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Frühe Bildung als Thema in der Entwicklungspsychologie: Die Kindergruppe als bedeutsamer Entwicklungskontext Prof. Dr. Sonja Perren Zürich, 26.11.2011 Jacobs Center for Productive Youth Development, University of Zürich Überblick ! Frühkindliche Bildung und Betreuung in Gruppen ! (Kindertagesstätten, Spielgruppen, Kindergärten, oft auch Tagesfamilien) ! Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung ! Peerbeziehungen ! Mediatoren = Kausale Wirkmechanismen ! Moderatoren = Differentielle Effekte

vortrag mmi veranstaltung 2611.11 Prof. Dr. Sonja Perren Zürich, 26.11.2011 Jacobs Center for Productive Youth Development, University of Zürich Überblick ! Frühkindliche Bildung

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Frühe Bildung als Thema in der Entwicklungspsychologie:

Die Kindergruppe als bedeutsamer Entwicklungskontext

Prof. Dr. Sonja Perren Zürich, 26.11.2011

Jacobs Center for Productive Youth Development, University of Zürich

Überblick

!  Frühkindliche Bildung und Betreuung in Gruppen !  (Kindertagesstätten, Spielgruppen, Kindergärten, oft auch

Tagesfamilien)

!  Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung

!  Peerbeziehungen !  Mediatoren = Kausale Wirkmechanismen !  Moderatoren = Differentielle Effekte

Auswirkungen von KiTa-Betreuung

!  Spracherwerb und kognitive Fähigkeiten !  KiTa vor allem positive Wirkungen bei

bildungsfernen und fremdsprachigen Kindern für die Schulanpassung

"  Kriesi et al., 2008 (COCON-Studie); Lanfranchi, 2004

!  Soziale Kompetenz und Problemverhalten !  Erhöhte Soziabilität (offen für neue Beziehungen,

sozial initiativer) !  Kinder sind beliebter !  Leicht erhöhtes Niveau an aggressivem Verhalten

"  (NICH, 2003)

Familienergänzende Kinderbetreuung und soziale Kompetenz

Anzahl Stunden fam.erg. Kinderbetreuung Soziale Kompetenz mit 9 Jahren Kleinkindalter Vorschulalter Kindergarten Soziabilität (Eltern) .190* .229* .209* Soziabilität (Lehrperson) .121 .169 .167 Leadership (Eltern) .146 .199* .176 Leadership (Lehrperson) .286** .311** .262** Grenzen setzen können (Eltern) .019 .136 .162 Grenzen setzen können (Lehrperson) .107 .116 .174

Prosoziales Verhalten (Eltern) .071 .156 .236** Prosoziales Verhalten (Lehrperson) .082 .09 .151 Kooperatives Verhalten (Eltern) .01 .112 .148 Kooperatives Verhalten (Lehrperson) .009 .008 .073 Positive Peerbeziehungen (Eltern) .111 .137 .128 Positive Peerbeziehungen (Lehrpers.) -.071 -.029 -.002

Peerbeziehungen in KiTas

!  Zuschauen, spielen und Konflikte austragen !  Beobachtungsstudie bei 8-24 Monate alten Kindern

in relativ stabilen Gruppen !  24% der Beobachtungszeit interaktiv, 40% sozial-bezogen

und 35% auf sich selbstbezogen. !  Bereits mit 8 Monaten die Hälfte der interaktiven Zeit mit

anderen Kindern (mit 2 Jahren deutlich mehr) !  Prosoziale Themen sind häufiger zu beobachten als

Konflikte "  Simoni et al., 2008

!  In grossen, unstrukturierten Gruppen mit wenig Involviertheit der Betreuungspersonen deutlich mehr Konflikte und Aggressionen

Peerbeziehungen als Mediator

Bildung und Betreuung in Gruppen

Kompetenz-entwicklung &

psychische Gesundheit

Peer- beziehungen

Peers als Lernkontext

Peerbeziehungen als genereller Lernkontext

! Übungsfeld für soziale Kompetenzen

!  Empathie und Perspektivenübernahme !  Emotionsregulation !  Kooperatives und prosoziales Verhalten üben !  Konflikte austragen und lösen

Peers und aggressives Verhalten

!  Peer-Präferenzen !  Homophily und aggressives Verhalten

!  „rough and tumble play“, Herumtoben !  Deviante Peereinflüsse im Jugendalter

"  Perren, 2011

!  Selektions- und Sozialisationseffekte

Bully/victim Probleme und die Peergruppe

Social cluster membership by bully/victim status

7%

7%

8%

9%

10%

12%

13%

21%

28%

37%

0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40%

Bully & Non-involved

Bully-victim & Non-involved

Victim & Victim

Victim & Non-involved

Bully-victim & Victim

Non-involved & Non-involved

Bully & Victim

Bully-victim & Bully-victim

Bully & Bully-victim

Bully & Bully

!2(9, N_dyad = 1759) = 69.9, p = .000, eta = .199 (N=253)

