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VERGABEKAMMER SCHLESWIG-HOLSTEIN beim Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr Reventlouallee 2-4, 24105 Kiel Leitsätze: 1. Ob die Voraussetzungen des als Ausnahmetatbestand eng auszulegenden § 100 Abs. 2 lit. d) GWB vorliegen, ist durch die Vergabekammer von Amts wegen zu prüfen. 2. Auch für eine zulässige Beanstandung der gewählten Verfahrensart fehlt die Antragsbefugnis, wenn der Antragsteller nicht darlegen kann, dass ihm durch diesen Umstand ein Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB entstanden ist oder zu entstehen droht. 3. Es ist grundsätzlich allein Sache der Vergabestelle zu entscheiden, welche Leistung sie ausschreibt; sie ist auch nicht verpflichtet, ihren Bedarf so auszurichten, dass möglichst alle auf dem Markt agierenden Teilnehmer leistungs- und angebotsfähig sind. Die Vergabestelle ist auch nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet, unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile und -nachteile potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen „auszugleichen“. 4. Vom Gebot der Produktneutralität darf dann abgewichen werden, wenn dies ausnahmsweise durch die Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist; zu einer solchen Rechtfertigung bedarf es dann objektiver, in der Sache selbst liegender Gründe, die sich zum Beispiel aus der besonderen Aufgabenstellung des Auftraggebers, aus technischen oder gestalterischen Anforderungen oder auch aus der Nutzung der Sache ergeben können. 5. Die Eignung eines Bieters kann – auch im Rahmen des § 7a Nr. 3 VOL/A – grundsätzlich nur im Rahmen einer Prognoseentscheidung beurteilt werden, für die der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, welcher von den Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt überprüft werden kann. 6. Hinsichtlich des Nachweises seiner Eignung obliegt die Darlegungspflicht dem Bieter. Mangelnde Nachweise bzw. Erklärungen des Bieters können den Auftraggeber insoweit nicht in Beweisnot bringen. BESCHLUSS Az.: VK-SH 25/06

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Leitsätze:

1. Ob die Voraussetzungen des als Ausnahmetatbestand eng auszulegenden § 100 Abs. 2 lit. d) GWB vorliegen, ist durch die Vergabekammer von Amts wegen zu prüfen.

2. Auch für eine zulässige Beanstandung der gewählten Verfahrensart fehlt die Antragsbefugnis, wenn der Antragsteller nicht darlegen kann, dass ihm durch diesen Umstand ein Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB entstanden ist oder zu entstehen droht.

3. Es ist grundsätzlich allein Sache der Vergabestelle zu entscheiden, welche Leistung sie ausschreibt; sie ist auch nicht verpflichtet, ihren Bedarf so auszurichten, dass möglichst alle auf dem Markt agierenden Teilnehmer leistungs- und angebotsfähig sind. Die Vergabestelle ist auch nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet, unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile und -nachteile potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen „auszugleichen“.

4. Vom Gebot der Produktneutralität darf dann abgewichen werden, wenn dies ausnahmsweise durch die Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist; zu einer solchen Rechtfertigung bedarf es dann objektiver, in der Sache selbst liegender Gründe, die sich zum Beispiel aus der besonderen Aufgabenstellung des Auftraggebers, aus technischen oder gestalterischen Anforderungen oder auch aus der Nutzung der Sache ergeben können.

5. Die Eignung eines Bieters kann – auch im Rahmen des § 7a Nr. 3 VOL/A – grundsätzlich nur im Rahmen einer Prognoseentscheidung beurteilt werden, für die der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, welcher von den Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt überprüft werden kann.

6. Hinsichtlich des Nachweises seiner Eignung obliegt die Darlegungspflicht dem Bieter. Mangelnde Nachweise bzw. Erklärungen des Bieters können den Auftraggeber insoweit nicht in Beweisnot bringen.

BESCHLUSS Az.: VK-SH 25/06

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In dem Vergabenachprüfungsverfahren

der XXX,

- Antragstellerin (ASt) -

Verfahrensbevollmächtigte: XXX,

gegen

XXX,

- Antragsgegner (Agg) -

Verfahrensbevollmächtigte: XXX,

betreffend das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren

„Lieferung eines flächendeckenden digitalen Alarmierungsnetzes nach Technischer

Richtlinie BOS ‚Geräte für die digitale Funkalarmierung’ im POCSAC-Standard für die

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in den Kreisen XXX, XXX und

XXX”

hat die Vergabekammer Schleswig-Holstein am 28.11.2006 ohne mündliche

Verhandlung durch die Vorsitzende Tahal, den hauptamtlichen Beisitzer

Frankenstein und den ehrenamtlichen Beisitzer Mann beschlossen:

1. Der Nachprüfungsantrag wird verworfen.

2. Akteneinsicht wird nicht gewährt.

3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner

wird für notwendig erklärt.

5. Für diese Entscheidung wird eine Gebühr in Höhe von 2.277,95 Euro

festgesetzt.

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Die Gebühr ist mit Bestandskraft dieser Entscheidung fällig. Auf die Gebühr wird der

Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,00 Euro angerechnet. Der überschüssige Betrag

in Höhe von 202,05 Euro wird nach der Bestandskraft dieser Entscheidung von der

Geschäftsstelle erstattet.

Gründe:

I.

Der Agg sowie die Kreise XXX und XXX (die drei Kreise nachfolgend

„Vergabestelle“) haben gemäß § 3 Abs. 1 des Brandschutzgesetzes vom 10.02.1996

(GVOBl. Schl.-H. S. 200), zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.02.2005 (GVOBl.

Schl.-H. S. 57), die überörtlichen Aufgaben zur Sicherstellung des abwehrenden

Brandschutzes und der Technischen Hilfe als Selbstverwaltungsaufgabe

wahrzunehmen. Insbesondere sind sie dazu verpflichtet, die erforderlichen Anlagen

zur überörtlichen Alarmierung und Nachrichtenübermittlung für die Behörden und

Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) einzurichten und zu unterhalten. Zu

diesem Zweck betreiben sie in eigener Regie aufgebaute Relaisfunkstellen, für deren

Betrieb ihnen in der Frequenzplanung des Landes Schleswig-Holstein auf Basis der

BOS-Funkrichtlinie drei bestimmte Kanäle im sog. „2-m-Band“ zugewiesen sind.

Die Vergabestelle entschied sich, das Netz und die Geräte der beteiligten Kreise,

welche bislang auf analoger Technik basieren, auf digitale Technik umzustellen. Im

Rahmen einer gemeinsamen Vorbesprechung am 09.01.2006 (vgl. Vergabeakte Bl. 1

ff.) wurde festgelegt, dass der Agg für die Vergabestelle „die notwendige

Detailplanung in Form einer Leistungsbeschreibung erstellen und auch das

Vergabeverfahren (…) durchführen“ sollte. Im Rahmen dieses Gespräches wurde

festgestellt, dass eine Systementscheidung zu treffen sei, „welche Lösung –

eigenständig betriebenes Digitalalarmnetz auf Grundlage der TR BOS und auf

Frequenzen der BOS-Funkrichtlinie oder Mietlösung auf Basis eines kommerziellen

Funk- oder Mobilfunknetzes (Stichwort: e*BOS-Alarm bzw. Telekom Alarmruf)

außerhalb der Frequenzen der BOS-Funkrichtlinie – geplant und ausgeschrieben

werden“ solle. Eine vorgeschaltete Systementscheidung sei insbesondere deshalb

notwendig, um die Leistungsbeschreibung so gestalten zu können, dass sie von allen

Bietern in gleicher Weise verstanden werden könne. Da beide Systeme technisch

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nicht miteinander vergleichbar seien, könne nur durch eine vorherige Festlegung

zuverlässig sichergestellt werden, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet sei.

Zudem sei mit der Festlegung die notwendige Entscheidung verbunden, ob die

notwendigen Haushaltsmittel im Vermögens- oder im Verwaltungshaushalt

(Mietlösung) einzuplanen seien. Anhand der durch die Bedarfsträger definierten

Leistungsanforderungen sowie unter Berücksichtigung externer Vorgaben (z.B. des

Datenschutzes) beschrieb die Vergabestelle folgende Anforderungen an die zu

erbringenden Leistungen:

1. Größter Wert wird auf eine hohe Verfügbarkeit und Flächendeckung

(mindestens 90 bzw. 95 % Zeit- / Ort- Wahrscheinlichkeit des Netzes gelegt.

2. Hinsichtlich der Verfügbarkeit von 99,98 % sind alle wesentlichen

Anlagenkomponenten redundant auszulegen und zu überwachen.

3. Bezüglich der Flächendeckung ist durch eine ausschließliche Anordnung der

Standorte der Digitalen Alarmumsetzer (DAU) sicherzustellen, dass dort eine

möglichst hohe Versorgungsdichte erzielt wird.

4. An Rettungswachen- und Krankenhausstandorten ist ein deutlich erhöhter

Versorgungsgrad anzustreben.

5. Das Netz ist so engmaschig zu strukturieren, dass auch der Ausfall einer

Funkstelle im Sinne eines DAU die Anrufempfindlichkeit nur unwesentlich

beeinflussen darf; dies ist durch eine Überlappung von Aussendezonen

sicherzustellen.

6. Für die DAU selbst ist ein mobiler DAU mit Digital Alarmgeber (DAG) als

Ausfallreserve und zusätzliche Alarmierungsstelle bei Großveranstaltungen in

der Fläche vorzusehen.

7. Es werden zwei Ausweichalarmierungsstellen (AAS) mit eigenem

Einspeisepunkt am Standort der AAS in das Netz gefordert (Standorte sollen

nicht veröffentlicht werden).

8. Die zur Nachrichtenübertragung erforderlichen Funkverbindungen müssen

dem unmittelbaren Zugriff durch die drei betroffenen Kreise unterliegen und

auf absehbare Zeit (mindestens 15 Jahre) gesichert sein.

9. Nutzungsrechte für die Funkverbindung müssen transparent und den Kreisen

gegenüber durch die Frequenzkoordination des Landes zugeordnet sein.

10. Für die Nutzung der Frequenz dürfen keine Kosten anfallen.

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11. Die Anbindung der DAU an die Master DAU soll unbedingt auf eigenen

Leitungswegen erfolgen. Sollte dies in Ausnahmefällen nicht möglich sein, darf

eine Mietleitung in redundanter Form verwendet werden. Mieter der Leitung

muss die Integrierte Regionalleitstelle (IRLS) XXX sein. Eine Verwendung

verschiedener Leitungsanbieter auf einer Strecke ist unzulässig; der Ausfall

der Mietleitung darf nicht dazu führen, dass keine Alarmierung mehr möglich

ist.

12. An den DAU selbst muss eine Notauslöserichtung angebracht sein, die eine

fest vorgegebene Radio Identification Code (RIC) – Folge auslöst und über

den Folgering ausstrahlt. Der Zugang zu dieser Auslöseeinrichtung muss für

die örtlich zuständige Feuerwehr jederzeit möglich sein (Druckknopfmelder).

13. Die Kreise fordern eine lückenlose Kontrollmöglichkeit über den

Alarmdurchsatz vom Einsatzleitrechner (Timestamp 1) über den DAG

(Timestamp 2), die Aussendung durch den Master DAU (Timestamp 3) und

die DAU (Timestamp 4) bis zur Luftschnittstelle (Kontrolle der Alarmauslösung

durch Rückempfang – Timestamp 5).

14. Für den Rettungsdienst und Krankentransport wird eine Verschlüsselung des

Nachrichtentextes gefordert. Diese ist im DAG zu realisieren. Eine

Verschlüsselung im Einsatzleitrechner (ELR) ist nicht zulässig, damit die VS

auch im Havariebetrieb ohne ELR funktioniert.

15. Geheimschutzinteressen hinsichtlich der Standorte von DAU und AAS sind

zu wahren.

16. Größtmöglicher Wettbewerb muss gegeben sein (für Erstbeschaffung und

Folgebeschaffung von Endgeräten).

17. Die Kosten für das Gesamtnetz (Beschaffung) und für Endgeräte (DME,

DSE) müssen nach dem Finanzausgleichsgesetz (FAG) förderfähig sein.

Diesen Anforderungen wurden die entsprechenden Parameter der verschiedenen

Systeme, welche die Vergabestelle den ihr vorliegenden Herstellerinformationen

entnommen hatte, gegenübergestellt.

Eingedenk der aufgestellten Bedingungen verwarf die Vergabestelle die Nutzung des

Mobilfunknetzes (GSM), da die zu fordernde Netzverfügbarkeit (99,98 %) mit 97 %

nicht garantiert werden könne; ein theoretischer Ausfall des Alarmierungsnetzes für

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die Alarmierung von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz in dieser

Größenordnung sei nicht hinnehmbar. Zudem werde durch das Netz die geforderte

Ort- / Zeitwahrscheinlichkeit nicht erreicht.

