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ssort: tb-os Erscheinungstag: 21. 9. 2016 MPS-Planfarben: cmyk 18 Ostschweiz Mittwoch, 21. September 2016 «Städter leisten sich Kuh-Leasing» Sennentum Die Alpwirtschaft ist alles, nur keine Erfindung der Neuzeit. Historiker Stefan Sonderegger über Alpkäse, mittelalterliche Ursprünge und ein Auslaufmodell mit Innovationspotenzial. Interview: Christoph Zweili Der Leiter des Stadtarchivs der Ortsbürgergemeinde St. Gallen, Stefan Sonderegger, präsidiert die Stiftung für Appenzellische Volkskunde. Der Historiker hat die Alpwirtschaft (Ausgabe vom 16. September) im Appenzeller- land, Toggenburg, Werdenberg und Sarganserland untersucht. Was fasziniert den Historiker an der Alpwirtschaft? Wer sich mit dem Mittelalter aus- einandersetzt, der sieht, dass die Alpwirtschaft bereits bei den ers- ten Anfängen der Besiedlung der voralpinen Regionen wie dem Toggenburg und dem Appenzel- lerland ganz früh vorkommt. Ein typisches Beispiel ist die Erstnen- nung von Appenzell (abbatis cel- la) im Jahr 1071. Schon damals wurden die Meglisalp (Megelins alpa), die Alp Soll (alpe Solin) und andere erwähnt. Alpwirtschaft ist also keine neuzeitliche Erfindung? Nein, die Alpen haben früher als Lehen einer Grundherrschaft ge- hört, also einem Kloster oder ei- nem Adeligen. So wie diese einen Hof im Tal gegen Abgaben verlie- hen haben, haben sie auch Alpen an Sennen verliehen. Alpwirt- schaft war also schon immer hoch kommerziell. Die Einnahmen aus den Alpen wurden für das Kloster St. Gallen verwendet. Auch in einem der ältesten Zins- register von 1200 werden die Re- gionen mit Alpwirtschaft, das Toggenburg und das Appenzel- lerland, explizit als erste genannt. Sie mussten den Zins in Form von Geld ans Kloster abliefern? Nein. Die Bauern, die die Alpen in diesen voralpinen Regionen be- wirtschafteten, zahlten casios al- pinos, also Alpkäse. Viehwirtschaft war also schon immer wichtig. Es gab rasch eine Spezialisierung: In den voralpinen Regionen auf Viehwirtschaft, im Fürstenland auf Getreidebau, im Rheintal auf Weinbau. Das war nur möglich, weil es über die Märkte in Lich- tensteig, Appenzell und vor allem in St.Gallen einen Handel gab. Dieser war von Beginn weg Teil einer kommerziellen, nachfrage- orientierten Alpwirtschaft. Das ist bis heute so? Natürlich hat da ein Wandel statt- gefunden. Heute ist vielleicht ein Senn angestellt, der nicht mehr käst. Er betreut das Vieh auf der Alp und fährt die Produkte mit dem Auto ins Tal oder lässt sie ho- len. Das war früher gar nicht mög- lich, weil die Strassen fehlten. Man hat alles auf der Alp zu Käse oder Butter verarbeiten müssen. Warum weiss man so viel über die Geschichte der Alpen? Eine Quelle, die man nicht ver- muten würde, sind alte Bauern- malereien: Darauf sind zwischen den Sennen sogenannte Gremp- ler zu sehen. Das waren Käse- und Butterhändler, von denen es in Stein (AR) sehr viele gab. Diese Zwischenhändler haben einen Vertrag mit den Sennen auf den Alpen abgeschlossen, ihnen But- ter und Käse abgenommen und runter in ihre Keller geführt. Dort haben sie die Produkte weiter ge- pflegt und sie in St.Gallen oder über den See verkauft. Die Sennen selber kamen also gar nicht mehr ins Tal? Sie haben fast nomadisch gelebt, hatten praktisch kein eigenes Zu- hause mehr, also kein Haus im Tal. Das weiss man aus dem Ap- penzellerland. Sie haben sich bei den Heubauern eingemietet. Die Appenzeller Heubauern hatten grosse Ställe, arbeiteten immer mehr in die Weberei und mach- ten gar nicht mehr so viel Land- wirtschaft. Die Sennen nutzten die Nische, gingen mit ihrem Vieh zu diesen Bauern. War das Heu im Stall gefressen, zogen sie zum nächsten Heubauern weiter. Warum hat gerade das Tog- genburg diese Bedeutung für die Alpwirtschaft? Das hat mit der Tradition zu tun. Die ältesten Alprödel, die