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FACHBEITRAG Visualtraining/Visualtherapie (VT) nach Hirnschädigung jedes Gehirn ist einmalig, es istdie Summedes Lebens dieser einen Person. Es entwickelt sich durch das tägliche Leben, durch das, was diese Person er- lebt, und durch das, was sie selber tut. So wie das Leben die Fähigkeiten des Gehirns erweitert, so gibt es auch Lebensumstände, die das Gehirn schädi- gen. Die Fähigkeiten des Gehirns, des Menschen, werden dadurch reduziert. Kann die Ursache für die Hirnschädigung behoben werden, dann können die beeinträchtigten Fähigkeiten wieder verbessert werden, jede Verbesserung erfordert konsequente, unermüdliche Arbeit an sich selbst. Ein paar Grundlagen Das Gehirn ist die Schaltzentrale des Menschen. Im Wesentlichen besteht es aus dem neuronalen Netz, Nerven- und Gliazellen. Das neuronale Netz sind die Verbindungen zwischen den Neuronen. Schätzungsweise hat jedes menschliche Gehirn 100 Milliarden Nervenzellen [Oliver Sacks, Das innere Auge; Susan A. Gleenßeld, Reiseführer Gehirn] und l bis 5 Billionen Gliazellen. Das bedeutet, in je- dem Gehirn sind ca. 10- bis 50-mal so vie- le Glia- wie Nervenzellen [WIKIPEDIA]. Die Gliazellen hielt man ursprüng- lich für reines Stützgewebe (Rudolf Virchow). Heute kennt man unter- schiedliche Arten von Gliazellen und rechnet ihnen eine maßgebliche Beteili- gung am Hirnstoffwechsel und den Pro- zessen der Informationsverarbeitung, -speicherung und -weiterleitung im neuronalen Netz zu [u. a. Susan A. Gleen- ßeld, Reiseführer Gehirn]. Das Gehirn steuert und kontrolliert die Sensorik und die Motorik. Jede Wahrnehmung entsteht hier, es ist der Ort des Bewusstwerdens. Egal, ob wir den Worten eines anderen Menschen lauschen, Musik hören, die Temperatur des Wassers prüfen oder zusehen, wie ein anderer Mensch etwas tut, die Sin- nesinformationen werden im Gehirn verarbeitet und zur Wahrnehmung. Schreibt man einen Brief, isst man mit Messer und Gabel oder treibt Sport, das Gehirn steuert jede Bewegung, jeden Bestandteil des Organismus. Die Fähigkeiten Ein neugeborenes Baby kann das alles noch nicht. Eigentlich ist es fertig, es hat Arme, Beine, Augen, Ohren, Mund und die größte Anzahl an Nervenzellen im Gehirn, die es jemals in seinem Leben haben wird [Susan A. Gleenßeld, Reise- führer Gehirn]. Doch es kann nicht lau- fen, kann nicht spre- chen. Der Körper ge- horcht noch nicht sei- nem Willen. Es weiß noch nicht einmal, dass es einen Willen haben kann. Ohne die Hilfe der »Mutter« ist es nicht le- bensfähig. Es macht das, was es tut, automatisch. Tief in jedem Menschen sind Verhaltensmus- ter/Reflexe eingebettet, die in diesem Moment das Überleben ermöglichen. Der Drang sich zu entwickeln, selbst- ständig zu werden, der ist angeboren. Das Großhirn strebt danach, die Kon- trolle über die Reflexe und über den Kör- per zu erlangen. Jeder Mensch strebt da- nach, Fähigkeiten zu erwerben, zu ver- bessern und über seine Sinne bewusst wahrzunehmen. Sich wiederholende Tätigkeiten wer- den immer flüssiger und sicherer. Das Kind entwickelt sein neuronales Netz, es entstehen Automatismen. Durch Auto- matismen werden diese Abläufe schnel- ler und energetisch günstiger, als wenn jede Aufgabe jedes Mal neu »durch- dacht« und neu »durchgerechnet« wer- den muss. Die Natur gestaltet jeden Ab- lauf so, dass er nur ein Minimum an Energie erfordert. Uwe Seese, Augenoptikermeis- ter, Funktionaloptometrist, Heilpraktiker; Praxis für FO seit 2006, F. S. O. E. seit Oktober 2010. Optometrie 3/2011

Visualtraining/Visualtherapie (VT) nach Hirnschädigung · Ein neugeborenes Baby kann das alles noch nicht. Eigentlich ist es fertig, es hat Arme, Beine, Augen, Ohren, Mund und die

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Visualtraining/Visualtherapie (VT)nach Hirnschädigung

jedes Gehirn ist einmalig, es istdie Summedes Lebens dieser einen Person.Es entwickelt sich durch das tägliche Leben, durch das, was diese Person er-lebt, und durch das, was sie selber tut. So wie das Leben die Fähigkeiten desGehirns erweitert, so gibt es auch Lebensumstände, die das Gehirn schädi-gen. Die Fähigkeiten des Gehirns, des Menschen, werden dadurch reduziert.Kann die Ursache für die Hirnschädigung behoben werden, dann können diebeeinträchtigten Fähigkeiten wieder verbessert werden, jede Verbesserungerfordert konsequente, unermüdliche Arbeit an sich selbst.

