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ASA 79 · Nr. 1/2 · 2010/2011 31 Vorsteuerabzug beim Erwerb, Halten und Veräussern von Beteiligungen Jan Ole Luuk LL.M., MWST-Experte (FH), Rechtsanwalt und Konsulent, Walder Wyss & Partner AG, Zürich. Die zutreffende mehrwertsteuerliche Behandlung des Erwerbs, des Haltens und der Veräusserung von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen wird seit Anfang der Neunzigerjahre europaweit intensiv diskutiert und war seitdem Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheide, nicht zuletzt des Europäischen Gerichtshofs. Da sich der Erwerb und die Veräusserung von Beteiligungen ohne mehrwert- steuerliche Belastung vollzieht, konzentriert sich die Auseinandersetzung auf den mehrwertsteuerlichen Status des Beteiligungsinhabers sowie dessen Be- rechtigung zum Vorsteuerabzug aus Transaktionskosten, wie z. B. Kosten einer Due Diligence und Beratungskosten, beim Erwerb und Veräussern von Beteili- gungen, bei verschiedenen Kapitalbeschaffungsmassnahmen und der Gewäh- rung von Konzerndarlehen. Von besonderer Bedeutung ist die Problematik für sog. Holdinggesellschaften, deren geschäftlicher Hauptzweck in einer auf Dau- er angelegten Beteiligung an rechtlich selbständigen Unternehmen liegt. Mit Inkrafttreten des neuen Mehrwertsteuergesetzes am 1. Januar 2010 ist in der Schweiz in diesem Bereich eine grundlegende Kehrtwendung vollzogen wor- den. Der nachfolgende Beitrag würdigt die gesetzliche Neuregelung vor dem Hintergrund der dynamischen Rechtsentwicklung durch den Europäischen Ge- richtshof und zeigt auf, inwieweit eine Rechtsangleichung stattgefunden hat. C’est depuis le début des années 1990 que le traitement adéquat de la TVA en ma- tière d’acquisition, de détention et d’aliénation de participations d’entreprise a fait l’objet de discussions intenses au niveau européen et a abouti à de nombreuses dé- cisions judiciaires, notamment de la Cour de Justice des Communautés Européen- nes. Etant donné que l’acquisition et l’aliénation de participations d’entreprise s’exécute sans charge TVA, la discussion se concentre sur l’assujettissement à la TVA du détenteur de participations ainsi que sur l’exercice du droit à la déduction de l’impôt préalable résultant des coûts de transaction, tels que par exemple les coûts résultant d’une due diligence ou de conseils lors de l’acquisition et l’aliéna- tion de participations, lors des différentes mesures d’obtention de capitaux ou lors de la concession de prêts intragroupes. Cette question est particulièrement impor- tante pour les sociétés holding qui ont pour but social principal la détention à long terme de participations dans des entreprises indépendantes. Par l’entrée en vigueur le 1 janvier 2010 de la nouvelle Loi fédérale régissant la taxe sur la valeur ajoutée, la Suisse a procédé à un changement de système fondamental dans ce domaine. L’article a pour objet d’analyser la nouvelle situation juridique sur le fond du déve-

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Vorsteuerabzug beim Erwerb, Halten und Veräussern von Beteiligungen

ASA 79 · Nr. 1/2 · 2010/2011 31

Vorsteuerabzug beim Erwerb, Halten und Veräussern von Beteiligungen

Jan Ole LuukLL.M., MWST-Experte (FH), Rechtsanwalt und Konsulent, Walder Wyss & Partner AG, Zürich.

Die zutreffende mehrwertsteuerliche Behandlung des Erwerbs, des Haltens und der Veräusserung von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen wird seit Anfang der Neunzigerjahre europaweit intensiv diskutiert und war seitdem Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheide, nicht zuletzt des Europäischen Gerichtshofs. Da sich der Erwerb und die Veräusserung von Beteiligungen ohne mehrwert-steuerliche Belastung vollzieht, konzentriert sich die Auseinandersetzung auf den mehrwertsteuerlichen Status des Beteiligungsinhabers sowie dessen Be-rechtigung zum Vorsteuerabzug aus Transaktionskosten, wie z. B. Kosten einer Due Diligence und Beratungskosten, beim Erwerb und Veräussern von Beteili-gungen, bei verschiedenen Kapitalbeschaffungsmassnahmen und der Gewäh-rung von Konzerndarlehen. Von besonderer Bedeutung ist die Problematik für sog. Holdinggesellschaften, deren geschäftlicher Hauptzweck in einer auf Dau-er angelegten Beteiligung an rechtlich selbständigen Unternehmen liegt. Mit Inkrafttreten des neuen Mehrwertsteuergesetzes am 1. Januar 2010 ist in der Schweiz in diesem Bereich eine grundlegende Kehrtwendung vollzogen wor-den. Der nachfolgende Beitrag würdigt die gesetzliche Neuregelung vor dem Hintergrund der dynamischen Rechtsentwicklung durch den Europäischen Ge-richtshof und zeigt auf, inwieweit eine Rechtsangleichung stattgefunden hat.

C’est depuis le début des années 1990 que le traitement adéquat de la TVA en ma-tière d’acquisition, de détention et d’aliénation de participations d’entreprise a fait l’objet de discussions intenses au niveau européen et a abouti à de nombreuses dé-cisions judiciaires, notamment de la Cour de Justice des Communautés Européen-nes. Etant donné que l’acquisition et l’aliénation de participations d’entreprise s’exécute sans charge TVA, la discussion se concentre sur l’assujettissement à la TVA du détenteur de participations ainsi que sur l’exercice du droit à la déduction de l’impôt préa lable résultant des coûts de transaction, tels que par exemple les coûts résultant d’une due diligence ou de conseils lors de l’acquisition et l’aliéna-tion de participations, lors des différentes mesures d’obtention de capitaux ou lors de la concession de prêts intragroupes. Cette question est particulièrement impor-tante pour les sociétés holding qui ont pour but social principal la détention à long terme de participations dans des entreprises indépendantes. Par l’entrée en vigueur le 1 janvier 2010 de la nouvelle Loi fédérale régissant la taxe sur la valeur ajoutée, la Suisse a procédé à un changement de système fondamental dans ce domaine. L’article a pour objet d’analyser la nouvelle situation juridique sur le fond du déve-

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loppement légal dynamique engendré par la jurisprudence de la Cour de Justice des Communautés Européennes et de démontrer dans quelle mesure il y a eu un rappro-chement juridique.

I. Begriffliches 32II. Steuerpflichtigeneigenschaft einer Beteiligungsgesellschaft 33 1. Begriff des Steuerpflichtigen 33 a) Mehrwertsteuersystemrichtlinie 33 b) Mehrwertsteuergesetz 33 2. Anwendung auf reine Beteiligungsgesellschaften 34 a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 34 b) Mehrwertsteuergesetz 35III. Vorsteuerabzug einer steuerpflichtigen Beteiligungsgesellschaft 36 1. Irrelevanz von Dividenden und anderen Gewinnbeteiligungen 36 a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 36 b) Mehrwertsteuergesetz 38 2. Erwerb und Halten von Beteiligungen 38 a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 38 b) Mehrwertsteuergesetz 39 3. Veräussern von Beteiligungen 42 a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 42 b) Mehrwertsteuergesetz 45 4. Kapitalbeschaffungsmassnahmen 46 a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 46 b) Mehrwertsteuergesetz 48 5. Konzerndarlehen 49 a) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 49 b) Mehrwertsteuergesetz 50IV. Zusammenfassung 51

I. Begriffliches

Wenn nachfolgend von «Beteiligungsgesellschaft» oder «Holdinggesellschaft» gesprochen wird, bezeichnet dies schlicht einen Rechtsträger, der eine oder meh-rere Beteiligungen an einem oder mehreren Rechtsträgern hält. Auf die üblichen Bezeichnungen wie Finanzholding, Führungsholding oder gemischte Holding wird bewusst verzichtet, weil sie im mehrwertsteuerlichen Kontext weitgehend ohne Erkenntnisgewinn sind und zudem in der Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich verwendet werden.

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II. Steuerpflichtigeneigenschaft einer Beteiligungsgesellschaft

1. Begriff des Steuerpflichtigena) Mehrwertsteuersystemrichtlinie

Nach Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie1) gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Der Begriff «wirtschaft-liche Tätigkeit» umfasst nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuersys-temrichtlinie alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschliesslich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der frei-en Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe und insbesondere auch die «Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhalti-gen Erzielung von Einnahmen». Der Begriff der «Nutzung» bezieht sich entspre-chend den Erfordernissen des Grundsatzes der Neutralität des Mehrwertsteuer-systems auf alle Vorgänge ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform. Nach Art. 2 Abs. 1 der Mehrwert steuersystemrichtlinie unterliegt eine Tätigkeit schliesslich nur dann der Mehrwertsteuer, wenn der Steuerpflichtige «als solcher» handelt.

b) Mehrwertsteuergesetz

Vom Wortlaut her abweichend ist nach Art. 10 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz2) steuerpflichtig, wer eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leis-tungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Der Begriff des Steuerpflichtigen ist insoweit terminologisch eher an dem des deutschen Umsatzsteuergesetzes angelehnt als an der Mehrwertsteuersystemricht-linie, wobei das Merkmal der Einnahmenerzielungsabsicht um den klarstellenden Zusatz ergänzt wird, dass die Einnahmen «aus Leistungen» resultieren müssen3). «Leistung» ist nach der in Art. 3 Buchst. c) Mehrwertsteuergesetz vorangestell-ten Begriffsdefinition die Einräumung eines verbrauchsfähigen, wirtschaftlichen Wertes in Erwartung eines Entgelts. Tatsächlich wird hier nicht (nur) Leistung definiert, sondern der Leistungsbegriff mit dem der Entgeltlichkeit verbunden, so dass im Ergebnis «Leistung gegen Entgelt», d.h. der Gegenstand der Steuer im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) und Art. 18 Abs. 1 Halbs. 1 Mehrwertsteuer-gesetz definiert wird. «Entgelt» ist nach Art. 3 Buchst. f) Mehrwertsteuergesetz die Aufwendung eines Vermögenswerts für den Erhalt einer Leistung durch den Leistungsempfänger, wobei Dividenden und andere Gewinnanteile nach Art. 18 Abs. 2 Buchst. f) Mehrwertsteuergesetz nicht als Entgelt gelten. Wie der Defini-tion der Dienstleistung in Art. 3 Buchst. e) Mehrwertsteuergesetz zu entnehmen

1) Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuer-system, ABl. EU Nr. L 347 v. 11.12.2006, S. 1 ff., zuletzt geändert durch Richtlinie 2010/23/EU v. 16.03.2010, ABl. EU Nr. L 72 v. 20.03.2010, S. 1 ff.