Perren & Alsaker, 2006

Ebene 1: Mentale Prozesse

Soziale Kompetenz: ein integratives Modell

Motivation

Emotionen

Kognitionen

Ebene 2: Soziales Verhalten

selbstorientiert

fremdorientiert Ebene 3: Psychosoziale

Anpassung

Psychische Gesundheit

Soziale Beziehungen

Perren & Malti, 2008 (Soziale Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen, Kohlhammer-Verlag)

Persönlichkeit X Sozialisation

Peerbeziehungen als Moderator

Bildung und Betreuung in Gruppen

Peer- beziehungen

Qualität der Peer- beziehungen

Kompetenz-entwicklung &

psychische Gesundheit

Qualität der Peerbeziehungen

!  Positive Peerbeziehungen Wohlbefinden !  Spass haben, Spielpartner sein, Unterstützung

erhalten, sich zugehörig fühlen, lernen.... ! Aber: Manche Kinder werden ausgeschlossen und

werden regelmässig Opfer von aggressivem Verhalten der anderen Kinder !  Peer-Viktimisierung !  Ablehnung

Risiken für Peer-Viktimisierung I

!  Soziale Faktoren !  Gruppenzusammensetzung und – dynamik !  Verhalten von Erzieherinnen und Eltern

!  Individuelle Risikofaktoren !  Nicht wehren können

!  (nicht stabil!) !  Aggressives und impulsives Verhalten

!  Sehr stabil – auch längsschnittlich über 6 Jahre! "  Alsaker, 2011

Risiken für Peer-Viktimisierung II

!  Fremdsprachigkeit !  Fremdsprachige Kinder werden oft ausgeschlossen

und viktimisiert !  Verbale Kompetenz in Lokalsprache ist ein Mediator

"  Von Grünigen et al., 2010 "  Perren et al., 2009

!  Spielgruppen und Kitabesuch zum Erlernen der Lokalsprache !  Sprachzusammensetzung der Gruppe ist wichtig

"  Grob & Keller, 2011 (Projekt Zweitsprache)

Konsequenzen von Peer-Viktimisierung

!  Zunahme von internalisierenden und externalisierenden Problemen

"  Perren & Alsaker, 2010, Perren et al., 2009

-0.8 -0.6 -0.4 -0.2

0 0.2 0.4 0.6 0.8

1

Aggressive Opfer Passive Opfer Bully (Täter) Vergleichsgruppe

Intern. Probleme Extern. Probleme

Ein negativer Erfahrungszirkel

Psychische Gesundheit

Soziale Kompetenz

Peer beziehungen

Externalis. Probleme

Internalis. Probleme

Rückzugsverhalten

Keine oder negative Erfahrungen mit Peers

Schlussfolgerungen

! Kinder, die ausgeschlossen oder viktimisiert werden machen negative Peererfahrungen

! Diese können vermutlich weniger oder gar nicht von den Bildungs- und Betreuungsangeboten profitieren

! Die Qualität der Peerbeziehungen könnte ein Moderator sein

!  Hypothese: Einige Kinder können nicht von möglichen positiven Effekten von Betreuungs- und Bildungsangeboten profitieren, weil sie sich in der Gruppe nicht wohlfühlen.

Implikationen für Forschung

!  Forschung !  Mehr Forschung zu Peerbeziehungen von unter

vierjährigen Kindern !  Entwicklungsprozesse und Entwicklungswege !  Peerbeziehungen: von der Dyade zur Gruppe (z.B. soziale

Netzwerke) !  Differenzierte und theoriegeleitete Forschung zur

Wirkung von früher Bildung und Betreuung !  „beyond main effects“ (weshalb? für wen?) !  Ausweitung auf andere Gruppenkontexte, z.B. Spielgruppen

oder Tagesfamilien („Tagesgeschwister“)

Implikationen für die Praxis

!  Peerbeziehungen als Qualitätskriterium von frühkindlicher Bildung und Betreuung !  Strukturorientierte Betreuungsqualität

!  Grösse und Altersstruktur der Gruppe !  Prozessorientierte Betreuungsqualität

!  Kind-Kind-Interaktionen und pädagogisches Handeln !  Förderung positiver Peerbeziehungen, z.B. positive

Gruppenerlebnisse !  Reduktion negativer Peer-Erfahrungen durch adäquates

Umgehen mit Konflikten und Aggressionen

Fazit

Positive Peerbeziehungen machen stark !

Elternbildung CH Jacobs Foundation