Ein paar Grundlagen

Das Gehirn ist die Schaltzentrale desMenschen. Im Wesentlichen besteht esaus dem neuronalen Netz, Nerven- undGliazellen. Das neuronale Netz sind dieVerbindungen zwischen den Neuronen.Schätzungsweise hat jedes menschlicheGehirn 100 Milliarden Nervenzellen[Oliver Sacks, Das innere Auge; Susan A.Gleenßeld, Reiseführer Gehirn] und l bis 5Billionen Gliazellen. Das bedeutet, in je-dem Gehirn sind ca. 10- bis 50-mal so vie-le Glia- wie Nervenzellen [WIKIPEDIA].

Die Gliazellen hielt man ursprüng-lich für reines Stützgewebe (RudolfVirchow). Heute kennt man unter-schiedliche Arten von Gliazellen undrechnet ihnen eine maßgebliche Beteili-gung am Hirnstoffwechsel und den Pro-zessen der Informationsverarbeitung,-speicherung und -weiterleitung imneuronalen Netz zu [u. a. Susan A. Gleen-ßeld, Reiseführer Gehirn].

Das Gehirn steuert und kontrolliertdie Sensorik und die Motorik. JedeWahrnehmung entsteht hier, es ist derOrt des Bewusstwerdens. Egal, ob wirden Worten eines anderen Menschenlauschen, Musik hören, die Temperaturdes Wassers prüfen oder zusehen, wieein anderer Mensch etwas tut, die Sin-nesinformationen werden im Gehirnverarbeitet und zur Wahrnehmung.Schreibt man einen Brief, isst man mit

Messer und Gabel oder treibt Sport, dasGehirn steuert jede Bewegung, jedenBestandteil des Organismus.

Die Fähigkeiten

Ein neugeborenes Baby kann das allesnoch nicht. Eigentlich ist es fertig, es hatArme, Beine, Augen, Ohren, Mund unddie größte Anzahl an Nervenzellen im

Gehirn, die es jemals in seinem Lebenhaben wird [Susan A. Gleenßeld, Reise-führer Gehirn]. Doch es kann nicht lau-fen, kann nicht spre-chen. Der Körper ge-horcht noch nicht sei-nem Willen. Es weißnoch nicht einmal, dasses einen Willen habenkann. Ohne die Hilfe der»Mutter« ist es nicht le-bensfähig.

Es macht das, was estut, automatisch. Tief in

jedem Menschen sind Verhaltensmus-ter/Reflexe eingebettet, die in diesemMoment das Überleben ermöglichen.

Der Drang sich zu entwickeln, selbst-ständig zu werden, der ist angeboren.Das Großhirn strebt danach, die Kon-trolle über die Reflexe und über den Kör-per zu erlangen. Jeder Mensch strebt da-nach, Fähigkeiten zu erwerben, zu ver-bessern und über seine Sinne bewusstwahrzunehmen.

Sich wiederholende Tätigkeiten wer-den immer flüssiger und sicherer. Das

Kind entwickelt sein neuronales Netz, esentstehen Automatismen. Durch Auto-matismen werden diese Abläufe schnel-ler und energetisch günstiger, als wennjede Aufgabe jedes Mal neu »durch-dacht« und neu »durchgerechnet« wer-den muss. Die Natur gestaltet jeden Ab-lauf so, dass er nur ein Minimum anEnergie erfordert.

Uwe Seese, Augenoptikermeis-

ter, Funktionaloptometrist,

Heilpraktiker; Praxis für FO seit

2006, F. S. O. E. seit Oktober

2010.

Optometrie 3/2011

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Ca. 15 Jahre tägliches Trainingbraucht der Mensch (allgemeine Ent-wicklung) um seinen Körper zu beherr-schen und die Fähigkeiten, die der Orga-nismus bietet, zu nutzen [Donald Hebb,The Organization ofBehavior]. Das ist derDurchschnitt, will er etwas überdurch-schnittlich gut können, so muss er mehrund länger trainieren.

Jede erworbene Fähigkeit repräsen-tiert einen Teil des neuronalen Netzes.Mit allem, was man in seinem Lebenneu lernt und mit jeder Verbesserungeiner Fähigkeit, verändert sich das neu-ronale Netz. Das gesunde Hirn unter-liegt einem permanenten Wandel. Esbilden sich neue neuronale Verknüp-fungen (Verbindungen zwischen Ner-venzellen) und gleichzeitig verschwin-den alte, nicht benutzte Verknüpfun-gen.

Diese ständige Anpassung des Ge-hirns an die Bedürfnisse des Menschen,wird als »Plastizität« des Gehirns be-zeichnet. Sie beginnt in dem Moment,in dem sich Stammzellen zu Nervenzel-len wandeln, und endet, bei einem ge-sunden Gehirn, erst mit dem Tod.

Was ist eine Hirnschädigung?

Die Natur erhält das, was gebrauchtwird. Das, was nicht benutzt wird, lässtsie untergehen. Der menschliche Orga-nismus ist ein Teil der Natur, er verhältsich ebenfalls so. Ein Muskel, der nichtbenutzt wird, atrophiert (verkümmert).Das menschliche Gehirn braucht Sti-mulation, das heißt Anregung, Erleben,Bewusstsein und Reflektion des Erleb-ten, sonst verkümmert es.