die Kuhrechte während der Alpzeit geregelt haben, sind aus dem 16. Jahrhundert von der Alp Se- lun. Auch die ältesten Alpsatzun- gen sind aus dem Gebiet der Churfirsten. Noch im 18. Jahrhundert waren mehr als zwei Drittel der Bevölkerung im Kanton St. Gallen in der Landwirt- schaft tätig. Wie erklären Sie den folgenden Struktur- wandel? Wir gehen davon aus, dass bis ins Jahr 1750 der grössere Teil der Bevölkerung in der Landwirt- schaft tätig war. Mit der Heimwe- berei wurden dann aber auch Arbeitskräfte auf dem Land ein- gespannt – im Toggenburg und im reformierten Ausserrhoden. Das löste eine Bewegung weg von der Landwirtschaft hin zur Heimweberei aus. Ein Prozess, der lange dauerte. Dazu kam dann das Bevölkerungswachs- tum im 19. Jahrhundert und die damit einhergehende Verstädte- rung. Und was hiess das für die Landwirtschaft? Die hat sich extrem entwickelt. Bis im 15. Jahrhundert wurden für ein gesätes Korn drei bis vier Kör- ner geerntet, heute sind wir bei ei- nem Faktor von eins zu 40 bis eins zu 50 angelangt. Im 19.Jahrhun- dert wurden die Stallhaltung und der Kunstdünger eingeführt beides gab es bis dahin nicht. Plötzlich wurden mit der gleichen Bodenfläche viel höhere Erträge gewonnen. Bei der Viehwirt- schaft kamen die Talkäsereien dazu, auch in unserer Region. Die gewachsene Alpwirtschaft mit ihrer traditionellen Käse- und Butterherstellung verlor hinge- gen an Boden. Heute versucht der Bund mit neuen Förderinstrumenten, das Verhältnis zu Gunsten der Bergbauern zu korrigieren. Das macht Sinn. Werden die Al- pen nicht mehr bewirtschaftet, verganden sie. Das war schon frü- her so. Eine gefährliche Entwick- lung, zum Beispiel wegen Lawi- nenniedergängen. Trotzdem geht die Zahl der gesömmerten Milchkühe zu- rück. Ist die Alpwirtschaft ein Auslaufmodell? Ohne staatliche Förderung ist sie das, ja. In der historischen Betrachtung gab es immer eine Verbindung zwischen Alp- und Talbetrieb. Im 20. Jahrhundert wurde sie entkoppelt. Innova- tionspotenzial gäbe es aber schon: Kuh-Leasing ist so ein Beispiel. Kuh-Leasing? Die Idee ist: Wer als Städter einen ökologisch sinnvollen Beitrag zum Erhalt der Alpwirtschaft leis- ten will, beteiligt sich finanziell an der Sömmerung einer Kuh und erhält dafür einen Nutzen in Form von Alprodukten. Eine neue Form von Nostalgie? Ja, das kann man so sehen. War- um nicht? Das lässt sich als Nos- talgie auslegen, aber auch als Form eines gesunden Produkte- bewusstseins. Grempler führen als Zwischenhändler die Alpprodukte ins Tal, um sie auf den Märkten zu verkaufen. Bild: Stiftung für Appenzellische Volkskunde (1784) «Die Sennen haben fast nomadisch gelebt.» Stefan Sonderegger Leiter Stadtarchiv Ortsbürgergemeinde St. Gallen Neue Retter für «Metropol» Arbon Hotel Ende Oktober soll das Hotel Metropol definitiv geschlossen werden. Stattdessen will das Un- ternehmen HRS dort zwei vierzig Meter hohe Türme errichten. Ge- gen diese Absichten wehrt sich eine neue IG «Pro Metropol» mit dem Motto «Rettet das Hotel Me- tropol!». Vor fünf Jahren hatte un- ter diesem Titel ein Petitionsko- mitee dem Stadtrat 4000 Unter- schriften übergeben und erreicht, dass das «Metropol» bis heute als Hotel und Restaurant weiterge- führt wird. Angeführt wird die IG von einem Vorstand mit Arthur Stark (parteilos), Lukas Auer (CVP), Kurt Sonderegger (FDP), Andrea Vonlanthen (SVP) und Erica Willi (SP); am 4. Oktober ist im «Metropol» eine öffentliche Veranstaltung angesagt. Im Ge- gensatz zum Arboner Stadtrat hält die IG das «Metropol» für schutzwürdig.EsseifürdenThur- gau und für Arbon einzigartig und als Identifikationsobjekt für die Bevölkerung unersetzlich. (red.) Wahre Liebe geht anders Kantonsgericht Eine Frau soll einem Mann Liebe vorgetäuscht und ihm 115000 Franken abgeknöpft haben. Die Anschuldigungen seien haltlos, erklärte ihr Verteidiger. Die 