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S.D. Sauerbier Wie die Bilder zur Sprache kommen. Ein Strukturmodell der Text/Bild-Beziehungen. HANS-PETER FELDMANN, aus: "Image. Nr. l" 1979 WOLF VOSTELL, "Notation F/J/K 2", zu: In Ulm, um Ulm und um Ulm herum, 1964 JÜRGEN ZELLERHOFF, Stück aus einer vierteiligen Arbeit, 1978

Wie die Bilder zur Sprache kommen...S.D. Sauerbier Wie die Bilder zur Sprache kommen. Ein Strukturmodell der Text/Bild-Beziehungen. HANS-PETER FELDMANN, aus: "Image. Nr. l" 1979 WOLF

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  • S.D. Sauerbier

    Wie die Bilder zur Sprache kommen. Ein Strukturmodell der Text/Bild-Beziehungen.

    HANS-PETER FELDMANN, aus: "Image. Nr. l" 1979

    WOLF VOSTELL, "Notation F/J/K 2", zu: In Ulm, um Ulm und um Ulm herum, 1964

    JÜRGEN ZELLERHOFF, Stück aus einer vierteiligen Arbeit, 1978

  • HEINZ GAPPMAYR, 1979

    ARTHUR KOEPCKE, Lese/Arbeits/Handlungs-Stück Nr. 58. .Versuche dies Prinzip mit anderen Objekten´, 1966. Bitte Daumen-Abdruck-Original auf das Blatt setzen.

    ROBIN PAGE, "ceci n´est pas l´habit neuf du roi", 1972

  • ANDRE THOMKINS, "handlesen", 35 Anagramme. 1967

    MANFRED BOECKER/WOLFGANG NIEDECKEN, Auftragsbild für Sauerbier, 1978. (Mit diesem Rebus-Bild ist mein "hommage a moi-meme" von 1970 realisiert).

    SHUSAKU ARAKAWA, "Localization and Transference ", aus: "Der Mechanismus der Bedeutung", 1969

    GIULIO PAOLINI, "Mimesi", 1976

  • TOMAS SCHMIT, Seite aus: "das gute duenken", 1970

    MARCEL BROODTHAERS, "The Artist´s Room", 1975

    GÜNTER PORRMANN, Wand-Bild, 1975. (Latex auf Grobnessel auf Holz. Installation 1980)

    CONTER PORRMANN, Wand-Bild, 1975. (Latex auf Grobnessel auf Holz. Installation 1980) Die vorliegende Zusammenstellung von Aufsätzen und Interviews zu "Text-Bild-Beziehungen" (S. 12 - 137) ist der 2. Teil eines Dokumentationszyklus', der mit einem speziellen Aspekt - den "Text-Foto-Geschichten" (story art, narrative art) - in in Bd. 33 eröffnet wurde und mit weiteren speziellen Aufsätzen sowie exemplarischen Künstlerbeiträgen und -Monographien in einer späteren Nummer fortgesetzt wird.

  • S.D. Sauerbier, der Herausgeber dieser - allgemeineren - Dokumentation stellt die gekürzte Fassung seines "Struktur-Modells" (das in Kürze als Buch erscheinen wird) an den Anfang und versucht im Anschluß daran, das breite Beispielspektrum in einer "Typik" zu ordnen, beschränkt auf den Zeitraum nach '45 (Hans Gercke hat in Bd. 33 schon einen historischen Abriß gegeben), zum Teil innerhalb der einzelnen Rubriken sicher auch vertauschbar, da Kunstwerke sich selten auf nur einen Apekt zurückführen lassen. Einigen "Wortführern" unterschiedlicher Richtungen der heutigen Kunsttheorie und Textwissenschaft mit eigener ästhetischer Produktion, Bazon Brock, SJ. Schmidt, Hans Brög, hat der Herausgeber Gelegenheit zur Selbstreflexion in ihrer Rolle als Künstler und Wissenschaftler gegeben. Der Aufsatz Stefan Buchlohs über logische Widersprüche in der Gegenwartskunst, die Gespräche mit Daniel Spoerri ("Wortspiele und Bilderrätsel: Fallenbilder und Wortfallen") und Rune Mields ("Zahlen, Ziffern, Systeme und Sprache") runden die Dokumentation ab. Die Redaktion

    1. Einführung Nach unserem Alltagsverständnis können wir also gleich sagen, was denn Bilder, was Text, was Schrift, was Wörter sind. Können wir das tatsächlich? Bilder und Texte sind problematisch. Ein Begriff von,Bild' und ,Text' kann hier für die neuere Kunstentwicklung nicht mehr ohne weiteres oder überhaupt nicht vorausgesetzt werden. Es gibt kein allgemeines Einverständnis über ,Text' und ,Bild' mehr - wenn es dies je gegeben hat. Ist der negative Befund eine Begründung dafür oder doch ein Hinweis darauf, warum die Problematik der Beziehungen von Text und Bild, der Zuordnung und des Zusammenhangs von Bild und Text so häufig und so vielfältig in der Kunstentwicklung der letzten Jahre auftritt? Daß in der Alltagsrealität so gut wie immer Bilder mit Texten in Kombination vorkommen, ist oft betont worden. Auch innerhalb der Kunst werden Bilder in sprachlicher Form interpretiert; und ein Denken ohne Sprache gibt es ja nicht. Wenn es eben so ist, daß Denken nicht ohne Wörter existieren kann, dann ist Kunst, und Bildnerei im besonderen, der fortwährende Versuch, diese Notwendigkeit zu unterschreiten oder zu unterbieten, beiseite zu lassen oder zu widerlegen - das zeigt die ,Besonderung' des Kunstwerks an - entgegen der Allgemeinheit des andauernden Redens, Sich-Unterhaltens, Verhandelns, Kommentierens, Interpretierens... Unter der Voraussetzung, daß in der alltäglichen Kommunikation bereits ziemlich komplexe Text/Bild-Verhältnisse vorkommen, gibt es dann entgegengesetzte Extreme in der Kunst, wie zum Beispiel in den Arbeiten von - Hans-Peter Feldmann, der Bilder - und hier gerade Fotografien - ohne Textbeischriften zeigte, - Jürgen Zellerhoff, der Beischriften von den zugehörigen Bildern isolierte. Andere entgegengesetzte Extreme sind festzustellen, wo ein Text/Bild-Verhältnis konstruiert und aufgebaut werden soll: - Text/Bild-Arbeiten als Vorstudien oder Konzepte zu komplexen Stücken gibt es etwa bei Dieter Froese oder Marcel Odenbach, - und andererseits findet sich Reduzierung auf ein einziges, isoliertes Wort in vielen Arbeiten von Heinz Gappmayr. Sollen hier Bilder zur Sprach'e gebracht werden, so ist auch festzuhalten, daß in der Kunstentwicklung seit langem Bilder in die Literatur gelangt sind - andererseits drang nicht erst mit den papiers collés Sprache in die Bildnerei ein. Ich bin der Auffassung, daß beide Tendenzen eine Gegenbewegung zur Purifizierung der künstlerischen Arten und Gattungen in der ersten Jahrhunderthälfte markieren. Zur Sprache bringen: das bedeutet auch, daß die Bilder mit ihren nicht-diskursiven Erscheinungsformen der Theoriebildung innerhalb der Kunst fähig werden. Schwerpunkt der Thematik in diesem Beitrag sind Bild und Text in ihren Beziehungen als Mittel bei der ästhetischen Vergegenständlichung von ,Welt' - aber auch: Text und Bild als ästhetischer Gegenstand von Bild und Text. Gefragt wird nach dem Begriff von Text und Bild im Gegensatz zu Beschreibung oder Schilderung, zu (wiederholender) Paraphrase oder zu einem .Anempfinden' von Text/Bild-Beziehungen. Der Allgemeinheit von Thematik und Problemen im Gegenstandsbereich entspricht in seiner Begrifflichkeit und Abstraktheit mein theoretisches Modell auf der Grundlage der allgemeinen Zeichentheorie (das hier auszugsweise wiedergegeben wird); erst unter der Voraussetzung von Vorarbeiten und nach der Entwicklung von allgemeinen methodischen und systematischen Ansätzen war dies möglich. Verbreitung und Menge der Gegenstände verlangte eigentlich nach Geschichtsschreibung der Wörter/Bilder-Verknüpfungen wie etwa Bilderlyrik seit Dosiadas, Simmias und den Alexandrinern über die mittelalterliche Kombinationskunst, die Enigmatik, Allegorik, Hieroglyphik und Emblematik in Renaissance und Barock bis hin zum Symbolismus des 19. Jahrhunderts. Eine umfängliche Chronologie wie jene von Dom Sylvester Houédard anläßlich der Ausstellung "Between Poetry and Painting" (1965 im Londoner ICA) und die ähnlich exemplarisch und ausführlich bestückte Ausstellung "Visuelle Poesie" (1964 in der Berliner Situationen 60 galerie von Christian Chruxin organisiert) orientierten sich an Problemen der Visualisierung von Sprache (im vorliegenden Versuch ist dies nur eine unter mehreren Bestimmungen), nämlich an "Schrift und Bild" (Titel der Ausstellung

