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Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung Demokratie (er-)leben Ein Prinzip in Gesellschaft und Politik 2/3-2006 E 4542 Politik & Unterricht

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Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung

Demokratie (er-)lebenEin Prinzip in Gesellschaft und Politik

2/3-2006

E 4542

Politik & Unterricht

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Politik & Unterricht wird von der Landeszentrale für po litische Bildung Baden-Württemberg herausgegeben.

Herausgeber und ChefredakteurLothar Frick, Direktor der LpB Baden-Württemberg

Geschäftsführender RedakteurDr. Reinhold Weber, LpB Baden-Wü[email protected]

RedaktionJudith Ernst-Schmidt, Oberstudienrätin, Werner-Siemens-Schule(Gewerbliche Schule für Elektrotechnik), Stuttgart Ulrich Manz, Rektor der Schillerschule (Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule), EsslingenDipl.-Päd. Holger Meeh, Studienrat a. e. H.,Pädagogische Hochschule HeidelbergHorst Neumann, Ministerialrat, UmweltministeriumBaden-Württemberg, StuttgartAngelika Schober-Penz, Erich-Bracher-Schule (Kaufmännische Schule), Kornwestheim Karin Schröer, Reallehrerin i. R., Reutlingen

Anschrift der RedaktionStaffl enbergstraße 38, 70184 StuttgartTelefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77Redaktionsassistenz: [email protected]

GestaltungMedienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N., www.8421medien.de

VerlagNeckar-Verlag GmbH, Klosterring 1, 78050 Villingen-SchwenningenAnzeigen: Neckar-Verlag GmbH, Anzeigenleitung: Peter WalterTelefon: 07721/8987-0; Fax: 07721/8987-50; [email protected] gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 01.05.2005.

DruckPFITZER DRUCK GMBH, Benzstraße 39, 71272 Renningen

Politik & Unterricht erscheint vierteljährlichPreis dieser Nummer: Euro 5,60Jahresbezugspreis: Euro 11,20Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich mit je Euro 2,80 in Rechnung gestellt.

Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers und der Redaktion wieder.Nachdruck oder Vervielfältigung auf elektronischen Datenträgern sowie Einspeisung in Datennetze nur mit Genehmigung der Redaktion.

Titelfoto: picture-alliance/dpa

Aufl age dieses Heftes: 19.000 ExemplareRedaktionsschluss: 15. Juni 2006ISSN 0344-3531

Editorial 1Geleitwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport 2Autoren dieses Heftes 2

Unterrichtsvorschläge 3–14Einleitung 3

Baustein A: Demokratie im Alltag (er-)leben 6Baustein B: Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie 6Baustein C: Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen 8Baustein D: Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben 9

Literaturhinweise U 3

Texte und Materialien 17–63Baustein A: Demokratie im Alltag (er-)leben 18Baustein B: Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie 24Baustein C: Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen 34Baustein D: Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben 42

Einleitung: Gabriele Metzler (Federführung) Baustein A, B, C und D: Gabriele Metzler, Daniel Mergner, Daniel Metzger und Tonio Oeftering

In der Mitte dieses Heftes fi nden Sie das Brettspiel »Wer wird Bundeskanzler(in)« eingeheftet. Es steht in Zusammenhang mit dem Materialteil D 6 und wird im Lehrerteil auf Seite 10 näher erläutert.

Inhalt

www.politikundunterricht.de

Heft 2/3–20062./3. Quartal32. Jahrgang

Politik & UnterrichtZeitschrift für die Praxis der politischen Bildung

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EditorialWenn sich die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in der Zeitschrift »Politik & Unterricht« mit dem Thema Demokratie beschäftigt, so ist das ihre ureigensteAufgabe. Seit Jahrzehnten arbeiten wir daran, in der Bürger-schaft und vor allem bei jungen Menschen Wissen über und Verständnis für die Demokratie zu wecken und zu stärken. Nicht nur vor dem Hintergrund zweier Diktaturen auf deut-schem Boden, sondern auch angesichts aktueller Tendenzen, die oft als Politikverdruss umschrieben werden, wird diese Aufgabe zusehends wichtiger.

Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Didaktik der po-litischen Bildung für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit. Das Fach Gemeinschaftskunde hat in Baden-Württemberg Verfassungsrang. »In allen Schulen ist Gemein-schaftskunde ordentliches Lehrfach«, so die Landesverfas-sung in Artikel 21. Diesen Verfassungsauftrag unterstützen wir mit »Politik & Unterricht« nunmehr im 32. Jahrgang der Zeitschrift. Zahlreiche Themenhefte haben wir dabei ganz unterschiedlichen Facetten der Demokratie gewidmet.

Mit dieser Ausgabe wollen wir dieses zentrale Thema in Schule und Unterricht erneut und grundsätzlich aufarbeiten. Dabei haben wir bewusst auf eine klassische Institutio-nenlehre verzichtet. Nicht, weil sie weniger wichtig wäre. Ganz im Gegenteil: Wer Politik verstehen und sich politisch engagieren will, der muss auch Institutionen und Prozesse der Demokratie verstehen. Diese »klassischen« Themen der politischen Bildung sind jedoch in vielen Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien aufbereitet: von den Prinzipien

der freiheitlichen demokratischen Grundordnung über die Grundsätze der Gewaltenteilung bis hin zu Wahlrecht und Wahlsystem.

Mit dem vorliegenden Heft bieten wir dieses Mal einen ergänzenden, lebensweltbezogenen und auch spielerischen Zugang an. Den Lehrkräften des Landes wollen wir damit Unterstützung bei ihrer wichtigen Aufgabe geben, das Be-wusstsein um die Bedeutung der Demokratie bei den Schü-lerinnen und Schülern zu stärken. Zahlreiche Projekt- und Spielvorschläge sollen Lust auf Demokratie machen und zeigen, dass uns das Prinzip der Demokratie im Alltag, in der Gesellschaft und in der Politik tagtäglich begleitet – und dass es der tagtäglichen Umsetzung und Stärkung bedarf.

Lothar Frick Direktor der LpB

Dr. Reinhold WeberGeschäftsführender Redakteur

Die Zeitschriften der LpB im InternetPolitik & Unterricht erreicht seine Leserinnen und Leser nicht nur in Papierform. Die Zahl derjenigen, die online auf die Zeitschrift zur Praxis der politischen Bildung zugrei-fen, wird zusehends größer. Um Ihnen den Zugriff über das Internet zu erleichtern, ist die Website unserer Zeitschrift »umgezogen«.

www.politikundunterricht.deUnter dieser Adresse fi nden Sie ab sofort die aktuellen, aber auch die bereits vergriffenen Hefte von P&U. Die The-menhefte stehen Ihnen zum Download als pdf-Dokument oder als html-Dokument zur Verfügung – der perfekte und unkomplizierte Weg also zur raschen Recherche und zum Weiterverarbeiten von Materialien für den Unterricht. Zu vielen der jüngeren Themenheften fi nden Sie darüber hinaus zusätzliche Unterrichtsmaterialien, Projektvorschläge, Lite-raturhinweise oder kommentierte Internethinweise.

Denselben Service bieten auch die beiden weiteren Zeit-schriften der Landeszentrale für politische Bildung an:

www.buergerimstaat.deDie wissenschaftliche Zeitschrift »Der Bürger im Staat« bietet umfassende Informationen von ausgewiesenen Ex-perten zu aktuellen Themen der Politik und der politischen Bildung. Die älteste und traditionsreiche Zeitschrift der LpB, im Jahr 1950 gegründet, richtet sich vor allem an Mittler der politischen Bildung, an Lehrende und Studierende sowie an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II.

www.deutschlandundeuropa.deDie Reihe »DEUTSCHLAND & EUROPA« richtet sich an Lehr-kräfte der Unterrichtsfächer Gemeinschaftskunde, Geschich-te, Geographie, Deutsch, Kunst und Wirtschaft aller Schul-arten. Das zweimal im Jahr erscheinende Heft zu deutsch-europäischen Themen enthält wissenschaftlich orientierte Aufsätze sowie Materialien für den Einsatz im Unterricht. Auch hier wird methodisch-didaktisches Zusatzmaterial zum kostenfreien Download im Internet angeboten. D&E orien-tiert sich insbesondere an fächerverbindenden Fragestellun-gen und will zu solchen Unterrichtsansätzen motivieren.

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Geleitwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport»Eines Abends, als wir gegessen hatten, sagte Mama, wir sollten sitzen bleiben, Stichwort Familienrat. ... Unseren Familienrat hat Mama erfunden, weil sie für Demokratie ist, das heißt, sie hat’s aus einem Erziehungsbuch, aber meistens bedeutet Familienrat etwas Unangenehmes. Mama und Papa versuchen dabei, uns irgendwas schmackhaft zu machen, von dem sie wissen, dass wir dagegen sind, Wan-derferien zum Beispiel oder dass sie unser Taschengeld nicht erhöhen wollen. Wir reden uns die Köpfe heiß, am Schluss gibt’s eine Abstimmung, und auch wenn wir Kinder drei zu zwei gewinnen, fi nden sie später tausend Gründe, die Sache so zu deichseln, dass es doch nach ihrem Kopf geht.«

Was der 13-jährige Cassius in Lukas Hartmanns Jugendbuch »Die fl iegende Groma« so knapp und nüchtern schildert, beschreibt nicht nur Mechanismen der Demokratie wie Dis-kussion und Abstimmung, sondern berührt zentrale Fragen der Demokratie: Wie viel gilt eine Mehrheitsentscheidung? Kann und darf es Stimmen mit unterschiedlichem Gewicht geben? Welche Erfahrungen machen Kinder und Jugendliche mit demokratischer Entscheidungsfi ndung? Welche Mitbe-stimmungsrechte werden ihnen in der Familie, aber auch in der Öffentlichkeit eingeräumt? Gleichzeitig entlarvt es den Versuch einer Familie, demokratische Spielregeln zu befol-gen: Der Familienrat scheitert, die Familie stolpert über den eigenen Anspruch, weil Kinder und Jugendliche eben noch nicht an allen Entscheidungen gleichberechtigt beteiligt werden können.

Jugendliche reagieren meist empfi ndlich, wenn ihnen ein Recht auf Mitbestimmung verweigert wird – sie fühlen sich übergangen, gerade in einem Alter, in dem sie sich doch schon so erwachsen fühlen. Ein Recht auf Mitbestimmung zu gewähren, bedeutet immer auch, Vertrauen zu schenken und den anderen ernst zu nehmen: Daran können Jugendliche

wachsen. Deshalb lohnt sich die oft mühsame Diskussion und die gemeinsame Entscheidungsfi ndung. Die Glaubwür-digkeit von Demokratie misst sich auch daran, ob und in-wiefern sie im Alltag erlebt wird, im alltäglichen Umgang zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern.

Das vorliegende Heft der Landeszentrale für politische Bildung will nicht nur Kenntnisse vermitteln, sondern die Schülerinnen und Schüler auch in demokratische Prozesse »verwickeln«. Durch abwechslungsreiche Plan- und Rollen-spiele können sie in spielerischer Auseinandersetzung er-leben, welche Vorteile die Demokratie hat, wie man in der Demokratie verhandelt, warum in der Demokratie viel ge-stritten wird und wie man einen gerechten Staat schaffen kann. Spannenden Diskussionsstoff bieten Materialien zum Wahlrecht für Kinder und zur Rolle von Interessengruppen.

Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport hofft, dass das vorliegende Heft vielfach genutzt wird, damit Jugendliche in der Schule nicht nur Wissen über Demokratie erwerben, sondern auch Demokratie erleben. Denn nur gelebte und erlebte Demokratie bleibt lebendig.

Johanna SeebacherMinisterium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

AUTOREN DIESES HEFTESTonio Oeftering studiert Politik- und Erziehungswissenschaft auf Diplom an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und steht kurz vor dem Abschluss.Dr. Gabriele Metzler (federführend) ist Dozentin für Politik-wissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.Daniel Mergner ist ein angehender Grundschullehrer aus Freiburg.Daniel Metzger ist Realschullehrer in Wolfach.

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●●● EINLEITUNG

Der weltweite Siegeszug demokratisch legitimierter politi-scher Ordnungen wird heute allgemein konstatiert. »Demo-kratie«, so Claus Offe, gilt als »die ›moderne‹ Organisations-form politischer Herrschaft«. Kaum ein Staat verzichtet in-sofern darauf, sich seinen Bürgern und der Weltgesellschaft als »intakte Demokratie« zu präsentieren. Nordkoreas Kim Jong II, Simbabwes Diktator Robert Mugabe, die afghani-schen Taliban sowie regional und lokal agierende Kriegsher-ren fragmentierter Staaten – sie alle waren und sind in der ihnen eigenen, oft auch psychopathisch angereicherten Fan-tasiewelt glühende Demokraten. Es ist von daher notwendig zu unterscheiden, ob es sich bei der Betrachtung demokra-tischer Staatsformen um wirkliche Demokratien handelt oder nur um Nenndemokratien. Gerade auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und des von den Nationalsozia-listen propagierten Führerprinzips wird deutlich, dass die demokratische Staatsform keine Selbstverständlichkeit ist und erkämpft, gewollt und von jeder Generation neu akzen-tuiert werden muss.

Demokratische Systeme rücken den einzelnen Bürger, den Menschen in seiner Würde und Einzigartigkeit in den Mittel-

Demokratie (er-)lebenEin Prinzip in Gesellschaft und Politik

punkt. Dieser Auffassung entsprechen die verfassungsmäßig verbrieften Grund- bzw. Menschenrechte, die in Diktaturen außer Kraft gesetzt sind. Diktaturen jedweder Form versto-ßen somit fundamental gegen den Wesensgehalt der parti-zipativen Demokratie, nach welcher Herrschaft nur legitim ist, wenn sie vom Willen der Beherrschten getragen ist. De-mokratie steht und fällt somit mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich in das gesellschaftliche und politische Geschehen aktiv einbringen.

Einer der Schwerpunkte des vorliegenden Heftes ist es, die intensive Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den Möglichkeiten demokratischer Teilhabe in ihrem un-mittelbaren schulischen und kommunalen Umfeld und auch darüber hinaus im Sinne von Interessenartikulation und -aggregation mit geeigneten Materialien zu forcieren. So wird grundsätzlich die Frage nach den Partizipationsmög-lichkeiten in einer Demokratie aufgeworfen.

Die Schwerpunktsetzung auf partizipative Formen demo-kratischen Agierens lässt sich auch an anderen Beispielen politischer Beteiligung festmachen, etwa im schulischen Bereich im Rahmen der Schülermitverwaltung, von Schü-lerparlamenten oder im weiten Lernfeld kommunaler Inte-ressendurchsetzung (z. B. Jugendräte). Damit Schülerinnen und Schüler lernen, ihre Interessen zu erkennen, diese zu artikulieren, gegenüber anderen zu vertreten sowie sich zum

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Einleitung

Zwecke der Interessendurchsetzung zusammenzuschließen, ist auch psychosoziale Basisarbeit im Sinne von Empower-ment (Er-Mächtigung/Stärkung des Selbstwertempfi ndens) unumgänglich. Lebendige Demokratien benötigen selbstbe-wusste junge Menschen. Die Fortentwicklung der deutschen sowie europäischen Wertegemeinschaft ist ohne das enga-gierte Involviertsein der jungen Generation nicht möglich.

Was leisten Demokratien?»Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, ausge-nommen alle anderen.« Diese Aussage wird dem ehemaligen britischen Premierminister Winston Churchill zugeschrieben. Churchills Zitat zielt auf die mit demokratischen Verfah-ren verbundenen Schwerfälligkeiten, auf das Erarbeiten von Kompromisslösungen, auf die Einmischungen und Einsprü-che der zu einer pluralen Gesellschaft gehörenden Interes-sengruppen. Nicht zuletzt meint Churchill damit auch die Mühen und vielfältigen Bemühungen, welche Demokratien von befehlsgeleiteten Führerdiktaturen unterscheiden. So müssen sich die Bürgerinnen und Bürger demokratischer Gesellschaften, um am politischen Geschehen teilnehmen zu können, eben auch Wissen über die für demokratische Systeme bestimmende Verrechtlichung des öffentlichen und privaten Lebens angeeignet haben. Um sich einzumischen, um politisch aktiv zu werden, sind von daher umfassende Kenntnisse nötig.

