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Theorie und Numerik von differential-algebraischen Gleichungen (DAEs) Prof. Dr. Martin Arnold & Markus Köbis M. Sc. 28. Juli 2014

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Theorie und Numerik vondifferential-algebraischen Gleichungen (DAEs)

Prof. Dr. Martin Arnold & Markus Köbis M. Sc.

28. Juli 2014

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung i

1 Grundlagen 11.1 Differential-algebraische Gleichungen und Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen 1

Bemerkung 1.1 Differential-algebraische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Beispiel 1.2 Differential-algebraische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Beispiel 1.3 Netzwerkmodellierung: Modified Nodal Analysis . . . . . . . . . . . . . . . 2Bemerkung 1.4 Netzwerkmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Bemerkung 1.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.2 Lineare DAEs mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Bemerkung 1.6 Matrixbüschel (engl.: matrix pencil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Satz 1.7 Weierstraß-Normalform, Kronecker-Normalform . . . . . . . . . . . . . . . . 3Definition 1.8 Nilpotenz-Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4Bemerkung 1.9 Lineare DAEs mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.3 Zugrundeliegendes System gewöhnlicher Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . 5Definition 1.10 Differentiationsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5Definition 1.11 Zugrundeliegendes System gewöhnlicher Differentialgleichungen . . . . 5Bemerkung 1.12 Differentiationsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5Beispiel 1.13 Mechanische Mehrkörpersysteme mit Zwangsbedingungen . . . . . . . . 6Definition 1.14 Anfangswertproblem, konsistente Anfangswerte . . . . . . . . . . . . . 7Beispiel 1.15 Mathematisches Pendel: Konsistente Anfangswerte . . . . . . . . . . . . . 8

2 Zeitintegration: Semi-explizite Index-1-Systeme 9Bemerkung 2.1 Aufgabenklasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Bemerkung 2.2 Linear-implizite Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Bemerkung 2.3 Singulär gestörte Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen . . . . 10Bemerkung 2.4 Linear-implizite Systeme (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Beispiel 2.5 One-leg-θ-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.1 Einschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Bemerkung 2.6 Verfahrensklasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Definition 2.7 Lokaler und globaler Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Bemerkung 2.8 Fehlerrekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Lemma 2.9 Fehlerrekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Definition 2.10 Konsistenzordnung, Konvergenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Satz 2.11 Konvergenz von Einschrittverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Beispiel 2.12 Halb-explizite Runge-Kutta-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Bemerkung 2.13 Taylorentwicklung der analytischen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . 16Bemerkung 2.14 Taylorentwicklung der numerischen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . 16Bemerkung 2.15 Konsistenzbedingungen und Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Beispiel 2.16 Halb-explizite Runge-Kutta-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.2 Lineare Mehrschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme . . . . . . . . . . . . 18Bemerkung 2.17 Lineare Mehrschrittverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Bemerkung 2.18 Erweiterung auf semi-explizite Index-1-Systeme . . . . . . . . . . . . 19Bemerkung 2.19 Gekoppelte Fehlerrekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Definition 2.20 (Starke) Wurzelbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21Satz 2.21 Konvergenz von linearen Mehrschrittverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3

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Inhaltsverzeichnis

3 Differential-algebraische Gleichungen höheren Indexes 233.1 Systeme in Hessenbergform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Definition 3.1 Hessenbergform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23Beispiel 3.2 Systeme in Hessenbergform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23Bemerkung 3.3 Systeme in Hessenbergform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3.2 Sensitivitätsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Beispiel 3.4 Implizites Euler-Verfahren für Index-2-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . 25Definition 3.5 Störungsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26Bemerkung 3.6 Störungsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26Lemma 3.7 Störungsindex von Systemen in Hessenbergform . . . . . . . . . . . . . . . 27Beispiel 3.8 Störungsindex eines linear-impliziten Systems . . . . . . . . . . . . . . . . 28Bemerkung 3.9 Störungsindex und Differentiationsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

4 Zeitintegration: Systeme höheren Indexes 294.1 Direkte Diskretisierung von Systemen höheren Indexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Bemerkung 4.1 Allgemeines Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Beispiel 4.2 Implizites Euler-Verfahren, Index-3-System . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Bemerkung 4.3 Systeme höheren Indexes: direkte Diskretisierung . . . . . . . . . . . . 30

4.2 Indexreduktion und Drift-off-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30Bemerkung 4.4 Analytische Transformationen vor der Zeitdiskretisierung . . . . . . . . 30Beispiel 4.5 Index-1-Formulierung und Drift-off-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Satz 4.6 Drift-off-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

4.3 Indexreduktion und Projektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Bemerkung 4.7 Projektion der numerischen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Lemma 4.8 Projektion der numerischen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Bemerkung 4.9 Index-1-Formulierung und Projektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Bemerkung 4.10 Stabilisierte Index-1-Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

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Einleitung

Dieses Vorlesungsskript umfasst den Stoff der gleichnamigen einsemestrigen (2+1) Vorlesung, gehaltenan der Martin-Luther-Universität Halle–Wittenberg im Sommersemester 2014.

i

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1 Grundlagen

1.1 Differential-algebraische Gleichungen und Systeme gewöhnlicherDifferentialgleichungen

Bemerkung 1.1 Differential-algebraische GleichungenEin funktionaler Zusammenhang

F(t,x(t), x(t)) = 0, (t ∈ I) (1.1)

zwischen einer auf dem Intervall I ⊂ R definierten Funktion x ∈ C1(I,Rnx) und ihrer Ableitung x(t) =ddtx(t) heißt differential-algebraische Gleichung (auch: differentiell-algebraische Gleichung, Algebro-Differentialgleichung, engl.: differential-algebraic equation, DAE), wenn F : I × Rnx ×Rnx → Rnx

stetig differenzierbar bezüglich x ist, die Jacobimatrix Fx = ∂F∂x konstanten Rang hat und 0 <

r : = rank ∂F∂x (t,x, x) < nx gilt.

Beispiel 1.2 Differential-algebraische Gleichungen

(a) System gewöhnlicher Differentialgleichungen (engl.: ordinary differential equation, ODE)

x = f(t,x) ⇔ 0 = F(t,x, x) : = x− f(t,x)

keine DAE, da Fx = Inx ⇒ r = 0.

(b) (Parameterabhängiges) nichtlineares Gleichungssystem

0 = f(t,x) ⇔ 0 = F(t,x, x) : = f(t,x)

keine DAE, da Fx = 0 ⇒ r = 0.

(c) Sei 0 < r < nx und rank(C,D) = nx − r für Matrizen C ∈ R(nx−r)×r, D ∈ R(nx−r)×(nx−r).Partitioniert man x ∈ Rnx in Vektoren y ∈ Rny , z ∈ Rnz mit ny : = r, nz : =nx − r

x(t) =

(y(t)z(t)

)}r}nx − r ∈ Rnx ,

so ist

0 = F(t,x, x) =

((Ir 0

)x− f(t,x)(

C D)x− b(t)

)}r}nx − r

äquivalent zu dem semi-expliziten System

y = f(t,y, z)0 = Cy + Dz− b(t)

}⇒ Anfangswerte y0 = y(t0), z0 = z(t0) müssen Cy0 + Dz0 = b(t0) erfüllen (konsistente An-fangswerte).

Spezialfälle

a) D regulär ⇒ z(t) = −D−1(y(t)− b(t))

y(t) = ϕ(t,y(t)) : = f(t,y,−D−1(Cy − b(t)))

1

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1 Grundlagen

b) D = 0nz×nz , f(t,y, z) = f0(t,y)−C>z, rank C = nx − r

⇒ Cy(t) = b(t)

ddt⇒ Cy(t) = b(t)

C(f0(t,y(t)) − C>z(t)) = b(t), („versteckte Zwangsbedingung“), rank C = nx − r = nz

⇒ C ·C> ∈ Rnz×nz regulär

⇒ z(t) = (CC>)−1(Cf0(t,y(t))− b(t)

),

y(t) =(I−C>(CC>)−1C

)f0(t,y) + C>(CC>)−1b(t)

Unterschiede zu Systemen gewöhnlicher Differentialgleichungen

• Anfangswerte müssen mit der DAE verträglich („konsistent“) sein.

• Bedingungen an Anfangswerte können direkt aus der DAE ablesbar sein oder sich ausDifferentiation von Teilen der DAE ergeben („versteckt“ sein).

• Die Lösung einer DAE hängt im Allgemeinen nicht stetig von zeitabhängigen Störungenab.

Beispiel 1.3 Netzwerkmodellierung: Modified Nodal Analysis

R

C

L

vS1 2

30

iR, vR

iC , vCiL, vL

iS , vS

Abbildung 1.1: Einfacher Schaltkreis und zugehöriger Graph

Bauelemente

• Spannungsquelle vS(t)

• Ohmscher Widerstand iR(t) = 1RvR(t)

• Kapazität iC(t) = CvC(t)

• Induktivität L ddt iL(t) = vL(t)

Es bezeichnet ui jeweils die Spannungsdifferenz zwischen Knoten i und Masse (Knoten 0 ).

Kirchhoffsche Regeln Knotenregel: In jedem Knoten verschwindet die vorzeichenbehaftete Summealler ein- und ausgehenden Ströme.

(K1) iR − iS = 0

(K2) iC − iR = 0

(K3) iL − iC = 0

(K0) iS − iL = 0 (redundant)

Maschenregel: In jeder Masche des Netzwerks addiert sich die Summe aller Teilspannungen zu Null.Darstellung aller Teilspannungen vj als Funktion der Knotenspannungen ui:

vR = u1 − u2, vC = u2 − u3,

vL = u3, vS = −u1

Modified Nodal Analysis (MNA): Beschreibung des Netzwerks durch

2

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1.2 Lineare DAEs mit konstanten Koeffizienten

• Knotenspannungen ui,

• Ströme iL der Induktivitäten,

• Ströme iS der Spannungsquellen.

x =(u1 u2 u3 iL Is

)>, Gleichungen (K1), (K2), (K3), L ddt iL(t) = vL(t), vS = −u1.0 0 0

0 C −C0 −C C

u1

u2

u3

+

1/R −1/R 0−1/R 1/R 0

0 0 0

u1

u2

u3

+

00iL

+

iS00

= 0,

LddtiL = u3,

vS = −u1

Bemerkung 1.4 NetzwerkmodellierungComputergestützte Modellierung komplexer (technischer) SystemeBeispiel: (MNA) Anwendungsbereiche:

• Schaltungssimulation

• Chemische Verfahrenstechnik

• Wasser- und Abwassersysteme

• Blutkreislauf

Netzwerkmodellierung führt systematisch auf eine Systembeschreibung in redundanten Variablen, diegewissen (Gleichungs-) bedingungen genügen müssen DAEs.

Bemerkung 1.5 LiteraturLehrbuchliteratur (Numerik gewöhnlicher Differentialgleichungen): [7, 3, 4, 13]Monographien (DAE-Theorie und Numerik) [9, 10]Verschiedenes [5, 12, 1, 8]

1.2 Lineare DAEs mit konstanten Koeffizienten

Bemerkung 1.6 Matrixbüschel (engl.: matrix pencil)

(a) Zur linearen DAE mit konstanten Koeffizienten

Bx + Ax = d(t) (1.2)

betrachtet man Lösungen der Form x(t) = eλt x0 des zugehörigen homogenen Systems Bx+Ax =0

⇒ (A + λB) eλt x0 = 0.

(b) {A + λB : λ ∈ C} heißt Matrixbüschel , Bezeichnung: A + λB.

(c) Das Matrixbüschel A+λB heißt regulär , falls det(A+λB) 6= 0 für ein λ ∈ C und singulär sonst.

