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2 3 retten! 1• 2012 Erster Kontakt Was für ein Empfang: „Scheiße, was willst du denn? Hau ab!“ Sol- che Begrüßungen sind für Steffen Norin* und Kurt Bruse* keine Seltenheit. „Das kann bei Betrunkenen immer mal vorkom- men“, sagt Norin und geht auf einen jungen Mann zu, der an der Festzeltwand hockt. Die beiden Rettungsassistenten sind im Einsatz auf einem großen Volksfest. Eine Gruppe Betrunkener steht etwas abseits neben dem Eingang zum Bierzelt. Irgendje- mand hat den Rettungsdienst gerufen, weil er sich „Sorgen um den Kumpel“ mache, jetzt will es keiner gewesen sein. Norin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und versucht dennoch, mit dem jungen Mann zu sprechen. Er möchte herausfin- den, wie der Abend abgelaufen ist. Stimmungsumschwung Da sich der jun- ge Betrunkene schlecht auf den Beinen halten kann, beschließen die Rettungsas- sistenten, ihn mit zum RTW zu nehmen, um ihn genauer zu untersuchen. Wenn sie ihn stützen, wird er die kurze Strecke schaffen. Auf dem Weg schlägt plötzlich die Stimmung um: „Verdammt, ich komm nicht mit, ich will Spaß haben! Du denkst, mit deiner schicken Jacke kannst du hier den King spielen“, schreit der junge Mann, bleibt stehen und spuckt Norin vor die Füße. Innerlich ist Norin angespannt, bleibt gegenüber dem Patienten aber locker und lässt sich nicht provozieren: „Ich kann ver - stehen, dass Sie gerne mit Ihren Freunden weiterfeiern möchten, ist ja ne tolle Party hier! Jetzt sind wir aber gleich am RTW und dort ruhen Sie sich am besten erstmal aus.“ Er hat Erfolg: Der junge Mann läuft weiter – wenn auch langsam. Nicht alle sind kooperativ Das Beispiel schildert einen typischen Einsatz, der am Ende doch unproblematisch verläuft. Nicht alle Betrunkenen sind so kooperativ, son- dern stellen Einsatzkräfte durch aggressi- ves oder kumpelhaftes Verhalten oft vor Schwierigkeiten. Eine Hilfe ist dann die ge- zielt eingesetzte Kommunikation und ein si- cheres Auftreten seitens der Rettungskräfte. Situation einschätzen und sich selbst schützen Beschwipst oder stark betrunken? Grund- sätzlich lassen sich 4 Stadien auf der Betrun- kenheits-Skala unterscheiden (q Tabelle 1, online). Sie helfen, den alkoholisierten Pati- enten klinisch einzuordnen und ihn richtig anzusprechen: Stadium 1 und 2 (bis ca. 2,5 ‰): Die Be- trunkenen sind oft enthemmt und un- ruhig. Je höher der Alkoholgehalt, desto benommener sind sie. Häufig treten kurzfristig Stimmungsschwankungen auf und die Patienten werden aggressiv. In den Stadien 3 und 4 der Alkoholvergif- tung (mehr als 2,5 ‰) sind die Betrunke- nen meist bewusstlos. Diese Stadien sind lebensbedrohlich, die medizinische Ver- sorgung ist klar im Fokus [2]. Es ist wichtig, die Situation vor allem kli- nisch einzuschätzen, denn ein Patient, der nicht an Alkohol gewöhnt ist, kann sich bereits bei weit weniger als 2,5 ‰ im Sta- dium der Narkose befinden. Ebenso gibt es immer wieder Patienten, die sich mit mehr als 2,5 ‰ klar mit den Helfern unterhalten oder sogar bereits ins Delir gleiten. Die Auswirkungen von Alkohol sind individu- ell sehr unterschiedlich – je nach Geschlecht, Gewicht, Trinkgeschwindigkeit und der Ge- wöhnung an Alkohol. Oberste Priorität: Der Selbstschutz Egal wie betrunken der Patient ist – die eigene Sicherheit der Einsatzkräfte geht vor! Be- trunkene können ungeahnte Kräfte entwi- ckeln und die Stimmung kann sich schnell ändern. Bleiben Sie deshalb möglichst nie mit einem Patienten allein. Halten Sie Abstand und lassen Sie den Betrunkenen nie aus den Augen. Achten Sie auf Waffen: Auch eine Flasche wird schnell zu einem Wurfgeschoss. 1:1-Situation Was tun, wenn sich das „Alleinsein“ nicht vermeiden lässt? „Mit Betrunkenen, die sehr kooperativ sind, kann man durchaus auch mal alleine blei- ben!“, sagt Prof. Dr. Pajonk, Facharzt für Psychatrie und erfahrener Notfallmedizi- ner. Schwieriger ist es bei Patienten, die im Gespräch beruhigt werden konnten, aber das Potenzial haben, plötzlich zu explo- dieren. Pajonk rät hier: „In solchen Fällen hat es sich bewährt, sichere Kommunika- tionswege zwischen den Einsatzkräften in unterschiedlichen Räumen zu schaffen.“ Im Erstkontakt ist es immer möglich, Not- fallkoffer oder Rucksack zwischen Patient und sich selbst zu platzieren. Beim Trans- port im RTW können Sie das Schiebefens- ter zwischen Fahrerhaus und Behandlungs- platz offen lassen, um so verbal mit dem Kollegen in Verbindung zu bleiben. Wird die Situation als riskant oder explosiv ein- geschätzt, sollte möglichst frühzeitig die Polizei hinzugezogen werden. Kommunikation mit Betrunkenen Bis wann ist Reden sinnvoll? Kommuni- kation mit betrunkenen Personen ist häufig schwierig oder – je nach Zustand – sogar unmöglich. Wann hat Reden mit einem Alkoholisierten keinen Zweck? „Ab dem Stadium 3, in etwa bei einem Promillegehalt von 2,5, erreicht man Alkoholisierte nicht mehr verbal“, so Pajonk. „Im Stadium 1 und 2 einer Alkoholintoxikation sollte man aber unbedingt versuchen, beruhigend auf er- regte Personen einzuwirken“, sagt Pajonk. Wichtig beim „Talking down“: ruhig und freundlich bleiben sicher und bestimmt auftreten Aussagen klar strukturieren Ein ruhiger Tonfall bei der Anspra- che kann Wunder wirken. Schreien oder lautes Sprechen hingegen erzeugt oft Aggressivität. Reden Sie daher in normaler Lautstärke, freundlich aber bestimmt. Einfache Sätze Wenn der alkoholisierte Patient auf Ansprache oder Fragen reagiert – muten Sie ihm nicht zuviel zu. Benutzen Sie einen einfachen Satzbau, nur dann hat er die Chance Sie zu verstehen. Gleiches gilt für Fragen: Gereihte Fragen überfordern und oft wird nur die letzte Frage beantwor- tet. Stellen Sie deshalb Fragen einzeln und Gerade auf Volksfesten gehören alkoholisierte Patienten zum Einsatzalltag. Deren medizinische Versorgung ist im Rettungs- dienst klar geregelt – wie aber kommunizieren Sie effektiv mit enthemmten oder aggressiven Betrunkenen? Lesen Sie, wie Sie gereizte Patienten in den Griff bekommen. Regina Krill Umgang mit Betrunkenen So verhalten Sie sich richtig Bildnachweis: Renate Stockinger Kommunikation und Management *Name geändert

