturwissenschaftlichen Messungen mit radioaktiven Spuren gearbeitet und in

der Geografie und Vegetationskunde werden Erkenntnisse aus materiellen Spurbefunden ge-

zogen, ähnlich in der Kriminologie, der Archäologie und den Geschichtswissenschaften. Da-

gegen werden Spuren in der Psychologie, Soziologie, in den Philologien und auch wissen-

schaftstheoretisch eher als immaterielle Denkfiguren benutzt. Ein Grenzfall bildet hierbei die

Semiotik69

, die sowohl materielle als auch immaterielle Spuren umfasst, insofern diese als

Zeichen verstanden werden. Die meisten dieser Diskurse bedienen sich dabei transdisziplinär

aus philosophischen Überlegungen und fließen wieder in diese ein. Denn vor allem die Philo-

sophie hat sich der „Spur (griech. ίχνος; lat. vestigium; engl. trace; frz. trace, vestige; ital.

traccia)“70

angenommen und sie von einer ersten metaphorischen Bedeutung eines Abdrucks

oder aufmerksam machenden Males, das auf etwas verweist, was selbst nicht mehr gegenwär-

tig ist zu einem begrifflichen Konzept weiterentwickelt.

Hans-Jürgen Gawoll streicht in einem überblicksartigen Aufsatz zur Spur in der Philosophie

zwei große Tendenzen heraus. Diese Unterscheidung macht er dabei in ihrem Verhältnis zur

zeitlichen Dimension fest, die einen wichtigen Stellenwert im Spurenparadigma einnimmt.

Die Spur „fokussiert gleichsam die drei Dimensionen der Zeit: Das Vorbeigehen des Vergan-

68 Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.13. 69 Die Diskussion um die Spur als Zeichen oder als Zugang zu einer Art Dingsemantik ist in den Kulturwissenschaften wieder neu entbrannt,

kann hier aber nicht weiter verfolgt werden. In dieser Arbeit wird nach Umberto Eco die Spur als ein Zeichen gedacht, wenn auch ein Zei-chen mit besonderen Eigenschaften, Vgl. Eco, Umberto: Zeichen, S. 67. 70 Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur“, S.1550.

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genen vermittelt sich durch die räumliche Gegenwart der Spur mit der Realisation eines Ziels,

das die Zukunft offenhält“71

. Nach Gawoll kristallisiert sich nun entweder der Fokus auf das

Verhältnis zur Vergangenheit oder auf das Verhältnis zur Zukunft und damit zu einer blei-

benden Trennung von Verursacher und Spur heraus. Selten werden beide Zeitdimensionen

gleichwertig berücksichtigt und die Spur als ein von beiden untrennbarer Prozess gedacht.72

Wird der Bezug zur Vergangenheit behandelt, ist der Begriff der Spur meist auch eng mit dem

der Erinnerung und des Gedächtnisses verknüpft, steht der Moment des Verweises und der

Trennung im Vordergrund, treten eher ontologische Fragestellungen auf.73

Eine tendenzielle Zweiteilung findet sich auch im epistemischen Spurüberblick der Berliner

Philosophin Sybille Krämer, die von Immanenz und Transzendenz spricht, um das „epistemo-

logische Doppelleben“74

der Spur zu beschreiben. Diese Verwendung umfasst die eben skiz-

zierte zeitliche Dimension bei Gawoll in dem Sinne als die Rekonstruktion von Spuren durch

Erinnerung oder Kontextualisierung einem positiven Wissensparadigma der Immanenz ent-

spricht, das versucht, durch Spuren Abwesendes oder Verborgenes in Erkenntnis zu transfor-

mieren. Zugleich schwingt aber auch immer eine Unmöglichkeit von gesichertem Wissen

durch Spurendeutung mit, was sich im dauerhaften und so auch zukunftsbezogenem Entzug

des Spurverursachers zeigt und durch diese Trennung eben erwähnte ontologische Fragen

aufwirft. Im Folgenden sollen nun beispielhaft anhand der Überlegungen Jacques Derridas

und Carlo Ginzburgs die beiden Extrempole des immanenten und dauerhaft entzogenen Spur-

begriffs dargestellt werden, bevor festgelegt wird, wie Spur und Spurenlesen im Laufe dieser

Arbeit verstanden werden soll und welche Rolle sie zur Beschreibung eines narrativen Pro-

zesses einnehmen können. 75

Dabei gilt es zu beachten, dass vor allem Derrida in der konse-

quenten, logischen Fortführung seines Denkens über die transzendentale Frage einer Meta-

physik hinausgeht und den Entzug durch die Spur zugleich mit dem Ende der Metaphysik

radikalisiert.76

a) Der Spurbegriff bei Jacques Derrida

Die Philosophie Jacques Derridas und dadurch auch sein Spurbegriff sind von seiner eklekti-

zistischen Weise zusammenzudenken und logisch konsequent fortzusetzen geprägt. So ver-

71 Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur: Gedächtnis und Andersheit“, S.45. 72 An einem solchen prozesshaften Denken des Spurbegriffs arbeitet die bald erscheinende Habilitationsschrift von Dr. Elke Richter und ein

solches Verständnis soll auch im Folgenden mitgedacht werden. 73 Vgl. Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur: Gedächtnis und Andersheit“, S.47. 74 Vgl. Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendez der Spur“, S.155ff. 75 Weitere wichtige Spur-Denker, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, wären für ein immanentes Spurverständnis Paul Ricoeur und Emmanuel Levinas für einen transzendenten Bezug. 76 Vgl. Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur, Gedächtnis und Andersheit“, S.270.

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knüpft er Überlegungen zur Phänomenologie Husserls mit der Psychoanalyse nach Freud und

Erkenntnissen aus der Saussureschen Semiotik.77

Für das Folgende ist vor allem der Bezug

zur Semiotik von Interesse. Christian Lavagno fasst Derridas Thesen für diesen Kontext präg-

nant zusammen:

(1) Ein Zeichen verdankt seinen Sinn nicht positiv der Referenz auf einen außersprachlichen Gegenstand,

sondern negativ der Abgrenzung gegen andere Zeichen.

(1‘) Ein Text-Äußeres gibt es nicht.78

Die Vorstellung, dass ein Zeichen sich neben seiner positiven Beziehung des Signifikanten

zum Signifikat auch durch die negative Abgrenzung der Signifikate zu anderen Signifikaten

und der Signifikanten zu anderen Signifikanten konstituiert, ist auf Saussure zurückzuführen,

der Zeichen nicht mehr in ihrer Individualität, sondern in ihrer strukturellen, systematischen

Funktion denkt. Das Zeichen befindet sich in einem ständigen Verweiszusammenhang auf

Oppositionen und erhält seine Identität, Saussure benutzt den Begriff des Werts, durch eine

relativ stabile Stellung im Netzwerk dieser Differenzen. Sprache wird so in einer holistischen

Sichtweise als Form verstanden, in der das System im Vordergrund steht und Zeichen sich

voneinander abgrenzen müssen, um Werte zu erlangen.

Derrida übernimmt nun diese Einsichten Saussures und übersetzt sie in philosophische Kon-

sequenzen. Der differentielle und formelle Charakter des Zeichens in seiner wechselseitigen

Verweisung bedeutet demnach, dass nichts einfach präsent ist. Ein Zeichen ist nie ganz bei

sich, weil es virtuell erst durch alle anderen Zeichen hindurch muss. Es ist also ursprünglich

bereits verspätet und trägt stets die Spuren der anderen Zeichen in sich, durch die es hindurch

gegangen ist und gegen die es sich abgrenzt. Diese ursprüngliche Verspätung setzt Derrida

nun absolut. Das bedeutet auch, dass es kein aus diesem Spiel der Verweise ausgelagertes,

letztes, transzendentes Signifikat mehr geben kann, keinen Ursprung und kein Prinzip, keine

Metaphysik mehr. Für dieses stetige Verweisen führt Derrida den Begriff der différance ein,

der für ihn kein neues Prinzip oder keinen neuen Ursprung darstellt, sondern die Bedeutungen

von frz. différence und différer mitträgt, die eine Differenz und darüber hinaus durch das Verb

eine Verzögerung einen Aufschub darstellen. Die Endung –ance ist dazu charakteristisch für

einen Zustand, der sowohl aktiv als auch passiv fungiert, denn das, was Derrida beschreibt

liegt vor einer Aufspaltung in diese abendländischen, dichotomischen Denkfiguren. Die dif-

férance ist so ein Denkraum ohne Zentrum und ohne Ursprung, erfüllt von einer grenzenlosen

Textur von Differenzen, in denen es kein Innen und kein Außen gibt, denn alles ist Text und

77 Vgl. Ebd., S. 295. 78 Vgl. auch im Folgenden: Lavagno, Christian: „Kleine Einleitung, in die Philosophie von Jacques Derrida“, S.1-11.

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die Welt ist unauslöschlich mit der Sprache verbunden. So erklärt sich auch die These, dass

kein Text-Äußeres in dieser Denkweise existiert: da es keine außersprachlichen Entitäten gibt,

wird auch der Referent hinfällig, weil alles in der Differenzbewegung entsteht und aufgeht.79

Es wurde nun bereits ein Zusammenhang zwischen dem Verweisungsmodus der Zeichen und

der Spur angedeutet. Doch welche Funktion kommt der Denkfigur der Spur genau zu?

Das Spiel von Differenzen setzt in der Tat Synthesen und Verweise voraus, die es verbieten,

daß zu irgendeinem Zeitpunkt, in irgendeinem Sinn, ein einfaches Element als solches prä-

sent wäre und nur auf sich selbst verwiese. Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens

haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen, sei es

auf dem Gebiet der gesprochenen oder dem der geschriebenen Sprache. Aus dieser Verket-

tung folgt, daß sich jedes ‚Element‘ – Phonem oder Graphem – aufgrund der in ihm vorhan-

denen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert. Diese Verkettung,

dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transformation eines anderen Textes hervor-

geht. Es gibt nichts, weder in den Elementen noch im System, das irgendwann oder irgendwo

einfach anwesend oder abwesend wäre. Es gibt durch und durch nur Differenzen und Spuren

von Spuren.80

Die Spur ist also ein Signifikant, der durch Merkmale konstituiert wird, die andere Signifikan-

ten an ihm hinterlassen und drückt sich selbst auch wieder in andere Signifikanten ein. Die

Spur muss so immer den Umweg über alle Differenzen gehen, ist in dieser Bewegung gar der

Denkraum différance selbst. „Die (reine) Spur ist die *Differenz.“81

So wäre für Derrida die

Spur der absolute Ursprung des Sinnes im Allgemeinen, wenn es einen solchen gäbe, doch

durch ihre ursprüngliche Verspätung ist auch die gedachte Ur-Spur immer bereits verspätet

und durch keinen Begriff der Metaphysik beschreibbar.

Die Spur ist nicht nur das Verschwinden des Ursprungs, sondern besagt […], daß der Ur-

sprung nicht einmal verschwunden ist, daß die Spur immer nur im Rückgang auf einen Nicht-

Ursprung sich konstituiert hat und damit immer zum Ursprung des Ursprungs gerät. Folglich

muß man, um den Begriff der Spur dem klassischen Schema zu entreißen, welches ihn aus

einer Präsenz oder einer ursprünglichen Nicht-Spur ableitete und ihn zu einem empirischen

Datum abstempelte, von einer ursprünglichen Spur oder Ur-Spur sprechen. Und doch ist uns

bewußt, daß dieser Begriff seinen eigenen Namen zerstört und daß es, selbst wenn alles mit

der Spur beginnt, eine ursprüngliche Spur nicht geben kann.82

79 In einer weiteren Konsequenz wird nicht nur der Referent hinfällig, sondern auch ein Subjektbegriff, wie er dieser Arbeit zugrunde liegt,

wird neu beleuchtet. Das Subjekt selbst ist Zeichen, Text. So wären weitere spannende Forschungsfragen, welche Diskurse beispielsweise über das Improvisationstheater durch die Spieler als Text entstehen. Ein Zusammenhang, der hier nur kurz angerissen werden soll, da im

Folgenden ein immanent fokussierter Spurbegriff und damit bereits definiertes Subjektverständnis zum Tragen kommt. 80 Derrida, Jacques: Positionen, S.66. 81 Derrida, Jacques: Grammatologie, S.109. 82 Derrida, Jacques: Grammatologie, S.107f.

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Die Spur bei Derrida ist so Denkfigur für ein semiotisch durchdrungenes Weltverständnis, das

einer weiteren kopernikanischen Wende in der Philosophie gleicht und das auch im weiteren

Verlauf mitgedacht werden sollte.