Winston Churchill bringt in seiner Aussage einen weiteren wichtigen Sachverhalt auf den Punkt: Nirgendwo gibt es eine perfekte Demokratie, aber trotz allgegenwärtiger Widrigkei-ten und auch kritischer Einwände kennen wir kein besseres politisches System als die Demokratie. Demokratisch organi-sierte Systeme bilden von daher die beste Gewähr dafür, dass Konfl ikte friedlich geregelt werden können, und zwar sowohl auf innergesellschaftlicher Ebene wie auch im Rahmen der internationalen Beziehungen. Die Sicherung des Friedens nach innen und außen, im Extremfall die Vermeidung von Aufständen und Bürgerkriegen bzw. zwischenstaatlichen Kriegen, ist somit ein vordringliches Kernelement demokra-tischer Systeme. »Demokratien führen keine Kriege gegen-einander«, so der Politologe Ernst-Otto Czempiel.

Herausforderungen der DemokratieEin einseitiges Loblied auf die Demokratie anzustimmen und deren Schwachstellen auszublenden wäre mit Blick auf den in Deutschland vorhandenen Reformstau und auf schwer-wiegende gesellschaftliche Probleme, wie etwa die seit zwei Jahrzehnten dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit, verfehlt. Neuerdings wird von diversen Autoren gar die Frage aufge-worfen, ob sich die vielbeschworene »good governance« möglicherweise weniger in plural-demokratisch verfassten Gesellschaften realisieren lasse als vielmehr in autoritativ-pragmatischen politischen Systemen, deren kurze Ent-scheidungswege bei der Durchsetzung von Reformen als Systemvorteil gewertet werden (z. B. Stadtstaat Singapur, chinesische Führung unter Staatspräsident Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao). Nicht von ungefähr konsta-tiert der amerikanische Ökonom Lester Thurow bewundernd: »China hat eine effektive Regierung, die Strategien ent-

werfen und Entscheidungen treffen und durchsetzen kann.« Wird also China durch seine auf Schnelligkeit und Effi zienz ausgerichtete Regierung den Westen und vor allem auch die Vereinigten Staaten von Amerika in den kommenden Dekaden ökonomisch überholen und damit zur neuen Welt-macht Nummer Eins aufsteigen? Weitgehend unstrittig ist unter Demokratieforschern, dass demokratische Herrschaft »in hohem Maße kontextabhängig, insbesondere von den Bedingungen wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Integra-tion, politischer Kultur« ist (Rainer-Olaf Schultze).

Wenn sich also die ökonomischen Bedingungen in Deutsch-land verschlechtern, die Menschen weiterhin durch ein hohes Arbeitsplatzrisiko und durch Massenarbeitslosigkeit verunsichert sind, so könnte auch das liberaldemokratisch und marktwirtschaftlich-sozial geprägte politische System an Zuspruch verlieren. »Das Vertrauen in die ganze poli-tische Klasse ist heute geringer als jemals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man traut den Politikern den Willen zur Karriere zu, nicht aber genug Tatkraft für das Allgemeinwohl«, argumentieren Ex-Bundeskanzler Schmidt (SPD) und der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel in einem gemeinsamen FAZ-Artikel im Mai 2005. »Auch deshalb breiten sich Ängste und schlechte Stim-mungen aus. Die Titel, unter denen die Fernseh-Talkshows in den Programmen angekündigt werden, sind in großer Fülle negativ, sie suggerieren eine negative Sichtweise. Ein gewählter Politiker aber, der sich an Fernsehrunden unter Titeln beteiligt wie ›Deutschland bankrott‹ oder ›Land ohne Zukunft‹, der vergibt seine Würde. Und weil die Talkshows nicht zum Handeln und zur Veränderung führen, vergibt er unbemerkt und schrittweise seine Glaubwürdigkeit.« Haben die beiden gestandenen Politiker Schmidt und Barzel also Recht, wenn sie bedeutende demokratische Institutionen, wie etwa die tragende Rolle des Parlaments, durch überzo-gene Anpassungsleistungen der Politiker an die »Mediende-mokratie« gefährdet sehen? Haben sie Recht, wenn sie der Demokratieschelte hinzufügen, dass Politiker oftmals den Weg des geringsten Widerstands gehen, da man oft leichter gewählt werde, wenn man den Wählern nur das sage, was diese gern hören wollten?

Zur Konzeption des Heftes»Der Geist der Demokratie kann nicht von außen aufgepfropft werden. Er muss von innen kommen«, sagt Mahatma Gandhi. Ist es von daher nicht vermessen, Kinder und Jugendliche zur Demokratie erziehen zu wollen? Ein auf ausschließlich kognitive Elemente ausgerichteter Politikunterricht wird wohl kaum den von Demokratie durchdrungenen Staatsbürger hervorbringen. Vielmehr müssen emotionales Involviertsein und kognitives Dazulernen ineinander greifen, um Verste-hensprozesse in Gang zu setzen und um als Zielperspektive »Stolz auf unsere Demokratie« hervorzubringen. Dabei gilt es, Verhaltens- und Aktionsweisen zu fördern, die die ganze Schülerpersönlichkeit einbeziehen.

Dieser Grundauffassung entsprechend sind die Unterrichts-materialien für dieses Heft (Bausteine A bis D) darauf ausgerichtet, sowohl kognitive Kompetenzen zu erwerben

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Einleitung

der Schüler zur letztendlich selbstständigen Unterscheidung von demokratischen, autokratischen oder gar totalitären Ge-meinwesen ist ein weiterer Schwerpunkt des Konzepts.

Ein wichtiges Ziel ist dabei auch die altersgerechte Vermitt-lung der politischen Ideengeschichte. Gemeinhin werden die großen Philosophen – abgesehen von der gymnasialen Oberstufe – als ungeeignet für schulische Bearbeitungs-formen betrachtet. Hier soll jedoch versucht werden, dass alle jungen Menschen, unabhängig von ihrer Schulform und ihrem Alter, mit der abendländischen Geisteskultur vertraut gemacht werden können.

Die Verwendung von spielähnlichen Arbeitsformen nimmt im vorliegenden Heft großen Raum ein. Durch die Übertra-gung spielerisch gewonnener Einsichten und Erfahrungen auf reale Sachverhalte lassen sich kognitive Widerstände der Schüler überwinden. Aus didaktischer Sicht ist es ein wich-tiges Anliegen des Heftes, den Lehrpersonen eine möglichst breite Methodenvielfalt zur Verfügung zu stellen.

Der Ansatz des Heftes beruht darauf, von konkreten Lebenssi-tuationen der Schüler ausgehend (Baustein A), einen weiten Bogen hin zu abstrakten Inhalten der Demokratieforschung (Baustein D) zu spannen. Baustein A sucht die Alltagsprob-leme der Schüler zu hinterfragen, um so die dort zugrunde liegenden demokratischen oder auch nichtdemokratischen Wertvorstellungen und Verfahren aufzuzeigen. Davon ausge-hend soll die Überleitung zu Baustein B geschaffen werden, in welchem Betätigungsfelder auf kommunaler Ebene im Mittelpunkt stehen, um die Schüler zur aktiven Mitgestal-tung ihrer Umwelt anzuregen. Die in Familie, Clique, Klasse und Kommune identifi zierten Strukturen und Verhaltens-muster werden nunmehr in Baustein C erweitert und in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext überführt. Mit den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich so politische Ent-scheidungsfi ndungsprozesse als das nachvollziehen, was den

wie auch tiefergehende, emotional angereicherte (Er-)Lebensformen von Demokratie hervorzurufen und zu fördern. »Erziehung zur Demokratie« bedeutet demnach, Demokratie-kompetenz erwerben und Demokratie (er-)leben durch

◗ den Erwerb von Wissen zum Thema Demokratie◗ das Erkennen, Artikulieren und Durchsetzen eigener Inte-ressen◗ das Ausbilden und Trainieren kommunikativer Fähigkei-ten◗ das Pfl egen einer produktiven Streitkultur und das Erpro-ben kompromissorientierter Konfl iktlösungsmuster◗ die Entwicklung von Verantwortung und Gemeinsinn für das Ganze◗ das Sich-Hineinversetzen in unterschiedliche Sichtwei-sen, Interessen und Rollen◗ die Erfahrung von Intensität und die Entwicklung von Begegnungsmentalität◗ die Schaffung von Bewusstsein und Empfi ndungstiefe für werteorientiertes Handeln◗ die Wertschätzung für den hohen, vor allem auch zeitli-chen Aufwand für demokratische Prozesse◗ das Erlangen von Selbstvertrauen und auf dieser Grund-lage die Entwicklung von Freude am Gestalten des politi-schen Umfeldes.

Allein schon die kaum mehr zu überblickende Zahl an älte-ren und neuen Publikationen zur Demokratiethematik lässt ermessen, welch vielschichtiges und weitgefasstes Spekt-rum diese Themenstellung umfasst. Für das vorliegende Heft wurde eine für den modernen Unterricht geeignete Kon-zeption erarbeitet, anhand derer die für Schüler schwer zugängliche klassische Institutionenlehre von der Entste-hung der ersten politischen Gemeinschaften hergeleitet wird, um so aufzuzeigen, wie bestimmte Verhaltensweisen sich letztendlich zu Gewohnheiten verdichten und institu-tionellen Charakter annehmen. Die Ausbildung der Fähigkeit

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●●● BAUSTEIN B

MISCH DICH EIN! MITMACHEN IN DER DEMOKRATIE

UNTERRICHTSPRAKTISCHE HINWEISE

Nach der Erarbeitung demokratischer Werte im unmittelba-ren Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler gilt es nun, den Aktionsradius in den gesellschaftlichen Raum hinein zu erweitern. In einem ersten Schritt erhalten die Schüler einen Einblick in die Mitwirkungsmöglichkeiten der Schüler-mitverantwortung, insbesondere der Schulsprecherfunktion (B 1).

Das Beispiel der Nürtinger Schülerzeitung »Spongo« eröffnet den Schülern Möglichkeiten, im medialen Bereich Erfahrun-gen zu sammeln und somit die Bedeutung der Medien und ihre meinungsbildende Funktion in demokratischen Gesell-schaften zu erleben (B 2–B 3). Als Schnittpunkt zwischen Individuum und Gesellschaft fungiert der Text »Schulklei-dung für alle?« in B 4.

Das Hinaustreten der Schülerinnen und Schüler in den ge-sellschaftlichen Raum schafft für sie neue Mitwirkungspers-pektiven im Rahmen ihrer Gemeinde. Anhand des Textes B 5 lernen die Schüler ihre Mitwirkungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene kennen. In B 6 wird ein Beispiel darge-stellt, was Jugendliche in ihrer Gemeinde erreichen können. Die Wertschätzung ihrer Anliegen können die Schülerin-nen und Schüler im Zuge des eigens dafür konzipierten »Planspiel Jugendgemeinderat« durch Entscheidungs- und Kompromissfi ndungsprozesse erfahren (vgl. S. 7–8). Tanja Fallers Einsatz für das »Jugendhaus Z« in Freiburg zeigt, welche Freude auch in gemeinnütziger Arbeit von und mit Jugendlichen stecken kann (B 7).

Jugendliche lernen vor allem auch im Kreis Gleichaltriger und junger Menschen. In den Jugendverbänden der etab-lierten Parteien können sich junge Menschen als mündige Bürger auf Augenhöhe mit ihresgleichen auseinanderset-zen und die werteorientierte Diskussions- und Streitkultur verinnerlichen, die das Fundament unserer demokratischen Grundordnung bildet (B 8).

Der um sich greifenden Politikverdrossenheit, gerade bei den unter Dreißigjährigen, soll mit statistischem Anschauungs-material entgegengewirkt werden (B 9). Junge Menschen verlieren aufgrund ihres schwindenden Bevölkerungsanteils gegenüber älteren Mitbürgern an Einfl uss. Um ein Bewusst-sein für diese Problematik zu schaffen, wurde der fi ktive, bisweilen auch provokante Diskurs »Kinder an die Wahlur-nen!« verfasst (B 10).

Schülern schon ansatzweise aus ihrem privaten Lebensum-feld geläufi g ist.

Die pluralistisch-freiheitliche Ordnung als Grundlage de-mokratischer Staaten soll durch Baustein C besonders her-vorgehoben werden. Die für das System der Bundesrepublik konstitutive politische Ordnung fi ndet in allen vier Bau-steinen Berücksichtigung, in besonders aufschlussreicher Weise jedoch in Baustein D. Doch darüber hinaus soll in Baustein D das Blickfeld auch auf die internationale Ebene ausgeweitet werden. Dass Demokratie auch als »embedded democracy« verstanden werden muss, erschließt sich etwa durch den Diskurs Olivers und Kathrins über das Thema »Wie sozial soll die deutsche Demokratie sein?« (D 8).

●●● BAUSTEIN A

DEMOKRATIE IM ALLTAG (ER-)LEBEN

UNTERRICHTSPRAKTISCHE HINWEISE

In Baustein A wird der leitmotivische Charakter demokra-tischer Wertvorstellungen den Schülern in ihrem unmit-telbaren Lebensumfeld erfahrbar gemacht. »Was bedeutet Demokratie für Dich?«, ist die zentrale Fragestellung der Arbeitsmaterialien dieses Bausteins. Zu Beginn geht es darum, Vorwissen und individuelle Einstellungsmuster über Demokratie auszuloten und diese in der Klasse zu erörtern (A 1). Die hier präsentierten Fragen orientieren sich an der Shell Jugendstudie 2002.

In A 2 spricht unvermittelt die Demokratie als personalisierte Figur zu den Schülern. Sie fordert die jungen Menschen auf, ihr in distanzüberwindender Briefform zu antworten. Demo-kratie als Lebensform fi ndet auch Ausdruck in den Sozialbe-zügen der Schüler, in Familie, Clique und Klasse. Hierbei geht es um Formen demokratischen Verhaltens, die geprägt sind durch demokratisch fundierte Konfl iktlösungsmuster wie die Wertschätzung einer jeden Person und ihrer Anliegen, Mehr-heitsfi ndung und Minderheitenschutz sowie Einüben von Kompromissen in strittigen Situationen (A 3–A 5).

Im abschließenden Karikaturenteil (A 6) tritt dann wieder die kognitive Ebene stärker hervor (Begriffe-Lexikon), je-doch animiert durch humorvolle, pointierte Zeichnungen. Grundlegende Werte der Demokratie werden wieder aufge-nommen und erweitert. Anhand der vorangegangenen Mini-szenen aus Familie, Clique und Klasse können die Schüler den Transfer hin zur eigenständigen begriffl ichen Erläute-rung der angeführten Wertvorstellungen (Toleranz, Zivilcou-rage usw.) leisten.

Baustein A/B

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Baustein B

PLANSPIEL JUGENDGEMEINDERAT

Planspiele gewinnen im Kontext der Bildungspläne ver-mehrt an Bedeutung. Ganzheitliches Lernen statt Ge-nerieren von trägem Wissen und die Bereitschaft zur Unterrichtsöffnung seitens der Lehrenden bilden den Grundstein für ein erfahrendes, im Sinne des Schülers selbsttätiges Lernen. »Learning by doing« heißt derweil die Zauberformel, die ein thematisch tieferes Involviert-sein seitens der Schüler zulässt und zu einem Mehr an Verstehen und damit zu besseren Lernerfolgen führt.

Im Zusammenhang mit der Durchführung von Planspielen wird immer wieder die Frage nach dem Lebensweltbezug gestellt. Schüler erleben im Kontext von Planspielen ein Höchstmaß an Realitätsnähe. Der Lernerfolg entsteht dabei nicht zuletzt durch das sinnhafte Verknüpfen des angeeigneten Wissens mit spielerischen Elementen, etwa mit Rollen-, Plan- und Simulationsspielen, die letztlich ein schnelleres und weniger problembehaftetes Einstei-gen in komplexe Zusammenhänge ermöglichen.

VoraussetzungenVoraussetzung für dieses Planspiel ist, dass die Lernenden die Aufgaben und Tätigkeitsfelder eines Jugendgemein-derats kennengelernt haben (vgl. B 5–B 6).