Das von der ASt unter dem Namen XXX angebotene Produkt basiert nach den

Feststellungen der Vergabestelle auf dem ehemaligen Netz „XXX“ der XXX und sei

deutschlandweit bei zwei öffentlichen Anwendern im Einsatz. Das Netz werde über

ein Network Operation Center (NOC) in XXX gesteuert; die einzelnen Basisstationen

würden über Satellit angesteuert und das NOC an die Leitstelle über das Netz der

XXX angesteuert.

Die Vorteile dieses Systems seien:

- keine Investitionskosten (Mietlösung / Gebühren)

- Sendeleistung 100 Watt

- Schneller Netzaufbau (Standorte vorhanden)

- billige Endgeräte.

Die Nachteile der XXX-Alarmierung seien:

- keine Netzhoheit der Kreise (Technik / Infrastruktur)

- keine Frequenzhoheit der Kreise (Trägerfrequenz)

- lückenhafte Redundanzen (XXXnetz nach XXX / Satellit)

- nur ein NOC (Gefahr durch Feuer, Blitzschlag, Terroranschlag etc.)

- nur eine Trägerfrequenz (je mehr Nutzer, desto wahrscheinlicher ist Überlast)

- laufende Kosten für jedes Endgerät (z.B. auch Sirenen)

- Insolvenz des Netzbetreibers möglich (trotz ggf. Heimfallregelung kritisch)

- „grobmaschiges“ Netz (Qualitätseinbußen bei Ausfall einer Station)

- Einbuchung jedes Endgerätes verursache Einbuchungskosten von ca. 70

Euro (quasi Monopol)

- keine Verschlüsselung lieferbar (Datenschutz)

- kein Wettbewerb, da nur ein Anbieter (ASt)

- entspreche nicht dem IMK-Beschluss von 1976.

Die unter der Bezeichnung „Digitale Alarmierung“ von mehreren Herstellern

angebotene Lösung ist nach Einschätzung der Vergabestelle technisch

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standardisiert; der entsprechende Aufbau sei in der Technischen Richtlinie TR BOS

„Geräte für die digitale Funkalarmierung“ eindeutig beschrieben, so dass alle

Produkte untereinander technisch 1:1 vergleichbar seien; das System werde in der

Bundesrepublik mehrfach genutzt.

Die Vorteile der Digitalen Alarmierung nach TR BOS seien:

- alleinige Netzhoheit der Kreise

- Netz vollständig im Besitz der Kreise (keine Gefahr durch Insolvenz)

- Frequenzhoheit der Kreise durch Nutzung von Frequenzen aus der BOS-

Funkrichtlinie gegeben

- durchgängige Redundanzen

- saubere technische Beschreibung des Netzes (TR BOS)

- mehrere unabhängige Alarmauslösestellen (keine Gefahr bei Ausfall einer

Alarmierungsstelle)

- engmaschiges Standortnetz (Ausfall eines Standorts werde zuverlässig

kompensiert)

- endliche Kosten (keine Gebühren oder sonstige laufende Kosten für Netz

oder Endgeräte)

- entspreche dem IMK-Beschluss aus April 1976

- Verschlüsselung als systemintegrativer Bestandteil lieferbar

- echter Wettbewerb im Rahmen der aktuellen und zukünftiger

Ausschreibungen.

Die Nachteile der Digitalen Alarmierung nach TR BOS seien:

- erhöhter (technischer und zeitlicher) Aufwand bei der Einrichtung vieler

Standorte

- Wartungs- und Serviceaufwand für die Infrastruktur bei den Kreisen

- erforderliche Investitionen zu Beginn des Projekts.

Die kommerziellen Funkruf- und Mobiltelefonnetze (GSM und XXX-Alarmierung)

könnten die BOS-Technik nicht ersetzen, da sie den gestellten Anforderungen

bezüglich Schnelligkeit und Sicherheit der Alarmierung nicht entsprechen würden.

Problematisch sei vor allem der fremde Netzbetrieb mit der damit verbundenen

Organisation. Keiner der entsprechenden Anbieter könne eine Alarmierungszeit

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garantieren, nach welcher der Ruf spätestens erfolge. Dadurch, dass der

Vergabestelle auch keine Priorität gegenüber anderen Regionen eingeräumt werde,

sei eine schnelle Alarmierung – insbesondere bei flächendeckenden Ereignissen wie

Unwettern – nicht gesichert. Die Sicherheit des Netzbetriebes sei ebenfalls nicht im

erforderlichen Maße gegeben, da sich die Vergabestelle in eine problematische

Abhängigkeit zu einem Paging-Anbieter begeben würde. Bei Störungsfällen (z.B.

technische Probleme, Unwetter, Arbeitskampf oder Konkurs) unterliege der Anbieter

nicht dem Zwang, die Betriebsbereitschaft schnellstmöglich wieder herzustellen, wie

es für die Alarmierung von Hilfskräften unbedingt erforderlich sei. Dies könnte trotz

ggf. vorhandener vertraglicher Regelungen in der Praxis zu Problemen (mit der

Gefahr eines Organisationsverschuldens) führen.

Die Vergabestelle beschloss daher „nach einer eingehenden Systemanalyse“ unter

dem „Blickwinkel der Versorgungssicherheit in der Krisenkommunikation und der

begründeten Interessen der Kreise“ u.a. bezüglich des Geheimschutzes,

„- ein eigenes (Kauf eigener Infrastruktur),

- auf Frequenzen der BOS-Funkrichtlinie arbeitendes,

- der TR-BOS „Geräte zur digitalen Funkalarmierung“ entsprechendes

Netz zu beschaffen, einzurichten und zu unterhalten.“

Der Agg entschied sich dabei für ein „Nichtoffenes Verfahren mit öffentlichem

Teilnahmewettbewerb“ (vgl. S. 1 Vergabevermerk) und dokumentierte die

entsprechende Begründung in den Vergabeakten (Vermerk vom 13.01.2006, Bl. 21

bis 23). Danach soll das Alarmierungsnetz auf den BOS exklusiv zugewiesenen

Funkfrequenzen betrieben werden; nach der BOS-Funkrichtlinie seien hierfür nur

Funkanlagen zugelassen, welche dem zwingend einzuhaltenden Standard der TR

BOS entsprächen, was derzeit bei den Funkanlagen von drei deutschen und einem

österreichischen Hersteller der Fall sei. Im Rahmen des europaweiten Wettbewerbs

seien keine weiteren Hersteller von Anlagen zu erwarten, da mit deren Geräten kein

Funkbetrieb auf Frequenzen der BOS zulässig wäre, selbst wenn diese Anlagen

technisch gleichwertig seien. Da an die Errichterfirmen zudem ganz besondere

Anforderungen in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachkunde zu

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stellen seien, lägen die Voraussetzungen des § 3 Nr. 3 lit. a) VOL/A vor. Zudem sei

weder für die Vergabestelle noch für die Bewerber ein Vorteil durch ein Offenes

Verfahren erkennbar (§ 3 Nr. 3 lit. b] VOL/A): Eine Vielzahl unselektierter Angebote

könnte die Vergabestelle belasten; es würden unnötige Kosten für den Versand der

umfangreichen Verdingungsunterlagen sowie für Lizenzen des Digitalen

Geländemodells (DGM) anfallen; ungeeignete Bieter würden nicht mit vergeblichem

Aufwand für eine Angebotserstellung belastet. Weiterhin greife § 3 Nr. 3 lit. d) VOL/A,

da in den Verdingungsunterlagen umfangreiche Objektdaten enthalten seien, die

nach den Regelungen der mit den Besitzern (z.B. Bundeswehr) geschlossenen

Standortverträge Dritten nur in einem eng umschriebenen Rahmen zugänglich

gemacht werden dürften. Ein Offenes Verfahren mit einer eher ungerichteten

Verteilung der Unterlagen würde die Einhaltung dieser Regelungen ganz erheblich

erschweren bzw. verhindern. Auch sollten Details der einzurichtenden

Netzinfrastruktur (Standorte der Anlagen und AAS) aus Geheimschutzgründen nicht

öffentlich gemacht werden.

Dementsprechend veröffentlichte der Agg unter dem Datum der Absendung vom

XXX im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften unter der

Nummer XXX eine Vergabebekanntmachung zum Kauf eines digitalen Alarmnetzes

„nach TR-BOS inkl. zusätzlicher Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mit ca. 70 Digital-

Alarmumsetzern (DAU) inkl. Master- und Redundanz- DAU; Antennenbau; Einsatz-

Leitrechneranbindung; mindestens 150 digitale Endgeräte (DME).“ Als Schlusstermin

für den Eingang der Teilnahmeanträge wurde der 31.07.2006 bestimmt; der Agg

beabsichtigte, mindestens fünf Bewerber zur Angebotsabgabe aufzufordern. Als

Bedingungen für die Teilnahme hatte der Agg unter anderem formuliert (Ziffern III.2.1

bis III.2.3 der Vergabebekanntmachung):

• Referenz von mindestens drei erfolgreich durchgeführten gleichartigen

Installationen (gleicher technischer Ausbauzustand, Umfang mindestens 20

DAU in einem Kreisgebiet), die nicht älter als seit 2000 im Routinebetrieb sind,

mit Angaben zu:

- Anschrift mit Ansprechpartner und Telefonnummer,

- Anzahl Digital Alarmumsetzer,

- Rechnungswert (Lieferumfang des Bewerbers)

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• Erklärung des Bewerbers, welche geforderten Komponenten in den

Referenzprojekten nicht zum Einsatz kommen.

• Schriftliche Bestätigung des öffentlichen Auftraggebers, dass vom Bewerber

die geforderten Leistungen von Wartung /Service bei den Referenzobjekten

immer eingehalten wurden.

• Erklärung, dass der Bewerber eine Digitale Alarmierungs-Infrastruktur nach

TR-BOS „Geräte für die digitale Funkalarmierung" mit zusätzlicher Ende-zu-

Ende-Verschlüsselung anbieten kann.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.07.2006 rügte die ASt die ausschließliche

Bezugnahme der Vergabebekanntmachung auf die TR BOS als Verstoß gegen das

Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgebot und das Gebot der Produktneutralität.

Die Vorgaben der TR BOS seien seit längerem technisch überholt, was letztlich zu

einer vergaberechtswidrigen Einengung des Wettbewerbs führe (§ 97 Abs. 1 GWB).

Unternehmen die mit ihren technischen Lösungen die Vergleichsparameter erfüllen,

würden entgegen § 97 Abs. 2 GWB diskriminiert. Weiterhin läge ein Verstoß gegen

§ 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A vor: Eine allgemeine (durch Gesetz oder Verordnung

vorgeschriebene) Pflicht zur Beachtung der TR BOS gebe es nicht. Durch die

technische Weiterentwicklung seien nunmehr technisch und wirtschaftlich

mindestens gleichwertige Lösungen, wie z.B. die der ASt, auf dem Markt. Auch das

Innenministerium Schleswig-Holstein halte zur Vergleichbarkeit unterschiedlicher

technischer Systeme Vergleichsparameter (Zeitverhalten, Redundanzen, Kapazität,

Ausleuchtung) für maßgeblich, welche durch die ASt erfüllt würden. Jedenfalls

müsste eine Bezugnahme auf die TR BOS gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 5 VOL/A mit dem

Zusatz „oder gleichwertig“ versehen werden. Weiterhin hätte die (exklusive)

Bezugnahme auf die TR BOS entgegen § 8 Nr. 3 Abs. 4 VOL/A die Wirkung, dass

bestimmte Erzeugnisse oder Hersteller bevorzugt würden. Daher seien auch alle

geforderten Eignungsnachweise, welche sich ausschließlich auf die TR BOS

beziehen, unzulässig; dies gelte insbesondere für die Forderung nach einer

„Erklärung, dass der Bewerber eine Digitale Alarmierungs-Infrastruktur nach TR-BOS

‚Geräte für die digitale Funkalarmierung’ mit zusätzlicher Ende-zu-Ende-

Verschlüsselung anbieten kann“ sowie für die geforderten „Referenzen von

mindestens drei erfolgreich durchgeführten gleichartigen Installationen“, sofern unter

gleichartigen Installationen nur solche der TR BOS verstanden würden. Zudem seien

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keine Gründe für die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens ersichtlich; der

Ausnahmetatbestand nach § 3 Nr. 3 lit. a) VOL/A liege jedenfalls nicht vor, da eine

exklusive Bezugnahme auf die TR BOS, welche den Wettbewerb auf wenige

Unternehmen einschränke, gerade unzulässig sei.

Mit Antrag vom 26.07.2006 bewarb sich die ASt um Teilnahme am

streitgegenständlichen Vergabeverfahren. Als Referenzen wurden die Lieferung,

Inbetriebnahme und Leistung der XXX-Alarmierung an den Landkreis XXX, die XXX,

den Kreis XXX und die Stadt XXX benannt.