2) Bundesgesetz v. 12.06.2009 über die Mehrwertsteuer, BBl. Nr. 23 v. 23.06.2009, S. 4407 ff.3) Nach § 2 Umsatzsteuergesetz (Deutschland) ist Unternehmer/Steuerpflichtiger, wer eine

gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich und beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen.

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ist, wird Leistung schliesslich als Oberbegriff zu Lieferung und Dienstleistung verwendet.

2. Anwendung auf reine Beteiligungsgesellschaftena) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

In Polysar hat der Europäische Gerichtshof erstmals entschieden, dass der blos-se Erwerb und das blosse Halten von Gesellschaftsanteilen nicht als eine wirt-schaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Mehrwertsteuersystemrichtlinie angesehen werden kann, die dem Erwerber oder Inhaber die Eigenschaft als Steuerpflichtiger vermittelt4). Zwar liessen sich mittels der Beteiligungen Ein-nahmen in Form von Dividenden erzielen. Dies stelle aber keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dar, weil eine etwaige Dividende als Ergebnis einer Beteiligung lediglich Ausfluss der blossen Inha-berschaft ist und keine Gegenleistung für eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Mehrwertsteuerrichtlinie5).

Für Verwirrung haben die weiteren Ausführungen des Europäischen Ge-richtshofs in Polysar geführt, wonach einer Beteiligungsgesellschaft die Eigen-schaft als Steuerpflichtiger zugesprochen werden könne, wenn sie unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin mittelbar oder unmittelbar in die Verwaltung der Gesellschaften, an denen die Beteiligung besteht, eingreift 6). Daraus wurde in der Literatur teilweise gefolgert, der Europäische Gerichtshof wolle die Steuerpflichtigeneigenschaft einer Holdinggesellschaft bejahen, wenn die Holding sich nicht auf die Verwaltung der Beteiligung beschränkt, sondern geschäftsleitend in die beherrschten Unternehmen eingreift. Bei dieser Interpre-tation von Polysar wurde ausgeblendet, dass etwaige Dividenden als Ergebnis der blossen Inhaberschaft kein Entgelt für eine von der Holdinggesellschaft er-brachte Dienstleistung darstellen und die Ausführung ausschliesslich unentgelt-licher Dienstleistungen die Eigenschaft als Steuerpflichtiger nicht zu begründen vermag7). Um das Fehlen eigener Umsätze zu kompensieren, hat namentlich Sta-die vorgeschlagen, dass einer geschäftsleitenden Holding zwar nicht die Umsät-ze wohl aber die wirtschaftliche Tätigkeit der beherrschten Gesellschaften für

4) EuGH, Urt. v. 20.06.1991 – Rs. C-60/90 (Polysar), Slg. 1991, I-3111, Rz. 13.5) EuGH, Urt. v. 20.06.1991 – Rs. C-60/90 (Polysar), Slg. 1991, I-3111, Rz. 13. Vgl. auch

EuGH, Urt. v. 22.06.1993 – Rs. C-333/91 (Sofitam), Slg. 1993, I-3513, Rz. 12; EuGH, Urt. v. 06.02.1997 – Rs. C-80/95 (Harnas & Helm), Slg. 1997, I-745, Rz. 15; EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 21; EuGH, Be-schl. v. 12.08.2001 – Rs. C-102/00 (Welthgrove), Slg. 2001, I-5679, Rz. 14; EuGH, Urt. v. 27.09.2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations), Slg. 2001, I-6663, Rz. 19; EuGH, Urt. v. 26.06.2003 – Rs. C-442/01 (KapHag), Slg. 2003, I-6851, Rz. 38; EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 57; EuGH, Urt. v. 21.10.2004 – Rs. C-8/03 (BBL), Slg. 2004, I-10157, Rz. 38; EuGH, Urt. v. 26. 05. 2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 19.

6) EuGH, Urt. v. 20.06.1991 – Rs. C-60/90 (Polysar), Slg. 1991, I-3111, Rz. 14.7) EuGH, Urt. v. 01.04.1982 – Rs. C-89/81 (Hong Kong), Slg. 1982, 1277, Rz. 12.

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Zwecke des Vorsteuerabzugs als eigene zugerechnet wird8). Dadurch werde sie mittelbar zu einem Steuerpflichtigen9).

Der Europäische Gerichtshof hat in Floridienne klargestellt, dass ein die Eigenschaft als Steuerpflichtiger begründendes Eingreifen im Sinne einer wirt-schaftlichen Tätigkeit nach Art. 9 Abs. 1 Mehrwertsteuersystemrichtlinie nur dann vorliegt, wenn eine Holdinggesellschaft gegenüber den Unternehmen, an denen sie Beteiligungen erworben hat, entgeltliche Dienstleistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie erbringt 10). Die-se Dienstleistungen können administrativer, finanzieller, kaufmännischer oder technischer Art sein11). Weder Floridienne noch den Folgeentscheidungen Welth-grove12) und Cibo Participations 13) ist zu entnehmen, dass es sich um Dienstleis-tungen handeln muss, die sich als besonders qualifiziertes «Eingreifen» der Hol-dinggesellschaft in die Verwaltung der Tochtergesellschaften darstellen. Da die vom Europäischen Gerichtshof geforderten entgeltlichen (Dienst-) Leistungen ohnehin die Eigenschaft als Steuerpflichtiger begründen, erweist sich das Merk-mal des Eingreifens in die Verwaltung der Tochtergesellschaften daher letztlich als überflüssig und irreführend.

Werden von einer reinen Beteiligungsgesellschaft, d.h. von einem Nicht-steuerpflichtigen, Beteiligungen veräussert, begründet dies nach Wellcome Trust ebenfalls nicht die Eigenschaft als Steuerpflichtiger, solange es sich lediglich um vermögensverwaltende Umschichtungen handelt14). Der blosse Verkauf von Beteiligungen sei insoweit mit der Tätigkeit eines privaten Anlegers zu verglei-chen, der sich auf die Verwaltung eines Wertpapiervermögens beschränkt15). Et-was anderes könne allenfalls gelten, wenn sich die Veräusserung im Rahmen des gewerbsmässigen Wertpapierhandels vollziehe16).

b) Mehrwertsteuergesetz

Bei strikter Anwendung des Mehrwertsteuergesetzes müsste die Eigenschaft ei-ner reinen Beteiligungsgesellschaft als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 10

8) Vgl. Stadie, Umsatzsteuerrecht, Rz. 5.46 ff.; ders., UR 2007, S. 1 ff.; ders., Umsatzsteu-ergesetz, § 2 Rz. 47 ff.

9) Zustimmend offenbar Mühleisen/Trapp, UR 2007, Tz. III; kritisch dagegen Terra/Kajus, Tz. 8.4.3 und 17.7; Englisch, IVM 2007, S. 172 (173 f.); ders., UR 2007, S. 290 (292 f.).

10) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 29.11) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 29.12) EuGH, Beschl. v. 12.08.2001 – Rs. C-102/00 (Welthgrove BV), Slg. 2001, I-5679, Rz. 17.13) EuGH, Urt. v. 27.09.2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations), Slg. 2001, I-6663, Rz. 22.14) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 33. Vgl. auch

EuGH, Urt. v. 26.06.2003 – Rs. C-442/01 (KapHag), Slg. 2003, I-6851, Rz. 40; EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 57; EuGH, Urt. v. 21.10.2004 – Rs. C-8/03 (BBL), Slg. 2004, I-10157, Rz. 38; EuGH, Urt. v. 26. 05. 2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 19; EuGH, Urt. v. 08.02.2007 – Rs. C-435/05 (Investrand), Slg. 2007, I-3115, Rz. 25.

15) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 36.16) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 35.

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Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz ebenso abgelehnt werden, wie dies nach der Aus-legung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof der Fall ist 17). Der blosse Erwerb und das blosse Halten von Beteiligungen stellt keine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Mehrwertsteuer-gesetz dar, weil es an einer auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichteten gewerblichen Tätigkeit fehlt. Dividenden scheiden bereits nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 18 Abs. 2 Buchst. f) Mehrwert-steuergesetz als potentielles Entgelt für eine von der Beteiligungsgesellschaft etwaig gegenüber den Beteiligungen erbrachte Leistung aus. Auch das Veräus-sern von Beteiligungen wird man nicht ohne weiteres als unternehmerische Tä-tigkeit ansehen können, solange sie im Rahmen von blossen Umschichtungen des verwalteten Vermögens stattfindet und somit keine auf nachhaltige Einnah-menerzielung gerichtete gewerbliche Tätigkeit vorliegt.

Dessen ungeachtet bestimmt Art. 9 Mehrwertsteuerverordnung18), dass das Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen im Sinne von Art. 29 Abs. 2 und 3 Mehrwertsteuergesetz eine unternehmerische Tätigkeit nach Art. 10 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz darstellt. Diese Feststellung ist eine Fiktion. Sie eröffnet auch reinen Beteiligungsgesellschaften grundsätzlich das Recht auf Vorsteuer-abzug nach Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz.