VorbereitungBevor das Planspiel beginnen kann, sollten die Schüler über die Methode und das geplante Vorgehen informiert werden, denn sie fi nden sich mit Beginn der Sitzung in der Rolle der Jugendgemeinderäte wieder. Sie lernen dabei geschicktes Argumentieren, das Einhalten von klaren Gesprächsregeln, problemorientiertes Vorgehen und das Finden von Kompromissen. Dabei sollen sie nicht nur ihre eigene Meinung zu einzelnen förderungswürdigen Vorha-ben vertreten, sondern immer auch die Auffassungen der Jugendlichen, mit deren Vertretung sie nun beauftragt sind, berücksichtigen. Bevor die Jugendgemeinderatssit-zung starten kann, gilt es, den Raum möglichst realitäts-nah umzugestalten – aus dem früheren Klassenzimmer wird jetzt ein Sitzungssaal.

DurchführungsphaseDer Lehrer informiert die Schüler über den Zeitrahmen und den Ablauf der Sitzung. Etwa drei Schulstunden soll-ten eingeplant werden. Er weist sie darauf hin, dass sie sich jetzt mit der Rolle der Jugendgemeinderäte identi-fi zieren sollen. Die Lehrperson übernimmt die Rolle des anwesenden Bürgermeisters und eröffnet die Sitzung.

Aufträge an die ArbeitskreiseIm Jugendgemeinderat werden Arbeitskreise gegründet. Jeder Arbeitskreis nimmt sich eine der förderungswürdi-gen Maßnahmen vor. Es folgen:◗ eine kurze Vorstellung des Projekts ◗ eine ausführliche Begründung des Vorhabens (warum sollte gerade dieses Projekt gefördert werden?)

◗ und die Darstellung möglicher Kompromiss- bzw. Teil-lösungen aufgrund des begrenzten Budgets.

Refl exionIn der anschließenden Refl ektionsphase sollten die Schü-ler – sie haben ihre Rolle mit der Beendigung der Sitzung wieder verlassen – ihre Erfahrungen gemeinsam diskutie-ren. Dabei ist es wichtig, ihnen plausibel zu machen, dass vermeintlich schnelle Lösungen zu Fehlentscheidungen und zu einseitiger Klientelpolitik führen können.

AblaufEröffnung der Sitzung und Begrüßung durch den Bür-germeister, Erläuterung des Sitzungsablaufs, Vorstellung der Tagesordnung und Abstimmung per Handzeichen. Die Jugendgemeinderäte erhalten nun die Tagesordnung und können Anträge zur Aufnahme bzw. Veränderung einzelner Punkte stellen. Ein Jugendgemeinderat über-nimmt die Protokollierung der Ergebnisse. Nach einer kurzen Aussprache steht dieser Vorschlag zur Abstimmung (Handzeichen oder drei verschiedenfarbige Kärtchen: rot = nein, weiß = Enthaltung, grün = Zustimmung).

Tagesordnung1. Vorstellung des Finanzbudgets (30.000 EUR) für ju-gendfördernde Maßnahmen (fünf förderungswürdige Pro-jekte):◗ Entwicklung eines Spielplatzkonzepts (8.000 EUR)◗ Bau eines Skateparks (18.000 EUR)◗ Freizeitzuschüsse für Kinder und Jugendliche sozial schwacher Familien (6.000 EUR)◗ Integratives Sportkonzept (Sportplatzsanierung inklu-sive neuer Basketballanlage (10.000 EUR).◗ Hochseilgarten mit Kletterwänden (20.000 EUR).

2. Ermittlung des gesamten Finanzierungsbedarfs (= 62.000 EUR).

3. Bildung der Arbeitskreise zur Entwicklung eines Kom-promisspapiers (nach Interessenlage der Jugendgemein-deräte) mit Zeitvereinbarung.

4. Vorstellung und Begründung des Vorhabens im Plenum.

5. Kompromissfi ndungsphase (evtl. nochmalige Bildung von Arbeitskreisen).

6. Abstimmung über den erzielten Kompromiss (sonst Abstimmung über die Einzelbereiche).

7. Wünsche und Anträge, Ausblick.

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Baustein C

Arbeitskreise (AK)◗ Arbeitskreis 1: Entwicklung eines Spielplatzkonzeptes (8.000 EUR). Die Bürgerinitiative für eine familienfreund-liche Umgebung setzt sich seit längerer Zeit schon für den Bau eines Spielplatzes ein. Auf dem Sportplatz werden gerade kleinere Kinder immer wieder von Jugendlichen verdrängt. Es sei deshalb höchste Zeit, so die Bürgerini-tiative, dass ein kindergerechter neuer Spielplatz gebaut werde.

◗ Arbeitskreis 2: Bau eines Skateparks (18.000 EUR). Der städtische Jugendclub möchte auf dem Gelände einer ehemaligen Parkanlage eine Skateranlage bauen lassen. Damit könnten in Zukunft Unfälle mit PKWs, Fahrradfah-rern und Fußgängern vermieden und den Jugendlichen ein höheres Maß an Sicherheit gewährleistet werden.

◗ Arbeitskreis 3: Freizeitzuschüsse für Kinder und Ju-gendliche sozial schwacher Familien (6.000 EUR). Die Ver-eine und Veranstalter von Jugendfreizeiten (Stadtrand-erholung, Zeltlager usw.) brauchen dringend 6.000 EUR, um weiterhin sozial schwachen Familien einen Zuschuss gewähren zu können.

◗ Arbeitskreise 4: Integratives Sportkonzept (10.000 EUR). Nach mehreren Anfragen seitens Jugendlicher und einiger Sportvereine wird eine Sanierung des Sportplatzes inklusive einer Basketballanlage (Mehrzwecksportplatz) in Betracht gezogen. Die Kosten belaufen sich inklusive einer einfachen Basketballanlage auf 10.000 EUR.

◗ Arbeitskreis 5: Hochseilgarten mit Kletterwänden (20.000 EUR). Der Stadtkämmerer macht den Vorschlag, den Geldbetrag von 20.000 EUR für ein Jahr zurückzu-stellen und so zu sparen, um im kommenden Jahr auf einem freiwerdenden Grundstück am Waldrand die ersten Bauschritte einleiten zu können.

Vorstellung der ProjekteDer Bürgermeister trägt jetzt die einzelnen förderungs-würdigen Projekte vor und erläutert die Problematik der Budgetknappheit. Die Jugendgemeinderäte müssen also vor allem alternative Überlegungen anstellen und krea-tive Ideen entwickeln.

Die ArbeitskreiseFür die folgende Arbeitsphase in den Arbeitskreisen ist es wichtig, den Gruppen eine klare Zeitspanne (ca. 30 bis 45 Minuten) vorzugeben. Im nächsten Schritt werden im Klassenraum gleichmäßig an den Wänden die einzelnen Infoblätter zu den förderungswürdigen Projekten ange-pinnt. Die Jugendgemeinderäte sammeln sich jetzt nach Interessenlage und bilden zu jedem förderungswürdigen Projekt einen Arbeitskreis. Nach dieser Findungsphase sollen die Gruppen die Sitzordnung zu Gruppentischen umfunktionieren. Die AKs beginnen nun zu arbeiten.

Präsentation und Diskussion im PlenumIm Anschluss an die Gruppensitzungen gilt es, die Er-gebnisse im Plenum vorzustellen. Dafür wird die ur-sprüngliche Sitzordnung des Plenums wiederhergestellt. Die Schüler haben jetzt die Möglichkeit, in die Kom-promissfi ndung einzusteigen. Der Bürgermeister hält die Lösungsvorschläge fest. Sollten sich noch keine Kompro-misse abzeichnen, können die Jugendgemeinderäte per Mehrheitsentscheid erneut eine Unterbrechung und eine Fortsetzung der Arbeit in den AKs vorschlagen. Eine er-folgreiche Kompromissfi ndung hängt insbesondere davon ab, ob es den Jugendgemeinderäten gelingt, Aspekte des bürgerlichen Engagements, Spendenaktionen und Spon-soring zu integrieren. Wichtig ist, dass sie am Ende der Kompromissfi ndung gemeinsam über die Lösung abstim-men. Der Bürgermeister dankt den Jugendgemeinderätenfür ihre engagierte Mitarbeit und beendet die Sitzung.

●●● BAUSTEIN C

ENTSCHEIDUNGEN IN DER PLURALISTISCHEN GESELLSCHAFT TREFFEN

UNTERRICHTSPRAKTISCHE HINWEISE

In der pluralistischen Gesellschaft sind Erfahrungen mit der Demokratie oft von langwierigen und schwierigen Ent-scheidungsprozessen geprägt. Dieser vermeintliche Makel demokratischer Systeme wird in Baustein C thematisiert. Vermeintlich deshalb, weil der bedeutende und nicht genug zu betonende Vorteil der Demokratie gerade darin besteht, möglichst viele Auffassungen und Interessen in den Ent-scheidungsprozess einfl ießen zu lassen. Es ist geradezu das

zentrale Kennzeichen der Demokratie, diesen nötigen Inte-ressenausgleich zu schaffen und Kompromisse zu fi nden.

C 1 bietet anhand von sechs Fotos die Möglichkeit, die Vielfalt der Interessen und Lebensweisen sowie ihre unter-schiedlichen Ausdruckformen als Bedingung der Demokratie zu thematisieren. Die bunte Fülle von Meinungen, Interes-sen und Lebensweisen in demokratischen Gesellschaften rekurriert auf einer Vielzahl von interagierenden Verbänden und starken Parteien, die den Schülern als Partizipations-möglichkeit dargeboten werden (C 2–C 4). Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass der Lobbyismus zu den Grunder-scheinungsformen in der Demokratie gehört und prinzipiell nicht negativ ist, wenn es gelingt, die Ausgewogenheit unterschiedlicher bis hin zu gegensätzlichen und mit aller Macht artikulierten Interessen zu wahren (C 5). Dass diese

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Baustein D

Idealvorstellung nicht immer gegeben ist, hängt auch von der unterschiedlichen Machtkonzentration bei den jeweili-gen »Pressure Groups« ab.

Von der Pluralismustheorie zur PraxisAm Fallbeispiel der Neuen Landesmesse in Leinfelden-Ech-terdingen bei Stuttgart können die Schülerinnen und Schü-ler anhand eines praktischen Beispiels aus der aktuellen Politik den langen zeitlichen Planungshorizont bis hin zur konkreten Verwirklichung erfahren (C 6). 1993 begann die Standortsuche für die Neue Messe, abgeschlossen sein wird das Projekt im Frühjahr 2007. Wäre dieses Bauvorhaben nicht demokratisch, sondern obrigkeitsstaatlich durchge-führt worden, hätte es keine vierzehn Jahre bis zur Realisie-rung der Neuen Messe gedauert, aber gewiss hätten sich die Betroffenen nicht politisch einbringen können und wären um ihre demokratischen Rechte gebracht worden.

●●● BAUSTEIN D

DEMOKRATIE ALS STAATS- UND HERRSCHAFTSFORM ERLEBEN

UNTERRICHTSPRAKTISCHE HINWEISE

Baustein D setzt mit dem Insel-Spiel ein. Die zentralen Aspekte der Demokratie als Staats- und Herrschaftsform lassen sich über dieses handlungsorientierte Spiel erarbei-ten. Gleichermaßen sind diese Grundlagen wie Staatsform, Gewaltenteilung, Verfassung, politische Institutionen und Akteure (z. B. Parlamente und Parteien), wehrhafte Demo-kratie, Sozialstaatsklausel, Medien und Pressefreiheit, aber auch diktatorische Erfahrungen sowie Grundrechte- und Menschenrechtsverletzungen mit den einzelnen Materialtei-len unabhängig von dem Insel-Spiel zu bearbeiten. Die hier präsentierten Materialien bieten vor allem einen alterna-tiven und ergänzenden Zugang zu den gängigen Schulbü-chern, in denen die politischen und rechtlichen Grundlagen der Demokratie aufgearbeitet sind.

D 1 bietet ein stimmungsvolles Bild für den Einstieg in das Spiel und erste Materialien. Eine ausführliche Beschrei-bung des Spiels fi ndet sich im Folgenden auf den Seiten12 – 14. Im Insel-Spiel steht die Entwicklung eigenständiger Politik- und Gesellschaftsentwürfe seitens der Schüler auf der Grundlage insularer Reduziertheit im Vordergrund. Die Grundidee des als Projekt angelegten Spiels stammt aus den von der Politologin Susan Strange in ihrem politökono-mischen Klassiker States and Markets vorangestellten SomeDesert Island Stories. Diese eindrucksvoll entworfenen In-selgeschichten repräsentieren, ausgehend von der Situation von Schiffbrüchigen mit anschließender Insellandung, drei unterschiedliche politökonomische Ordnungsmuster:

◗ Das autoritär-diktatorische System mit totalitären bzw. fundamentalistischen Tendenzen,◗ das egalitär-sozialistische System, angereichert mit Kom-munegedanken und◗ das liberal-marktwirtschaftlich demokratische System.

Die theoretischen Grundlagen (Susan Strange) sind dabei als wissenschaftlicher Hintergrund für die von den Schülern ei-genständig zu entwickelnden Staats- und Gesellschaftsideen und nicht als unbedingt bindende Setzungen zu verstehen.

Im Rahmen des Insel-Spiels werden die Schüler in die Lage versetzt, die Anfänge möglicher gesellschaftspolitischer Entwicklungen und damit auch unterschiedliche Systemaus-formungen selbst zu entwerfen. Sie erfahren dabei elementar die jahrhundertewährende und bis hin zur Demokratie sich ausformende Staatswerdung. Akzeptanz und Wertschätzung demokratischer Grundprinzipien werden so als Grundlage eines gerechtigkeitsorientierten und friedlichen Zusammen-lebens auf eine intensive Art fassbar gemacht. Indem die Schüler in die Schiffbrüchigensituation versetzt werden, können sie spielerisch die Herausbildung unterschiedlicher Staatsformen prozessual begreifen.

Auf allen Ebenen des Insel-Spiels können die Lehrenden die Schüler mit den in D 2 folgenden Ich-Aussagen der zehn Philosophen konfrontieren (in der Ablaufplanung des Insel-Spiels ist dies am Ende vorgesehen). Die Philosophen verlei-hen dem Insel-Spiel gedankliche Tiefe und weisen auch über dieses hinaus. Die Schüler erfahren beispielsweise durch den Vergleich ihrer Positionen bzw. des von ihnen entwickelten Inselstaates, dass auch die großen Denker der politischen Ideengeschichte über den besten aller möglichen Staaten bzw. die beste Form menschlichen Zusammenlebens nachge-dacht haben und an manchen Stellen zu ähnlichen oder gar denselben Schlussfolgerungen wie die Schüler gelangt sind. Doch ebenso wie das Herausstellen von Gemeinsamkeiten zwischen philosophischen Aussagen und Schülerpositionen beleben auch die Widersprüche. Die Schüler erweitern ihren gedanklich-emotionalen Horizont durch konträre oder ganz anders lautende Denk- oder Verhaltensmuster.

Die zehn Philosophen repräsentieren mit dem Fokus auf das politische Denken die abendländische Geisteskultur von der Antike bis zur Gegenwart. Den Einstieg in die politische Ide-engeschichte bilden also nicht sperrige Textauszüge aus den Schriften der jeweiligen Denker. Vielmehr nähern sich die Philosophen den Schülern als Personen. Dabei stand das Be-mühen im Vordergrund, essentielle inhaltliche Schwerpunkte aus den Werken der jeweiligen Denker herauszufi ltern und diese auf eine zwar häufi g verknappte, aber sinnerhaltende und auch pointiert herausfordernde Weise zu formulieren.

Unabhängig vom Insel-Spiel können die Ich-Aussagen der Philosophen auf vielfältige Art und Weise den Unterricht beleben. So können die bedeutenden Denker der politischen Ideengeschichte verglichen werden im Hinblick◗ auf ihr Menschenbild (anthropologische Grundlagen der jeweiligen Theorie),

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Baustein D

Bei dem in der Mitte des Heftes beigehefteten »Wer wird Bundeskanzler(in)?«-Spiel handelt es sich um eine Variation des sogenannten »Gänsespiels«. Dieses Spiel trat erstmals während der Regentschaft des Flo-rentiner Großherzogs Francesco de Medici (1574–1587) in Erscheinung, der eine edle Ausgabe des Spiels an den spanischen König Philipp II. sandte. Nachdem der König von diesem Spiel angetan war, erlangte es rasch euro-paweite Bekanntheit. Seit dem frühen 17. Jahrhundert waren die ersten gedruckten »Gänsespiele« im Umlauf und erhielten nun eine pädagogische Ausrichtung. Zuvor enthielten die Spielfelder nur unterschiedliche Funktio-nen, doch nun wurden diese mit moralischen Wertvorstel-lungen verknüpft. Auf zeitgenössischen Stichen jener Zeit sieht man nun gelegentlich Eltern, die mit ihren Kindern Varianten des Gänsespiels spielen (wie etwa »Tugend und Laster«), um sie sittlich zu bilden.