57jährige Beschuldigte lernte den sieben Jahre älteren Mann aus dem Kanton St.Gallen über eine Dating-Plattform kennen. Schon beim ersten Treffen habe er sich Hals über Kopf in die Frau verliebt, erklärte der Mann ges- tern vor dem Kantonsgericht St.Gallen. Der Mann leidet seit mehreren Jahren an einer psychi- schen Krankheit und lebt deswe- gen getrennt von seiner Ehefrau. Sie habe ihn raffiniert dazu gebracht, ein viel teureres Auto als gedacht zu kaufen, eine Reise für beide zu buchen, luxuriös es- sen zu gehen und ihr immer wie- der grössere Bargeldsummen zu übergeben. Sie hätten bespro- chen, eine neue Familie zu grün- den und eventuell nach Brasilien, die ehemalige Heimat der Frau, auszuwandern. Die Beschuldigte habe ihn völlig in der Hand ge- habt. Als Familienmitglieder des Mannes vom teuren Autokauf und der Ferienreise erfuhren, erwirkten sie einen befristeten fürsorgerischen Freiheitsentzug. Auch wurde die Frage aufgewor- fen, ob der Mann bevormundet werden soll. Vom Betrug in erster Instanz freigesprochen Einige Monate später kam es zu einerAnzeige,einemStrafverfah- ren und im August 2015 zu einer Gerichtsverhandlung am Kreis- gericht Werdenberg-Sarganser- land. Die Frau erhielt einen Frei- spruch von Schuld und Strafe. Die Rückzahlungsforderung von über 100 000 Franken verwies das Gericht auf den Zivilweg. Gegen diesen Entscheid legte der Mann Berufung ein und ver- langte eine Verurteilung wegen Betruges. Zudem sei die Beschul- digte zur Zahlung von 115 000 Franken an ihn zu verpflichten. Die Verteidigung und die Staats- anwaltschaft beantragten die Ab- weisung der Berufung. Die Beschuldigte habe seinen Mandanten nach Strich und Fa- den über den Tisch gezogen, be- tonte der Rechtsvertreter des Mannes. Sie habe seine bipolare psychische Störung und labile Persönlichkeit ausgenutzt, um sich von ihm ihren aufwendigen Lebensstil bezahlen zu lassen. Der Verteidiger beantragte hingegen, die Berufung sei voll- umfänglich abzuweisen. Das erstinstanzliche Urteil sei fun- diert begründet und beleuchte alle Aspekte dieses Falles. Die Aussagen des Privatklägers seien widersprüchlich. Einmal habe er erklärt, er habe das Geld aus dem Verkauf des wenige Wochen zu- vor erstandenen Autos der Be- schuldigtenübergeben.Einande- res Mal erwähnte er, er habe es im Waldvergraben.Möglichsei,dass er Geld verstecke, um es bei der Scheidung von seiner Noch-Ehe- frau behalten zu können. Seine Mandantin müsse sich seit drei Jahren gefallen lassen, dass ihr Leben immer wieder bis ins Detail durchleuchtet werde, erklärte der Verteidiger weiter. Man habe alle ihre Konti über- prüft, um zu sehen, ob sie Geld darauf eingezahlt habe, und nichts gefunden. Die Frau sei gut beleumundet und habe noch nie finanzielle Probleme gehabt. Der Vorwurf, sie habe Geld vom Pri- vatkläger ergaunert, sei haltlos. Das Urteil steht noch aus; es wird in den nächsten Tagen er- wartet. (sda) Flawil von Unicef ausgezeichnet Kinderfreundlich Flawil ist ges- tern von Unicef Schweiz offiziell als «kinderfreundliche Gemein- de» ausgezeichnet worden. Da- mit findet sich die Stadt im Kreis von 21 bereits ausgezeichneten Gemeinden in der Schweiz; in der Ostschweiz sind es Rapperswil- Jona, Uznach, Wil, Frauenfeld undTeufen.Flawilsetzesichaktiv dafür ein, dass die Anliegen von Kindern und Jugendlichen be- rücksichtigt werden und dass sie am Gemeindeleben teilhaben können, teilte Unicef mit. Die Ge- meinde entwickelte einen Ak- tionsplan mit acht Massnahmen, um ihren Lebensraum kinder- freundlicher zu gestalten. Unter anderem lancierte sie ein fort- schrittliches Spiel- und Pausen- platzkonzept, wo Kinder aktiv an- packen und mithelfen können, wie es heisst. Weiter gebe es För- derkonzepte der Schulen und des Sozialamtes und würden neue Treffpunkte geschaffen sowie die Vereinskultur gestärkt. (red.)