Wegen des Verweises auf den Beteiligungsbegriff des Art. 29 Abs. 3 Mehr-wertsteuergesetz bleibt allerdings offen, ob eine Beteiligungsgesellschaft, die sich auf das Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen beschränkt, nur insoweit eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Mehr-wertsteuergesetz ausübt, als es sich bei den erworbenen Anteilen um eine quali-fizierte Beteiligung im Sinne des Art. 29 Abs. 3 Mehrwertsteuergesetz handelt. Erwirbt eine Beteiligungsgesellschaft beispielsweise neben Anteilen von 10 % oder mehr am Kapital anderer Unternehmen auch Anteile, die weniger als 10 % ausmachen, oder werden Anteile, die zwar das 10-Prozent-Kriterium erfüllen, ohne die Absicht dauernder Anlage erworben, so können wohl nur die qualifi-zierten Beteiligungen dem unternehmerischen Bereich zugeordnet werden19).

III. Vorsteuerabzug einer steuerpflichtigen Beteiligungsgesellschaft

1. Irrelevanz von Dividenden und anderen Gewinnbeteiligungena) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Bereits in Sofitam hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Dividen-den kein Entgelt für eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der

17) A.A. offenbar Honauer, ST 2010, Tz. 2, für die Veräusserung von Beteiligungen (aller-dings ohne Eingehen auf das Merkmal einer gewerblichen Tätigkeit und das Erfordernis der Nachhaltigkeit).

18) Mehrwertsteuerverordnung v. 27.11.2009, AS 2009, S. 6743 ff.19) So offenbar auch Gut/Olarte, StR 2009, Tz. 2.

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Mehrwertsteuersystemrichtlinie darstellen20). Die sich aus dem blossen Inne-haben von Beteiligungen ergebenden Dividenden lägen somit ausserhalb des Systems des Vorsteuerabzugs21). Entgegen der von der französischen Steuerver-waltung in Sofitam vertretenen Auffassung entschied der Europäische Gerichts-hof deshalb, dass Dividenden bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vor-steuerabzugs nach Art. 174 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht zu berücksichtigen sind 22). Anderenfalls werde das Ziel der völligen Neutralität der Mehrwertsteuer, welches dem Mechanismus des Vorsteuerabzugs zugrunde liegt, vereitelt 23).

Dieses Grundsatzurteil hat der Europäische Gerichtshof in Floridienne be-stätigt24) und zur Begründung der Nichtberücksichtigung von Dividenden und anderen Gewinnbeteiligungen aus Gesellschaftsverhältnissen bei der Berech-nung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs ergänzend folgende Merkmale hervorgehoben25): Die Ausschüttung von Dividenden setze im Regelfall aus-schüttungsfähige Gewinne voraus und sei somit von der Ertragsbilanz der Ge-sellschaft abhängig. Ferner bestimme sich die jeweilige Höhe der Dividende nach der Art der Beteiligung, insbesondere der Art der Aktien, und nicht nach der Identität des Inhabers der Beteiligung. Schliesslich seien Dividenden ihrem Wesen nach Ertrag der Beteiligung an einer Gesellschaft und damit lediglich Ausfluss der blossen Innehabung eines Gegenstands. Berücksichtige man, dass die Höhe der Dividende somit teilweise vom Zufall abhängt und dass der An-spruch auf die Dividende lediglich Folge einer Beteiligung ist, bestehe zwischen der Dividende und einer Dienstleistung – selbst wenn sie von einem Aktionär erbracht wird, der diese Dividende bezieht, – kein unmittelbarer Zusammen-hang, der die Dividende als Gegenleistung für eine Dienstleistung im Rahmen eines Leistungsaustauschs ausweist26).

b) Mehrwertsteuergesetz

Dividenden und andere Gewinnanteile gelten nach der neuen, ausdrücklichen Regelung in Art. 18 Abs. 2 Buchst. f) Mehrwertsteuergesetz mangels Leistung nicht als Entgelt. Dieses Verständnis entspricht der Praxis zum alten Recht, nach

20) EuGH, Urt. v. 22.06.1993 – Rs. C-333/91 (Sofitam), Slg. 1993, I-3513, Rz. 13.21) EuGH, Urt. v. 22.06.1993 – Rs. C-333/91 (Sofitam), Slg. 1993, I-3513, Rz. 13.22) EuGH, Urt. v. 22.06.1993 – Rs. C-333/91 (Sofitam), Slg. 1993, I-3513, Rz. 14.23) EuGH, Urt. v. 22.06.1993 – Rs. C-333/91 (Sofitam), Slg. 1993, I-3513, Rz. 14.24) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 21.25) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 23. Vor dem

Hintergrund der beiden Präzedenzfälle kaum nachvollziehbar hat die französische Steuer-verwaltung bzw. das Tribunal administratif de Lille die Einbeziehung von Dividenden bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs in Cibo Participations abermals zum Gegenstand eines Ersuchens um Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof gemacht und wurde wenig überraschend mit einem Verweis auf Sofitam und Floridienne abschlägig beschieden, ohne dass neue Gesichtspunkte erörtert wurden (EuGH, Urt. v. 27.09.2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations), Slg. 2001, I-6663, Rz. 41-43).

26) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 23.

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der Dividenden grundsätzlich ebenfalls nicht als Entgelt gesehen wurden, son-dern als mehrwertsteuerlich nicht relevante Gewinnausschüttung an den Aktio-när (Miteigentümer)27). Die entscheidende Änderung gegenüber der Praxis zum alten Recht erschliesst sich erst über Art. 33 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz. Da-nach führen Mittelflüsse, die nach Art. 18 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz kein Entgelt darstellen, mit Ausnahme der in Art. 18 Abs. 2 Buchst. a) bis c) Mehr-wertsteuergesetz bezeichneten Gelder, nicht zu einer Kürzung des Vorsteuerab-zugs. Dies schliesst eine Fortführung der unter dem alten Recht geltenden Praxis aus, Dividendenerträge «wie von der Steuer ausgenommene Umsätze» und da-mit als vorsteuerabzugsschädlich zu betrachten, soweit der Geschäftszweck des Steuerpflichtigen u. a. im Halten von Beteiligungen besteht28). Durch Art. 33 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz wird somit eines der wesentlichen Reformanliegen im Bereich der Besteuerung von Holdinggesellschaften erfüllt29). Unabhängig vom Geschäftszweck führen Dividenden fortan weder zu einer Korrektur des Vorsteuerabzugs nach Art. 30 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz noch sind sie in ei-nen Umsatzschlüssel für die Vorsteuerkorrektur einzubeziehen30).

2. Erwerb und Halten von Beteiligungena) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Mit der Abzugsfähigkeit von Vorsteuern aus Kosten, welche einer Holding für die beim Erwerb einer Beteiligung an einer Tochtergesellschaft bezogenen Dienstleistungen in Rechnung gestellt wurden, hatte sich der Europäische Ge-richtshof erstmals in Cibo Participations zu befassen31). Ausgehend von den in Polysar 32) und Floridienne 33) entwickelten Grundsätzen, wonach im Gegensatz zum blossen Erwerb und Halten von Gesellschaftsanteilen von einer wirtschaft-lichen Tätigkeit auszugehen ist, wenn die Beteiligung mit einem unmittelbaren oder mittelbaren Eingreifen in die Verwaltung der Tochtergesellschaft einher-geht und die Eingriffe das Erbringen von entgeltlichen Dienstleistungen nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie einschliessen, be-jahte der Europäische Gerichtshof die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Trans-aktionskosten beim Erwerb der Beteiligung mit folgenden Erwägungen34):

Zwischen den von einer Holding beim Erwerb einer Tochtergesellschaft er-worbenen Dienstleistungen und einem oder mehreren zum Abzug berechtigen-den Ausgangsumsätzen bestehe kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang.

27) ESTV, Spezialbroschüre Nr. 06, Tz. 1.2.2.4.28) ESTV, Spezialbroschüre Nr. 06, Tz. 1.2.2.4. Im Ergebnis bestätigt durch BG, Urt. v. 16.12.2008

2C_45/2008, Tz. 4.1.29) Kritisch zur alten Praxis Baumgartner/Schäuble, FStR 2006, Tz. 9.2; Leutenegger, ST

2006, Tz. 3.1; Prod’hom, ST 2000, Tz. 2.3; differenziert Kocher, ASA 2006, Tz. 4.2.30) Vgl. auch ESTV, Entwurf MWST-Info Nr. 09, Tz. 7.2.3.31) EuGH, Urt. v. 27.09.2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations), Slg. 2001, I-6663.32) EuGH, Urt. v. 20.06.1991 – Rs. C-60/90 (Polysar), Slg. 1991, I-3111.33) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567.34) EuGH, Urt. v. 27.09.2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations), Slg. 2001, I-6663, Rz. 32-33.