Umgang mit Betrunkenen So verhalten Sie sich richtig · 4 5 Kommunikation und Management Umgang mit Betrunkenen • Regina Krill retten! 1• 2012 warten Sie die Antwort ab: Wieviel

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Page 1: Umgang mit Betrunkenen So verhalten Sie sich richtig · 4 5 Kommunikation und Management Umgang mit Betrunkenen • Regina Krill retten! 1• 2012 warten Sie die Antwort ab: Wieviel

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retten!   1• 2012 

Erster Kontakt Was für ein Empfang: „Scheiße, was willst du denn? Hau ab!“ Sol-che Begrüßungen sind für Steffen Norin* und Kurt Bruse* keine Seltenheit. „Das kann bei Betrunkenen immer mal vorkom-men“, sagt Norin und geht auf einen jungen Mann zu, der an der Festzeltwand hockt. Die beiden Rettungsassistenten sind im Einsatz auf einem großen Volksfest. Eine

Gruppe Betrunkener steht etwas abseits neben dem Eingang zum Bierzelt. Irgendje-mand hat den Rettungsdienst gerufen, weil er sich „Sorgen um den Kumpel“ mache, jetzt will es keiner gewesen sein. Norin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und versucht dennoch, mit dem jungen Mann zu sprechen. Er möchte herausfin-den, wie der Abend abgelaufen ist.