Diese pädagogische Ausrichtung des Spiels ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts verloren gegangen. Das Spiel wurde

wieder, was es in seinen Anfängen war: ein unterhaltsa-mes Spiel für Jung und Alt. Ähnliches gilt auch für das »Schlangen und Leitern«-Spiel, das von dem indischen Spiel »moksha-patamu« abstammt, welches dort traditio-nell religiöse Inhalte vermittelt. Es liegt nahe, das »Gän-sespiel« und das »Schlangen-und-Leitern-Spiel« wieder mit pädagogischen Inhalten zu besetzen, um so Kinder und Jugendliche »spielend« für Bildung und Politik zu motivieren.

Das »Wer wird Bundeskanzler(in)?«-Spiel bietet einen spielerischen Zugang zu politischen Ämtern und Insti-tutionen, zu Personen in der Politik und nicht zuletzt auch zu den unterschiedlichen Politikebenen (Gemeinde, Kreis, Land und Bund). Es steht in diesem Heft auch in Zusammenhang mit den Porträts der vier Bundeskanzler (Material D 6). Hier lassen sich im Vergleich zwischen den vier politischen Karrieren in der realen Demokratie und dem Spiel auf spielerische Art und Weise Erkenntnisse über Politik gewinnen.

DAS »WER WIRD BUNDESKANZLER(IN)?-SPIEL«

Überblick: Formen der Republik

◗ auf die von ihnen präferierte Staats- bzw. Gesellschaftsform,◗ auf den Zusammenhang zwischen ihrer Biografi e, den je-weiligen zeitlich-historischen Bedingungen und ihren theo-retischen Schlussfolgerungen,◗ auf ihre Grundwertepräferenz,◗ auf ihr Demokratie- bzw. Diktaturverständnis,◗ auf Ablehnungen und Animositäten im Rahmen ihres Werks sowie auch der Philosophen untereinander bzw. auf gemeinsame Anliegen.

Fortführung der erarbeiteten Grundlagen des Insel-SpielsIn der Folge können, abhängig von der jeweiligen Thema-tik, die Ergebnisplakate refl ektiert und die Regelungen der

Inselgruppen mit den Staatsformen (D 3) und dem Prinzip der Gewaltenteilung (D4) verglichen werden. Davon aus-gehend erschließt sich das politische System Deutschlands (D 5). Die Erkenntnisse insularer Herausbildung von Verant-wortungsträgern, Führungs- und Herrscherfi guren sollen mit biografi schem Hintergrund auf vier Kanzler der Bundesrepub-lik Deutschland transferiert werden (D 6). Die vier Kurzbio-grafi en bieten einen personenbezogenen Zugang zu demo-kratischen Prozessen und Entscheidungen. Sie stehen auch in Zusammenhang mit dem »Wer wird Bundeskanzler(in)?-Spiel«. Dieses Brettspiel, in der Mitte des Heftes beigefügt, bietet einen spielerischen Zugang zu Akteuren und Institu-tionen in der parlamentarischen Demokratie.

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Baustein D

Überblick: Formen der Diktatur

In den Erfahrungen der Inselgruppen fi nden sich auch Frei-heitsbestrebungen und -beschränkungen der Individuen (z. B. Arbeitszwang, Essensrationierung, Gruppendruck), die zum heutigen Dilemma zwischen Freiheit und einem aus-zutarierenden Maß an Sicherheit in Bezug gesetzt werden können (D 7). Insulare Formen des Sich-Wehrens und der äu-ßeren bzw. inneren Gefahrenabwehr sollen auf den heutigen Diskurs im Hinblick auf die Fragestellung »Wie weit kann der Rechtsstaat im Kampf gegen seine Feinde gehen?«, vergli-chen werden. Konfl ikte, wie etwa der Umgang mit kranken und leistungsunfähigen Inselbewohnern, lassen sich zum besseren Verständnis des Sozialstaatsprinzips heranziehen. Unterschiedliche Formen sozialstaatlicher Ausprägung fi nden sich im Text (D 8). Eine spezifi sche Variante sozialistischen Gedankenguts (vgl. die Ich-Aussagen von Karl Marx) lernen die Schüler nun durch die Beschreibung der politischen Wirklichkeit in der ehemaligen DDR kennen (D 9).

Die Materialien D 10 und D 11 thematisieren einerseits die Medien, ihre Bedeutung in der Demokratie sowie ihren Ein-fl uss auf den politischen Meinungsbildungsprozess, anderer-seits aber auch das Postulat, dass eine lebendige Demokratie von informierten Bürgern lebt. Ein krasser Gegensatz zum demokratischen System Deutschlands ist das Regime von Alexander Lukaschenko in Weißrussland. Im Text D 12 treten dessen diktatorische Machenschaften zu Tage. Stolz sein auf demokratische Errungenschaften kann nur derjenige, der sich auch mit den vielschichtigen Facetten diktatori-scher und totalitärer Herrschaft auseinandergesetzt hat. Aus konfl ikthaft zugespitzten Inselsituationen und dem starken Wunsch nach Sicherheit bilden sich oftmals (An-)Führerfi -guren mit zunehmend martialischer werdenden Handlungen heraus. Demokratie, so lernen die Schüler, ist etwas Kostba-res, das es nicht nur zu verteidigen, sondern immer wieder neu zu beleben gilt.

Der glückliche Umstand einer durch Grundrechte abgesi-cherten Demokratie (Rechtsstaatsprinzip) wird durch die

schrecklichen Erfahrungen der Kindersoldatin China Keitetsi(D 13) nicht nur kognitiv, sondern auch gefühlsmäßig er-fahrbar. Mit der Geschichte über China Keitetsi wird auch das Empathiepotenzial der Schüler angesprochen. Die dra-matische Lebensgeschichte erhöht die Aufmerksamkeit der Schüler und lässt die Bedeutung ansonsten schwer zugäng-licher Gesetzestexte in neuem Licht erscheinen. Die Zitate in D 14 dienen zur abschließenden Diskussion über die grundsätzlichen Elemente der Demokratie und demokrati-scher Gesinnung. D15 bietet als Quiz die Möglichkeit zur abschließenden Lernkontrolle.

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Baustein D

Im Insel-Spiel werden die Schüler aus ihrem etablierten politischen System herausgerissen und in eine Situation versetzt, in der die gewohnten Regularien nicht mehr gültig sind. Sie werden damit konfrontiert, mit einer selbstentwickelten Rollenbiografi e auf einem Kreuz-fahrtschiff einen Südseeurlaub zu verbringen. Das Schiff gerät – aus welchen Gründen auch immer – in eine Ka-tastrophensituation und wird untergehen. Ein Teil der Touristen und der Besatzung des Schiffes kann sich mit Rettungsbooten in Sicherheit bringen, andere Schiffbrü-chige versuchen schwimmend an Land zu kommen. Nach dem Schiffsuntergang erfolgt ein Szenenwechsel. Drei schiffbrüchige Gruppen haben sich an unterschiedlichen Stellen einer großen Südseeinsel gerettet, ohne vonein-ander zu wissen.

Die britische Politökonomin Susan Strange hat ihrem Lehrbuchklassiker States and Markets ihre Three Desert Island Stories vorangestellt. Nach Strange bilden sich drei unterschiedliche politische Systeme heraus: Ein au-toritär-diktatorisches System unter der Führung eines ehemaligen Besatzungsmitglieds des Kreuzfahrtschiffs, ein zweites System, das auf sozialistischen und kom-munistischen Ideen fußt, und ein drittes, freiheitlich-demokratisches System, das auf markwirtschaftlichen Vorstellungen aufbaut. Der Ansatz von Susan Strange zielt darauf ab, dass sich Schüler jenseits theoretischen Wissens mit den Basiserfordernissen der drei System-varianten in der durch den Schiffsuntergang künstlich herbeigeführten, anarchischen Konstellation arrangieren und ihren jeweiligen Kleinstaat schaffen.

1. Die Bedeutung des Insel-Spiels für die Demokratie-thematik◗ Das Spiel führt die Teilnehmer an die Anfänge des politischen Gemeinwesens zurück. Die Selbstverständ-lichkeit, in ein etabliertes und funktionierendes demo-kratisches System hineingeboren zu werden, das sich in Jahrhunderten entwickelt hat, entfällt.◗ Junge Menschen werden auf eine schöpferisch-kreative Weise dazu gebracht, sich ihre eigenen, politikdurchwirk-ten Lebensbedingungen selbst zu gestalten. ◗ Verfahrensweisen, Regeln und Gesetze sind nicht, wie im realen politischen System, vorgegeben. Sie müssen, meist angeregt durch konkrete Probleme sowie Inte-ressenkonfl ikte, von den Teilnehmern verhandelt und beschlossen werden. Hierbei ist für demokratische Ord-nungen konstitutiv, dass alle politischen Entscheidungen kollektiv durch alle getroffen werden. Üblicherweise ent-halten die Regeln auch einen Sanktionskatalog, mit dem Regelverstöße geahndet werden.◗ Im Insel-Spiel wird die Wirksamkeit oder Ineffi zienz politischer Ordnungselemente in ihren Auswirkungen auf das Individuum und auf die Gemeinschaft hautnah erlebt. Das ist gerade für Kinder und Jugendliche ein tiefgrei-

fender Prozess. Das, was beim Insel-Spiel an Politik- und Demokratieerfahrungen gewonnen wird, ist etwas Blei-bendes, auf dem aufgebaut werden kann. Kognitive und emotionale »Verwicklungen« führen zu (Spiel-)Handlun-gen, in denen alle Beteiligten mit »Kopf, Herz und Hand« involviert sind. ◗ Mit der Einblendung realer Philosophen (vgl. D 2)werden kognitive Prozesse befl ügelt und die politische Urteilskraft geschärft. Die Philosophen treten meist in kritischen Situationen auf (»Freeze«/Ruhen der Spiel-handlung) und beziehen in Ich-Aussagen Stellung zum anstehenden Konfl ikt. Durch ihre tiefgründig divergenten Vorstellungen erweitern sie das Meinungsspektrum der Schüler. Auch verweisen sie auf die historische Dimension von Politik bzw. demokratischer Theorie. Die Philosophen beschwören die Wiederkehr des »Immergleichen«, aber sie verweisen ebenso auch darauf, dass auf neue Heraus-forderungen neue Antworten gefunden werden müssen.◗ Die im Insel-Spiel enthaltenen Konfl iktsituationen legen nahe, die dort identifi zierten Mechanismen auch vor anderem Hintergrund wiederzuerkennen.

2. Typische Konfl iktsituationen im Insel-Spiel◗ Wie organisiert die jeweilige Inselgruppe ihr Überleben bzw. die Sicherung ihrer Existenzgrundlage?◗ Welche Konfl ikte treten auf und wie werden diese ge-regelt (z. B. Führer- oder Mehrheitsprinzip)?◗ Was geschieht mit einem Schwerverletzen? Kann dieser etwa durch Mehrheitsbeschluss aus der Gruppe ausgesto-ßen und damit dem sicheren Tod ausgesetzt werden?◗ Wie wird verfahren, wenn einer alleine ein Tier erlegt? Soll grundsätzlich alles geteilt oder soll strikt nach dem Leistungsprinzip verfahren werden?◗ Welche ungeschriebenen oder auch schriftlich fi xierten Gesetze gelten für die jeweilige Inselgruppe bzw. den Kleinstaat?◗ Was passiert, wenn die drei Inselgesellschaften auf-einander treffen? Wird es unter dem Strukturmerkmal der Anarchie, was auch weitgehend noch für die heutige internationale Staatenwelt gilt, zu Kriegshandlungen kommen? Oder wird über strittige Fragen verhandelt und eine friedliche Kompromisslösung herbeigeführt, die alle Interessen zu berücksichtigen sucht?

3. Varianten des Insel-SpielsDas Insel-Spiel lässt sich im Rahmen einer AG oder eines längerfristigen, fächerübergreifenden Projekts umsetzen. Denkbar ist allerdings auch eine auf einzelne Aspekte verkürzte Version, die an einem einzelnen Vormittag durchgeführt werden kann. Bei der Bearbeitung des Insel-Spiels ist auch eine Aufbereitung als Theaterstück oder Videofi lm denkbar, um so die gewonnenen Erkenntnisse anderen vermitteln zu können. Die Philosophen können sowohl durch die Schüler verkörpert werden, aber sie können auch durch die Lehrperson dargestellt werden. In den unteren Jahrgangsstufen bietet sich eine Dar-

DAS INSEL-SPIEL

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Baustein D

stellung ausgewählter Philosophen in Posterform an. Auch in diesem speziellen Fall werden die Schüler zur Überlegung aufgefordert, welche Philosophen der von ihnen entwickelten Staatsform entsprechen bzw. nicht entsprechen.

Generell werden für das Spiel die Klassenstufen 6 bis 8 empfohlen, wobei Teamteaching wegen des recht großen Aufwands von Vorteil ist.

4. Die Spielphasen des Insel-Spiels im EinzelnenRollenbiografi enDie Schülerinnen und Schüler entwerfen zu Beginn des Spiels eigene Rollenbiografi en (vgl. D 1 im Schülerteil des Heftes) nach dem Motto: »Wer möchtest Du gerne sein? In welche Rolle möchtest Du gerne schlüpfen?« Sie ge-stalten einen eigenen Rollenausweis (Karten in gleicher Anzahl in Grün, Rot, Blau). Es folgt die Umgestaltung des Klassenzimmers.

Schiffsuntergang und StrandungDie Schülerinnen und Schüler recherchieren zunächst den Schiffskurs in Richtung Fidschi-Inseln, setzen sich auf den Boden und schließen die Augen (Meeresrauschen). Es folgt das Vortragen der Traumreise Teil I durch die Lehrperson. Anschließend bewegen sich die Schüler im Rhythmus der Musik und genießen Kulinarisches (Knab-bermischung auf Tablett). Nach einigen Minuten setzen sie sich wieder und schließen erneut die Augen. Die Lehrperson trägt Teil II der Traumreise vor. Nach der Textstelle mit der gewaltigen Explosion (Schiffsunter-gang) retten sich die Schüler in die drei bereitgestellten »Rettungsboote« (drei farbige Schnüre: grün, rot, blau in Bootsform; Zuordnung entsprechend der Ausweisfarbe). Die Schiffbrüchigen landen an drei auseinander gelege-nen Inselstränden (eingekreiste Bereiche mit Farbpunkten grün, rot, blau). Es folgt die Abdunklung und Meeresrau-schen. Die Schüler schließen wiederum die Augen. Diese Vorgehensweise wird später noch vermehrt Verwendung fi nden. Es ist deshalb sehr ratsam, die Abdunklung und die Musik zu ritualisieren.

Sicherung des ÜberlebensDie Schülerinnen und Schüler sollen sich nunmehr aktiv vor dem Hintergrundwissen, dass eine Rettung ausge-schlossen scheint, auf das Inselleben einstellen und können das angeschwemmte und damit vorhandene Ma-terial (Holz, Schnüre, Muscheln, Tücher, Steine, Bambus-rohre usw.) auf eine mögliche Nutzbarkeit überprüfen (z. B. kantige Muschel = Schneidewerkzeug). Die zentrale Fragestellung heißt in dieser Phase: »Überlegt Euch, wie Ihr Euer Überleben sichern könnt.« Die Gruppen gehen auf Nahrungssuche, bauen Flöße, richten sich Unterkünfte ein und stellen Angeln, Jagdwerkzeuge, »Kleidung« oder auch andere nützliche Gegenstände her. Für den Fischfang werden in den abgedunkelten Phasen (Nacht) Papierfi -sche zwischen den »Inseln« verstreut.

◗ Besprechungsphase IDie Inselgruppen stellen erste Lösungsansätze vor, die ihr Überleben sichern könnten.