(d) Ist A + λB singulär, so hat (1.2) entweder keine oder unendlich viele Lösungen.

Satz 1.7 Weierstraß-Normalform, Kronecker-NormalformZu jedem regulären Matrixbüschel A + λB gibt es reguläre Matrizen P, Q, so dass

PAQ =

(C 00 I

), PBQ =

(I 00 N

)(1.3)

3

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1 Grundlagen

mit N = blockdiag(N1,N2, . . . ,Nk) und Blöcken

Ni =

0 1

0 1. . . . . .

. . . 10

.

Beweis. Wähle c ∈ C so, dass A + cB regulär ist, und betrachte in

(A + cB)−1(A + λB) = (A + cB)−1(A + cB + (λ− c)B) = I + (λ− c)(A + cB)−1B

die Jordansche Normalform von (A + cB)−1B. Fasst man die Jordanblöcke zu den von Null verschie-denen Eigenwerten zusammen in J1 und die Jordanblöcke zu Null-Eigenwerten in J2, so gilt

T(I + (λ− c)(A + cB)−1B)T−1 =

(I 00 I

)+ (λ− c)

(J1 00 J2

)mit einer regulären Matrix T ∈ Cnx×nx . J1 und I− cJ2 sind regulär.

⇒(

I 00 I

)+ (λ− c)

(J1 00 J2

)=

(J1 00 I− cJ2

)((J−1

1 (I− cJ1) 00 I

)+ λ

(I 00 (I− cJ2)−1J2

)).

Da alle Eigenwerte von (I − cJ2)−1J2 verschwinden, folgt die Behauptung nach Transformation von(I− cJ2)−1J2 auf Jordansche Normalform.

Definition 1.8 Nilpotenz-IndexSei (1.3) die Normalform des (regulären) Matrixbüschels A + λB. Dann heißt

m : = max1≤i≤k

mi

Nilpotenz-Index von A + λB.

Bemerkung 1.9 Lineare DAEs mit konstanten Koeffizienten(a) Sei A + λB regulär und

Bx(t) + Ax(t) = d(t). (1.4)

⇔ PBQQ−1x(t) + PAQQ−1x(t) = Pd(t)

⇔ y(t) + Cy(t) = dy(t)Nz(t) + z(t) = dz(t)

}mit x = Q

(yz

), Pd =

(dy

dz

). Der algebraische Teil zerfällt in k Subsysteme

Niz[i](t) + z[i](t) = d

[i]z (t), (i = 1, . . . , k),

mit z[i](t) ∈ Rmi , vgl. Satz 1.7.

(b) Betrachte Nz(t) + z(t) = c(t) mit N =

0 1

0 1. . . . . .

0 10

∈ Rm×m.

zm(t) = cm(t)

zm(t) + zm−1(t) = cm−1(t)

...⇒ zm−1(t) = cm−1(t)− cm(t),

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1.3 Zugrundeliegendes System gewöhnlicher Differentialgleichungen

vgl. Beispiel 1.2 (c) (ii).

Allgemein: Multipliziere den l-ten Block im Ableitungsfeld (engl.: derivative array)

Nz(t) + z(t) = c(t)Nz(t) + z(t) = c(t)

...Nz(m)(t) + z(m−1)(t) = c(m−1)(t)

mit (−N)l−1, (l = 1, . . . ,m).

(−N)m−1N︸ ︷︷ ︸=(−1)m−1Nm=0

z(m)(t) + (−N)0z(t) =

m∑l=1

(−N)l−1c(l−1)(t)

z(t) =m−1∑l=0

(−N)lc(l)(t) (1.5)

Ergebnis: Für c ∈ Cm−1(I) ist die Lösung z ∈ C(I) durch (1.5) eindeutig bestimmt. KonsistenteAnfangswerte z0 = z(t0) müssen (1.5) erfüllen.

Anmerkung: Schwächere Glattheitsvoraussetzungen möglich: Nlc ∈ C l(I), (l = 0, 1, . . . ,m−1).

1.3 Zugrundeliegendes System gewöhnlicher Differentialgleichungen

Definition 1.10 DifferentiationsindexGegeben sei eine differential-algebraische Gleichung (1.1) mit hinreichend oft stetig differenzierbarerFunktion F. Zu einem gegebenen m ∈ N betrachtet man das Ableitungsfeld

0 = F(t,x(t), x(t))

0 = ddtF(t,x(t), x(t)) = Ft + Fxx + Fxx

...0 = dm

dtm F(t,x(t), x(t)) = . . .+ Fxx(m+1)

(1.6)

Wenn man aus (1.6) Gleichungen auswählen kann, die durch algebraische Umformungen auf die Gestalt

x(t) = ϕ(t,x(t)) (1.7)

gebracht werden können, und wenn m die kleinste natürliche Zahl mit dieser Eigenschaft ist, dannheißt m Differentiationsindex von (1.1).

Definition 1.11 Zugrundeliegendes System gewöhnlicher DifferentialgleichungenHat die differential-algebraische Gleichung (1.1) den Differentiationsindex m, so heißt (1.7) das (derDAE) zugrundeliegende System gewöhnlicher Differentialgleichungen (engl.: underlying ODE).

Bemerkung 1.12 Differentiationsindex (a) Für lineare Systeme mit konstanten Koeffizientensind Nilpotenz-Index und Differentiationsindex gleich, denn mit einem weiteren Differentiati-onsschritt lässt sich das Ableitungsfeld in Bemerkung 1.9 (b) auflösen nach

z(t) =m−1∑l=0

(−N)lc(l+1)(t).

(b) Die Lösungsdarstellung (1.5) zeigt, dass zur numerischen Lösung eines Index-m-Systems ≤ m−1Differentiationsschritte ausreichend sind. Kunkel und Mehrmann [9] betrachten die Transforma-tion von (1.1) auf eine strangeness-freie Form

f(t,x(t), x(t)) = 0g(t,x(t)) = 0

},

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1 Grundlagen

für die die Jacobimatrix(

fx(t,x, x)gx(t,x)

)regulär ist. Der zugehörige sog. Strangeness-Index ist meist

um Eins geringer als der Differentiationsindex.

(c) Häufig reicht es aus, statt des vollen Ableitungsfelds (1.6) nur die Ableitungen einzelner Glei-chungen von (1.1) zu betrachten. Für ein systematisches Vorgehen nutzt man graphentheoretischeHilfsmittel, z. B. Pantelides-Algorithmus (1988), [11].

(d) Unter geeigneten Glattheitsvoraussetzungen erfüllt die Lösung x(t) der DAE (1.1) alle Gleichun-gen des Ableitungsfelds (1.6). Notwendige Bedingung für die Lösbarkeit des Anfangswertproblems

x(t0) = x0, x(t0) = x0

für (1.1) ist deshalb die Existenz von Vektoren x[2]0 , . . . ,x

[m+1]0 , so dass

dl

dtlF(t,x(t), x(t))

∣∣∣∣∣( t=t0,x(t0)=x0,x(t0)=x0

dj

dtjx(t)∣∣t=t0

=x[j]0 , j=2,...,m

) = 0, (l = 0, 1, . . . ,m)

(konsistente Anfangswerte).

(e) Für differential-algebraische Gleichungen höherer Ordnung bestimmt man den Differentiations-index nach vorheriger Transformation in ein äquivalentes System erster Ordnung (1.1).

Beispiel 1.13 Mechanische Mehrkörpersysteme mit Zwangsbedingungen(a) Wird die Konfiguration eines mechanischen Systems durch Lagekoordinaten q ∈ Rnq beschrieben,

die gewissen Zwangsbedingungen

g(q(t)) = 0 mit g : Rnq → Rnλ und nλ ≤ nq

genügen müssen, so haben die Bewegungsgleichungen die allgemeine Form

M(q)q = f(q, q)−G>(q)λ0 = g(q)

}(1.8)

mit Lagrange-Multiplikatoren λ(t) ∈ Rnλ , einer symmetrischen, positiv definiten MassenmatrixM(q), einem Kraftvektor f(q, q) und der Zwangsmatrix G(q) : =(∂g/∂q)(q) mit rank G(q) = nλ(„Grübler-Bedingung“).

(b) Äquivalentes System erster Ordnung

0 = F(x, x) =

q− vM(q)v − f(q,v) + G>(q)λ

g(q)

mit x = (q,v,λ)> ∈ R2nq+nλ .

(c) (Reduziertes) Ableitungsfeld („versteckte“ Zwangsbedingungen)

0 =ddt

g(q(t)) =∂g

∂q(q(t))

dq

dt(t) = G(q(t))v(t) (1.9a)

0 =d2

dt2g(q(t)) = G(q(t))v(t) + gqq(q(t)) (v(t),v(t)) (1.9b)

mit gqq(q)(v,w) = ∂[G(q)v]∂q w, (w ∈ Rnq).(

M(q) G>(q)G(q) 0

)(vλ

)=

(f(q,v)

−gqq(q)(v,v)

)

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1.3 Zugrundeliegendes System gewöhnlicher Differentialgleichungen

0 =ddt

(M(q)v − f(q,v) + G>(q)λ

G(q)v + gqq(q)(v,v)

)=

(M(q) G>(q)G(q) 0

)︸ ︷︷ ︸regulär, vgl. Übung

(v

λ

)+ h(q,v,λ)

⇒ zugrundeliegendes System gewöhnlicher Differentialgleichungenqv

λ

=

v(M(q))−1(f(q,v)−G>(q)λ)

ϕλ(q,v,λ)

⇒ (1.8) hat (höchstens) den Differentiationsindex 3.

(d) Beispiel: mathematisches Pendel in kartesischen Koordinaten.

q1

q2

ggrav

q =

(q1

q2

)g(q) =

1

2

(q2

1 + q22 − l2

)G(q) =

(q1 q2

)mq1 = −q1λmq2 = −mggrav − q2λ

0 = 12

(q2

1 + q22 − l2

) (1.10)

Versteckte Zwangsbedingungen:

0 = q1q1 + q2q2

0 = q1q1 + q2q2︸ ︷︷ ︸G(q)

q1

q2

=G(q)v

+ q21 + q2

2︸ ︷︷ ︸gqq(q)(v,v)

Einsetzen von q1, q2 und Auflösen nach λ ergibt

λ = mq2

1 + q22 − q2ggravq2

1 + q22

(1.11)

Definition 1.14 Anfangswertproblem, konsistente Anfangswerte(a) Gibt es zu vorgegebenem t0 ∈ R ein a > 0 und ein x ∈ C1[t0 − a, t0 + a] mit

x(t0) = x0, x(t0) = x0

undF(t,x(t), x(t)) = 0, (t ∈ [t0 − a, t0 + a]),

so heißen die Anfangswerte x0, x0 konsistent (mit der differential-algebraischen Gleichung (1.1)im Punkt t = t0).

t

x

x0

t0 − a t0 t0 + a

x0

7

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1 Grundlagen

(b) Betrachte zur differential-algebraischen Gleichung (1.1) die Bedingungen

x(t0) = x0, x(t0) = x0 (∗)

für ein t0 ∈ I und konsistente Anfangswerte x0, x0. Die Funktion x ∈ C1(I) heißt

Lösung des Anfangswertproblems (∗),

wenn x die Gleichungen (1.1) für alle t ∈ I und die Anfangsbedingungen (∗) bei t = t0 erfüllt.

Beispiel 1.15 Mathematisches Pendel: Konsistente Anfangswerte(a) Konsistente Anfangswerte (q0, q0, λ0)> zu (1.10) müssen die Bedingungen

0 =1

2

(q2

0,1 + q20,2 − l2

)und 0 = q0,1q0,1 + q0,2q0,2

erfüllen, λ0 ergibt sich aus (1.11).