Auf einer narrativen Ebene greifbarer kann dieser dauerhafte Entzug der Spur so vor allem

vor dem Hintergrund von Widersprüchen, Brüchen, Verschiebungen und polysemischen Nar-

rativen spannende Aspekte entfalten. Hans-Jürgen Gawoll sieht so auch in dieser Gleichset-

zung der différance mit der (reinen) Spur, eine beständige Polysemie verdeutlicht, die nur

dieses neologistische a in das Spiel der Bewegung und Differenzen bringen kann.83

Um dem

narrativen Potential der Spur nun noch auf einer immanenten Weise näher zu kommen, wie

sie dann auch für diese Arbeit operativ fruchtbar gemacht werden kann, ist nun der Zugang

zur Spur und dem Spurenlesen nach Carlo Ginzburg näher zu betrachten.

b) Der Spurbegriff bei Carlo Ginzburg

Der Kulturwissenschaftler und Historiker Carlo Ginzburg betrachtet das Spurenlesen vor al-

lem aus wissenschaftsphilosophischer Sicht als ein Paradigma der Humanwissenschaften, das

er „je nach seinem Kontext als Jäger-, Wahrsage-, Indizien- oder semiotisches Paradigma

bezeichnet“84

. Er verwendet diese Begriffe dabei keineswegs synonym, doch auf Basis einer

gemeinsamen Erkenntnisgrundlage. Er stellt drei Beispiele vor, um diese zu unterstreichen:

den Kunsthistoriker Morelli, der anhand winziger, unbeachteter Details wie Ohrläppchen oder

Fingernägeln Kopien von Originalen unterscheiden kann, den Detektiven Sherlock Holmes,

der aus Ascheresten und Fußabdrücken komplexe Tathergänge rekonstruiert und Sigmund

Freud, der sich von Morellis Methode bei der Entwicklung der Psychoanalyse inspirieren ließ

und aus unbewussten Details in den Erzählungen seiner Patienten Diagnosen stellte. Die Ana-

logie liegt darin, dass „in allen drei Fällen […] unendlich feine Spuren [es erlauben], eine

tiefere, sonst nicht erreichbare Realität einzufangen“85

.

Wissenschaftstheoretisch hat sich so ein Modell entwickelt, das in den Alltagshandlungen der

frühen, im Schlamm hockenden und Spuren suchenden Jäger fußt, dabei deren komplexe

geistige Operationen des Rekonstruierens und Deutens aufnimmt und mit den intellektuellen

Verfahren der Analyse, Konfrontation und Klassifikation auf andere Erkenntniszusammen-

hänge überträgt. Dabei sind vor allem zwei Qualitäten für den Kontext dieser Arbeit entschei-

dend, die Ginzburg bei dieser Art des Spurenlesens hervorhebt. Das ist neben dem Aspekt der

83 Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur: Gedächtnis und Andersheit“, S.292. 84 Ginzburg, Carlo: „Spurensicherung“, S. 84. 85 Ginzburg, Carlo: „Spurensicherung“, S.68.

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semiotischen Verankerung, vor allem der Gedanke des narrativen Moments, das diesem Er-

kenntnisgewinn innewohnt.

Charakteristisch für dieses Wissen ist die Fähigkeit, in scheinbar nebensächlichen empiri-

schen Daten eine komplexe Realität aufzuspüren, die nicht direkt erfahrbar ist. Man kann

hinzufügen: der Beobachter organisiert diese Daten so, daß Anlaß für eine erzählende Se-

quenz entsteht, deren einfachste Formulierung sein könnte: „Jemand ist dort vorbeigekom-

men“. Vielleicht entstand die Idee der Erzählung selbst (im Unterschied zu Zaubersprü-

chen, Beschwörungen und Anrufung) zuerst in einer Gesellschaft von Jägern aus der Erfah-

rung des Spurenlesens.86

Ginzburg selbst betont, dass er damit eine nicht beweisbare Hypothese aufstellt87

, aber allein,

dass sie plausibel aufgestellt werden kann, zeigt wie wichtig das narrative Moment für das

Spurenlesen ist (worauf noch im Zusammenhang mit dem Improvisationstheater zurück zu

kommen sein wird). Das narrative Moment ist dabei vor allem an zwei entscheidenden Punk-

ten verankert. Erstens ist dieses Wissen, das über Spuren zugänglich gemacht wird nie direkt

erfahrbar, sondern immer nur indirekt und meist über scheinbar Unbedeutendes und Neben-

sächliches und muss deshalb gedeutet werden und zweitens ist es nur indirekt erfahrbar, weil

es sich aus einem Ursachen-Wirkungszusammenhang ableitet, der sich auf Vergangenes be-

zieht, auch wenn dieses nur sekundenalt ist.88

Krämer hebt hierbei den Moment hervor, wo sich ein Verständnis von Spur als etwas immer

Entzogenem auch in die positive Wissenskunst, die mit dem Indizienparadigma eigentlich

beschrieben ist, einschleicht und sie sieht auch, wie gerade die individuelle Ausdeutung, die

Erzählung durch die Stimme desjenigen, der die Spur liest, diesen Entzug deutlich macht.89

Eine andere Stimme hätte eine andere Narration erzeugt und dies ist nur möglich, da keine

eindeutige Identifizierung stattfinden kann. In jeder Spur stecken so potentiell so viele Narra-

tionen wie es Spurenleser gibt.

Bei Ginzburg haben sich nun schon einige Charakteristiken der Spur angedeutet und auch wie

sich dieses Deutungsverfahren und damit die Erzeugung einer Narration gestalten können,

doch gerade diese zentralen Aspekte sollen im Folgenden noch griffiger herausgearbeitet

werden.

2) Attribute der Spur und Ebenen des Spurenlesens

86 Ebd., S.70. 87 Ebd., S.70. 88 Vgl. Ebd., S.75. 89 Vgl. Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendenz der Spur“, S. 173.

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Sybille Krämer, Mitherausgeberin des Bandes Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik

und Wissenskunst, hat sich in ihrer Einleitung genau die Frage gestellt, was eine Spur vor dem

Hintergrund eines alltagsweltlichen Verständnisses und ihrer philosophischen Geschichte

eigentlich ist, und was eine Spur lesen bedeutet. Sie stellt zehn Attribute vor, die eine syste-

matische Herangehensweise nachzeichnen.90

Das entscheidendste Attribut der Spur ist, dass sie in ihrer Anwesenheit die Abwesenheit des-

sen, was sie hervorgerufen hat, bezeugt. Die Spur kann nicht das Abwesende selbst zeigen,

sondern immer nur dessen Nicht-Präsenz verdeutlichen. In der Spur kreuzen sich so Präsenz

und Absenz, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Auch wenn die Spur bestimmte Rückschlüsse

auf das Abwesende zulässt, entzieht sie sich doch der eindeutigen Abbildbarkeit und somit

der eindeutigen Identifikation. Die Abwesenheit ist eine Folge des Zeitenbruchs, denn die

Spur zeigt eben nur das an, was zur Zeit des Spurenlesens irreversibel vergangen ist. „Das

‚Sein‘ der Spur ist ihr ‚Gewordensein‘.“ Der Zeitenbruch verdeutlicht auch, dass Spuren eben

nicht repräsentieren, sondern präsentieren. Hier entziehen sie sich nach Krämer der Definition

eines Zeichens -was noch zu diskutieren sein wird- und es wird deutlich, dass Spuren, da sie

aus einer kausalen Beziehung entstehen, der Welt der Dinge angehören. In ihrer Materialität

sind sie stofflich und treten gegenständlich vor Augen. Dabei können sie sich nur zeigen und

nicht selbst reden. Spuren sind stumm und können nur durch narrative Deutung interpretiert

werden. Der Kommunikationsprozess ist ein einseitiger. Sender und Empfänger können ihre

Position nicht tauschen. Es liegt eine Eindimensionalität und Unumkehrbarkeit im Mittei-

lungsgeschehen vor. Dieser Stummheit schließt sich eine Fremdbestimmtheit der Spur an.

Heteronomie, Medialität und Passivität sind weitere Eigenschaften der Spur. Spuren werden

zum Sprechen gebracht, sie werden wie ein Medium in der Funktion eines Boten gebraucht.

Dabei sind sie abhängig vom Spurenleser, aber auch davon, dass das Material sie überhaupt in

sich einschreiben lässt. Krämers Beispiel, dass auf gefrorenem Sand keine Fußabdrücke blei-

ben können, unterstreicht diese passive Abhängigkeit der Spur von der „Weichheit“ des Mate-

rials.

Das Lesen von Spuren geht dabei immer einher mit einem Bedürfnis nach Orientierung des-

jenigen, der sich auf Spurensuche begibt. Situationen von Unsicherheit und Ungewissheit, in

denen eine Orientierung für das eigene, praktische oder theoretische Handeln erwünscht ist,

werden zum Ausgangspunkt der Spurensuche. Spurenleser verfolgen Spuren mit einer zielge-

richteten Aufmerksamkeit, was für die Spur eine Beobachter- und Handlungsabhängigkeit

90 Vgl. im Folgenden: Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.14-18.

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ergibt, denn „etwas ist nicht Spur, sondern wird als Spur gelesen“. Das bedeutet, dass Spuren

erst durch die Wahrnehmung dessen, der sie als Spur liest, entstehen. Sie zeigen sich inner-

halb eines Kontexts gerichteter Aufmerksamkeit, wo nach Krämer durch Selektion zwischen

Spur und Nicht-Spur unterschieden wird. Der Motiviertheit seitens des Spurenlesers wird die

Unmotiviertheit der Spur selbst gegenüber gestellt. Wird eine Spur gewollt gelegt, handelt es

sich nicht mehr um eine Spur, Spuren können nur unabsichtlich hinterlassen werden. In der

Spur kann sich so gerade das Nicht-Intentionale, Unbewusste und Unkontrollierte zeigen. Die

Spur entzieht sich jeder Art von Steuerung. Um jedoch überhaupt wahrgenommen werden zu

können, muss sie aus einer bestimmten Ordnung herausfallen. Wird eine Spur gesehen, han-

delt es sich immer um eine Art Störung. Das bedeutet, dass etwas Unbekanntes in das Ge-

wohnte eindringt, oder etwas Erwartetes ausbleibt. Die Spur hat die Kraft, eine Ordnung zu

stören und Abweichungen hervorzurufen. Diese gestörte Ordnung gilt es dann, durch eine

neue Ordnung zu ersetzen, in die die Spur integriert werden kann. Dies kann nur dadurch ge-

schehen, dass das Ereignis, welches die Spur hervorgerufen hat, als eine neue Erzählung re-

konstruiert wird. Wie aber bereits festgestellt wurde, entzieht sich die Spur einer eindeutigen

Identifikation, daher ist eine Vielzahl solcher Erzählungen möglich. Spuren sind also polyse-

misch. Jede Interpretation bringt die Spur überhaupt erst hervor und kann ihr die unterschied-

lichsten Bedeutungen zuordnen. Somit gelten Interpretativität, Narrativität und Polysemie als

wichtige Attribute der Spur.

In diesen von Krämer aufgelisteten Attributen finden sich einige Dopplungen, Brüche und

Widersprüche zu vorherig skizzierten Spurverständnissen, die aber produktiv als Ausgangs-

punkt für einen hier zu findenden operationellen Begriff des Spurenlesens genutzt werden

können. Dabei werden Krämers zehn Attribute auf drei sich wechselseitig beeinflussende

Ebenen verteilt, die für einen prozessual gedachten Begriff des Spurenlesens entscheidend

sind.

Die erste und den beiden anderen zugrundeliegende, basale Ebene betrifft die Auseinander-

setzung mit dem Zeichencharakter der Spur. Krämer nutzt die Spur in ihrer physischen, ding-

lichen Materialität, um dem postmodernen „unbekümmerten und referenzlosen Flotieren der

Zeichen etwas entgegenzuhalten […], das seine Erdung in einer Art >Dingsemantik< fin-

det“91

. Diese Dinge fungieren dann aber gerade in ihrer essentiellen Verweiskraft auf die Ab-

wesenheit dessen, was vorüber gegangen ist als Zeichen. Auch ist die Zeichenfrage in beiden

skizzierten, wichtigen spurtheoretischen Denkweisen eindeutig beantwortet.

91 Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.12.

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Nach Derrida als Repräsentant des postmodernen Weltverständnisses ist den Zeichen nicht zu

entkommen und es fehlt Krämer an durchschlagenden Argumenten, warum die Spur, nur weil

sie stofflich und materiell existiert, in der philosophischen Konsequenz nicht trotzdem als

Zeichen gedacht wird. Die Betonung der Materialität in ihrer eigenen Spezifizität ist in ihrem

Ansatz sehr zu begrüßen, da jede Spur so ihren ganz eigenen Abdruck schafft, doch negiert

dies nicht, dass Spuren als Zeichen gelesen werden können. Darüber hinaus kann mit Carlo

Ginzburg ein Verständnis von Spuren als Zeichen gedacht werden, das seinem Paradigma

sogar den Namen semiotisches Paradigma zugrunde legt und in seiner Wissensgenerierung in

die Nähe der medizinischen Semiotik rückt.92

Auch soll hier noch einmal auf die Semiotik

Umberto Ecos verwiesen werden, der, auch ohne die Spur an sich umfassend zu theoretisie-

ren, diese in seine Zeichenaufteilung integriert und dessen Zeichendefinition allgemein aner-

kannt wird. 93

So kann bereits festgehalten werden, dass die Betonung der Materialität und

Stofflichkeit der Spur bei Krämer in dieser Arbeit unter eine breite Definition des Zeichenbe-

griffs gelegt wird. Der Zeichencharakter wird, abgesehen von Derridas philosophischen

Grundannahmen, vor allem durch seinen Verweischarakter bestimmt. Spuren verweisen auf

etwas, was sie selbst nicht sind und das heißt sie sind in aller erster Linie Zeichen, wenn auch

sehr spezielle. Dieser besondere Charakter liegt im Verweis auf eine Abwesenheit begründet

und fußt somit in der zweiten wichtigen Ebene, die sich auf die besondere Zeitstruktur der

Spur und des Spurenlesens stützt.

