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Chemiewirtschaft Wie sich die Biotechbranche fühlt Holger Bengs Die Bundesregierung setzt auf eine biobasierte Ökonomie für das Jahr 2030. Der Trend dafür heißt „weg vom Erdöl hin zu biobasierten Produkten“. Passend dazu steigt die Stimmung der Biotechbranche bereits heute. Der Berliner Biotechverband BIO Deutschland hat – wie jährlich seit fünf Jahren – die Stimmung der Bran- che erhoben. 1) Die gute Nachricht da- zu lautet: Die Stimmungsindikatoren erreichen in allen Punkten fast wie- der das Vorkriseniveau und damit den Ausgangszustand. Dies betrifft die aktuelle Geschäftslage, aber auch die Erwartung an die künftige Ent- wicklung: Die Aussicht auf stabile In- vestitionen in Forschung und Ent- wicklung scheint beständig, ebenso wie die Hoffnung auf moderate An- stiege bei den Beschäftigungszahlen. Wachstum und Beschäftigung Für die Bedeutung und weitere Entwicklung der Biotechbranche sind Wachstum und Beschäftigungs- zahlen nicht die einzigen, doch aber wichtige Gradmesser. 2) Zurzeit gibt es 654 Unternehmen in Deutsch- land, die mit Biotechnik forschen und entwickeln oder die Biotechpro- dukte und -Dienstleistungen anbie- ten. Darunter sind 114 Großunter- nehmen verschiedener Branchen, in- klusive Chemie- und Pharma-Unter- nehmen oder Saatguthersteller. Im Jahr 2010 zählte die Branche 31 600 Mitarbeiter. Das scheint nicht viel, wenn allein der Frankfurter Flug- hafen mehr als doppelt so viele hat. Politiker sollten jedoch nicht die Trag- weite innovativer Arbeitsplätze für die Gesamtentwicklung unterschätzen. 3) Das Fraunhofer ISI hat bereits vor Jahren hingewiesen auf die Vervielfa- chungskraft von Biotechnologie-Ar- beitsplätzen im Chemie-, Pharma-, Le- bensmittel-, Landwirtschaft- und Um- weltsektor, wenn vermehrt biotech- nische Methoden zum Einsatz kom- men, um international wettbewerbs- fähige Produkte zu entwickeln. 4) Be- sonderer Stellenwert kommt dabei nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Forschungsinstituten zu. Finanzen und Märkte Den politischen Rahmenbedin- gungen bescheinigt die Stimmungs- umfrage von BIO Deutschland zwar ein hohes Niveau. Allerdings kann sich hinter dieser Stimmung nur Wunschdenken verbergen ange- sichts der schlechten Gesetzeslage bei der – grünen – Pflanzenbiotech- nologie und angesichts der steuerli- chen Rahmenbedingungen für Wag- niskapitalfinanzierungen (Venture Capital). Hier erhalten die Regie- rungsverantwortlichen und politi- schen Entscheidungsträger über- raschend Vorschusslorbeeren. Die Finanzierungen – insbesonde- re risikoreicher Medikamentenfor- schung – verdoppelten sich mit der Einnahme von fast 600 Mio. Euro im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr. Getragen wird dieser Aufschwung je- doch nur von wenigen Finanziers, und so wird das derzeit zur Ver- fügung stehende Venture Capital für viele Biotechunternehmen nicht aus- reichen. Nachschub ist wichtig. Allerdings wäre der Blick nur aufs Venture Capital als Flaschenhals für das Wachstum der Branche zu ein- seitig. Etwa ein Fünftel deutscher, zumeist im Pharmasektor angesie- delter Biotechunternehmen ist mit Venture Capital finanziert und von weiteren Finanzierungsrunden ab- hängig. Das Gros, darunter viele profitable Unternehmen, führt ein Dasein in der Marktnische: 87 Pro- zent der 531 kleinen und mittleren Betriebe haben weniger als 50 Mit- arbeiter, die Hälfte davon sogar we- niger als zehn Mitarbeiter. 3) Wer also bei den Politikern mehr Gehör für bessere politische Rah- menbedingungen schaffen will, muss in dieser Konstellation auch intrinsisches Wachstum generieren: Wachstum aus den nicht Venture- Capital-finanzierten Zehn-Mann- Unternehmen heraus. Von dem von der Bundesregie- rung gewünschten Strukturwandel können alle Unternehmen profitie- ren, die sich auf Wachstum und neue, internationale Märkte einlas- sen. Die positive Grundhaltung ist in jedem Falle begrüßenswert und er- freulich. Holger Bengs, ist promovierter Chemiker, Kaufmann und Geschäftsführer von BCNP Consultants, ehemals Dr. Holger Bengs Bio- tech Consulting, in Frankfurt am Main. [email protected] Quellen: 1) BIO Deutschland, Pressemitteilung 18.1.2011. 2) OECD, Key Biotechnology Indicators, 2010. 3) Biotechnologie.de, Die deutsche Biotech- nologie-Branche 2010. 4) Fraunhofer ISI 2006. 446 Nachrichten aus der Chemie | 59 | April 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Wie sich die Biotechbranche fühlt

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�Chemiewirtschaft�

Wie sich die Biotechbranche fühlt

Holger Bengs

Die Bundesregierung setzt auf eine biobasierte Ökonomie für das Jahr 2030. Der Trend dafür heißt „weg vom

Erdöl hin zu biobasierten Produkten“. Passend dazu steigt die Stimmung der Biotechbranche bereits heute.