Stimmungsumschwung Da sich der jun-ge Betrunkene schlecht auf den Beinen halten kann, beschließen die Rettungsas-sistenten, ihn mit zum RTW zu nehmen, um ihn genauer zu untersuchen. Wenn sie ihn stützen, wird er die kurze Strecke schaffen. Auf dem Weg schlägt plötzlich die Stimmung um: „Verdammt, ich komm nicht mit, ich will Spaß haben! Du denkst, mit deiner schicken Jacke kannst du hier den King spielen“, schreit der junge Mann, bleibt stehen und spuckt Norin vor die Füße. Innerlich ist Norin angespannt, bleibt gegenüber dem Patienten aber locker und lässt sich nicht provozieren: „Ich kann ver-stehen, dass Sie gerne mit Ihren Freunden weiterfeiern möchten, ist ja ne tolle Party

hier! Jetzt sind wir aber gleich am RTW und dort ruhen Sie sich am besten erstmal aus.“ Er hat Erfolg: Der junge Mann läuft weiter – wenn auch langsam.

Nicht alle sind kooperativ Das Beispiel schildert einen typischen Einsatz, der am Ende doch unproblematisch verläuft. Nicht alle Betrunkenen sind so kooperativ, son-dern stellen Einsatzkräfte durch aggressi-ves oder kumpelhaftes Verhalten oft vor Schwierigkeiten. Eine Hilfe ist dann die ge-zielt eingesetzte Kommunikation und ein si-cheres Auftreten seitens der Rettungskräfte.

Situation einschätzen und sich selbst schützen

Beschwipst oder stark betrunken? Grund-sätzlich lassen sich 4 Stadien auf der Betrun-kenheits-Skala unterscheiden (q Tabelle 1, online). Sie helfen, den alkoholisierten Pati-enten klinisch einzuordnen und ihn richtig anzusprechen:

▶ Stadium 1 und 2 (bis ca. 2,5 ‰): Die Be-trunkenen sind oft enthemmt und un-ruhig. Je höher der Alkoholgehalt, desto benommener sind sie. Häufig treten kurzfristig Stimmungsschwankungen auf und die Patienten werden aggressiv.

▶ In den Stadien 3 und 4 der Alkoholvergif-tung (mehr als 2,5 ‰) sind die Betrunke-nen meist bewusstlos. Diese Stadien sind lebensbedrohlich, die medizinische Ver-sorgung ist klar im Fokus [2].

Es ist wichtig, die Situation vor allem kli-nisch einzuschätzen, denn ein Patient, der nicht an Alkohol gewöhnt ist, kann sich bereits bei weit weniger als 2,5 ‰ im Sta-dium der Narkose befinden. Ebenso gibt es

immer wieder Patienten, die sich mit mehr als 2,5 ‰ klar mit den Helfern unterhalten oder sogar bereits ins Delir gleiten.

Die Auswirkungen von Alkohol sind individu-

ell sehr unterschiedlich – je nach Geschlecht,

Gewicht, Trinkgeschwindigkeit und der Ge-

wöhnung an Alkohol.

Oberste Priorität: Der Selbstschutz Egal wie betrunken der Patient ist – die eigene Sicherheit der Einsatzkräfte geht vor! Be-trunkene können ungeahnte Kräfte entwi-ckeln und die Stimmung kann sich schnell ändern. Bleiben Sie deshalb möglichst nie mit einem Patienten allein.

▶ Halten Sie Abstand und lassen Sie den Betrunkenen nie aus den Augen.

▶ Achten Sie auf Waffen: Auch eine Flasche wird schnell zu einem Wurfgeschoss.