Die drei Bilder stellen, in extrem vereinfachter Form, einen kleinen Bereich des neu-ronalen Netzes dar. Sie repräsentiert eine Fähigkeit. In der Darstellung steht jedergrüne Punkt für tausende miteinander verbundene Nervenzellen.Bild a} Das neuronale Netz ist intakt, die Fähigkeit/Funktion wird beherrscht.Bild b) Das neuronale Netz ist leicht geschädigt (roter Kreis), die repräsentierte Fähig-

keit/Funktion ist beeinträchtigt.Bild c) Das neuronale Netz ist stark geschädigt, die repräsentierte Fähigkeit/Funktion

ist nicht mehr möglich, sie fehlt.

Das ist der normale Ablauf in der Na-tur. Von einer Hirnschädigung sprichtman, wenn über diesen normalen Kreis-lauf des Entstehens und Vergehens hin-aus, aktive Nervenzellen des Gehirnsabsterben. Das neuronale Netz wird da-durch geschädigt.

Als Folgen einer Hirnschädigungwerden Fähigkeiten zerstört bzw. beein-trächtigt. Die Beeinträchtigungen kön-nen sehr unterschiedlich sein, ihre Arthängt von dem Ort und Umfang derSchädigung ab. Über die exakte Ermitt-lung des Verlustes an Fähigkeiten lässtsich die Schädigung im Hirn lokalisie-ren.

Das ist interessant für die medizini-sche Behandlung des schädigendenAuslösers. Ist der Auslöser z .B. eineDurchblutungsstörung, weiß der Arztauf Grund der Beeinträchtigungen/Ausfälle, in welchem Bereich eine arte-rielle Blockade besteht.

Arten von HirnschädigungenHirnschäden werden unterteilt in:a. frühkindliche Hirnschädigungb. erworbene Hirnschädigung

a. Die frühkindliche HirnschädigungEine Schädigung des ZNS zwischendem 6. Schwangerschaftsmonat unddem 3.-6. Lebensjahr wird als frühkind-liche Hirnschädigung eingestuft. DasGehirn wurde durch eine akute Ursachegeschädigt, z. B. eine Sauerstoffunter-versorgung während der Geburt. Nach-dem das Kind wieder ausreichend mitSauerstoff versorgt wird, schreitet dieS chädigung nicht weiter fort. Die Verän-derung des Gehirns bleibt bestehen.

b. Erworbene Hirn-schädigungDie erworbene Hirn-schädigung wirdnochmals unterteiltin eine lokale und ei-ne das ganze Hirnbetreffende Schädi-gung.• Lokale Hirnver-

änderungenHierbei ist ein

Teilbereich des Ge-

hirns geschädigt. Kann die Ursache derSchädigung erfolgreich behandelt wer-den, dann schreitet die Schädigung desGehirns nicht weiter fort, sie stoppt. DieSchädigung bleibt lokal begrenzt. DerSchlaganfall und das Schädel-Hirn-Trauma zählen zu den lokalen Hirn-schäden.• Globale Hirnveränderungen (Enze-

phalopathie)Als Enzephalopathie wird eine das

ganze Hirn betreffende, fortschreitendeVeränderung bezeichnet. Es handeltsich um eine degenerative Erkrankung(z .B. Demenz).

Wodurch wird das Hirn geschädigt?Das Gehirn ist relativ gut gegen Schädi-gung von außen geschützt. Die Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass Gifteund Krankheitserreger aus dem Blut insGehirn gelangen. Es ist flüssig gelagert,u. a. von einer sehr festen, schützendenHaut, der Dura Mater, und den Schädel-knochen umgeben.

Trotzdem kommt es vor, dass dieseSchutzmechanismen nicht ausreichen.Schäden entstehen durch:• Sauerstoffmangel:

Schlaganfall (Durchblutungsstörung)• Mechanische Ursachen:

Schädel-Hirn-Verletzungen durchUnfall (Schädel-Hirn-Traumen),neurochirurgische Operationen(Gewebsschäden im OP-Bereich),Hirntumore (Verdrängung/Druck)

• Chemische Ursachen:Vergiftung (Intoxikationen)

• Strahlung: Radioaktivität• Erkrankungen: Infektionen,

Degenerative Erkrankungen desHirns (Enzephalopathie)In Deutschland erleiden jährlich über

500.000 Menschen eine akute Hirnschä-digung [Stiftung Neuronales Netzwerk].

Die Plastizität des Gehirns

So, wie jeder Mensch neugierig ist, allesNeue ihn mehr anspricht als das Be-kannte, genauso ist unser Gehirn im-mer auf der Suche nach Neuem. Jedes»gesunde« Hirn, das ungeschädigte,aber auch das geschädigte, strebt nachNeuem. Das Großhirn möchte lernen,

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sich verändern und seinen Einfluss er-weitern. Das Nervensystem verändertsich entsprechend den Möglichkeiten,die man ihm gibt.