Wie Gawoll schon dargelegt hat, verbindet die Spur die drei Dimensionen der Zeit. Sie

kommt aus der Vergangenheit, wird gegenwärtig94

entdeckt und zum Ausgangspunkt für zu-

künftiges Denken und Handeln. An diese Zeitstruktur ist ein bemerkenswertes Verhältnis von

Rezeption und Produktion gekoppelt, das erklärt werden kann, wenn man das Verursachen

der Spur, die Spur selbst und das Lesen der Spur als einen Prozess95

denkt, in dem diese Vor-

gänge in einem engen, nicht voneinander ablösbaren Zusammenhang stehen. Diese Verket-

tung wird auch für den Kontext des Improvisationstheaters im weiteren Verlauf dieser Arbeit

von Interesse sein. Kurz sei hier bereits auf das eingangs vorangestellte Zitat von Keith Johns-

tone verwiesen. Auch beim Improvisationstheater ist der Blick des Spielers stets rezipierend

in die Vergangenheit gerichtet und bezieht sich doch produzierend auf Gegenwart und mögli-

che Zukunftsversionen. 92 Vgl. Ginzburg, Carlo: „Spurensicherung“, S.69. 93 In dieser Arbeit wird für ein Verständnis der Spur als Zeichen und der Zeichendefinition, das ein Zeichen etwas ist, das für etwas anderes

steht, wie bereits erwähnt Umberto Eco gefolgt. Vgl. Eco, Umberto: Zeichen, S. 67 und S.166ff. 94 Der Gegenwartsbegriff wird in der philosophischen Diskussion von Aristoteles bis Sartre (Vgl. beispielsweise Aristoteles. Physik: Vorle-sung über Natur oder Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts) immer wieder diskutiert und auch von Bernhard Waldenfels vor dem

Hintergrund der Philosophie Derridas ausführlich problematisiert. Eine reine Gegenwart kann es demnach nicht geben, da sie immer schon

Spur eines anderen ist. Vgl. Waldenfels, Bernhard: Spiegel, Spur und Blick. Für diese Arbeit wird allerdings aus operationellen Gründen mit einem als existent angenommenen Gegenwartsbegriff gearbeitet. 95 Elke Richter forscht gerade ausführlich an Kategorisierungen der Spur in einem solchen Kontext.

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Krämers Spur dagegen gleicht eher einer Medaille mit zwei Seiten. Auf der einen Seite gibt es

den Spurproduzenten, der völlig unmotiviert seine Spuren hinterlässt und auf der anderen Sei-

te den Rezipienten, der diese Spur wahrnimmt, sie liest, sie deutet und damit aber auch zum

Produzenten der Spur wird, nimmt man ernst, dass die Spur erst entsteht, wenn sie gelesen

wird. Dies scheint auf den ersten Blick ein dichotomischer Widerspruch. Wenn die Spur erst

entsteht, weil sie gedeutet und kontextualisiert wird, welche Rolle spielt dann der Verursacher

und vor allem die so stark betonte Unmotiviertheit des Verursachers? „Wo etwas als Spur

bewusst gelegt und inszeniert wird, da handelt es sich gerade nicht mehr um eine Spur. […]

Im Unterschied zum Zeichen, das wir erzeugen, ist das Bedeuten der Spur bar jeder Intention

seitens desjenigen, der sie verursacht.“96

Krämer versucht, das Nicht-Intentionale des Spur-

verursachers damit zu erklären, dass es sich bei der Spur nicht um ein Zeichen handelt, was

aber bereits für diese Arbeit als nicht tragbar gesetzt wurde. Es wird nun von der Prämisse

ausgegangen, dass jede Art von Zeichen hauptsächlich im Prozess der Rezeption zu seiner

Bedeutung gelangt. Wenn die Spur prozessual gedacht wird, kann nun zum einen die Seite

des Verursachers betrachtet werden. (Es wird im Folgenden nun auch immer von Verursacher

anstatt von Produzent gesprochen, da die Produzentenrolle beim Spurenlesen zugleich dem

Rezipienten zukommt). Der Verursacher kann nun bewusst Spuren legen97

oder wie in den

meisten Fällen, ein Verständnis, das aus der Jagd und der Kriminologie kommt, diese unbe-

wusst hinterlassen. Von Interesse ist dies nur, wenn der Prozess des Spurenlesens vom Verur-

sacher her gedacht wird. Liegt der Fokus aber auf der zeitlichen Ebene nach dem Aufspüren

der Spur als Spur steht der Prozess des Lesens und Deutens von etwas Abwesendem im Vor-

dergrund. Der Rezipient wird so zum Produzenten der Spur und deren Bedeutung. Diese Rol-

le kann er einnehmen, da ein zeitlicher Abstand zwischen dem Verursachen und dem deuten-

den, Narration erzeugenden Lesen liegt, der ihm diesen subjektiven Interpretationsraum er-

laubt. Somit zeigt sich bereits die dritte Ebene, die entscheidend für das Spurverständnis die-

ser Arbeit ist: die Subjektabhängigkeit des Spurenlesens.

Heteronomie, Medialität, Passivität, Störung, Eindimensionalität, Unumkehrbahrkeit, Be-

obachter-und Handlungsabhängigkeit, Orientierungsleistung, Interpretativität, Narrativität und

Polysemie sind so eine ganze Reihe von Krämers Attributen, die unter der Ebene der Subjek-

tabhängigkeit des Spurenlesens zusammengefasst werden können. Die Bedeutungsgenerie-

rung beim Spurenlesen hängt schließlich davon ab, dass etwas als Spur wahrgenommen wird -

was Krämer als Störung einer Ordnung bezeichnet– und dass sie wahrgenommen wird, weil

96 Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.16. 97 Ein gutes Beispiel aus der Literatur bietet hier Jorge Luis Borges in seinem Erzählband Fiktionen. Kommissar Lönnrot verfolgt die geleg-

ten Spuren seines Mörders und stirbt.

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sie Orientierung für Handeln oder Denken geben soll. Die Spur wird also vom spurenlesenden

Subjekt ausgewählt, als Spur zu dienen. Die dafür auffällige Störung spielt nun eine entschei-

dende Rolle, weil der Leser in ihr ein Versprechen sieht. Ein Versprechen auf eine Narration,

die diese Spur nachträglich in eine neue Ordnung überführt. Diese Ebene des Spurprozesses

zeigt, dass der Verursacher nur mehr als Teil der Bedeutungsgenerierung des Lesers erscheint.

Die restlichen Attribute wiederholen genau diesen Blickwinkel, dass der Rezipient der eigent-

liche Produzent der Spur in Gegenwart und Zukunft ist, er aber zugleich durch seine subjekti-

ve Wahrnehmung auch eine Vergangenheit rekonstruiert. Dieser subjektive Aspekt ist der

Grund für den polysemen Charakter des Spurenlesens. Darüber hinaus wird die Polysemie

noch durch potentiell entstehende Spurnetze verstärkt. Jede weitere entdeckte und gelesene

Spur hat die Kraft, die narrative Ordnung zu verschieben und neu auszurichten.

Zusammengefasst lassen sich Krämers Attribute der Spur also in ein prozessuales Verständnis

von Spur einfüttern, das davon ausgeht, dass die Spur ein Zeichen ist. Ein Zeichen, das durch

eine besondere Einbettung in einen zeitlichen Zusammenhang markiert ist, wodurch eine hohe

Interpretationsleistung, geprägt durch dauerhafte Polysemie, seitens des Spurenlesers gefor-

dert ist. Diese Interpretationsanforderung ist das narrative Moment der Spur.

3) Das narrative Moment der Spur im Forschungsüberblick

Das narrative Moment des Spurenlesens nimmt sowohl bei Carlo Ginzburg als auch bei Sybil-

le Krämer eine zentrale Stelle ein und erscheint doch noch sehr abstrakt. Am anschaulichsten

präsentiert es sich bei Carlo Ginzburg, der auf die Humanwissenschaften verweisend, zeigt,

wie das narrative Moment der Spur Erkenntnisse und Wissen erzeugt. Auch hat er selbst als

Historiker Spurenlese betrieben und anhand der Narrativierung von Einzelschicksalen, die er

aus offiziellen Dokumenten herausgelesen hat, die italienische Volkskultur der frühen Neuzeit

rekonstruiert.98

Im Folgenden sollen noch einige andere Beispiele aufgezeigt werden, wie in

der Forschung und auch im performativ-künstlerischem Bereich mit dem narrativen Moment

der Spur bereits gearbeitet wurde und welchen Gewinn dies brachte. Zugleich ergibt sich so

ein kleiner, sehr fokussierter Forschungsüberblick zur Spur und dem produktiven Moment des

Spurenlesens, der dann für das Improvisationstheater zur Anwendung gebracht werden kann.

Im Zusammenhang mit Narrativität mag es so vielleicht seltsam anmuten, dass dieser

Überblick mit einer Arbeit aus der Geografie eingeleitet werden soll. Doch dies verdeutlicht

98 Siehe dazu Ginzburg, Carlo: Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. Und 17. Jahrhundert & Der Käse und die Würmer. Die

Welt eines Müllers um 1600 & Hexensabbat.

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nur die breite Spannweite des Spurenlesens und seiner lohnenden Anwendung auf ver-

schiedenste Gebiete. Gerhard Hard hat sich Erkenntnissen aus der Semiotik und den Ge-

schichtswissenschaften bedient, um das Spurenlesen für eine Theorie und Ästhetik in der Ve-

getation fruchtbar zu machen. Anhand der Untersuchungen von Spuren im Mäusegerste- und

Trittrasen leitete er gesellschaftliche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum ab. Die Abdrü-

cke in der Vegetation erzählen so durch seine Wahrnehmung Geschichten über Sozialität in

und mit dieser Umwelt. Dabei geht er auch von der Grundannahme der Spur als Zeichen aus

und stellt das narrative Moment für den Erkenntnisgewinn in den Mittelpunkt. Spurenlesen

charakterisiert er so auch als „narrative Erklärung“ und bindet diese Erklärung an eine Verän-

derung. „Ein Gegenstand (etwas Physisch-Materielles, eine Person, ein Kollektiv, ein Be-

griff…) ist von einem Zustand S1 in einen Zustand S3 übergegangen. Das ist es, was es zu

erklären gibt.“99

Hard unterstreicht durch die in Klammern angeführten potentiellen Gegen-

stände auch sein weites Verständnis von Möglichkeiten, wo Spuren hinterlassen und gelesen

werden können. Die Entstehung der narrativen Erklärung bringt er methodisch sodann mit

einer kreativen Abduktion100

nach Peirce in Verbindung. Ein abduktiver Schluss ist ein

„Schluss von einer Regel und einem Ergebnis auf den zugrunde liegenden Fall“101

. Der As-

pekt des Kreativen bringt nun noch die Ergänzung, dass eine ganz neue Geschichte erfunden

wird, was einer Neu- oder Umkodierung gleichkommt. Zeichen die bereits einmal kodiert

sind, werden zweitkodiert und mit neuer Bedeutung aufgeladen, wobei die Leitfrage immer

bleibt: Ist das eine mögliche Welt? Passen die Dinge in dieser Welt zusammen?102

Letzte Fra-

ge führt zu einem weiteren wichtigen Punkt. Beim Spurenlesen wird ein gewisses Chaos in

eine neue, plausible Ordnung überführt und diese neue Ordnung ergibt sich erst aus der Kon-

textualisierung der Spur, wenn nicht gar der Spuren. Nach Hard erzeugt die narrative Erklä-

rung des Spurenlesens ein sehr komplexes Signifikat, das einer Makro-Spur aus vielen Mikro-

Spuren entspricht. Eine Spur allein sagt selten etwas aus, erst ein Netz von Spuren ermöglicht

eine Vertiefung der Geschichte.103

Mit der Plausibilität der Geschichte verbindet sich ein Er-

zähler, der dahinter steckt und dieser Erzählung selbst Kohärenz verleiht. Die narrative Erklä-

rung ist also immer höchst subjektiv, was im Bereich der Wissenschaft an eine Selbstreferen-

tialität des Spurenlesens gekoppelt ist. Der Spurenleser wird zu einem Beobachter zweier

Ordnungen. Der Beobachter 1. Ordnung sieht, was er sieht und sieht nicht, was er nicht sieht

99 Hard, Gerhard: Spuren und Spurenleser, S.74. 100 Ganz aktuell hat sich Andreas Frings mit der kreativen Abduktion als Methode des Spurenlesens auseinandergesetzt und diese in seinem Aufsatz „Entführung aus dem Detail“ problematisiert. Er kommt zu dem Schluss, dass die Abduktion nach Peirce eher einer Haltung als

einer Methode entspricht, weshalb sie in dieser Arbeit auch nicht als solche zum Tragen kommt. 101 Frings, Andreas: „Entführung aus dem Detail“, S. 121. 102 Vgl. Hard, Gerhard: Spuren und Spurenleser, S.78. 103 Vgl. Hard, Gerhard: Spuren und Spurenleser, S.123.