  • 1963 in Baden-Baden und Amsterdam, konzipiert von Dietrich Mahlow). Umfassend war auch die Ausstellung "Skripturale Malerei" (1962 im Berliner Haus am Waldsee von Manfred de la Motte eingerichtet). Ausstellungen der letzten Zeit, wie "Visuelle Poesie der siebziger Jahre" in Gelsenkirchen, "words" in Bochum, "Sprachen jenseits von Dichtung" in Münster und "Text-Foto-Geschichten" in Heidelberg, Bonn und Krefeld, dokumentiert in Kunstforum Bd. 33 (allesamt Ausstellungen in Kunstvereinen) - aber auch Ausstellungen von Galerien wie "malen, schreiben, malen" bei Rene/Mayer in Düsseldorf und Artikel wie "Poesie - Malerei, Schrift - Bild" von Barbara Catoir oder Bücher wie Wolfgang Max Fausts "Bilder werden Worte" zeigen Verbreitung und Allgemeinheit dieser Thematik an. Kaum mehr möglich erscheint mir nun aber eine Chronologie (ähnlich der Houedards) in einer einzigen Ausgabe dieser Zeitschrift - dazu bedürfte es doch wohl einer umfänglicheren Monografie, da die Text/ Bild-Beziehungen sich dermaßen ausdifferenziert und ,in die Breite' entwickelt haben. An die Stelle einer solchen Chronologie tritt im vorliegenden Band eine Typik, deren Absicht es entsprechend ist, Übersicht über die Erscheinungsformen zu ermöglichen. An Merkmalen der ästhetischen Arbeiten ist, wie gesagt, der Beitrag "Zwischen Kunst und Literatur" als Typik orientiert - das entspricht dem Thema; es kommt dabei natürlich vor, daß die Arbeiten selbst thematisch durch die ästhetische Produktion, durch Verteilung in den Medien und durch ästhetische Rezeption (Aufnahme, Wahrnehmung, Verständnis und Wertung) bestimmt sind. Wo für Historik nun Typologie eintreten soll, ist zu bedenken, daß auch Typenbildung der Gültigkeit unter bestimmter historischer Zwecksetzung unterliegt: Der Zweck ich ja hier, Übersicht zu gewinnen, um sich später einzelne Arbeiten innerhalb der Kunstentwicklung erklären zu können. Typik als Verlängerung von bestimmten Merkmalen unterliegt der Subjektivierung und der Selektion: Notwendigerweise werden unter vielen möglichen nur einzelne Merkmale herausgegriffen - und keinesfalls sind die typisierten Gegenstände mit dem Typ identisch. Es ist Absicht der beiden vorgelegten Versuche, die Theorie in Gang zu setzen und sie auf den Weg zu bringen - nicht aber ist es Absicht dieser Entwürfe, die (durchaus erfreuliche) Ankunft am Ziel der Reise für die Theorie bereits vorher zu verkünden. Derart nämlich die Überflüssigkeit weiterer Theoriebildung kund zu tun hieße: weiterer Theorie die Zukunft abzusprechen. Dem entgegen wird Theoriebildung hier als ein - im Grunde nie abgeschlossener - Vorgang aufgefaßt. Interpretation und mit ihr Theorie gelten als kontinuierlicher Prozeß (deutlich wird, daß ein jedes Zeichen immer einen Vorgänger und einen Nachfolger hat). Bilder werden selten mit Bildern beantwortet - oft nur in der Kunst: wenn man Variationen, Hommagen oder Zitate als solche Antworten gelten läßt -, im Alltag ist dies kaum gegeben (man denke an die Bildpostkarten-Kommunikation durch Text-Beischriften auf der Bildseite und den handschriftlichen Text auf der Rückseite). Sprache und Bilder in Verhältnissen betreffen also überhaupt kein esoterisches Problem - die Besonderheit dieser Thematik ist allerdings in vorliegendem Beitrag, daß Bilder und Texte in ihrem Verhältnis selbst thematisiert werden, wo sie sich oftmals schon in der Kunst thematisierten: In der Werbung, in der Rhetorik von Ökonomie, Politik und Juristerei werden ästhetische Mittel nur angewendet - in der Kunst hingegen werden sie seit längerem zum Gegenstand gemacht (sie werden untersucht, demonstriert . . .). Was hat sich in den 60er, was in den 70er Jahren begeben, daß eine Thematik wie die Bild/Text-Beziehungen in der Kunst dermaßen affizierend geblieben ist? Seltsam ist es und bemerkenswert, daß Autoren, die bisher über Text/Bild-Beziehungen handelten, selten über einen allgemeinen Ansatz verfügten, so will es mir scheinen - wo deren Sujets, Arbeitsgegenstände und Problematiken gerade durch Allgemeinheit ausgezeichnet waren. Beispiele dafür sind einige programmatische und theoretische Schriften: Die ,Kritik' einer allgemeinen zeichentheoretischen Konzeption bei Dieter Kessler in seinen "Untersuchungen zur Konkreten Dichtung" (Meisenheim 1976) ist gar keine. Kessler hätte - und das ist exemplarisch für eine Begriffsabstinenz - auf vorliegende ausgearbeitete Zeichentheoreme zurückgreifen können; er bezieht sich statt-dessen nur auf eine einzige Einführung. Andere Autoren, die wie Michel Claura (zu "The Book äs Art", 1973 in 'Interfunktionen') ideologiekritisch zu verfahren vorgeben, lassen gleichfalls eine logische wie eine polit-ökonomische Begründung ihres Ideologiebegriffs vermissen. So werden dann diffus Ideologeme gereiht, die sich oftmals widersprechen, wenn sie sich nicht gar gegenseitig ausschließen. Marga van Mechelen erzählt in "Language as Art/Art as Language" bloß die Geschichte der Journale "Art-Language" und "The Fox". Es handelt sich übrigens um eine Dissertation (Arnhem 1978) ebenso wie bei Kesslers und Wolf gang Max Fausts Buch "Bilder werden Worte" (München 1977); wie van Mechelen ist Faust am Nachzeichnen, Zusammenfassen, Paraphrasieren der ohnedies vor sich gehenden Kunstentwicklung orientiert. Vom Gegenstandsbereich her und der Sache nach hat er den umfassendsten Anspruch - diese Verpflichtung löst er leider nicht ein: auf Allgemeinheit und also Verbindlichkeit (etwa von Linguistik, Strukturalismus oder Modelltheorie) glaubt er verzichten zu können. Folglich und entsprechend gibt es bei diesen Autoren keinen Begriff von Bildern und Texten - ganz zu schweigen von einer (die beiden erforderlichen Diskursansätze begründenden) allgemeinen Theorie der Zeichen.