Entwicklung rudimentärer StaatsstrukturenBesonders interessant sind die Reaktionsweisen der In-selgruppen auf den Wegfall zivilisatorischer Ordnungs-systeme. Mittels einer ersten Flaschenpost als Impuls, in der sich eine versteckte Arbeitsanweisung befi ndet (z. B. »Wie ist das Zusammenleben geregelt?«, vgl. D 1),entwickeln die Gruppen Regelungen (z. B. Inselgesetze) und einigen sich über einen Verbots- und Strafkatalog (Plakat, Farbstifte).

◗ Besprechungsphase IIDie Gruppen stellen sich jetzt gegenseitig ihre Inselge-setze vor und diskutieren die unterschiedlich akzentuier-ten Regelungen.

Produktion und Vermarktung Jede Gruppe erhält eine Urfrucht (Banane, Kokosnuss oder Orange), die symbolisch das Saatgut darstellt. Mit der nunmehr einsetzenden Produktion entwickeln sich Formen marktwirtschaftlichen Agierens. Der Vorgang des Säens wird von den Schülern durch das Umrisszeichnen auf Papier symbolisiert, das Bewässern durch Ausmalen und das Ernten durch Ausschneiden. Dabei erfahren die Schüler, dass die jeweiligen Produktionsschritte unter-schiedlich viel Zeit beanspruchen und durch Veränderun-gen Rationalisierungseffekte erzielt werden können.

Währungssystem Perlen In der darauf aufbauenden Phase entwickeln die Schüler ein geeignetes Währungssystem, symbolisch unterstützt durch die »angeschwemmten« Perlen. Die drei Gruppen erhalten jeweils die gleiche Anzahl (z. B. 90 rote, blaue oder grüne Perlen). Ziel ist ein eigenes Währungs-, Preis- und Entlohnungssystem, indem festgelegt wird, wer z. B. für welchen Arbeitseinsatz in welcher Höhe entlohnt wird. Zudem muss entschieden werden, wer das »Grup-pengeld« verwaltet und wie etwa Früchte bzw. Nahrung, Holz oder Werkzeuge erworben werden können. Mittels eigener Preisgestaltung treten jetzt die Gruppen mit dem Ziel, hohe Verkaufserlöse zu erwirtschaften, in direkte Konkurrenz zueinander.

◗ Besprechungsphase IIIDen rasanten Währungssystem- und Marktentwicklungen folgen zwei Gesprächsrunden zum gemeinsamen Aus-tausch (gegenseitige Vorstellung des Preis- bzw. Ent-lohnungssystems und des Produktionsablaufs). Abschlie-ßend wird festgestellt, welche der Gruppen den höchsten Gewinn bzw. Verlust erzielt hat. Die Schüler refl ektieren über Einführung bzw. Abschaffung des Geldes.

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Baustein D

EinwanderungsproblematikDie Gruppenmitglieder haben nun die Möglichkeit, die Gruppe zu wechseln. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, klare Regelungen zu Einwanderung und Asylgewährung auf ihrem jeweiligen Inselterritorium zu verabschieden. Fragen wie »Wer darf rein?« bzw. »Welche Voraussetzun-gen muss er oder sie mitbringen?« werden mittels einer weiteren, den Schülerimpuls aufnehmenden Flaschenpost zur Entscheidungsgrundlage (Flaschenpost Nr. 4; Farb-stifte, Plakat, vgl. D 1).

◗ Besprechungsphase IVGruppenbesprechung mit Erfahrungsaustausch.

Die philosophische EbeneNach mehreren Stunden Inselleben gilt es nun, Bilanz zu ziehen. Die von den unterschiedlichen Gruppen ent-wickelten Strukturen und Rechtssysteme sollen nun mit ausgewählten Ich-Aussagen der Philosophen verglichen werden. Die faszinierende Erfahrung für die Schüler be-steht darin, dass sie in einem schöpferischen Akt aus ei-gener Kraft diverse Gesellschaftskonstruktionen erschaf-fen haben, die von niemand Geringerem als den großen Denkern abendländischer Geistestradition begründet wur-den.

Zurück in die ZivilisationDas Projekt neigt sich nun dem Ende zu. Es gilt jetzt, die »Gestrandeten« von der nicht oder kaum erschlossenen Insel in die Zivilisation zurückzuholen (Schiff: Stuhl-anordnung in Rumpfform). Ein »mitgereister Journalist« (eine der Lehrpersonen) begrüßt die geretteten Insulaner an Bord und befragt sie nach ihren Erfahrungen und Ein-drücken während des Insellebens. Auch sollen die Schüler darüber Auskunft geben, was sie nach ihrer Rückkehr in ihre »alte Heimat« an neuem Wissen und Denken mit einbringen wollen.

Checkliste für die Lehrpersonen

Vorbereitung: Information des Lehrerkollegiums, Raum-organisation, Teamteaching.

Materialvorbereitungen: Karteikarten (Ausweise/Rollen-biografi e, Wandzeitung), Wandzeitung Philosophen (vgl. Material D 1 und D 2), farbige Seile (Rettungsboote).

Materialien für die Insulaner: Holzrollen und Latten, Schnüre, Muscheln, Tücher, Lederfetzen, Fäden, Näh-nadeln, Steine, Bambusrohre, Papierfi sche, drei Tüten mit verschiedenfarbigen Perlen, drei unterschiedliche (Ur-)Früchte, genügend Papier, Kartons, Scheren, Obst, Schokolade, Blei- bzw. Buntstifte, leere Flaschen (für Flaschenpost), Korken.

Technische Geräte: CD-Player, CD mit Meeresrauschen und Tierstimmen (Möwen) sowie Discomusik.

Innerhalb des Spiels beobachtbar: Geeignete Zeitpunkte (Fixpunkte) für Feedback- und Besprechungsphasen in den Projektverlauf einbauen.

Refl exionsphasen: Präsentations- bzw. Besprechungs-phasen sollten zeitlich den Gruppenprozessen (sinnvolle Zäsur) angepasst werden.

Mögliche Probleme: Beteiligungsdefi zite können durch ein geeignetes Sortiment an Sinnesmaterialien kompen-siert werden.

Die Texte zu den Traumreisen

◗ Traumreise Teil IDie Schülerinnen und Schüler sitzen auf dem Boden des Klassenzimmers und schließen die Augen (CD mit Mee-resrauschen):

»Wir befi nden uns an einem großen Hafen. Einige See-möwen kreischen leise im säuselnden Wind. Ein großes Luxusschiff mit dem Namen Earth 3000 legt leise brum-mend an. Langsam wird die Schiffstreppe ausgefahren und wir betreten das Schiff (im Hintergrund ertönt jetzt Partymusik, die zunehmend lauter wird). Wir betreten mit den anderen Reisenden den großen, hell ausgeleuchteten Partysaal des Schiffes und lauschen der Begrüßungsrede des Kapitäns.«

Die Lehrperson begrüßt die Anwesenden auf dem Lu-xusdampfer. Die Schüler wachen auf, bewegen sich zum Rhythmus der Musik und bedienen sich an der Bar.

◗ Traumreise Teil II»Müde begeben wir uns zurück in unsere Kojen (Schüler schließen die Augen). Wir hören die Geräusche der Wellen, die an den Schiffsbug klatschen. Langsam beginnt das Schiff zu schwanken. Ein Sturm zieht auf. Das Prasseln des Regens wird immer stärker. Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Alle Lichter gehen aus. Ihr werdet aus Eurem Schlaf gerissen und lauscht angespannt den Anweisungen des Kapitäns: ›Achtung, Achtung! Bewahren Sie bitte Ruhe und gehen Sie zügig aus Ihren Kabinen. Unser Schiff hat Schlagseite bekommen und ist nicht mehr manövrierfähig! Bitte begeben Sie sich an Deck und entsprechend Ihrer Ausweisfarben in die Rettungsboote (grüne Ausweise = grünes Boot). Rudern Sie so gut Sie können. Ich wünsche Ihnen viel Glück.‹«

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Die Beiträge belegen das Verdienst„politischer Köpfe“ aus Südwestdeutsch-land bei der Parlamentarisierung desDeutschen Reiches, bei der Begründungund Verteidigung der ersten deutschenDemokratie von Weimar, im Widerstandgegen die Hitler-Diktatur sowie beimWiederaufbau der deutschen Demokratienach 1945 und in der BundesrepublikDeutschland.

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Reinhold Weber/Ines Mayer (Hrsg.):Politische Köpfe aus Südwestdeutschland.Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 33, Stuttgart 2005.

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Wer betreibt das Portal ?Der Bundesarbeitsgemeinschaft(BAG) Politische Bildung Onlinegehören die Bundeszentrale für politischeBildung sowie die Landeszentralenfür politische Bildung der jeweiligenBundesländer an.

Im Download-Bereich …werden sämtliche derzeit online zurVerfügung stehende Publikationender Zentralen für politische Bildungverzeichnet.

Im Webkatalog …sind derzeit über 2000 wichtigeAdressen und Angebote im Web imBereich Politik und Bildung erfasst,beschrieben und nach Themen sortiertzugänglich.

Im Bereich Link-Tipps …werden zu jeweils aktuellen Themeneine Auswahl an Link-Tipps zusammen-gestellt. Monatlich kommen 2–3 Themenhinzu bzw. werden überarbeitet undaktualisiert.

Was möchte das Portal ?Das gemeinsame Internet-Portalmöchte die Internet-Angebote allerZentralen für politische Bildung unterder gemeinsamen Web-Adressewww.politische-bildung.dezugänglich machen.

Das Informations-Portal zur politischen BildungEin Angebot der Zentralen für politische Bildung

Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Politische Bildung Onlinec/o Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg,Stafflenbergstr. 38, 70184 [email protected] www.politische-bildung.de

Baden-Württemberg hat traditionell denhöchsten Ausländeranteil unter den deut-schen Flächenländern. Fast 1,3 MillionenMenschen aus mehr als 200 Nationender Erde leben im Südwesten. Die ersten„Gastarbeiter“ im Nachkriegsdeutsch-land kamen nach Baden-Württemberg.

Das Buch bilanziert fünfzig Jahre Aus-länder- und Integrationspolitik bis zurVerabschiedung des Zuwanderungs-gesetzes im Sommer 2004. Thematisiertwerden übergreifende integrationspoli-tische Aspekte und einzelne Migranten-gruppen in Vergangenheit und Gegen-wart. Auch die Frage, welche RolleZuwanderung mit Blick auf die demo-grafische Entwicklung der deutschen

Gesellschaft künftig spielt, steht dabeiim Mittelpunkt. Der Band belegt: Baden-Württemberg ist als Einwanderungslandvon kultureller Vielfalt geprägt.

Das Buch ist gegen eine Schutzgebührvon 6.50 EUR (zzgl. Versandkosten)bei der Landeszentrale fürpolitische Bildung, Marketing,Stafflenbergstr. 38, 70184 [email protected] oder überwww.lpb-bw.de/Shop zu bestellen.

Karl-Heinz Meier-Braun/Reinhold Weber (Hrsg.):Kulturelle Vielfalt. Baden-Württemberg als Einwanderungsland.Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 32, Stuttgart 2005.

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A • Demokratie im Alltag (er-)leben

Demokratie (er-)lebenEin Prinzip in Gesellschaft und Politik

Baustein A Demokratie im Alltag (er-)leben

A 1 – A 2 Was bedeutet Demokratie für Dich? 18A 3 – A 5 Entscheidungen in Familie, Clique und Klasse 20A 6 Werte in der Demokratie 22

Baustein B Misch dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B 1 – B 4 Mitmachen in der Schule! 24B 5 – B 7 Mitmachen in der Gemeinde! 27B 8 Mitmachen in den Jugendorganisationen der Parteien! 29B 9 – B 10 Mitmachen bei Wahlen! 31

Baustein C Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

C 1 – C 2 Pluralismus der Meinungen, Interessen und Lebensstile 34C 3 – C 4 Parteien, Verbände, Interessengruppen 36C 5 Lobbyismus 38C 6 Fallbeispiel: Die Neue Messe in Leinfelden-Echterdingen 39

Baustein D Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 1 Das Inselspiel: Wie soll Euer Staat gestaltet sein? 42D 2 Gedanken über den besten Staat 44D 3 Staatsformen: ein Überblick 49D 4 Gewaltenteilung 50D 5 Deutschland: eine parlamentarische Demokratie 51D 6 Vier deutsche Bundeskanzler – vier politische Karrieren in der Demokratie 52D 7 Die wehrhafte Demokratie: Freiheit und Sicherheit 56D 8 – D 9 Rechtsstaat und Sozialstaat 57D 10 – D 11 Medien in der Demokratie 59D 12 – D 13 Beispiele für die Missachtung der Demokratie 60D 14 – D 15 Was ist Demokratie? 62

Texte und Materialien für Schülerinnen und Schüler

2/3-2006

Hinweis: Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von Websites, auf die in diesem Heft verwiesen oder verlinkt wurde.

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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A • Demokratie im Alltag (er-)leben

A 1 Einstellungen zur Demokratie und zur Politik

A • Demokratie im Alltag (er-)lebenMaterialien A 1 – A 6

◗ Bildet in Eurer Klasse vier Gruppen und diskutiert die zehn Aussagen. Entscheide Dich anschließend ganz für Dich selbst und kreuze in der Tabelle an, was für Dich zutrifft oder was für Dich überhaupt nicht zutrifft.◗ Sammelt in Eurer Klasse die Ergebnisse der Fragebögen und stellt die Ergebnisse grafi sch dar. Vergleicht diese Er-

gebnisse nun mit denen der Shell Jugendstudie von 2002. Bei der Suche der Ergebnisse dieser Befragung von 2.500 Jugendlichen in Deutschland ist Euch sicherlich Euer Lehrer behilfl ich.◗ Führt eine Straßenumfrage durch und vergleicht die Ergeb-nisse ebenfalls mit der Shell-Jugendstudie.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU A 1

1. Jeder sollte das Recht haben, für seine Meinung einzutreten, auch wenn die Mehrheit anderer Meinung ist.

2. Jeder Bürger, der das Wahlrecht hat, sollte auch wählen gehen.

3. Jeder Bürger hat das Recht, für seine Überzeugung auf die Straße zu gehen.

4. Eine lebensfähige Demokratie ist ohne politische Opposition nicht denkbar.

5. Auch wer in einer politischen Auseinandersetzung in der Mehrheit ist, sollte einen Kompromiss mit der Minderheit suchen.

6. Ich glaube nicht, dass sich Politiker darum kümmern, was Leute wie ich denken.

7. Eine starke Hand müsste mal wieder Ordnung in unseren Staat bringen.

8. Politik fi nde ich zu kompliziert.

9. In einer Demokratie müssen alle aufeinander Rücksicht nehmen.

10. Ich bin stolz auf unsere Demokratie.

trifft voll und ganz zu

trifft überhaupt nicht zu

Fragen nach: Jugend 2002. 14. Shell Jugendstudie, Frankfurt/M. 2002, S. 109.

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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A • Demokratie im Alltag (er-)leben

A 2 Was bedeutet Demokratie für Dich?

◗ Bildet Gruppen und sammelt alle Begriffe, die Euch zum Thema Demokratie einfallen. Verfasst nun einen Brief, in dem Ihr darlegt, was unsere Demokratie für Euch persönlich bedeutet.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU A 2

Liebe Jugendliche,

sicherlich habt Ihr schon viel von mir gehört und auch schon einiges über mich erfahren. Schließlich lebt Ihr ja mit mir. Ja, Ihr habt richtig gehört! Ich bin es – Eure Demokratie!

Dort, wo ich auftrete, höre ich oft Kritik an mir. Zu langsam seien die Entscheidungen mit mir, viele hätten keine Lust mehr, mit mir etwas zu unternehmen, zum Beispiel wählen zu gehen. Und dann heißt es manchmal sogar noch, ich sei schuld an der hohen Arbeitslosigkeit und mit mir könne man keine durchgreifenden Reformen verwirklichen.

Das geht doch zu weit, oder? Ich sitze jetzt etwas zerknirscht da und hoffe, dass Ihr mich ein wenig aufmuntern könnt! Schreibt mir einen kurzen Brief und teilt mir doch mit, was ich Euch bedeute und was Euch an mir wichtig ist!

