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Tübingens Oberbürgermeister Boris Pal- mer zählt zu den profiliertesten Politikern der Grünen in Baden-Württ embe rg. Der 38-Jährige kämpft bereits seit Jahren ge- gen den Bau von Stuttgart 21. SZ: Der Verfas sungsr echtle r Paul Kirchhof hält es für unzulässig, die Bür- ger über Stuttgart 21 abstimmen zu las- sen.WarumfordernSietrotzdem weiter - hin eine landesweite Volksabstimmung? Boris Palmer: Herr Kirchhof hat nur den von der SPD vorgeschlagenen Weg zu einem Volksentscheid für unzulässig erklärt – nämlich, dass die Regierung ein Gesetz einbringt, das sie dann selbst ab- lehnt. Von der SPD beauftragte Verfas- sungsrechtlersehen dasanders. Entschei- dend ist aber vielmehr die Frage, ob die Regierung überhaupt dazu bereit wäre, das Volk abstimmen zu lassen. SZ: Es gibt aber auch die Möglichkeit, ein Volks begehren einzule iten. Dafür braucht man den Landtag nicht. Palmer:Leide rgabes inderGesch ich- te des Landes kein solches Volksbegeh- ren, weil die Hürde von einem Sechstel der Wahlbe rechtig ten normal erweis e viel zu hoch ist. In dieser besonderen Si- tuation ist ein Volksbegehren aber die letzte Hoffnung, wenn die Regierung an- ders nicht zur Vernunft kommt. Ich will jedenfalls nicht, dass Menschen nur bei der Landtagswahl über Stuttgart 21 ab- stimmen dürfen. Gegen das Projekt zu sein bedeutet nicht automatisch für Grün zu sein. SZ: Für beide Varianten wäre ein Vor- schlag für ein Ausstiegsgesetz erforder- lich. Wie könnte er lauten? Palmer: Es würde genügen, ein kurzes Geset z zur Abstimmung zu bringe n, in dem die finanzielle Beteiligung des Lan- desuntersa gtwird.Da gehtes umimmer- hin 1,7 Milliarden Euro an freien Haus- haltsmitteln, die man auch für Bildun g einsetzen könnte. Ohne dieses Geld wäre das Projekt am Ende. SZ: Dem stehen Verträge gegenüber. Palmer: Ein Ausstiegsgesetz wäre hö- herrangiges Recht. Die Verträge hätten keine weitere Gültigkeit mehr, weil sie sehrschwachformuliert sind.In derent- scheid endenPassag esteht ledigli ch,dass sichdasLandbereiterklä rt,diefinanzie l- le Beteiligung zu erbringen. Eine Ver- pflichtungoder eineSchadenersatzforde- rung sind nirgendwo definiert. SZ: Trotzdem muss Baden-Württem- bergmit Schadenersatzforderun gen rech- nen. Die Bahn spricht von bis zu 1,4 Mil- liarden Euro Kosten für den Ausstieg. Palmer: Nehmen wir diese Zahl ernst, dannsinddarin auch700 Million enEuro entha lten,dieStuttga rtvon derBahnwe- gen eines Grundstücksgeschäfts zurück erhaltenwürde. Dassind keineAusstiegs- kosten, hier wird das Geld nur von der linken in die rechte Tasche gesteckt. Es bleiben 700 Millionen Euro echte Kosten übrig; das ist eine Milliarde weniger als dasLandBaden-Württ embergbisherfür das Projekt zugesagt hat. Selbst wenn der komplette Schaden ersetzt werden müsste, hätte Baden-Württemberg noch eine Milliarde Euro übrig. SZ: Wäre das nicht ein groteskes Ende nach 15 Jahren Planung? Palmer:So etwaskommtvor .Auchdie Wieder aufber eitung sanlag e Wacker s- dorfund der Schne lleBrüter Kalkarwa- ren milliard enteure Fehlin vestiti onen, weil man den Bürgerwillen missachtet hat. Die Verant wortu ng dafür tragen nichtdieje nigen ,die denBürge rwill enar- tikulieren, sondern diejenigen, die Pro- jekte initiieren , ohne Rücksich t auf die Bevölkerung zu nehmen. SZ: Bahn-Chef Grube befürchtet, dass kein Großpr ojekt mehr durch setzbar sein wird, wenn Stuttgart 21 scheitert. Palmer: Das Argument gehört zur Ka- tegorie, wonach Stuttgart 21 angeblich der Grabstein für die repräsentative De- mokrat ie sei. Das Projekt wird in einer Weiseüberhöht , dasses miteinem Bahn- hof nichts mehr zu tun hat. Natürlich kannman weiterhinGroßprojekte durch- setzen ,wenn siegut begrü ndetundin der Bevölkerung verankert sind. Auch nach dem Scheitern des Schne llen