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und der Beobachter 2. Ordnung, der als Beobachter des Beobachters die Alternativen und die

Auswahl sieht, weiß, dass diese gerechtfertigt werden müssen.104

Spurenlesen, und davor das

Spurenerkennen, sind also immer aktive, selektive und konstruktive Prozesse, die von einem

Subjekt ausgehen und dieses als Erzähler mitdenken muss.

Auch Mirjam Schaub sieht im selbstreferentiellen Moment der Narrativität des Spurenlesens

einen wichtigen Aspekt, den sie vor allem im Zusammenhang mit Kunstwerken und Perfor-

mances betrachtet. Die Analyse dreier Arbeiten von Sophie Calle, Francis Alÿs und Janet

Cardiff zeigt das selbstreferentielle Moment, indem der Betrachter, der Spurenleser, sich nach

dem Betrachteten, der Spur, verbiegt und ihm dies bewusst wird. Es wird eine Art Zwang

ausgeübt, die Spur konsequent zu verfolgen, um eine Geschichte zu Ende bringen zu können.

Dabei sind besonders Momente relevant, in denen Spuren verdichtet oder verdrängt werden

und dabei jeweils andere Geschichten entstehen, was auch mit der potentiellen Schwäche von

Spuren zusammenhängt, dass sie jederzeit überschrieben werden können, aber auch mit ihrer

Kraft, sich neu einzuschreiben. Was besonders in der Kunst auffällig wird, ist dabei die Ver-

führungskraft der Spur. „Die allgemeinste Form dieser Verlockung besteht in dem Verspre-

chen, dass die Spur zu etwas Interessantem, Neuem, Noch-Unerkanntem führt.“105

In der

Kunst wird mit den Erwartungen gespielt, dass die künstlich angelegten Spuren tatsächlich

ihren Verursacher offenbaren, aber auch mit den Enttäuschungen, wenn sie es nicht tun. Der

Rahmen verändert sich hier im Vergleich zum realen Spurensuchen, da zumindest die Mög-

lichkeit auf eine eindeutige Identifizierung besteht. Auf diesen Punkt wird noch im Rahmen

des Improvisationstheaters zurückzukommen sein.

In einem weiteren künstlerischen Rahmen, nämlich der Literatur, hat Sonja Arnold106

die Rol-

le von Spuren untersucht. In den Romanen Der Mensch erscheint im Holozän von Max Frisch

und Johanna von Felicitas Happe geht es jeweils um die Rekonstruktion von Geschichte und

somit um die Erzeugung einer Narration auf Basis einer Spurensuche. Einen zentralen Stel-

lenwert in dieser Untersuchung nehmen dabei Leerstellen ein, die auf den stets vorhandenen

Rest an Unrekonstruierbarkeit sowohl der biografischen als auch der gesellschaftlichen Erzäh-

lung verweisen. Als ästhetische Technik, diese Leerstellen zu umschreiben und mit eigenen

Bedeutungsmöglichkeiten zu füllen, arbeitet Sonja Arnold Montage, Collage und Bricolage

heraus. Fragmente von Spuren werden in neue sinngebende Zusammenhänge gesetzt und

bauen so polysemische aber zugleich aufgrund des Materials nicht beliebige Interpretations-

möglichkeiten auf. Arnold streicht so einen weiteren wichtigen Punkt heraus und das ist ne-

104 Vgl. Ebd., S.128. 105 Schaub, Mirjam: „Die Kunst des Spurenlegens- und verfolgens“, S. 140. 106 Vgl. im Folgenden: Arnold, Sonja: „Geschichte als Spurensuche zwischen Transzendenz und Immanenz in Max Frischs Der Mensch

erscheint im Holozän und Felicitas Happes Johanna“, S.85-100.

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ben der Polysemie die Nicht-Beliebigkeit der Zusammensetzung der Spuren. Auch in einem

künstlerischen Kontext gilt es, die Spuren so miteinander zu verbinden, dass plausible Denk-

zusammenhänge, sinnvoll verwobene Spurennetze als narrative Sequenzen entstehen können.

Auf die Unmöglichkeit eine Spur als rein Gegebenes ohne jeden Kontext zu erzählen, geht

Barbara Hollendonner in ihrer Analyse der Krimiserie CSI ein. Sie untersucht das Verhältnis,

dass das betrachtende, erwartende und kontextualisierende Subjekt im Vergleich zur Materia-

lität der Spur einnimmt und kommt zu dem Schluss, dass „die Vermeidung der Trennung von

Subjekt und materieller Realität durch die Vermeidung der Benennung, der interpretativen

Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung […] dabei aber nur um den Preis der Bedeu-

tungslosigkeit erlangt werden [kann]“107

. Wird die Spur also als rein materiell vorhanden oh-

ne das interpretierende Subjekt gezeigt, kann keine Narration entstehen, da das Subjekt ent-

scheidend für die Entstehung der Spur als Spur ist. Gleichzeitig bedingt die Spur in ihrem

Sein, dass das Subjekt überhaupt narrativ tätig wird.

Die Frage, wie eine historische Narration dann überhaupt zustande kommen kann, wenn es

keinerlei Spuren gibt, beschäftigt Oliver Geisler in seiner Auseinandersetzung mit dem spu-

renüberwuchernden Gras als Leitmotiv des Shoah-Diskurses. Er stellt seiner Arbeit das Zitat

des Historiker Albert D’Haenens voran, das in der von Gerhard Hard abgewandelten, plurali-

sierten Form auch dieser Arbeit vorangestellt wurde: „pas de traces, pas d’histoire“108

. Hier

allein bezogen auf die Historie des Nationalsozialismus. Für Geisler ist das Spurenlesen eine

besondere Form der Lektüre, eines Sehens und Lesens im Raum und die Spur trägt das Ver-

sprechen, das diese Zeichen im Raum Geschichte lesbar machen. Die Erkenntnis der mögli-

chen Spurenlosigkeit durch zeitlichen oder räumlichen Abstand oder eines mangelnden Kon-

textwissens führen dann zu einer Krise des historischen Verstehens, die nicht die Technik des

Spurenlesens selbst betrifft, sondern dessen Möglichkeiten.109

Um eine Narration erzeugen zu

können, stehen Spur und Subjekt also in einer unabdingbaren Lektüre-Verbindung. Barbara

Hollendonner bezeichnet diese Verbindung auch als individual-historisches beziehungsweise

kultur-historisches Archiv.110

Wie Gisela Fehrmann, Erika Linz und Cornelia Epping-Jäger demnach auch betonen sind

„Spuren […] sowohl materielle Aufforderungen zu als auch Ergebnis von Lektüreprozes-

sen.“111

Lesen wird dabei als aktiver Denkprozess verstanden, der die Bedeutung und die Nar-

ration überhaupt erst erzeugt. In Verbindung mit der Spur ist Spurenlesen also ein höchst sub-

107 Hollendonner, Barbara: „Die Spur in CSI und in ausgewählten zeitgenössischen Theorien“, S.152. 108 Geisler, Oliver: „,Gras“-auseinandergeschrieben“, S.52. 109 Vgl. Ebd., S.52-69. 110 Vgl. Hollendonner, Barbara: „Die Spur in CSI und in ausgewählten zeitgenössischen Theorien“, S.143. 111 Fehrmann, Gisela / Linz, Erika / Epping-Jäger, Cornelia: „Vorwort“, S.9.

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jektiver, selektiver und Narrationen konstruierender Semioseprozess, bei dem von einer Auf-

fälligkeit ausgegangen wird, die auf die Abwesenheit eines einzigen klar definierten Signifi-

kats verweist. Die Wahrnehmung der Spur löst bei ihrem Rezipienten einen produktiv-

narrativen Deutungsprozess aus, der den Rezipienten zum Produzenten werden lässt. Einer-

seits bietet die entstehende Narration dann Orientierung für den Spurenleser, aber aufgrund

einer immer vorhandenen Polysemie andererseits kann die ausgehandelte, neue Ordnung stets

in Frage gestellt und der Möglichkeit ausgesetzt werden, nachträglichen Veränderungen zu

unterliegen.

Diese Definition von Spurenlesen wird nun im Folgenden als Grundlage für eine analytisch-

beschreibende Untersuchung des Improvisationstheaters gesetzt, genauer für den Produkti-

onsmodus narrativer Szenen seitens der improvisierenden Spieler. Dabei dienen die drei basa-

len Ebenen, die diesem Spurenleseprozess zugrunde liegen, das Zeichenverständnis, der Ver-

weis auf eine Abwesenheit und die Subjektabhängigkeit des Gelesenen, die aus Krämers At-

tributen systematisch abgeleitet wurden als Untersuchungsparameter. Dies bedeutet ein Vor-

gehen, das methodisch von Ginzburgs Indizienparadigma beeinflusst ist und sich darüber hin-

aus aus den eben dargestellten Forschungszusammenhängen zur Narrativität der Spur bedient,

um zur spezifischen Erzeugung von Narrationen im improvisierten Theater arbeiten zu kön-

nen.

IV SpurenLesen als Erklärungsmodell improvisierter Narrationen

Wie kann das Subjekt in einem als emergent verstandenen, theatralen Improvisationsprozess

gedacht werden? Wo verlaufen die Grenzen eines emergenztheoretischen Zugriffs? Wie kön-

nen die Spieler Narrationen im improvisierten Theater erschaffen? Kann die Denkfigur des

Spurenlesens als Beschreibungsmodell greifen und welche Rückwirkungen hat diese Anwen-

dung dann auf das Paradigma des Spurenlesens und der Spur selbst?

Dies sind die Fragen, die diese Arbeit stellt und für die bereits Antwortgrundlagen aufgezeigt

wurden, die hier nun aufgegriffen und zusammengedacht werden sollen. Der Gegenstand ist

definiert und auch der theoretische Zugang umrissen, nun geht es in einem letzten dritten

Schritt um den Transfer, die Anwendung des Spurenlesens auf das Improvisationstheater.

Dabei gilt es, besonders zu beachten, dass der Rahmen, vor dem diese Theoretisierung statt-

findet ein künstlerischer ist und sich dadurch in bestimmten Grundsätzen von der historischen

Rekonstruktion oder dem Tathergang eines Verbrechens unterscheidet. Es geht hier um einen

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Gegenstand der als Kunstform gedacht wird und deshalb auch die Spur im Rahmen eines Pro-

zesses sieht, in dem sich alle Beteiligten dieser Form bewusst sind. Es bedeutet darüber hin-

aus aber auch, dass der Spurbegriff mit den Konzepten des Spurenfindens und –lesens sich in

einem sehr weitgefassten Denkraum bewegt und als ein wissenschaftliches Paradigma ver-

standen wird, das künstlerische Prozesse erklären und beschreiben kann. Dies scheint viel-

leicht auf den ersten Blick eine banale Unterscheidung zu sein, unterstreicht aber einen zent-

ralen Aspekt der Perspektive auf den Gegenstand. Während es dem Selbstverständnis des

Kriminalisten und wahrscheinlich auch dem des Historikers entspricht sich als Spurenleser zu

verstehen, trifft dies auf den Improvisationsspieler nicht zu. Die Spuren und das Spurenlesen,

die für das Beschreibungsmodell des Improvisationstheaters herangezogen werden, sind nicht

in einer solchen Binnenperspektive verankert. Es geht also nicht darum, dass Improvisations-

spieler selbst denken; sie legen, lesen oder folgen Spuren, auch wenn diese Begriffe im Fol-

genden so verwendet werden. Diese Verwendung erfolgt, um eine theoretisierende Außenper-

spektive, die das Spurenlesen als wissenschaftlich operatives Beschreibungsmodell nutzt,

durch eine Art Synonymisierung anzeigen zu können. Diesem Blinkwinkel ist auch geschul-

det, dass hier nicht mit Spuren in der Tradition der Gedächtnistheorie nach Platon oder Freud

gearbeitet wird, was den Fokus auf eine innersubjektive Perspektive legen würde.112

Es soll

nun zwar auch um das Subjekt gehen, aber um die beschreibungstheoretische Rolle des Sub-

jekts im Kollektiv bei der Erzeugung einer fiktiven Narration. Wie kann das funktionieren?

Im letzten Kapitel wurden bereits besagte drei Ebenen, die das Spurenlesen bedingen heraus-

gearbeitet, um einen operationellen Rahmen für diese theaterwissenschaftlichen Fragen zu

schaffen. Die allgemeinste Ebene und der erste Parameter ist dabei die der Zeichenhaftigkeit

der Spur

1. Improvisierte Narrationen als Semioseprozesse

Wie bereits definiert, wird das Spurenlesen als ein Narration erzeugender Semioseprozess

verstanden, der in ausgeprägtem Maße von Polysemie und Subjektabhängigkeit markiert ist.