(b) In einer Umgebung der Gleichgewichtslage

q∗ = (0,−l)>

sind durch Vorgabe von q0,1, q0,1 die konsistenten Anfangswerte x0, x0 bereits vollständig be-stimmt:

q0,2 = −√l2 − q2

,1, q0,2 = −q0,1

q0,2q0,1, λ0 aus (1.11).

8

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2 Zeitintegration: Semi-expliziteIndex-1-Systeme

Bemerkung 2.1 AufgabenklasseDas differential-algebraische System

y = f(y, z)0 = g(y, z)

}(2.1)

heißt semi-explizit . Ist g stetig differenzierbar, so folgt

0 =ddt

g(y(t), z(t)) = gy(y, z)y + gz(y, z)z = [gyf ](y, z) + gz(y, z)z.

Ist gz(y, z) regulär, so ergibt sichz = −

[g−1

z gyf]

(y, z)

und damit Differentiationsindex 1. Für Lipschitz-stetige f , gy, gz zeigt man die lokal eindeutige Lös-barkeit des Anfangswertproblems

y(t0) = y0, z(t0) = z0

zu konsistente Anfangswerten y0, z0, (d. h. g(y0, z0) = 0). Ist gz(y, z) in einer Umgebung

Uγ : = {(η, ζ) : ‖η − y(t)‖+ ‖ζ − z(t)‖ ≤ γ für ein t0 ∈ [t0, te]}

t

η, ζ

t0 te

y0, z0

y(t), z(t)

einer Lösung (y(t), z(t)), (t ∈ [t0, te]), von (2.1) regulär und ‖g−1z (y, z)‖ gleichmäßig beschränkt auf

Uγ , so definiert 0 = g(y, z) nach dem Satz über die Implizite Funktion eine stetig differenzierbareFunktion G mit z(t) = G(y(t)), (t ∈ [t0, te]), und (2.1) ist äquivalent zum System gewöhnlicherDifferentialgleichungen

y = ϕ(y) : = f(y,G(y)) (2.2)

Bemerkung 2.2 Linear-implizite Systeme(a) Für reguläre Matrizen B ∈ Rnx×nx ist das linear-implizite System

Bx = w(x) (2.3)

äquivalent zum System gewöhnlicher Differentialgleichungen

x = ϕ(x)

mit Bϕ(x) = w(x).

9

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2 Zeitintegration: Semi-explizite Index-1-Systeme

(b) Für rang-defiziente Matrizen B ∈ Rnx×nx mit r : = rank B, 0 < r < nx, transformiert man Bmittels Gauß-Algorithmus mit Zeilen- und Spaltenvertauschung auf Trapezgestalt

PLBPR = L ·(

R1 R2

0 0

)mit Permutationsmatrizen PL, PR, einer unipotenten unteren Dreiecksmatrix L ∈ Rnx×nx , ei-ner regulären oberen Dreiecksmatrix R1 ∈ Rr×r und einer Matrix R2 ∈ Rr×(nx−r). ⇒ B =

S

(Ir 00 0

)T mit regulären Matrizen

S : = P−1L , T : =

(R1 R2

0 Inx−r

)RR−1.

Bx = w(x) ⇔ y = f(y, z)0 = g(y, z)

}mit

(yz

)= Tx,

(fg

)= S−1w, y ∈ Rr, z ∈ Rnx−r.

Index-1-Bedingung gz(y, z) regulär:

gz(y, z) =(0 Inx−r

)S−1wx(x)T−1

(0

Inx−r

)Konsistente Anfangswerte

w(x0) ∈ im B, Bx0 = w(x0)

Bemerkung 2.3 Singulär gestörte Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen(a) Betrachte

yε = f(yε, zε)εzε = g(yε, zε)

}(2.4)

mit einem kleinen Parameter ε > 0. Für ε → 0 wird der Koeffizient blockdiag(Iny , εInz) von(yε

)singulär.

singulär gestörte Probleme.

Gilt für alle Eigenwerte λi von gz(y, z) die Beziehung <λi[gz(y, z)] ≤ −β mit einem β > 0, sozeigt man

‖yε(t)− y0(t)‖ = O(ε)‖zε(t)− z0(t)‖ = ζ(t/ε) +O(ε)

}, (t ∈ [t0, te]),

mit einer Funktion ζ = ζ(τ), für die gilt ‖ζ(τ)‖ ≤ C e−βτ mit einer Konstante C > 0 undβ ∈ (0, β). Hierbei ist (y0, z0) die Lösung des reduzierten Problems

y0 = f(y0, z0)0 = g(y0, z0)

}(2.5)

mit konsistenten Anfangswerten y0(t0), z0(t0) und y0(t0) = yε(t0).

−β<λi

=λi

t0 te

z0(t0)

zε(t0) zε1(t)

ε2 < ε1ε3 < ε2

z0(t)t

z

10

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(b) Für Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen gibt es eine Vielzahl numerischer Lösungsver-fahren. ⇒ Direkter Zugang zur Konstruktion von Verfahren für semi-explizite Systeme (2.1):Betrachte in der Verfahrensvorschrift für (2.4) den Grenzübergang ε→ 0.

Beispiel: s-stufiges Runge-Kutta-Verfahren mit Gewichten bj und Runge-Kutta-Parametern aij ,(i, j = 1, . . . , s).

t0 tn tn+1 te

x0

xn+1

xn

x(t)

t

x

Zeitschritt tn → tn+1 = tn + h, xn 7→ xn+1 mit xn ≈ x(tn), xn+1 ≈ x(tn+1)

Xni − xnh

=s∑i=1

aijϕ(Xnj), (i = 1, . . . , s),

xn+1 − xnh

=s∑j=1

bjϕ(Xnj)

Hier: x =

(yε

),(

Iny

εInz

)ϕ(x) =

(f(yε, zε)g(yε, zε)

)

⇒ zεn+1 = zεn + hs∑j=1

bj ·1

εg(Yε

nj ,Zεnj)

mitZεni − zεn

h=

s∑j=1

aij1

εg(Yε

nj ,Zεnj), (i = 1, . . . , s). Ist die Runge-Kutta-Matrix A = (aij)

si,j=1

regulär, so sei A−1 = (wki)sk,i=1 ⇒

∑si=1wkiaij = δkj , (k, j = 1, . . . , s).

s∑i=1

wkiZεni − zεn

h=

s∑j=1

δkj1

εg(Yε

nj ,Zεnj) =

1

εg(Yε

nk,Zεnk)

⇒ zεn+1 =

1−s∑j=1

s∑i=1

bjwji

zεn +

s∑j=1

bjwjiZεni

g(Yεnj ,Z

εnj) = ε

s∑i=1

wjiZεni − zεn

h= 0, (ε→ 0)

Bezeichnung: Yεnj = f(Yε

nj ,Zεnj)

Yεni − yεnh

=

s∑j=1

aijYεnj , (i = 1, . . . , s)

yεn+1 − yεnh

=s∑j=1

bjYεnj

mitYεnj = f(Yε

nj ,Zεnj)

0 = g(Yεnj ,Z

εnj)

}, (j = 1, . . . , s).

11

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2 Zeitintegration: Semi-explizite Index-1-Systeme

Bemerkung 2.4 Linear-implizite Systeme (II)Die Transformation der linear-impliziten Systeme (2.3) auf semi-explizite Form (2.1), vgl. Bemer-kung 2.2, muss nicht ausgeführt werden, wenn Zeitintegrationsverfahren verwendet werden, die invari-ant gegenüber linearen Transformationen sind:

Bx = wy = f(y, z)0 = g(y, z)

BXnj = w(Xnj)Ynj = f(Ynj ,Znj)

0 = g(Ynj ,Znj)

Tx =

(yz

), w = S

(fg

)

Diskretisierung

Tx =

(yz

), w = S

(fg

)

Diskretisierung

Beispiel 2.5 One-leg-θ-Verfahrens = 1, a11 = θ mit θ ∈ (0, 1] w11 = 1

θ , b1 = 1.

Xn1 − xnh

= θXn1 mit BXn1 = w(Xn1)

xn+1 − xnh

= Xn1 ⇒ Xn1 = (1− θ)xn + θxn+1

xn+1 = xn + hXn1 mit BXn1 = w ((1− θ)xn + θxn+1)

Bxn+1 − xn

h= w ((1− θ)xn + θxn+1)

Semi-explizit:

yn+1 − ynh

= f ((1− θ)yn + θyn+1, (1− θ)zn + θzn+1)

0 = g ((1− θ)yn + θyn+1, (1− θ)zn + θzn+1)

Nichtlineares Gleichungssystem der Dimension ny + nz, Jacobimatrix(1hIny +O(1) O(1)O(1) θgz(yn, zn) +O(h)

)regulär für h ∈ (0, h0] und h0 � 1, falls gz(yn, zn) regulär.

2.1 Einschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme

Bemerkung 2.6 VerfahrensklasseGegeben sei das System (2.1)

y(t) = f(y(t), z(t))0 = g(y(t), z(t))

}mit regulärer Jacobimatrix gz(y, z).Zeitschritt: tn → tn+1 = tn + h

y(tn+1) = y(tn) +

∫ tn+1

tn

y(τ) dτ = y(tn) + h

∫ 1

0y(tn + sh) ds

= y(tn) + h ·∫ 1

0f (y(tn + sh), z(tn + sh)) ds, (τ : = tn + sh, dτ = h ds)

(nach Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung).

z(tn+1) = G (y(tn+1)) mit 0 = g (y,G(y))

12

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2.1 Einschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme

(nach dem Satz über die Implizite Funktion)Einschrittverfahren: yn ≈ y(tn), zn ≈ z(tn)

yn+1 = yn + hΦ(yn, zn; f ,g;h)zn+1 = Ψ(yn, zn; f ,g;h)

}(2.6)

mit Lipschitz-stetigen Verfahrensfunktionen Φ und Ψ, Lipschitz-Konstanten LΦ,y, LΦ,z, LΨ,y undLΨ,z.Beispiel: Implizite Runge-Kutta-Verfahren, vgl. Bemerkung 2.3(b)

zn+1 =

1−s∑

i,j=1

bjwji

zn +s∑

i,j=1

bjwjiZni mit Zni = Zni(yn, zn;h).

Lipschitz-Konstante LΨ,z = max∥∥∥∂zn+1

∂zn

∥∥∥0 = g (Yni(yn, zn;h),Zni(yn, zn;h))

0 = gy (yn +O(h), zn +O(h))∂Yni

∂zn+ gz (yn +O(h), zn +O(h))

∂Zni∂zn

mit regulärer Jacobimatrix

gz(yn, zn)

⇒∥∥∥∥∂Zni∂zn

∥∥∥∥ = O(1)

∥∥∥∥∂Yni

∂zn

∥∥∥∥ , (i = 1, . . . , s)

⇒ ∂Yni

∂zn= O(h)

s∑j=1

(∥∥∥∥∂Ynj

∂zn

∥∥∥∥+

∥∥∥∥∂Znj∂zn

∥∥∥∥) = O(h)

s∑j=1

∥∥∥∥∂Ynj

∂zn

∥∥∥∥ ,denn Yni = yn + h

s∑j=1

aijf(Ynj ,Znj).

Ergebnis:∂Yni

∂zn= O(h),

∂Zni∂zn

= O(h), (i = 1, . . . , s)

und analog∂Yni

∂yn= Iny +O(h),

∂Zni∂zn

= O(h), (i = 1, . . . , s).