Unter dem Datum der Absendung vom XXX (veröffentlicht am XXX) korrigierte der

Agg unter der Nummer XXX seine Bekanntmachung zur Nummer XXX dergestalt,

dass die Bezeichnung des Auftrags durch den Auftraggeber unter Ziffer II.1.1 und

Ziffer II.1.5 sowie zum Lieferumfang unter Ziffer II.2.1 hinsichtlich der Angabe „TR

BOS“ ebenso um die Formulierung „oder gleichwertig“ ergänzt wurden wie die

Forderung nach einer Erklärung, dass der Bewerber eine Digitale Alarmierungs-

Infrastruktur nach TR-BOS „Geräte für die digitale Funkalarmierung" mit zusätzlicher

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbieten kann (Ziffer III.2.3). Die Formulierung

„gleicher technischer Ausbauzustand, Umfang mindestens 20 DAU in einem

Kreisgebiet“ im Zusammenhang mit der Forderung nach Referenzen von mindestens

drei erfolgreich durchgeführten gleichartigen Installationen unter Ziffer III.2.3 wurde

gestrichen. Als neuen Termin für die Einreichung der Teilnahmeanträge bestimmte

der Agg den 14.08.2006

Nachdem dieser Umstand mit Schreiben vom 01.08.2006 allen Bewerbern mitgeteilt

worden war, informierte der Agg unter dem 10.08.2006 die

Verfahrensbevollmächtigten der ASt mit gesondertem Schreiben über die

vorgenommenen Änderungen an der Vergabebekanntmachung. Der Agg wies

zugleich darauf hin, dass die Vergabestelle ihre Verpflichtungen bislang durch die

Unterhaltung eines eigenen Funknetzes auf Basis der BOS-Funkrichtlinie erfülle; in

diesem Fall müssten jedoch auch zwingend Funkanlagen verwendet werden, die der

TR BOS entsprächen. Dies sei diversen Herstellern auch problemlos möglich;

jedenfalls sei deren Kreis größer als derjenige der Unternehmen, die – wie die ASt –

eine Nutzung ihrer kommerziellen Funkrufsysteme anböten; dem Agg sei insoweit

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nur die ASt bekannt. Die Entscheidung der Vergabestelle, für die Alarmierung ein

eigenes und exklusiv zur Verfügung stehendes Funknetz anzuschaffen, sei

vergaberechtlich nicht zu beanstanden, da es ureigenste Sache des Auftraggebers

sei, zu entscheiden, welche Liefer- bzw. Dienstleistungsaufgabe verwirklicht werden

solle, um den von ihm verfolgten Zweck zu erreichen. Die Frage, ob die BOS bereit

seien, die Verfügungsgewalt über ihr eigenes Netz aufzugeben, sei demnach

vergaberechtlich nicht zu beantworten. Im Übrigen schreibe die TR BOS „Geräte für

die digitale Funkalarmierung“ als bundesweit anerkannter und umgesetzter Standard

weder ein bestimmtes Produkt noch einen bestimmten Hersteller vor. Die Wahl des

Nichtoffenen Verfahrens sei gemäß § 3 Nr. 3 lit. a), b) und d) VOL/A gerechtfertigt.

Unter dem 10.08.2006 beanstandete die ASt weitere ihrer Ansicht nach gegebene

Vergaberechtsverstöße: So sei das ausgeschriebene digitale Alarmierungsnetz durch

die Vergabebekanntmachung in der Fassung vom XXX an verschiedenen Stellen

nachträglich erheblich eingeschränkt worden, da der Zusatz „2-m-Band der BOS“

aufgenommen worden sei. Dass die Vergabestelle den Ausbau eines eigenen

Funknetzes wolle, sei dem ursprünglichen Text der Ausschreibung nicht zweifelsfrei

zu entnehmen gewesen. Dieser „geheime Vorbehalt“ sei in Kenntnis des Angebotes

der ASt nachträglich aufgenommen worden, so dass die ASt mit ihrem Angebot

möglicherweise nicht berücksichtigt werden könnte. Dies sei selbstredend

vergaberechtswidrig, insbesondere weil es der ASt bis zum Ablauf der Teilnahmefrist

am 14.08.2006 nicht mehr möglich sei, ein entsprechendes Angebot abzugeben.

Zudem sei eine weitere Verkürzung der Vertragslaufzeit um 13 Tage vorgenommen

worden, was ebenfalls zu rügen sei.

(Auch) aufgrund der Rüge eines weiteren Bewerbers nahm der Agg unter dem

Datum der Absendung vom XXX (veröffentlicht am XXX) unter der Nummer XXX

eine weitere Korrektur an der Vergabebekanntmachung vor: Dadurch wurde u.a. der

Schlusstermin für den Eingang der Teilnahmeanträge auf den 20.09.2006

verschoben. Mit Schreiben vom 14.08.2006 wies der Agg alle Bewerber auf diesen

Umstand hin.

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Unter dem 15.09.2006 teilte die ASt dem Agg unter Bezugnahme auf dessen

Schreiben vom 14.08.2006 mit, dass der Teilnahmeantrag vom 26.07.2006

unverändert bestehen bleibe.

Mit Schreiben vom 22.09.2006 (Bl. 292 ff. der Vergabeakte) erkundigte sich der Agg

bei den Landkreisen XXX und XXX, bei der Stadt XXX sowie bei der XXX, welche im

Teilnahmeantrag der ASt als Referenzen genannt wurden, wer im Rahmen der dort

umgesetzten Konstellation Eigentümer der Alarmierungseinrichtung geworden sei.

Übereinstimmend wurde dem Agg mitgeteilt, dass es sich um reine Mietlösungen

(kein Invest) gehandelt habe. Bereits unter dem 01.08.2006 hatte der Agg beim

Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) schriftlich

angefragt, inwieweit sich aus der Gesetzeslage ableiten lasse, dass die Übermittlung

personenbezogener Daten (z.B. Gesundheitsdaten und Verdachtsprognosen in

Verbindung mit Namen und Anschriften) auf dem Funkwege zu verschlüsseln sei.

Eine Codierung nach POCSAG-Protokoll im 2-m-Band der BOS ermögliche optional

mit vertretbarem Mehraufwand auch eine „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ mit

einem anerkannten 128-Bit-Schlüssel. Mit Schreiben vom 14.08.2006 hatte das ULD

mitgeteilt, dass es eine „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ als eine erforderliche und

angemessene Maßnahme i.S.v. § 5 Abs. 1 und 2 Landesdatenschutzgesetz ansehe.

Mit Schreiben vom 25.09.2006 wandte sich der Agg gemäß § 7a Nr. 2 Abs. 4 VOL/A

mit einer Frage an die ASt, welche er am 26.09.2006 wie folgt präzisierte: „Bieten Sie

uns im Rahmen der Ausschreibung die Netzkomponenten zum Kauf an (d.h. die

Kreise werden mit dem Tag der Abnahme Alleineigentümer der zentralen und

peripheren Komponenten des Netzes), oder stellt Ihr Teilnahmeantrag eine Lösung

vor, bei der die Kreise eine Pagingdienstleistung durch Zahlung einer regelmäßigen

oder einmaligen Netznutzungs- oder Dienstleistungsgebühr (sprich, einer Miete)

erhalten?“ Eine Antwort hierauf gab die ASt nicht.

Nach Abschluss der Durchsicht der sieben eingegangenen Teilnahmeanträge stellte

der Agg fest (vgl. Vergabevermerk, Bl. 4 f. der Vergabeakten), dass sich die

Referenzen der ASt ausnahmslos auf Projekte beziehen würden, die – anders als die

deutlich festgelegte Kaufabsicht in Ziffer II.1.2 der Vergabebekanntmachung

(„Lieferung“, „Kauf“) – als Pagingdienstleistungen erbracht worden seien. Damit

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könne allenfalls die Eignung als Netzbetreiber für Funkruf, nicht aber die als

Errichterfirma nachgewiesen werden. Ebenso sei die Gleichwertigkeit der von der

ASt vertriebenen Lösung aus Gründen der Versorgungssicherheit sowie unter

Berücksichtigung der regionalen Gefährdungseinschätzung und der damit

verbundenen Sicherheitsmaßnahmen bzw. Geheimschutzinteressen objektiv nicht

gegeben. Zudem sei dem Teilnahmeantrag der ASt keine vollständige Erklärung

beigefügt worden, welche der geforderten Komponenten in den Referenzprojekten

nicht zum Einsatz komme; der Hinweis auf prinzipiell bzw. theoretisch denkbare

Lösungen ersetze diese Erklärung nicht.

Der ASt wurde mit Schreiben des Agg vom 27.09.2006 daher mitgeteilt, dass ihr

Teilnahmeantrag abgelehnt worden sei und sie nicht zur Angebotsabgabe

aufgefordert würde. Unter dem 29.09.2006 rügte die ASt die Teilnehmerauswahl als

vergaberechtswidrig; die ASt müsse davon ausgehen, dass diese nicht nach den

Eignungskriterien Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, sondern unter

Zugrundelegung vergabefremder Kriterien erfolgt sei. Die von der ASt vorgelegten

Referenzprojekte seien zweifelsfrei als Nachweis für Fachkunde und

Leistungsfähigkeit geeignet. Auf welcher wirtschaftlichen Grundlage diese Projekte

abgerechnet worden seien und die Frage der Eigentumslage habe keinen Einfluss

auf die Frage, ob die ASt die Eignung habe, entsprechende Lösungen zu erstellen;

der Agg spreche der ASt dies lediglich aufgrund von Vermutungen ab. Die Forderung

des Agg nach einer Erklärung hinsichtlich der bei Referenzprojekten nicht zum

Einsatz kommenden Komponenten (Ziffer III.2.3, 4. Spiegelstrich) werde vorsorglich

mangels hinreichender Bestimmtheit gerügt. Im Übrigen seien die entsprechenden

Angaben im Teilnahmeantrag enthalten.

Mit Schreiben vom 05.10.2006 teilte der Agg der ASt mit, dass es bei der

Entscheidung über die Auswahl der Bewerber bleibe. Die Referenzen der ASt

beschrieben nicht die Errichtung eines digitalen Alarmierungsnetzes durch die ASt

sondern deren Tätigkeit als Betreiberin eines Netzes für Funkruf. Gleiches gelte für

die weiteren Erklärungen und Nachweise der ASt, die nicht gleichwertig zur

ausgeschriebenen Maßnahme seien. Dies werde auch dadurch deutlich, dass die

ASt in ihrem Schreiben vom 10.08.2006 Änderungsbedarf an ihrem Teilnahmeantrag

reklamiert habe, nachdem sie erst aufgrund der korrigierten Bekanntmachung

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erkannt habe, das der Agg ein Netz kaufen wolle, und trotz Verlängerung der

Einreichungsfrist bis zum 20.09.2006 diesem selbst erkannten Änderungsbedarf

nicht Rechnung getragen habe. Die Auswahlentscheidung sei aufgrund sachlicher

Gesichtspunkte erfolgt; die Eignungsbewertung habe gerade nicht nur

unternehmens- sondern auch auftragsbezogen zu erfolgen. Die

Nichtberücksichtigung der ASt sei ermessensfehlerfrei erfolgt.

Unter dem 18.10.2006 hat die ASt einen Nachprüfungsantrag bei der erkennenden

Kammer gestellt; darin wiederholt und vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen.

Die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens durch den Agg sei nicht gerechtfertigt,

vielmehr müsse ein Offenes Verfahren durchgeführt werden. Die Ermächtigung des §

3 Nr. 3 lit. a) VOL/A sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Sie betreffe nur

ganz spezielle Leistungen, die objektiv nur von einem oder zumindest nur sehr

wenigen spezialisierten Unternehmen erbracht werden könnten. Bei sieben

Teilnahmeanträgen könne diese Begründung daher nicht überzeugen. Das Argument

des Agg, die für einen weit reichenden Versand der Verdingungsunterlagen

entstehenden Kosten ständen zum erreichbaren Wert der Leistung in einem

Missverhältnis i.S.v. § 3 Nr. 3 lit. a) VOL/A erscheine bei einem geschätzten

Auftragswert von 1 Mio. Euro abwegig; insbesondere im Vergleich von fünf zu

möglicherweise sechs Exemplaren. Das vom Agg geltend gemachte

Geheimhaltungsinteresse i.S.v. § 3 Nr. 3 lit. d) VOL/A bleibe unklar: Weshalb die

Daten einer Zahl von mindestens fünf Bewerbern zugänglich gemacht werden

dürften, einer darüber hinausgehenden Zahl jedoch nicht, bleibe ungeklärt. Der ASt

sei in den ihr bekannten Ausschreibungen zu Alarmierungsnetzen die Berufung auf

ein Geheimhaltungsbedürfnis bislang nicht begegnet. Ein Geheimhaltungsinteresse

des Agg durch Aufnahme produktdiskriminierender Vorgaben in die

Verdingungsunterlagen scheide aus.

In Bezug auf die technischen Beschränkungen der Ausschreibung würde die Abhilfe

des Agg nicht ausreichen: Der Zusatz „oder gleichwertig“ helfe der ASt nur dann

weiter, wenn eine funktionale Betrachtung zugrunde gelegt würde. Zudem wirke die

vom Agg nachträglich eingeführte Beschränkung auf das 2-m-Band behindernd

gegen die das 0,7-m-Band verwendende ASt. Bereits durch die Festlegung auf ein

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Netz mit Frequenzen im 2-m-Band im Vermerk vom 09.10.2006 – also noch vor

Beginn der Ausschreibung – habe der Agg die Nutzung des ausschließlich für die

BOS gewidmeten 0,7-m-Bandes ausgeschlossen.