«Städter leisten sich Kuh-Leasing» - Historisches Seminar9f43f292-749f-4de7-85bd-eab321d7b2be/... · lung, zum Beispielwegen Lawi-nenniedergängen. Trotzdemgehtdie Zahl der gesömmertenMilchkühe

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Publikation: tbhb Pagina: 18 Ist-Farben: cmyk0Ressort: tb-os Erscheinungstag: 21. 9. 2016 MPS-Planfarben: cmyk

18 Ostschweiz Mittwoch, 21. September 2016

«Städter leisten sich Kuh-Leasing»Sennentum Die Alpwirtschaft ist alles, nur keine Erfindung der Neuzeit. Historiker Stefan Sonderegger über

Alpkäse, mittelalterliche Ursprünge und ein Auslaufmodell mit Innovationspotenzial.

Interview: Christoph Zweili

Der Leiter des Stadtarchivs derOrtsbürgergemeinde St.Gallen,Stefan Sonderegger, präsidiertdie Stiftung für AppenzellischeVolkskunde. Der Historiker hatdie Alpwirtschaft (Ausgabe vom16. September) im Appenzeller-land, Toggenburg, Werdenbergund Sarganserland untersucht.

Was fasziniert den Historikeran der Alpwirtschaft?Wer sich mit dem Mittelalter aus-einandersetzt, der sieht, dass dieAlpwirtschaft bereits bei den ers-ten Anfängen der Besiedlung dervoralpinen Regionen wie demToggenburg und dem Appenzel-lerland ganz früh vorkommt. Eintypisches Beispiel ist die Erstnen-nung von Appenzell (abbatis cel-la) im Jahr 1071. Schon damalswurden die Meglisalp (Megelinsalpa), die Alp Soll (alpe Solin) undandere erwähnt.

Alpwirtschaft ist also keineneuzeitliche Erfindung?Nein, die Alpen haben früher alsLehen einer Grundherrschaft ge-hört, also einem Kloster oder ei-nem Adeligen. So wie diese einenHof im Tal gegen Abgaben verlie-hen haben, haben sie auch Alpenan Sennen verliehen. Alpwirt-schaft war also schonimmerhochkommerziell. Die Einnahmenaus den Alpen wurden für dasKloster St.Gallen verwendet.Auch in einem der ältesten Zins-register von 1200 werden die Re-gionen mit Alpwirtschaft, dasToggenburg und das Appenzel-lerland, explizit als erste genannt.