1:1-Situation Was tun, wenn sich das „Alleinsein“ nicht vermeiden lässt? „Mit Betrunkenen, die sehr kooperativ sind, kann man durchaus auch mal alleine blei-ben!“, sagt Prof. Dr. Pajonk, Facharzt für Psychatrie und erfahrener Notfallmedizi-ner. Schwieriger ist es bei Patienten, die im Gespräch beruhigt werden konnten, aber das Potenzial haben, plötzlich zu explo-dieren. Pajonk rät hier: „In solchen Fällen hat es sich bewährt, sichere Kommunika-tionswege zwischen den Einsatzkräften in unterschiedlichen Räumen zu schaffen.“ Im Erstkontakt ist es immer möglich, Not-fallkoffer oder Rucksack zwischen Patient und sich selbst zu platzieren. Beim Trans-port im RTW können Sie das Schiebefens-ter zwischen Fahrerhaus und Behandlungs-

platz offen lassen, um so verbal mit dem Kollegen in Verbindung zu bleiben. Wird die Situation als riskant oder explosiv ein-geschätzt, sollte möglichst frühzeitig die Polizei hinzugezogen werden.

Kommunikation mit Betrunkenen

Bis wann ist Reden sinnvoll? Kommuni-kation mit betrunkenen Personen ist häufig schwierig oder – je nach Zustand – sogar unmöglich. Wann hat Reden mit einem Alkoholisierten keinen Zweck? „Ab dem Stadium 3, in etwa bei einem Promillegehalt von 2,5, erreicht man Alkoholisierte nicht mehr verbal“, so Pajonk. „Im Stadium 1 und 2 einer Alkoholintoxikation sollte man aber unbedingt versuchen, beruhigend auf er-regte Personen einzuwirken“, sagt Pajonk. Wichtig beim „Talking down“:

▶ ruhig und freundlich bleiben ▶ sicher und bestimmt auftreten ▶ Aussagen klar strukturieren

Ein ruhiger Tonfall bei der Anspra-

che kann Wunder wirken. Schreien

oder lautes Sprechen hingegen erzeugt oft

Aggressivität. Reden Sie daher in normaler

Lautstärke, freundlich aber bestimmt.

Einfache Sätze Wenn der alkoholisierte Patient auf Ansprache oder Fragen reagiert

– muten Sie ihm nicht zuviel zu. Benutzen Sie einen einfachen Satzbau, nur dann hat er die Chance Sie zu verstehen. Gleiches gilt für Fragen: Gereihte Fragen überfordern und oft wird nur die letzte Frage beantwor-tet. Stellen Sie deshalb Fragen einzeln und

Gerade auf Volksfesten gehören alkoholisierte Patienten zum Einsatzalltag. Deren medizinische Versorgung ist im Rettungs-dienst klar geregelt – wie aber kommunizieren Sie effektiv mit enthemmten oder aggressiven Betrunkenen? Lesen Sie, wie Sie gereizte Patienten in den Griff bekommen.

Regina Krill

Umgang mit BetrunkenenSo verhalten Sie sich richtig

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Kommunikation und Management Umgang mit Betrunkenen • Regina Krill retten!   1• 2012 

warten Sie die Antwort ab: Wieviel Bier haben Sie getrunken?“ „4 Maß.“ „Sagen Sie mir bitte, wie schwer Sie sind.“ „81 kg.“

Häufige Kommunikationsfehler

1. Den Patienten nicht ernst nehmen Es fällt schwer „Stammkunden“ – Patienten, die ständig durch hohen Alkoholkonsum auffallen – immer wieder ernst zu neh-men. „Beim Umgang mit Betrunkenen ist viel Einfühlungsvermögen gefragt“, sagt Pajonk. Meist entspanne es die Situation, indem man Verständnis zeigt oder Prob-leme ernsthaft diskutiert.

Mitfühlen – ja. Probleme lösen – nein.

Um die Situation nicht zu verschär-

fen, sollten Sie keine konkreten Lösungen für

Probleme des Betrunkenen vorschlagen [6].

2. Beleidigungen persönlich nehmen Bei Betrunkenen gilt: „Gehen Sie niemals auf beleidigende Äußerungen ein, sondern überzeugen Sie den Patienten durch kla-res und bestimmtes Auftreten. Jegliche Gegenprovokation ist kontraproduktiv!“, so Pajonk. Auch wenn es oft schwerfällt: Nehmen Sie unverschämte oder verlet-zende Bemerkungen nicht persönlich.