Sollte der Agg die Funknetzplanung durch eine bereits erfolgte Festlegung von

einzurichtenden Gerätestandorten, hinsichtlich örtlicher Lage, baulicher Höhe,

Qualität, Anzahl und Eigentumsverhältnissen bereits vorweggenommen haben, sei

dies ebenfalls ein vergaberechtswidriger Nachteil für die ASt.

Die Festlegung des Agg auf Frequenzen im 2-m-Band sei eine diskriminierende

Beschränkung ohne nachvollziehbare Begründung. Auch habe die ASt bei den

angeführten Referenzprojekten selbstverständlich die genannten Netze errichtet;

keinesfalls habe sie den Eindruck vermittelt, sie würde nur vorhandene

Alarmierungsnetze betreiben. Aus der Verwendung des Wortes „Kauf“ in der

Vergabebekanntmachung habe die ASt nicht entnehmen können, was im Einzelnen

gekauft werde, wie es ggfs. finanziert werde und wie eine aller Voraussicht nach

erforderliche technische Zusammenarbeit beim Betrieb des Netzes infolge seiner

Errichtung gestalten sein würde.

Die vom Agg vorgetragene „Kauf- / Mietproblematik“ stelle daher nur einen Vorwand

dar, die ASt nicht einmal bis zum Angebot kommen zu lassen. Ein Alarmierungsnetz

bestehe grundlegend aus den Komponenten Alarmierungsinfrastruktur (z.B.

Alarmgeber, Empfangs- und Sendeeinrichtungen, Standorte für Geräte und Anlagen,

Liegenschaften, …), Netzwerkkomponenten (z.B. Telekommunikationsleitungen,

Stromversorgungsleitungen und –einrichtungen, Frequenzen, …) und

Meldeempfängern (z.B. Meldeempfänger für Personen, Sirenensteuergeräte,

Schaltempänger, Zubehöre). Von diesem Komponenten stünden Liegenschaften und

Standorte, Netzwerkkomponenten (wie Telekommunikationsleitungen, welche im

Wesentlichen gemietet oder überlassen würden) und Frequenzen (deren Nutzung

durch die Bundesnetzagentur gegen Gebühr genehmigt werde) praktisch in keinem

Fall im Eigentum des Betreibers. Insofern sei es für den Nutzer eines

Alarmierungssystems praktisch nicht möglich, alle für den Betrieb erforderlichen

Komponenten zu erwerben sowie die erforderlichen Serviceleistungen zu erbringen.

Er könne sich nur entscheiden, welche der zum Erwerb zur Verfügung stehenden

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Komponenten er erwerben bzw. durch sonstige Vertragsgestaltung nutzen wolle.

Auch der „Eigenbetrieb“ ende dort, wo technische Unterstützung von Firmen geleistet

werden müsse. Es sei für den Nutzer eines Alarmierungssystems nahezu unmöglich,

ohne jegliche Unterstützung von Drittfirmen auszukommen; dementsprechend sei in

den Teilnahmebedingungen auch der Nachweis der Wartungs- und

Serviceleistungen bei den Referenzprojekten zu erbringen gewesen.

Die Kaufentscheidung müsse aus differenzierten Vorgaben bestehen, welche

Bestandteile des Gesamtsystems auf welcher vertraglichen Grundlage beschafft

werden sollen. Diese Vorgaben seien mutmaßlich in den Verdingungsunterlagen

enthalten, welche der ASt jedoch nicht zur Verfügung gestellt würden.

Die vom Agg getroffene „Systementscheidung“ vermenge die Entscheidung über die

vertragliche Art und Weise der Beschaffung und die Entscheidung über die

technische Lösung. Tatsächliche gebe es aber keine vorgegebene Verknüpfung

zwischen Technik und vertraglicher Lösung. Diese werde vom Agg nur

vorgeschoben, um über die Möglichkeit der Bestimmung der vertraglichen Lösung

tatsächlich die technische Lösung vorzugeben. Überdies habe die ASt zu keinem

Zeitpunkt erklärt, sie würde nur eine Mietlösung anbieten, so dass der Agg insoweit

ausschließlich mit Mutmaßungen und Unterstellungen arbeite. Festzuhalten sei

daher, dass die vom Agg im Internet recherchierten Ausschnitte aus

Werbematerialien der ASt dazu verwendet worden seien, eine für die ASt

diskriminierende Vorentscheidung zu treffen, ohne diese dazu zu befragen. Es sei

nicht nachvollziehbar, woher der Agg die Erkenntnis nehme, die

Eigentumsübertragung der zentralen und peripheren Netzwerkkomponenten sei beim

System der ASt nicht möglich; dies entspreche nicht den Tatsachen. Das „Netz als

solches“ könne ohnehin nicht übertragen werden. Ebenso entspreche es nicht den

Tatsachen, dass die ASt der Vergabestelle keine Netzhoheit einräumen könne;

vermutlich sei auch dies eine reine Mutmaßung des Agg. Bei der gebotenen

Trennung von technischer und vertraglicher Lösung bestehe folglich kein Grund, der

eine Abweichung vom Gebot der Produktneutralität rechtfertigen könne. Die von der

Vergabestelle angenommenen Schwächen der technischen Lösung der ASt seien

zwar erst im Rahmen des Bewertungsverfahrens relevant; gleichwohl sei auch an

dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass diese Beurteilung teils gravierende Fehler

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enthalte. Mangels Angebot könne der Agg Details wie z.B. Versorgungslücken gar

nicht prüfen. Die Sorge, dass die von der ASt verwendete Frequenz der

Vergabestelle nicht exklusiv zur Verfügung stehe, sei grundlos, da diese

ausschließlich für Alarmierungszwecke im Bundesgebiet verwendet werden dürfe.

Das Frequenzband im 0,7-m-Band sei mindestens gleichwertig und biete sogar

Vorteile. Ohne Teilnahme am Bewertungsverfahren könne die ASt die Vorteile ihrer

Lösung aber nicht darstellen.

Für sämtliche Beanstandungen fehle der ASt auch nicht das Rechtsschutzinteresse;

sie habe ihr Interesse an dem Auftrag zweifelsfrei dargelegt und eine Verletzung in

ihren Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht;

den Anforderungen an die Schadensdarlegung sei damit Genüge getan. Der Agg

habe sein Ermessen hinsichtlich der Auswahlentscheidung daher fehlerhaft

ausgeübt.

Die ASt beantragt,

1. dem Agg aufzugeben, in dem EU-Vergabeverfahren XXX „Lieferung eines

flächendeckenden digitalen Alarmierungsnetzes nach Technischer Richtlinie

BOS Geräte für die digitale Funkalarmierung im POCSAC-Standard für die

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in den Kreisen XXX,

XXX und XXX“ vom XXX in der Fassung des Supplements XXX vom XXX und

der Wiederholung mit Berichtigung vom XXX nach Maßgabe und unter

Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu verfahren,

2. die Beiziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu

erklären,

3. dem Agg die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

sowie Akteneinsicht.

Der Agg beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag der ASt vom 18.10.2006 zurückzuweisen,

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2. der ASt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur

zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des Agg

aufzuerlegen,

3. festzustellen, dass die Hinzuziehung von anwaltlichen Bevollmächtigten durch

den Agg notwendig war.

Der Agg hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, jedenfalls aber für

unbegründet. Zur Sachlage verweist er darauf, dass die ASt mit ihrem Produkt XXX-

Alarmierung statt der herkömmlichen Errichtung eines Netzes zum anschließenden

Betrieb durch den jeweiligen Landkreis anbiete, im Wege langfristiger Verträge das

Netz der XXX-Alarmierung zu nutzen. Damit müssten sich die BOS langfristig an die

ASt binden. Die Selbstdarstellung der ASt im Internet grenze ihr Lösungskonzept

ganz deutlich gegenüber dem Kauf, Aufbau und Betrieb eines insularen Netzes ab.

Die Vergabestelle habe sich eingehend mit den Vor- und Nachteilen der

verschiedenen Konzepte auseinandergesetzt und sich schließlich entschieden, ein

eigenes Netz zu beschaffen, einzurichten und zu unterhalten. Folge dieser

Entscheidung für ein eigenes Netz sei, dass die BOS-Funkrichtlinie einzuhalten sei.

Insbesondere deren Neufassung vom Mai 2006 verweise darauf, dass Funkanlagen

verwendet werden müssten, die den TR BOS entsprächen. Die nachträgliche

Aufnahme des Zusatzes „oder gleichwertig“ sei der unmittelbaren Anwendung der

Richtlinie 2004/18/EG geschuldet gewesen; durch den Zusatz „im 2-m-Band der

BOS“ sei aber zugleich klargestellt worden, dass es unverändert um die Beschaffung

eines (kreis-) eigenen Funknetzes gehe.

Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, da der ASt das erforderliche

Rechtsschutzinteresse i.S.v. § 107 Abs. 2 GWB fehle. Mit ihrem Vortrag habe die

ASt nicht geltend machen können, in ihren Rechten durch Nichtbeachtung von

Vergabevorschriften verletzt worden zu sein. Mit Ausnahme der Beanstandung der

Vergabeart würden sämtliche Beanstandungen auf ein und demselben Umstand

basieren, nämlich der Entscheidung der Vergabestelle, sich ein eigenes Netz zu

beschaffen, einzurichten und zu unterhalten. Letztlich reduzierten sich die

Beanstandungen darauf, dass die Vergabestelle ein eigenes Netz zur Nutzung der

ihr zugeteilten Frequenzen beschaffen wolle. Da sich die Erklärungen, Nachweise

und Referenzen der ASt ausschließlich auf die von ihr angebotene XXX-Lösung

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beziehen würden und nicht auf die Errichtung eines Alarmierungsnetzes für einen

Dritten, sei der Teilnahmeantrag nicht zu berücksichtigen gewesen.

Die ASt verkenne, dass das Vergaberecht lediglich das „Wie?“ einer Beschaffung

regele, nicht aber das „Ob?“ oder das „Was?“. Es sei allein Sache des

Auftraggebers, zu entscheiden, welche Liefer- bzw. Dienstleistungsaufgabe

verwirklicht werden solle; insbesondere bestehe keine Verpflichtung, den Bedarf so

auszurichten, dass möglichst alle auf dem Markt agierenden Teilnehmer leistungs-

und angebotsfähig seien. § 97 GWB enthalte keine Parameter, nach denen die

Nachprüfungsinstanzen über das „Ob?“ und „Was?“ entscheiden könnten. Die

Entscheidung der Vergabestelle, ein eigenes Netz zu beschaffen, einzurichten und

zu betreiben, könne daher von der Vergabekammer (noch nicht einmal) daraufhin

untersucht werden, ob sie ermessensfehlerfrei zustande gekommen sei; dies sei

Aufgabe des jeweiligen Rechnungshofes.

Der ASt fehle das Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls im Hinblick auf ihre

Beanstandung, die Begründung des Agg für die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens

sei „nicht überzeugend“; ein vergaberechtlicher Anspruch auf eine „überzeugende

Begründung“ bestehe nicht. Selbst unterstellt, die ASt würde behaupten, die

Vergabeart sei falsch gewählt und unterstellt, diese Annahme sei zutreffend, sei nicht

ersichtlich, wie der ASt hierdurch ein Schaden entstanden wäre oder zu entstehen

drohe – die ASt habe nichts derartiges dargelegt, was jedoch erforderlich sei, wenn

bei der Rüge der falschen Vergabeart das Rechtsschutzbedürfnis des § 107 Abs. 2

GWB dargetan werden soll.

Auch fehle der ASt das gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB erforderliche Interesse an

dem ausgeschriebenen Auftrag; sie sei nämlich nicht an diesem Auftrag interessiert,

sondern an einem anderen Auftrag, an welchem sich auch die ASt mit der von ihr

angebotenen Alarmierungslösung beteiligen könnte. Dieses Interesse werde aber

durch das Vergaberecht nicht geschützt.

Weiterhin fehle dem Nachprüfungsantrag ein bestimmtes Begehren i.S.v. § 108 Abs.

1 Satz 2 GWB.

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Überdies sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet: Die Frage, was die

Vergabestelle beschaffen wolle, sei der vergaberechtlichen Nachprüfung nicht

zugänglich; zudem habe der Agg auch ermessensfehlerfrei über den Gegenstand der

Ausschreibung entschieden. Insbesondere liege kein Ermessensausfall vor, wie der

Vermerk vom 09.01.2006 zeige.

Die Entscheidung für das Nichtoffene Verfahren sei ebenfalls nicht zu beanstanden.

Leistungen der ausgeschriebenen Art würden unstreitig nur von einem beschränkten

Kreis von Unternehmen (maximal vier Gerätehersteller und etwas mehr als zehn

Dienstleister) angeboten, was auch die Zahl von sieben eingegangenen

Teilnahmeanträgen belege. Das Missverhältnis zum erreichbaren Vorteil eines

Offenen Verfahrens resultiere aus den dann zu versendenden großen Datenmengen

zur Erstellung des geforderten digitalen Geländemodells, für den Nutzung

Lizenzgebühren anfallen würden. Schließlich sei ein Offenes Verfahren auch deshalb

unzweckmäßig, weil damit ohne Not auf Schutzmaßnahmen verzichtet würde, um die

den sicherheitsrelevanten und sensiblen Daten angemessene Vertraulichkeit zu

wahren.