Brüters ode r des Tra nsr api d wur de noc h in Deutschland investiert. SZ: NacheinemAusstiegstündeStutt- gart mit einer Baustelle da. Der Bahnhof muss aber saniert werden. Palmer: Das könnte viel schneller ge- hen als Stuttgart 21 zu bauen. Es laufen ohnehin schon Vorarbeiten im Gleisbe- reich.Infünf Jahrenkönnt eein moderni- sierter Bahnhof samt Überdachung ein- geweiht werden. Interview: Sebastian Beck Von Dagmar Deckstein Stuttgart Der baden- württ embergi - sche Ministe rpräsi dent Stefan Mappu s (CDU) willdie Wogenim immererbitter- ter geführten Streit um das Bahnprojekt Stutt gart21 glättenund dieweiterenAb- riss- und Baumfällarbeiten am Haupt - bahnhof erst einmal stoppen. „Wir ste- hen an einem Punkt, da es nicht mehr so sehr um den Bahnhof geht, sondern um Befriedung und darum, den Dialog zwi- schen beiden Seiten zu befördern“, sagte Mappusam Dien stag.SosollederSüdflü- gel des Bahnhofs vorerst nicht abgeris- sen werden, die restlichen Bäume im Schlosspark würden nicht vor nächstem Frühjahrfallen.AlsgenerellenBaustopp wollteMappusdasnicht verstan denwis- sen, aber als „klares und deutliches Si- gnal“ an die Projektgegner. AmMittwochwill Mappus eineRegie- rungs erkläru ng zuStuttgart21 abgebe n, für die er bereits „weitere starke Signa- le“undein„Maßnahmenbündel“ankün- digte ,mit derer fürDeeskalationundBe- wegung der verhärteten Fronten sorgen will. Zu diesen hatte nicht zuletzt der massive Polizeieinsatz vom vergangenen Donnerstag im Schlosspark beigetragen, bei dem mehrere hundert Demonstran- tenverletztwurden.Entsc huldig enwoll- te sich Mappus für diese Vorfälle, wie vonden Gegne rngefordert,jedochnicht: „En tsc hul dig en kann man sic h nur , wennman zuvor Feh lergemacht hat“,so Mappus, „aber dafür liegen mir bisher keineHinwei sevor.“ Erhege aber„tiefes Bedauern“ darüber, dass es zur Eskala- tion vor dem Fällen der ersten Bäume im Park gekommen sei. Nieman d wolle, dassMenschenzuSchadenkommen.Das gelte vor allem für die, die friedlich pro- testieren, und für die Polizeibeamten. Den Vorschlag der SPD, zur Befrie- dungderLagedenLandtageineVolksab - stimmungherbeizuführenzu lassen,lehn- te der CDU-Politiker aber ab. Ein Gut- achten zweier Verfassungrechtler (siehe Bericht unten) habe ergeben, dass dieser Weg zum Plebiszit nicht gangbar sei. Trotz seiner anfänglichen Skepsis habe er eine juristische Prüfung befürwortet. Unterd essen haben die Gegne r des Bahnp rojekt s damit begonn en, Unter- schrif tenzur Auflös ungdes baden -würt- tember gische n Landt ags zu sammeln . „Für uns ist wichtig zu zeigen, dass die Bürger handeln, wenn die Politik hand- lungsunfähig ist“, erläuterte Fritz Mie- lert,Sprech erder „Parkschüt zer“im Ak- tionsbündnis der Gegner. Zudem gehe es darum,dieRegierungunterMinisterp rä- sident Mappus abzulösen. Bei der De- monstr ation am Montag abend seien 2500 von zunächst 10 000 notwendigen Unterschriften gesammelt worden. Da- nach kann beim Innenminist erium ein „Antragauf Einleitungeines Volksbegeh- renszur Auflö sungdes Landtags“ einge- reicht werden. Wie Mappus s ch l ug a uc h G rü - nen-C hefCem Özdemirdeutlichmodera- tereTönean alsbisherund siehtim ange- kündi gtenTeil-Stop p derAbrissarb eiten einen möglichen ersten Schritt zu Ge- spräch en. Jetzt sei eine Gelegenhe it, „nichteinfachweiterzumachenindie Es- kalati on, sondern die ausges treckt e Hand zum Gespräch anzunehmen“, sag- teÖzdemir.