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Auch belaste die auf den bezogenen Dienstleistungen lastende Mehrwertsteuer die verschiedenen Kostenelemente ihrer Ausgangsumsätze nicht unmittelbar. Die Kosten der Dienstleistungen seien vielmehr Teil der allgemeinen Kosten des Steuerpflichtigen und gehörten als solche zu den Kostenelementen aller Produk-te des Unternehmens. Die Dienstleistungen hingen demnach grundsätzlich di-rekt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflich-tigen zusammen. Folglich bestehe ein Recht auf Abzug der gesamten Vorsteuer, sofern es sich bei sämtlichen Umsätzen, welche die Holding im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausführt, um zum Vorsteuerabzug berechtigende Um-sätze handelt. Wenn die Holding allerdings sowohl Umsätze tätige, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, könne der Vorsteuerabzug nur anteilig vorgenommen werden35).

b) Mehrwertsteuergesetzaa) Grundsatz

Art. 9 Mehrwertsteuerverordnung legt fest, dass das Erwerben, Halten und Ver-äussern von Beteiligungen im Sinne von Art. 29 Abs. 2 und 3 Mehrwertsteuer-gesetz eine «unternehmerische Tätigkeit» nach Art. 10 Abs. 1 Mehrwertsteuer-gesetz darstellt. Damit ist der Vorsteuerabzug aus Transaktionskosten, die einer Holding von Dritten beim Erwerb und Halten einer Beteiligung in Rechnung gestellt werden, nach Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz grundsätzlich eröff-net. Anders als nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europä-ischen Gerichtshof in Cibo Participations 36) ist die Annahme einer unternehme-rischen Tätigkeit demnach unabhängig davon, ob die Beteiligungsgesellschaft gegenüber dem Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, entgeltliche Dienstleistungen erbringt (oder dies beim Erwerb beabsichtigt).

bb) Beschränkung des unternehmerischen Bereichs auf qualifizierte Beteiligungen

Da «Beteiligungen» in Art. 29 Abs. 3 Mehrwertsteuergesetz legaldefiniert wer-den und Art. 9 Mehrwertsteuerverordnung ausdrücklich auf diese Definitions-norm Bezug nimmt, stellt sich allerdings die grundlegende Frage, ob eine Betei-ligungsgesellschaft beim Erwerb und Halten von Beteiligungen nur insoweit eine unternehmerische Tätigkeit ausübt bzw. die Vorleistungen «im Rahmen ih-rer unternehmerischen Tätigkeit» im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuer-gesetz bezieht, als es sich bei den erworbenen Anteilen um eine qualifizierte Beteiligung im Sinne des Art. 29 Abs. 3 Mehrwertsteuergesetz handelt37). Er-wirbt ein Steuerpflichtiger beispielsweise neben Anteilen von 10% oder mehr am Kapital anderer Unternehmen auch Anteile, die weniger als 10% ausmachen, oder werden Anteile, die zwar das 10-Prozent-Kriterium erfüllen, ohne die Ab-

35) EuGH, Urt. v. 27.09.2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations), Slg. 2001, I-6663, Rz. 34.36) EuGH, Urt. v. 27.09.2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations), Slg. 2001, I-6663.37) Bejahend offenbar Gut/Olarte, StR 2009, Tz. 2.

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sicht dauernder Anlage erworben, so können bei einer wortlautgetreuen Ausle-gung nur die qualifizierten Beteiligungen dem unternehmerischen Bereich zu-geordnet werden38). Eine Beteiligungsgesellschaft hätte in diesem Fall sowohl einen unternehmerischen als auch einen nichtunternehmerischen Bereich, mit der Folge, dass der Vorsteuerabzug aus Transaktionskosten für den Erwerb von nicht qualifizierten Beteiligungen bereits mangels Zuordnung zum unterneh-merischen Bereich nach Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz ausgeschlossen wäre39). Für diese Auslegung spricht neben dem klaren Wortlaut des Art. 9 Mehr-wertsteuerverordnung, dass eine unterschiedliche Behandlung von Transaktions-kosten beim Erwerb und Halten von (nicht qualifizierten) Beteiligungen, auf der einen Seite, und bei deren Veräusserung, auf der anderen Seite, weder in Art. 29 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz noch in Art. 9 Mehrwertsteuerverordnung angelegt ist40).

cc) Vorsteuerabzug nach Massgabe der zum Vorsteuerabzug berechtigenden unternehmerischen Tätigkeit

Nach Art. 29 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz besteht der Anspruch auf Vorsteuer-abzug, ungeachtet von Abs. 1, «im Rahmen der zum Vorsteuerabzug berechti-genden unternehmerischen Tätigkeit» für das Erwerben, Halten und Ver äussern von Beteiligungen. Da Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz den Vorsteuerabzug im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich zulässt und das Er-werben, Halten und Veräussern (von qualifizierten) Beteiligungen nach Art. 9 Mehrwertsteuerverordnung als unternehmerische Tätigkeit gilt, stellt sich die Frage, welche Bedeutung dieser Einschränkung zukommt und insbesondere auf welche bzw. auf wessen unternehmerische Tätigkeit für die Ermittlung des Um-fangs der Vorsteuerabzugsberechtigung abzustellen ist. Aus den Gesetzesmateri-alien geht hervor, dass mit Art. 29 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz klargestellt wer-den sollte, dass das Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen grundsätzlich Teil der unternehmerischen Tätigkeit ist und zum Vorsteuerabzug berechtigt, «sofern die unternehmerische Tätigkeit nicht ausschliesslich im von der Steuer ausgenommenen Bereich erfolgt»41). Daraus könnte gefolgert werden,

38) A.A. offenbar Russi/Scagnet, ST 2010, Tz. 3.2.1 und Fn. 12; Scheller, ST 2010, Tz. 3.3; unklar Gut/Olarte, StR 2009, Tz. 3.3.

39) So im Ergebnis ESTV, Entwurf MWST-Info Nr. 09, Tz. 14.4 (Beispiel 4). Offen bleibt, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs mit dem Fehlen einer unternehmerischen Tätigkeit oder einem (antizipierten?) von der Steuer ausgenommenen Wertpapierumsatz nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 Buchst. e) Mehrwertsteuergesetz begründet wird.

40) Wer der etwas sperrigen aber sympathischen Auffassung anhängt, dass für einen zumin-dest vorübergehenden Anspruch auf Vorsteuerabzug nach Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuer-gesetz jede beabsichtigte unternehmerische Verwendung ausreicht, selbst wenn die beab-sichtigten Verwendungsumsätze nach Art. 21 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz von der Steuer ausgenommen sind und nach Art. 29 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz zu einem Vorsteueraus-schluss führen, mag dies anders sehen (so offenbar Baumgartner/Clavadetscher/Kocher, § 7 Rz. 59 ff.).

41) WAK-S, 02.06.2009, AB 2009, S. 425 f.

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dass eine reine Beteiligungsgesellschaft, die sich auf das blosse Erwerben und das blosse Halten von qualifizierten Beteiligungen im Sinne von Art. 29 Abs. 3 Mehrwertsteuergesetz beschränkt, stets zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist. Dies wäre ein Trugschluss. Zunächst ist festzuhalten, dass die gesetzliche Formulierung «im Rahmen der zum Vorsteuerabzug berechtigenden unterneh-merischen Tätigkeit» und die ihr in den parlamentarischen Beratungen vermeint-lich beigemessene Bedeutung als «nicht ausschliesslich im von der Steuer aus-genommenen Bereich» mit der gesetzlichen Wertung des Art. 30 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz kaum in Einklang zu bringen ist. Danach führt auch die teilweise Verwendung von vorsteuerbelasteten Eingangsleistungen für von der Steuer ausgenommene Leistungen oder ausserhalb der unternehmerischen Tä-tigkeit zu einer Vorsteuerkorrektur. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Art. 29 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz keine Sondernorm für reine Beteiligungsgesell-schaften ist, sondern für sämtliche Steuerpflichtigen gilt, d.h. auch für solche, die Beteiligungen im Rahmen einer weitergehenden Geschäftstätigkeit erwerben und halten. Für die Feststellung, ob vorsteuerbelastete Aufwendungen «im Rah-men der zum Vorsteuerabzug berechtigenden unternehmerischen Tätigkeit» für das Erwerben und Halten von Beteiligungen abzugsfähig sind, kann daher wohl nicht auf die Fiktion der unternehmerischen Tätigkeit in Art. 9 Mehrwertsteuer-verordnung abgestellt werden. Vielmehr ist Art. 29 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz offenbar so zu verstehen, dass die unternehmerische Tätigkeit des Steuerpflich-tigen jenseits des Beteiligungserwerbs heranzuziehen ist, in dessen Rahmen die Beteiligung erworben wurde, und der Umfang des Anspruchs auf Vorsteuerab-zug grundsätzlich anhand der Umsätze dieser weitergehenden unternehmeri-schen Tätigkeit zu beurteilen ist.

Für dieses Verständnis spricht offenbar auch Art. 29 Abs. 4 Mehrwertsteuer-gesetz. Stellt das Mehrwertsteuergesetz in Art. 29 Abs. 2 für die Frage der Be-messung des Anspruchs auf Vorsteuerabzug auf eine vom Beteiligungserwerb verschiedene unternehmerische Tätigkeit des Steuerpflichtigen ab, so läuft dies bei einer reinen Beteiligungsgesellschaft ohne weitergehende Geschäftstätigkeit ins Leere. Um insoweit Abhilfe zu schaffen, kann nach Art. 29 Abs. 4 Mehrwert-steuergesetz insbesondere bei reinen Beteiligungsgesellschaften auf die zum Vorsteuerabzug berechtigende unternehmerische Tätigkeit der von ihnen gehal-tenen Unternehmen abgestellt werden42). Demnach wäre grundsätzlich wie folgt zu differenzieren: Übt der Steuerpflichtige neben dem Erwerb und Halten von Beteiligungen keine weitergehende Geschäftstätigkeit aus, so «muss» für die Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf Vorsteuerabzug hilfsweise auf die unternehmerische Tätigkeit der gehaltenen Unternehmen abgestellt werden. Bei

42) Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass im ursprünglichen Antrag der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates ein Abstellen auf die zum Vorsteuerabzug berech-tigende unternehmerische Tätigkeit der gehaltenen Unternehmen zwingend vorgesehen war (vgl. WAK-S, 02.06.2009, AB 2009, S. 425). Aus der Änderung in eine «Kann»-Bestim-mung wollen Baumgartner/Clavadetscher/Kocher offenbar ein Wahlrecht des Steuerpflich-tigen ableiten (§ 7 Rz. 70-71). A.A. ESTV, Entwurf MWST-Info Nr. 09, Tz. 14.4.1.