Die ASt habe schließlich auch keinen Anspruch, zur Angebotsabgabe aufgefordert zu

werden, da sie die auftragsbezogenen Eignungskriterien nicht erfülle. Die von der

ASt beigebrachten Referenzen belegten ausschließlich deren Funktion als

Netzbetreiberin der von ihr angebotenen Lösung XXX-Alarmierung. Dass die ASt –

wie vorliegend ausgeschrieben – schon einmal für einen Auftraggeber ein für diesen

eigenes Funknetz auf dessen Frequenz errichtet hätte, das dann durch diesen später

selbst betrieben wurde, sei nicht dargetan. Darauf, dass die Vergabestelle auch bei

der von ihr ausgeschriebenen Lösung kein Eigentum an Liegenschaften und

Standorten erwerbe, komme es schon gar nicht an.

Die ASt habe mit ihrem Teilnahmeantrag Gelegenheit gehabt, darzulegen und mit

Referenzen zu belegen, dass sie nicht nur ihre grundsätzlich anders gelagerte

Alarmierungslösung namens XXX-Alarmierung sondern auch die hier verlangte

„konventionelle“ Lösung anbieten könne. Diese Gelegenheit habe die ASt nicht

genutzt. Soweit die ASt moniere, dass der Agg nur mutmaße und ohne Faktenbasis

von Unterstellungen ausgehe, verkenne sie, wer darlegungspflichtig sei. Die

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zurückhaltenden Informationen der ASt in Bezug auf ihre Alarmierungslösung

könnten jedenfalls den Agg nicht im Beweisnot bringen. Das Produkt der ASt

entspreche nicht der ausgeschriebenen Leistung; soweit die ASt nunmehr meine, sie

könne notfalls auch die ausgeschriebene Leistung erbringen, fehle es bereits an

entsprechenden Belegen in ihrem Teilnahmeantrag. Die Argumentation der ASt,

technische und vertragliche Lösung müssten strikt getrennt werden, bedeute unter

dem Mantel der Produktneutralität nichts anderes, als dass die Vergabestelle ihre

Ausschreibung den Möglichkeiten der ASt anzupassen hätte. Eine tragfähige

Begründung hierfür habe die ASt nicht geben können. Vielmehr grenze sie selbst ihr

Produkt („über langfristig laufende Verträge funktionierende Dienstleistung“) insoweit

gerade vom Kauf, Aufbau und Betrieb eines kreiseigenen Netzes ab.

Unter dem 03.11.2006 hat die Kammer den Beteiligten unter Beifügung des

Vermerks des Agg vom 09.01.2006 den rechtlichen Hinweis gegeben, dass der

Nachprüfungsantrag nach vorläufiger Einschätzung jedenfalls offensichtlich

unbegründet sei. Daher sei beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung zu

entscheiden. Während der Agg dem zustimmte, teilte die ASt unter dem 08.11.2006

mit, dass sie an dem Nachprüfungsantrag einschließlich des

Akteneinsichtsbegehrens unverändert festhalte und auch mit einem Verzicht auf die

mündliche Verhandlung nicht einverstanden sei.

Durch schriftliche Verfügung der Vorsitzenden vom 21.11.2006 ist die

Entscheidungsfrist der Kammer gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 und 3 GWB bis zum

28.11.2006 verlängert worden.

Wegen des sonstigen Sachverhalts und des weiteren Vortrags der Beteiligten wird

auf die beigezogenen Vergabeakten und die eingereichten Schriftsätze verwiesen

(vgl. § 117 Abs. 3 VwGO, § 313 Abs. 2 ZPO).

II.

Die ASt bleibt mit ihren Sach- und Verfahrensanträgen insgesamt erfolglos, da der

Nachprüfungsantrag teilweise unzulässig (1.) und im verbliebenen Umfang

offensichtlich unbegründet ist (2.). Diese Umstände rechtfertigen es, das

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Akteneinsichtsbegehren der ASt zurückzuweisen (3.) und ohne mündliche

Verhandlung zu entscheiden (4.).

1. Der Antrag ist allerdings nicht bereits deshalb unzulässig, weil der 4. Teil des GWB

nebst seinen Bestimmungen über das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren auf

den vorliegenden Fall nicht anwendbar wäre (a). Der Antrag ist jedoch unzulässig,

soweit mit ihm die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens beanstandet wird (b); im

Übrigen ist er zulässig (c).

a) Gemäß § 100 Abs. 2 lit. d) GWB (vgl. auch Art. 14 Richtlinie 2004/18/EG) gilt der

4. Teil des GWB nicht für solche Aufträge, die „in Übereinstimmung mit den Rechts-

und Verwaltungsvorschriften in der Bundesrepublik Deutschland für geheim erklärt

werden oder deren Ausführung nach diesen Vorschriften besondere

Sicherheitsmaßnahmen erfordert oder wenn der Schutz wesentlicher Interessen der

Sicherheit des Staates es gebietet“. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.

Ob die Voraussetzungen dieses – eng auszulegenden – Ausnahmetatbestandes

vorliegen, ist durch die Vergabekammer von Amts wegen zu prüfen (vgl. Gass /

Ohle, ZfBR 2006, 655), da die Anwendung des Kartellvergaberechts nicht im

Belieben des Öffentlichen Auftraggebers steht (vgl. erkennende Kammer, Beschluss

vom 05.01.2006, VK-SH 31/05, m.w.N.). Liegt ein Ausnahmetatbestand des § 100

Abs. 2 GWB vor, ist das Vergabeverfahren einem Primärrechtsschutz der am

Verfahren beteiligten Bewerber insoweit – und dann auch insgesamt – entzogen, als

es um die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren geht (vgl. OLG

Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2004, Verg 101/04, IBR 2005, 105). Hier käme

allein die 2. Variante (Aufträge, deren Ausführung nach diesen Vorschriften

besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern) in Betracht. Da diese Alternative (im

Gegensatz zu den Varianten 1 und 3) objektivierbar ist, kommt es für deren

Anwendbarkeit auch nicht darauf an, ob der Auftraggeber das Vorliegen des

Tatbestandes erkannt und eine Ausschreibung unterlassen hat oder in Unkenntnis

oder Verkennung der Anwendbarkeit eine Ausschreibung eingeleitet hat.

Dementsprechend führt das objektive Vorliegen des Erfordernisses besonderer

Sicherheitsmaßnahmen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) oder der

darauf basierenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen und

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organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VSA) dazu, dass der 4. Teil des

GWB selbst dann nicht anwendbar ist, wenn sich der Auftraggeber – wie hier –

willentlich für dessen Anwendbarkeit entschieden hat (vgl. Gass / Ohle, a.a.O., 658

f., m.w.N.).

Hier enthalten allerdings weder die Vergabebekanntmachung noch die

Verdingungsunterlagen Hinweise darauf, dass im Rahmen der vorliegenden

Beschaffung etwa Sicherheitsüberprüfungen gemäß §§ 7 ff. SÜG vorgesehen wären.

Für die Kammer haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Vergabestelle

damit rechtsfehlerhaft gehandelt hätte. Andere Rechts- oder

Verwaltungsvorschriften, nach denen die Ausführung des vorliegenden Auftrages

besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert, sind für die Kammer nicht ersichtlich

und – unabhängig davon, dass das Vorliegen der Voraussetzungen durch die

Kammer von Amts wegen zu prüfen sind – auch nicht vorgetragen. Ob durch

Kernkraftwerke, Industrieanlagen im Wirtschaftsraum XXX und Sturmfluten

möglicherweise eine als besonders einzuschätzende Gefährdungslage vorliegt, ist

aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen nicht an dieser Stelle sondern im

Rahmen des § 3 Nr. 3 lit. d) VOL/A zu prüfen.

Anders als in dem der Entscheidung des Bundeskartellamtes (Beschluss vom

14.07.2005, VK3 55/05) zugrunde liegenden Sachverhalt, in welchem die

Vergabekammer die Anwendbarkeit des § 100 Abs. 2 lit. d) GWB bejaht hat, geht es

vorliegend nicht um den Betrieb eines BOS-Digitalfunksystems, sondern um die

Errichtung eines digitalen Alarmierungsnetzes. Auch in dem der Entscheidung des

Bundeskartellamt zugrunde liegenden Fall wurde im Übrigen nach den

Bestimmungen des 4. Teils des GWB vergeben (vgl. Bekanntmachung 2006/S 212-

226629 vom 08.11.2006).

Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 lit. k) GWB, wonach der 4. Teil des GWB

u.a. nicht für den „Funkrufdienst“ gilt, ist ebenfalls nicht einschlägig, da sich für die

Kammer durch systematische Auslegung (Fernsprechdienstleistungen, Telexdienst,

beweglicher Telefondienst, Satellitenkommunikation) ergibt, dass durch § 100 Abs. 2

lit. k) GWB nur entsprechende Dienstleistungen, nicht jedoch Lieferaufträge der

vorliegenden Art (Kauf) umfasst sein dürften. Im Übrigen ist ohnehin fraglich, ob die

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Bestimmung auf „Funkrufdienste“ überhaupt noch anwendbar ist, nachdem dieser

Freistellungstatbestand in der Richtlinie 2004/18/EG nicht mehr enthalten und die

Frist für deren Umsetzung am 31.01.2006 abgelaufen ist.

b) Für eine zulässige Beanstandung der ASt, dass der Agg den

streitgegenständlichen Auftrag im Nichtoffenen Verfahren (und nicht im Offenen

Verfahren) ausgeschrieben hat, fehlt die Antragsbefugnis, da die ASt nicht darlegen

konnte, dass ihr durch diesen Umstand ein Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB

entstanden ist oder zu entstehen droht (vgl. erkennende Kammer, Beschluss vom

12.11.2004, VK-SH 30/04, m.w.N., IBR 2005, 51): Der ASt ist es nicht gelungen, die

Kammer davon zu überzeugen, dass sie im Falle eines Offenen Verfahrens ein

aussichtsreicheres Angebot vorgelegt hätte (vgl. nur Summa in: jurisPK-VergR, Rn.

74 zu § 107 GWB); die ASt hat aber die Darlegungs- und Beweislast dafür, inwieweit

durch die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens anstelle eines Offenen Verfahrens mit

europaweiter Bekanntmachung ihre Leistungs- und Angebotsmöglichkeiten

eingeschränkt oder negativ beeinflusst worden sein könnten (vgl. OLG Düsseldorf,

Beschluss vom 16.02.2006, Verg 6/06, IBR 2006, 356). Der Agg hätte nämlich im

Rahmen eines Offenen Verfahrens anlässlich der 2. Wertungsstufe (§ 25 Nr. 2 Abs.

1 VOL/A) ebenfalls die Eignung der ASt überprüfen müssen. Die Kammer vermag

jedoch hinsichtlich des Schadens keinen Unterschied darin zu erkennen, ob eine

Bewerbung im Stadium der Teilnahmewettbewerbs eines Nichtoffenen Verfahrens

oder (erst) auf der 2. Wertungsstufe eines Offenen Verfahrens ausgeschieden wird.

Hier liegt auch gerade nicht der Fall eines Schadens vor, bei dem ein Teilnehmer an

einem Teilnahmewettbewerb, der einem (Verhandlungs-)Verfahren vorgeschaltet ist,

(zweifelsfrei) alle vom Auftraggeber geforderten Eignungsnachweise erbracht hat und

daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in das Verhandlungsverfahren einzubeziehen

gewesen wäre (vgl. VK Brandenburg, Beschluss vom 30.07.2002, VK 38/02).

Zudem handelt ein Bieter nach Einschätzung der Kammer geradezu

rechtsmissbräuchlich, wenn er – wie hier die ASt – den Verzicht auf eine Offenes

Verfahren zwar rügt, sich gleichwohl am Nichtoffenen Verfahren beteiligt und sich auf

seine diesbezüglich Beanstandung erst dann wieder beruft, nach ihm mitgeteilt

wurde, dass sein Teilnahmeantrag erfolglos geblieben ist. Die Kammer ist davon

überzeugt, dass die ASt zur Meidung eines größeren Kreises von Mitbewerbern ihre

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Beanstandung nicht aufrechterhalten bzw. wiederholt hätte, wenn sie zur

Angebotsabgabe aufgefordert oder gar für den Zuschlag vorgesehen worden wäre.

Ohne das es darauf noch entscheidend ankäme, ist außerdem darauf hinzuweisen,

dass auch die Lieferung, Installation, Konfiguration, Integration und Inbetriebnahme

der netzspezifischen Komponenten für ein bundesweit einheitliches digitales Sprech-

und Datenfunknetz für die BOS in der Bundesrepublik Deutschland durch das

Bundesministerium des Inneren ist im Nichtoffenen Verfahren vergeben worden ist

(vgl. Bekanntmachung 2006/S 212-226629 vom 08.11.2006).

c) Soweit die ASt mit ihrem Nachprüfungsantrag beanstandet, dass ein Verstoß

gegen das Gebot der Produktneutralität vorliege und dass der Agg sie aufgrund ihres

Teilnahmeantrages zu Unrecht nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert hat, ist ihr

Vorbringen indes zulässig.