⇒ Lipschitz-Konstanten LΦ,y, LΦ,z, LΨ,y = O(1) und

LΨ,z =

∣∣∣∣∣∣1−s∑

i,j=1

bjwji

∣∣∣∣∣∣+O(h)

Definition 2.7 Lokaler und globaler Fehler

(a) Der globale Fehler des Einschrittverfahrens (2.6) ist gegeben durch

εn,y : = yn − y(tn), εn,z : = zn − z(tn).

(b) Der lokale Fehler des Einschrittverfahrens (2.6) ist gegeben durch

len,y : = y(tn) + hΦ (y(tn), z(tn); f ,g;h)− y(tn+1),

len,z : = Ψ (y(tn), z(tn); f ,g;h)− z(tn+1).

13

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2 Zeitintegration: Semi-explizite Index-1-Systeme

t0 tn tn+1 te

y0

y(t)

yn

y(tn)

yn+1 ≈ y(tn+1)

yn + hΦ(y(tn), z(tn); . . .)

εn,y

len,y

t

y

Bemerkung 2.8 FehlerrekursionZum Einschrittverfahren (2.6) seien LΦ,y, LΦ,z, LΨ,y und LΨ,z die Lipschitz-Konstanten der Verfah-rensfunktionen Φ und Ψ bezüglich y beziehungsweise z.

εn+1,y = yn+1 − y(tn+1)

(2.6)= yn + hΦ(yn, zn; f ,g;h)− (y(tn) + hΦ (y(tn), z(tn); f ,g;h)) +

+ (y(tn) + hΦ (y(tn), z(tn); f ,g;h))− y(tn+1)︸ ︷︷ ︸len,y

‖εn+1,y‖ ≤ ‖yn − y(tn)‖+ h ‖Φ(yn, zn; f ,g;h)−Φ (y(tn), z(tn); f ,g;h)‖≤ (1 + LΦ,yh) ‖yn − y(tn)‖+ LΦ,z‖zn − z(tn)‖+ ‖len,y‖≤ (1 + LΦ,yh) ‖εn,y‖+ LΦ,zh‖εn,z‖+ ‖len,y‖

analog:‖εn+1,z‖ ≤ LΨ,y‖εn,y‖+ LΨ,z‖εn,z‖+ ‖len,z‖

Betrachte Lipschitz-Konstanten LΦ,y, LΦ,z, LΨ,y und LΨ,z in

Uγ : = {(η, ζ) : ‖η − y(t)‖+ ‖ζ − z(t)‖ ≤ γ für ein t ∈ [t0, te]}

für ein γ > 0 und wähle L ≤ 0 und α ≥ 0 so, dass LΦ,y, LΦ,z, LΨ,y ≤ L und LΨ,z ≤ α in Uγ

⇒(‖εn+1,y‖‖εn+1,z‖

)≤(

1 + Lh LhL α+ Lh

)︸ ︷︷ ︸

=: T(h)

(‖εn,y‖‖εn,z‖

)+

(‖len,y‖‖len,z‖

).

Verbleibt (yn, zn) für alle n ≥ 0 mit tn = t0 +nh ≤ te in Uγ(!), so folgt mittels vollständiger Induktion(‖εn,y‖‖εn,z‖

)≤ (T(h))n

(‖ε0,y‖‖ε0,z‖

)︸ ︷︷ ︸

=0

+

n−1∑m=0

(T(h))m(hMM

)(2.7)

mit M : = max0≤m≤n 1h‖lem,y‖+ max0≤m≤n‖lem,z‖.

Lemma 2.9 FehlerrekursionZu vorgegebenen nichtnegativen Konstanten L, M und α mit α < 1 gibt es Konstanten C ≥ 0, L ≥ 0und h0 > 0 so, dass ∥∥∥∥∥

n−1∑m=0

(1 + Lh LhL α+ Lh

)m(hMM

)∥∥∥∥∥1

≤ C eLnh ·M

für alle h ∈ (0, h0].

14

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2.1 Einschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme

Beweis. Übungen

Definition 2.10 Konsistenzordnung, Konvergenzordnung(a) Das Einschrittverfahren (2.6) hat die Konsistenzordnung p, wenn die lokalen Fehler für hinrei-

chend oft stetig differenzierbare Funktionen f und g die Bedingungen

‖len,y‖ = O(hp+1), ‖len,z‖ = O(hp)

erfüllen.

(b) Das Einschrittverfahren (2.6) hat die Konvergenzordnung p, wenn die globalen Fehler für hin-reichend oft stetig differenzierbare Funktionen f und g und für alle n ≥ 0 mit t0 + nh ≤ te dieBedingung

‖εn,y‖+ ‖εn,z‖ = O(hp)

erfüllen.

Satz 2.11 Konvergenz von EinschrittverfahrenErfüllt ein Einschrittverfahren (2.6) der Konsistenzordnung p die Kontraktivitätsbedingung LΨ,z < 1,so konvergiert es mit Ordnung p.

Beweis. Konsistenzordnung p ⇒ M ≤ CMhp in (2.7). Für tn = t0 + nh ∈ [t0, te] schätzt man in

Lemma 2.9 den Faktor eLnh nach oben ab durch eL(te−t0) ⇒ ‖εn,y‖ + ‖εn,z‖ ≤ C · CM · eL(te−t0) hp,falls tn ∈ [t0, te], h ∈ (0, h0] und ‖εm,y‖ + ‖εm,z‖ ≤ γ, (0 ≤ m < n). Wählt man h0 ∈ (0, h0] so, dassCCM eL(te−t0) hp ≤ γ, so folgt mittels vollständiger Induktion

‖εn,y‖+ ‖εn,z‖ ≤ γ, (tn ∈ [t0, te]),

und hieraus die Behauptung (vgl. Übungen).

Beispiel 2.12 Halb-explizite Runge-Kutta-VerfahrenExplizite Runge-Kutta-Verfahren: aij = 0, (j ≥ i) Stufenvektoren können (für x = ϕ(x)) nachein-ander berechnet werden:

Xn1 = xn,

Xn2 = xn + ha21Xn1 = xn + ha21ϕ(Xn1),

Xn3 = xn + ha31ϕ(Xn1) + ha32ϕ(Xn2), . . .

Yni = yn + h∑i−1

j=1 aij f(Ynj ,Znj)︸ ︷︷ ︸=Ynj0 = g(Yni,Zni)

}(i = 1, . . . , s),

yn+1 = yn +s∑j=1

bjf(Ynj ,Znj)

Definition von zn+1?

(a) 0 = g(yn+1, zn+1)

(b) zn+1 =

s∑j=1

µjZnj mit geeigneten Parametern µ1, µ2, . . . , µs.

Verfahren (a):

• Klassische Konvergenzordnung, da

Zni = G(Yni), zn+1 = G(yn+1), f(Ynj ,Znj) = f(Ynj ,G(Ynj)) = ϕ(Ynj),

vgl. (2.2).

15

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2 Zeitintegration: Semi-explizite Index-1-Systeme

• Kontraktivitätsbedingung: LΨ,z = O(h), da Ψ(yn, zn; f ,g;h) = Ψ(yn+1, zn+1; f ,g;h) und

∂yn+1

∂zn= h

∂Φ

∂zn(yn, zn; f ,g;h) = O(h).

Praktische Implementierung: Endlich viele Schritte des vereinfachten Newtonverfahrens zur Lösungvon 0 = g(Yn, ζ). Startwerte?

Zn1 : = zn,

i = 2, . . . , s : Z(0)ni : =

i−1∑j=1

νijZnj , Zni = Z(κi)ni

mit gz(yn, zn)(Z

(k+1)ni − Z

(k)ni

)= −g(Yni,Z

(k)ni ), (k ≥ 0).

z(0)n+1 : =

s∑j=1

µjZnj , zn+1 : = z(κs+1)n+1

mit gz(yn, zn)(z

(k+1)n+1 − z

(k)n+1

)= −g(yn+1, z

(k)n+1), (k ≥ 0). Optimale Wahl von νij , µj , κi?

Untersuchung des lokalen Fehlers mittels Taylorentwicklung.

Bemerkung 2.13 Taylorentwicklung der analytischen Lösung

y = f(y, z)0 = g(y, z)

}, gz(y, z) regulär Implizite

========⇒Differentiation

0 = gyy + gzzz(t) = −[g−1

z gyf ](y(t), z(t))

(y = f(y, z): ) Und für höhere Ableitungen erhält man

y(t) =ddt

y(t) =ddt

f(y(t), z(t)) = fyy + fzz =fyf − fzg

−1z gyf

ddt

(gyy + gzz) = gyy(y, y) + gyy + 2gyz(y, z) + gzz(z, z) + gzz

z =

−g−1z gyy(f , f) −g−1

z gyfyf +g−1z gyfzg

−1z gyf

−2g−1z gyz(f ,−g−1

z gyf) −g−1z gzz(−g−1

z gyf ,−g−1z gyf)

und so weiter. Systematische Erstellung der Taylorentwicklung unter Verwendung graphentheoretischerHilfsmittel (Baummodell)

z(t+ h) = z(t) + hz(t) +h2

2z(t) +O(h3).

Bemerkung 2.14 Taylorentwicklung der numerischen Lösung(a) Sind die Taylorentwicklungen von Znj , (j = 1, . . . , i − 1), bekannt, so ergibt sich die Taylorent-

wicklung von Z(0)ni =

∑i−1j=1 νijZnj durch Linearkombination

(∑i−1j=1 νij = 1

).

16

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2.1 Einschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme

(b) Ist ‖Yni − yn‖+ ‖Z(0)ni − zn‖ = O(h) mit ‖g(yn, zn)‖ = O(h), so folgt aus

gz(yn, zn)(Z

(k+1)ni − Z

(k)ni

)= −g(Yni,Z

(k)ni ),

dass ‖g(Yni,Z(k+1)ni ) = O(h) · ‖g(Yni,Z

(k)ni )‖, denn

g(Yni,Z(k+1)ni ) = g(Yni,Z

(k)ni ) + gz(Yni,Z

(k)ni )

(Z

(k+1)ni − Z

(k)ni

)+O(‖Z(k+1)

ni − Z(k)ni ‖2)

= −gz(yn, zn)(Z

(k+1)ni − Z

(k)ni

)+ gz(Yni,Z

(k)ni )

(Z

(k+1)ni − Z

(k)ni

)+O(‖Z(k+1)

ni − Z(k)ni ‖2)

= O(h) · ‖Z(k+1)ni − Z

(k)ni ‖ = O(h)‖g(Yni,Z

(k)ni )‖,

denn

Z(k+1)ni − Z

(k)ni = −g−1

z (yn, zn)g(Yni,Z(k)ni ) = O(1)‖g(Yni,Z

(k)ni )‖

= O(1)(‖g(yn, zn)‖︸ ︷︷ ︸

=O(h)

+O(h))

= O(h).

(c) Sei Znj = z(tn)−hZnj( )

[g−1z gyf ](y(tn), z(tn))+O(h2), so ist Zn1

( )= 0, denn Zn1 = zn =

z(tn) und

Zni( )

=

{∑i−1j=1 νijZnj

( ), falls κi = 0,∑i−1

j=1 aij , falls κi ≥ 1,

sofern∑i−1

j=1 νij = 1, (i = 1, . . . , s), denn dann gilt Zni = z(tn) +O(h)

⇒ f(Yni,Zni) = f(y(tn), z(tn)) +O(h),

⇒ Yni = y(tn) + h

i−1∑j=1

aijf(Ynj ,Znj)

= y(tn) + h

i−1∑j=1

aijf(y(tn), z(tn)) +O(h2)

≈ y

tn +i−1∑j=1

aij · h

+O(h2),

also nach (b) auch

Zni = z

tn +

i−1∑j=1

aij · h

+O(h2) = z(tn) + h

i−1∑j=1

aij z(tn) +O(h2).