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Steuerpflichtigen mit weitergehender unternehmerischer Tätigkeit ist grundsätz-lich diese Tätigkeit für den Umfang des Anspruchs auf Vorsteuerabzug massge-bend; ausnahmsweise «kann» auf die unternehmerische Tätigkeit der Gesell-schaft abgestellt werden, deren Beteiligung erworben wird, wenn ein Abstellen auf die weitergehende Geschäftstätigkeit der Beteiligungsgesellschaft nicht zu einem sachgerechten Ergebnis führt43).

Insgesamt darf in diesem Zusammenhang nicht aus den Augen verloren wer-den, dass die Anerkennung der Steuerpflichtigeneigenschaft in Art. 9 Mehrwert-steuerverordnung seine materielle Rechtfertigung aus dem Grundsatz der Rechtsformneutralität bezieht44). Dieser verlangt, dass es ohne Belang sein muss, in welcher Rechtsform eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird. Von die-sem Standpunkt aus darf der Umfang des Anspruchs auf Vorsteuerabzug nicht davon abhängen, ob dieselbe unternehmerische Tätigkeit mittels eines Unter-nehmens in Gestalt mehrerer unselbständiger Zweigniederlassungen oder im Rahmen eines Konzerns von rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften orga-nisiert wird. So befürwortet denn auch Stadie, der entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei einer geschäftsleitenden Holding für die An-erkennung einer mittelbaren wirtschaftlichen Tätigkeit durch Zurechnung der Tätigkeiten der beherrschten Gesellschaften im Gemeinschaftsrecht eintritt, dass sich der Vorsteuerabzug in diesem Fall nach den Umsätzen der beherrschten Gesellschaften richtet45).

3. Veräussern von Beteiligungena) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofsaa) Verkauf nichtunternehmerisch gehaltener Beteiligungen

Erstmals in Wellcome Trust hat der Europäische Gerichtshof zu Transaktionskos-ten bei einem Aktienverkauf (durch einen charitable trust) Stellung genommen und entschieden, dass der blosse Verkauf von Gesellschaftsanteilen ebenso we-nig wie der blosse Erwerb und das blosse Halten von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt und daher nicht in den An-wendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt 46). Der blosse Verkauf von Beteili-gungen sei insoweit mit der Tätigkeit eines privaten Anlegers zu vergleichen, der sich auf die Verwaltung eines Wertpapiervermögens beschränkt 47). Für die Un-terscheidung der nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallenden

43) Ohne entsprechende Differenzierung bisher ESTV, Entwurf MWST-Info Nr. 09, Tz. 14.4.1.44) So auch Baumgartner/Clavadetscher/Kocher, § 3 Rz. 23.45) Vgl. Stadie, Umsatzsteuerrecht, Rz. 5.49; ders., Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz. 51.46) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 33. Vgl. auch

EuGH, Urt. v. 26.06.2003 – Rs. C-442/01 (KapHag), Slg. 2003, I-6851, Rz. 40; EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 57; EuGH, Urt. v. 21.10.2004 – Rs. C-8/03 (BBL), Slg. 2004, I-10157, Rz. 38; EuGH, Urt. v. 26.05.2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 19; EuGH, Urt. v. 08.02.2007 – Rs. C-435/05 (Investrand), Slg. 2007, I-3115, Rz. 25.

47) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 36.

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Tätigkeit eines privaten Anlegers und der Tätigkeit eines Anlegers, dessen Um-sätze eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen, komme es weder auf den Umfang des Aktienverkaufs noch auf die Hinzuziehung von Beratungsgesellschaften im Rahmen des Verkaufs an48).

bb) Verkauf unternehmerisch gehaltener Beteiligungen

Allerdings nannte der Europäische Gerichtshof bereits in Wellcome Trust zwei Ausnahmen zu diesem Grundsatz:– Wenn die Beteiligungsveräusserung im Rahmen des gewerbsmässigen Wert-

papierhandels 49) oder– zum Zweck des unmittelbaren oder mittelbaren Eingreifens in die Verwaltung

der Gesellschaften erfolgt, an denen die Beteiligung besteht, und soweit diese Eingriffe Tätigkeiten darstellen, die der Mehrwertsteuer unterliegen (wie etwa die Erbringung von administrativen, finanziellen oder buchhalterischen, kauf-männischen und technischen Dienstleistungen)50),

stelle der Verkauf eine wirtschaftliche Tätigkeit im Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer dar.

Diese beiden Ausnahmen wurden in Régie dauphinoise um eine weitere er-gänzt: Dort entschied der Europäische Gerichtshof, dass Zinszahlungen aus Darlehensgewährungen nicht auf dem blossen Eigentum des Wirtschaftsguts be-ruhen und der Anleger daher als Steuerpflichtiger handelt, wenn sich die Geld-anlage – und dies ist die dritte Ausnahme – – als unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung einer steuerbaren

Tätigkeit darstellt51).Dass bei Vorliegen einer der drei Ausnahmetatbestände die Veräusserung

von Gesellschaftsanteilen eine wirtschaftliche Tätigkeit und insbesondere einen unecht steuerbefreiten Umsatz darstellt, schien der Europäische Gerichtshof be-reits in BLP klar und eindeutig bestätigt zu haben52). Dort versagte er den Vor-steuerabzug aus Transaktionskosten bei einem Verkauf von Anteilen an einer Tochtergesellschaft mit dem Verweis darauf, dass die fraglichen Dienstleistun-gen für einen steuerbefreiten Umsatz im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. f) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verwendet wurden, der das Recht auf Vorsteuer-abzug nicht eröffnet, selbst wenn der endgültige Zweck dieses Umsatzes die Bewirkung eines zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsatzes ist53). Um aller-dings den Vorsteuerabzug wegen vorsteuerabzugsschädlicher Verwendung ver-sagen zu können, musste der Europäische Gerichtshof implizit annehmen, dass der Verkauf der Anteile durch BLP eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt.

48) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 37.49) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 35.50) EuGH, Urt. v. 20.06.1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. I-3031, Rz. 35.51) EuGH, Urt. v. 11.08.1996 – Rs. C-306/94 (Régie dauphinoise), Slg. 1996, I-3695, Rz. 18.52) EuGH, Urt. v. 06.06.1995 – Rs. C-4/94 (BLP), Slg. 1995, I-983.53) EuGH, Urt. v. 06.06.1995 – Rs. C-4/94 (BLP), Slg. 1995, I-983, Rz. 28.

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Zweifel an dieser Lesart von BLP kamen auf, als der Europäische Gerichtshof in EDM den Verkauf von Gesellschaftsanteilen durch eine Holding trotz Eingrei-fens in die Verwaltung der Beteiligung mittels entgeltlicher Dienstleistungen nicht als wirtschaftliche Tätigkeit ansah54). Ohne BLP überhaupt zu erwähnen, stellte er fest, dass bei Tätigkeiten eines Unternehmens, die im blossen Verkauf von Aktien und sonstigen Wertpapieren bestehen, anzunehmen sei, dass sich das Unternehmen insoweit wie ein privater Anleger auf die Verwaltung eines Wert-papiervermögens beschränkt55). Daraus wurde in der Literatur vielfach der Schluss gezogen, dass auch eine aktiv im Sinne Polysar 56) und Floridienne 57) in die Verwaltung ihrer Beteiligungen eingreifende Gesellschaft, eine Beteiligung ausserhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer veräussern könne58).

Mit seinem Urteil in SKF hat der Europäische Gerichtshof jedoch BLP inso-weit bestätigt und dieser Interpretation von EDM die Grundlage entzogen: Da-nach ist die Veräusserung von Beteiligungen im Rahmen der Umstrukturierung eines Konzerns durch eine steuerpflichtige Holdinggesellschaft, die gegenüber diesen Beteiligungen verschiedene, entgeltliche Dienstleistungen erbracht hat, als wirtschaftliche Tätigkeit zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen anzuse-hen, die über den blossen Verkauf von Wertpapieren hinausgeht59). Ein solcher Aktienverkauf weise eine direkte Verbindung zur Organisation der Tätigkeit auf, die der Konzern ausübt, und stelle somit eine unmittelbare, dauerhafte und not-wendige Erweiterung der steuerbaren Tätigkeit des Unternehmens im Sinne von Régie dauphinoise60) dar. Er fällt somit in den Anwendungsbereich der Mehr-wertsteuer und ist nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f) der Mehrwertsteuersystem-richtlinie unecht steuerbefreit61).

Bemerkenswert ist allerdings auch die weitere Feststellung des Europäischen Gerichtshofs in SKF, dass das Recht auf Abzug der Vorsteuer aus Beratungs-leistungen, die für Zwecke einer Aktienveräusserung bezogen wurden, nach Art. 168 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie besteht, wenn zwischen den mit den Eingangsleistungen verbundenen Ausgaben und den unecht steuerbefreiten Aktienverkäufen kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang vorhanden ist, wohl aber mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen. Inso-weit komme es darauf an, ob die vorsteuerbelasteten Aufwendungen Eingang in den Preis der verkauften Aktien finden oder allein zu den Kostenelementen der

54) EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 62.55) EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 60.56) EuGH, Urt. v. 20.06.1991 – Rs. C-60/90 (Polysar), Slg. 1991, I-3111.57) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567.58) Englisch, UR 2007, S. 290 (299).59) EuGH, Urt. v. 29.10.2009 – Rs. C-29/08 (SKF), UR 2010, S. 107 ff., Rz. 33. Siehe dazu

bereits Luuk/Osterhelt/Winzap, StR 2010, S. 241 (254 ff.).60) EuGH, Urt. v. 11.08.1996 – Rs. C-306/94 (Régie dauphinoise), Slg. 1996, I-3695.61) EuGH, Urt. v. 29.10.2009 – Rs. C-29/08 (SKF), UR 2010, S. 107 ff., Rz. 33 und 52.