Um diesen Ansatz auf das Improvisationstheater legen zu können, gilt es, auch den theatralen

Improvisationsprozess als einen Zeichenprozess zu denken. Bereits dieser Ansatz unterschei-

det sich von einem emergenztheoretischen Zugriff, der nicht an ein textwissenschaftliches

Denken113

rückgebunden ist.

112 Eine solche Perspektive könnte neben kognitionswissenschaftlichen Ansätzen auch für den Zugang zu einem Zweig des Improvisations-

theaters interessant sein, das sich vor allem therapeutisch versteht und versucht, Erfahrungen zu verarbeiten wie beispielsweise das Playback

Theater. 113 Ein Ansatz, der für einen Literaturwissenschaftler fast selbstverständlich erscheint, aber in anderen Disziplinen durchaus nicht üblich ist,

wie sich in einem Gespräch mit Gunter Lösel gezeigt hat, der sich selbst der Theaterwissenschaft und Psychologie zuordnet.

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Es wird also davon ausgegangen, dass am Ende der Improvisation ein Text entsteht. Dieser

Text kann in verschieden große, narrative Sinneinheiten gegliedert werden, was als Ergebnis

der Überführung wahrgenommener und gelesener Spuren in neue Ordnungen angesehen wird.

Es sind dabei stoffliche Spuren unterschiedlichster Materialität, die als konstituierende Ele-

mente dem Spieler als Anstoß dienen, narrativ tätig zu werden. Im Gegensatz zu Beschrei-

bungsmodi in der Ratgeber-Literatur wird also nicht davon ausgegangen, dass die Narrationen

„von selbst“ oder „aus dem Nichts“ entstehen, auch nicht wie in einem emergentistischem

Modell, dass die Aktivität der einzelnen Individuen kaum eine Rolle spielt, sondern das die

motivierten Spielersubjekte durch ausgewählte, materielle Spuren überhaupt erst angeregt

werden körperlich und verbal, Erzählungen zu konstruieren. Die Materialität bezieht sich da-

bei sowohl auf die sprachlichen Ausdrucksformen als auch die Körperlichkeit der Spieler so-

wie die des Publikums. Daneben kann aber auch alles, was nach Fischer-Lichte Teil der Kon-

stitution des „performativen Raumes“114

ist, als Spur und somit als Ausgangspunkt des narra-

tiven Semioseprozesses dienen. Neben dem Einsatz von Licht und Musik und der Beschaf-

fenheit der Bühnenräumlichkeiten sind das vor allem auch Elemente, die zur Einmaligkeit der

Show beitragen und die sie als emergent bezeichnet, wie die Atmosphäre oder die Geräusch-

kulisse.

Ein in der Spielpraxis des Improvisationstheaters häufig vorkommendes Beispiel hierfür wäre

ein Handy, das vergessen wurde, ausgeschaltet zu werden und dessen Klingeln von den Spie-

lern in die fiktive Welt der Narration übertragen wird. Wird das Klingeln nicht in die fiktive

Welt integriert, bleibt es eines der vielen Zeichen, das im Text dieser einen Show steht und

von jedem Individuum in einer höchst subjektiven Verbindung oder Nicht-Verbindung mit

anderen Zeichen registriert wird. Das entscheidende Moment in seiner Rolle als gelesener

Spur und seinem narrativen Potential für die Szenenproduktion ist nun seine Eingliederung

und damit die selektive Aufnahme dieses Elements in das Spiel und in die gerade entstehende

Narration. Es wird dann zu einem Zeichen, das eine Veränderung in der Szenerie hervorruft

und diese Veränderung verlangt nach einer narrativen Erklärung, wie sie bei Hard und Ginz-

burg bereits dargelegt wurde. Um beim Beispiel des klingelnden Handys zu bleiben, bleibt

nun noch zu klären, was dann eigentlich als abwesend gedacht wird. Denn das, was das Spu-

renlesen als besonderen Zeichenprozess charakterisiert, ist neben der Subjektivität seiner Aus-

legung der Verweis auf eine Abwesenheit, die mit einer besonderen zeitlichen Struktur ein-

hergeht. Das Handy und sein Klingeln aber sind ganz klar in diesem einen Moment der Show

vorhanden. Vor allem das kausal-zeitliche Verhältnis von Spur und Leser wird im Folgenden

114 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S.187ff.

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vor dem Aspekt des Verweises auf eine Abwesenheit für das Improvisationstheater eine Revi-

sion unterzogen.

2. Das abwesende Skript

Was ist das Abwesende, das Vorübergegangene nach dem Modell des Spurenlesens im im-

provisierten Theater?

Im Gegenzug zum dramentextbasierten, inszenierten Theater zeichnet sich das improvisierte

Theater dadurch aus, das seinen Narrationen, die aus mal mehr mal weniger festgelegten

Formen hervorgehen, eine schriftlich fixierte, bereits zuvor bekannte Skriptgrundlage fehlt. In

Theatersportspielen ist die Erzählstruktur über die Spielform meist vordefiniert, was bei freie-

ren Langformen nicht oder nur stützend der Fall ist; aber trotz formeller Rahmung, der Inhalt,

die Geschichte bleibt eine unbekannte Variable. Der eigentliche Text und seine Erzählungen

entstehen erst im Laufe des Improvisationsprozesses selbst und können somit als das, was im

eigentlichen Sinne abwesend ist, definiert werden. Nun kann argumentiert werden, dass jede

theatrale Aufführung ihren Text mit ihren eigenen Bedeutungsnuancen immer erst im hic et

nunc hervorbringt, was auch gar nicht in Frage gestellt werden soll. Das improvisierte Theater

treibt jedoch neben dem allgemeinen Aspekt der Textproduktion vor allem die Erzeugung

narrativer Szenen signifikant in den Vordergrund und dieser narrative Fokus wird dabei von

dem Wissen um die Improvisation geradezu provoziert. Spieler und Publikum haben einen

hohen Erwartungsgrad an das Narration erzeugende Moment, da es bestimmend für das Ge-

lingen oder Misslingen der Improvisation ist.115

Wie bereits definiert, liegt es an den An-

schlussreaktionen eine ordnende, erklärende Erzählung zu ergeben, wie polysemisch sie auch

immer sein mag, und dabei liegt das spannende Moment gerade in der Abwesenheit jeder

skriptbasierten Vorarbeit, die eine wie auch immer geartete Ordnung bereits in Aussicht stellt.

Als permanente Verdeutlichung dieser Abwesenheit zeigt sich die allen Beteiligten bewusste

und potentielle Möglichkeit, kontingente und unvorhersehbare Elemente in den Produktions-

prozess zu integrieren. Als ein Beispiel, das die Abwesenheit, nicht nur des Skripts, sondern

jeglicher vorbereitender Arbeit besonders gut demonstriert, kann eine Show des Bremer Im-

provisationstheaterduos die beiden angeführt werden. Bei der ersten Alsomirschmeckts!-

Theater Impronacht wagten sie das Experiment, den Zuschauern die Möglichkeit einzuräu-

115 Ein Aspekt der noch weiter zu vertiefen wäre, wenn man mit Werner Wolf das Narrative als ein kognitives Schema menschlichen Den-kens sieht, wie auch das Spurenlesen und damit Narrationen erzeugen als Grundlage menschlicher Orientierung in der Welt betrachtet wer-

den kann. Vgl. Wolf, Werner: „Das Problem der Narrativität“, S. 32.

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men, jederzeit in das Spiel einzugreifen und ebenfalls als Spieler mitzuwirken.116

Diese radi-

kale Offenheit wurde nur begrenzt durch ein Zeitlimit, das festlegte, dass egal, was passiert,

die Show nach einer Stunde beendet wird. Innerhalb dieser Stunde entstanden verschiedenste

narrative Einheiten, die dann am Ende einen Bühnentext ergaben. Dieses Beispiel verdeutlicht

auch besonders gut, die dauerhafte Anwesenheit von Alternativen zu den gewählten narrati-

ven Erklärungen. Es hätte auch sein können, dass niemand aus dem Publikum Lust und Mut

zum Mitspielen gezeigt hätte, dann wären sicherlich andere Erzählungen entstanden. Es hätte

auch sein können, das ein Chaos ausbricht mit vielen Menschen gleichzeitig auf der Bühne,

was ebenso einen starken Einfluss auf die entstehenden Geschichten gehabt hätte.

Das Skript ist also abwesend und so müssen die Geschichten von den Spielern selbst und vor

allem auch gemeinschaftlich gelegt, gelesen und gebaut werden. Doch um dieses gemein-

schaftliche Bauen weiterhin mit dem Spurenlesen als Denkfigur zu sehen, gilt es noch auf die

mit der Abwesenheitsverweisstruktur einhergehende zeitliche Dimension einzugehen.

Spuren im strengen Sinne gibt es nach Krämer nur, „wenn zwei Bedingungen – der >Zeiten-

bruch< und die >Unmotiviertheit< -erfüllt sind“117

. Der Aspekt der Unmotiviertheit wurde

bereits allgemein unter einem prozessualen Spurverständnis verhandelt und bekommt vor

allem durch die künstlerische Rahmung, in der sich der Untersuchungsgegenstand Improvisa-

tionstheater bewegt, eine nebensächliche Bedeutung. Es gilt das als Spur, was als solche gele-

sen wird, seien es nun unmotivierte Raumgeräusche, Körperbewegungen, Stimmlagen, Ver-

sprecher der Spieler oder bewusst ausgestellte Gegebenheiten.

Die zeitliche Dimension spielt nun aber sowohl für das Spurenlesen als auch für das improvi-

sierte Theater eine besondere Rolle. Spuren entstehen erst nachträglich durch das Lesen, so-

wie auch der Text im Improvisationstheater erst nachträglich aus den einzelnen narrativen

Sequenzen der gelesenen und gedeuteten Spuren entsteht. Die Nachträglichkeit der Spur ist

aber eine andere als sie für das Improvisationstheater gilt. „Jemand ist vorbeigekommen“ ist

nach Ginzburg die kürzest mögliche Erzählung, die durch eine Spur produziert wird, denn,

das was im Spurenlesen versucht wird, zu erzählen, ist eine Rekonstruktion. Eine Rekonstruk-

tion, die aber durch ihre Polysemie immer auch die Neukonstruktion einer Narration bedeutet.

Wenn nun das Skript im Improvisationstheater als das Abwesende gilt, müsste es hypothe-

tisch so gedacht werden, als wäre es „vorbeigekommen“. Das Skript wäre dann bereits ge-

schrieben und würde nur „wiederentdeckt“ werden. Diese Art Nachträglichkeit gilt nun aber

nicht für das improvisierte Theater. Die Zeitstruktur im improvisierten Theater zeichnet sich

durch eine sehr komplexe Gegenwart, in der durch fiktionale Aussagen fiktive Vergangenhei-

116 DVD: aka nichts muss. 117 Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendenz der Spur“, S. 164.

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ten, Gegenwarten und Zukunftsmodelle zugleich konstruiert werden, aus. Ginzburgs Satz

würde sich dann eher verhalten wie „ Jemand kommt eben vorbei.“ oder „Jemand kam jetzt

vorbei.“, da oft eine Gleichzeitigkeit des Legens und Lesens vorherrscht. Was ist nun aber

zeitlich gebrochen oder warum trotzdem das Spurmodell?

Das Spurenlesen soll trotzdem herangezogen werden, weil es die Besonderheit zulässt mit

narrativen Momenten aus einer Abwesenheit heraus zu arbeiten. Alle Zeichen, die beim Spie-

lersubjekt einen narrativen Moment auslösen, weil sie auffallen und dabei stets auf das abwe-

sende Skript verweisen werden wie Spuren gelesen, das ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit.

Für die Analyse gilt hierbei noch zu beachten, dass einzelne Spieler sicherlich viele Dinge

wahrnehmen und in die Narration einfließen lassen, die der Analyst nicht unbedingt entdeckt,

so können im Folgenden nur beispielhaft körperliche, räumliche und atmosphärische Momen-

te herausgepickt werden, an denen diese Strukturen deutlich, auch durch die Videountersu-

chung sichtbar werden. Diese körperlichen, räumlichen, atmosphärischen Gegebenheiten, die

also von den Spielern als Spurenleser aufgegriffen und in die Narrationen der Szenen einge-

arbeitet werden, sind so Spuren einer Erzählung, die zwar abwesend ist, aber niemals zuvor

da war. Was da war oder ist, sind aber eben diese Gegebenheiten.