Führt man ein aktives, abwechslungs-reiches Leben, dann erhält das Gehirnimmer neue Stimulationen sich weiterzu entwickeln.

Sitzt man von morgens bis abendsnur vor dem Fernseher und sieht sich ei-ne Wiederholung nach der anderen an,dann fehlt das Erleben mit allen Sinnenund unser Hirn verkümmert. (Wie sichdas Gehirn/der Mensch wohl, über vieleGenerationen, an diese veränderten Le-bensgewohnheiten anpassen wird?)

Durch diese Plastizität des Gehirnskann sich jeder Mensch vom Baby zumErwachsenen entwickeln. Beim Lernenund im Leistungssport wird die Plasti-zität bewusst genutzt. Lernen erweitertWissen und Fähigkeiten. Der Sportlertrainiert und steigert dadurch seinesportliche Leistung. In beiden Fällenwird man besser, als wenn man aufdem Sofa sitzt und fernsieht. Wenn manintensiv genug an sich arbeitet, kannman besser werden als der Durchschnitt.

So, wie man einzelne Bereiche/Fähigkeiten über das Niveau des Durch-schnitts hinaus trainieren kann, so kannman auch unterdurchschnittlicheFähigkeiten mittels Training auf dasDurchschnittsniveau anheben.

Nach einer Hirnschädigung ist dieAusgangssituation für Veränderungenungünstiger als bei einem gesunden,neugeborenen Kind. Trotzdem sind Ver-änderungen möglich, man muss sie sichnur intensiv erarbeiten. Das ist seit über50 Jahren empirisches Wissen der Funk-tionaloptometrie. Die Hirnforschunghat dieses in den letzten Jahren auchwissenschaftlich bewiesen.

Man kann das Gehirn durch Trainingverändern!

Fähigkeiten, die auf Grund einer Hirn-schädigung beeinträchtigt sind, könnensich auch ohne eine Therapie wieder ver-bessern. Unter Umständen können dieDefizite sogar wieder komplett ver-schwinden. Dieses geschieht, wenn diebeeinträchtigten Fähigkeiten, unabhän-gig davon, wie schwer es fällt, täglich aufhohem Niveau benutzt werden.

Das tägliche Benutzen ist die erfolg-reiche Therapie.

VT bei EnzephalopathieDie Enzephalopathie ist eine fortschrei-tende degenerative Veränderung desGehirns. Da die Schäden im Hirn fort-schreiten, sind die Aussichten, mittelsVT Veränderungen zu erzielen, äußerstschlecht. Dadurch, dass das Gehirn wei-ter abbaut, kann nicht wirklich etwasaufgebaut werden. Deshalb sehe ich hierim Normalfall keine Möglichkeiten,über ein VT die Fähigkeiten der betrof-fenen Person wieder zu verbessern.

VT nach frühkindlicherHirnschädigungJede frühkindliche Hirnschädigung be-einflusst die allgemeine Entwicklungdieses Kindes. Wird das Kind sich selberüberlassen, so wird es sich, durch denerschwerten Start seiner Entwicklung,nicht seinen echten Möglichkeiten ent-sprechend entwickeln. Es braucht syste-matisch Förderung. Nach einer früh-kindlichen Hirnschädigung ist das Ge-hirn stabil. Es ist geschädigt, aber es de-generiert nicht.

Diese Kinder können und solltentrainiert werden. Das richtige Trainingist der VT Typ LV Kind (The low achie-ver).

VT nach lokaler HirnschädigungNachdem die akute Phase der Hirnschä-digung abgeschlossen ist, ist die betrof-fene Person quasi wieder gesund. Sie istwieder gesund, doch je nach Schädi-gung bestehen funktioneile Beeinträch-tigungen.

Vielleicht bleibt eine Lähmung, eineSprach- oder Sehstörungen zurück. Eskann eine Amnesie (Gedächtnisstö-rung, Störung des Erinnerns) oder eineAgnosie (Störung des Erkennens) beste-hen. Jeder Bereich der menschlichenFähigkeiten kann gestört sein.

Es kann ein einzelnes Problem beste-hen, doch meist sind mehrere Fähigkei-ten in ihrer Qualität beeinträchtigt. Des-halb schließt sich eine Reha direkt an diemedizinische Behandlung der Ursacheder Hirnschädigung an. Jetzt, parallelzum Start der Reha-Maßnahmen, ist der

ideale Zeitpunkt, mit dem VT zu begin-nen.

Das praktische Vorgehen

Als Erstes gilt es die Qualität der visuel-len Fähigkeiten zu bestimmen. Es musseine komplette visuelle Analyse durch-geführt werden.

Die zu klärende Frage lautet: WelcheFähigkeiten werden auf welchem Ni-veau beherrscht?

VorgeschichteInformationen über die aktuellen Pro-bleme reichen nicht. Die Vorgeschichtegliedert sich deshalb in zwei Bereiche.Es gilt sich einen Überblick über das Le-ben vor und nach der S chädigung zu ver-schaffen.

Unabhängig von der aktuellen Hirn-schädigung können schon vorher visu-elle Defizite existiert haben. Es bestehtdie Gefahr ältere Probleme zu überse-hen. Deshalb ist es wichtig, sich über dieallgemeine Entwicklung und Qualitätder visuellen Fähigkeiten vor dem ein-schneidenden Ereignis zu informieren.