  • Den bislang vorgelegten theoretischen Ansätzen zu Narrative art/Story art fehlt im besonderen ein Begriff von Narrativik und Fiktionalität, von erdachter Geschichte, von Schilderung, Beschreibung oder Erzählung (eine Verweisung auf Uneinigkeit von vorgeblichen Fachleuten enthebt einen da überhaupt nicht der Begriffsbildung). Leopold Rombach schließlich, der mit "Zehn Sätze zur Fotografie" (in Kunstforum 30) einen Ansatz zur Bildtheorie auf dem Sektor ihrer technischen (Re-) Produktion bieten will, läßt vor allem einen Bezug zur Sprache vermissen - nochmals: kein Denken ohne Sprache, keine Planung und keine Interpretation eines Bildes ohne Denken und ohne Sprache! ,Code' ist Rombachs zentraler Begriff - er greift einige Gedanken von Umberto Eco, so auch Ecos Kritik am Ikon-Begriff von Ch. W. Morris, auf. Die Eco-Kritik an Morris berücksichtigt aber selbst nur Morris" Auffassungen von 1938/39! Spätere Kritik und Weiterarbeit von Morris an seinem Konzept in "Zeichen, Sprache, Verhalten" und "Zeichen, Wert, Ästhetik" bleiben bei Eco ebenso unberücksichtigt wie bei Rombach. Intuitionisten und Einfühlsame allesamt! Als bloße Liebhaber gehen sie beschreibend und zugleich vorschreibend, aber auch polemisch und propagatorisch vor: Die geliebten Werke werden vom Theoretiker sich selbst anverwandelt, ohne daß aber für die ästhetische Praxis relevante Proklamationen oder Positionen die Resultate gewesen wären.

    2. Verdinglichung Die Realität unserer Alltagsumgebung, aber auch die Realität von Kunst und für die Kunst wird mehr und mehr eine durch Zeichen bereits vermittelte Wirklichkeit; in der Alltagsrealität ebenso wie in der Realität der Kunst schwindet zusehends der direkte Bezug, die Unvermitteltheit, die Unmittelbarkeit. In gleicher Weise wird die unbearbeitete Natur immer weiter zurückgedrängt von Aneignungsformen des Menschen. Eine solche Form von Vermittlung der Wirklichkeit und menschlicher Aneignung von Natur ist in unserem Falle die ideelle Produktion, Verteilung und Aufnahme oder Wahrnehmung von Zeichen - sie haben unsere Wirklichkeit mehr und mehr zur ,Zeichenwelt' werden lassen. Die zunehmende 'Desymbolisierung' (Alfred Lorenzer) ist die andere Seite der fortschreitenden ,Semiotisierung' (Max Bense) unserer Alltagsumgebung: wo nämlich die Wirklichkeit nicht mehr durch Zeichenhandlungen nach dem Prinzip der Repräsentation bewältigt werden kann, d. h. nicht mehr durch Vermittlung, Stellvertretung und Ersetzung in und durch Zeichen, werden in unserer Gesellschaft Auseinandersetzungen immer mehr durch unmittelbare Gewalt in der Präsenz des Hier und Jetzt ausgetragen. Als Verdinglichung der menschlichen Beziehungen lassen sich viele dieser Erscheinungen verstehen, oder sie lassen sich auf Verdinglichung des Bewußtseins zurückführen. Es sind Erscheinungsformen der Entfremdung der Menschen von ihrer Arbeit und von den Arbeitsprodukten, von den Resultaten ihrer bewußten Tätigkeit, auch Formen von Entfremdung der Menschen voneinander. Durch Verlust an Unmittelbarkeit sind zunehmend die Beziehungen der Menschen bestimmt. Solche Beziehungen werden gerade über Waren vermittelt, durch den Warencharakter der Arbeit und ihrer Produkte, und scheinhaft nehmen diese Beziehungen die Form von Dingen und Sachen an. Es gibt nun Ideologien, die der Verdinglichung menschlicher Beziehungen und des menschlichen Bewußtseins entsprechen: im Alltagsleben wirksame Ideologien sind jetzt Gegenstände der Kunst geworden. Als Formen von Fetischisierung und Ritualisierung darf aber diese Kunst nicht mit ihren Gegenständen verwechselt werden, wo Gegenstände gerade das falsche Bewußtsein, die Ideologie von modernem Primitivismus und Regression auf Magie sind. Darin ist ein Regressionsphänomen zu erblicken, daß oft die Zeichen als Mittel mit den Objekten der Bezeichnung identisch gesetzt werden. In solchen Fällen werden Zeichen als Erscheinungsformen des bewußten Seins auf ihr bloßes Dasein reduziert. Das geschieht z. B. beim Ausstechen von (abgebildeten) Augen, beim Verbrennen von Strohpuppen, Emblemen, Fahnen, Befehlen . . . Die angerissenen Fragen der Verdinglichung menschlicher Beziehungen und der Verlust an Unmittelbarkeit im Alltagsleben werden in den zeitgenössischen Künsten thematisiert, sie sollen sinnlich zur Anschauung und zur sinnlichen Erkenntnis gebracht werden. In Formen der Reduktion, des 'Rückgängigmachens' von vermittelnden Zeichen auf Dinge und Sachen, wird der Versuch vorgeführt, Unmittelbarkeit zwischen den Menschen in der Kunst (wieder) herzustellen. Die (vormals in Kunstformen der Darstellung bezeichneten) Dinge werden in den Formen von Magie zum Schein lebendig: als Fetische und als Rituale werden Dinge, Sachen, Ereignis- oder Handlungsformen zu quasi übersinnlichen Zeichen oder zu 'Zeichen des Übersinnlichen'. Neben solcher Rückführung oder Reduktion von Zeichengebilden auf Gegenstände der Präsentation (Ausstellung, Vorzeigen, Hinstellen, Vorführung, Hinweis und Darbietung sind gleichbedeutende Formen und Techniken) wird andererseits in den zeitgenössischen Künsten die Vermitteltheit der menschlichen Beziehungen zum Thema gemacht und Vermittlung selbst Gegenstand. Kunstwerke als Zeichengebilde behandeln einerseits die Zeichenwelt und die zeichenhafte Vermittlung der Alltagsrealität: seit die Kubisten begannen, zeichenhafte Bestandteile der Wirklichkeit in ihren papiers collés als zunächst unzusammenhängendes Material aus unterschiedlichen Umgebungen in der Collage zu kombinieren - fortgeführt in (ideologisch zwar anders begründeten) Formen von den Futuristen, den Dadaisten und Surrealisten, z. B. von F. T. Marinetti, Kurt Schwitters oder Max Ernst; zeichenhafte Bestandteile der

