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Wieder verfassungswidrig? Was Sie gegen Zwangsbefragung und für Ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung tun können Mikrozensus und Volkszählung 2011 Verena S. Rottmann im Tolkemitt Verlag bei Zweitausendeins

Verena S. Rottmann: Mikrozensus und Volkszählung 2011

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1983 führte die geplante Volkszählung zu Massenprotesten. Bürgerinitiativen gingen vor Gericht und durch alle Instanzen. Das Bundesverfassungsgericht stoppte die Volkszählung, sie wurde nachgebessert und konnte erst 1987 durchgeführt werden. Und heute? Ist eine Volkszählung in Zeiten von Vorratsdatenspeicherung, Google Street View, elektronischem Personalausweis und Facebook überhaupt noch ein Thema? Dieses Buch zeigt: Allerdings!

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Page 1: Verena S. Rottmann: Mikrozensus und Volkszählung 2011

Wieder verfassungswidrig?

Was Sie gegen Zwangsbefragung und für Ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmungtun können

Mikrozensusund Volkszählung2011

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Verena S. Rottmannim Tolkemitt Verlag bei Zweitausendeins

Verena S.Rottmann

Tolkemitt Verlag bei

Zweitausendeins

80.000 »Interviewer«, 20 Millionen Befragte, bis zu 186 Fragen pro Haushalt – es ist wieder Volkszählung.

Dieses Buch macht dieVolkszählung 2011 zu einembrisanten Thema für Sie.

1983 führte die geplante Volkszählung zu Massenprotesten. Bürgerinitiativen gingen vor Gericht und durch alle Instanzen. Das Bundesverfassungsgericht stoppte die Volkszählung, sie wurdenachgebessert und konnte erst 1987 – auch dann noch massiv boykottiert – durchgeführt werden.

Und heute? Ist eine Volkszählung in Zeiten von Vorratsdaten-speicherung, Google Street View, elektronischem Personalausweisund Facebook überhaupt noch ein Thema? Dieses Buch zeigt: Allerdings!

Mit dem Mikrozensus und »Zensus 2011« steht eine beispielloseSammlung von persönlichen Daten bevor. Millionen Menschen, darunter auch alle 17,5 Mio. Haus- und Wohnungseigentümer, werden Religionszugehörigkeit, Einkommen, Familienumständeund einiges mehr bloßlegen müssen. Und die Befragung durch unbekannte »Interviewer« ist nur die Spitze des Daten-Eisbergs.

Im Hintergrund werden Informationen aus verschiedenen Behörden(Melderegister, Arbeitsamt, Finanzamt etc.) mit den Ergebnissender Befragung zusammengeführt und unter einer eindeutigenNummer gespeichert. Eine solche Ordnungsnummer hatte das Bundesverfassungsgericht 1983 verboten.Und ob die versprochene Sicherung und Anonymisierung dieserDatenmassen gelingen wird, ist zumindest fraglich. Denn der legaleund illegale Handel mit persönlichen Daten blüht.

Das Buch enthält:* Informationen zur Rechtslage* Erläuterungen zum Datenschutz und zum technischen

Hintergrund der Datenerhebung und -speicherung* Informationen, wie Sie Ihr Grundrecht auf informationelle

Selbstbestimmung wahren können * Musterbriefe an Behörden und andere involvierte Stellen,

mit denen Sie Widerspruch einlegen können* relevante Gesetze und Verordnungen sowie alle Zensus-

und Mikrozensus-Fragebögen

Tolkemitt Verlag beiwww.Zweitausendeins.de

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Inhalt

Die EU-Volkszählung 2011 – Planungen am Bürger vorbei? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 9

Es ist wieder Volkszählung � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 14

I. Zensus 2011

1. Rückblick � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 28

2. Was ist neu? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 34

3. Welche Daten werden zusammengeführt? � � � � � � � � � � � 45

4� Wer ist von der Gebäude- und Wohnungszählung betroffen?� � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 54