Sie mussten den Zins in Formvon Geld ans Kloster abliefern?Nein. DieBauern,diedieAlpenindiesen voralpinen Regionen be-wirtschafteten, zahlten casios al-pinos, also Alpkäse.

Viehwirtschaft war also schonimmer wichtig.Es gab rasch eine Spezialisierung:In den voralpinen Regionen aufViehwirtschaft, im Fürstenlandauf Getreidebau, im Rheintal auf

Weinbau. Das war nur möglich,weil es über die Märkte in Lich-tensteig, Appenzell und vor allemin St.Gallen einen Handel gab.

Dieser war von Beginn weg Teileiner kommerziellen, nachfrage-orientierten Alpwirtschaft.

Das ist bis heute so?Natürlich hat da ein Wandel statt-gefunden. Heute ist vielleicht einSenn angestellt, der nicht mehrkäst. Er betreut das Vieh auf derAlp und fährt die Produkte mitdem Auto ins Tal oder lässt sie ho-len.Daswarfrühergarnichtmög-lich, weil die Strassen fehlten.Man hat alles auf der Alp zu Käseoder Butter verarbeiten müssen.

Warum weiss man so vielüber die Geschichte der Alpen?Eine Quelle, die man nicht ver-muten würde, sind alte Bauern-malereien: Darauf sind zwischenden Sennen sogenannte Gremp-ler zu sehen. Das waren Käse-und Butterhändler, von denen esin Stein (AR) sehr viele gab. DieseZwischenhändler haben einenVertrag mit den Sennen auf denAlpen abgeschlossen, ihnen But-ter und Käse abgenommen und

runter in ihre Keller geführt. Dorthaben sie die Produkte weiter ge-pflegt und sie in St.Gallen oderüber den See verkauft.

Die Sennen selber kamen alsogar nicht mehr ins Tal?Sie haben fast nomadisch gelebt,hatten praktisch kein eigenes Zu-hause mehr, also kein Haus imTal. Das weiss man aus dem Ap-penzellerland. Sie haben sich beiden Heubauern eingemietet. DieAppenzeller Heubauern hattengrosse Ställe, arbeiteten immermehr in die Weberei und mach-ten gar nicht mehr so viel Land-wirtschaft. Die Sennen nutztendie Nische, gingen mit ihremVieh zu diesen Bauern. War dasHeu im Stall gefressen, zogen siezum nächsten Heubauern weiter.

Warum hat gerade das Tog-genburg diese Bedeutung fürdie Alpwirtschaft?Das hat mit der Tradition zu tun.Die ältesten Alprödel, die dieKuhrechte während der Alpzeit

geregelt haben, sind aus dem16. Jahrhundert von der Alp Se-lun. Auch die ältesten Alpsatzun-gen sind aus dem Gebiet derChurfirsten.

Noch im 18. Jahrhundertwaren mehr als zwei Drittelder Bevölkerung im KantonSt. Gallen in der Landwirt-schaft tätig. Wie erklärenSie den folgenden Struktur-wandel?Wir gehen davon aus, dass bis insJahr 1750 der grössere Teil derBevölkerung in der Landwirt-schaft tätig war. Mit der Heimwe-berei wurden dann aber auchArbeitskräfte auf dem Land ein-gespannt – im Toggenburg undim reformierten Ausserrhoden.Das löste eine Bewegung wegvon der Landwirtschaft hin zurHeimweberei aus. Ein Prozess,der lange dauerte. Dazu kamdann das Bevölkerungswachs-tum im 19. Jahrhundert und diedamit einhergehende Verstädte-rung.