Wir brauchen Informationen über diekindliche Entwicklung, über schulischeLeistungen und über das Leben, den Be-ruf, die Gewohnheiten, Vorlieben undAbneigungen unseres Klienten.

UntersuchungJe nach Art und Umfang der Schädi-gung kann die Untersuchung etwasschwieriger sein, eventuell muss die Un-tersuchung auf mehrere Termine ver-teilt werden.

Trotzdem ist eine komplette visuelleAnalyse (soweit dieses möglich ist)durchzuführen. Besteht eine Beein-trächtigung der allgemeinen Grund-fähigkeiten (Körperbewusstsein, Latera-lität), dann sind auch die entsprechen-den Teste zu dem Körperbewusstsein,der Lateralität usw. durchzuführen.

Nur wer alle Fähigkeiten überprüft,der kann den optimalen Ansatzpunktfür das Training finden.

Vergleich der aktuellen Fähigkeiten mitdenen vor der HirnschädigungNachdem die Vorgeschichte erfasst und

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die Untersuchung durchgeführt wurde,sind alle Informationen miteinander zuvergleichen. Welche Schwierigkeitenbestanden schon immer und welchesind neu, sind erst durch die Schädi-gung entstanden?

In der Regel werden wir über die kind-liche Entwicklung nur wenige harte Da-ten bekommen. Harte Daten sind Mess-ergebnisse. Vielleicht ist der frühere Vi-sus zu ermitteln, doch bei wem wurdenschon das Körperbewusstsein, die Di-rektionalität, die Augenfolgebewegun-gen, die Sakkaden usw. gemessen.

Was wir bekommen, sind Daten überdas Leben vorder Schädigung. Diese In-formationen über das Leben, Arbeit undHobbys sind mit den jetzigen Fähigkei-ten zu vergleichen. Was ist noch pro-blemlos möglich? Durch den Vergleicherhält man eine relativ realistische Vor-stellung von den tatsächlichen, durchdie Hirnschädigung ausgelösten Beein-trächtigungen.

BeobachtenEin wichtiger Punkt ist das Gespräch mitdem Klienten. Er soll seine Problemeund Schwierigkeiten beschreiben. Sel-ten kommt ein Mensch nach einer Hirn-schädigung sofort zu uns. Deshalb sindwir leider nicht der Erste, dem er seineSituation schildert. Er hat seine Nöteschon vielen Ärzten und Therapeutenbeschrieben. Hat wahrscheinlich auf al-les schon eine Antwort bekommen undvielfach hat er von unterschiedlichenPersonen ähnliche, in seinen Augen,gleiche Antworten erhalten. Das führtdazu, dass er nur noch wenig Subjekti-ves über sich erzählt. Aber subjektive In-formationen sind genau das, was wirbrauchen.

Da sich jede einzelne Hirnschädi-gung im Detail von anderen Hirnschä-digungen stark unterscheiden kann,müssen wir so viel wie möglich über un-seren Klienten, über seine subjektivenProbleme und Beobachtungen erfah-ren.

Dazu ein Beispiel: Ich habe einen Pa-tienten mit Schlaganfall. Bei ihm beste-hen ausschließlich visuelle Beeinträch-tigungen. Sein Gesichtsfeld war instabilund seine Sehleistung deutlich redu-

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ziert. Das Lesen war mit Lupe sehr müh-sam und nur eingeschränkt möglich.Ohne Lupe ging es eigentlich gar nicht.Im Gespräch schilderte er mir, dass erbei sich zu Hause aus dem Wohnzim-merfenster einen Parkplatz sehen kann.Die Autos sind nur sehr undeutlich zusehen. Schließt er seine Augen für einenMoment, sieht er nach dem Öffnen derAugen die Autos im ersten Momentdeutlich besser.

In der Untersuchung habe ich dieseInformation nicht erhalten.

Nachdem er mir das erzählt hatte, ha-be ich ihn aufgefordert diese Technikmit einer Tageszeitung auszuprobieren.Wir stellten fest, dass er auf diese Art dieÜberschriften lesen konnte. Er war sichzwar noch nicht ganz sicher, ob esstimmte, was er las, aber er hatte dieÜberschriften richtig gelesen. Wir pro-bierten es eine ganze Zeit, und er wur-de langsam etwas sicherer. Der Text unddie Bilder in der Zeitung wurden kurzbesser und die größeren Texte waren les-bar.

Ich habe ihn aufgefordert nur noch sozu lesen und habe diese Technik auch insein Training eingebunden.

Training

Das Training nach Hirnschädigung istdas individuellste Training, das ichkenne.

Durch die Anamnese, Untersuchungund Beobachtung haben wir ein rela-tiv detailliertes Bild von unserem Klien-ten.

FähigkeitenFür das VT sind die Fähigkeiten zu un-terteilen in Fähigkeiten, die:a. leicht fallen,b. nicht mehr vorhanden sind,c. schwer sind,d. superschwer sind.

a. Leichte FähigkeitenDer Bereich, der leicht fällt, den brau-chen wir nicht zu trainieren.