5� Die Fragen zur Gebäude- und Wohnungszählung� � � � � 58

6� Die Angaben zur Haushaltebefragung� � � � � � � � � � � � � � 60

7. Die Befragung der Bewohner in Sonderbereichen� � � � � 64

8� Ist auch der Zensus 2011 verfassungswidrig? � � � � � � � � � 68

9� Welche Risiken bestehen? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 74

10� Was tun, wenn der Erhebungs beauftragte klingelt? � � � � 79

11� Wie können Sie sich gegen den Zensus 2011 wehren? � � 81

12� Was tun, wenn Sie selbst als Erhebungsbeauftragter verpflichtet werden?� � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 88

II. Der Mikrozensus13� Wer wird zum Mikrozensus herangezogen?� � � � � � � � � � 98

14� Wie wird die Befragung durchgeführt? � � � � � � � � � � � � �103

15� Was im Fragebogen steht � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � �109

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16� Was Ihnen passieren kann, wenn Sie die Auskunft verweigern� � � � � � � � � � � � � � � � � 115

17� Gibt es Wege, sich individuell um den Mikrozensus herumzumogeln oder zu bluffen? � � � � � � � � � � � � � � � � 118

18� Das Märchen von der Anonymität� Oder: Wie leicht man herausfinden kann, zu wem der Datensatz gehört 121

19� Inwiefern der Mikrozensus gegen Grundrechte verstößt� � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 125

20� Wie Sie sich gegen den Mikrozensus wehren können � 131

21� Keine Angst vor dem Rechtsweg � � � � � � � � � � � � � � � � � 144

22� So reduzieren Sie die Verfahrenskosten � � � � � � � � � � � 146

III. AnhangZum Zensus 2011:

Verordnung (EG) Nr� 763/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9� Juli 2008 über Volks- und Wohnungszählungen� � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 151

Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus ein- schließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz) vom 8� Dezember 2007... 169

Gesetz zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen vom 8� Juli 2009...... 200

Fragebogen: Gebäude- und Wohnungszählung zum 9� Mai 2011............................... 214

Fragebogen: Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis zum Zensus 2011............................... 223

Fragebogen: Erhebung über die Bevölkerung an Anschriften mit sensiblen Sonderbereichen � � � � � � � 234

Fragebogen: Erhebung über die Bevölkerung an Anschriften mit Wohnheimen/Gemeinschafts unterkünften � � � � � � � � � 240

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Kombinierter Fragebogen zur Erhebung über die Bevölkerung an Anschriften mit Wohnheimen/Gemeinschafts unterkünften und zur Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 244

Zum MikrozensusGesetz zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über

die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt sowie die Wohnsituation der Haushalte (Mikrozensusgesetz 2005) vom 24� Juni 2004 ............................... 256

Mikrozensus 2010: Stichprobenerhebung über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt und Arbeitskräfte-stichprobe 2010 der Europäischen Union� � � � � � � � � � � � 258

Stichwortverzeichnis� � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 315

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Die EU-Volkszählung 2011 – Planungen am Bürger vorbei?Vorwort von Professor Klaus Brunnstein, Department Informatik, Universität Hamburg

Nach der im Dezember 1983 am Bundesverfassungsgericht wegen schwerwiegender Rechtsverstöße gescheiterten Volks-zählung 1983 nimmt die Bundesregierung einen neuen Anlauf, durch die Volkszählung 2011 die angeblich für die Planung so wichtigen Bürgerdaten zu erheben� Im Unterschied zu 1983 findet diese Volkszählung im Rahmen eines EU-weiten Zensus als Stichprobenerhebung nach Auswertung der vorhandenen Register statt, wodurch nur ein Teil der Bürger einer komplet-ten Auskunftspflicht unterliegt�

Im Unterschied zu 1983, als unmittelbar vor dem Orwell-Jahr »1984« eine breite Protestwelle die Chancen einer Volks-zählung bereits vor dem Richterspruch infrage stellte, sowie auch anders als bei der Volkszählung 1987, als die kontroverse öffentliche Diskussion zu zahlreichen Fällen »harten« und »weichen« Boykotts führte, wird die anstehende Volkszählung wenige Monate vor der eigentlichen Erhebung (Mai 2011) kaum öffentlich diskutiert� Es darf auch vermutet werden, dass die Öffentlichkeit erst aufwacht, wenn sich erste Probleme ein-stellen (etwa wenn wegen unzureichender Qualität der Melde-register auch Fragebögen an längst Verstorbene oder an Aus-gewanderte versandt werden)� Für dieses Desinteresse gibt es offensichtlich eine Reihe von Gründen, von denen die völlig unzureichende – genauer: nicht vorhandene – Berichter-stattung in den wichtigsten Medien sicherlich von besonderem Gewicht ist� Jedoch tragen auch die veränderte Rechtslage

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sowie ein verändertes Bewusstsein vor allem wichtiger Teile der wirtschaftlich und politisch aktiven Bevölkerung zum öffent-lichen Desinteresse bei�

Nun muss man zunächst einräumen, dass sich durch das »Volkszählungsurteil« des Bundesverfassungsgerichts die Rechts - lage geändert hat, unter denen Statistiker und Regierungen eine Volkszählung planen� Durch dieses Urteil und das dabei (in wissenschaftlichen Arbeiten einiger Kläger aus der Verfassung) abgeleitete Grundrecht eines »informationellen Selbstbestim-mungsrechtes« eines jeden Bürgers wurden die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten, wie sie auch in den Statistikerhebungen abgefragt werden, erheblich erweitert� Da zugleich Aufgaben und Mitwirkung der Daten-schutzbeauftragten erweitert wurden, sind diese bei der Vorbe-reitung der Volkszählung sowohl juristisch als auch zu Details der Verfahren beteiligt worden, sodass – anders als 1983 – einige Bedenken, etwa zur möglichst frühzeitigen Anonymisierung der erhobenen Daten, berücksichtigt werden konnten� Auch erweisen sich die Datenschutzbeauftragten – geschärft durch zahlreiche Beispiele von Missbrauch personenbezogener Daten in Behörden und Unternehmen und deren kritischer öffent-licher Diskussion – heute als deutlich aktiver bei der Verteidi-gung von Bürgerrechten; darin unterscheiden sie sich klar von der weitgehend passiven Haltung der Datenschutzbeauftragten zur Volkszählung 1983, welche fast alle (wie etwa der erste Bundes datenschutzbeauftragte Professor Hans Peter Bull ge-genüber einem Kläger) zu Unrecht als »verfassungskonform« ansahen�

Eine Rolle für das öffentliche Desinteresse an der Volkszäh-lung 2011 mag auch spielen, dass diese auf Anordnung der Europäischen Union gleichzeitig in allen EU-Ländern (sowie einigen assoziierten Staaten wie etwa der Schweiz) durchge-

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führt wird� In der entsprechenden EU-Direktive ist auch ein Minimalkatalog von Daten vereinbart worden, welchen die Bundesregierung allerdings nicht unerheblich erweitert hat� Es kann dahingestellt bleiben, ob das verbreitet festzustellende Desinteresse der deutschen Bevölkerung an Vorgehen und Maßnahmen der EU sich auch als Desinteresse am EU-Zensus 2011 äußert� Immerhin ist ja bekannt, dass die rechtliche Legiti-mation der EU nicht auf einem ähnlich systematischen Rechts-fundament (einer Verfassung) beruht wie das deutsche Rechts-system, sodass die exekutiven Interessen (dazu gehört zweifels-ohne die Erfassung von Bürgerdaten zwecks staatlichen Han-delns) gegenüber der legislativen Kompetenz – welche den Bürger auch vor allzu starken staatlichen Eingriffen schützen müsste – stärker im Vordergrund stehen� Auch die dominante, schwer durchschaubare EU-Bürokratie dürfte dazu beitragen, dass EU-weite Verfahren nur bei »Interessenten« – hier Statis-tikern und Planern – und kaum bei Bürgern beachtet werden� Dabei scheinen zunehmende Bürgerproteste in vielen Teilen der EU darauf hinzudeuten, dass die heute praktizierten Planungs-verfahren, welche sich oft auf statistische Daten stützen, durch neuere Akzeptanz schaffende Verfahren mit direkter Beteiligung betroffener und interessierter Bürger ersetzt werden müssten, bei denen die bisherige Praxis der Sammlung und Auswertung relevanter Daten methodisch erneuert werden müsste�

War 1983 die Protestbewegung gegen das Volkszählungsge-setz noch stark durch Diskussionen über das Bedürfnis nach Schutz der Privatsphäre geprägt, so hat sich die Einschätzung der Schutzbedürfnisse inzwischen stark verändert� So konkur-riert das Prinzip des Schutzes der Privatsphäre – im Angelsäch-sischen: »My home is my castle!«, wenn auch dort nicht durch eine Verfassung geschützt – mit dem Prinzip der öffentlichen Zugänglichkeit von Information – sogar als Zusatz zur US-Ver-

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fassung: »Freedom of Information«� Vor allem das Internet (ge-nauer: seine unterschiedlichen Ausprägungen und Instanzen) unterstützt auf verschiedenste Weise die Informationsfreiheit, während der Informationsschutz dort weniger entwickelt ist� In dem Maße, in dem das Internet in Berufswelt und öffentlicher Artikulation verbreitet genutzt wird, hat sich der dort wirt-schaftlich und politisch aktive Teil der Bevölkerung dem dieser Technologie inhärenten Druck zur offenen Kommunikation unterworfen, teilweise durchaus lustvoll, wie die sogenannten »sozialen Netze« (Facebook, Twitter etc�) mit ihren bisweilen asozialen Wirkungen zeigen� Wenn die Sammlung personen-bezogener Verhaltens- und Nutzerdaten als normaler Bestand-teil täglichen Lebens hingenommen wird, so darf es nicht ver-wundern, wenn (angeblich anonyme) Datensammlungen als nicht diskussionsbedürftig angesehen werden�

Bleibt die Frage, inwieweit die Datensammlung der Volks-zählung 2011 als eher nützlich oder doch eher schädlich anzuse-hen ist� Für die klassischen bürokratieorientierten Planungsver-fahren sind die aus den Erhebungen der Volkszählung 2011 entwickelten Daten vermutlich weiterhin nützlich, auch wenn deren Aktualitätsgrad durch die hohe Geschwindigkeit heutiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen sowie die langwierigen Verarbeitungsprozesse schnell abnimmt� Es darf aber bezweifelt werden, dass Volkszählungsdaten auch für neu-artige, durch Bürgerbeteiligung geprägte und auf Akzeptanz angelegte Planungsprozesse geeignet sind�

Erhebliche Risiken können sich aber sowohl methodisch wie auch für von der Datennutzung Betroffene ergeben, wenn man die zunehmende Vernetzung zwischen den Stellen der Daten-sammlung und der Datennutzung in Staat und Wirtschaft in Betracht zieht� Anders als bei der Volkszählung 1983, als die Datensammelstellen – die statistischen Ämter – noch nicht ver-

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netzt waren, hat inzwischen der hohe Vernetzungsgrad nicht bloß zu schnellerem, gezieltem Zugriff auf Daten geführt� Viel-mehr ergeben sich beim Zugriff auf vielfältige Datenquellen höchst unterschiedlicher Aktualität und Zweckbestimmung methodische Probleme der Kohärenz und Abhängigkeit, von Risiken der Re-Identifizierung angeblich anonymer Daten ganz zu schweigen, welche den Gebrauchswert solcher Daten erheblich beeinträchtigen können�

Zusammengefasst erscheint es eher zweifelhaft, dass die aus dem EU-Zensus 2011 gewonnenen Daten für die Bürger zu besseren Planungsverfahren führen werden� Jedoch sind diese Daten zweifelsohne nützlich, um die sich weiter ausbreitende datengestützte Bürokratie zu beschäftigen� Insofern kann auch eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Datensammlung den Interessen der Informationsgesellschaft widersprechen�

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Es ist wieder Volkszählung

Nach 24 Jahren findet in Deutschland mit Stichtag am 9� Mai 2011 wieder eine Volkszählung statt� Die letzte Volkszählung – damals noch in den alten Bundesländern – gab es im Jahr 1987, obwohl sie eigentlich schon 1983 durchgeführt werden sollte� Das Volkszählungsgesetz 1983 wurde jedoch durch das Bundes-verfassungsgericht wegen Verletzung des informationellen Selbst-bestimmungsrechts in mehreren Punkten für verfassungswidrig erklärt� Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen� Das Verfassungsgericht hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung kein belangloses Datum mehr gebe�

Angesichts der in der Zwischenzeit stattgefundenen Entwick-lung im Bereich der immer weiter fortschreitenden Daten er-fassung und -sammlung über jeden Einzelnen sind die Feststel-lungen des Bundesverfassungsgerichts heute bedeutsamer denn je� Die Wenigsten von uns sind sich im Klaren, wer welche Daten über uns gespeichert hat und wozu unser Persönlichkeitsprofil genutzt werden kann� Dabei werden von den unterschiedlichs-ten Institutionen und Unternehmen ständig Daten über uns gesammelt – beim Telefonieren, beim Ausführen von Online-Überweisungen, beim Bezahlen mit der EC- oder Kreditkarte, beim E-Mail-Versenden oder Surfen im Internet, beim E-Com-

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merce, beim Kauf von Flugtickets oder Zugfahrkarten, beim Arztbesuch, bei der Nutzung von Rabattkarten, beim Schauen von Pay-TV oder beim Abschluss eines Mobil- oder Kredit-vertrages� Niemand von uns weiß, wo genau diese Daten ge-speichert sind und wer darauf Zugriff hat� Ebenso wenig wissen wir, ob und wann diese Daten wieder gelöscht werden�

Die Datensammelwut kennt keine Grenzen, geschweige denn irgendwelche Selbstbeschränkungen� Schließlich ist das Geschäft mit dem Datenhandel ausgesprochen lukrativ� Dies gilt nicht nur für die Steuerdaten-CDs, die die Steuerbehörden – rechtlich abgesegnet – ominösen Anbietern für horrende Sum-men abkaufen� Persönliche Daten oder ganze Persönlichkeits-profile werden von Firmen wie Creditreform oder Schufa auf Anfrage gegen Bezahlung wunschgemäß zur Verfügung gestellt� Derartige Persönlichkeitsprofile werden – unter anderem – gern für gezielte Werbemaßnahmen (etwa per E-Mail oder Telefon) genutzt�

Andere Datenbanken geben z�B� Bewertungen bezüglich der Zahlungsmoral eines Kunden aufgrund von dessen Wohnan-schrift ab� So kann es durchaus passieren, dass Sie mit Ihrer »schlechten Adresse« (weil Sie zufällig nicht in einem Villenvier-tel wohnen) im Internet nur per Vorkasse einkaufen können, während ein finanziell keinesfalls besser gestellter Kunde zwei Ecken weiter im »besseren« Stadtviertel per Lastschrift einkau-fen darf� Auch wird Ihre Kreditwürdigkeit häufig anhand solcher Daten von speziellen Rankingagenturen eingeschätzt� Solche Rankings sind dann dafür ausschlaggebend, ob und in welcher Höhe ein Bankinstitut einem Kunden einen Disposi tionskredit einräumt oder zu welchem Zinssatz ihm ein Verbraucherkredit gewährt wird� Beruht das Ranking auf unzutreffenden Daten, haben die Betroffenen keine Möglichkeit, die Fehleinschätzung zu korrigieren oder sich gegen die daraus resultierenden Nach-

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teile zu wehren, weil die Banken sich schlichtweg weigern, das Rankingverfahren offenzulegen und ihre Informanten zu be-nennen�

Die Befürchtung des Bundesverfassungsgerichts, dass ein-zelne Dateien über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zusammen mit ande-ren Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann, scheint sich längst bewahrheitet zu haben� Hinzu kommt, dass die technische Entwicklung im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung seit dem Volks-zählungsurteil vom 15� Dezember 1983 einen Quantensprung vollzogen hat� Dem hat das Bundesverfassungsgericht dadurch Rechnung getragen, dass es 2008 aus dem allgemeinen Persön-lichkeitsrecht ein weiteres Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer Systeme hinzugefügt hat� Mit diesem Computergrundrecht sollen Nutzer informationstechnischer Systeme (wie Personal-computer, Navigationsgeräte, Telefon) vor Angriffen geschützt werden, die entweder auf die Erlangung der erzeugten, ver-arbeiteten und gespeicherten Daten gerichtet sind oder das Sys-tem in einer Weise manipulieren, dass die Funktionen, Leistun-gen und Speicherinhalte durch Dritte genutzt werden können�

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung zum informationellen Selbstbestimmungsrecht stetig weiterent-wickelt� Vor allem das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 2� März 2010 enthält weiter reichende Ausführungen zum Um-fang des informationellen Selbstbestimmungsrechts, die auch zur verfassungsrechtlichen Prüfung des Zensus 2011 herange-zogen werden können� Das Gericht sah in der vom Gesetzgeber vorgesehenen sechsmonatigen anlasslosen Speicherung von

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Telekommunikationsverkehrsdaten zu Zwecken der Strafver-folgung, der Gefahrenabwehr oder der Nachrichtendienste eine unverhältnismäßige Regelung, die weder eine ausreichende Datensicherheit noch eine hinreichende Begrenzung der Ver-wendungszwecke der Daten gewährleistet� Dieses Urteil kann auch Auswirkungen auf den Ausgang der Verfassungsbeschwer-den gegen das Datenerfassungssystem ELENA (Elektronischer Entgeltnachweis) haben, das die Unternehmen verpflichtet, Daten über die Beschäftigungsdauer und das Einkommen ihrer Mitarbeiter an einen zentralen Datenspeicher der Deutschen Rentenversicherung zu senden� Die Liste der zu meldenden Daten ist 41 Seiten lang, darunter sind beispielsweise auch An-gaben zu Kündigungen, Abmahnungen, Streikteilnahmen und Entlassungsgründen� Die Sozialbehörden sollen dann ab 2012 auf Basis dieser Daten Leistungen auszahlen oder verweigern�

Der »Zensus 2011«, wie die neue Volkszählung genannt wird, läuft dieses Mal nicht nur in Deutschland, sondern europaweit� Und die Bezeichnung »Volkszählung« ist heute geradezu irre-führend, denn keinesfalls wird mit dem Zensus lediglich die aktuelle Anzahl der Einwohner bestimmt, tatsächlich werden unzählige persönliche Daten erhoben, die teils aus bereits be-stehenden Datensammlungen stammen, teils im Wege der direk-ten Befragung ermittelt werden, z�B� bei allen Eigentümern von Gebäuden und Wohnungen� Dabei gilt für die angeschrie-benen Betroffenen grundsätzlich eine Auskunftspflicht� Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, muss mit einem Bußgeld bis zu 5000 Euro rechnen�

Bei den Registerdaten, die zum Stichtag bei den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder zusammengeführt werden, handelt es sich im Einzelnen um Daten der Meldebehörden, der Bundesagentur für Arbeit sowie um Daten von Bundes- und Landesbehörden über alle Angestellten im öffentlichen Dienst

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und die Beamten� Hinzu kommt eine postalische Be fragung aller Gebäude- und Wohnungseigentümer (etwa 17,5 Millionen Betroffene), die vorab im Rahmen einer sogenannten Vorbe-fragung einen Fragenbogen zu ihren jeweiligen Immobilien er-halten� Gleichzeitig werden von den statistischen Landesämtern auch Namen und Adressen der richtigen Eigentümer überprüft�

Darüber hinaus wird bei 10 Prozent der Bevölkerung eine Stichprobenerhebung durchgeführt, die laut Gesetzesbegrün-dung unter anderem zur Gewinnung von erwerbs- und bildungs-statistischen Daten dienen soll, die in dieser Form nicht aus den Registern zu entnehmen sind� Und nicht zuletzt findet auch eine Befragung der Verwalter und Bewohner von Gemein-schaftsunterkünften statt wie z�B� von Krankenhäusern, Justiz-vollzugsanstalten, Wohnheimen und ähnlichen Einrichtungen (sogenannte Sonderbereiche)� Bezüglich der Befragung in diesen »sensiblen Sonderbereichen« hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar bereits im Vorfeld datenschutz-rechtliche Bedenken geäußert�

Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat beim Zensus 2011 auch noch auf weitere Risiken hingewiesen� Nach seiner Mei-nung sind folgende Bereiche datenschutzrechtlich von Bedeu-tung: die erhobenen Merkmale, das Verfahren der Erhebung, die Zusammenführung und Aufbereitung der Daten sowie die Datenverwendung� So entstehe nach Auffassung von Schaar beispielsweise durch die Zusammenführung von Daten, die in verschiedenen Registern und Datenbanken gespeichert sind, eine Infrastruktur, die gegebenenfalls auch für andere Zwecke verwenden werden könnte� Zudem müssen für die Zusammen-führung der Daten Ordnungsmerkmale erstellt werden� Dabei sei es wichtig, dass diese Ordnungsmerkmale so gebildet werden, dass sie keine Rückschlüsse auf die Betroffenen enthalten (etwa ihren Namen) und dass sie frühzeitig gelöscht werden� Ent-

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scheidend sei, dass die Daten nicht außerhalb der Volkszählung verwendet werden und so zu einem verfassungsrechtlich unzu-lässigen allgemeinen Personenkennzeichen mutieren� Ob dies tatsächlich gewährleistet werden kann, wird von Kritikern des Zensus 2011 bezweifelt�

Im Volkszählungsurteil 1983 hat das Bundesverfassungs gericht ausdrücklich verboten, dass die für statistische Zwecke erhobe-nen personenbezogenen Daten für andere Zwecke (etwa für steuerliche oder polizeiliche Belange) verwendet werden dürfen� Die seinerzeit im Volkszählungsgesetz vorgesehene Verwendung der Daten zur Korrektur der Melderegister hat deshalb ganz ent-scheidend zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Ge-setzes beigetragen� Selbstverständlich gilt der Inhalt des Volks-zählungsurteils auch für den Zensus 2011� Es genügt jedenfalls nicht, dass die statistischen Daten lediglich unter das Statistik-geheimnis fallen, es muss auch technisch-organisatorisch sicher-gestellt sein, dass die Daten auf keinen Fall in die Verwaltung zurückgeführt werden – und dies gilt auch, wenn die Daten, wie beim Zensus 2011, zum Teil bereits aus Verwaltungsregistern stammen�

Der Datenschutzbeauftragte des Bundes hält daher eine mög-lichst frühzeitige Trennung der sogenannten Hilfsmerkmale (z�B� des Namens), mit denen die Datensätze einzelnen Personen zugeordnet werden können, von den Erhebungsmerkmalen für unerlässlich� Allerdings ist im Zensusgesetz 2011 nicht konkret geregelt, bis zu welchem Termin die Hilfsmerkmale und Ord-nungsnummern gelöscht sein müssen� Auch hierin sehen Daten-schützer ein verfassungsrechtliches Manko�

Die extrem langen Aufbewahrungsfristen für Hilfsmerkmale und Ordnungsnummern stellen vor allem beim Mikrozensus, der sogenannten »kleinen Volkszählung«, ein erhebliches sicher-heitstechnisches Problem dar� Beim Mikrozensus wird etwa ein

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Prozent der Bevölkerung über einen Zeitraum von fünf Jahren wiederholt zu detaillierten Auskünften herangezogen� Der Mik-rozensusfragebogen umfasst 186 Fragen, wobei auch Fragen zur EU-Arbeitskräftestichprobe integriert sind� Dabei geht es unter anderem um die Größe des Haushalts, die berufliche Stellung, das Einkommen, die Bildung oder die Arbeitssuche (der kom-plette Fragebogen ist im Anhang dieses Buches abgedruckt)�

Die Befragung wird in der Regel von »Interviewern« durch-geführt, die amtlich »Erhebungsbeauftragte« genannt werden� Sie geben die Antworten der Befragten direkt in ihren Laptop ein, auf dem ein Fragebogen installiert ist� Zum Mikrozensus herangezogen werden nicht nur private Haushalte, sondern ebenso Gemeinschaftsunterkünfte� Auch beim Mikrozensus gilt eine Auskunftspflicht, die seitens der Behörden gegebenenfalls mit Zwangsgeldern durchgesetzt wird� Wie beim Zensus 2011 werden beim Mikrozensus ebenfalls Ordnungsnummern ver-wendet, durch die der jeweilige Haushalts-, Wohnungs- und Gebäudezusammenhang wiederhergestellt werden kann� Auf diese Weise kann die persönliche Entwicklung der jeweils be-fragten Person über den Befragungszeitraum verfolgt werden�

Und wie bei den vorangegangenen Volkszählungen wirbt das Statistische Bundesamt auch beim Zensus 2011 wieder mit der absoluten Sicherheit der erhobenen Daten� Doch die Realität ist eine andere� So lassen sich beispielsweise in kleineren Ge-meinden die Erhebungsstellen faktisch nicht – wie vom Bundes-verfassungsgericht gefordert – räumlich, organisatorisch und personell von anderen Verwaltungsstellen trennen� Aus dem 9� Tätigkeitsbericht des Niedersächsischen Datenschutzbeauf-tragten vom 2� Mai 1989 geht unter anderem hervor, dass in einigen Gemeinden kurzerhand Sitzungssäle in Erhebungsstel-len umfunktioniert wurden – ohne spezielle Sicherheitsvorkeh-rungen� Als Anwältin in mehreren hundert Volkszählungs- und

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Mikrozensusverfahren sind mir etliche Fälle in Erinnerung, die als ein krasser Verstoß gegen die Vorgaben des Bundesverfas-sungsgerichts anzusehen waren� So wurden in manchen Städten Lehrer als Interviewer verpflichtet, die die Daten ausgerechnet in den Wohnbezirken erheben sollten, in denen ihre Schüler lebten�

Personenbezogene Daten wecken bei den unterschiedlichs-ten öffentlichen und privaten Nutzern Begehrlichkeiten, und je mehr Daten über eine Person bekannt sind, umso lückenloser ist ihr Profil� Damit wächst gleichzeitig das Risiko eines Daten-missbrauchs� Der Chaos Computer Club hat in seiner Stellung-nahme an das Bundesverfassungsgericht vom 9� Juni 2009 zur Vorratsspeicherung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass für Großunternehmen, ausländische Dienste und kriminelle Elemente ein Datenzugang durch Ausnutzung von Hintertüren, undichten Stellen oder Sicherheitslücken jederzeit möglich ist� »Sensible Daten«, heißt es darin, »werden in letzter Zeit unent-wegt gestohlen, versehentlich veröffentlicht oder absichtlich missbraucht�«

Wer seine Daten beim Zensus 2011 oder beim Mikrozensus nicht preisgeben möchte, kann den Rechtsweg beschreiten und selbstverständlich das Bundesverfassungsgericht im Wege einer Ver fassungsbeschwerde anrufen� Hieran ändert auch die Tat-sache nichts, dass das Bundesverfassungsgericht eine Verfas-sungsbeschwerde gegen das Zensusgesetz 2011 wegen Form-mängeln nicht zur Entscheidung angenommen hat� Eine Ver-fassungsbeschwerde ist für jeden einzelnen Auskunftspflichtigen nach Ausschöpfung des Rechtswegs möglich� Da es bei der Volkszählung und beim Mikrozensus aber in erster Linie darum geht, vor der Preisgabe der eigenen Daten die Verfassungs-mäßigkeit der Befragung zu prüfen, kann in diesem Fall auch schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine Verfassungs-

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beschwerde eingelegt werden, damit eben keine »vollendeten Tatsachen« geschaffen werden� Wie Sie die ersten wichtigsten rechtlichen Schritte gegen die Aufforderung zur Auskunftser-teilung einlegen, erfahren Sie in diesem Buch� Sie haben es somit selbst in der Hand, ob und wie konsequent Sie Ihr infor-mationelles Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen wollen�

Verena S� Rottmann