Und was hiess das für dieLandwirtschaft?Die hat sich extrem entwickelt.Bis im 15. Jahrhundert wurden fürein gesätes Korn drei bis vier Kör-nergeerntet,heutesindwirbeiei-nemFaktorvoneinszu40biseinszu 50 angelangt. Im 19.Jahrhun-dert wurden die Stallhaltung undder Kunstdünger eingeführt –beides gab es bis dahin nicht.PlötzlichwurdenmitdergleichenBodenfläche viel höhere Erträgegewonnen. Bei der Viehwirt-schaft kamen die Talkäsereiendazu, auch in unserer Region.Die gewachsene Alpwirtschaftmit ihrer traditionellen Käse- undButterherstellung verlor hinge-gen an Boden.

Heute versucht der Bund mitneuen Förderinstrumenten,das Verhältnis zu Gunsten derBergbauern zu korrigieren.Das macht Sinn. Werden die Al-pen nicht mehr bewirtschaftet,verganden sie. Das war schon frü-her so. Eine gefährliche Entwick-lung, zum Beispiel wegen Lawi-nenniedergängen.

Trotzdem geht die Zahl dergesömmerten Milchkühe zu-rück. Ist die Alpwirtschaft einAuslaufmodell?Ohne staatliche Förderung istsie das, ja. In der historischenBetrachtung gab es immer eineVerbindung zwischen Alp- undTalbetrieb. Im 20. Jahrhundertwurde sie entkoppelt. Innova-tionspotenzial gäbeesaberschon:Kuh-Leasing ist so ein Beispiel.

Kuh-Leasing?Die Idee ist: Wer als Städter einenökologisch sinnvollen BeitragzumErhalt derAlpwirtschaft leis-ten will, beteiligt sich finanziellanderSömmerungeinerKuhunderhält dafür einen Nutzen inForm von Alprodukten.

Eine neue Form von Nostalgie?Ja, das kann man so sehen. War-um nicht? Das lässt sich als Nos-talgie auslegen, aber auch alsForm eines gesunden Produkte-bewusstseins.

Grempler führen als Zwischenhändler die Alpprodukte ins Tal, um sie auf den Märkten zu verkaufen. Bild: Stiftung für Appenzellische Volkskunde (1784)

«Die Sennenhaben fastnomadischgelebt.»

Stefan SondereggerLeiter StadtarchivOrtsbürgergemeinde St. Gallen

Neue Retter für«Metropol» Arbon

HotelEndeOktobersolldasHotelMetropol definitiv geschlossenwerden. Stattdessen will das Un-ternehmen HRS dort zwei vierzigMeter hohe Türme errichten. Ge-gen diese Absichten wehrt sicheine neue IG «Pro Metropol» mitdem Motto«RettetdasHotelMe-tropol!».VorfünfJahrenhatteun-ter diesem Titel ein Petitionsko-mitee dem Stadtrat 4000 Unter-schriften übergeben und erreicht,dass das «Metropol» bis heute alsHotel und Restaurant weiterge-führt wird. Angeführt wird die IGvon einem Vorstand mit ArthurStark (parteilos), Lukas Auer(CVP), Kurt Sonderegger (FDP),Andrea Vonlanthen (SVP) undErica Willi (SP); am 4. Oktober istim «Metropol» eine öffentlicheVeranstaltung angesagt. Im Ge-gensatz zum Arboner Stadtrathält die IG das «Metropol» fürschutzwürdig.EsseifürdenThur-gau und für Arbon einzigartig undals Identifikationsobjekt für dieBevölkerung unersetzlich. (red.)

Wahre Liebe geht andersKantonsgericht Eine Frau soll einem Mann Liebe vorgetäuscht und ihm 115 000

Franken abgeknöpft haben. Die Anschuldigungen seien haltlos, erklärte ihr Verteidiger.

Die 57jährige Beschuldigte lernteden sieben Jahre älteren Mannaus dem Kanton St.Gallen übereine Dating-Plattform kennen.Schon beim ersten Treffen habeer sich Hals über Kopf in die Frauverliebt, erklärte der Mann ges-tern vor dem KantonsgerichtSt.Gallen. Der Mann leidet seitmehreren Jahren an einer psychi-schen Krankheit und lebt deswe-gen getrennt von seiner Ehefrau.