  • Wirklichkeit wurden in neue Zusammenhänge überführt, wie dies in der Montage von den Konstruktivisten entwickelt wurde, etwa von Iwan Puni, El Lissitzky und László Moholy-Nagy. Es werden andererseits ästhetische Zeichen über/von/für Zeichen gebildet: Pop art und Fotorealismus spätestens weisen Sujets auf, die für sich bereits zeichenhafte Vermittlungsrealität besaßen. Die Konzeptkunst entwirft oftmals mögliche, aber (noch) nicht existente Kunstwerke, oder sie handelt über Kunst. Aus beiden - bloß scheinbar entgegengesetzten - Versuchen, in der Kunst Vermitteltheit zu thematisieren und mit der Kunst Unmittelbarkeit zu verwirklichen, werden im vorliegenden Beitrag zum ästhetischen Zeichen als Text und Bild Fragen der Bedeutung/Semantik wie der Bezeichnung/Sigmatik ausgewählt und auf ihre Grundlagen, Bedingungen und Funktionen untersucht. Thematisiert wird im folgenden auch die Auffassung, daß die zunehmende ,Semiotisierung' unserer Umwelt: die Ausdehnung der Zeichenwelt - wie andererseits: die Reduktion von Zeichen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit den Formen von 'Desymbolisierung' neue Zusammenhänge erst selbst schaffen; dieser Problembereich ist ebenfalls in Wort/Bild-Beziehungen zu thematisieren. Insbesondere soll die Unterscheidung von Formen der Korrelation von Text und Bild möglich werden, um sie auf den Begriff bringen zu können. Die beiden skizzierten Bereiche der Thematik werden unter der Voraussetzung untersucht, daß ein ,Prinzip des Zusammenhangs' existiert - dieses Kohärenz-Prinzip ist für sich aber nicht Gegenstand der Kunsttheorie. Wenn Bestandteile der Wirklichkeit den Menschen unzusammenhängend, nämlich offen, unvollständig oder ungeordnet, also inkohärent erscheinen, dann sind die Menschen bestrebt, zwischen diesen Teilen Kohärenz zu schaffen, d. h. jeweils Zusammenhang oder Ordnung, Abgeschlossenheit und Vollständigkeit herzustellen. Die Voraussetzung oder Unterstellung besagt: Lücken oder Sprünge gebe es in der Wirklichkeit nicht - oder dürfe es doch nicht geben. Als besondere Formen werden daher Beispiele nichtkohärenter Text/Bild-Nebeneinanderstellungen in der Gegenwartskunst behandelt, aus denen hernach Gesetzmäßigkeiten der Herstellung und Entnahme von Information ermittelt werden können - diese Beispiele der Gegenwartskunst sind vorwegnehmend durch folgende Merkmale zu charakterisieren (geordnet nach den vier Zeichendimensionen): - Formlosigkeit, Unordnung, Chaotik: syntaktische Indeterminiertheit, - Abwesenheit von Bedeutung: semantische Leere, - Gegenstandslosigkeit: sigmatische Vakanz sowie - Intentionslosigkeit: pragmatische Offenheit. Gefragt wird nach der Struktur der Zeichen entsprechend ihren Dimensionen: Was ist Zeichenzusammenhang, Dichte oder Kohärenz von Zeichen in Text/Bild-Beziehungen? Den Prozeß der Konstitution und Vermittlung von Zeichen in den unterschiedlichen gegenwärtigen Kunstformen betrifft die Frage: Wie entsteht Zeichenzusammenhang in Text/Bild-Beziehungen? Wie erscheint er als Vermittlungsgegenstand? Zunächst wird hier nach den Folgen in der Kunstentwicklung gefragt, insbesondere wo Kunst über Kunst handelt: Welche Funktion hat Zeichenzusammenhang in Text/Bild-Beziehungen?

    3. Bilder Wort/Bild-Verknüpfungen sind nun in ihren Bestandteilen zu betrachten: vorderhand werden Bilder für sich und danach erst im Zusammenhang mit Sprache untersucht. Bilder werden als Modelle verstanden - dieser Ansatz soll an einem Beispiel erörtert werden: Abb. Arthur Koepcke, ORIGINAL Wiedergegeben sind hier in einer Reproduktion fünf 'Bilder', von denen die gleichlautenden Beischriften behaupten, es seien jeweils Originale (gewesen): Zu bestimmen ist, wann und unter welchen Bedingungen dies der Fall ist/war. Von Interesse ist zunächst die Funktion des Rahmens: als Grenzanzeiger zwischen 'Nicht-Original' und 'Original', zwischen 'Nicht-Bild' und 'Bild'. Im ersten Bild (ich zähle von links oben nach rechts unten) ist Druckvorlage das gestempelte Wort 'ORIGINAL' in einem Rahmen, der wie bei den anderen vier Bildern gestempelt und mit Filzstift nachgezogen ist. Das begriffliche Zeichen 'Original' steht in symbolischem Objektbezug; es ist die Bezeichnung einer Bezeichnung - fraglich ist, ob hier eine Tautologie vorliegt: als Abbildung (in ikonischem Objektbezug) wird nur die Wiedergabe eines gestempelten Letternbildes geboten. Die Reproduktion des gestempelten Wortes und des beschrifteten Stücks Papier ist nicht das, was es bezeichnet und als was es bezeichnet wird: die Bezeichnung .Original' wird hier nicht im Original vorgezeigt. Das dritte Bild hat als Vorlage einen realen Daumenabdruck mit Stempelfarbe; in seinem Objektbezug ist dieses visuelle Zeichen ein Index - die Kriminologie verwendet solche Zeichen als Indizien, sie stehen für die Identität der Person, von der sie abgenommen sind. (Piero Manzoni signierte aus dieser Erwägung damit seine Bilder.) Nur dieser direkte Abdruck vom Daumen ist nach unserem Alltagsverstand das, als was er bezeichnet wird: ein Original, nämlich ein Exempel für einen Original-Fingerabdruck und nicht eine Reproduktion von einem Fingerabdruck - bei den anderen bildlichen Zeichen ist original nur die Farbe, das Papier, das Material des Zeichenträgers.