Diese können nun sekundenalt sein, dann ist eine zeitliche Verschiebung vorhanden wie bei-

spielsweise im „Harold“ von Jennifer’s Elch als in einer ersten Szene zwischen einem Ehe-

paar, der Mann davon spricht, das er gerne den Rücken gestärkt bekommen würde, was in

einer weiteren Szene die Frau dazu veranlasst, tatsächlich als Figur plastisch den Rücken der

Figur ihres Mannes zu stärken. Die sprachliche Aussage des Mannes wird so als Ausgangs-

punkt aufgefasst, der einer narrativen Erklärung in weiteren Szenen bedarf. Der Wunsch wird

als relevant für eine Erzählung angesehen, die dann aber eben nicht nur sprachlich interpre-

tiert, sondern auch körperlich ausgedeutet werden kann, wie dieses Beispiel sehr gut demons-

triert.118

Wird wie beim „Harold“ generell auf Grundlage einer Publikumsvorgabe gearbeitet

(was auch für die meisten Theatersportspiele gilt), die vor Spielbeginn den Spielern zugerufen

wird und auf deren Basis dann einzelne Assoziationsketten erschaffen werden, kann diese als

eine Art Makrospur gelesen werden, die zeitlich abgesetzt vor allem anderen steht und bei der

auch gewährleistet ist, dass sie zumindest in Teilen von allen Spielern wahrgenommen und so

in die folgenden Narrationen aufgenommen wird. Die Szenerien wurden so davon bestimmt,

was als vorangegangen und somit auch als vergangen wahrgenommen wurde, um darauf ei-

nen neuen narrativen Baustein zu legen. Um beim „Harold“ zu bleiben, bietet hierfür direkt

die erste Szene ein gutes Beispiel. Die Spielerin wird in ihrer Bewegung als irgendetwas es-

118 DVD: Jennifer’s Elch, 07:02 - 07:39.

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send definiert, das der anderen Figur nicht schmeckt. Aufgrund des vorangegangenen „ope-

nings“ muss diese Bewegung nicht sofort neu semantisch aufgeladen werden, da die Bewe-

gung selbst als eine narrative Erklärung der Publikumsvorgabe „Brausedrops“ gelesen werden

kann.119

Ohne diese Vorgabe hätte die Bewegung viel schneller Anlass gegeben selbst Aus-

gangspunkt einer narrativen Erklärung zu werden. Was wäre nun aber, wenn diese Bewegung

noch anhält und darauf schon narrativ aufgebaut wird?

Diese Rolle haben zum Beispiel das Licht und die Hintergrundgeräusche in der Schiffszene

im „Harold“, die die Spieler dazu stimulieren, eine unheimliche Szenerie zu entwerfen.120

Das

Skript ist immer noch abwesend, aber der zeitliche Bruch, der ja nur sekundenalt sein müsste,

ist nicht mehr vorhanden. So steht das Spurenlesen hier, vor allem mit Krämers strenger Defi-

nition, auf wackligen Füßen. Es soll aber trotzdem weiter vom Spurenlesen gesprochen wer-

den, da es in aller erster Linie um die Leseleistung und den narrativen Anspruch einer Spur

geht. Die Konstruktionsanforderung einer auf Kausalität beruhenden Erzählung durch die

Spur steht im Zentrum und lässt die Verursacherdimension und damit auch den Zeitenbruch

hintergründig werden. Die Spur ist das Zeichen, das auf eine Abwesenheit verweist und diese

durch narrative Erklärungen in etwas plausibles Anwesendes überführen will, was dann der

Vorgang des Spurlesens ist. Auf diesen Vorgang des Lesens bezieht sich das hier angewandte

Erklärungsmodell. An diesem Moment zeigt sich so zugleich auch, dass der theoretische Zu-

gang vom Gegenstand nicht unangetastet bleibt, sondern in eine Wechselbeziehung eintritt,

die wie im Folgenden erweiternd und verändernd eingreifen kann. Inwiefern eine solche

„Dehnung“ zulässig ist, bietet natürlich Raum für Diskussion.

Bei einer wie eben beschriebenen Gleichzeitigkeit rückt die Spur dann in die Nähe eines In-

dex, eines Anzeichens. Diese sind aber von einer Eindeutigkeit geprägt, die für das Improvi-

sationstheater nicht charakteristisch sein kann. „Für die Indices ist eine solche Polysemie ge-

rade nicht gegeben“121

, so Sybille Krämer und rückt die Spur dann doch wieder in die Nähe

des Index, denn die Spur trägt vor allem im Falle der Jagd und der Kriminologie, das Ver-

sprechen auf eine sich einstellende Gleichzeitigkeit in sich. „Die Spur wird somit gelesen, als

ob sie ein Index sei.“122

Wenn diese „Indexikalisierung der Spur“ möglich ist, dann kann um-

gekehrt doch auch eine „Spurisierung des Index“ möglich sein, indem etwas das zwar gleich-

zeitig stattfindet, doch auf eine Abwesenheit verweist und damit von Polysemie geprägt ist.

Andreas Frings hat sich auch mit der Frage des Index und seinem methodologischen Potentia-

le für die Rekonstruktion von Vergangenheit in den Kulturwissenschaften beschäftigt und

119 Ebd., 01:25 – 03:56. 120 Ebd., 07:46ff. 121 Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendenz der Spur“, S.164. 122 Ebd., S.165.

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folgt einer Verbindung von Spur und Index, die Krämers Trennschärfe nicht einbezieht. Ein

Index ist nach Frings das Zeichen, das auf einen kausalen Zusammenhang verweist und da-

runter fasst er auch historische Quellen, also auch Spuren.123

Die Erklärung dieser Zusam-

menhänge steht dann im Vordergrund. Er betont somit auch, dass es weniger wichtig ist, zu

benennen, um welche Art Zeichen es sich handelt als die daraus resultierende Tätigkeit des

lesenden Subjekts zu erfahren. Die Lesart steht im Vordergrund und diese kann dann einen

ganz eigenen ästhetischen Wert mit sich bringen.124

Ein solcher Wert entsteht im Improvisati-

onstheater dann durch die narrativen Sequenzen einer Show. Das Improvisationstheater stellt

in seiner kunsthaft narrativen Form diesen Prozess des Erklärens von motivierten, chronologi-

schen Kausalzusammenhängen szenisch dar. Hier kann man noch einmal auf das Schiffsbei-

spiel aus dem „Harold“ zurückgreifen. Es wurde eine unheimliche Atmosphäre geschaffen,

die dann auch begründet sein will, um eine plausible in sich kohärente Narration zu erzeugen.

So kommen dann der unheimliche Schiffsjunge und die verirrte Schiffscrew als narrative Er-

klärung dieser Atmosphäre einleuchtend zum Tragen. Es hätte aber stets auch andere plausib-

le Erklärungen geben können, was überleitet zur Subjektabhängigkeit der selbigen.

3. Das Subjekt im Kollektiv

Das Emergenzmodell nach Sawyer und Lösel betrachtet vorwiegend die Makrostrukturen des

improvisierten Theaters und stellt die Entstehung von Szenen als System dar, was bedeutet,

dass sie von kontingent entstehenden Sätzen, Körperlichkeiten, Atmosphären etc. ausgehen,

die dann einen Rahmen und Anschlussmöglichkeiten bieten, der sich wiederum auf die Fort-

setzung der Szenen auswirkt. Dadurch entstehen Muster, die solange gespielt werden bis ein

neues Muster auftaucht, das wiederum seine Strukturen ausschöpft und erneut abgelöst wird.

An dem Punkt der Entstehung dieser Muster, die hier auch als narrative Verbindungen be-

zeichnet werden sollen und der gemeinschaftlichen Fortführung dieser soll nun durch das

Spurenlesen das aktiv agierende künstlerische Subjekt gesetzt werden.

Das Besondere am improvisierten Theater ist die ständig aktualisierte Verbindung, die zwi-

schen seinen fiktionalen Aussagen und der fiktiven Welt besteht. Der Spieler, der Raum, das

Licht, die Musik sind die ganze Zeit in ihrem eigentlichen phänomenalen Sein vorhanden und

können auch jederzeit als diese wahrgenommen werden. Die Spieler als diejenigen, die die

123 Vgl. Frings, Andreas: „Denunzianten der Vergangenheit“, S.17. 124 Vgl. Ebd., S.25.

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fiktionalen Aussagen treffen sind dabei zugleich Rezipienten und Produzenten der fiktiven

Welt und werden darüber hinaus als Figur ein Teil davon.

Für die Erzeugung einer Narration durch die Spieleraktivität ist nun diese Verschränkung für

das Modell des Spurenlesens besonders ergiebig. Die Spieler selbst sind ständig auf der Suche

nach Orientierung für den weiteren Fortgang der Szene. Sie suchen Anhaltspunkte, um weite-

re Beiträge zur Narration liefern zu können. Man kann sie deshalb als überaus motiviert be-

schreiben, Spuren zu lesen und zu interpretieren. Spuren sind, wie Werner Stegmaier heraus-

gearbeitet hat, höchst attraktive Anhaltspunkte, denn neben einer annähernd sicheren Veror-

tung halten sie immer auch weitere Deutungsspielräume offen

und sofern Deutungsspielräume auch Handlungsspielräume sind, hält man sie sich in der Ori-

entierung auch möglichst offen. Das gilt für Spuren nicht nur, bevor sie nicht kohärent, kon-

sequent und konsistent gedeutet sind, sondern auch danach: sofern sich immer noch neue

Spuren, neue Indizien für eine vielleicht dann andere Logik herausstellen können.125

Diese Offenheit und zugleich aber auch Nicht-Beliebigkeit bilden die fruchtbare Grundlage

auf der das Spielersubjekt im Improvisationstheater agieren kann. Der Spieler ist also immer

mit seinem individual-historischen und kultur-historischem Archiv vorhanden und deutet sei-

ne Umgebung, um daraus narrativ etwas gestalten zu können. Welche Assoziationen ein Spur-

reiz genau in ihm weckt, würde nun wieder in ein psychologisches oder kognitionstheoreti-

sches Feld gehören. Wichtig für die Erzeugung einer Narration ist, dass der Spieler als Sub-

jekt nur das verarbeiten kann, was er gerade wahrnimmt und das Wahrgenommene muss ihm

wichtig genug erscheinen, um interpretiert und in einen narrativen Zusammenhang gesetzt zu

werden. Diese Auswahl und Selektion kann dabei bewusst oder unbewusst geschehen. Ist es

einmal ausgewählt, wird es so verarbeitet, dass der Spieler in seiner Figur einen Beitrag für

die fiktive Welt leistet. Dieser Vorgang wird rein praktisch beim Betrachten einer improvi-

sierten Theatershow nicht immer verfolgbar sein, da oft die Reaktionen und der Lese- und

Interpretationsvorgang sehr schnell gehen und teilweise auch Automatismen abgerufen wer-

den, die sich alltäglicher Handlungen bedienen. In der Theorie betont Helmut Pape neben den

konstitutiven Eigenschaften dieses Wahrnehmens, Auffindens und Erinnerns so auch den

stark reaktiven Aspekt, der in erster Linie auch ohne bewusste oder argumentative Anstren-

gung erfolgen kann. Ist die Aufmerksamkeit dann aber gelenkt, setzt der motivierte Prozess

der Bedeutungsgenerierung ein, der aus Verknüpfungen und Verbindungen resultiert. „Das

125 Stegmaier, Werner: „Anhaltspunkte. Spuren zur Orientierung“, S.87.

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Aufspüren eines veränderlichen Fragments der Welt in seiner Verbindung zu einem anderen

Teil dieser Welt ist das Entstehen eines Zeichens als Spur.“126

Dieser Vorgang kann aber auch besonders deutlich gesehen werden und zwar immer dann,

wenn in der Figur auch der suchende, interpretierende und überlegende Spieler sichtbar wird.

Dies ist zum Beispiel der Fall als in der Show aka nichts muss ein Spieler sich auf einen Stuhl

setzt und zunächst nach einer bestimmten Haltung für seine Figur sucht, der Blick dann an

seinem Fuß hängen bleibt, der sich ein bisschen im Kreis bewegt. Diese Bewegung dient so

dann als Anhalts- und Ausgangspunkt, den er verstärken und so deutlich herausstellen kann,

dass auch der zweite Spieler ihn registrieren muss. Dieser wiederum nimmt eine vorangegan-

gene Sprachspur, die er wiederholt, als ersten Anhaltspunkt. Beide zusammen ergeben wieder

einen neuen Anhaltspunkt für den ersten Spieler und so bildet sich dann nach und nach aus

einem Netz von Verbindungen eine narrative Sequenz.127

Dabei zeigt sich auch, dass die nar-

rative Erklärung für das Fußzucken zu Beginn noch völlig offen scheint, nur dass für diese

Auffälligkeit eine Erklärung gefunden werden muss, ist klar. Mit dem Satz „Ich sehe, es hat

gewirkt“ wird so dann geklärt, dass dieser Zustand durch etwas hervorgerufen wurde und

auch etwas hervorgerufen hat, was vorher nicht da war und ebenfalls Erklärungsbedarf ein-

fordert, um noch einmal an Hards Formel zu erinnern. Ab da bewegen sich die beiden Spieler

dann gemeinsam in einem Zusammenhang, der für diese fiktive Welt plausibel geklärt werden

muss. Auf dieser Ebene kann dann auch die Makroebene, mit der emergenztheoretisch be-

schrieben wird, erkannt werden. Man könnte die Aussage „es hat gewirkt“ als Rahmen ver-

stehen, der dann einen Einfluss auf diese narrative Erklärung hat, doch ist dieser Rahmen auf

das Zurückzuführen, was die Spielerindividuen als Spuren wahrgenommen und gelesen ha-

ben.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass die gelesenen Spuren sich nicht nur auf einen anderen Spieler

oder sonstige andere Komponenten des performativen Raums beziehen müssen, sondern auch

der eigene Körper, die eigene Haltung oder Stimme als Anhaltspunkt genommen werden

können. Kleine Bewegungen oder auch Versprecher sind dabei oft kontingente Phänomene,

auf die sich dann gezielt bezogen wird.