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auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen entfallenden Umsätze gehören62).

b) Mehrwertsteuergesetz

Das Mehrwertsteuergesetz bestimmt in Art. 29 Abs. 1, dass Vorsteuern, die nach Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz grundsätzlich abziehbar wären, vom Ab-zug ausgeschlossen sind, wenn die vorsteuerbelastet bezogenen Leistungen vom Steuerpflichtigen für von der Steuer ausgenommene Umsätze verwendet wer-den. Der Steuerpflichtige kann zwar grundsätzlich jede von der Steuer ausge-nommene Leistung nach Art. 22 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz als steuerpflichtig behandeln, d.h. diese Leistungen freiwillig versteuern, um die nachteiligen Fol-gen der Nichtabziehbarkeit der Vorsteuern zu vermeiden. Für die nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 Mehrwertsteuergesetz von der Steuer ausgenommenen Finanz-umsätze ist eine solche Optionsmöglichkeit jedoch nach Art. 22 Abs. 2 Buchst. a) Mehrwertsteuergesetz ausdrücklich ausgeschlossen. Zu diesen gehören nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 Buchst. e) Mehrwertsteuergesetz auch die Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren und von Anteilen an Gesellschaften und anderen Ver-einigungen. Daraus folgt, dass Vorsteuern auf Eingangsleistungen, die mit dem Verkauf von Beteiligungen im Zusammenhang stehen, nach der Regel des Art. 29 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind. Dieser Grundsatz wird jedoch von Art. 29 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz durchbrochen, wonach bei der Veräusserung von Beteiligungen trotz Vorliegens eines von der Steuer ausgenommenen Umsatzes nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 Buchst. e) Mehr-wertsteuergesetz der Vorsteuerabzug bestehen bleibt, sofern es sich bei der ver-äusserten Beteiligung um eine qualifizierte Beteiligung im Sinne von Art. 29 Abs. 3 Mehrwertsteuergesetz handelt, d. h. insbesondere mindestens 10 % am Grundkapital der Beteiligung veräussert werden und die Veräusserung im Rah-men der zum Vorsteuerabzug berechtigenden unternehmerischen Tätigkeit er-folgt. Den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass mit der Einführung der Rückausnahme zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs in Art. 29 Abs. 1 Mehr-wertsteuergesetz eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von sog. Asset Deals und Share Deals beabsichtigt war und insbesondere erreicht werden sollte, dass beide wirtschaftlich identischen Vorgänge im gleichem Umfang zum Vor-steuerabzug berechtigen63).

Nach dem vorstehend beim Erwerben und Halten von Beteiligungen vorge-stellten Ansatz kommt der gesetzlichen Formulierung in Art. 29 Abs. 2 Mehr-wertsteuergesetz, der Vorsteuerabzugsanspruch bestehe für die Veräusserung von Beteiligungen «im Rahmen der zum Vorsteuerabzug berechtigenden unter-

62) EuGH, Urt. v. 29.10.2009 – Rs. C-29/08 (SKF), UR 2010, S. 107 ff., Rz. 73. Kritisch dazu Doesum/Kesteren/Norden, ECTR 2010, S. 62 ff. und Watson/Cartwright/Dixon, IVM 2010, S. 183 ff.

63) WAK-S, 2.06.2009, AB 2009, S. 425 f.

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nehmerischen Tätigkeit» ein eigenständiger Bedeutungsgehalt zu64). Danach ist bei einem Steuerpflichtigen, der neben dem Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen über eine weitergehende Geschäftstätigkeit verfügt, in deren Rahmen die Beteiligungsveräusserung erfolgt, für die Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf Vorsteuerabzug nach Art. 29 Abs. 2 Mehrwertsteuergesetz grund-sätzlich diese weitere unternehmerische Tätigkeit heranzuziehen, während bei einer reinen Beteiligungsgesellschaft nach Art. 29 Abs. 4 Mehrwertsteuergesetz auf die unternehmerische Tätigkeit der von dieser gehaltenen Unternehmen ab-zustellen ist. Im Sinne einer Ausnahme kann auch bei einer Holdinggesellschaft mit weitergehender Geschäftstätigkeit auf die unternehmerische Tätigkeit der Gesellschaft abgestellt werden, deren Beteiligung veräussert wird, wenn ein Ab-stellen auf die weitergehende Geschäftstätigkeit der Beteiligungsgesellschaft nicht zu einem sachgerechten Ergebnis führt.

4. Kapitalbeschaffungsmassnahmena) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Bereits in KapHag hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine Per-sonengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Zahlung einer Bareinlage keine wirtschaftliche Tätigkeit nach Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteu-ersystemrichtlinie ausübt und insbesondere gegenüber dem neuen Gesellschaf-ter keine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie erbringt65). In Kretztechnik hat der Europäische Gerichtshof diese Rechtsprechung auf die Ausgabe von Aktien zur Kapitalbe-schaffung übertragen66). Die Ausgabe von Aktien fällt danach nicht in den An-wendungsbereich der Mehrwertsteuer und zwar unabhängig davon, ob diese im Rahmen einer Börseneinführung der betreffenden Gesellschaft erfolgt oder im Rahmen einer blossen Kapitalerhöhung67). Der Europäische Gerichtshof hat das Fehlen eines Leistungsaustauschs in Kretztechnik u. a. damit begründet, dass eine Gesellschaft, die neue Aktien ausgibt, lediglich ihr Vermögen durch die Beschaffung zusätzlichen Kapitals vergrössern will, wobei sie den neuen An-teilseignern ein Eigentumsrecht an einem Teil des auf diese Weise erhöhten Ka-pitals einräumt68). Vom Standpunkt der ausgebenden Gesellschaft aus bestehe das Ziel im Erwerb von Kapital und nicht in der Erbringung einer Dienstleis-tung; aus der Sicht des Anteilseigners stelle die Zahlung der zur Kapitalerhö-hung erforderlichen Beträge keine Gegenleistung dar, sondern eine Investition oder Kapitalanlage69).

64) Vgl. supra Abschnitt III. 2. b) cc).65) EuGH, Urt. v. 26.06.2003 – Rs. C-442/01 (KapHag), Slg. 2003, I-6851, Rz. 39 und 41.66) EuGH, Urt. v. 26.05.2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 25. Siehe

dazu bereits Luuk/Osterhelt/Winzap, StR 2006, S. 181 (195 ff.). 67) EuGH, Urt. v. 26.05.2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 27.68) EuGH, Urt. v. 26.05.2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 26.69) EuGH, Urt. v. 26.05.2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 26.

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Der Umstand, dass die Ausgabe von Aktien nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt, hat jedoch nicht zur Folge, dass der Vorsteuerabzug auf damit in Zusammenhang stehenden Kosten ausgeschlossen ist. Dient die Ausga-be von Aktien der Kapitalbeschaffung zugunsten der wirtschaftlichen Tätigkeit im Allgemeinen, sind die Kosten der Dienstleistungen, welche im Rahmen der Ausgabe von Aktien bezogen werden, Teil der allgemeinen Kosten und gehören damit zu den Preiselementen aller Produkte des Unternehmens70). Die Dienst-leistungen hängen somit direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Ge-samttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen. Für den Umfang des Vorsteuer-abzugs kommt es also auf die Ausgangsumsätze des Steuerpflichtigen an, in die die Aufwendungen als Kostenelemente eingehen. Handelt es sich bei sämtlichen Ausgangsumsätzen um besteuerte Umsätze, besteht nach Art. 168 der Mehr-wertsteuersystemrichtlinie ein Recht auf vollen Vorsteuerabzug. Führt der Steu-erpflichtige hingegen sowohl Umsätze aus, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, kann er nach Art. 173 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie den Vorsteuerabzug im Rahmen des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs nur anteilig vornehmen.

Während in KapHag und Kretztechnik Sachverhalte zugrunde lagen, in de-nen das erworbene Kapital ausschliesslich für wirtschaftliche Tätigkeiten des Steuerpflichtigen eingesetzt wurde, standen in der Folgeentscheidung Securen-ta 71) Vorsteuern auf Aufwendungen im Zusammenhang mit Kapitalbeschaf-fungsmassnahmen (Ausgabe von Aktien und atypischen stillen Beteiligungen) in Rede, die nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts zumindest teil-weise der Ausübung nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten dienten. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass in diesem Fall der Vorsteuerabzug nur insoweit zu-lässig ist, als die Aufwendungen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflich-tigen zuzurechnen sind72). Wird das erworbene Kapital sowohl zur Finanzierung von wirtschaftlichen als auch nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten eingesetzt, führt dies potentiell zu einer doppelten Vorsteueraufteilung73): In einem ersten Schritt sind die dem nichtunternehmerischen Bereich zuzurechnenden Vorsteueranteile vom Abzug auszuschliessen. In einem zweiten Schritt ist dann für die dem un-ternehmerischen Bereich zuzurechnenden Vorsteuerbeträge der abziehbare An-teil zu ermitteln. Bedauerlicherweise wurde die grundlegende Frage, ob der Steuerpflichtige in Securenta über einen unternehmerischen und einen nichtun-ternehmerischen Bereich verfügt, durch das vorlegende Gericht vorweggenom-men. Dem Europäischen Gerichtshof wurde damit keine Gelegenheit gegeben,

70) EuGH, Urt. v. 26.05.2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik), Slg. 2005, I-4357, Rz. 36.71) EuGH, Urt. v. 13.03.2008 – Rs. C-437/06 (Securenta), Slg. 2008, I-1597. Siehe dazu be-

reits Luuk/Osterhelt/Winzap, StR 2008, S. 659 (666 ff.) sowie Nattkämpfer/Scholz, UStB 2008, 72 (75 ff.).