  • Gezeichnet sind die Bilder 2 und 4: im zweiten Bild ist die Vorlage der Reproduktion eine Umrißzeichnung eines realen Daumens mit Filzschreiber. Die Vorlage für Abbildung 4 ist eine Zeichnung nach einem Daumen. Für das fünfte Bild ist die Vorlage eine ausgeschnittene technische, fotografische Reproduktion eines Daumens. Die Abbildungen 2, 4 und 5 sind ihrem Objektbezug nach Ikons. In der Abfolge der Bilder 2, 4 und 5 lassen sich Stufen der Abbildlichkeit (Ikonizität) aufzeigen: ausgehend von .handgemachten' Bildern (das zweite Bild hat mit seinem Objekt nur die metrischen Merkmale des Umrisses gemeinsam) bis hin zur technischen Reproduktion, bei der sich die gemeinsamen Merkmale von Bild und Objekt/Original erheblich steigern; solche Grade der Ikonizität staffeln sich von der Begrifflichkeit, der Abstraktion oder Generalisierung abnehmend bis hin zur Bildlichkeit und Anzeichenhaftigkeit (Kontiguität): von völliger Nichtidentität bis zur Identität von Gegenständen der Bezeichnung - diese können bei bloßem Vorzeigen etwa als Exempel für den Begriff in seiner Nichtidentität vorgeführt werden; oder sie sind Verweisungsgegenstände, z. B. pars pro toto für eine weitere Umgebung von Gegenständen. (Daß es noch andere Möglichkeiten der Abbildung als die in dem Blatt gezeigten gibt, meint Koepcke mit "&c.".) 'Original' ist ein relationaler Begriff: wird die Bestimmung ,. . . ist ein Original' einem Ding, Ereignis usw. zugesprochen, so ist immer die Frage: Original in Hinsicht auf was? Dazu will ich in dem vorliegenden Blatt von Koepcke bzw. seiner Reproduktion Abbildungsstufen (Stufen der Modellierung) zurückverfolgen: I. Als Druckvorlage ist das Blatt, das ich besitze und das hier reproduziert ist, das Original - als Detail auf meinem Exemplar ist ein Original nur das Bild 3 in der Mitte, der Daumenabdruck. II. Die Druckvorlage zu dem Blatt, das ich besitze, ist das Original in Hinsicht auf die Bilder 1,2,4 und 5. Die vorliegende Reproduktion in diesem Band "Bilder und Sprache, Sprachbilder und Bildersprache" ist also die Reproduktion einer Reproduktion. III. In der Druckvorlage, die der Künstler selbst angefertigt hat, ist das Bild 5 kein Original - dieses fünfte Bild ist selbst eine Reproduktion; dazu gibt es wiederum ein Vorbild: IV. Wenn die Vorlage zum 5. Bild ein Ausschnitt aus der Zeitung, aus einem Buch oder Heft ist, dann ist die dort abgebildete Fotografie das Original. Trifft es nicht zu, daß Bild 5 nach einem bereits vorliegenden Druck reproduziert wurde, so entfällt diese Stufe IV. V. Wenn die Vorlage zu Bild 5 eine (,echte') Fotografie ist, dann ist der abgebildete Daumen zu dem Foto das Original. Bilder sind nach unserem Alltagsverständnis ikonische, nämlich sinnlich-ähnliche Zeichen, und entsprechend können Bilder als Modelle aufgefaßt werden. Mit Blick auf ihre Modellobjekte können Grade der ,Abbildlichkeit' oder Ikonizität von Bildern differenziert werden, je nachdem ob gleichbleibende Merkmale ansteigen, nämlich entfallende oder hinzutretende Merkmale sich vermindern. Skizzen, Entwürfe und andere bildnerische Modelle zu Originalen (die real noch gar nicht existieren müssen) werden als Bilder für etwas auf Grund ihrer Stellvertretung und Ersetzung unterschieden von Bildern von etwas; in der Funktion von Anzeige und Verweisung kommen diese Bilder von etwas z. B. in der Fotografie auf Grund eines kausalen Zusammenhangs der technischen Produktion und Reproduktion zustande. Ein Ölgemälde oder eine Graphik ist selbstverständlich noch kein Beweis für die tatsächliche Existenz des abgebildeten Gegenstandes, es besteht nur die Möglichkeit vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger Existenz. Von einer Fotografie (Life-Foto oder Schnappschuß) läßt sich wie von einem Indiz auf die wirkliche Existenz des abgebildeten Gegenstandes schließen; so werden Fotos vielfach als .Erkenntnisse', will sagen als Beweise benutzt. Nicht die Frage nach Ähnlichkeit auf der Objektebene ist zu stellen (,wie ein Ei dem anderen gleicht'), sondern die Frage der Ähnlichkeit ist hier verknüpft mit der Funktion des Repräsentierens, von Zeichenhaftigkeit überhaupt, also von semantischen Stufen des Bezeichneten und des Bezeichnenden.

    4. Wörter Beim Übergang von Bildern zu Text/Bild-Verknüpfungen können unterschiedliche Funktionen von Sprache betrachtet werden, wenn Sprache zu vorliegenden Bildern hinzutritt. Zuordnungen von Wörtern und Bildern sind danach zu bestimmen, ob etwa die Text-Beischriften Bedeutungen hervorrufen, welche so im Bild nicht vorgegeben und aufzufinden sind. Durch Sprache wird dabei auf Begriffe/Abstrakta Bezug genommen, welche nicht (allein) die in den Bildern wiedergegebenen Objekte meinen, sondern eine zusätzliche Bedeutung enthalten oder gar erst schaffen - zu denen die abgebildeten Objekte aber anscheinend Beispiele sind. ("Anmut und Schönheit" heißt etwa ein Kapitel in J. M. Kraußes "Sammelwerk", das u. a. aus Sammelbildern und einem Album mit Bildbeischriften besteht.) Andererseits hat Sprache, die Bildern zugeordnet wird, die Aufgabe, bestimmte abgebildete Objekte zu individualisieren und zu identifizieren; dabei trifft Sprache eine Auswahl aus einer (in den Bildern selbst nicht schon geordneten) Menge von Merkmalen der Gegenstandsbedeutungen von abgebildeten Objekten und bringt diese auf den Begriff ("Schatten des Nichts" von Schwitters, "Metapsychische Landschaft" von Dubuffet oder "Schnelle Aufzeichnung eines Traumes" von Dali sind Beispiele). Weiterhin werden Bilder mit der zugeordneten Sprache individualisiert und identifiziert, indem sie etwa als Titel nun Namen erhalten (z. B. "Merzbild P", "Proun", "Das große Glas").