Liebe GrüßeEure Demokratie

Einige Schülerinnen und Schüler haben der Demokratie be-reits geantwortet! Hier einige Auszüge aus den Briefen:

Hallo Demokratie,Du bist der Versuch eines Volkes, sich selbst zu regieren! Danke!Franka Z.

Liebe Demokratie,ich fi nde es gut, dass es Dich gibt! Obwohl manches na-türlich besser sein könnte, z. B. mehr Unterstützung für Familien oder Schwächere in der Gesellschaft, gefällt mir an Dir besonders, dass Du allen Menschen, die mit Dir leben, die gleichen Rechte gibst. Schade, dass Dein Arm nicht noch weiter reicht, auch nach Afrika!Sina B.

Hallo Demokratie,meine Mutter leitet seit kurzer Zeit ein Unternehmen. Ich fi nde gut an Dir, dass Du Dich um die Chancengleichheit von Frauen und Männern bemühst, denn beide haben die gleichen Rechte, auch bei der Berufswahl.Lisa S.

Liebe Demokratie,Demokratie heißt für mich Herrschaft des Volkes. Keine Unterdrückung und keine Tyrannei, wie wir sie aus dem Geschichtsunterricht kennen. Das war nicht leicht durch-zusetzen. Danke!Maximilian Z.

Liebe Demokratie,ich fi nde Dich gut, weil dank Dir die Bürgerinnen und Bürger, das Volk, durch eine freie Abstimmung entschei-den, wer unser Land regieren soll. Und trotzdem wird die Minderheit nicht unterdrückt.Thorsten A.

Liebe Demokratie!Ich bin stolz auf Dich! Dank Dir kann ich überall meine Meinung frei äußern, solange ich niemanden beleidige!Noa B.

Liebe Demokratie,bitte sag doch den Leuten, dass sie sich wieder stärker für ihre eigenen Rechte und für Dich einsetzen sollen. Ich mache mir nämlich Sorgen, dass Du sonst gefährdet sein könntest.Herman B.

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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A • Demokratie im Alltag (er-)leben

A 3 Demokratie in der Familie

ARBEITSAUFTRÄGE ZU WEITEREN FAMILIENKONFLIKTEN

◗ Diskutiert die drei folgenden Konfl ikte und entwerft selbst Lösungsmöglichkeiten. Wie soll, nach Anhörung aller Argu-mente, jeweils entschieden werden?

1. Sarah ist 16 Jahre alt und hat einen Zwillingsbruder. Aus Sicherheitsgründen wird Sarah von ihren Eltern strengstens verboten, später als 22 Uhr nach Hause zu kommen. Ihr Zwil-lingsbruder Leo kann dagegen mehr oder weniger tun, was er will. Hier drücken die Eltern schon einmal beide Augen zu – er ist ja eine Junge, sagen sie.

2. Marina ist 15 Jahre alt und blockiert jeden Morgen eine Stunde lang das Badezimmer. Ihren jüngeren Bruder Felix, 13 Jahre alt, lässt sie immer nur ganz kurz ins Bad. Sie fi ndet es völlig in Ordnung, dass sie das Bad länger »braucht« als

Felix. Seinen Protest fi ndet sie unangebracht und ärgert sich darüber so sehr, dass sie das Badezimmer abschließt und Felix nur nach heftigem Klopfen die Tür öffnet.

3. Familie Serrano war letztes Jahr auf der Karibikinsel Trinidad in Urlaub. In diesem Jahr ist die Haushaltskasse knapper. Vater und Mutter Serrano sprechen sich für einen Camping- und Wanderurlaub in Südtirol aus. Silvia, die Toch-ter, protestiert heftig. Sie ist seit dem Trinidad-Urlaub eine begeisterte Taucherin und schlägt vor, an die nordspanische Küste zu verreisen, wo man die Ferienwohnung von Bekann-ten mieten und wundervoll tauchen könnte. Juan, der Sohn, möchte unbedingt nach Barcelona. Ihn fasziniert das bunte Treiben in der Geburtsstadt seiner Eltern.

In Familie Müller sind beide Elternteile berufstätig. Die Woche ist straff durchorganisiert und alle Familienmitglie-der haben ihre festen Termine: Arbeit, Schule, Haushalt, Vereine, Hobbys usw. An einem Tag in der Woche aber,

meist am Sonntag, steht ein fest vereinbarter Familientag auf dem Programm. Dieses Wochenende ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie der gemeinsame Familientag gestal-tet werden soll ...

• Frau Müller möchte am Familientag gerne eine Wanderung in den nahegelegenen Bergen machen und anschließend mit der Familie in ein beliebtes Ausfl ugslokal einkehren.

• Herr Müller möchte dagegen lieber den ganzen Tag in ein neu eröffnetes Automobilmuseum. Dort wird gerade eine Sonderschau von Oldtimern gezeigt, die nur noch eine Woche lang zu sehen ist.

• Martin Müller, der Sohn, möchte am Familientag seinen besten Freund mit dabeihaben. Bei einer Fahrt mit dem Auto geht das aber nicht, weil schließlich auch der große Hund der Familie mit dabei sein soll.

• Franziska Müller, die Tochter, möchte bei dem schönen Wetter zum Surfen an den See.

Die Stimmung ist inzwischen so aufgeheizt, dass nur noch eine unabhängige Person von außen schlichtend eingreifen kann. Stell Dir vor, Du bist 30 Jahre alt und mit Familie

Müller gut befreundet. Wie würdest Du entscheiden? Welche Überlegungen stehen hinter Deiner Entscheidung?

1. Der Familientag fällt aus. Jeder macht das, wozu er am meisten Lust hat.

2. Der Familientag wird auf einen gemeinsamen Besuch in der Eisdiele am Vormittag verkürzt. Anschließend geht jeder seinen eigenen Interessen nach.

3. Jeder tut tagsüber das, wozu er am meisten Lust hat. Abends treffen sich alle Familienmitglieder samt Freund des Sohnes am Grillplatz beim See.

4. Als Freundin oder Freund der Familie erklärst Du Dich bereit, den Hund zu übernehmen. Die Familienmitglieder– samt Freund des Sohnes – besuchen gemeinsam das

Automobilmuseum. Dafür wird etwa eine Stunde einge-rechnet. Im Anschluss daran fahren alle gemeinsam zum Ausfl ugslokal am Bergsee. Franziska kann hier surfen. Die anderen Familienmitglieder wandern um den See, fahren Tretboot und fotografi eren Franziska beim Surfen.

5. Die Familienmitglieder verzichten auf ihre individuellen Wünsche, um gemeinsam die Großeltern zu besuchen, die ihre Enkel schon lange nicht mehr gesehen haben.

Die konträren Vorstellungen der Familienmitglieder (Problemstellung)

Wie könntest Du Familie Müller helfen?

Die Ausgangslage

Wären das praktikable Lösungsvorschläge?

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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A • Demokratie im Alltag (er-)leben

A 4 In der Clique entscheiden

A 5 Entscheidungen in der Klasse treffen

Die beiden Freundinnen Laura und Lisa feiern gemeinsam ihren 15. Geburtstag. Sie laden ihre gesamte Clique ein. Die Eltern der beiden haben zugestimmt, dass sie zu Hause feiern dürfen. Die Abmachung war aber, dass es auf dem Fest keine alkoholischen Getränke geben darf. Als die Party in vollem Gange ist, kommen unangemeldet ältere Jungs hinzu und bringen Alkopops mit ...

Die Clique um Martin und Kevin ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Die Jugendlichen tragen die gleichen Marken-jeans und hören die gleiche Musikrichtung. Lukas, der erst kürzlich in die Stadt gezogen ist, kommt neu in die Klasse. Er hat andere Vorlieben, legt keinen Wert auf Markenkleidung und hört andere Musik. Mit Michael aus der Clique hat er sich schon angefreundet. Der Rest der Clique lehnt Lukas aber ab ...

Eure Clique fährt in der Straßenbahn zum Live-Konzert. Die Spannung steigt, die Vorfreude ist groß. Ihr bekommt mit, wie zwei Jugendliche einen etwas sonderbar gekleideten, schmächtigen Jungen angreifen. Der Junge ist sichtlich ver-ängstigt. Er versucht, in den vorderen Teil der Straßenbahn zu gelangen, doch die älteren Jugendlichen versperren ihm sowohl den Weg nach vorn zum Schaffner wie zu den Aus-gangstüren ...

Du fühlst Dich eigentlich ganz wohl in Deiner Clique. Seit einiger Zeit benimmt sich ein Mitglied der Clique, Benjamin, aber wie ein »Platzhirsch«. Er protzt mit den teuersten Kla-motten, er bekommt am meisten Taschengeld von allen und will neuerdings immer über die Köpfe der anderen hinweg entscheiden, was gemeinsam in der Clique unternommen werden soll ...

Szenario 1

Szenario 2

Szenario 3

Szenario 4

Versetzt Euch in die vier beschriebenen Situationen. Wie würdet Ihr in Eurer Clique jeweils entscheiden?

Begründet Eure Entscheidung ausführlich.

ARBEITSAUFTRAG ZU A 4

Szenario 1 Szenario 2

In letzter Zeit beklagen sich vermehrt Schüler aus der Klasse 7b, dass ihnen Geld wegkomme. Die Schulleitung und auch die Eltern sind bereits informiert. Alle Schüler sind aufge-fordert, das »schwarze Schaf« herauszufi nden. Eines Tages kommt Jens während der Sportstunde in den Umkleide-raum und sieht, wie Olaf im Rucksack eines seiner Klassen-kameraden herumsucht und sich etwas einsteckt. Jens tritt leise hinter Olaf, greift ihm in die Tasche und zieht einen 10-Euro-Schein heraus. Daraufhin gesteht Olaf unter Tränen, er brauche das Geld dringend für Nachhilfestunden. Seine alleinerziehende Mutter habe nicht genug Geld, ihm diese zu bezahlen. Er fl eht Jens an, ihn nicht zu verraten. Schließlich seien die beiden ja gut befreundet ...

In der Geschwister-Scholl-Schule ist es üblich, dass die Schü-ler alle zwei Jahre eine größere gemeinsame Fahrt unter-nehmen. Eine Jungengruppe von fünf Schülern möchte im Winter auf eine Berghütte, um Snowboard zu fahren. Eine andere, weniger sportliche Jungengruppe möchte lieber das Angebot einer heimischen Computerfi rma annehmen, zu Hause bleiben und statt Schulunterricht an einem Computertraining teilnehmen. Eine Mädchengruppe möchte im Herbst auf einen Bauernhof, wo auch Reiten mit eingeschlossen ist. Eine wei-tere, gemischte und politisch sehr interessierte Gruppe von Mädchen und Jungen möchte lieber nach Straßburg und dort das Europaparlament besuchen. Die Gruppe hat bereits Kon-takt mit einem Europaparlamentarier aufgenommen ...

◗ Für welchen Vorschlag soll sich die Klasse in Szenario 2entscheiden? ◗ Wie soll die für alle Klassenmitglieder geltende Entschei-dung getroffen werden? ◗ Könnte vielleicht ein Kompromissvorschlag ausgearbeitet werden, der mehr oder weniger alle Schülerinnen und Schü-ler zufriedenstellt?

◗ Wie soll sich Jens in Szenario 1 verhalten? Sollte er auf jeden Fall die Klassenlehrerin oder die Schulleitung über Olafs Diebstahl informieren? ◗ Sollte er Olaf auffordern, das Geld insgeheim zurückzuzah-len und dann die Sache auf sich beruhen lassen? ◗ Sollte er die gesamte Klasse informieren oder nur den Klassensprecher? Oder sollte er niemandem etwas sagen?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU A 5

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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A • Demokratie im Alltag (er-)leben

A 6 Werte in der Demokratie

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Politik & Unterricht • 2/3-2006

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A • Demokratie im Alltag (er-)leben

ARBEITSAUFTRÄGE ZU A 6

◗ Bildet pro Zeichnung eine Gruppe, also insgesamt fünf Gruppen in der Klasse. Beschreibt nun, was auf Eurer Zeich-nung zu sehen ist. Analysiert und interpretiert die Zeich-nung. Was ist Eure Meinung dazu? Was könnte der Zeichner aussagen wollen?◗ Ordnet nun Eurer Zeichnung Begriffe aus dem Begriffe-Lexikon zu. In dem Lexikon stehen schon ein paar Begriffe, die in den Zeichnungen thematisiert werden. Ergänzt das Lexikon um weitere Begriffe, die Ihr mit der Zeichnung Eurer Gruppe in Verbindung bringt.◗ Durch Auslosen bekommt nun jedes Gruppenmitglied einen Begriff aus dem Lexikon zugewiesen. Jede Schülerin und jeder Schüler soll nun in eigenen Worten den zugelosten Begriff erläutern.

BEGRIFFE-LEXIKON

1. Mehrheit

2. Minderheit

3. Kompromiss

4. Respekt / Wertschätzung

5. Zivilcourage

6. Gewaltverzicht

7. Volksherrschaft

8.

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B • Misch Dich ein! Mitmachen in der DemokratieMaterialien B 1 – B 10

B 1 Schülermitverantwortung an der Schule

P&U führte ein Interview mit Anna M. (15 Jahre) über die Rolle des Schülersprechers und über die Schülermitver-antwortung an einer Realschule in Baden-Württemberg.

P&U: Welche Vorstellungen hattest Du beim Antritt Deines Amtes als Schülersprecherin?

Anna M.: Ich kannte die SMV-Arbeit ja schon aus meiner Zeit als Klassensprecherin. Schon damals konnte ich eini-ges mitentscheiden, wie zum Beispiel eine Schülerdisko, die Ausgestaltung der Pausenhalle und die Hausaufgaben-betreuung an unserer Schule.

P&U: Wie hast Du Dein Amt wahrgenommen und welche Ziele hattest Du?

Anna M.: Als ich zur Schülersprecherin gewählt wurde, kamen auf mich viele neue Aufgaben zu. Das Thema »rauch-freie Schule« hat zu vielen Diskussionen geführt. Und das nicht nur bei den Schülern, sondern auch bei den Lehrern. Ich wollte halt schon immer die Interessen der Schüler ver-treten. Das ist gar nicht so leicht. Fünft- und Sechstklässler sitzen oft nur schweigend da, während Vierzehn- oder Fünf-zehnjährige schon viele Ideen haben. Vor einem halben Jahr wollten wir mal zusammen ein Fußballspiel organisieren. Am Ende mussten wir es zu zweit durchziehen. Das erlebe ich oft, aber es hat dann doch noch geklappt. Ich setze mich auch für eine Schulbibliothek ein, weil wir bis jetzt noch keine haben. Auf dem Pausenhof wollen wir einen Basketballkorb aufstellen. Aber bis jetzt will noch niemand den Balldienst übernehmen. Für Hopsspiele sollen Felder eingezeichnet werden, und für den Essensverkauf machen wir zurzeit Vorschläge für ein besseres Angebot.

P&U: Wie hat sich Dein Bild Deines Amtes im Lauf der Zeit verändert? Meinst Du, dass Du wirklich etwas verändern konntest?

Anna M.: Im Moment kommen auf uns als SMV neue und sehr wichtige Aufgaben zu. Ich denke da an das Leitbild unserer Schule. Oder daran, dass Schulen Freiräume und Möglichkeiten erhalten, eigene Schwerpunkte zu setzen. In den Diskussionen der letzten Wochen ging es darum, unseren Beitrag zum Leitbild zu leisten. Wir als SMV wollen uns dafür einsetzen, dass Schüler sich gegenseitig akzeptieren und unterstützen. Die Art des Umgangs mit anderen Schülern und den Lehrern fi nden wir sehr wichtig. Ich glaube schon, dass wir als SMV im Moment sehr viel bewegen können – aber das ist auch immer mit viel Arbeit verbunden, die eine Spre-cherin alleine nur schwer leisten kann.

P&U: Was für ein Typ von Mensch bist Du? Wie siehst Du Dich selbst? Nimmst Du eher Anregungen auf oder wirst Du lieber selber aktiv?

Anna M.: Wenn ich eine Idee habe, dann will ich das durch-ziehen. Ich mag es nicht, wenn mir dann jemand dazwi-schenfunkt. Ich liebe es, etwas voranzubringen. Ich möchte auch später einmal etwas im Bereich Management machen. Ich will etwas organisieren und zum Abschluss bringen.