Alles, was leicht fällt und wichtig ist,das wird im täglichen Leben benutztund dadurch erhalten und verbessert.Das Leben ist das beste Training.

b. Fähigkeiten, die nicht mehrvorhanden sindDie Fähigkeiten, die vollständig fehlen,sollten nicht trainiert werden.

Eine Fähigkeit, die nach einer Hirn-schädigung komplett fehlt, für die sinddie cerebralen Verknüpfungen, welchediese Fähigkeit ermöglichen, nichtmehr vorhanden. Wir können einenLichtschalter tausendmal an- und aus-schalten, wenn die Leitung zur Lampe(das neuronale Netz) fehlt, geht das Lichtnicht an. Über dieses sehr vereinfachteModell muss man etwas nachdenken,um zu begreifen, welche Möglichkeitenzur Verbesserung von Fähigkeiten be-stehen.

Es stellt sich natürlich die Frage: Wasist wirklich vollständig verloren gegan-gen? Ist auch nur eine Spur des beteilig-ten neuronalen Netzes noch vorhanden,dann besteht die Chance, die Fähigkeitwieder zu erwerben.

c./d. Schwere und SuperschwereFähigkeitenIn diesen Bereichen müssen wir trainie-ren.

Hier besteht die realistische Chance,etwas an Fähigkeiten wieder aufzubau-en. Mit dem gezielten Training könnenVerbesserungen erreicht werden.

An einem Gesichtsfeldausfall könnenwir uns das zuvor Gesagte gut verdeutli-chen.Beispiel: Als Folge eines Schlaganfallsbesteht eine Hemianopsie. Das Ge-sichtsfeld lässt sich funktionell in dreiBereiche gliedern. Der eine Teil des Ge-sichtsfeldes ist intakt. Daran schließtsich ein beeinträchtigter Bereich an. Al-les, was sich in diesem Teilbereich desGesichtsfeldes befindet, wird irgendwiewahrgenommen. Es fällt schwer zu sä-

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gen, was es ist. Aber es ist etwas da, wasdas Bewusstsein anspricht. An diesenschwierigen, teilweise sogar störendenBereich schließt sich ein dritter Bereichan. Alles, was sich in diesem dritten Be-reich des Gesichtsfeldes befindet, wirdnicht bewusst.• Der intakte Bereich - Wird der sehen-

de Teil des Gesichtsfeldes trainiert,wird dieser noch besser. Das ent-spricht einem Hochleistungssportler,der einzelne Fähigkeiten, über das Ni-veau seiner Kontrahenten hinaus, an-heben möchte.

• Der fehlende Bereich - Wird der Be-reich der Anopsie trainiert, so wirddas Training mit sehr hoher Wahr-scheinlichkeit erfolglos bleiben. DieAugen liefern Informationen an dasGehirn. Doch die Nervenzellen, diediese Informationen empfangen undverarbeiten sollen, fehlen. Dadurchfehlt jede Stimulation, das neuronaleNetz in diesem Bereich zu verändern.

• Der beeinträchtigte Bereich - Wirdder Zwischenbereich des Gesichtsfel-des trainiert, dann besteht die Chan-ce, dass dieser Bereich besser wird.Das Hirn erhält in einem teilweisefunktionieren Bereich Stimulation.Dadurch arbeitet dieser Bereich, erwird genutzt. Es macht für den Orga-nismus Sinn, diesen Bereich zu ver-bessern.Wie kann dieser Bereich am besten

trainiert werden?Die Nervenzellen im Gehirn werden

direkt und indirekt, durch Informatio-nen der Sinnesrezeptoren, stimuliert.

Im Beispiel werden die neuronalenNervenzellen im Sehzentrum direktdurch die Nervenimpulse der Rezepto-ren der Netzhaut angeregt. Indirekt wer-den die Nervenzellen des Sehzentrumsdurch Impulse aus anderen Bereichendes Hirns stimuliert.

Diese indirekte Stimulation entstehtdadurch, dass ein Teil der Impulse derNetzhautrezeptoren in das gesamte Hirnverteilt wird. Dort werden diese Impulse,parallel zum Sehzentrum und in direkterKommunikation mit diesem, verarbeitet.Man kann sich die indirekte Stimulationwie die Zusammenarbeit in einem Or-chester vorstellen. Das Sehzentrum ist

ein elementarer Bestandteil dieses Or-chesters. Ohne die anderen Orchester-mitglieder wird das Konzert, die be-wusste Wahrnehmung, sehr flach blei-ben.

Das Sehzentrum arbeitet nicht iso-liert vor sich hin, sondern spielt im Kon-zert mit allen anderen Bereichen des Ge-hirns zusammen. Die Wahrnehmungist eine globale, cerebrale Fähigkeit, je-der Bereich des Gehirns hat seinen An-teil.

Wie stimuliert man den Zwischenbe-reich? Am besten durch visuelle Infor-mationen mit umfangreicher Bedeu-tung. Die Differenziertheit der Bedeu-tung hängt von den noch bestehendenFähigkeiten ab.