  • Schließlich ist es eine Aufgabe der den Bildern zugeordneten Sprache, diese einzelnen Abbildungen in Mengen zusammenzufassen, sie nach gemeinsamen Merkmalen zu abstrahieren, zu verallgemeinern und zu klassifizieren. ("Collage", "Stilleben", "Skizze", "Komposition" -ja sogar "Ohne Titel" - sind konventionelle Beispiele.) In Formen der Zuordnung von Texten zu Bildern lassen sich darüber hinaus unterschiedliche Funktionen der Vereinzelung oder aber Verallgemeinerung durch Sprache angeben: insbesondere wo es sich um Dokumentationen von Dingen oder Ereignissen, um Beschreibungen und Identifizierungen von Bildern handelt; des weiteren leistet Sprache die Funktion der Generalisierung einzelner Bilder. Dazu wiederum ein Exempel: Abb. Robin Page, "Ceci n'est pas . . ." Dieses Gemälde von Robin Page (1972) enthält eine Schriftzeile: "Ceci n'est pas l'habit neuf du roi." Es handelt sich bei "l'habit neuf du roi" um eine Redensart, die im Deutschen im Plural steht und nicht von einem König, sondern von einem Kaiser berichtet: "des Kaisers neue Kleider". Schon im Schriftbild wird hier auf René Magrittes Bild "L'usage de la parole I" ("Der Sprachgebrauch I") (1928/29) Bezug genommen: In Magrittes sattsam bekanntem Bild ist eine Pfeife abgebildet - mit der Beischrift "Ceci n'est pas une pipe." Bei Magritte handelt es sich um die Verneinung des Abbildungsobjekts .Pfeife' als Original, um die Verweisung auf den Modellcharakter oder die Abbildungsrealität. Wäre Pages Bild nur eine Paraphrase zu Magritte, so müßte seine Bild-Inschrift lauten: "Dies ist kein Kleiderbügel." Entgegen Magrittc handelt es sich bei Page um die Negation eines gar nicht abbildbaren Abbildungsobjekts, eines nicht existenten und auch nicht möglichen Originals, und um den Hinweis auf ein (unmögliches) Modell und dessen Abbildungsrealität entsprechend einem an sich eben nicht abzubildenden Objekt: Es gibt per definitionem kein visuelles Äquivalent für "des Kaisers neue Kleider"; das wäre eine Aporie und enthielte einen Widerspruch in sich. Abgebildet ist tatsächlich ein Kleiderbügel - sind aber auch die Sprachlettern (nur) abgebildet? Halten wir uns im folgenden an die wörtliche Übersetzung: "Dies ist nicht des Königs neues Kleid", wenn die Möglichkeiten der Zuordnung von sprachlicher Aussage zur Abbildung des Gebrauchsgegenstandes .Kleiderbügel* wie der Schriftlettern aufgestellt werden: Worauf bezieht sich denn die Aussage der Beischrift? Als Möglichkeiten bieten sich an: 1. ,Dieser Kleiderbügel ist nicht des Königs neues Kleid.' 2. ,Ein (jeder) Kleiderbügel ist nicht des Königs neues Kleid.' 3. ,Diese Abbildung eines Kleiderbügels ist nicht des Königs neues Kleid.' 4. ,Eine (jede) Abbildung eines Kleiderbügels ist nicht des Königs neues Kleid.' 5. Oberhalb der Beschriftung, oberhalb des geschriebenen Satzes "Dies ist nicht des Königs neues Kleid" ist des Königs neues Kleid wiedergegeben - diese Wiedergabe ist nicht identisch mit der Aussage über die Wiedergabe. 6. Das Wort .Dieses' ist nicht des Königs neues Kleid, sondern des Königs neues Kleid ist oberhalb der Zeile abgebildet, in der das Wort vorkommt. 7. Der Satz "Dies ist nicht des Königs neues Kleid" impliziert also mehrere Aussageebenen (semantische Stufen): - die Objektebene von Kleiderbügel und des Königs neuem Kleid als semantische Nullstufe - dazu rechnen womöglich auch die Lettern der Schriftzeile als materielle Objekte; - die Abbildung des Kleiderbügels und möglicherweise der Schriftlettern als Gemälde bilden die erste semantische Stufe; - die sprachliche Feststellung über die Abbildung ist die zweite semantische Stufe; - es gibt eine dritte sematische Stufe, wenn die sprachliche Feststellung auf sich selbst, auf den feststellenden Satz bezogen wird; - eine vierte sematische Stufe ist anzunehmen, wenn wir uns auf die vorliegende Druckreproduktion des Bildes beziehen (oder liegen zwischen Gemälde und der vorliegenden Reproduktion womöglich noch weitere Stufen?). Das Gegenstück zur Hierarchisierung in semantischen Stufen, zur Metazeichenbildung von .Zeichen des Zeichens . . .' ist die Verminderung oder Abschwächung von semantischen Stufen: die Reduktion von .Zeichen des Zeichens' auf .Zeichen' und die Reduktion von .Zeichen' auf das jeweils bezeichnete Objekt (bei selbstbezüglichen Zeichen ist dieses Objekt z.B. ein Lettern-Exemplar). Unterschiedliche Objektbezüge sollen an einem Beispiel erläutert werden. Bildgedichte sind graphisch-bildlich mehrdeutige Figuren und mehrfach bezeichnende Texte, an denen u. a. die semantischen Stufen von Objekt, Zeichen/Metaobjekt und Metazeichen aufgewiesen werden können: Abb. André Thomkins, handlesen Die Gestalt, in der dieser Text gesetzt wurde, bildet eine Hand nach -jedenfalls erinnert sie von Ferne an den Umriß einer Hand: zu sehen sind (Äquivalente für) fünf Finger und eine Handfläche. Damit ist vorderhand auf eine Ebene der visuellen Ähnlichkeit verwiesen - eine zweite Ebene bildet der Text: eine Ordnung unähnlicher, abstrakter, symbolischer Sprachzeichen. Innerhalb dieser ,Hand'-Gestalt, die dem Wahrnehmungsmuster einer sichtbaren Hand und des Bildes einer Hand entsprechen soll, kann man nun die Schrift als Text entziffern; ,handlesen' ist hier wörtlich genommen und auf die eigene Präsentation des Textes angewendet. Aus dem einen Wort 'handlesen' wurden von Thomkins 35 Anagramme gebildet. Anagramm heißt im Deutschen 'Letternkehr': Durch Umstellung von einzelnen Buchstaben kommen Wörter mit neuer, anderer Bedeutung und