� Der Berliner Biotechverband BIO Deutschland hat – wie jährlich seit fünf Jahren – die Stimmung der Bran-che erhoben.1) Die gute Nachricht da-zu lautet: Die Stimmungsindikatoren erreichen in allen Punkten fast wie-der das Vorkriseniveau und damit den Ausgangszustand. Dies betrifft die aktuelle Geschäftslage, aber auch die Erwartung an die künftige Ent-wicklung: Die Aussicht auf stabile In-vestitionen in Forschung und Ent-wicklung scheint beständig, ebenso wie die Hoffnung auf moderate An-stiege bei den Beschäftigungszahlen.

Wachstum und Beschäftigung

� Für die Bedeutung und weitere Entwicklung der Biotechbranche sind Wachstum und Beschäftigungs-zahlen nicht die einzigen, doch aber wichtige Gradmesser.2) Zurzeit gibt es 654 Unternehmen in Deutsch-land, die mit Biotechnik forschen und entwickeln oder die Biotechpro-dukte und -Dienstleistungen anbie-ten. Darunter sind 114 Großunter-nehmen verschiedener Branchen, in-klusive Chemie- und Pharma-Unter-nehmen oder Saatguthersteller.

Im Jahr 2010 zählte die Branche 31 600 Mitarbeiter. Das scheint nicht viel, wenn allein der Frankfurter Flug-hafen mehr als doppelt so viele hat. Politiker sollten jedoch nicht die Trag-weite innovativer Arbeitsplätze für die Gesamtentwicklung unterschätzen.3)

Das Fraunhofer ISI hat bereits vor Jahren hingewiesen auf die Vervielfa-chungskraft von Biotechnologie-Ar-

beitsplätzen im Chemie-, Pharma-, Le-bensmittel-, Landwirtschaft- und Um-weltsektor, wenn vermehrt biotech-nische Methoden zum Einsatz kom-men, um international wettbewerbs-fähige Produkte zu entwickeln.4) Be-sonderer Stellenwert kommt dabei nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Forschungsinstituten zu.

Finanzen und Märkte

� Den politischen Rahmenbedin-gungen bescheinigt die Stimmungs-umfrage von BIO Deutschland zwar ein hohes Niveau. Allerdings kann sich hinter dieser Stimmung nur Wunschdenken verbergen ange-sichts der schlechten Gesetzeslage bei der – grünen – Pflanzenbiotech-nologie und angesichts der steuerli-chen Rahmenbedingungen für Wag-niskapitalfinanzierungen (Venture Capital). Hier erhalten die Regie-rungsverantwortlichen und politi-schen Entscheidungsträger über-raschend Vorschusslorbeeren.

Die Finanzierungen – insbesonde-re risikoreicher Medikamentenfor-schung – verdoppelten sich mit der Einnahme von fast 600 Mio. Euro im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr. Getragen wird dieser Aufschwung je-doch nur von wenigen Finanziers, und so wird das derzeit zur Ver-fügung stehende Venture Capital für viele Biotechunternehmen nicht aus-reichen. Nachschub ist wichtig.

Allerdings wäre der Blick nur aufs Venture Capital als Flaschenhals für das Wachstum der Branche zu ein-

seitig. Etwa ein Fünftel deutscher, zumeist im Pharmasektor angesie-delter Biotechunternehmen ist mit Venture Capital finanziert und von weiteren Finanzierungsrunden ab-hängig. Das Gros, darunter viele profitable Unternehmen, führt ein Dasein in der Marktnische: 87 Pro-zent der 531 kleinen und mittleren Betriebe haben weniger als 50 Mit-arbeiter, die Hälfte davon sogar we-niger als zehn Mitarbeiter.3)

Wer also bei den Politikern mehr Gehör für bessere politische Rah-menbedingungen schaffen will, muss in dieser Konstellation auch intrinsisches Wachstum generieren: Wachstum aus den nicht Venture-Capital-finanzierten Zehn-Mann-Unternehmen heraus.

Von dem von der Bundesregie-rung gewünschten Strukturwandel können alle Unternehmen profitie-ren, die sich auf Wachstum und neue, internationale Märkte einlas-sen. Die positive Grundhaltung ist in jedem Falle begrüßenswert und er-freulich.

Holger Bengs, ist promovierter Chemiker,

Kaufmann und Geschäftsführer von BCNP

Consultants, ehemals Dr. Holger Bengs Bio-

tech Consulting, in Frankfurt am Main.

[email protected]

Quellen:

1) BIO Deutschland, Pressemitteilung

18.1.2011.

2) OECD, Key Biotechnology Indicators,

2010.

3) Biotechnologie.de, Die deutsche Biotech-

nologie-Branche 2010.

4) Fraunhofer ISI 2006.

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Nachrichten aus der Chemie | 59 | April 2011 | www.gdch.de/nachrichten