Bemerkung 2.15 Konsistenzbedingungen und Konvergenz

p = 1:s∑i=1

bi = 1

p = 2: Lokale Fehler O(h3) in y und O(h2) in z, vgl. Definition 2.10a)s∑i=1

biaij =1

2, kurz

s∑i=1

bici =1

2mit ci : =

i−1∑j=1

aij , c1 : = 0

s∑i,j=1

bia∗ij =

1

2mit a∗ij : =

{∑i−1k=j+1 νikakj , falls κi = 0,

aij sonst.s∑

i,j=1

µia∗ij = 1 oder κs+1 ≥ 1, vgl. [2]

17

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2 Zeitintegration: Semi-explizite Index-1-Systeme

Ist κs+1 ≥ 1 und h > 0 ausreichend klein, so ist die Kontraktivitätsbedingung LΨ,z < 1 aus Satz 2.11stets erfüllt, wenn

z(k+1)n+1 = z

(k)n+1 − g−1

z (yn, zn)g(yn+1, z(k)n+1), (k ≥ 0)

⇒ ∂z(k+1)n+1

∂zn=∂z

(k)n+1

∂zn− ∂

∂zn

(g−1

z (yn, zn) g(η, ζ)︸ ︷︷ ︸=O(h),

denn∑

i µi = 1

)∣∣∣∣η=yn+1,ζ=z

(k)n+1

− g−1z (yn, zn)

(gy(yn+1, z

(k)n+1)

∂yn+1

∂zn︸ ︷︷ ︸=O(h)

+gz(yn+1, z(k)n+1)

∂z(k)n+1

∂zn

)

= g−1z

(gz(yn, zn)− gz(yn+1, z

(k)n+1)︸ ︷︷ ︸

=O(h)

) ∂z(k)n+1

∂zn︸ ︷︷ ︸=O(1)

+O(h)

= O(h)

Beispiel 2.16 Halb-explizite Runge-Kutta-VerfahrenSeien

∑i−1j=1 aij = ci,

∑i−1j=1 νij = 1, (i = 2, . . . , s),

∑sj=1 µj = 1.

p = s = 1: b1 = 1, µ1 = 1, κ2 ≥ 1

p = s = 2:s∑i=1

bicki =

1

k + 1, (k = 0, 1), ν21 = 1, µ1 + µ2 = 1, µ2 =

1

c2, κ2 ≥ 1, κ2 ≥ 1

p = s = 3:s∑i=1

bicki =

1

k + 1, (k = 0, 1, 2), b3a32c2 =

1

6, ν21 = 1, ν31 + ν32 = 1, ν32 =

c3

c2,

µ1 + µ2 + µ3 = 1

mit µ2 =1− µ3c3

c2und µ3 ∈ R beliebig, κ2 ≥ 2 (b2 = 0, κ2 ≥ 1), κ3 ≥ 1, κ4 ≥ 1.

2.2 Lineare Mehrschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme

Bemerkung 2.17 Lineare Mehrschrittverfahren(a) Ein lineares k-Schritt-Verfahren verwendet k ≥ 1 Startwerte x−j : = x(t0− jh), (j = 0, 1, . . . , k−

1), um rekursiv mittels

k∑j=0

αjxn+1−j = hk∑j=0

βjϕ(xn+1−j), (n ≥ 0) (2.8)

eine numerische Lösung xn+1 ≈ x(tn+1) des Anfangswertproblems

x(t) = ϕ(x(t)), (t ∈ [t0, te]), x(t0) = x0

zu bestimmen

t−(k−1) t−1 t0 tn−(k−1) · · · tn−1 tn tn+1

x0

xn

xn+1

t

x

Verfahrensparameter: k, αj , βj , (j = 0, 1, . . . , k) mit α0 6= 0, α2k + β2

k > 0

Startwerte:

18

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2.2 Lineare Mehrschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme

• oft auch xj ≈ x(t0 + jh), (j = 0, 1, . . . , k − 1), so dass Berechnung erst mit xn+1 = xkbeginnt (n ≥ k − 1),

• Bestimmung z. B. mittels eines Runge-Kutta-Verfahrens,

• professionelle Software: „selbststartend“, d. h., beginnend mit k = 1 im ersten Integrations-schritt (n = 0) wird k schrittweise erhöht (sehr) kleine Schrittweiten h in den erstenIntegrationsschritten, Schrittweitensteuerung.

(b) Lokaler (Abbruch-) Fehler: Einsetzen der analytischen Lösung

x = x(t)

in die Verfahrensvorschrift (2.8):

ln : =k∑j=0

αjx(t0 + (n+ 1− j)h︸ ︷︷ ︸=tn+1−j

)− hk∑j=0

βj ϕ(x(t0 + (n+ 1− j)h))︸ ︷︷ ︸=x(tn+1−j)

Taylorentwicklung in tn−(k−1) = t0 + (n− (k − 1))h

⇒ ln =

k∑j=0

αj∑r≥0

drxdtr

(tn−(k−1))(k − j)r

r!hr − h

k∑j=0

βj∑r≥0

dr+1x

dtr+1(tn−(k−1))

(k − j)rr!

hr︸ ︷︷ ︸=∑k

j=0 βj∑

r≥1drxdtr

(tn−(k−1))(k−j)r−1

(r−1)!hr

Koeffizientenvergleich für hr:

r = 0 :

k∑j=0

αj!

= 0,

r > 0 :1

r!

k∑j=0

αj(k − j)r − rk∑j=0

βj(k − j)r−1

!= 0

(c) Explizite Verfahren: β0 = 0, sonst: Implizite Verfahren, Bestimmung von xn+1 als Lösung einesnichtlinearen Gleichungssystems („Korrektorgleichungen“).

Bemerkung 2.18 Erweiterung auf semi-explizite Index-1-Systeme

(a) Direkter Zugang:

x =

(yz

), ϕ =

(f

1εg

), ε→ 0

∑kj=0 αjyn+1−j = h

∑kj=0 βjf(yn+1−j , zn+1−j)

0 =∑k

j=0 βjg(yn+1−j , zn+1−j)

}(2.9)

formal: g(yn+1−j0 , zn+1−j0) = 0, falls g(yj , zj) = 0, (j = 0, 1, . . . , k − 1) und β0 = β1 = · · · =βj0−1, βj0 6= 0.

(b) Indirekter Zugang:k∑j=0

αjyn+1−j = h

k∑j=0

βjyn+1−j mit

yn+1 = f(yn+1, zn+1)0 = g(yn+1, zn+1)

}

19

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2 Zeitintegration: Semi-explizite Index-1-Systeme

Bemerkung 2.19 Gekoppelte Fehlerrekursion(a) Setzt man in (2.9) die analytische Lösung (y(tn+1−j), z(tn+1−j)) ein, so verbleibt ein Residuum(

leyn

0

)

⇒k∑j=0

αj εn+1−j,y = O(h)k∑j=0

(‖εn+1−j,y‖+ ‖εn+1−j,z‖)− leyn,

0 = O(1)k∑j=0

(‖εn+1−j,y‖+ ‖εn+1−j,z‖) + gz(y(tn), z(tn))k∑j=0

βj εn+1−j,z,

falls ‖εm,y‖+ ‖εm,z‖ ≤ C · h, (m ≥ 0), für eine geeignet gewählte Konstante C > 0.

(b) Sei

Eyn : =

εn,yεn−1,y

...εn−(k−1),y

∈ Rkny , Ezn : =

εn,zεn−1,z

...εn−(k−1),z

∈ Rknz ,

so gilt für implizite Verfahren (β0 6= 0):

Eyn+1−A⊗Ey

n = O(h) (‖Eyn‖+ ‖Ez

n‖) +O(1)‖leyn‖,

Ezn+1−B⊗Ez

n = O(1)‖Eyn‖+O(h)‖Ez

n‖mit

A⊗ =

−α1α0−α2α0· · · −αk−1

α0−αkα0

1 0 · · · · · · 00 1 · · · · · · 0...

.... . . 0

0 0 · · · 1 0

︸ ︷︷ ︸

=: A∈Rk×k

⊗Iny ∈ Rkny×kny ,

B⊗ =

−β1β0−β2β0· · · −βk−1

β0−βkβ0

1 0 · · · · · · 00 1 · · · · · · 0...

.... . . 0

0 0 · · · 1 0

︸ ︷︷ ︸

=: B∈Rk×k

⊗Inz ∈ Rknz×knz .

Beachte: Ist J = blockdiag(J1, . . . ,Jr) die Jordansche Normalform einer Matrix S ∈ Rk×k, soist

J⊗ = blockdiag(J1, . . . ,J1︸ ︷︷ ︸n-mal

,J2, . . . ,J2︸ ︷︷ ︸n-mal

,J3, . . . ,Jk−1,Jk, . . . ,Jk︸ ︷︷ ︸n-mal

)

die Jordansche Normalform von S⊗ In. Also existiert zu jedem ε > 0 eine mit einer Vektornorm‖·‖ε verträgliche Matrixnorm ‖·‖ε, so dass

‖S‖ε ≤ max {max{|λi| : ni = 1},max{|λi| : ni > 1}+ ε} ,wobei ni die Dimension des Jordanblocks

Ji =

λi 1

λi 1. . . . . .

. . . 1λi

bezeichnet, vgl. Übung.

20

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2.2 Lineare Mehrschrittverfahren für semi-explizite Index-1-Systeme

Definition 2.20 (Starke) WurzelbedingungEin Polynom p(ζ) erfüllt die Wurzelbedingung , falls

p(ζ) = 0 ⇒ |ζ| ≤ 1 und p(ζ) = p′(ζ) = 0 ⇒ |ζ| < 1.

Es erfüllt die starke Wurzelbedingung , falls

p(ζ) = 0 ⇒ |ζ| < 1.

Satz 2.21 Konvergenz von linearen Mehrschrittverfahren

(a) Ein lineares Mehrschrittverfahren mit

k∑j=0

αj = 0,k∑j=0

αj(k − j)r =1

r

k∑j=0

βj(k − j)r−1, (r = 1, 2, . . . , p) (2.10)

hat einen lokalen Abbruchfehler leyn = O(hp+1).

(b) Erfüllt ein implizites lineares Mehrschrittverfahren

• für ρ(ζ) : =

k∑j=0

αjζj die Wurzelbedingung und

• für σ(ζ) : =k∑j=0

βjζk−j die starke Wurzelbedingung

und die Konsistenzbedingung (2.10), so konvergiert es bei Anwendung auf semi-explizite Index-1-Systeme (2.1) mit Ordnung p, sofern die Startwerte die Bedingung

‖y−j − y(t0 − jh)‖+ ‖z−j − z(t0 − jh)‖ = O(hp), (j = 0, 1, . . . , k − 1)

erfüllen.

Beweis. (a) mittels Taylorentwicklung, vgl. Bemerkung 2.17(b)

(b) Entwickelt man für die Matrizen A,B ∈ Rk×k aus Bemerkung 2.19(b) die Determinanten vonλIk −A und λIk −B, so folgt

det(λIk −A) =1

α0ρ(λ), det(λIk −B) =

1

β0σ(λ),

also existieren nach Bemerkung 2.19(b) wegen der (starken) Wurzelbedingung für ρ und σ Normen‖·‖y und ‖·‖z mit ‖A⊗‖y ≤ 1, ‖B⊗‖z < 1 und man erhält (vgl. Übung)

‖εn,y‖+ ‖εn,z‖ ≤ C eL(tn−t0)

(‖Ey

0‖+ ‖Ez0‖+ max

0≤m≤n1

h‖ley

m‖)

= O(hp),

falls tn ∈ [t0, te].