3. Abweisendes Verhalten Den Arm um die Schulter legen, Witze reißen, das per-sönliche „Du“ einsetzen: Typischerweise verhalten sich stark betrunkene Patien-ten distanzlos und euphorisch gegenüber anderen Personen – auch gegenüber dem Rettungsdienst. Die meisten sind am zu-gänglichsten für eine Therapie, wenn Sie

als Helfer das Verhalten tolerieren oder doch wenigstens ein bisschen „mitspie-len“, aber trotzdem sicher auftreten [6]. Wägen Sie immer ab, ob ein Sicherheits-abstand erforderlich ist. Scharfe Zurück-weisung und humorlose Belehrungen vergiften schnell das Klima. Viele Ret-tungskräfte scheitern, wenn sie arrogant, abweisend oder ironisch auf die Situati-on reagieren – das provoziert und der Be-trunkene wehrt dann oft weitere Hilfe ab.

4. Autonomieverlust bestehen lassen Zuweilen haben Betrunkene das Gefühl, nicht mehr Herr der Lage zu sein. Dieser Verlust von Selbstständigkeit führt zu Aggressivität. Hier können Sie am besten helfen, wenn Sie den Betrunkenen unter-stützen, wieder alles unter Kontrolle zu bringen. Bieten Sie ihm z.B. Wahlmög-lichkeiten an – eigene Entscheidungen zu treffen, stärkt das Autonomiegefühl.

Nonverbale Tipps

Standort ändern In angespannten Situa-tionen kann es hilfreich sein, mit dem Be-trunkenen den Aufenthaltsort zu wechseln. Im RTW oder in einem ruhigen Raum kön-

nen Sie den Patienten besser besänftigen und eine entspannte Atmosphäre schaffen. Oftmals wird in einem anderem Umfeld die angebotene Hilfe besser angenommen.

Nüchterne Freunde einbeziehen Um die Kooperation zu verbessern, können Sie auch nüchterne Freunde oder Angehörige einbinden. Wenn der Betrunkene sieht, dass andere, für ihn vertrauenswürdige Personen die Betreuung durch den Rettungsdienst gutheißen, akzeptiert er die Behandlung eventuell schneller. Alkoholisierte Freunde warten allerdings besser vor der Tür.

Setzen Sie sich, wenn möglich, auf Au-

genhöhe des Betrunkenen. Wenn Sie

um einen liegenden, aufgebrachten Patien-

ten herumstehen, kann für den Betroffenen 

sonst leicht ein Drohszenario entstehen.

Körperliche Untersuchung

Körpercheck Ein beruhigendes Gespräch können Sie auch dazu nutzen, den Patienten einzuschätzen: Wie wach und orientiert ist er? Eventuell fallen auch Begleitverletzun-gen auf, wie z.B. Hämatome, Stichwunden oder Frakturen [2]. Als nächstes bestimmen Sie die Vitalparameter:

▶ Wie hoch ist der Blutzucker? ▶ Wie schlägt sein Puls? ▶ Ist der Blutdruck normal? ▶ Wie hoch ist die Sauerstoffsättigung?

Bewusstlosigkeit kann viele Ursachen ha-ben. Beachten Sie immer Differenzialdia-gnosen wie Hypoglykämie oder ein Schä-delhirn-Trauma (q Tabelle 2). Ab ca. 5 ‰ hat

Alkohol oft eine akut herzschädigende Wir-kung – sie kann mit Herzrhythmustörungen einhergehen [7].

Rechtliche Fragen

Wenn sich der Patient weigert? Grund-sätzlich gilt: Sie haben mit Übernahme des Einsatzes Garantenstellung auf Grundlage des § 13 Strafgesetzbuch (StGB) [8]. Das heißt: Sie sind verpflichtet, alles Zumutba-re zu tun, um weiteren Schaden vom Pa-tienten abzuwehren. Anderenfalls können Sie strafrechtlich belangt werden.

Ist der Patient entscheidungsfähig? Wenn sich der Patient weigert, muss das Team beurteilen: Ist der Patient entscheidungs-fähig, ja oder nein? Nur wenn der Patient die Konsequenzen seiner Entscheidung voll umfassend überblickt, ist die Weigerung wirksam. Bei starkem Alkoholkonsum ist das selten der Fall. Es ist dann Aufgabe des Arztes, ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten zu führen. Fordern Sie in solchen Fällen immer einen (Not-)Arzt nach.