P&U: Wie könnte man Deiner Meinung nach die Schüler-mitverwaltung verbessern?

Anna M.: Schade ist, dass Schüler über die Arbeit der SMV zu wenig wissen. Wenn die SMV-Mitglieder mal einen Ausfl ug machen oder auf eine Hütte gehen, wird von den Schülern oft kritisiert, wie schön wir es doch hätten. Dabei ist es für uns so wichtig, dass wir mehr Zeit zum Diskutieren und Ent-scheiden haben. Ich selber wäre auch bereit, nachmittags zu einer SMV-Sitzung zu kommen. Aber halt nur ich oder wenige andere. Wir bräuchten mehr SMV-Sitzungen und statt Einzel- Doppelstunden. Eine Stunde braucht man ja schon, um ein Thema zu fi nden und gute Ideen auszutauschen.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 1

◗ Was erfahrt Ihr über die Schülersprecherin Anna M.? No-tiert wichtige Stichpunkte aus dem Interview und stellt Euch die Ergebnisse gegenseitig vor.◗ Was wisst Ihr über die SMV-Arbeit an Eurer Schule? Führt ein Interview mit Eurem Schülersprecher durch oder ladet ihn oder sie in Eure Klasse ein.

◗ Diskutiert das Thema »rauchfreie Schule« und die Frage, welche Rolle die SMV dabei spielen könnte.◗ Informiert Euch über das Leitbild Eurer Schule und macht Vorschläge, wie Ihr mit der SMV daran mitwirken könnt. Präsentiert Eure Ergebnisse anschließend auf einer Wand-zeitung.

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

◗ Recherchiert im Internet nach Schülerzeitungen, die eine eigene Homepage haben. Vergleicht mit den Ansätzen und Ideen von »Spongo« in B 2.◗ Was macht Eurer Meinung nach eine gute Schülerzeitung aus? Erstellt eine Liste mit den wesentlichen Punkten.

◗ Zu B 3: Verfasse einen Artikel für die Schülerzeitung, in dem Du Dich auch mit der Vorbildfunktion von Lehrern auseinandersetzt? Was musst Du alles beachten, um fair zu berichten?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 2–B 3

Die beste Schülerzeitung des Jahres 2006 heißt »Spongo« und kommt aus dem schwäbischen Nürtingen. Chefredak-teur Matthias Eberspächer, 19, über Schreiben in der Provinz und seinen Traumberuf Lehrer:

SPIEGEL ONLINE: Ihr habt sechs Top-Ten-Platzierungen beim SPIEGEL-Schülerzeitungswettbewerb belegt, unter anderem bester Heftinhalt, bestes Layout, beste Repor-tage – was ist das Erfolgsrezept von »Spongo«?

Wir sind ein eingespieltes Redaktionsteam von 10 bis 15 Leuten, das seit der 9. oder 10. Klasse zusammen ist, sich langsam entwickelt hat und immer wieder durch Preise und kleine Erfolge hochgestachelt wurde. Der harte Kern ist auch gut befreundet, da verbringt man gerne Zeit miteinander.

SPIEGEL ONLINE: Habt Ihr feste Hierarchien?

Ja, ein relativ demokratisches Redaktionssystem. Wir haben drei Chefredakteure mit eigenen Aufgabengebieten, Redak-teure, die sich um jeweils eine Kategorie kümmern und Leute für Layout und Werbung. Die Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, wobei die Chefredaktion schon die Richtung vorgibt.

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht Eure Blattlinie aus?

Alle Themen, die Jugendliche beschäftigen, kommen in die Zeitung. Wir müssen eigentlich nur schauen, was uns selbst interessiert. ...

SPIEGEL ONLINE: Willst Du einmal Journalist werden?

Ich will vor dem Studium durch Praktika auf jeden Fall in den Beruf reinschnuppern. Das ist ein Traum, aber es gibt auch Alternativen. Zum Beispiel Lehrer.

SPIEGEL ONLINE: Ein Job, den die Öffentlichkeit gerade dank Rütli-Schule und Co. nicht sehr positiv wahrnimmt.

Bei uns haben Lehrer wenig Probleme mit den Schülern. Ich habe ein positives Bild von dem Beruf, weil ich gerne Leuten etwas beibringe und Bildung ein faszinierendes Thema fi nde. Ähnlich wie Schülerzeitung. …

SPIEGEL ONLINE: Und wie ist das bei Eurer Zielgruppe?

Wir haben 1.200 Schüler, eine Aufl age von 750 und verkau-fen davon etwa 600. Wir hoffen aber, dass wir durch Zweit-leser etwa 90 Prozent der Schüler erreichen – wenn auch nicht mit jeder Geschichte. Wenn ich mir anschaue, was es am ersten Tag jedes Mal noch für einen Ansturm gibt, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass das keine Zukunft haben soll. …

SPIEGEL Online vom 30. Mai 2006 (Interview: David Böcking).

B 3 Schülerzeitung – fair berichten!

An Deiner Schule ist das Rauchen für Schüler strikt verbo-ten. Wer dennoch beim Rauchen erwischt wird, muss den Schulhof vom Müll reinigen. Für Lehrer gibt es dagegen

Szenario das Raucherzimmer. Ein Teil der Schülerschaft fi ndet das ungerecht. Du hast Dich als Redakteur Eurer Schülerzeitung entschieden, dieses Thema aufzugreifen und einen Artikel zu schreiben.

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B 4 Schulkleidung für alle?

Rektor läuft Reklame»In dieser Saison trägt man kleinere Logos.« Schulleiter Günter Behre trägt zurzeit schwarz mit dem rosafarbenen Logo der Haupt- und Realschule Friesenheim, denn der Rektor läuft nach eigenem Bekunden Reklame. Schwarz und Rosa sind die neuen Farben in der Kollektion »Look«, die an der Schule bei Lahr seit gut einem Jahr angesagt ist. Jeder dritte der 800 Schüler trägt inzwischen »Look«, der Rektor sowieso, aber auch zahlreiche Lehrer.

»Look« ist an der Schule Programm. An Schuluniform erin-nert die Kollektion nur entfernt. Es gibt Polo- und T-Shirts, Kapuzenpullis oder Rugby-Shirts, 16 verschiedene Klei-dungsstücke insgesamt, in Dunkelblau, Gelb, Rot oder eben Schwarz, der Farbe der Saison. Unverzichtbar ist das Logo mit den ineinander übergehenden Buchstaben h, r und s, für

Haupt- und Realschule. Das ganze ist nicht teurer als das Outfi t der Ketten »C & A« oder »H & M«, versichert Behre.

In Friesenheim trägt man nicht Uniform, sondern Schulklei-dung. Die Schüler können ihre Kleidung frei wählen, jedes Kind habe im Schnitt drei Kleidungsstücke, berichtet der Rektor. Niemand ist verpfl ichtet, die Kleidung mit Logo zu tragen. »Was taugt‘s, wenn ich nicht überzeugen kann«, sagt Behre. Möglicherweise fi ndet »Look« gerade deshalb immer größeren Absatz, weil man sie freiwillig trägt. Die Schulklei-dung wird bei einem bestimmten Händler im Ort verkauft. Inzwischen denken die Projektmanager daran, in den großen Pausen einen Kleiderstand in der Schule aufzumachen.

Die Kleiderfrage ist kein Thema mehr an der Schule. Vor gut einem Jahr war das noch anders. Damals gab es zahlreiche Beschwerden, weil Schüler wegen ihrer Kleidung gehän-selt wurden. Eine Umfrage ergab, dass fast ein Drittel der Schüler betroffen war. Andererseits waren viele Eltern nicht bereit, teure Markenkleidung zu kaufen. Warum also keine Schulkleidung? Schüler, Eltern und Lehrer stimmten ab, Musterkollektionen wurden präsentiert, die Schulkonferenz gab den Segen, das Projekt »Look« war geboren. Jetzt hat die Identifi kation der Schüler mit der Schule »extrem zuge-nommen«, sagt Behre. Man fühle sich wohl, das Zusammen-gehörigkeitsgefühl sei deutlich gestärkt worden, man sei sogar stolz auf die Schule.

Stuttgarter Zeitung vom 9. Mai 2006 (Renate Allgöwer).

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 4

◗ Welche Argumente für eine Schulkleidung fi ndest Du in dem Text? ◗ Wie kam die Entscheidung an der Schule in Friesenheim zustande?◗ In der Tabelle fi ndest Du jeweils ein Argument für und

eines gegen Schulkleidung. Sammelt in der Klasse oder in Gruppenarbeit weitere Argumente und führt eine Pro- und Contra-Debatte durch. Ihr könnt dann abstimmen und Euch überlegen, wie Ihr vorgehen würdet, falls Ihr eine Schulklei-dung an Eurer Schule einführen möchtet.

CONTRA: Argumente gegen einheitliche SchulkleidungPRO: Argumente für einheitliche Schulkleidung

»Bei dem vorherrschenden Markenzwang hätte dies für die Schüler Vorteile, die kein Geld für Markenkleidung haben.«

»Schuluniformen machen alle Schüler gleich. Man kann seinen eigenen Stil nicht mehr zeigen.«

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Politik & Unterricht • 2/3-2006

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B 5 Jugendgemeinderäte: Die kommunale Vertretung Jugendlicher

Um Jugendliche stärker an die Politik heranzuführen, demo-kratische Spielregeln erfahrbar zu machen und gleichzeitig ihre Interessen in kommunalpolitische Planungs- und Ent-scheidungsprozesse aufzunehmen, haben einige Kommunen regelmäßig tagende Gremien eingerichtet, in denen Jugend-liche die Anliegen ihrer Altersgruppe vertreten. In diesen Jugendgemeinderäten und Jugendräten ist eine politische Beteiligung möglich, die in mehreren Bundesländern ge-setzlich vorgesehen ist. Diese kommunalen Einrichtungen haben das Recht, zu Entscheidungen des Gemeinderats und der Verwaltung angehört zu werden oder auch selbst An-träge einzubringen. Inzwischen gibt es bundesweit annä-hernd 300 Jugendgemeinderäte, davon 90 allein in Baden-Württemberg.

Ein großes Anliegen der rund 1.500 Jugendgemeinderatsmit-glieder in Baden-Württemberg ist es, ihre Stadt für Jugend-liche attraktiver zu machen. Hierzu gehören beispielsweise die Gestaltung und Einrichtung von Spiel- und Sportplätzen, die Planung von Rad- und Verkehrswegen, die Umgestaltung

von Schulhöfen, Skateanlagen, der Nahverkehr – insbeson-dere Nachtbusse und Tarife –, die Gestaltung und Erhaltung von Jugendhäusern, politische und sonstige Veranstaltun-gen, Umweltaktionen, Bandcontests und vieles mehr.

Wie, wann und für wie lange ein Jugendgemeinderat ge-wählt wird, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Das aktive und passive Wahlrecht haben in der Regel alle Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Die Amtszeit be-trägt meist zwei Jahre. Die Anzahl der Ratsmitglieder, die überparteilich arbeiten, ist von der Größe der Kommune ab-hängig. Alle Jugendgemeinderäte haben einen eigenen Etat für Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und Projekte.

Weitere Informationen fi nden sich auf www.jugendgemein-derat.de, der Homepage des Dachverbandes der Jugend-gemeinderäte Baden-Württemberg.

Wolfgang Berger, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

◗ Welcher Jugendgemeinderat in Deiner näheren Umgebung hat einen eigenen Internetauftritt? Informiert Euch über seine Arbeit und berichtet in der Klasse.◗ Welche Rechte haben die Jugendgemeinderäte?◗ Wie ist das Verhältnis von Jungen und Mädchen in diesem Jugendgemeinderat?◗ Beratet in Kleingruppen, für welche Aufgaben sich der Jugendgemeinderat einsetzen sollte: für die Klasse, für Eure Schule, für den Orts- oder Stadtteil?

◗ Würdest Du Dich für den Jugendgemeinderat zur Wahl stellen? Was spräche dafür und was dagegen?◗ Überlege, warum sich Jugendliche nicht in (Partei-)Listen zusammenschließen, um zur Jugendgemeinderatswahl ge-geneinander anzutreten.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 5–B 6

B 6 Politik für Einsteiger

Politik? Bloß nicht! Damit kann doch niemand was anfan-gen, oder etwa doch? Lioba Fluhr fi ndet Politik interessant. So interessant, dass sie sich sogar im Jugendgemeinderat in Tettnang engagiert. Zugegeben, alltäglich ist das, was die 17-Jährige macht, nicht. Sie verbringt viel Zeit damit, sich für den Jugendgemeinderat in Tettnang zu engagieren ... Aber: Lioba fi ndet es einfach interessant, sich mit Politik zu beschäftigen: »Ich denke mich gerne in die Probleme rein, überlege, was es für Möglichkeiten geben könnte und tausche mich gerne darüber aus.«

Im Tettnanger Jugendgemeinderat engagiert sich Lioba seit Herbst 2004 und ist eine der Vorsitzenden. 15 Mitglieder zwischen 16 und 18 Jahren sind dabei. ... Bei ihren regelmä-ßigen Treffen sitzen die Schüler beisammen und überlegen, was sie für die Jugendlichen in Tettnang tun können. »Wir wollen was machen, das interessant für die jungen Leute hier ist.« Konzerte, Motto-Partys oder andere Talentshows zum Beispiel.

Die größte Leistung des Tettnanger Jugendgemeinderats istwohl der Partybus. Der fährt seit rund drei Jahren. Er sam-melt die Jugendlichen aus Tettnang und Umgebung zu ver-schiedenen Uhrzeiten ein, um sie auf Veranstaltungen nach Ravensburg oder Friedrichshafen zu bringen. »Der Bus fährt mindestens ein Mal im Monat. Je nachdem, was los ist«, sagt Lioba. Die Resonanz ist gut: 100 bis 200 Leute pro Ver-anstaltung werden so bequem und sicher durch die Gegend kutschiert. Für drei Euro ist man dabei. Und noch dazu gibt es eine Kartengarantie. Heißt: Wer mit dem Partybus fährt, bleibt nicht vor der Tür stehen. Ein besseres Beispiel dafür, was rauskommen kann, wenn sich Jugendliche engagieren, kann es wohl kaum geben. Auch wenn »viel Arbeit dahinter steckt«, wie Lioba sagt. Telefonieren, Absprachen treffen, Plakate machen. ...

Schwäbische Zeitung vom 14. März 2006 (Nora Schmitt-Sausen).

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B 7 Jugendhaus Z: Für Dich – für andere!

Das Jugendzentrum, an dessen Entstehung Tanja Faller be-teiligt war, heißt heute »Das Z« und wird von der Stadt Freiburg gefördert. Hier haben Jugendliche die Möglichkeit, sich zu treffen und ihre Freizeit zu gestalten. Sie organisieren Partys, Konzerte, Ausstellungen, Theateraufführungen und vieles mehr (www.das-z.de). Tanja Faller, die heute Interna-tionale Beziehungen in Bologna studiert, berichtet von ihren Erfahrungen:

Als ich in Freiburg in die elfte Klasse ging, begann ich mich mit einer Gruppe Gleichgesinnter für ein von Jugendlichen selbstverwaltetes Jugendzentrum in zentraler Lage zu enga-gieren. Anfangs bestand die Gruppe aus sechs Personen – bei einigen Treffen waren wir gar nur zu dritt. Ein geeigneter Ort war schnell gefunden: Eine Fußgängerunterführung in der Innenstadt war durch Ampeln abgelöst worden, sodass die Unterführung nicht mehr benötigt wurde. Unsere Gruppe wuchs rasch auf über zwanzig Personen an. Schon bald trafen sich die unterschiedlichsten Leute auf unseren wöchentli-chen Zusammenkünften: Studenten, Mitglieder traditionel-ler Jugendverbände wie den Pfadfi ndern und Leute, die sich schon in anderen Jugendzentren engagierten, insgesamt also eine alles andere als einheitliche Gruppe.

Wir waren in dieser Anfangszeit kaum organisiert – so gab es keine Ämter oder formale Regeln. Manche Treffen waren ziemlich chaotisch, doch die Gleichberechtigung unter-einander war uns das wert. Wir trafen uns in einem Raum in der Uni, der uns von der unabhängigen Studentenvertretung zur Verfügung gestellt wurde. Die Studenten waren neben den im Stadtjugendring organisierten Gruppen die einzigen, die uns unterstützten. Bei unseren Treffen wurde heiß darü-

ber diskutiert, wie die von uns geforderte Selbstverwaltung auszusehen habe und mit welchen Mitteln wir auf uns und unser Ziel aufmerksam machen könnten.