72) EuGH, Urt. v. 13.03.2008 – Rs. C-437/06 (Securenta), Slg. 2008, I-1597, Rz. 28.73) So bereits BMF-Schreiben 2006.

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zu den Anforderungen an die Zuordnung einer Beteiligung zum unternehmeri-schen Bereich Stellung zu nehmen74).

b) Mehrwertsteuergesetz

Während unter dem alten Recht zumindest anfänglich in der Praxis der Eidge-nössischen Steuerverwaltung davon ausgegangen wurde, dass die Ausgabe von Anleihensobligationen, Aktien u. ä. zur Beschaffung von Kapital einen von der Steuer ausgenommen und damit grundsätzlich vorsteuerabzugsschädlichen Um-satz mit Wertpapieren darstellt, der zwar im Rahmen der gemischten Verwen-dung nicht in die Berechnung der Vorsteuerabzugsquote mit einfliessen sollte, wohl aber direkt zuordenbare Aufwendungen vom Vorsteuerabzug ausschloss75), hatte sich bereits unter dem alten Recht die Auffassung durchgesetzt, dass Kos-ten bei Kapitalerhöhungen und Fremdkapitalbeschaffungen grundsätzlich zum Vorsteuerabzug zuzulassen sind, soweit sie im Rahmen der steuerbaren Ge-schäftstätigkeit anfallen (und zudem in der Buchhaltung verbucht werden)76). Unter dem Mehrwertsteuergesetz erscheint ein «Rückfall» in das überholte Ver-ständnis, es handele sich bei entsprechenden Kapitalbeschaffungsmassnahmen um nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 Buchst. e) Mehrwertsteuergesetz von der Steuer ausgenommene Finanzumsätze, ausgeschlossen. Aus den Gesetzesmaterialien geht klar hervor, dass der Gesetzgeber – ganz auf der Linie des Europäischen Gerichtshofs und der in dieser Richtung argumentierenden Literaturauffassung77) – bei der hier in Rede stehenden Kapitalbeschaffung durch Ausgabe von Aktien und Gesellschaftsanteilen im Rahmen einer Kapitalerhöhung keine entgeltliche Leistung des Steuerpflichtigen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) Mehrwert-steuergesetz annimmt, und diese Massnahmen daher vorsteuerneutral ausser-halb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer anzusiedeln sind78). Dies wird gesetzestechnisch dadurch verwirklicht, dass nach Art. 18 Abs. 2 Buchst. e) Mehrwertsteuergesetz «Einlagen in Unternehmen79)» nicht als Entgelt gelten und somit nach Art. 33 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz weder eine Kürzung des Vorsteuerabzugs zur Folge haben noch vorsteuerabzugsschädlich in einen Umsatz-schlüssel nach Art. 30 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz im Rahmen einer Vorsteuer-korrektur mit einzubeziehen sind. Vorsteuern auf Aufwendungen bei Kapitalbe-schaffungsmassnahmen sind daher trotz fehlenden Leistungsaustauschs nach Art. 28 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz grundsätzlich vollständig abziehbar, wenn sie im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen anfallen, d. h. das erworbene Kapital (ausschliesslich) zur Finanzierung unternehmeri-

74) Vgl. hierzu BMF-Schreiben 2007, Tz. 4 und Tz. 9 ff. Ausführliche Kritik dazu bei Englisch, UR 2007, S. 290 ff., ders., IVM 2007, S. 172 ff.; Mühleisen/Trapp, UR 2007, 633 ff.

75) Vgl. ESTV, Spezialbroschüre Nr. 06, Tz. 1.2.2.2.76) Vgl. ESTV, Praxisänderungen 01/2005, Tz. 2.4.77) Vgl. Kocher, ASA 2006, Tz. 4.5; Baumgartner/Schäuble, FStR 2006, Tz. 5.2; Robinson/

Oberheid, Art. 18 Rz. 52.78) Vgl. Botschaft, S. 6885 (6960).79) Dieser Begriff ist weit zu verstehen (vgl. Botschaft, S. 6885 (6960)).

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scher Tätigkeiten des Steuerpflichtigen verwendet wird bzw. verwendet werden soll, während bei Verwendung auch für von der Steuer ausgenommene Tätigkei-ten eine anteilige Vorsteuerkorrektur nach Art. 30 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz vorzunehmen ist80). Unklar ist die Frage, wie nach dem Mehrwertsteuergesetz vorzugehen ist, wenn die Kapitalbeschaffung wie im Fall Securenta81) zumindest auch der Finanzierung einer nichtunternehmerischen Tätigkeit dient. Dass auch in diesem Fall eine anteilige Korrektur des Vorsteuerabzugs Platz greift, scheint jedenfalls Art. 30 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz nahezulegen, wonach eine vor-steuerabzugsschädliche gemischte Verwendung auch dann vorliegt, wenn ein Steuerpflichtiger vorsteuerbelastet bezogene Dienstleistungen auch ausserhalb der unternehmerischen Tätigkeit verwendet. Entscheidend ist daher im Einzel-fall die Abgrenzung des unternehmerischen vom nichtunternehmerischen Be-reich.

5. Konzerndarlehena) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

In Floridienne hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Gewäh-rung von Darlehen, die eine Holdinggesellschaft gegenüber ihren Tochtergesell-schaften gewährt, nur dann in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt, wenn sie entweder eine in Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ge-nannte wirtschaftliche Tätigkeit oder die unmittelbare, dauerhafte und notwen-dige Erweiterung einer steuerbaren Tätigkeit darstellen, ohne jedoch in Bezug auf letztere Hilfsumsätze nach Art. 174 Abs. 2 der Mehrwertsteuersystemrichtli-nie zu sein82). Die Darlehensgewährung ist danach eine wirtschaftliche Tätigkeit in der Gestalt der Nutzung des Kapitals zur nachhaltigen Erzielung von Einnah-men in Form von Zinsen, wenn sie nicht nur gelegentlich ausgeübt wird und sich nicht wie die eines privaten Anlegers auf die Verwaltung von Anlagen beschränkt, sondern im Rahmen eines Unternehmensziels oder zu einem geschäftlichen Zweck erfolgt, der insbesondere durch das Interesse an der Rentabilisierung des investierten Kapitals geprägt ist83). Erbringt eine Holdinggesellschaft gegenüber ihren Tochtergesellschaften entgeltliche Dienstleistungen, stellt die Darlehens-gewährung nicht bereits deshalb eine wirtschaftliche Tätigkeit dar, weil es sich um die unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung dieser steuerbaren Tätigkeit handelt. Die Gewährung von Darlehen ist weder notwendig noch un-mittelbar mit den erbrachten Dienstleistungen verbunden84). An einer wirtschaft-lichen Tätigkeit fehlt es im Übrigen auch dann, wenn eine Holdinggesellschaft Dividenden, welche sie von ihren Tochtergesellschaften bezieht, lediglich als Darlehen an diese Tochtergesellschaften anlegt. Zinsen aus solchen Darlehen

80) Vgl. ESTV, Entwurf MWST-Info Nr. 09, Tz. 7.2.2.81) EuGH, Urt. v. 13.03.2008 – Rs. C-437/06 (Securenta), Slg. 2008, I-1597.82) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 27.83) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 28.84) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 29.

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müssen als Ertrag der blossen Innehabung eines Gegenstands angesehen wer-den85).

Diese Grundsätze hat der Europäische Gerichtshof in EDM bestätigt, wobei die mit diesem Fall befasste fünfte Kammer in Abweichung zur ersten Kammer im Fall Floridienne entschied, dass die jährliche Gewährung verzinslicher Dar-lehen durch eine Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaften eine wirt-schaftliche Tätigkeit darstellt, und zwar unabhängig davon, ob diese Darlehen als wirtschaftliche Unterstützung der Tochtergesellschaften, als Anlage von Fin-anzüberschüssen oder aus anderen Gründen gewährt werden86). Die Darlehens-gewährung fällt damit in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer und ist nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. b) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie unecht von der Steuer befreit. Dies hat zur Folge, dass die Zinsen bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs zu berücksichtigen sind, soweit sie nicht als blosse Hilfsumsätze nach Art. 174 Abs. 2 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ausser Ansatz bleiben87). In EDM liess der Europäische Gerichtshof die Behand-lung als Hilfsumsatz zu, soweit die vorsteuerbelastet bezogenen Dienstleistun-gen nur in sehr geringem Umfang für Darlehensgeschäfte verwendet werden88). Demgegenüber kommt dem Umstand, dass die Finanzumsätze höher sind als die Einkünfte aus der Haupttätigkeit des Steuerpflichtigen, eine blosse Indizwir-kung zu89).

b) Mehrwertsteuergesetz

Die Gewährung von Krediten ist nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 Buchst. a) Mehr-wertsteuergesetz ebenso von der Steuer ausgenommenen wie nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. b) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Dies gilt nach dem Mehr-wertsteuergesetz ohne Einschränkungen auch für die Darlehensgewährung einer Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaften. Das Mehrwertsteuergesetz kennt keine Art. 174 Abs. 2 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsprechende Regelung, wonach der auf «Hilfsumsätze» mit Finanzgeschäften entfallende Be-trag bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs ausser Betracht bleibt. Zinserträge führen daher nach Art. 29 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz bei direkt zuordenbaren Vorbelastungen zu einem Vorsteuerausschluss oder im Rah-men der gemischten Verwendung nach Art. 30 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz zu einer anteiligen Vorsteuerkorrektur. Während in der Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung zum alten Recht im Bereich der Finanzierung durch Kapital-erhöhung oder Fremdkapitalbeschaffung eine Angleichung an die Rechtspre-chung des Europäischen Gerichtshofs stattfand, indem vorsteuerbelastete Auf-wendungen insoweit zum Vorsteuerabzug zugelassen wurden, als sie im Rahmen

85) EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne), Slg. 2000, I-9567, Rz. 30.86) EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 68.87) EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 74.88) EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 78.89) EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-77/01 (EDM), Slg. 2004, I-4295, Rz. 78.