Wann ins Krankenhaus? Betrunkene, die auf Ansprache reagieren und deren Vital-parameter nicht alarmierend sind (Stadi-um 1 und 2), können Sie in der Regel in der Obhut von Familie oder Freunden lassen. Bei bewusstlosen Patienten (Stadium 3 und 4) ist der Rettungsdienst verpflichtet, sämtliche lebensbedrohenden und gesund-heitsgefährdenden Umstände abzuwenden. Bewusstlose Patienten müssen ins Kran-kenhaus gebracht werden.

Sedierung erlaubt? Wenn eine Beruhi-gung nicht möglich ist, darf der aggressive Betrunkene vom Arzt medikamentös se-diert werden. Dies ist durch den rechtfer-tigenden Notstand gedeckt (§ 34 StGB). Ein festes Therapieschema gibt es nicht, da Be-trunkene über 2,5 ‰ sehr unterschiedlich auf Medikamente reagieren [9]. Werden Medikamente verabreicht, muss der Pati-ent ins Krankenhaus gebracht werden.

Wenn nötig mit Gewalt? Wenn kein Not-stand vorliegt, ist nur der Arzt berechtigt, aber auch verpflichtet, den Betrunkenen gegen seinen Willen in die Klinik bringen zu lassen, so dies medizinisch nötig ist [10]. Für die Einweisung muss ein Attest ausge-füllt werden, auch dies darf nur ein Arzt übernehmen (Psychisch-Kranken-Gesetz, PsychKG). Die gesetzlichen Grundlagen va-riieren abhängig vom Bundesland und sind im jeweiligen PsychKG bzw. Unterbrin-gungsgesetz geregelt. Wenn Sie im Team einen Patienten überwältigen, gilt:

▶ Legen Sie vorher fest, wer aus dem Team mithilft.

▶ Verständigen Sie die Polizei, wenn nicht genügend Rettungskräfte vor Ort sind, um den Betrunkenen zu überwältigen.

▶ Vereinbaren Sie vorher untereinander, wer den Patienten wo festhält.

▶ Sobald das Team den Patienten im Griff hat, kann der Arzt das Beruhigungsmit-tel spitzen.

Fazit

Damit die Versorgung von Betrunkenen – über die medizinische Hilfeleistung hinaus

– reibungslos klappt, ist professionelle Kom-munikation gefragt. Im Mittelpunkt steht dabei, einen Betrunkenen als Hilfsbedürf-tigen zu akzeptieren und auf provokante Äußerungen ruhig zu reagieren.

So verhalten Sie sich richtig:

▶ Nehmen Sie beleidigende Äußerungen

nicht persönlich.

▶ Nehmen Sie den Patienten ernst, aber

übertreiben Sie ihr Verständnis für die

Situation nicht, indem Sie z.B. den star-

ken Alkoholgenuss gutheißen.

▶ Setzen Sie keine Arroganz oder Ironie

ein – das wird schnell falsch verstanden

und erzeugt weitere Aggression.

Kernaussagen ▶ Der Selbstschutz des Rettungsteams

geht immer vor.

▶ Bei geringer Alkoholvergiftung – in den

Stadien 1 und 2 – steht die verbale Be-

ruhigung des Patienten im Mittelpunkt,

danach rückt die medizinische Versor-

gung stärker in den Fokus.

▶ Die wichtigste Regel: Ruhig bleiben!

▶ Ein Wechsel von Standort und Körperpo-

sition kann die Situation entschärfen.

▶ Nur der Arzt darf den Patienten gegen

dessen Willen ins Krankenhaus transpor-

tieren.

Infos im Internet

Das Literaturverzeichnis und ergänzendes Material zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Abonnenten und Nicht abonnenten können unter www.thieme-connect.de/ejournals die Seite von retten! aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Ergänzendes Material“ klicken.

Tabelle 2 – Differenzialdiagnosen der unklaren Bewusstlosigkeit

Schädelhirn-Trauma

intrazerebrale Blutung

Hypoglykämie

Unterkühlung

Aspiration

Hirntumor

Enzephalitis

Meningitis

kardiale Dekompensation

Ateminsuffizienz

psychiatrische Erkrankungen