  • Bezeichnung zustande. Die Voraussetzung dafür, daß in der Weise mit demselben konstanten Bestand an Letternzeichen neue Wörter gebildet werden können, ist damit gegeben, daß die Letternzeichen als Repertoire von Einheiten/Elementen gegeneinander abgeschlossen, in sich vollständig und miteinander unverbunden sind, daß die Lettern einzeln oder in Zusammensetzung bestimmte Laute (Lautbegriffe) bezeichnen: unsere Buchstabenschrift bezeichnet bekanntlich zunächst die gesprochene Sprache und benennt nicht etwa 'unmittelbar' Gegenstände. Zu unterscheiden sind in Interpretationen von Bildgedichten - die Identifizierung (von Bestandteilen) der Bilder auf der Objektebene, - die Klassifizierung der Metaobjekte, der Sprach- oder Bildzeichen und - die Kategorisierung der Metazeichen.

    5. Text/Bild-Beziehungen Typisieren will ich die Zuordnung von Text und Bild nach Prinzipien von Nebenordnung, Überordnung und von gegenseitigem Vervollständigen oder Abschließen. Solche Prinzipien sind mit Zeichenoperationen zu begründen, und zwar mit Operationen der nebenordnenden Adjunktion gleichberechtigter Elemente (in der Bildnerei sind es z. B. 'Akkumulationen' von Arman), der überordnenden Superisation von Einheiten zu ,höheren' Ganzheiten (etwa von Rasterpunkten zu wahrnehmbaren Figuren oder Gestalten) sowie der vervollständigenden bzw. abschließenden Iteration von Zeichen (wie bei Shusaku Arakawas "Mechanismus der Bedeutung" in vielen Beispielen). Diesen Prinzipien entsprechen neun Typen der Text/Bild-Zuordnung: 1. Texte beziehen sich auf Bilder, Bilder beziehen sich auf Texte, wobei der Bezug erst in der Wahrnehmung zu realisieren ist; hier liegt einfache Nebeneinanderstellung von Texten und Bildern vor, die für sich zunächst unverbunden sind (Beispiele in den ,cadavres exquis' der Surrealisten); 2. Texte sind Teilzeichen von/in Bildern, sie bestimmen das Bild als Zeichenganzheit (wie in vielen Assemblagen und Collagen) ; 3. Bilder sind vielfach Teilzeichen innerhalb der Zeichenganzheit von Texten (z. B. in Illustrationen zu Texten); 4. Texte mit Bildern oder Bilder zu Texten geben eine integrierte Zuordnung ab: gegenseitig vervollständigen sie sich nach ihrem besonderen Leistungsvermögen, ohne daß sie unnötige Wiederholung von Information oder überflüssige Inhalte (Redundanz) aufweisen (wie in Bilddokumentationen mit Sachtexten); 5. Texte zu Bildern vervollständigen diese in gleicher Weise, wo Bilder mit Texten vorkommen; 6. Texte werden wie Bilder präsentiert; die Texte sind als ,Schriftstücke' nach Wahrnehmungsmustern von Gegenständen und Bildern geordnet (beispielsweise in Bildgedichten); 7. Bilder werden der Gestalt von Texten angeglichen (wie dies in den Schreibspuren der Skripturalen Malerei jenseits der Literatur der Fall ist); 8. Bilder werden durch Texte ersetzt - in einer Umgebung, die Bilder erwartbar macht, werden Texte präsentiert (Texte nutzt in solcher Weise die Konzeptkunst); 9. ohne Beischriften werden Bilder, teils anstelle von Texten, in einem Zusammenhang dargeboten, wo Texte erwartet und nun ersetzt werden (das ist der Fall in "Eine Zeit ohne Wörter" von Jürgen Becker und in etlichen Arbeiten von Hans-Peter Feldmann wie seiner Zeitschrift "Image"). Die Bezugnahmen von Texten auf Bilder und von Bildern auf Texte, nämlich die Übergänge von Texten oder Bildern zu Bildern öder Texten sind zunächst einmal als .einfache', zweistellige Relationen gekennzeichnet. Bei der Herstellung von Zusammenhängen/Kohärenzen zwischen Text und Bild werden die Zuordnungen/Korrelationen durch entsprechende Operationen mit und an Zeichen dann immer gerichtete Größen: Funktionen im engeren Sinne. Wort/Bild-Verknüpfungen können auch danach detailliert und differenziert werden, ob ihnen schwerpunktmäßig Bilder oder Wörter zugrunde liegen: Bilder, die auf Texten basieren, sind Realisationen von Texten, auch als Anweisungen zur materiellen Ausführung von Bildern; Bild-Anweisungen zu Realisationen sollen Texte als Resultate haben. Bildliche Interpretation von Texten fasse ich als Abbildung von Beispielen der sprachlich-abstrakten Symbolisierung auf, wie sie etwa im Bilderrätsel (Rebus) gegeben wird. Auf der Objekt-Ebene werden dabei zunächst imaginär bestimmte Beispiele für Begriffe präsentiert und auf der Bild-Ebene real ikonisch repräsentiert. Diese Exempel sollen ein zweites Mal sprachlich repräsentiert werden: die sprachliche Bezeichnung hat der Betrachter/Leser selbst zu leisten - er hat Begriffe zu den Beispielen zu bilden. Aus den Begriffs-Wörtern setzt sich schließlich die Rätsellösung zusammen, die aber oft gänzlich andere Gegenstände bezeichnet als die Bilder für sich zeigen. (Vielfach kommen in der Rebus-Rätsellösung Wörter vor, die nur so ähnlich klingen wie die Begriffswörter zu den abgebildeten Exempeln, z. B. Homophone - auf weitere Probleme der Segmentierung kann hier nicht mehr eingegangen werden.) Abb. Boecker/Niedecken, Rebus Die materielle Ausführung von Anweisungen durch Texte bringt erst einmal die Herabsetzung der Text-Zeichen: die Reduktion auf die Objektebene der Texte und führt zu Formen der Präsentation bloßer Dinge oder Ereignisse in der Kunstentwicklung. Ein weiterer Bereich der Realisationen sind Objektzeichen, die mit Objekthandlungen verbunden sind, so z. B. "Handlungen im und am Buch".