Ein Beispiel für das Zusammenwirken von musikalischer und atmosphärischer Untermalung

und der spielereigenen Körperlichkeit als Anhaltspunkt der Narration wäre der Anfang von

aka nichts muss, wo auch von außen beobachtbar ist, wie der Rhythmus der Musik und das

bläuliche Licht sich auf die Körperhaltung, Stimmung und daraus wiederum auf den gespro-

chenen Szenenanteil übertragen. Die Szene ist von einer Schwere geprägt, die sich vor allem

126 Pape, Helmut: „Fußabdrücke und Eigennamen: Peirces Theorie des relationalen Kerns der Bedeutung indexikalischer Zeichen“, S.48. 127 DVD: aka nichts muss, 10:20ff.

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in der gebeugten Figur darstellt. Die Narration liegt fast auf diesem Rücken, für den es eine

Erklärung zu suchen gilt. Die Szene streicht dann auch heraus, was das für ein Leben ist, das

diese beiden Figuren in der kanadischen Provinz führen.128

Die Sequenzen, die aus diesen Verbindungen oder bildlich-modellhaft gesprochen diesen

Spurennetzen entstehen, entsprechen dann im Idealfall einer konsistenten, kohärenten und

konsequenten narrativen Erklärung einer möglichen fiktiven Welt. Das sind Deutungen, die

aber durch eine neue gelesene Spur stets wieder veränderbar sind und dies zeigt auch, warum

trotz starker subjektiver Interpretationsabhängigkeit gemeinschaftlich eine Narration geschaf-

fen werden kann. Die Spur und ihr narratives Potential sind durch ihre polysemische Grund-

lage immer einer Offenheit verpflichtet, die sie zu einem besonders flexiblen Zeichen macht.

So kann dadurch auch gewährleistet werden, dass neue, scheinbar unpassende Elemente,

Spielerbeiträge oder sich überlagernde Erzählstränge in einer Narration zusammenfinden

können. Diese Vielfalt an Narrationssträngen, die sich dann manchmal überlagern, demons-

triert eine weitere Szene aus aka nichts muss, in der eine Figur, die ihr Baby im Arm einer

anderen Figur abgelegt hat, bereits die Bühne verlassen hatte, wo eine neue Szene beginnt.

Die Figur mit dem Baby im Arm verharrt in der gleichen Körperlichkeit, wird aber nun be-

reits ganz anders bespielt. Die Figur, die ihr das Baby hineingelegt hat, kann diese Körper-

lichkeit noch nicht mit der neuen Szene verbinden und fühlt sich veranlasst, ihr Baby noch

abzuholen, um die Kohärenz und Plausibilität der vorangegangenen Narration wieder herzu-

stellen, was dann wiederum in die neue narrative Sequenz eingegliedert werden muss, da die-

ser Vorgang eine deutlich wahrnehmbare Auffälligkeit darstellt.129

Dieses Beispiel veran-

schaulicht das Bedürfnis nach in sich logischen, Ordnungen, die durch die Gemeinschaft ge-

schaffen, getragen, aber auch stets aufs Neue herausgefordert werden.

So achtet zwar im Idealfall der eine Spieler auf die Beiträge des anderen und versucht mit

seinen eigenen Beiträgen, Konsistenz zu wahren und auch zu schaffen, wie es sich bereits in

der beschriebenen Szene mit dem zuckenden Fuß gezeigt hat, es kann aber auch eine Gleich-

zeitigkeit subjektiver Auslegung bestehen, die erst spät einen gemeinsamen Nenner findet.

Ein Beispiel bietet eine weitere Szene aus aka nichts muss, in der zwei Figuren, die sich im

Gefängnis befinden über einen Hintereingang sprechen und beide diesen Begriff mit ver-

schiedenen Bedeutungen aufladen.130

Die Lacher des Publikums zeigen dabei auch ganz deut-

lich, dass sie die Polysemie erkennen und streichen einen Moment der Unklarheit, aber auch

einen Moment der Möglichkeiten innerhalb der fiktiven Welt heraus. Bei beiden Figuren

128 DVD: aka nichts muss, 04:00. 129 Ebd., 31:35ff. 130 DVD:aka nichts muss: 24:00ff.

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blitzt auch klar der Spieler im Moment des Erkennens der unterschiedlichen narrativen Aus-

deutung dieses Begriffs auf und dieses Moment, wird so auch zu einem Moment der Kommu-

nikation über den weiteren Verlauf der Narration. Der erste Spieler ergreift sodann die Initia-

tive und lässt seine Interpretation dominieren, doch die zweite Bedeutung und die damit ver-

bundenen Alternativen stehen deutlich im Raum. An diesem Punkt zeigt sich aber auch ein

potentielles Scheitern dieser gemeinsamen Narration, da der zweite Spieler zwar nicht so do-

minant, aber dennoch entschieden bei seiner Narration verharrt, worauf er mit der Aussage

über die tiefe Stimme anspielt. So entstehen kurzzeitig zwei parallele Erzählstränge, die dann

aber wieder mit einem gemeinsamen Bezug auf bereits vorher etabliertes verbunden werden,

wäre dies nicht geschehen, hätte die narrative Erklärung nicht gegriffen und wäre unbefriedi-

gend geblieben.

Die Gemeinschaft, oder um Del Closes Begriff zu verwenden, „group mind“ entsteht also

durch die potentielle Offenheit und gleichzeitige Nicht-Beliebigkeit des Spurenlesens, das

einen narrativen Erklärungszwang auferlegt, der durch höchst motivierte, Orientierung su-

chende Individuen zu befriedigen gesucht wird. Meist entstehen dabei mehrere narrative Ein-

heiten, die über verschiedene wiederhervorgeholte Spuren miteinander verbunden werden und

so das narrative Netz noch über den gesamten Bühnentext des Abends verdichten. Diese kön-

nen dann als Leitmotiv, Muster oder Patterns bezeichnet werden, wie beispielsweise das Mus-

ter der „neuen Mama“131

, welches im Verlauf der Show mehrmals auftritt, jeweils in andere

Kontexte eingebunden und doch Verbindungen schaffend. So können die jeweiligen Unterse-

quenzen, dann immer als narrative Erklärungen dafür verstanden werden, was dieser Umstand

eine „neue Mama“ zu haben oder nicht zu haben bedeutet.

Besonders diese großen Strukturen, die dann auffällig wieder in die kleinen Erzählsequenzen

zurückfallen bieten die Grundlage für emergenztheoretische Erklärungsmodelle und für Del

Closes „the harold emerges“. Das diese Verbindungen besonders im „Harold“ funktionieren

können, lässt sich mit dem Spurenlesen und dem Wunsch, diese Spuren in logisch immer

wieder neu funktionierende erzählerische Zusammenhänge zu setzen, ebenfalls plausibel er-

klären. Da der „Harold“ auf einer Vorgabe und einem dazugehörigen „opening“ beruht, das

noch nicht wirklich narrativ, sondern rein assoziativ potentielle Themengebiete ausschöpft,

wird den Spielern ein gemeinschaftliches Archiv neben ihrem kultur-historischen und indivi-

dual-historischen Archiv direkt vor Spielbeginn zur Seite gestellt. Ein Archiv, das sich in ei-

ner Show wie aka nichts muss erst bilden muss, dafür aber genauso tragkräftig sein kann, wie

oben analysiert. Dieses Archiv des „Harold“ bedeutet nicht, dass die Polysemie der gelesenen

131 Ebd., 21:20, 22:16, 51:44.

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Spuren damit verschwindet. Es bedeutet nur, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Erzähl-

stränge vor dem Hintergrund der Vorgabe und des „openings“ bereits einen Kontext haben,

der ihnen schneller kohärentere, konsistentere und konsequentere Deutungen erlaubt. Neben

den Vorgaben des „Harold“ wird jedoch auch jede Szene an sich bereits durch ihr eigenes

Fortschreiten klarer und weniger polysemisch, da meist auf eine bereits einmal definierte

Sachlage aufgebaut wird. Doch kann eben gerade, wenn diese Art von Narrationserzeugung

als Spurenlese verstanden wird, die potentielle immer nur im Nachhinein mögliche Veränder-

barkeit und Anpassung der Szenen durch die einzelnen Subjekte erklärt werden. Dass Muster

und Patterns immer wieder aufgegriffen werden, kann dann auch als gemeinsamer Anhalts-

punkt verstanden werden, der den Spielern hilft gemeinsam eine fiktive Welt zu schaffen,

denn das ist ihre Motivation. Wenn im Nachhinein oft der Eindruck entsteht, das man nicht

mehr genau aufzählen kann, was von wem kommt, ist dies der Motivation geschuldet, die

jeden einzelnen subjektiven Beitrag wiederum als Grundlage für den gemeinsamen Beitrag,

das gemeinsame Spurenlesen, sieht.

So lässt sich sagen, dass sowohl im „Harold“, dem eine vorgegebene Struktur zugrunde liegt,

also auch in einer so radikal wie möglich freien Show wie aka nichts muss der entscheidende,

auswählende und bedeutungserzeugende Moment beim Subjekt liegt. Zu Beginn dieser Sze-

nen ist natürlich die Freiheit der Deutung am größten, während alles, was folgt auf den bereits

angefangenen narrativen Strengen weitergesponnen wird, woraus dann der zusammenfassen-

de Text einer Show entsteht.

Der Text, der am Ende entstanden ist und der sich durch einzelne narrative Sequenzen durch

den Deutungsanspruch der Spur zusammensetzt, stellt so eine weitere Frage neu, die ebenfalls

in einem emergenztheoretischen Zugriff kein Interesse findet, nämlich die nach der Autor-

schaft dieses künstlerischen Produkts. Wie bereits für den künstlerischen Rahmen aufgezeigt,

ist das Improvisationstheater ein Spurenprozess, für den das Versprechen angelegt ist, das am

Ende die Spuren auf eindeutige narrative Erklärungen festgelegt werden können. Doch diese

Eindeutigkeit muss, wie gezeigt, verneint werden, was mit der Frage der Autorschaft zusam-

menhängt. Es ist in dem theoretisierten Feld nie nur ein Spieler, der diese Erklärungen abgibt.

Die Spieler als Spurenleser sind zwar in ihrer Subjektivität die entscheidenden und auswäh-

lenden Erzähler, doch wird ihre Erzählung, die sie sich für den einen Moment gebaut haben,

bereits im nächsten durch die Erzählung des nächsten Spielers verändert, auf der der nächste

oder der erste Spieler dann bereits wieder aufbaut und so gemeinschaftlich am Narrations-

strang gearbeitet wird. Wie bereits gezeigt wurde, können dabei immer Alternativen mit-

schwingen oder Parallelstränge entstehen. Die Frage der Autorschaft ist also, wie die der nar-

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rativen Erklärung nicht eindeutig zu beantworten und wohl noch am ehesten im Kollektiv zu

verorten, sie bietet aber auf jeden Fall weitere spannende Ansätze. Es kommt schließlich noch

dazu, dass der Zuschauer, der manchmal Vorgaben geben kann und so einerseits tatsächlich

aktiv eingreift, andererseits auf jeden Fall aktiv rezipiert und vielleicht wieder andere Alterna-

tiven sieht, die am Ende einen neuen, vielleicht auch nur leicht anderen Erzählstrang ergeben.

Insgesamt entscheidend ist jedoch, dass gezeigt wurde, dass das emergenztheoretische Modell

mit den Makrostrukturen von Mustern und Patterns und deren Rückwirkungen arbeiten kann,

aber wie wichtig, die Funktion des deutenden Spielers ist, hat sich erst über das Modell das

Spurenlesens verdeutlicht.

V Fazit und weiterführende Fragen

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass das Spurenlesen mit der Betonung auf der in-

terpretativen und narrativen Tätigkeit des Lesens zeigt, wie die Entstehung der narrativen Se-

quenzen im westlichen, zeitgenössischen Improvisationstheater von einem Subjekt ausgehend

gedacht werden kann. Das künstlerisch aktiv entscheidende Individuum ist der Ausgangs-

punkt der Narration, da es Spuren als Anhaltspunkte wahrnimmt, auswählt und versucht sie

konsistent, konsequent und kohärent in einer neuen dramatischen Logik zu verarbeiten. Dabei

entsteht das kollektive Erzählen durch die polysemische Flexibilität und ständig veränderbare

Nachträglichkeit dieses Spurenlesens, bei dem so stets jede neue Deutung körperlicher, atmo-

sphärischer oder sprachlicher Art der anderen Spieler mitverarbeitet wird. Es liegt im An-

spruch der Spur, dass sie, wenn sie einmal wahrgenommen wurde, auch gelesen und erklärt

werden muss. Diese Anforderung spielt im künstlerischen Produktionsprozess wie er für das

improvisierte Theater der Gegenwart als Rahmung gilt vor allem für die motivierten, nach

narrativer Orientierung suchenden Spieler als Spurenleser eine wichtige Rolle. Der Spieler

sucht nach Auffälligkeiten, die er interpretierend verarbeiten kann, dabei können diese Auffäl-

ligkeiten seitens anderer Akteure wie Zuschauer, Musiker, Spieler oder Lichtregisseure ge-

wollter Natur oder aber kontingenter Art und völlig unbewusst und unmotiviert sein. Es ist

immer der Spieler, dem die Definitionsmacht solange obliegt, bis ein weiterer Spieler als Spu-

renleser aktiv wird, die Spuren selbst stehen dabei in einem eindimensionalen Kommunikati-

onskontext. Dies gilt vor allem für die aktiv gewollte Produktionsleistung einer Narration.