Bei dem streitgegenständlichen Beschaffungsvorhaben handelt es sich um einen

Öffentlichen (Liefer-) Auftrag (§ 99 Abs. 1, 2 GWB) eines Öffentlichen Auftraggebers

gemäß § 98 Nr. 1 GWB, welcher den – zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens

maßgeblichen – Schwellenwert von 200.000 Euro zweifelsfrei überschreitet (§ 2 Nr.

3, § 3 Abs. 10 VgV). Sämtliche ihrer Ansicht nach vorliegenden

Vergaberechtsverstöße hat die ASt auch unverzüglich i.S.v. § 107 Abs. 3 GWB

gerügt.

Die ASt ist im verbliebenen Umfang auch gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB

antragsbefugt. Sie macht eine mögliche Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs.

7 GWB durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften in Gestalt des § 8 Nr. 3

VOL/A und des § 97 Abs. 1, 2 GWB geltend, ist ein erwerbswirtschaftliches

Kommunikationsdienstleistungsunternehmen und hat ein Interesse an dem

streitgegenständlichen Auftrag.

Das Interesse am Auftrag i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB ist dabei weit auszulegen;

es liegt regelmäßig dann vor, wenn der Bieter – wie hier die ASt – vor Stellung des

Nachprüfungsantrages am Vergabeverfahren teilgenommen und einen

Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom

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29.07.2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 565; BGH, Beschluss vom

01.02.2005, X ZB 27/04, NZBau 2005, 290, 291); auf eine mangelnde Konvergenz

zwischen der ausgeschriebenen Leistung und einer potentiellen Antragstellerofferte

kommt es damit – entgegen der Auffassung des Agg – an dieser Stelle nicht an.

Ausreichend für das nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB darzulegende Interesse ist im

vorliegenden Fall vielmehr die erklärte Beteiligung der ASt am Teilnahmewettbewerb

(vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.1999, Verg 1/99, ZVgR 1999, 62, 68; VK

Brandenburg, Beschluss vom 17.09.2002, VK 50/02, IBR 2002, 716; Summa,

jurisPK-VergR, Rn. 39 f. zu § 107 GWB).

Soweit § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB die Geltendmachung einer Verletzung der

Bestimmungen über das Vergabeverfahren fordert, genügt eine bestimmte

Behauptung des Antragstellers bzw. die Möglichkeit einer Rechtsverletzung; ob der

Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. Summa,

a.a.O, Rn. 27 zu § 107 GWB; Reidt in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht, 2.Aufl.,

Rn. 18 ff zu § 107 GWB). Dass die von der ASt herangezogenen Bestimmungen (§

97 Abs. 1, 2 GWB, § 8 Nr. 3 VOL/A) grundsätzlich bieterschützenden Charakter i.S.v.

§ 97 Abs. 7 GWB haben, ist zweifelsfrei.

Der ASt droht auch ein Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB. An die

Schadensdarlegung sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine

überzogenen Anforderungen zu stellen. Sie muss lediglich schlüssig sein und ein

Schaden muss denkbar sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2004, 2 BvR

2248/03). Alles andere ist eine Frage der Begründetheit des Antrags. Die Darlegung

oder gar der substantiierte Nachweis, dass der Antragsteller bei einem rechtmäßigen

Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hätte oder das er eine „echte Chance" auf

den Zuschlag gehabt hätte, sind somit nicht erforderlich, um den

Zulässigkeitsanforderungen an einen Nachprüfungsantrag zu genügen (vgl. BVerfG,

a.a.O.; BGH, Beschluss vom 18.05.2004, X ZB 7/04). Für die Zulässigkeit des

Nachprüfungsantrags ist daher erforderlich, aber auch ausreichend, dass der den

Nachprüfungsantrag stellende Bieter schlüssig behauptet, dass und welche

vergaberechtlichen Vorschriften im Verlauf des Vergabeverfahrens verletzt worden

sein sollen und dass er ohne die Rechtsverletzung eine Chance auf Erteilung des

Zuschlags (bzw. hier Teilnahme am Bieterwettbewerbhätte, so dass der behauptete

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eingetretene oder drohende Schaden auf die Verletzung vergaberechtlicher

Vorschriften zurückzuführen ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor;

Ausschlussgründe in Bezug auf die Eignungsnachweise der ASt lassen deren

Antragsbefugnis daher nicht entfallen.

2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch – soweit er überhaupt zulässig ist –

offensichtlich unbegründet.

Entgegen der Auffassung der ASt liegt ein Verstoß der Vergabestelle gegen § 8 Nr. 3

VOL/A nicht vor (a.). Die Entscheidung des Agg, die ASt nicht zur Angabe eines

Angebotes aufzufordern, ist als Ermessensentscheidung der Vergabestelle durch die

Kammer nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern zu untersuchen; solche sind

indes nicht feststellbar (b.).

a) Soweit die ASt beanstandet, die Ausschreibungsbedingungen der Vergabestelle

würden durch technische und vertragliche Beschränkungen dem Grundsatz der

Produktneutralität sowie dem Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgebot

widersprechen, ist dem unter keinem Blickwinkel zu folgen.

aa) Allgemein anerkannt ist, dass die Entscheidung, welcher Gegenstand oder

welche Leistung mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften im

Vergabeweg beschafft werden soll, der Vergabestelle obliegt. Die an einer

Auftragsvergabe interessierten Unternehmen sind im Rahmen eines

Vergabenachprüfungsverfahrens nicht dazu berufen, dem Auftraggeber eine von

seinen Vorstellungen abweichende Beschaffung von Waren oder Leistungen, d.h.

von solchen mit anderen Beschaffenheitsmerkmalen und Eigenschaften oder anderer

Art und Individualität, vorzuschreiben oder gar aufzudrängen. Vielmehr sind die

diesbezüglichen Anforderungen, die der Auftraggeber stellt, als zulässige

Vergabebedingungen von den am Auftrag interessierten Unternehmen grundsätzlich

hinzunehmen (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.04.2005, Verg 93/04), da

als Ausfluss der Privatautonomie auch ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich

darin frei ist, die Anforderungen an die Beschaffenheit der gewünschten Leistung zu

bestimmen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.07.2005, Verg 26/05). Es ist

daher nicht Aufgabe der Vergabekammer, den tatsächlichen oder vermeintlichen

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Bedarf einer Vergabestelle zu überprüfen, da das Vergaberecht nicht regelt, ob ein

öffentlicher Auftraggeber sich zu einer Beschaffung entschließt oder welchen

Gegenstand er beschafft (vgl. VK Münster, Beschluss vom 20.04.2005, VK 06/05).

Ebenso wenig gehört es zu den Aufgaben der Nachprüfungsinstanzen, darüber zu

befinden, ob Ausschreibungsmodalitäten zweckmäßig sind oder gar darüber zu

spekulieren, ob eine andere inhaltliche Gestaltung der Vergabeunterlagen zu

erheblichen Kosteneinsparungen führen könnte (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom

05.09.2002, 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 618).

Daher war und ist es allein Sache der Vergabestelle zu entscheiden, welche Leistung

sie ausschreibt (vgl. VK Lüneburg, Beschluss vom 18.06.2004, 203-VgK-29/2004;

OLG Koblenz, Beschluss vom 05.09.2002, 1 Verg 2/02); die Vergabestelle war auch

nicht verpflichtet, ihren Bedarf so auszurichten, dass möglichst alle auf dem Markt

agierenden Teilnehmer (einschließlich der ASt) leistungs- und angebotsfähig sind

(VK Münster, Beschluss vom 20.04.2005, VK 6/05). Eine spezialisierte

Leistungsabfrage wie im vorliegenden Fall bedingt zwangsläufig, dass der Kreis der

potenziellen Anbieter eingeschränkt wird (vgl. VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom

29.09.2004, VK 14/04).

bb) Die Vergabestelle war nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet,

unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile und -

nachteile potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen

„auszugleichen“. Sie hat daher nicht gegen den in § 97 Abs. 2 GWB normierten

Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, weil sie auf einen möglichen

Wettbewerbsnachteil der ASt (kein Verkauf) keine Rücksicht genommen sondern die

Ausschreibung innerhalb der vom Vergaberecht gezogenen Grenzen nach ihren

Vorstellungen gestaltet hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 05.09.2002, 1 Verg

2/02). Letztlich zeigt auch das Ergebnis des Teilnahmewettbewerbs, dass die von der

ASt behauptete Verengung des Wettbewerbs objektiv nicht eingetreten ist. Immerhin

fünf Bewerber konnten sich für die Phase der Angebotsabgabe qualifizieren.

Die der Vergabestelle eröffneten Spielräume unterliegen zwar den Restriktionen des

§ 8 Nr. 3 VOL/A; eine über die Grenzen der Dispositionsfreiheit hinausgehende

vergaberechtliche Beeinträchtigung der Rechte der ASt vermag die Vergabekammer

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jedoch nicht festzustellen. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen § 8 Nr. 3 Abs. 1

VOL/A wegen ungewöhnlicher Anforderungen an die Beschaffenheit der Leistung

vor. Zum Zwecke der erforderlichen Vergleichbarkeit der (späteren) Angebote (vgl. §

8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A) war der Agg nicht nur berechtigt sondern geradezu

verpflichtet, sich im Vorfeld der Ausschreibung zu entscheiden, welche technischen

und kaufmännischen Anforderungen er an die zu erbringende Leistung stellt: Er hätte

vielmehr das Wettbewerbsprinzip und das Diskriminierungsverbot verletzt, wenn er

im Vorfeld der Ausschreibung nicht zumindest eigene strategische Ziele und

Leistungsanforderungen definiert hätte. In solchen Fällen ist der Auftraggeber

nämlich im Rahmen einer späteren Wertung der Angebote regelmäßig nicht in der

Lage, die für ihn wesentlichen Nutzen- und Kostenaspekte der einzelnen Angebote

zu analysieren. Er setzt sich der Gefahr aus, seine Zuschlagentscheidung letztlich

fremdbestimmt zu treffen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 16.09.2002, 1 Verg

2/02). Im Vermerk vom 09.01.2006 hat der Agg nachvollziehbar dokumentiert,

welche Gründe ihn dazu bewogen haben, ein eigenes, auf den Frequenzen der BOS-

Funkrichtlinie arbeitendes Netz zu beschaffen, einzurichten und zu unterhalten;

dafür, dass diese Einschätzungen der Vergabestelle nicht sachgerecht sein könnten,

fehlen Anhaltspunkte sowie jeglicher substantiierter Vortrag der ASt. Die

Vergabestelle konnte sich ohne Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften unter

mehreren möglichen Lösungen, die alle technisch durchführbar und innerhalb einer

bestimmten Bandbreite sicher sind, entweder für die eher konservative, dafür aber

bewährte Lösung oder für die eher fortschrittliche, dafür aber aus Sicht der

Vergabestelle mit gewissen Risiken behaftete Lösung entscheiden. Dieser

Beurteilungsspielraum ist nur auf Beurteilungsfehler überprüfbar, also insbesondere

darauf, ob die Vergabestelle von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt

ausgegangen ist, den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum zutreffend interpretiert

hat, und ob die Einschätzung auf unsachgemäßen bzw. willkürlichen Erwägungen

beruht (vgl. 2. VK Bund, Beschluss vom 08.10.2003, VK2-78/03 im Bereich der

VOB/A); Anhaltspunkte für derartige Beurteilungsfehler sind indes nicht erkennbar.

Demnach liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Vergabestelle die an die zu

beschaffende Leistung gestellten Anforderungen deshalb so formuliert hätte, um

bestimmte Bewerber – insbesondere die ASt – vom Vergabeverfahren fernzuhalten.