21

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3 Differential-algebraische Gleichungenhöheren Indexes

3.1 Systeme in Hessenbergform

Definition 3.1 HessenbergformEin semi-explizites differential-algebraisches System

x[1] = F[1](t,x[1],x[2], . . . ,x[m−1],x[m]),

x[k] = F[k](t,x[k−1],x[k], . . . ,x[m−1]), (k = 2, 3, . . . ,m− 1)...

...0 = F[m](t,x[m−1])

(3.1)

hat Hessenbergform der Größe m, (m ≥ 2), wenn F : =

F[1]

F[2]

...F[m]

stetig differenzierbar ist und

∂F[m]

∂x[m−1]· ∂F[m−1]

∂x[m−2]· · · ∂F[2]

∂x[1]

∂F[1]

∂x[m]

in einer Umgebung der Lösung

x(t) : =

x[1](t)

x[2](t)...

x[m](t)

regulär ist.

Beispiel 3.2 Systeme in Hessenbergform

(a) Mit m = 2, x[1] =: y, x[2] =: z erhält man

y = f(y, z)0 = g(y).

}(3.2)

Ist ∂g∂y (y) · ∂f

∂z(y, z) regulär, so hat (3.2) Hessenbergform der Größe m = 2.

Versteckte „Zwangsbedingungen“:

0 =ddt

g(y(t)) =∂g

∂y(y(t)) · dy

dt(y) = [gyf ](y, z)

Ist gyfz regulär, so lässt sich diese Gleichung (formal) nach z auflösen; der Differentiationsindexist (höchstens) zwei.

Das Index-2-System (3.2) ist analytisch äquivalent zu dem semi-expliziten Index-1-System (2.1):

y = f(y, z)0 = [gyf ](y, z)

}

23

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3 Differential-algebraische Gleichungen höheren Indexes

(b) Differential-algebraisches System in Hessenbergform der Größe m = 3:

x[2] : = y, x[1] : = z, x[3] : = u

y = f(y, z)z = k(y, z,u)0 = g(y)

(3.3)

mit regulärer Matrix [gyfzku](y, z,u) Differentiationsindex (≤)3.

System (3.3) ist analytisch äquivalent zum Index-2-System (3.2): Ersetze 0 = g(y(t)) durch

0 =ddt

g(y(t)) =∂g

∂y(y(t))

dy

dt(t) = [gyf ](y, z)

y = f(y, z)z = k(y, z,u)0 = [gyf ](y, z)

Spezialfall: Bewegungsgleichungen (1.8) von mechanischen Mehrkörpersystemen mit

q = v

v = [M−1fMKS](q,v)− [M−1G>](q) · λ0 = g(q)

y : = q, z : = v, u : =λ, f(y, z) = v, k(y, z,u) = M−1fMKS −M−1G>λ.

[gyfzku](y, z,u) = gq(q) · I ·(−[M−1G>](q)

)= −[GM−1G>](q)

regulär, falls M−1 symmetrisch, positiv definit und rank G = nλ.

(c) Ersetzt man für m ≥ 3 in einem System in Hessenbergform der Größe m die algebraischenGleichungen 0 = F[m](t,x[m−1]) durch 0 = d

dtF[m](t,x[m−1]), so ergibt sich ein äquivalentes

System in Hessenbergform der Größe m− 1.

(d) Beachte: Das Systemy = f(y, s, z),0 = s− h(y),0 = g(y)

mit regulärer Matrix [gyfz](y,h(y), z) ist äquivalent zu (3.2) mit f(y, s, z) = f(y,h(y), z) hataber selbst keine Hessenbergform.

Bemerkung 3.3 Systeme in HessenbergformDie spezielle Struktur von Systemen in Hessenbergform ermöglicht es, Existenz- und Eindeutigkeits-aussagen für Anfangswertprobleme mittels analytischer Transformationen zu beweisen.Beispiel: Ersetze für m = 2 die Gleichung g(y) = 0 durch [gyf ](y, z) = 0. Dies liefert ein Index-1-System (2.1). Eindeutige Lösbarkeit für konsistente Anfangswerte: g(y0) = 0, [gyf ](y0, z0) = 0.m = 3: Ersetze g(y) = 0 durch [gyf ] = 0, um ein äquivalentes System (3.2) zu erhalten. KonsistenteAnfangswerte

g(y0) = 0, [gyf ](y0, z0) = 0, [gyy(f , f) + gyfyf + gyfzku](y0, z0,u0) = 0.

24

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3.2 Sensitivitätsanalyse

3.2 Sensitivitätsanalyse

Beispiel 3.4 Implizites Euler-Verfahren für Index-2-Systeme(a) Implizites Euler-Verfahren: Runge-Kutta-Verfahren mit s = 1, b1 = a11 = 1, Xn1 = xn+1.

In Analogie zu Bemerkung 2.3 (b) definiert man für (3.2) das implizite Euler-Verfahren durch

yn+1−yn

h = f(yn+1, zn+1),0 = g(yn+1)

}(b) Beispielproblem:

y1 = z1,y2 = z2,y3 = y2z1 − y1z2 + µ(z2

1 + z22),

0 = y1,0 = y2

(3.4)

mit einem reellen Parameter µ und Anfangswerten y(0) = (0, 0, 0)>, z(0) = (0, 0)>.

Wegen gy =

(1 0 00 1 0

), fz =

1 00 1∗ ∗

ist gyfz = I2 regulär und (3.4) hat den Differentiations-

index 2, die Anfangswerte sind konsistent.

(c) Betrachte zum impliziten Euler-Verfahren für (3.4) Folgen (yn), (zn) mit

yn =

θ sin(nπ/2)θ cos(nπ/2)

nh(θDh + 2µD2h)

, zn =

(cos(2n− 1)π4− sin(2n− 1)π4

)

und kleinen Störungsparametern δ > 0, θ > 0, Dh : = δ + θh . Das implizite Euler-Verfahren löst

(3.4) exakt, d. h., für yn : = = y(tn) = (0, 0, 0)>, zn : = = z(tn) = (0, 0)> gilt in (3.4)

yn+1−yn

h = f(yn+1, zn+1)0 = g(yn+1).

}Für die gestörten Folgen (yn), (zn) gilt hingegen

yn+1 − ynh

= f(yn+1, zn+1)−√

cos(2n+ 1)π/4− sin(2n+ 1)π/4

0

,

θ

(sinnπ/2cosnπ/2

)= g(yn+1),

d. h., Residuen g(yn) in der Größenordnung O(θ) führen zu Fehlern O(

1hθ

2 + µ(

1h · θ

)2) in den

differentiellen Lösungskomponenten yn und zu Fehlern O(

1hθ)in den algebraischen Lösungskom-

ponenten z.

(d) Das Fehlerwachstum in der numerischen Lösung für h → 0 entspricht einer unstetigen Abhän-gigkeit der analytischen Lösung (y(t), z(t)) von kleinen Störungen der algebraischen Gleichungeng(y) = 0:

Betrachte Funktionen

y(t) =

ε sinωtε cosωt

t(ε(εω + δ) + µ(εω + δ)2) + δt

, z(t) =

((εω + δ) cosωt,−(εω + δ) sinωt

)

mit kleinen Parametern δ > 0, ε > 0 und einer (großen) Frequenz ω > 0.

25

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3 Differential-algebraische Gleichungen höheren Indexes

Residuen

˙y − f(y, z) =

−δ cosωtδ sinωt

0

, g(y) = ε

(sinωtcosωt

)Beachte: Für festes ε > 0 wachsen y(t)− y(t) und z(t)− z(t) unbeschränkt für ω →∞.

Definition 3.5 StörungsindexZu einem gegebenen differential-algebraischen System (1.1) mit Lösung x : [t0, te] → Rnx betrachtetman beliebige Funktionen x : [t0, te]→ Rnx , die

F(t, x(t), ˙x(t)) = δ(t), (t ∈ [t0, te]) (3.5)

erfüllen. Gibt es ein m ∈ N und eine Konstante C > 0 so, dass für t ∈ [t0, te] stets

‖x(t)− x(t)‖ ≤ C(‖x(t0)− x(t0)‖+

m∑l=0

maxτ∈[t0,t]

∥∥∥∥∥ dl

dτ l

∫ τ

t0

δ(s) ds

∥∥∥∥∥)

(3.6)

gilt, wenn δ ∈ Cm−1[t0, te] ist und die rechte Seite von (3.6) hinreichend klein ist, und ist m die kleinsteZahl mit dieser Eigenschaft, so heißt m Störungsindex von (1.1) entlang der Lösung x(t).

Bemerkung 3.6 Störungsindex

(a) Es gilt

m∑l=0

maxτ∈[t0,te]

∥∥∥∥∥ dl

dτ l

∫ τ

t0

δ(s) ds

∥∥∥∥∥ = maxτ∈[t0,te]

∥∥∥∥∫ τ

t0

δ(s) ds∥∥∥∥+

m∑l=1

maxτ∈[t0,te]

∥∥∥∥∥ dl−1

dτ l−1δ(τ)

∥∥∥∥∥und ∥∥∥∥∫ τ

t0

δ(s) ds∥∥∥∥ ≤ ∫ τ

t0

‖δ(s)‖ ds ≤ (τ − t0) maxs∈[t0,τ ]

‖δ(s)‖

⇒ stetige Abhängigkeit der Lösung von Störungen für m ≤ 1, sonst kann ‖x(t) − x(t)‖ (sehr)viel größer sein als maxτ‖δ(τ)‖.

(b) Für Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen mit Lipschitz-stetiger rechter Seite gilt (3.6)mit m = 0, also ist der Störungsindex m = 0:

x(t) = ϕ(t,x(t)),

˙x(t) = ϕ(t, x(t)) + δ(t)

x(t)− x(t) = x(t0)− x(t0) +

∫ t

t0

(˙x(τ)− x(τ)

)dτ

= x(t0)− x(t0) +

∫ t

t0

(ϕ(τ, x(τ)) + δ(τ)−ϕ(τ,x(τ))) dτ

‖x(t)− x(t)‖ ≤M +

∫ t

t0

L ‖x(τ)− x(τ)‖ dτ =:ψ(t)

mitM : =‖x(t0)−x(t0)‖+maxτ∈[t0,t]

∥∥∥∫ τt0 δ(s) ds∥∥∥. Es gelten ψ ∈ C1[t0, te], ψ = L‖x(t)−x(t)‖ ≤

ψ(t), also (vgl. Übung) ψ(t) ≤ eL(t−t0)ψ(t0)︸ ︷︷ ︸=0

(c) Der Störungsindex eines linearen Systems (1.4) mit konstanten Koeffizienten ist gleich dem Nil-potenzindex des Matrixbüschels A + λB und damit gleich dem Differentiationsindex, denn

B ˙x(t) + Ax(t) = b(t) + δ(t)

26

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3.2 Sensitivitätsanalyse

lässt sich wie in Bemerkung 1.9 in einen differentiellen Teil (mit Störungsindex 0) und einenalgebraischen Teil

Nˆz(t) + z(t) = c(t) + δ(t)

mit N =

0 10 0 1

. . . . . .. . . 1

0

∈ Rm×m zerlegen. Wie in (1.5) erhält man

z(t)− z(t) =m−1∑l=0

(−N)lδ(l)

(t)

und damit den Störungsindex m.

Lemma 3.7 Störungsindex von Systemen in Hessenbergform

(a) Ist für ein semi-explizites Systemy = f(y, z)0 = g(y, z)

}die Jacobimatrix gz(η, ζ) entlang einer Lösung (y(t), z(t)) regulär, so hat das System untergeeigneten Glattheitsvoraussetzungen an f und g den Störungsindex 1.