„Unddazu istnatürlichVor- aussetzung, dass es zu einem Baustopp kommt“ ,fügte erhinzu.Vor wenige nTa- gen erst hatte er Mappus bezichtigt, die- serhabedurchdenPolzeieinsa tz„Blutse- hen“ wollen, sich aber kurz darauf ent- schuldigt. Mit denAusschreitungen amvergange- nenDonnerstagwolltesichamDienstag- abend auch der Landt ags-Inn enaus- schus s inStuttgartbefassen.Zuvorhatte die Polizei ihren massiven Einsatz im Schlossgarten damit gerechtfertigt, dass die Beamten vom teilweise aggres siven Wider standderDemonst rante nzum Ein- satz von Pfeffe rspray , Schla gstöck en und Wasserwerfern gezwungen gewesen seien. „Mit derartigen Blockaden haben wir nicht gerechnet, und das gab es in Stuttgartbei unsere rbewährtenDeeska- lation sstrate gie auch noch nie“, sagte der Stuttga rter Polize ipräsid ent Sieg- friedStumpf.AuchdiePolizeiseisehr be- troffe nüber dieEskalatio nund werdeal- les dafür tun, dass sich solche Bilder nie mehr zeigten. Stumpf wies Mutmaßun- genzurück,dass dasStuttgarte r Innemi- nisterium oder die Staatskanzlei die Fä- denbeim Einsat z gezoge n habe.„Mirhat nochnie jemand in di e Polizei taktikhin- eingeredet“, sagte Stumpf, „für den Ein- satz bin ich allein verantwortlich.“ Auf Videos vom Donnerstag zeigte die Poli- zei,wieBeamtezumTeilmassivangegri f- fen wurden. (Seite 4) Stuttgart – Eine Volksabstimmung über Stuttg art21 istlaut einemGutacht ender Verfassungsrechtler Paul Kirchhof und Klaus-PeterDoldeaufdemvon derLand- tags-S PD vorges chlage nen Weg nicht möglich. Die Sozia ldemokraten hatten angere gt, ein solches Referendu m über das umstrittene Bahnprojekt nach Arti- kel 60 der Landesve rfassun g auf den Weg zu bri nge n. Danach sollte die schwarz-gelbe Regierungskoalition ein „Auss tiegsge setz“ einbri ngen, das von der Mehrheit der Parlame ntarie r abge- lehnt werden müsste. Dann könnte das GesetzdemVolkzur Abstimmungvorge- legt werden. DiebeidenVerfassu ngsrec htlerKirch- hof und Dolde begutac hteten den Vor- schlag im Auftrag der CDU/FDP-Lan- desregierung und kommen zum Schluss, dasseinPlebiszi tauf dieseArtnichtmög- lich sei. Denn nicht das Land sei für den BauvonSchiene nund Bahn höfe nzustän- dig, sondern der Bund. Außerdem sehe die Landesverfassung ausdrücklich kei- ne Volksabstimmung über Haushaltsge- setze vor, die aber durch die Finanzie- rungszusagen des Landes berührt wür- den. Zudem sei eine Volksabstimmung, der es nur darum gehe, den politischen Willen der Lande sregier ung und der Mehrh eitdes Land tagsdurcheineplebis- zitäre Zustimmungsg este bestäti gen zu lassen, in der Verfassung nicht vorgese- hen. Es liege ja, so die beiden Gutachter, gar kein richtiger, sondern nur ein fin- gierter Konflik t vor. „Es wäre verfas- sungswidrig, wenn die Landesregierung denEntwurfeinesAusstiegs gesetz esein- bringt, der ihren erklärten politische n Zielenwidersp richt“ ,so Dolde .Kirchhof fügte hinzu: „Das ganze Unter fangen kann nur in einer Enttäuschung enden.“ Die SPD wehrte sich gegen diese Ein- schätz ungundverwiesauf einGegengut - achten. dad Mappus stoppt Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs Baden-Württembergs Ministerpräsident will mit „deutlichem Signal der Befriedung“ Projektgegner beruhigen – die restlichen Bauarbeiten gehen aber weiter „Bürgerwillen missachtet“ Tübingens grüner OB Boris Palmer über Stuttgart 21 Zweifel an Volksabstimmung  Verfassungsrechtler halten Referendum für unmöglich Einen Baustopp, wieauf Plakaten vor Stuttgarts Hauptbahnhof gefordert, will dieLandesregierung nicht erlassen. dpa Mittwoc h, 6. Oktobe r 2010 HF2 Südde utsch e Zeitun g Nr. 231 / Seite 5 POLITIK Der Polizeipräsident verteidigt den harten Einsatz seiner Beamten. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Foto: dpa Das Aktionsbündnis will die Auflösung des Landtags erzwingen. Der Ertrag aus den Verkäufen dieser Tasch e sowie die Gagen von Ali und Bono gehen an die Conservation Cotton Initiative Uganda. Folgen Sie Ali und Bono auf louisvuittonjourneys.com Ali und Bono tragen Edun und Ali zudem die gemeinsame Vuitton/Edun Tasche. Alle Reisen beginnen in Afrika.

SZ: 6.10.2010

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8/8/2019 SZ: 6.10.2010

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