  • Texte, denen Bilder zugrunde liegen, sind als erstes der weite Bereich der Interpretationen im herkömmlichen Sinne von ,Versprachlichung' der Bilder; darüber hinaus sind es .Ideenbilder', in denen sprachlich-symbolisch und abstrakt vermittelte Inhalte illustriert werden. Abb. Arakawa, 'This/That' In diesem Beitrag kann ein erweiterter Text-Begriff vermittelt werden; Texte sind zu erweitern um Bilder, die Texte interpretiere«, und um Bilder, die (Anweisungen der) Texte realisieren. Dabei wird vorderhand Sprache auf den sinnlich-anschaulichen, abbildlichen/ikonischen Aspekt des Zeichenträgers und der Zeichenexemplare von Schrift/Lettern reduziert - Beispiele bieten die Visuelle Poesie und die Skripturale Malerei. Dementgegen werden Bilder in Funktion von Begriffen eingesetzt, wenn es um die Vorführung und Demonstration von Prinzipien und gleichwertigen Gegenstücken/Äquivalenten zu abstrakten Ideen geht: ,Verbildlichung' oder Ikonisierung von Begriffen bietet die "Bildstatistik" von Gerd Arnzt (1930) und in etlichen Beispielen das Werk von Giulio Paolini, etwa seine Arbeit "Mimesi" (1976): zwei Abgüsse ein und derselben Plastik, die als wechselseitige Nachahmungen erscheinen (sollen). Tatsächlich sind sie aber von einem einzigen Prototyp abgenommen: z. B. von der "Medici-Venus"; und sie repräsentieren einander ebenso wenig wie ein Ei das andere, dem es sprichwörtlich gleicht. Mimetik ist nun eine Leistung der Fiktion beim Betrachter, suggeriert durch die Titel-Anweisung, der hier die entscheidende Funktion zukommt. Abb. Giulio Paolini, Mimesi Mitunter sind gegenseitige Bezugnahmen von Wörtern und Bildern nur behauptete und fingierte Zeichengebilde: es sind Wort/ Bild-Verknüpfungen, die ihre Gegenstände erst im Verlauf der Zeichensetzung, während der Ausführung von Zeichenexemplaren hervorbringen, auf die sie sich hernach beziehen. Grundlage bildet dabei das wiederholte Anwenden einer bestimmten Zeichenoperation auf das operationale Zeichen selbst. Abb. Schmit, aus: das gute duenken Beim Versuch, Zusammenhänge zwischen Zeichengebilden herzustellen, die ursprünglich unterschiedlichen semantischen Stufen angehörten, kommt es oft zur Nivellierung dieser semantischen Stufen: die höhere Stufe wird etwa auf die niedere reduziert. Ich nehme an, daß solche Erfahrungen und entsprechende Fähigkeiten wie Kenntnisse des Aufbaus von Zeichengestalten und der Ausbildung von Wahrnehmungsmustern, die auch an die Massenmedien gebunden sind, als Voraussetzung für das Nivellieren semantischer Stufen etwa in Formen der Performances und ähnlicher ästhetischer Aktivitäten wirksam werden. Um Zusammenhänge zwischen Zeichengebilden herzustellen, werden bei der Nivellierung oft auch semantische Stufen angehoben: die niedere Stufe wird auf die höhere .erweitert' - ein Beispiel dafür ist Marcel Broodthaers' ,Musée d'art moderne, département des figures" (1972).

    6. ,Leere Bilder' Irritation über Umfang, Ausdehnung oder Weite und insbesondere über Dichte oder Zusammenhang (Kohärenz) von Zeichen tritt dann auf, wenn in Zeichengebilden Leerstellen (z. B. Sprechpausen oder Druckspatien) zu anderen Zwecken als zur Signalsetzung für zeitliche bzw. räumliche Begrenzung, etwa des Anfangs oder Schlusses von Zeichengebilden, verwendet werden. Beispiele für solche ,leeren Zeichen': - Arnulf Rainer übermalte monochrom Bilder, so auch bei einer Preisverleihung das preisgekrönte Bild; - John Cages Stück "4'33" " besteht aus vier Minuten und 33 Sekunden Stille; - György Ligeti erklärte unter dem Titel "Die Zukunft der Musik" die Ereignisse und die Handlungen des Publikums während der von Ligeti selbst leergelassenen Zeit zu einer ,kollektiven Komposition'. Im Übergang vom Text zum Bild sind als Exempel für ,leere Zeichen' zu nennen: - Gerhard Ruhms "lehrsätze über das weltall", darin sind ganze Seiten mit Ausnahme weniger Wörter eingeschwärzt; - Broodthaers' Interpretation von Mallarmé, in der sämtliche Zeichen des Gedichts "Un coup de des jamais n'abolira le hasard" durch schwarze Balken ersetzt sind. Übergänge vom Bild zum Text markieren folgende Beispiele: - Statt Bildern präsentierte Arthur Kpepcke die Aufforderung an den Betrachter: "Fill with own imagination!"; - Yves Klein zeigte anstelle eines Bildes die Erklärung: "Zone der reinen bildnerischen Sensibilität". Grenzanzeiger für Texte werden normalerweise außerhalb des erwarteten Zeichengebildes angesiedelt - sie zeigen auch den Umfang, die Weite oder Ausdehnung von Texten an; analog zu Text-Grenzanzeigern fungiert in der überkommenen bildenden Kunst etwa der Rahmen als Grenzanzeiger zum Bildwerk - er ist ersetzbar oder kann ganz entfallen. In der neueren Kunstentwicklung werden Grenzsignale in die Bildnerei selbst hineingenommen - der Rahmen wird Bildgegenstand; ebenso wird in der Skulptur/ Plastik der Sockel Thema, wie dies insbesondere Constantin Bancusi zeigte. Abb. Porrmann, Wand-Bilder Günter Porrmann hat die Bestimmung von .Nichtbild' - ,Bild' in etlichen Arbeiten verkehrt: so formieren z. B. vier Farbtafeln zusammen wie Rahmen eine Zone der Leere; und die .Rahmen' sind - für sich betrachtet -

  • gemalte Bildtafeln. (Um die Malerei so neutral wie möglich zu halten, hat Porrman dafür graue Fußbodenfarbe verwendet.) Es stellt sich bei solchen .leergelassenen Zeichengebilden' wie schon bei der Monochromen Malerei die Frage nach dem Materialbestand an Elementen oder dem Repertoire von Teil-Zeichen als Zeichenmenge: - Wieviele Elemente muß ein Repertoire von Zeichen mindestens enthalten oder umfassen? - Ist eine unechte Teilmenge als Elementenbestand zugelassen, wenn das Repertoire also nur ein einziges Element enthält? Die künstlerische Arbeit (als Selektion aus einem Zeichenrepertoire und Verknüpfung dieser Elemente) besteht nach der hier vertretenen Auffassung aber in der Wahl zwischen verschiedenen möglichen Repertoires - die der Künstler sich selbst untersagt, stattdessen dem Rezipienten anheimstellt: Peter Roehr etwa multiplizierte auch noch identisch seine einfarbig schwarzen, minimal strukturierten Bilder (mit der "Ausstellungsausstellung" von 1967), vergleichbar der Mailänder Ausstellung gleichfarbiger Bilder von Yves Klein 1957. Der ästhetische Prozeß ist demnach auf einer höheren semantischen Stufe angesiedelt, wie sie gewöhnlich der Sprache in Kommentaren und Interpretationen von Werken oder aber ihren Programmen vorbehalten ist.