Sie habe ihn raffiniert dazugebracht, ein viel teureres Autoals gedacht zu kaufen, eine Reisefür beide zu buchen, luxuriös es-sen zu gehen und ihr immer wie-der grössere Bargeldsummen zuübergeben. Sie hätten bespro-chen, eine neue Familie zu grün-den und eventuell nach Brasilien,die ehemalige Heimat der Frau,auszuwandern. Die Beschuldigtehabe ihn völlig in der Hand ge-

habt. Als Familienmitglieder desMannes vom teuren Autokaufund der Ferienreise erfuhren,erwirkten sie einen befristetenfürsorgerischen Freiheitsentzug.Auch wurde die Frage aufgewor-fen, ob der Mann bevormundetwerden soll.

Vom Betrug in ersterInstanz freigesprochen

Einige Monate später kam es zueinerAnzeige,einemStrafverfah-ren und im August 2015 zu einerGerichtsverhandlung am Kreis-gericht Werdenberg-Sarganser-land. Die Frau erhielt einen Frei-spruch von Schuld und Strafe.Die Rückzahlungsforderung vonüber 100 000 Franken verwiesdas Gericht auf den Zivilweg.

Gegen diesen Entscheid legteder Mann Berufung ein und ver-langte eine Verurteilung wegen

Betruges. Zudem sei die Beschul-digte zur Zahlung von 115000Franken an ihn zu verpflichten.Die Verteidigung und die Staats-anwaltschaft beantragten die Ab-weisung der Berufung.

Die Beschuldigte habe seinenMandanten nach Strich und Fa-den über den Tisch gezogen, be-tonte der Rechtsvertreter desMannes. Sie habe seine bipolarepsychische Störung und labilePersönlichkeit ausgenutzt, umsich von ihm ihren aufwendigenLebensstil bezahlen zu lassen.

Der Verteidiger beantragtehingegen, die Berufung sei voll-umfänglich abzuweisen. Daserstinstanzliche Urteil sei fun-diert begründet und beleuchtealle Aspekte dieses Falles. DieAussagen des Privatklägers seienwidersprüchlich. Einmal habe ererklärt, er habe das Geld aus dem

Verkauf des wenige Wochen zu-vor erstandenen Autos der Be-schuldigtenübergeben.Einande-res Mal erwähnte er, er habe es imWaldvergraben.Möglichsei,dasser Geld verstecke, um es bei derScheidung von seiner Noch-Ehe-frau behalten zu können.

Seine Mandantin müsse sichseit drei Jahren gefallen lassen,dass ihr Leben immer wieder bisins Detail durchleuchtet werde,erklärte der Verteidiger weiter.Man habe alle ihre Konti über-prüft, um zu sehen, ob sie Gelddarauf eingezahlt habe, undnichts gefunden. Die Frau sei gutbeleumundet und habe noch niefinanzielle Probleme gehabt. DerVorwurf, sie habe Geld vom Pri-vatkläger ergaunert, sei haltlos.

Das Urteil steht noch aus; eswird in den nächsten Tagen er-wartet. (sda)

Flawil von Unicefausgezeichnet

Kinderfreundlich Flawil ist ges-tern von Unicef Schweiz offiziellals «kinderfreundliche Gemein-de» ausgezeichnet worden. Da-mit findet sich die Stadt im Kreisvon 21 bereits ausgezeichnetenGemeinden in der Schweiz; in derOstschweiz sind es Rapperswil-Jona, Uznach, Wil, FrauenfeldundTeufen.Flawilsetzesichaktivdafür ein, dass die Anliegen vonKindern und Jugendlichen be-rücksichtigt werden und dass sieam Gemeindeleben teilhabenkönnen,teilteUnicef mit. DieGe-meinde entwickelte einen Ak-tionsplan mit acht Massnahmen,um ihren Lebensraum kinder-freundlicher zu gestalten. Unteranderem lancierte sie ein fort-schrittliches Spiel- und Pausen-platzkonzept, wo Kinder aktiv an-packen und mithelfen können,wie es heisst. Weiter gebe es För-derkonzepte der Schulen und desSozialamtes und würden neueTreffpunkte geschaffen sowie dieVereinskultur gestärkt. (red.)

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