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der steuerbaren Tätigkeit des Steuerpflichtigen angefallen sind 90), wurde am vorsteuerabzugsschädlichen Charakter von Kreditgewährungen festgehalten, die Auswirkungen aber durch Einführung einer Pauschalregelung zur Durchfüh-rung der erforderlichen Vorsteuerkorrektur gemindert 91). Danach konnte die er-forderlich Korrektur im Rahmen der gemischten Verwendung pauschal mit 0,02 % der Zinserträge angesetzt werden, während direkt zuordenbare Aufwen-dungen vom Abzug ausgeschlossen blieben. Diese Pauschalregelung wird offen-bar auch unter dem Mehrwertsteuergesetz Bestand haben und die Schlechter-stellung von Steuerpflichtigen in der Schweiz, die in Ansehung ihrer unternehmerischen Haupttätigkeit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt wären, weiterhin massgeb-lich reduzieren92).

IV. Zusammenfassung

Die Zubilligung des mehrwertsteuerlichen Status eines Steuerpflichtigen und die ausdrückliche Regelung des Vorsteuerabzugs beim Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen im neuen Mehrwertsteuergesetz und der Mehrwert-steuerverordnung werden gemeinhin pauschal nicht nur als Rechtsangleichung an das Gemeinschaftsrecht sondern als Besserstellung Schweizer Holdinggesell-schaften gegenüber in der Europäischen Union ansässigen Holdinggesellschaf-ten interpretiert 93).

Eine differenzierte Betrachtung zeigt folgendes Bild:Reine Beteiligungsgesellschaften, die sich auf das blosse Erwerben, Halten

und Veräussern von Beteiligungen beschränken, sind nach dem Gemeinschafts-recht nicht wirtschaftlich tätig und damit mangels Steuerpflichtigeneigenschaft per se vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Insoweit stellt die Regelung in der Schweiz eine klare Besserstellung dar. Erfüllen die erworbenen Anteile das 10-Prozent-Kriterium und werden sie in der Absicht der dauernden Anlage ge-halten, wird eine unternehmerische Tätigkeit fingiert, die grundsätzlich das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet.

Beteiligungsgesellschaften, die entgeltliche Dienstleistungen gegenüber Gesellschaften erbringen, an denen eine Beteiligung besteht, üben hingegen auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine wirtschaftli-che Tätigkeit aus, wobei sowohl Dividenden als auch Zinsen aus als Darlehen zurückgewährten Dividenden nicht als Entgelt angesehen werden. Die Kosten des Erwerbs einer Beteiligung gehören in diesem Fall zu den allgemeinen Kos-ten und hängen deshalb grundsätzlich mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen. Dies eröffnet das Recht auf Vorsteuerabzug im

90) Vgl. ESTV, Praxisänderungen 01/2005, Tz. 2.4.91) Vgl. ESTV, Praxisänderungen 07/2005, Tz. 2.8.92) Vgl. ESTV, Entwurf MWST-Info Nr. 09, Tz. 8.5.1.93) Vgl. Gut/Olarte, StR 2009, Tz. 4; Scheller, ST 2010, Tz. 4.

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Rahmen der allgemeinen Voraussetzungen. Dieses Ergebnis wird nach dem Mehrwertsteuergesetz nur erreicht, wenn eine qualifizierte Beteiligung erwor-ben wird. Beim Erwerb einer nicht qualifizier ten Beteiligung kann das Gemein-schaftsrecht demnach durchaus vorteilhafter sein. Die Kosten der Ver äusserung von Beteiligungen durch eine steuerpflichtige Beteiligungsgesellschaft sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen der allge-meinen Voraussetzungen ebenfalls abziehbar, soweit sie zu den allgemeinen Kosten gehören und deshalb mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusam-menhängen. Ein Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht nicht, soweit die Kosten nachweislich Preisbestandteil von vorsteuerabzugschädlichen Ausgangsumsät-zen geworden sind. Bei der Veräusserung von Beteiligungen durch eine steuer-pflichtige Beteiligungsgesellschaft kann die Regelung des Mehrwertsteuergeset-zes daher vorteilhaft sein, wenn infolge Direktzuordnung der vorsteuerbelasteten Eingangsleistungen zu vorsteuerabzugsschädlichen Ausgangsumsätzen ein Vor-steuerabzug nach dem Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen ist. Etwas anderes gilt wiederum bei nicht qualifizierten Beteiligungen. Zu den nicht abschliessend geklärten Fragen des Mehrwertsteuergesetzes gehört namentlich der Umfang der unternehmerischen Tätigkeit beim Erwerb, Halten und Veräussern von qua-lifizierten und nicht qualifizierten Beteiligungen sowie die Ermittlung der ab-ziehbaren Vorsteuer bei reinen Beteiligungsgesellschaften und Beteiligungsge-sellschaften mit weitergehender Geschäftstätigkeit.

Soweit Aufwendungen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Aktien und Gesellschaftsanteilen zur Kapitalbeschaffung nicht ausschliesslich der wirt-schaftlichen Gesamttätigkeit zugerechnet werden können, besteht nach dem Gemeinschaftsrecht ein Anspruch auf Vorsteuerabzug nur insoweit als sie im Rahmen der zum Vorsteuerabzug berechtigenden wirtschaftlichen Tätigkeit ver-wendet werden. Dies wird man unter dem Mehrwertsteuergesetz entsprechend der bereits unter dem alten Recht gelockerten Praxis der Eidgenössischen Steu-erverwaltung ähnlich sehen müssen.

Bei der Gewährung verzinslicher Darlehen durch eine Beteiligungsgesell-schaft an die von ihr gehaltenen Unternehmen zeigt sich schliesslich das Gemein-schaftsrecht wiederum als vorteilhaft, weil die Darlehensgewährung, sofern sie nur gelegentlich erfolgt oder sich lediglich als eine Form der Wiederanlage von Dividenden darstellt, nicht als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen wird und des-halb keine Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug hat, bzw. selbst bei Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit, regelmässig als blosser Hilfsumsatz bei der Vorsteueraufteilung nicht zu berücksichtigen ist.

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Eidgenössische Steuerverwaltung, Spezialbrochüre Nr. 06 «Kürzung des Vorsteuerabzugs bei gemischter Verwendung», gültig bis zum 31. Dezember 2009 (zit: ESTV, Spezialbroschüre Nr. 06)

Bundesminsterium der Finanzen (Deutschland), Schreiben vom 4. Oktober 2006 (IV A 5 – S7300 – 69/06), Vorsteuerabzug aus Aufwendungen, die mit der Ausgabe von gesell-schaftsrechtlichen Anteilen gegen Bareinlage oder gegen Sacheinlage zusammenhängen, (zit: BMF-Schreiben 2006)

Bundesminsterium der Finanzen (Deutschland), Schreiben vom 26. Januar 2007 (IV A 5 – S7300 – 10/07), Umsatzsteuerliche Fragen im Zusammenhang mit dem Halten von Betei-ligungen, (zit: BMF-Schreiben 2007)

Urteile des Europäischen Gerichtshofs

EuGH, Urteil vom 1. April 1982 – Rs. C-89/81 (Hong Kong Trade Develepment Council), Slg. 1982, 1277

EuGH, Urteil vom 20. Juni 1991 – Rs. C-60/90 (Polysar Investment Netherlands BV), Slg. 1991, I-3111

EuGH, Urteil vom 22. Juni 1993 – Rs. C-333/91 (Sofitam SA), Slg. 1993, I-3513EuGH, Urteil vom 6. Juni 1995 – Rs. C-4/94 (BLP Group plc), Slg. 1995, I-983EuGH, Urteil vom 20. Juni 1996 – Rs. C-155/94 (Wellcome Trust), Slg. 1996, I-3031EuGH, Urteil vom 11. Juli 1996 – Rs. C-306/94 (Régie dauphinoise – Cabinet A. Forest), Slg.

1996, I-3695EuGH, Urteil vom 6. Februar 1997 – Rs. C-80/95 (Harnas & Helm), Slg. 1997, I-745EuGH, Urteil vom 14. November 2000 – Rs. C-142/99 (Floridienne SA und Berginvest SA),

Slg. 2000, I-9567EuGH, Beschluss vom 12. Juli 2001 – Rs. C-102/00 (Welthgrove BV), Slg. 2001, I-5679EuGH, Urteil vom 27. September 2001 – Rs. C-16/00 (Cibo Participations SA), Slg. 2001,

I-6663EuGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – Rs. C-442/01 (KapHag Reditefonds 35 Spreecenter Berlin-

Hellersdorf 3. Tranche GbR), Slg. 2003, I-6851EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – Rs. C-77/01 (Empresa de Desenvolvimento Mineiro SGPS

SA [EDM]), Slg. 2004, I-4295EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 – Rs. C-8/03 (Banque Bruxelles Lambert SA [BBL]),

Slg. 2004, I-10157EuGH, Urteil vom 26. Mai 2005 – Rs. C-465/03 (Kretztechnik AG), Slg. 2005, I-4357EuGH, Urteil vom 8. Februar 2007 – Rs. C-435/05 (Investrand BV), Slg. 2007, I-3115EuGH, Urteil vom 13. März 2008 – Rs. C-437/06 (Securenta Göttinger Immobilienanlagen und

Vermögensmanagement AG), Slg. 2008, I-1597EuGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – Rs. C-29/08 (AB SKF), noch nicht in Slg. veröffent-

licht, Umsatzsteuer-Rundschau 2010, S. 107 ff.