Erzeugt man einfache Lichtblitze imZwischenbereich, so ist das Informati-on. Das ist einfachste Stimulation aufniedrigstem Niveau. Diese Informationbesteht aus wenig Details, das Gehirnmuss nur »Licht Ja« registrieren. Fürdie Verarbeitung dieser Informationbraucht sich das Gehirn - als »Orches-ter« - nicht sehr anzustrengen.

Anders ist die Situation, wenn in demZwischenbereich anspruchsvolle Auf-gaben gelöst werden müssen. Zum Bei-spiel: Fotos erkennen. Das Erkennen ei-nes Fotos ist eine extrem schwere visuel-le Aufgabe [Oliver Sacks, Sehen oder nichtsehen]. Um ein Detail auf einem Foto zuerkennen, muss das Objekt visuell ausseiner Umgebung herausgelöst werden.

Überfordert ein Foto, so sind die ein-zelnen Bestandteile des Bildes zu redu-zieren, bis eine Wahrnehmung möglichist. Das kann so weit gehen, dass aufdem Bild nur noch eine gleichmäßigeeinfarbige Fläche übrig bleibt. Diesekann als echtes Objekt mit allen Sinnenerfasst werden, bis die Wiedererken-nung rein visuell in dem beeinträchtig-ten Gesichtsfeldbereich möglich ist.

Die Dosierung des Schweregrades je-der einzelnen Übung ist eine Gratwan-derung. Die Übung muss schwer, aberzu schaffen sein. Jede Übung muss aufdie maximale Fähigkeit des Klienten ab-gestimmt werden.

Je schwerer die Übung ist, je mehrBereiche des Gehirns an einer Aufgabemitwirken, desto wahrscheinlicher ver-

ändert sich das Gehirn. Eine globale ce-rebrale Aktivität kostet viel Energie undist anstrengend, sie birgt in sich diegrößte Chance, etwas zu verändern.

J

Der Zwischenbereich kann in seinerBreite sehr unterschiedlich sein. Je klei-ner/schmaler der Bereich zwischen gutund unmöglich ist, desto schwieriger istes, genau ihn mit den Übungen anzu-sprechen.

Forderungen an das VT nachHirnschädigungUm das VT so effektiv wie möglich zumachen, ist die Erfüllung der folgendensechs Punkte anzustreben:a. Sofort beginnen.b. Jede Übung muss schwer und zu

schaffen sein.c. Es ist eine Harmonie der Fähigkeiten

anzustreben.d. Täglich trainieren.e. Kurzes Training und lange Erho-

lungspausen.f. Ersetzende Hilfsmittel sind zu mei-

den.

a. Sofort beginnenDas VT muss so schnell wie möglichnach der Schädigung beginnen. Das Ge-hirn hat direkt nach der Schädigung ei-nehöhere Plastizität als Jahre später. DerGrund dafür liegt darin, dass das Gehirndurch die Schädigung seine Stabilität(seine Struktur) verloren hat. Um opti-mal zu funktionieren, das strebt jedesGehirn an, braucht es Struktur. Sobalddie lebensbedrohende Situation über-standen ist, setzt das Gehirn alle Energiedaran, wieder Stabilität zu erreichen.Jahre nach der Schädigung hat sich dasGehirn neu strukturiert. Es hat, im Rah-men seiner Möglichkeiten, wieder Auto-

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matismen entwickelt. Diese kann mannatürlich auch verändern, das ist abersehr viel mühsamer als in der ersten Zeitnach der Schädigung.

b. Jede Übung muss schwer und zuschaffen seinEine leichte Übung verändert nichts,eine zu schwere Übung vertieft dieEinsicht: »Das geht nicht mehr« - undblockiert jede Entwicklung.

c. Es ist eine Harmonie der FähigkeitenanzustrebenIn der Entwicklung vom Baby zum Er-wachsenen unterstützen sich die Fähig-keiten in ihrem Wachstum gegenseitig.Es besteht eine Harmonie in der Ent-wicklung.

Nach einer Hirnschädigung fehlt die-se Harmonie der Fähigkeiten. Das führtdazu, dass Fähigkeiten verkümmernund andere sich überzogen ausbreiten.Ohne Einwirkung von außen (Training)werden einige Fähigkeiten weit unterihren Möglichkeiten bleiben.

d. Taglich trainierenEs muss täglich trainiert werden. »SteterTropfen höhlt den Stein.« Wird ein Trai-ning so aufgebaut, dass die Person ein-mal pro Woche intensive Übungendurchführt, dann fängt das Gehirn jedesMal von vorne an. Es bewahrt die Erfolgedes letzten Trainings nicht eine Wocheauf. Nur wenn täglich trainiert wird,kann das Gehirn an die Übungen desvergangenen Tages anknüpfen.

e. Kurzes Training und langeE rholungspausenEs sind täglich kurze, intensive Trai-nings- und lange Erholungsphasendurchzuführen. In den Erholungspha-sen kann es erforderlich sein, sich schla-fen zu legen. Sehr günstig sind körper-liche Aktivitäten, wie z. B. Spazierenge-hen an der frischen Luft.

f. Ersetzende Hilfsmittel sind zu meidenHilfsmittel, die eine Fähigkeit ersetzen,dürfen nicht zur Anwendung kommen.Diese Forderung ist sehr radikal, füreinen Erfolg ist sie aber unumgänglich.Es ist eine Entscheidung erforderlich.