Dies gilt umso mehr, als die ASt selbst vorgetragen hat, auch Leistungen der vom

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Agg gewünschten Art grundsätzlich erbringen zu können. Indes hat sie es versäumt,

diese (erstmals im Nachprüfungsverfahren angebrachte) Behauptung zu belegen,

worauf im Rahmen der Entscheidung des Agg, die ASt nicht zur Angebotsabgabe

aufzufordern, noch einzugehen sein wird (vgl. unter b]).

cc) Auch der von der ASt monierte Verstoß gegen § 8 Nr. 3 Abs. 3 und 4 VOL/A liegt

nicht vor. Gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 4 VOL/A darf die Beschreibung technischer

Merkmale durch den Auftraggeber nicht die Wirkung haben, dass bestimmte

Unternehmen oder Erzeugnisse bevorzugt oder ausgeschlossen werden, es sei

denn, dass eine solche Beschreibung durch die zu vergebende Leistung

gerechtfertigt ist. Ebenso dürfen bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren nur dann

ausdrücklich vorgeschrieben werden, wenn dies durch die zu vergebende Leistung

gerechtfertigt ist (§ 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A). Vom Gebot der Produktneutralität darf

allerdings ohnehin dann abgewichen werden, wenn dies ausnahmsweise durch die

Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom

28.10.2003, 11 Verg 9/03, IBR 2004, 90; OLG Saarbrücken, Beschluss vom

29.10.2003, 1 Verg 2/03, IBR 2004, 89). Zu einer solchen Rechtfertigung bedarf es

dann objektiver, in der Sache selbst liegender Gründe, die sich zum Beispiel aus der

besonderen Aufgabenstellung des Auftraggebers, aus technischen oder

gestalterischen Anforderungen oder auch aus der Nutzung der Sache ergeben

können (vgl. Zdzieblo in: Daub / Eberstein, VOL/A-Kommentar, 5. Aufl., Rn. 71 zu §

8). Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 14.03.2001, Verg 32/00, dem sich die

Kammer insoweit anschließt) hat diese Grundsätze präzisiert: Danach „genügt es,

dass sich die Forderung besonderer Merkmale, bezogen auf die Art der zu

vergebenden Leistung, rechtfertigen lässt, mithin sachlich vertretbar ist, womit dem

Umstand Rechnung zu tragen ist, dass in die (auch) kaufmännische Entscheidung

des Auftraggebers, welche Leistung mit welchen Merkmalen nachgefragt und

ausgeschrieben werden soll, regelmäßig eine Vielzahl von Gesichtspunkten einfließt,

die sich etwa daraus ergeben, dass sich die auf dem Markt angebotenen Leistungen

trotz grundsätzlicher Gleichartigkeit regelmäßig in einer Reihe von Eigenschaften

unterscheiden. Eine Differenzierung nach solchen Kriterien, soweit sie auf die Art der

zu vergebenden Leistung bezogen sind, kann dem Auftraggeber nicht verwehrt

werden, und nach welchen sachbezogenen Kriterien er seine Entscheidung

auszurichten hat, ist ihm im Nachprüfungsverfahren nicht vorzuschreiben.“

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Der Wettbewerbsgrundsatz verpflichtet den Auftraggeber zwar, sich vor Festlegung

der Ausschreibungsbedingungen einen möglichst breiten Überblick über die in

Betracht kommenden Lösungen zu verschaffen und einzelne Lösungswege nicht von

vornherein auszublenden. Da der Auftraggeber den ihm hierbei eingeräumten

Beurteilungsspielraum auszuschöpfen hat, muss er prüfen und positiv festzustellen,

warum eine Lösungsvariante zur Verwirklichung des Beschaffungszwecks nicht

geeignet erscheint und diese Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse sind in

den Vergabeakten zu dokumentieren (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 26.06.2006, 9

Verg 2/06, NZBau 2006, 735, IBR 2006, 517, im Bereich der VOB/A). Auch diese

Voraussetzungen liegen hier vor.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze hat die Vergabestelle in ihrem

Vermerk vom 09.01.2006 sowie im Vergabevermerk hinreichend dargelegt, dass ihre

Entscheidung auch unter Berücksichtigung von § 8 Nr. 3 Abs. 3, 4 VOL/A

gerechtfertigt ist. Gegen die in den Ziffern 1 bis 17 niedergelegten

Leistungsanforderungen hat die ASt keine stichhaltigen Argumente vorbringen

können. Insbesondere ist die Prämisse, wonach die Vergabestelle aus Gründen der

Versorgungssicherheit „ganz besonderen Wert auf ein eigenes, vollständig im Besitz

und in der alleinigen Verfügungsgewalt der Kreise befindliches Netz“ legt, nicht zu

beanstanden.

b) Gemäß § 97 Abs. 4 GWB und § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A werden Aufträge an

fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben. Die

Eignungskriterien legen grundsätzlich fest, welche Anforderungen der Bieter erfüllen

muss, um sich an einem Wettbewerb um öffentliche Aufträge überhaupt beteiligen

können. Ein Bieter besitzt dann die erforderliche Fachkunde, wenn er Kenntnisse,

Erfahrungen und Fertigkeiten besitzt, die für die Ausführung der zu vergebenden

Leistungen erforderlich sind, um die jeweilige Leistung fachgerecht vorzubereiten und

auszuführen. Leistungsfähig ist, wer als Unternehmer über die personellen,

kaufmännischen, technischen und finanziellen Mittel verfügt, um den Auftrag fachlich

einwandfrei und fristgerecht ausführen zu können und in der Lage ist, seine

Verbindlichkeiten zu erfüllen. Ein Bieter ist zuverlässig, wenn er seinen gesetzlichen

Verpflichtungen nachgekommen ist – zu denen vor allem die Entrichtung von Steuern

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und sonstigen Abgaben gehören – und aufgrund der Erfüllung früherer Verträge eine

einwandfreie Ausführung erwarten lässt (vgl. erkennende Kammer, Beschluss vom

28.03.2006, VK-SH 01/06, m.w.N.). Ist – wie hier – ein Teilnahmewettbewerb

durchgeführt worden, so wählt der Auftraggeber gemäß § 7a Nr. 3 VOL/A anhand

der geforderten, mit dem Teilnahmeantrag vorgelegten Unterlagen unter den

Bewerbern, die den Anforderungen an Fachkunde, Leistungsfähigkeit und

Zuverlässigkeit entsprechen, diejenigen aus, die er gleichzeitig und unter Beifügen

der Verdingungsunterlagen schriftlich auffordert, ein Angebot einzureichen. Damit

sind zwei Schritte zu unterscheiden: Zunächst trennt der Auftraggeber die geeigneten

Bewerber von den nicht geeigneten Bewerbern. Anschließend wählt der

Auftraggeber unter den verbliebenen geeigneten Bewerbern diejenigen aus, die er

zur Angebotsabgabe auffordert. Dass der Agg die ASt in rechtswidriger Art und

Weise als nicht geeignet angesehen und deshalb zu Unrecht nicht zur

Angebotsabgabe aufgefordert hat, hat die Kammer nicht feststellen können;

insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass der Agg der ASt die für den

streitgegenständlichen Auftrag erforderliche Leistungsfähigkeit abgesprochen hat.

aa) Die Entscheidung des Auftraggebers, welche Bewerber er für geeignet hält, muss

auf sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen beruhen. Sind solche Gründe

nicht ersichtlich, insbesondere weder im Rahmen eines Vergabevermerks

dokumentiert noch im Verfahren dargelegt, hat der Auftraggeber sein

Auswahlermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt (vgl. BayObLG, Beschluss vom

20.04.2005, Verg 26/04, IBR 2005, 389). Die Vergabekammer ist bei der Beurteilung

der Rechtmäßigkeit der Entscheidung allerdings darauf beschränkt, ob das

Ermessen bei der Entscheidungsfindung rechtmäßig ausgeübt wurde (vgl. nur OLG

Düsseldorf, Beschluss vom 05.10.2005, Verg 55/05, IBR 2005, 1146); die Kammer

ist daher zur eigenen Ermessensausübung nicht befugt (vgl. Müller-Wrede, VOL/A-

Kommentar, 1, Aufl., Rn. 56 zu § 7a VOL/A). Die dem öffentlichen Auftraggeber

obliegende Eignungsbewertung hat überdies nicht nur unternehmensbezogen

sondern gerade auch auftragsbezogen zu erfolgen (vgl. OLG Düsseldorf, ebenda).

Die Eignung eines Bieters kann daher grundsätzlich nur im Rahmen einer

Prognoseentscheidung beurteilt werden, für die der Vergabestelle ein

Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, der von Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt

überprüft werden kann. Dabei können auch Verdachtsmomente die

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Nichtberücksichtigung tragen, wenn die den Verdacht begründenden Informationen

aus einer sicheren Quelle stammen und eine gewisse Erhärtung erfahren haben.

Demnach wäre die Grenze erst dann überschritten, wenn sich die Vergabestelle auf

ungeprüfte Gerüchte verließe und eventuelle Informationen von Seiten Dritter nicht

selbst verifizieren würde (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 08.07.2003, 5 Verg

5/02, IBR 2003, 626).

bb) Beurteilungsfehler im vorgenannten Sinne hat die Vergabekammer indes nicht

feststellen können. Der Vergabevermerk setzt sich in der gebotenen Ausführlichkeit

mit der Bewerbung der ASt auseinander und mündet in der Entscheidung, die ASt als

ungeeignet anzusehen und daher nicht zur Angebotsabgabe aufzufordern. Soweit

der Agg festgehalten hat, dass der Teilnahmeantrag der ASt auf dem Produkt XXX-

Alarmierung fußt, welches nicht den Rahmenbedingungen des Vermerks vom

09.01.2006 entspricht, hat die ASt diese Feststellung bislang nicht widerlegen

können. Dass die von der ASt beigebrachten Referenzen – so der Vergabevermerk

weiter – ausnahmslos Projekte beschreiben, in denen die XXX-Alarmierung in Form

von Pagingdienstleistungen gegen Miete bzw. Netznutzungsgebühr realisiert wurde,

hat die ASt nicht bestritten. Die Auffassung des Agg, wonach diese Referenzprojekte

nicht gleichartig zu der nachlesbaren Kaufabsicht der Vergabestelle sind, hat die ASt

nicht entkräften können. Dass sich die Errichtung eines Netzes zum anschließenden

Betrieb durch den Auftrageber von (langfristigen) Verträgen über die Nutzung des

Netzes der ASt in für den Auftraggeber bedeutsamer Weise unterscheidet, unterfällt

zur Überzeugung der Kammer dem vergaberechtlich zulässigen

Beurteilungsspielraum der Vergabestelle und ist daher nicht zu beanstanden.

Die ASt hat bis zum heutigen Tage auch jegliche klare Aussage vermieden, dass sie

das vom Agg klar beschriebene Produkt zum Kauf liefern kann, sondern sich darauf

beschränkt, dem Agg die Möglichkeit abzusprechen, aufgrund der bislang

gewonnenen Erkenntnisse zu der Einschätzung zu gelangen, die ASt sei für die

vorgesehene Leistung nicht geeignet. Der Agg weist zu Recht darauf hin, dass es der

ASt oblegen hätte, den Nachweis ihrer Eignung zu führen. Mangelnde Nachweise

bzw. Erklärungen des Bieters können den Auftraggeber zweifelsfrei nicht in

Beweisnot bringen.

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Unabhängig von der Frage, ob die ASt anhand der Vergabebekanntmachung

erkennen konnte, dass die Vergabestelle ein digitales Alarmierungsnetz kaufen will

und unabhängig davon, ob die ASt überhaupt berechtigt gewesen wäre, ihren

Teilnahmeantrag hinsichtlich der Referenzen dementsprechend zu ergänzen, bleibt

festzuhalten, dass die ASt ihren Teilnahmeantrag nicht modifiziert hat. Der Agg durfte

daher zu Recht davon ausgehen, dass die ASt Referenzen für den (Ver-)Kauf eines

digitalen Alarmierungsnetzes nicht beibringen kann oder will und die Eignung der ASt

in Gestalt der Leistungsfähigkeit insoweit nicht gegeben ist.

Demnach kann dem Agg eine ermessensfehlerhafte Entscheidung hinsichtlich des

Teilnahmeantrags nicht vorgehalten werden: Die Dokumentation entspricht den

Erfordernissen; der Agg hat weiterhin Erkundigungen bei den als Referenzen

genannten Auftraggebern eingeholt und schließlich – ohne eine Antwort zu erhalten –

bei der ASt selbst versucht, Aufklärung darüber zu erlangen, ob diese auch den

gewünschten Kauf realisieren könnte. Mehr kann die Kammer im Lichte der

vorgenannten Auswahlgrundsätze vom Agg nicht fordern, ohne den ihm im Rahmen

des § 7a Nr. 3 VOL/A zustehenden Ermessensspielraum unzulässigerweise

einzuschränken.

cc) Der Agg wäre im Übrigen auch nicht verpflichtet gewesen, allen Bewerbern, die

die geforderten Unterlagen beigebracht haben und die die genannten

Eignungsmerkmale aufweisen, auch eine Angebotsaufforderung zukommen zu

lassen. Die Vorschrift des § 7a Nr. 3 VOL/A lässt der Vergabestelle vielmehr einen

gewissen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum; allerdings darf sie nicht

willkürlich verfahren und muss ihre Entscheidung nachvollziehbar begründen (vgl.

Zdzieblo in: Daub / Eberstein, a.a.O., Rn. 50 f. zu § 7a; Müller-Wrede, a.a.O., Rn. 53

ff. zu § 7a; Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, Stand 27.04.2006, § 101

GWB, Rz. 826; Boesen, Vergaberecht, 1. Aufl., Rn. 35 zu § 101 GWB). Bestehen für

den Auftraggeber nach dem Teilnahmewettbewerb – wie hier – Zweifel an der

Leistungsfähigkeit eines Bewerbers, wäre aber gerade eine Aufforderung zur Abgabe

eines Angebotes ermessensfehlerhaft (vgl. Müller-Wrede, ebenda). Zudem stehen

nach den Feststellungen des Agg hinreichend geeignete Bewerber („mindestens“

fünf) zur Verfügung (vgl. § 3a Nr. 1 Abs. 2, § 7 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A).