Daneben greifen immer die bedeutungsgenerierenden Phänomene, die Erika Fischer-Lichte

mit ihrer autopoietischen Feedbackschleife beschreibt und die Anteil an der Textproduktion

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einer Aufführung haben, aber nicht unbedingt bewusst seitens der Spieler in die narrative

Produktion einbezogen werden. Dazu zählen die positiven oder negativen Stimmungen, die

sich zwischen Spielern und Spielern und Publikum und Publikum und Spielern und Publikum

aufbauen und die sich dann auf die Aufführungsbeschaffenheit im Gesamten auswirken kön-

nen. Diese Stimmungen können auch aktiv von den spielenden Spurenlesern wahrgenommen

und verarbeitet werden, es kann aber eben auch sein, dass sie eher den Grundlagenteppich

bilden, auf denen dann die improvisierten, narrativen Szenen stattfinden.

Die Fragen, wie das Subjekt dann in einem als emergent verstandenden Prozess gedacht wer-

den kann und ob die Denkfigur der Spur das systemtheoretische Modell der Emergenz ergän-

zen oder gar ablösen kann oder sollte, lassen sich sodann zweigleisig beantworten, da auch

der Emergenzbegriff nicht einheitlich verwendet wird. Geht man von Fischer-Lichtes eher

schwachem Emergenzbegriff aus, der hauptsächlich das unmotivierte und damit unvorherseh-

bare Moment in der Bedeutungsgenerierung stützt, dann kann das Spurenlesen im Kontext

des improvisierten Theaters als ergänzend verstanden werden. Das Spurenlesen erlaubt, als

fein detailliertes Erklärungsmodell gedacht, zu beschreiben wie Kontingenz durch das wahr-

nehmende Subjekt in narrative Zusammenhänge übertragen wird. Das ständig entscheidende

Subjekt wählt aus, was aus den vielen angebotenen Reizen verarbeitet wird und dabei können

sowohl unmotivierte als auch motivierte Aktionen einfließen. Für den Betrachter wird es im-

mer unvorhersehbar bleiben, da aufgrund der Individualität jedes interpretierenden Subjekts

und des Zusammenspiels der Subjekte vielleicht Prognosen jedoch keine eindeutigen Vorher-

sagen möglich sind.

Geht man von einem starken Emergenzbegriff aus, den vor allem Lösel seinen Überlegungen

zugrunde legt, der von den Eigenschaften der Irreduzibilität, der Unvorhersehbarkeit und dem

Neuen geprägt ist und den er bei Sawyer entlehnt, dann greift das Erklärungsmodell des Spu-

renlesens vor allem den Punkt der Irreduzibilität an. Das Emergenzmodell wie Sawyer und,

noch verstärkt, Lösel es darlegt, kann vor allem auf einer Makroebene gut zeigen, wie einmal

bereits entstandene Muster und Patterns Rückwirkungen als Rahmung auf den weiteren Sze-

nenverlauf haben, es kann aber auf einer Mikroebene nicht gut erklären, wie diese dann tat-

sächlich entstehen können, da das entscheidende und aktive künstlerische Subjekt nur als rela-

tiver Faktor auf der Mikroebene gewertet wird. Das Spurenlesen mit seinem narrativen Mo-

ment setzt nun aber genau an diesem Punkt an und hat auch den Vorteil, das aus disziplinärer

Perspektive das Improvisationstheater naheliegend als ein aktiver Modus der Textproduktion

gedacht wird und keiner systemtheoretischen Rückkopplung, die auf einer eher fachfremden

Disziplin beruht, bedarf. Es soll nun nicht angezweifelt werden, dass transdisziplinäres Arbei-

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ten generell nicht sehr ergiebig sein kann. Es hat schließlich auch wichtige Erkenntnisse ge-

bracht, die einen Diskussionsgrundstein offen legen. Man kann aber noch einmal Wolfgang

Raible zitieren, der davon ausgeht, dass alles Lebendige zusammen mehr als die Summe sei-

ner Teile ist, eine Paar oder eine Familie mehr als die einzelnen Menschen und es daher im-

mer einen systemischen Mehrwert gibt, der jedoch nicht immer gleich als emergent zu be-

zeichnen ist, vor allem nicht, wenn diese einzelnen Mitglieder auch noch künstlerisch agie-

ren.132

Damit soll jedoch auch nicht behauptet werden, dass das Beschreibungsmodell des Spurenle-

sens für das narrative Moment im improvisierten Theater der Gegenwart der Weisheit letzter

Schluss ist. Sicher gibt es hier noch viele Ansatzpunkte, die weitere Fragen aufwerfen. Das

Spurenlesen wurde hier gerade für das, was eben auch gemeinschaftlich an Narration entste-

hen kann herangezogen. Eine spannende Frage bleibt, wie es sich verhält, wenn ein einzelner

Spieler improvisiert. Er könnte wohl auch Spurenlesen, aber wo bedient er sich derer? Sein

eigener Körper im performativen Raum mit dem Publikum bliebe weiterhin bestehen, doch

als ein großer Fundus wurden bisher stets die Mitspieler betrachtet und die fielen dann weg.

Auch das systemtheoretische Erklärungsmodell wäre hiermit vor neue Herausforderungen

gestellt, denn es bleibt fraglich, ob die Aktionen eines einzelnen Spielers als System beschrie-

ben werden können.

Zur Frage, wie die fiktive Welt im improvisierten Theater entsteht, wurden durch das Spuren-

lesen bereits einige Anhaltspunkte gegeben, da davon ausgegangen wurde, das der Spieler als

Spurenleser permanent präsent ist und alles, was für ihn dienlich ist, auswählt und durch fikti-

onale Aussagen in die fiktive Welt einfüttert. Spannend und noch ausführlicher in weiteren

Arbeiten zu diskutieren bleiben dabei weiterhin aus kognitionstheoretischer und auch neuro-

wissenschaftlicher Sicht, welche Vorgänge dabei genau im Gehirn die Produktion der Narra-

tion auslösen. Aus semiotischer könnte Sicht könnte es reizvoll sein, die Textproduktion und

die Fragen der Autorschaft weiter zu erforschen. Im Zusammenhang mit der Textproduktion

und der Textfrage steht auch eng verknüpft eine potentielle Werkfrage. Was Werk vor dem

Hintergrund des improvisierten Theater alles bedeuten kann, ist noch ausführlich zu diskutie-

ren. Im Hinblick auf diesen Aspekt ließe sich beispielsweise die Frage stellen, ob das impro-

visierte Theater der Gegenwart mit Umberto Ecos Begriff des offenen Kunstwerks133

zu grei-

fen ist oder ob es vielleicht sogar das offene Kunstwerk, wie Eco es für die moderne Kunst an

sich beschreibt, schlechthin repräsentieren könnte.

132 Vgl. Wolfgang, Raible: „Adaptation aus kultur- und lebenswissenschaftlicher Perspektive“, S.24. 133 Vgl. Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Einleitung.

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Darüber hinaus ist, wie bereits gezeigt wurde, das heutige Improvisationstheater ein noch sehr

unerforschter Gegenstand. So können neben rein semiotisch-ästhetischen Fragen auch sozio-

kulturelle Fragestellungen von Interesse sein. Wie kann das Improvisationstheater beispiels-

weise vor transnationalen oder transkulturellen Paradigmen verhandelt werden? Es handelt

sich hier um eine Kunstform, die sowohl von Amateuren als auch Profis ihren Austausch und

ihre Weiterentwicklung über das Internet, über Podcasts und Foren vorantreibt. Welche kultu-

rellen Einflüsse neben dem bekannten US-amerikanischen, kanadischen und europäischen

Engagement lassen sich hier festmachen? Inwiefern wird das Wissen aus Kulturen, die tradi-

tionell von jeher eher der Oralität und dem Theater ohne Skript verbunden waren, einbezogen,

genutzt oder „wiederentdeckt“? Diese Frage stellt sich unter anderem beim Betrachten von

Keith Johnstones Impro for Storytellers in der 1999er Ausgabe von Faber&Faber. Das Cover

zeigt eine Gruppe Kariben, die um einen Geschichtenerzähler versammelt ist, während das

Buch selbst keinen weiteren Bezug darauf nimmt. Neben diesem produktiven ist vor allem

auch der rezeptive Aspekt noch weitgehend unerforscht. Wer geht eigentlich ins Improvisati-

onstheater und warum? Welche Erwartungen werden damit verknüpft und was ist es, was

dieser Kunstform in den letzten Jahren einen solchen Auftrieb verleiht, das sie auch finanziell

auf einem eigenständigen Markt einen wichtigen Einfluss ausübt?

Neben dem noch sehr offenen Forschungsgebiet des improvisierten Theaters wurde aber auch

noch die Frage gestellt, welche Rückwirkungen die Anwendung der Denkfigur „SpurenLe-

sen“ auf diese selbst hat. Wie bereits in der Analyse geschehen, haben sich Gegenstand und

Theorie wechselseitig vielfach durchdrungen. Von einem engen Spurbegriff im Sinne Krä-

mers wurde sich durch den Fokus auf den Vorgang des Spurenlesens nach und nach entfernt.

Dadurch wurde die Spur teilweiser ihrer Spezifizität beraubt, die sie an historische Narratio-

nen und reine Rekonstruktionen bindet, was für viele Denkbewegungen ihre eigentliche Be-

sonderheit ausmacht. Es stellt sich so die Frage einer wissenschaftlichen Strenge. Darf man

die Spur und das Lesen von Spuren soweit dehnen, dass nur noch Teilaspekte beachtet wer-

den oder beschneidet man damit die Spur in ihrem eigenen Sein? Wie eklektisch darf vorge-

gangen werden, um die Möglichkeit zu haben, sich neuen und komplexen Gegenständen zu

nähern? Der Fokus auf einen prozessual gedachten Spurbegriff, der es erlaubt sich rein auf

den Vorgang des Lesens in seinen eigenen Besonderheiten für das narrative Moment zu be-

ziehen, könnte so schließlich für neue Gegenstandsbereiche fruchtbar gemacht werden. Das

narrative Moment des SpurenLesens noch vor anderen Hintergründen weiter zu erforschen,

bietet so ein weites Feld von Fragestellungen. Gerade wenn bedacht wird, das eine der Grund-

fragen im Umgang mit dem Spurkonzept für Literatur-, Theater- oder Filmwissenschaftler ist,

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wie dieses operationell nutzbar gemacht werden kann. Sybille Krämer stellt die Frage, ob es

nicht sein kann,

dass das Spurenlesen nicht nur archaischer Restbestand eines >wilden Wissens<, Kinderstube

der Metaphysik, textloses Stadium einer Hermeneutik und instinkthafte Frühform symboli-

scher Grammatiken ist, sondern sich in allen entfalteten Zeichen-, Erkenntnis- und Interpreta-

tionspraktiken aufspüren lässt.134

Der Historiker D’Haenens schlägt mit „pas de trace, pas d’histoire“135

in dieselbe Kerbe und

auch Carlo Ginzburg stellt die Hypothese auf, dass alle Narration mit Spuren ihren Anfang

nahm. Auch vor dem Hintergrund postkolonialer Fragestellungen wird mit dem Literaten und

Philosophen Edouard Glissant136

die Spur bereits produktiv neben philosophischen auch in

narrativen Zusammenhängen gedacht. Die Spur und das Spurenlesen scheinen sich also gera-

dezu anzubieten von Fachrichtungen, die sich mit der Erzeugung von Narrationen beschäfti-

gen auch transdisziplinär weitererforscht und operationalisiert zu werden. Diese Arbeit wollte

neben anregenden Überlegungen zum Gegenstand des improvisierten Theaters einen kleinen

Beitrag zu diesem Schritt in dem ihr möglichen Rahmen leisten.

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Erklärung nach § 6 Absatz 4 bzw. § 22 Absatz 9 des Allgemeinen Teils der Master-

Prüfungsordnung der Universität Bremen

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine ande-

ren als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die ich wört-

lich oder sinngemäß aus anderen Werken entnommen habe, habe ich unter Angabe der Quel-

len als solche kenntlich gemacht.

Bremen, ___________________

___________________________

Unterschrift