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Möchte die Person wieder möglichstnah an ihr Leben vor der Hirnschädi-gung herankommen, dann muss sie aufsolche Hilfsmittel verzichten.

Dazu ein Beispiel: Ist das Lesen nor-maler Schrift nur mit Lupe möglich undeine Lupe wird benutzt, dann besteht fürdas Gehirn keine Notwendigkeit etwaszu ändern. Also bleibt die Fähigkeit wiesie ist. Statt eine Lupe zu benutzen, soll-te die Schrift, wenn wirklich notwendig,durch Kopieren minimal vergrößertwerden. Die Vergrößerung ist so zuwählen, dass die Schrift mit etwas Ratenzu lesen ist. So besteht ein Stimulus fürdas Gehirn, seine Fähigkeit zu verbes-sern. Das Gehirn kann aktiv seine Lese-fähigkeit steigern. Sobald die vergrößer-te Schrift lesbar ist, wird der Text wiederverkleinert. Auf diese Weise steigert dasGehirn in kleinen Schritten seine Fähig-keiten. Der positive Effekt ist besondersstark, wenn der zu lesende Text die Per-son interessiert.

VT nach Hirnschädigung dauert lange

Zur Erinnerung, im Durchschnittbraucht der Mensch ca. 15 Jahre, um dasSehen zu erlernen [Donald Hebb, The Or-ganization ofBehavior]. In diesen 15 Jah-ren entwickelt sich das Sehen in Relati-on zu den anderen wachsenden Fähig-keiten. Sie unterstützen sich gegenseitigin ihren Veränderungen. Es besteht eineHarmonie in der Entwicklung.

Nach einer Hirnschädigung fehlt die-se Harmonie der Fähigkeiten.

Der Mensch wird nicht wieder so, wieer vor der Schädigung war. Etwas vonihm ist verloren gegangen, dafür hat erneue, schmerzliche Erfahrungen hinzu-gewonnen. Das ist ein wichtiger Punkt,den jeder Betroffene, und auch wir, diemit ihm arbeiten, akzeptieren müssen.

Trotzdem können Fähigkeiten verbes-sert werden, es erfordert nur Zeit, Ge-duld und Ausdauer.

Leben mit einem halben Großhirn

Zum Abschluss möchte ich noch kurzdie Bedeutung des Willens für das Trai-ning ansprechen. Es gibt ein paar Men-schen, denen das halbe Großhirn ent-

fernt wurde. Nachdem, was wir über dasGehirn wissen, müssen diese Menscheneine Halbseitenlähmung haben, dashalbe Gesichtsfeld fehlt und massiveSprachprobleme bestehen.Doch das ist nicht bei allen so. Einige die-ser Menschen haben es irgendwie ge-schafft, dass die verbliebene HirnhälfteFunktionen der entfernten Hemisphäreübernommen hat (über diesen Sachver-halt gibt es immer wieder Zeitungsbe-richte. Neben anderen hat sich Prof. Dr.Dr. Reinhard Werth damit wissenschaft-lich beschäftigt: »Visual functions with-out the occipital lobe or after cerebral he-mispherectomy in infancy« - EuropeanJournal of Neuroscience - Nov 2006).

Der Wille, etwas zu verändern und zuerreichen, die Ausdauer und die uner-müdliche Arbeit an den eigenen Fähig-keiten und Defiziten hat bei ihnen Un-mögliches Wirklichkeit werden lassen.

Literaturhinweise:DOMAN, Glenn: Was können sie für Ihr hirnver-letztes Kind tun?GOLDSTEIN, Bruce, E.: Wahrnehmungs-psychologieGREENFIELD, Susann, A.: Reiseführer GehirnHEBB, Donald:The OrganizationofBehaviorHOLLE, Britta: Die motorische und perzepruelleEntwicklung des KindesLURIJA, Alexander, R.: Der Mann, dessen Welt inScherben gingSACKS, Oliver: Sehen oder nicht sehen (Eine An-thropologin auf dem Mars)SACKS, Oliver: Das innere AugeSIEGLER, DELOACHE, EISENBERG: Entwick-lungspsychologie im Kindes- und JugendalterWERTH, Reinhard: Visual functions without theoccipital lobe or after cerebral hemispherectomyin infancy

Internet (eine ganz kleine Auswahl):http://www.neuronales-netzwerk.org/http://de.wikipedia.org/wiki/Schlaganfallhttp://de.wikipedia.org/wiki/Rasmussen-Enze-phalitishttp://de.wikipedia.org/wiki/Hemisph%C3%A4rektomiehttp://neuro-wiki.de/index.php?title=Hauptseitehttp://www.kup.at/journals/abbildungen/gross/1380.htmlhttp://www.campus.de/pressemappe/9783593385341.pdfhttp://www.bild.de/BILD/ratgeber/gesund-fit/2011/02/07/hirnhaelfte-entfernt/medizinisch-notwendig-katie-verdecchia-aicardi-syndrom.htmlhrtp://www.atmosfair.de/fileadmin/user_upload/Medienecke/atmosfair_in_den_Medien/2005_07_21_Rheinischer_Merkur_Klare_Rechnung.pdf