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3. Das über den der ASt durch die Kammer zur Verfügung gestellten Vermerk des

Agg vom 09.01.2006 hinaus gehende Akteneinsichtsgesuch der ASt war

zurückzuweisen.

Das Recht auf Akteneinsicht besteht entgegen der Auffassung der

Rechtsmittelführerin nicht schrankenlos; vielmehr ist allgemein anerkannt, dass das §

111 GWB Rechte nur in dem Umfang vermittelt, in dem es zur Durchsetzung der

subjektiven Rechte des betroffenen Verfahrensbeteiligten aus § 97 Abs. 7 GWB

erforderlich ist (vgl. nur OLG Jena, Beschluss vom 16.12.2002, 6 Verg 10/02).

Insbesondere dient § 111 GWB nicht der Befriedigung allgemeiner

Informationsinteressen eines Bieters, sondern unterstützt nur eine in statthafter

Weise begründete verfahrensrechtliche Rechtsposition eines Beteiligten am

Nachprüfungsverfahren (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 12.09.2005, WVerg

5/05). Dies ist nach der Rechtsprechung der Obersten Landesgerichte und einer

Reihe von Vergabekammern bei einem unzulässigen Nachprüfungsantrag nicht der

Fall (vgl. erkennende Kammer, Beschluss vom 17.03.2006, VK-SH 02/06, m.w.N.).

Akteneinsicht wird grundsätzlich demjenigen nicht gewährt, dem das GWB gerade

das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet. Die Tatsache, dass der hier vorliegende

Nachprüfungsantrag zwar teilweise zulässig ist, führt zu keinem anderen Ergebnis,

da der Antrag im Übrigen offensichtlich unbegründet ist (vgl. Düsterdiek, NZBau

2004, 605, 606). Ein Rechtschutzinteresse der ASt, sich trotz des offensichtlich

unbegründeten Nachprüfungsantrags über die Teilnahmeanträge der anderen

Bewerber sowie über Einzelheiten der durch den Agg als geheim zu haltend

eingestuften Verdingungsunterlagen zu informieren, ist nicht ersichtlich. In der

Rechtsprechung und der Literatur ist allgemein anerkannt, dass das Recht auf

Akteneinsicht gemäß § 111 GWB nur in dem Umfang besteht, in dem es zur

Durchsetzung der subjektiven Rechte des betroffenen Verfahrensbeteiligten

erforderlich ist. Maßgeblich ist dabei die Entscheidungsrelevanz der Unterlagen,

deren Einsicht begehrt wird (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 11.06.2003, 1 Verg

06/03, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat die ASt keinen Anspruch auf

Einsichtnahme in die Angebote der Konkurrenten und die sonstigen Unterlagen des

Agg.

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4. Die Zurückweisung eines Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung als

„offensichtlich” unbegründet sollte zwar die Ausnahme bleiben (vgl. OLG Schleswig,

Beschluss vom 30.06.2005, 6 Verg 5/05); angesichts der eindeutigen Sach- und

Rechtslage sind die Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 und 3 GWB hier

jedoch gegeben.

Ob die Vergabekammer bei Vorliegen der in § 112 Abs. 1 Satz 3 GWB genannten

Voraussetzungen von einer mündlichen Verhandlung absieht, liegt in ihrem

pflichtgemäßen Ermessen; dabei hat sie auch zu berücksichtigen, ob von einer

mündlichen Verhandlung neue Erkenntnisse zu erwarten wären, die zu einer anderen

Bewertung führen können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20.8.2001, Verg 11/01)

Aufgrund der Sachlage und des bisherigen Vorbringens der Beteiligten ist die

Kammer davon überzeugt, dass dies nicht der Fall ist. Die ASt hatte in

ausreichendem Maß Gelegenheit, ihre Standpunkte in tatsächlicher und in rechtlicher

Hinsicht anzubringen, so dass der maßgebliche Sachverhalt aus Sicht der Kammer

hinreichend aufgeklärt ist und eine mündliche Verhandlung insofern keinen weiteren

Erkenntnisgewinn verspricht.

Die Kammer ist auch dem Untersuchungsgrundsatz des § 110 Abs. 1 GWB

hinreichend nachgekommen und hat den Sachverhalt hinlänglich erforscht. Nachdem

danach an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein

Zweifel mehr bestehen kann, nach dem Vorbringen der ASt für diese unter keinem

Gesichtspunkt Erfolgsaussichten bestehen und sich die Zurückweisung des Antrages

damit geradezu aufdrängt, kann der Antrag als offensichtlich unbegründet qualifiziert

werden (vgl. Boesen, GWB-Kommentar, 1. Aufl., Rn. 23 f. zu § 112; 2. VK Bund,

Beschluss vom 06.10.2003, VK 2-94/03).

Die Kammer ist ebenfalls überzeugt, der ASt im vorliegenden Nachprüfungsverfahren

hinreichend rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt zu haben. Zu

berücksichtigen ist weiterhin, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ohnehin

keinen Selbstzweck darstellt, sondern - wie § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO zeigt - nur dann

berührt ist, wenn die selbst ohne hinreichende Gewährung rechtlichen Gehörs

getroffene Entscheidung nicht mehr in der Rechtsmittelinstanz anfechtbar ist und der

Verfahrensbeteiligte somit auch nachträglich kein Gehör findet (vgl. OLG Jena,

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Beschluss vom 14.10.2003, 6 Verg 8/03), was hier nicht der Fall wäre. Auch ist die

ASt zu dem beabsichtigten Verzicht auf die mündliche Verhandlung angehört worden

(vgl. Reidt, a.a.O., § 112 GWB, Rn. 19). Wenn daher – wie im vorliegenden Fall –

nach Eingang der Akten und Austausch der Schriftsätze erkennbar ist, dass eine

mündliche Verhandlung keine rechtliche Verbesserung für den Antragsteller

erbringen kann, muss bei einer solchen Sach- und Rechtslage von einer

offensichtlichen Unbegründetheit des Antrages ausgegangen werden und eine

Entscheidung der Vergabekammer (nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises)

nach Aktenlage auch dann zulässig sein, wenn einer der Beteiligten – hier die ASt –

einer solchen Entscheidung entgegentritt (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom

14.02.2006, 1/SVK/5-06; VK Arnsberg, Beschluss vom 07.09.2005, VK 16/05).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 3, Abs. 4 GWB. Danach hat ein

Beteiligter die Kosten (Gebühren und Auslagen) der Vergabekammer zu tragen,

soweit er im Verfahren unterliegt (1.). Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung

notwendige Kosten hat er zu erstatten, soweit die Anrufung der Vergabekammer

erfolgreich ist (2.). Im vorliegenden Fall ist die ASt als unterlegen anzusehen, da ihre

Anträge zurückgewiesen wurden.

1. Nachprüfungsverfahren nach § 107 ff. GWB sind gebührenpflichtig. Die Gebühr

beträgt mindestens 2.500,00 Euro und soll den Betrag von 25.000,00 Euro nicht

überschreiten (§ 128 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB).

Die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand

der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des

Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens (§ 128 Abs. 2 Satz 1 GWB). Entspricht

die wirtschaftliche Bedeutung dem Durchschnitt, ist grundsätzlich eine mittlere

Gebühr angemessen. Zur Bemessung ihrer Gebühren wendet die Kammer eine

Gebührenstaffel an, wonach die in § 128 Abs. 2 GWB normierte Mindestgebühr von

2.500 Euro bei Auftragswerten bis zu 80.000 EUR anfällt, die gesetzliche

Höchstgebühr von 25.000 Euro bei Auftragswerten von 70 Mio. Euro und mehr

entsteht und bei der für die dazwischen liegenden Auftragswerte die jeweilige Gebühr

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durch lineare Interpolation (Gebühr = 2.500 Euro + [25.000 Euro – 2.500 Euro] / [70

Mio. Euro – 80.000 Euro] x [Auftragsvolumen – 80.000 Euro]) ermittelt wird. Mit der

Anknüpfung an die jeweilige Auftragssumme wird nicht nur der wirtschaftlichen

Bedeutung der im Nachprüfungsverfahren zu kontrollierenden Auftragsvergabe

Rechnung getragen, sondern zugleich auch der personelle und sachliche Aufwand,

den die Vergabekammer zur Erledigung des Nachprüfungsbegehrens aufzuwenden

hat, in hinreichender Weise berücksichtigt. Denn in aller Regel steigt mit der Höhe

der Auftragsumme auch die Komplexität und Schwierigkeit des Streitfalles in

tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht und mithin auch der zur Bewältigung des

Nachprüfungsverfahrens erforderliche Aufwand der Vergabekammer. Lediglich dann,

wenn im Einzelfall der Sach- und Personalaufwand aus dem Rahmen dessen fällt,

was ein Nachprüfungsantrag der betreffenden wirtschaftlichen Größenordnung und

Bedeutung üblicherweise mit sich bringt, muss dem durch eine angemessene

Erhöhung oder Herabsetzung der in der Gebührenstaffel ausgewiesenen

Basisgebühr Rechnung getragen werden (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom

12.05.2004, Verg 28/04, m.w.N.).

Unter dieser Prämisse gilt hier Folgendes: Der Gegenstand des

Nachprüfungsverfahrens ist von hoher wirtschaftlicher Bedeutung für alle

Verfahrensbeteiligten. Das wird bereits durch das streitgegenständliche

Auftragsvolumen in Höhe von ca. 1,16 Mio. Euro brutto (geschätzte Auftragssumme;

vgl. S. 1 des Vergabevermerks und Ziffer II.2.1 der Vergabebekanntmachung)

deutlich. Der personelle und sachliche Aufwand bei der Vergabekammer ist als leicht

durchschnittlich anzusehen, da die Verfahrensbeteiligten im üblichen Rahmen

vorgetragen haben; der Umfang der von der Vergabekammer auszuwertenden

Vergabeakten war ebenfalls durchschnittlich. Von daher erscheint der Kammer

vorliegend eine Gebühr in Höhe von 2.847,44 Euro als angemessen. Indes waren

nach den Feststellungen der Kammer vorliegend Akteneinsichten der Beteiligten,

Beiladungen sowie eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich, so dass eine

Ermäßigung der Gebühr auf vier Fünftel, mithin 2.277,95 Euro, veranlasst ist (vgl. §

128 Abs. 2 Satz 2 GWB).

Auslagen, welche nicht bereits durch die Gebühr abgegolten wären, sind nicht

angefallen.

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2. Die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen

Bevollmächtigten durch die Vergabestelle ist auf den Einzelfall bezogen zu prüfen,

wobei sich die Entscheidung an folgenden Grundsätzen ausrichtet: In der Regel ist

die Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch die Vergabestelle auch deshalb als

notwendig i.S.d. §§ 128 Abs. 4 Satz 3 GWB, 120 Abs. 3 Satz 2 LVwG anzuerkennen,

da eine Einschränkung auf in besonderem Maße schwierige und bedeutsame

Nachprüfungsverfahren weder geboten scheint noch praktisch brauchbar ist, sich

eine Grenze für Schwierigkeit oder Bedeutung solcher Verfahren kaum angeben

lässt und im Interesse einer zeitnahen Erfüllung von verfahrensrechtlichen

Mitwirkungspflichten der Vergabestelle Kleinlichkeit bei der Beurteilung der

Notwendigkeit nicht am Platze ist. Von daher ist es sachgerecht, auch auf Seiten der

Vergabestelle die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im

Regelfall anzuerkennen und Ausnahmen im Einzelfall nur für einfache tatsächliche

oder ohne Weiteres zu beantwortende rechtliche Fragen vorzubehalten (vgl. nur OLG

Saarbrücken, Beschluss vom 29.09.2004, 1 Verg 5/04; OLG Schleswig, Beschluss

vom 15.07.2003, 6 Verg 6/03, m.w.N.).

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts seitens des Agg war aufgrund der hier

vorliegenden Bedingungen von daher notwendig und ist damit im Rahmen des § 128

Abs. 4 GWB erstattungsfähig.

Eine Streitwertfestsetzung durch die Vergabekammer hat zu unterbleiben (vgl. OLG

Düsseldorf, Beschluss vom 13.08.2004, VII - Verg 12 und 14/02; BayObLG,

Beschluss vom 12.03.2002, Verg 3/02).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gemäß § 116 Abs. 1 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde

eingelegt werden. Sie wäre innerhalb einer Notfrist von 2 Wochen nach Zustellung

dieser Entscheidung schriftlich beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht,

Gottorfstraße 2, 24837 Schleswig, einzulegen. Die sofortige Beschwerde ist zugleich

mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss enthalten:

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1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und

eine abweichende Entscheidung beantragt wird,

2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel auf die sich die Beschwerde stützt.

Die Beschwerdeschrift muss durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen

Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen

Personen des öffentlichen Rechts.

Mit Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der

Vergabekammer vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der

Beschwerdeschrift zu unterrichten (§ 117 Abs. 4 GWB).

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Tahal Frankenstein Mann