(b) Systeme in Hessenbergform der Größe m ≥ 2 haben unter geeigneten Glattheitsvoraussetzungensowohl den Differentiationsindex m als auch den Störungsindex m.

Beweis. (a) Betrachte y, z mit˙y(t) = f(y(t), z(t)) + δ(t)θ(t) = g(y(t), z(t))

}mit hinreichend kleinen Störungen δ(t) und θ(t). Nach dem Satz über die implizite Funktion gibtes eine Funktion G = G(y,θ) mit g(y,G(y,θ)) = θ

⇒ z(t) = G(y(t),θ(t)),

z(t) = G(y(t),0)

⇒ ˙y(t) = f(y(t),θ(t)) + δ(t)

y(t) = f(y(t),G(y(t),0))

und die Behauptung folgt analog zu Bemerkung 3.6b)

(b) Ersetzt man für ein System in Hessenbergform (3.1) die algebraische Gleichung

0 = F[m](t,x[m−1](t))

durch ihre Zeitableitung, so erhält man

• für m = 2 ein analytisch äquivalentes semi-explizites Index-1-System (2.1),

• für m > 2 ein analytisch äquivalentes System in Hessenbergform der Größe m − 1, vgl.Übung.

Hieraus folgt mittels vollständiger Induktion, dass sich ein System in Hessenbergform der Größem durch (m − 1)-maliges Differenzieren in ein analytisch äquivalentes semi-explizites Index-1-System überführen lässt. Deshalb folgt die Behauptung aus a).

27

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3 Differential-algebraische Gleichungen höheren Indexes

Beispiel 3.8 Störungsindex eines linear-impliziten SystemsBetrachte

y2y1 − y1y2 − y3 = 0y1 = 0y2 = 0

(3.7)

und Funktionen

y(t) =

ε sinωtε cosωtε2ωt

.

Es gilt

y2˙y1 − y1

˙y2 − ˙y3 = 0

y1 = ε sinωt = O(ε)

y2 = ε cosωt = O(ε),

aber y3(t)−y3(t) = O(ε2ω) bleibt für y3(0) = 0 und ω →∞ nicht gleichmäßig bezüglich ε beschränkt.Durch Transformation in Hessenbergform

y1 = z1

y2 = z2

y3 = y2z1 − y1z2

y1 = 0y2 = 0

zeigt man, dass (3.7) den Störungsindex m = 2 hat. Der Differentiationsindex von (3.7) ist hingegend.i. = 1.

Bemerkung 3.9 Störungsindex und Differentiationsindex

(a) Unter Verwendung des Ableitungsfelds zu

F(t,x(t),y(t)) = 0x(t) = y(t)

}zeigt man, dass der Störungsindex m von F(t,x, x) = 0 häufig beschränkt bleibt durch d.i. ≤m ≤ d.i.+ 1, wobei d.i. den Differentiationsindex bezeichnet (Gear, 1990).

(b) Gegenbeispiel (Campbell, Gear, 1995)

y3y2 + y1 = 0y3y3 = 0y3 = 0

d.i. = 1, denn aus y3 = 0 und y3 = 0 ergibt sich direkt y1 = y2 = 0. Dennoch ist der Störungsindexm = 3. (Betrachte hierzu etwa y3 = ε sinωt.)

28

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4 Zeitintegration: Systeme höheren Indexes

4.1 Direkte Diskretisierung von Systemen höheren Indexes

Bemerkung 4.1 Allgemeines KonzeptSysteme gewöhnlicher Differentialgleichungen

x(t) = ϕ(t,x(t))

Differential-algebraische Systeme

F(t,x(t), x(t)) = 0

(a) Implizite Runge-Kutta-Verfahren

xn+1 = xn + hs∑j=1

bjXnj ,

Xnj = xn + h

s∑j=1

aijXnj , (i = 1, . . . , s)

Xni = ϕ(tn + cih,Xni) F(tn + cih,Xni, Xni) = 0

jeweils für i = 1, . . . , s.

(b) Lineare Mehrschrittverfahrenk∑j=0

αjxn+1−j = h

k∑j=0

βjxn+1−j

xn+1 = ϕ(tn+1,xn+1),

[xn+1−j = ϕ(tn+1−j ,xn+1−j),

(j = 0, 1, . . . , k)]

F(tn+1,xn+1, xn+1) = 0

[F(tn+1−j ,xn+1−j , xn+1−j) = 0,

(j = 0, 1, . . . , k)]Spezialfall: β0 = 1, β1 = . . . = βk = 0 (BDF)

F

tn+1,xn+1,1

h

k∑j=0

αjxn+1−j

= 0

Beispiel: Implizites Euler-Verfahren (k = 1)

F

(tn+1,xn+1,

xn+1 − xnh

)= 0

Beispiel 4.2 Implizites Euler-Verfahren, Index-3-System

q = v,

M(q)v = f(t,q,v)−G>(t,q)λ,

0 = g(t,q)

mit G(t,q) : = ∂∂qg(t,q).

qn+1 − qnhn

= vn+1,

M(qn+1)vn+1 − vn

hn= f(tn+1,qn+1,vn+1)−G>(tn+1,qn+1)λn+1,

0 = g(tn+1,qn+1)

29

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4 Zeitintegration: Systeme höheren Indexes

Beispiel: M = I, f = 0, g(t,q) = Cq− z(t), G = C.

0 = Cq− z ⇒ 0 = Cq− z = Cv − z

⇒ 0 = Cv − z = −CC>λ− z

⇒ λ(t) = −(CC>)−1z(t)

t = tn−1 = tn+1 − hn − hn−1 : 0 = Cqn−1 − z(tn−1)

t = tn = tn+1 − hn : 0 = Cqn − z(tn)

t = tn+1 : 0 = Cqn+1 − z(tn+1)

Cvn = Cqn − qn−1

hn−1=

z(tn)− z(tn−1)

hn−1

Taylor= z(tn)− hn−1

2z(tn) +O(h2

n−1)

Cvn+1 = Cqn+1 − qn

hn=

z(tn+1)− z(tn)

hn= z(tn+1)− hn

2z(tn+1) +O(h2

n)

−CC>λn+1 = Cvn+1 − vn

hn=

z(tn+1)− z(tn)

hn− hnz(tn+1)− hn−1z(tn)

2hn+O(hn) +O

(h2n−1

hn

)= z(tn+1)− hn − hn−1

2hnz(tn+1) +O(hn) +O

(h2n−1

hn

)Bemerkung 4.3 Systeme höheren Indexes: direkte Diskretisierung(a) Variable Zeitschrittweite: keine Konvergenz der algebraischen Variablen (implizites Euler-Verfah-

ren) beziehungsweise Ordnungsreduktion (Verfahren höherer Ordnung).

(b) Starke Empfindlichkeit der numerischen Lösung gegenüber kleinen Störungen (Rundungsfehler,Abbruchfehler im Newtonverfahren), vgl. Abschnitt 3.2.

(c) Korrektoriteration: Lineare Gleichungssysteme (sehr) schlecht konditioniert → Skalierung (vgl.[3]).

(d) Fehlerschätzer (lokaler Fehler) versagen bei Anwendung auf differential-algebraische Systeme Skalierung einzelner Fehlerkomponenten (RADAU5) oder Ausblenden einzelner Fehler-komponenten (DASSL)

Beispiel: Sinuslauf (hunting motion) eines starren Radsatzes, Index-3-Formulierung, RADAU5 (im-plizites Runge-Kutta-Verfahren)

4.2 Indexreduktion und Drift-off-Effekt

Bemerkung 4.4 Analytische Transformationen vor der Zeitdiskretisierung(a) Für Anfangswerte y(t0) = y0 mit γ(y0) = 0 erfüllt die Lösung eines differential-algebraischen

Systems mit y = ϕ(y, z) genau dann die algebraische Gleichung

γ(y(t)) = 0, (t ∈ [t0, te]),

wenn [γyϕ

](y(t), z(t)) = 0, (t ∈ [t0, te]),

dennγ(y(t)) = 0 ⇒ 0 =

ddtγ(y(t)) =

∂γ

∂y(y(t)) · dy

dt(t) =

[γyϕ

](y(t), z(t))

und nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung gilt

γ(y(t)) = γ(y(t0))︸ ︷︷ ︸=0

+

∫ t

t0

ddτγ(y(τ)) dτ

mitddτγ(y(τ)) =

[γyϕ

](y(τ), z(τ)) = 0.

30

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4.2 Indexreduktion und Drift-off-Effekt

10−8 10−7 10−6 10−5 10−4 10−3 10−2

10−7

10−5

10−3

Fehlertoleranz TOL

Fehl

erin

y[m

]

Starrer Radsatz: Index-3-Formulierung

θ ≤ 10−5TOLθ ≤ 0.03TOL

Abbildung 4.1: Simulation eines starren Radsatzes: Alternative Fehlertoleranzen θ als Abbruchkriteri-um im Newton-Verfahren

(b) für die numerische Lösung gilt hingegen

γ(yn+1) = γ(yn) +

∫ 1

0

ddϑγ(yn + ϑ(yn+1 − yn)) dϑ

= γ(yn) + h

∫ 1

0γy(yn + ϑ(yn+1 − yn)) · yn+1 − yn

hdϑ

= γ(yn) + h

∫ 1

0γy(yn + ϑ(yn+1 − yn)) ·ϕ(yn+1, zn+1 dϑ,

also zum Beispiel für das implizite Euler-Verfahren

γ(yn+1) = γ(yn) + h[γyϕ

](yn+1, zn+1)︸ ︷︷ ︸

=0

+ h

∫ 1

0

(γy(yn + ϑ(yn+1 − yn))− γy(yn+1)

)︸ ︷︷ ︸=O(h)

ϕ(yn+1, zn+1) dϑ

⇒ ‖γ(yn+1)‖ ≤ ‖γ(yn)‖+ Ch2 ≤ . . . ≤ C (n+ 1)︸ ︷︷ ︸=tn+1−tn

·h

= C(tn+1 − tn) · hmit einer geeigneten Konstanten C > 0.

Ergebnis: (Die Schranke für) das Residuum γ(yn+1) in der algebraischen Gleichung γ(y) = 0wächst linear mit t = tn, die Lösung „driftet“ weg von der Mannigfaltigkeit {η : γ(η) = 0}(„Drift-off-Effekt“).

(c) Beachte: Wegen γ(y(t)) = 0 gilt für jedes konvergente Verfahren und jedes feste t = tn:limh→0

γ(yn(h)) = 0 mit h(h) : =⌈tn−t0h

⌉.

Beispiel 4.5 Index-1-Formulierung und Drift-off-Effekt(a) Ersetzt man in den Bewegungsgleichungen (1.8) eines mechanischen Mehrkörpersystems die

Zwangsbedingungen g(q) = 0 durch die versteckten Zwangsbedingungen (1.9b) auf Beschleu-nigungsebene, so ergibt sich die analytisch äquivalente Index-1-Formulierung der Bewegungsglei-chungen

q = vM(q)v = f(q,v)−G>(q)λ

0 = G(q)v + gqq(q)(v,~)

(4.1)

31

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4 Zeitintegration: Systeme höheren Indexes

Hat G Vollrang und ist M symmetrisch positiv semi-definit sowie auf ker G positiv semi-definit,so lässt sich (4.1) auflösen nach v und λ und man erhält das analytisch äquivalente Systemgewöhnlicher Differentialgleichungen

q = vv = a(q,v)

}(4.2)

mit λ = λ(q,v), wobei sich a(q,v) und λ(q,v) als Lösung des linearen Gleichungssystems(M(q) G>(q)G(q) 0

)(a(q,v)λ(q,v)

)=

(f(q,v)

−gqq(q)(v,v)

)ergibt.

(b) Numerischer Test: Sinuslauf eines starren Radsatzes, Index-1-Formulierung, Integratoren: DASSL(BDF), RADAU5

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20

0

2

4

6·10−4

Zeit t [s]

Abstand

Rad

–Schiene

[m]

Starrer Radsatz, Index-1-Formulierung

RADAU5DASSL

Abbildung 4.2: Drift-off-Effekt für verschiedene Zeitintegrationsverfahren am Beispiel des starrenRadsatzes

(c) Forderung aus Anwendungssicht: ‖g(qn)‖ � TOL mit der Fehlerschranke TOL für den globalenFehler des Verfahrens.

Satz 4.6 Drift-off-EffektZu jedem Einschrittverfahren der Konsistenzordnung p gibt es KonstantenA,B, C so, dass die Residueng(qn) und G(qn)vn bei Anwendung auf die Index-1-Formulierung (4.1) beschränkt sind durch

‖g(qn)‖ ≤(A(tn − t0) +B(tn − t0)2

)hp

‖G(qn)vn‖ ≤ C(tn − t0)hp.

Beweis. Sei q(t; tn,qn,vn), v(t; tn,qn,vn) die Lösung des Anfangswertproblems q(tn; tn,qn,vn) = qn,v(tn; tn,qn,vn) = vn zu (4.2). Dann gilt

‖qn+1 − q(tn+1; tn,qn,vn)‖ ≤ γ0hp+1,

‖vn+1 − v(tn+1; tn,qn,vn)‖ ≤ γ0hp+1

mit einer geeigneten Konstanten γ0 ≥ 0. Nun folgt aus (4.1)

G(q(tn+1; tn,qn,vn))v(tn+1; tn,qn,vn) =

= G(q(tn; tn,qn,vn))v(tn; tn,qn,vn) +

∫ tn+1

tn

ddt

G(q(t; tn,qn,vn))v(t; tn,qn,vn)︸ ︷︷ ︸=0 wegen (4.1)

dt

= G(qn)vn

32

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4.3 Indexreduktion und Projektion

⇒ ‖G(qn+1)vn+1‖ ≤ ‖G(qn)vn‖+ Chp+1 ≤ . . . ≤ ‖G(q0)v0‖︸ ︷︷ ︸=0

+C(n+ 1)hp+1

= C(n+ 1)h · hp = C(tn+1 − t0)hp

mit einer geeigneten Konstanten C > 0. Analog folgt

‖g(qn+1)‖ ≤ ‖g(qn)‖+ h‖G(qn)vn‖+Ahp+1

≤ ‖g(qn)‖+ C(tn+1 − t0)hp+1 +Ahp+1

≤ . . . ≤ ‖g(q0)‖︸ ︷︷ ︸=0

+C(n+ 1) (tn − t0)︸ ︷︷ ︸≤(tn+1−t0)

hp+1 +A(n+ 1)hp+1

≤ C(tn+1 − t0)2hp +A(tn+1 − t0)hp

mit einer geeigneten Konstanten A ≥ 0.

4.3 Indexreduktion und Projektion

Bemerkung 4.7 Projektion der numerischen LösungGegeben sei das Anfangswertproblem

x(t) = ϕ(x(t)), (t ∈ [t0, te]), x(t0) = x0

mit der Invarianten h(x), das heißt, entlang jeder Lösung x(t) von x = ϕ(x) ist h(x(t)) konstant.

⇒ 0 =ddt

h(x(t)) =∂h

∂x(x(t))

dx

dt(t) = [hxϕ](x(t)).

Das Einschrittverfahrenxn+1 = xn + hΦ(xn,ϕ, h)

erzeugt eine Folge (xn), die im Allgemeinen die Invariante h(x(t)) = h(x0) nicht erhält.

(a) Für ein Verfahren der Konvergenzordnung p gilt jedoch

h(xn) = h(x(tn))︸ ︷︷ ︸=h(x0)

+O(1) ‖x(tn)− xn‖︸ ︷︷ ︸O(hp)

= h(x0) +O(hp)

(b) Durch Projektion der numerischen Lösung auf die Mannigfaltigkeit {ξ : h(ξ) = h(x0)} lässtsich erzwingen, dass auch die numerische Lösung die Invariante h(x) erhält: Bestimme xn+1 alsLösung von

min {‖x− xn+1‖An : h(x) = h(x0)}

mit xn+1 : = xn + Φ(xn;ϕ, h) und einer symmetrischen, positiv definiten Matrix An und

‖ξ‖An : =

√ξ>Anξ.

{ξ : h(ξ) = h(x0)}

x0

xn

xn+1

xn+1

xn+2

xn+2

33

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4 Zeitintegration: Systeme höheren Indexes

Praktisch: Bestimme xn+1 als stationären Punkt von

L n(x,µ) : =1

2‖x− xn+1‖2An

+ µ> (h(x)− h(x0))

∇x : An(xn+1 − xn+1) + H>(xn+1)µn+1 = 0∇µ : h(xn+1) = h(x0)

}(4.3)

mit H(x) : = ∂h∂x (x). Numerische Lösung mit dem vereinfachten Newtonverfahren mit

x(0)n+1 : = xn+1, µ

(0)n+1 : = 0 und(

An H>(xn+1)H(xn+1) 0

)︸ ︷︷ ︸

regulär, falls H(xn+1) Vollrang hat

(x

(k+1)n+1 − x

(k)n+1

µ(k+1)n+1 − µ

(k)n+1

)= −S(x

(k)n+1,µ

(k)n+1)

mit S(x,µ) : =

(An(x− xn+1) + H>(x)µ

h(x)− h(x0)

).

(c) • Projektionsschritt (4.3) ist unabhängig vom konkreten Einschrittverfahren.

• praktisch: Projektion nur, falls ‖h(xn+1)− h(x0)‖ > TOLh, sonst xn+1 : = xn+1.

• Linear-implizite Projektion: xn+1 : = x(1)n+1.

Lemma 4.8 Projektion der numerischen LösungZum Anfangswertproblem

x(t) = ϕ(x(t)), (t ∈ [t0, te]), x(t0) = x0

sei eine zweimal stetig differenzierbare Funktion h : Rnx → Rnh gegeben (nh ≤ nx) mit h(x0) = 0 und[hxϕ](x) ≡ 0, (x ∈ Rnx). Dann gilt

(a) h(x(t)) ≡ 0, (t ∈ [t0, te]).

(b) Hat H(x) : = hx(x) ∈ Rnh×nx vollen Rang, so gibt es Konstanten γ0, h0 > 0 so, dass (4.3) fürein Einschrittverfahren der Konsistenzordnung p ≥ 1 unter den Voraussetzungen ‖h(xn)‖ ≤ γ0,h ≤ h0 eine lokal eindeutig bestimmte Lösung (xn+1,µn+1) hat. Für diese gilt

‖xn+1 − xn+1‖ = O(hp+1) +O(1) · ‖h(xn)‖.

(c) Unter den Voraussetzungen aus (b) bleibt die Konvergenzordnung p des Einschrittverfahrenstrotz der Projektionsschritte erhalten.

Beweis. (a) Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

(b) Nach dem Satz über die Implizite Funktion ist R(µ; x, r) = 0 mit

R(µ; x, r) : = h(x−H>(x)µ)− r

in einer hinreichend kleinen Umgebung von µ = 0, x = xn r = h(xn) lokal eindeutig nachµ = µ(x, r) auflösbar, denn R(0,xn,h(xn)) = 0, Rµ = H(x −H>(x)µ) ·H>(x) ∈ Rnh×nh istin einer Umgebung von µ = 0 regulär, (rank H(x) ·H>(x) = nh). Ist γ0 > 0 hinreichend klein,so sind µ = µ(xn,0) und xn : = xn − H>(xn)µ(xn,0) (lokal) eindeutig bestimmt und es gilth(xn) = 0 sowie ‖xn − xn‖ = O(1)‖h(xn)‖. Sei x(t; tn, xn) Lösung des Anfangswertproblemsx(tn; tn, xn) = xn, dann gilt h(x(t; tn, xn)) ≡ 0, also h(x(tn+1; tn, xn)) = 0 und damit auchh(xn + hΦ(xn;ϕ, h)) = O(hp+1) und

h(xn+1) = h(xn + hΦ(xn;ϕ, h)) = O(hp+1) +O(1)‖xn − xn‖= O(1)‖h(xn)‖+O(hp+1).

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4.3 Indexreduktion und Projektion

damit ergibt sich in (4.3) für xn+1 = xn+1 und µn+1 = 0 ein Residuum

S(xn+1,0) =

(0

O(γ0) +O(hp+1)

)und die Behauptung folgt aus dem Satz über die Implizite Funktion.

(c) Für die Untersuchung des lokalen Fehlers ist xn = x(tn)

⇒ h(xn) = 0 ⇒ ‖xn+1 − xn+1‖ = O(hp+1)

⇒ ‖xn+1 − xn − hΦ(xn;ϕ, h)‖ = O(hp+1), ‖x(tn+1)− xn+1‖ = O(hp+1)

und Konvergenz mit Ordnung p folgt analog zu Satz 2.11.

Bemerkung 4.9 Index-1-Formulierung und ProjektionDie Index-1-Formulierung (4.1) ist äquivalent zum System gewöhnlicher Differentialgleichungen (4.2)mit den Invarianten g(q) = 0, G(q)v = 0.Zweistufiges Projektionsverfahren (vgl. Übung)

(1) Bestimme qn+1 durch Projektion von qn+1 auf {q : g(q) = 0} mit An : = M(qn+1).

(2) Bestimme vn+1 durch Projektion von vn+1 auf {v : G(qn+1)v = 0} mit An : = M(qn+1).

Vorteil: Projektion vn+1 → vn+1 ist linear.

Bemerkung 4.10 Stabilisierte Index-1-Formulierung(Gear, Gupta, Leimkuhler, [6], (1985))

M(q)(q− v) = −G>(q)ηM(q)v = f(q,v)−G>(q)λ

0 = G(q)v0 = g(q)

(4.4)

0 =ddt

g(q(t)) =∂g

∂q(q(t))

dq

dt(t) = G(q)q

⇒(

M(q) G>(q)G(q) 0

)(q− vη

)=

(00

)⇒ η(t) ≡ 0.

Aber: (4.4) ist ein Index-2-System mit y =

(qv

), z =

(λη

),

y = ϕ(y, z) =

(v − [M−1G>](q) · η

[M−1f ](q,v)− [M−1G>](q) · λ

)

0 = γ(y) =

(G(q)vg(q)

), γy =

(∗ Gq

G(q) 0

), ϕz =

(0 −[M−1G>](q)

−[MG>](q) 0

)und

[γyϕz](y, z) =(−[GM−1G>](q) ∗0 −[GM−1G>](q)

)ist regulär.

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Literaturverzeichnis

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[2] Arnold, M., K. Strehmel und R. Weiner: Half-explicit Runge-Kutta methods for semi-explicitdifferential-algebraic equations of index 1. Numerische Mathematik, 64(1):409–431, 1993.

[3] Brenan, K.E., S.L. Campbell und L.R. Petzold: Numerical Solution of Initial-Value Pro-blems in Differential-Algebraic Equations. SIAM, Philadelphia, 2. Auflage, 2008.

[4] Deuflhard, P. und F. Bornemann: Numerische Mathematik II: Gewöhnliche Differentialglei-chungen. Walter de Gruyter, Berlin, New York, 3. Auflage, 2008.

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