Auch wenn es bei uns keine Ämter gab, so kristallisierte sich nach einiger Zeit doch eine Arbeitsteilung heraus: Es gab einen Wortführer, eine Person, die Plakate aufhängte, einige Leute, die für das Schriftliche zuständig waren – und dann gab es noch jemanden, mit dem ich mich wöchentlich auf die Haupteinkaufsstraße stellte, um mit einem Stand Passanten auf unser Vorhaben aufmerksam zu machen. Wir Aktiven waren so etwas wie ein fester Kern mit wechselnder Besetzung. Machtansprüche gab es nicht – so etwas hätte auch niemand geduldet.

Mehrfach trugen wir unser Anliegen dem Jugendamt vor, bis ein Stadtrat auf uns aufmerksam wurde und sich für uns einsetzte. Nachdem ich mehr als zwei Jahre an dem Projekt mitgearbeitet hatte, verließ ich die Gruppe, da ich mich nach meinem Abitur 1997 entschlossen hatte, für einige Zeit nach Peru zu gehen, um dort mit Kindern zu arbeiten. So erlebte ich auch nicht mehr, wie das Projekt zu einem Verein wurde und es dann doch irgendwann Ämter gab. Mit den meisten Leuten aus der Anfangszeit habe ich auch heute noch Kontakt; nach meinem Wissen ist keiner mehr mit dem Projekt verbunden. Auch mich verbindet heute wenig mit dem Jugendhaus. Es war uns schon früh klar, dass wir den Erfolg unserer Arbeit nicht mehr miterleben würden. Doch da wir selbst von den Erfolgen profi tiert haben, die die Jugendlichen vor uns erkämpft haben, betrachte ich das als eine Art Generationenvertrag.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 7

◗ Was erfahrt Ihr in dem Text von Tanja Faller über die Schwierigkeiten bei der Gründung des Jugendhauses Z in Freiburg. Wie haben die Jugendlichen damals diese Schwie-rigkeiten überwunden?

◗ Informiere Dich über die Jugendzentren in Deiner Ge-meinde oder in Deiner näheren Umgebung. Wie sind sie entstanden? Von wem wurden oder werden sie gefördert?

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B 8 Junge Menschen in der Politik: vier Interviews

den unterschiedlichsten Themen, erarbeiten auf Sitzungen politische Forderungen und diskutieren leidenschaftlich. Zur JU gehört aber genauso auch das Fußballturnier, das Musik-festival, die Kinonacht oder die Studienreise.

P&U: Wie kann man sich bei der Jungen Union engagie-ren und ist man dann gleich auch Mitglied der »großen« CDU?Mitglied der Jungen Union kann jeder im Alter zwischen 14 und 35 Jahren werden, der sich zu unseren Grundsätzen und Zielen bekennt. Wir sind zwar eine Vereinigung der jungen Generation in der CDU, aber wir sind politisch und organi-satorisch selbstständig. Man kann somit Mitglied in der JU sein, ohne gleich der »großen« CDU beitreten zu müssen. Gerade vor Ort kann man einiges erreichen, in einem Aus-schuss des Gemeinderats oder als Ratsmitglied. JU-Mitglie-der bringen z. B. Ideen ein, wenn um das Kulturangebot oder um Sportstätten gestritten wird. Auch im Landtag wirken Freunde aus der JU mit. Gerade in der Schul- und Hochschul-politik oder bei der Förderung der Jugendarbeit geht es um die Anliegen junger Leute. Im Bundestag wirkt die »Junge Gruppe« in der CDU/CSU-Fraktion als Jugendlobby und auch im Europäischen Parlament fi nden sich Mitglieder der JU.

Wir sind christlich-demokratisch und liberal, weil wir für die Grundrechte des Bürgers und seine Freiheit eintreten; sozial, weil wir uns für alle Menschen, vor allem für die Schwä-cheren, einsetzen; konservativ und fortschrittlich, weil wir Bewährtes nur durch Neues ersetzen wollen, wenn wir das mögliche Neue als besser erkannt haben. Wir wollen damit Motor einer ständigen Erneuerung in den Unionsparteien sein, sachpolitisch und personell.

Interview 1 – Junge Union Baden-Württemberg (JU)Thomas Bareiß wurde 1975 in Albstadt-Ebingen geboren. Nach Realschule, Wirtschaftsgymnasium und Wehrdienst studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Berufsakademie Ravensburg. Danach arbeitete er für ein Textilunternehmen in Meßstetten. Mit 15 Jahren ist er der Jungen Union (JU) in Baden-Württemberg beigetreten. Seit 2002 ist er ihr Landesvorsitzender. Neben zahlreichen anderen politischen Ämtern ist er seit Herbst 2005 auch Mitglied des Deutschen Bundestags. (www.ju-bw.de)

P&U: Herr Bareiß, die Junge Union wirbt auf ihrer Home-page mit »party & politics«. Politik wird oft als trockene Angelegenheit gesehen. Wie sind Sie selbst zur Politik gekommen und wieso macht es Spaß, sich bei der JU zu engagieren?Das Diskutieren hat mir schon immer viel Spaß gemacht, zuerst in der Schule und dann in der Politik. Mit 14 Jahren war ich zum ersten Mal bei einer JU-Veranstaltung. Ich fand es wahnsinnig spannend, mich zu informieren und zu disku-tieren. Später bin ich dann in die JU eingetreten und wurde nach vier Jahren auch Mitglied der CDU. In der JU habe ich gelernt, meine eigenen Ideen direkt in die politische Arbeit einzubringen. In meiner Heimatstadt waren wir eine super Truppe. Es hat Spaß gemacht, sich mit Freunden zu engagie-ren, politische Ideen zu entwickeln und für ihre Durchset-zung zu streiten. Ich wollte meine Zukunft selbst in die Hand nehmen, weil ich lieber handle als behandelt zu werden. Gerade als junger Mensch muss man sich in Entscheidungs-prozesse einbringen, schließlich sind wir später von diesen Entscheidungen unmittelbar betroffen. Das ist Arbeit. Klar, politische Bildung gehört dazu. Wir machen Seminare zu

Interview 2 – Junge Liberale Baden-Württemberg (JuLis)Der 1987 in Waldbronn geborene Leif Schubert fand mit 16 Jahren zu den Jungen Liberalen. Nach mehreren politischen Ämtern setzte er sich Anfang 2006 als jüngster Landesvor-sitzender in der Geschichte des Verbandes durch. Neben seiner politischen Tätigkeit besucht er die Oberstufe eines Karlsruher Gymnasiums. (www.julis.org)

P&U: Herr Schubert, wie wollen die JuLis die Interessen junger Menschen in der Politik umsetzen? Zunächst einmal brauchen wir die aktive Auseinanderset-zung mit den Jugendlichen selber. Dazu bieten wir Seminare und Diskussionsabende an. Von Aktionen wie Bungee-Jum-ping zum Thema »Die Zukunft der Jugend hängt am sei-denen Faden« bis zur Lesung von Freiheitstexten auf dem Marktplatz oder einer netten Kneipentour erlebt man bei uns lustige Momente und lernt interessante Leute kennen. Außerdem tragen wir unsere Vorstellungen in unsere Seniorenorganisation, die FDP, hinein. Hier ist die politische Umsetzung durch Mandatsträger, durch eine gute Pressear-beit und durch den Ruf der JuLis als »liberales Gewissen« schon häufi g geglückt, z. B. beim Thema Abschaffung der

Wehrpfl icht. Und vor Ort kann jeder viel bewegen. Bei uns sind über 1.100 junge Menschen organisiert – und wir wach-sen weiter. Jeder zwischen 14 und 35 Jahren ist aufgerufen, die Interessen unserer Generation mit kreativen Ideen und mit offener Diskussion zur Geltung zu bringen – Mitmachen ist die Devise. Schließlich beginnt ja auch der längste Weg mit dem ersten Schritt.

P&U: Warum heißt für Sie Politik alles andere als Lange-weile und Stillstand? Bei uns sind sehr unterschiedliche Ansichten vorhanden. So ist es immer spannend, individuelle Sichtweisen von der Außen- bis zur Umweltpolitik zu diskutieren. Und wenn es mal richtig kontrovers zur Sache geht, dann schätzen wir erst recht jede Meinung. Spannend wird es auch, wenn man dann irgendwann selbst auf dem Podium sitzt und merkt, dass man mit guten Argumenten und etwas Leidenschaft überzeugen und weiterkommen kann – gegen jede Art von Stillstand. Persönlich kann ich nur immer wieder staunen, wie schnell man Dinge umsetzen kann, wenn man bereit ist, für eine Idee – bei uns z. B. die der Selbstbestimmung und Freiheit – einzustehen.

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 8

◗ Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede bei den Jugendorganisationen der Parteien lassen sich aus den Aussagen der vier jungen Politiker erkennen?

◗ Könntest Du Dir vorstellen, Dich auch in einer Jugend-organisation einer Partei zu engagieren? Begründe Deine Meinung.

Interview 3 – Jungsozialisten (Jusos)Roman Götzmann ist 24 Jahre alt und lebt in Waghäu-sel bei Karlsruhe. Nach Abitur und Zivildienst studiert er seit 2002 an der Universität Mannheim Politikwissenschaft, Öffentliches Recht sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nach zwei Jahren im Juso-Landesvorstand ist er 2006 zum Landesvorsitzenden gewählt worden. Außerdem ist er in verschiedenen Gremien der SPD tätig. (www.jusos-bw.de)

P&U: Herr Götzmann, wie versuchen die Jusos in Baden-Württemberg junge Menschen für Politik zu begeistern?Junge Menschen sind gar nicht politikverdrossen, sondern in vielfältiger Weise für unsere Gesellschaft tätig. Sie wollen sich aber zunehmend projektbezogen engagieren, etwa im Kampf gegen Rechtsextremismus oder gegen Kriege. Hierfür bieten wir ihnen entsprechende Angebote. Denn Politik darf sich nicht in abgeschiedenen Nebenzimmern abspielen, son-dern muss wahrnehmbar sein. Daher sind wir mit Veranstal-tungen und Aktionen im ganzen Land präsent und werben für unsere Positionen: Abschaffung von Studiengebühren, Kampf gegen Rechtsextremismus, mehr Ausbildungsplätze, Einführung einer Gemeinschaftsschule nach skandinavischem Vorbild. Zudem versuchen wir, über unsere Internetseite in

Kontakt mit jungen Menschen zu treten. Als Juso muss man auch nicht automatisch Mitglied der »großen« SPD sein. Bei uns können alle interessierten Jugendlichen und junge Erwachsene ab 14 und bis zum 35. Geburtstag mitmachen. Und die Mitgliedschaft ist übrigens kostenfrei.

P&U: Ist das Verhältnis der Jusos zur SPD immer »Friede, Freude, Eierkuchen«? Wie verschaffen sich die Jusos in der SPD Gehör?Die Jusos verstehen sich als inhaltlicher Antriebsmotor der SPD. Da bleiben Reibungen und Auseinandersetzungen mit der Mutterpartei nicht aus – ja, sie sind auch durchaus gewünscht. Zudem sind viele Jusos auch in der SPD aktiv. Unsere Positionen machen wir dabei sowohl intern, in den entsprechenden Gremien also, wie auch öffentlich über Ver-anstaltungen oder Pressemitteilungen deutlich. Gerade was die Entwicklung neuer Konzepte angeht, tut sich die SPD bisweilen schwerer als andere Parteien, Althergebrachtes über Bord zu werfen. Hierbei sind die Jusos gerne behilfl ich und scheuen auch nicht die Auseinandersetzung. Ein gutes Beispiel hierfür ist unser erfolgreicher Kampf innerhalb der Landes-SPD für die Forderung nach der Abschaffung der Wehrpfl icht in Deutschland.

Interview 4 – Grüne Jugend Baden-WürttembergIris Britta Weible wurde 1980 in Bietigheim-Bissingen ge-boren. Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur Bankkauffrau/Finanzassistentin. Heute arbeitet sie im Bereich der Baufi nanzierung. Seit April 2003 ist sie Mit-glied im Landesvorstand der Grünen Jugend. Im April 2005 wurde sie zur Landesvorsitzenden gewählt. Außerdem ist sie Vorsitzende des Ortsverbands Stuttgart-Mitte der Grünen.(www.gjbw.de)

P&U: Frau Weible, die Grüne Jugend wirbt mit dem Slogan »jung – grün – stachelig«. Warum »stachelig«?Obwohl viele unserer Mitglieder auch Mitglied bei den Grünen sind, sind wir immer kritisch gegenüber unserer Mutterpartei. Natürlich arbeiten wir zusammen, aber wir sparen nicht an Kritik, wenn es nötig ist. Deshalb nennen wir uns stachelig, weil wir selbstständig denken und die Politik hinterfragen. Wir haben unseren eigenen Kopf und zeigen dies auch. Zum Beispiel haben wir bei der Diskussion um die Studiengebühren deutlich gemacht, dass wir anderer Meinung sind als die Mutterpartei. Auch bei anderen Themen arbeiten wir so gegen den Mainstream und wollen langfristig überzeugen. So kann sich bei der Grünen Jugend jeder junge Mensch unter 28 Jahren engagieren. Die Altersgrenze der

anderen Jugendorganisationen mit 35 Jahren halten wir für deutlich zu hoch, weil man in diesem Alter schon lange bei den »Erwachsenen« zu sehen ist.

P&U: Was hat Sie dazu gebracht, sich politisch zu enga-gieren?Ich engagiere mich politisch, weil es um die Zukunft von uns jungen Menschen geht. Was heute entschieden wird, damit müssen wir morgen leben. Deshalb müssen wir junge Menschen uns einmischen und mitentscheiden. Auch wenn es manchmal nicht so scheint, aber es lässt sich doch viel in der Politik bewegen, wenn man sich zusammenschließt. Es ist wichtig, sich in einer Demokratie politisch zu engagieren, auch um rechtsextremen Bewegungen entgegenzutreten. Im Vordergrund steht für mich aber der Umweltschutz, weil die Natur unser wichtigstes Gut ist. Genauso wichtig ist die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Die Grüne Jugend ist die einzige Jugendorganisation, die eine weibliche Landesvorsitzende hat und die ihre Ämter quotiert besetzt. Und dass dabei der Spaß nicht zu kurz kommt, versteht sich ja fast von selbst: Zeit für Partys, neue Leute kennenlernen, gute Unterhaltungen und auch mal einfach nur zusammen in die Kneipe – das gehört natürlich dazu. Und auch Bildungsfahrten lassen sich mit Spaß verbinden!

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B 9 Ältere Wähler gewinnen an Einfl uss

Die Macht der älteren Wähler wächst. 60 Prozent der Menschen im Alter über 60 Jahren haben sich bei der letzten Landtags-wahl in Baden-Württemberg im März 2006 beteiligt. Bei den unter 30-Jährigen gab nur jeder dritte seine Stimme ab.

Die Entwicklung ist eigentlich nichts Neues. Weil die Ge-sellschaft im Südwesten immer älter wird, hat sich auch die Altersstruktur der Wahlberechtigten verändert. Während 1980 die Gruppe der unter 30-Jährigen und die der über 60-Jährigen anteilsmäßig dicht beieinander lagen, verschob sich das Bild bei der Landtagswahl 2006 deutlich: Der Anteil der Älteren betrug 31 Prozent und war damit knapp doppelt so hoch wie der der Jüngeren (16 Prozent).

Doch das ist nicht der einzige Grund, warum die »politische Einfl ussnahme der Älteren deutlich zugenommen hat«, wie es Gisela Meister-Scheufelen, die Präsidentin des Statisti-schen Landesamtes, ausdrückte. So blieb die Beteiligung der jüngeren Wahlberechtigten zusätzlich unter dem niedrigen Gesamtdurchschnitt von 53,4 Prozent. Nur rund 33 Prozent

der unter 30-Jährigen machten von ihrem Wahlrecht Ge-brauch, während von den über 60-Jährigen etwa 60 Prozent an die Wahlurne gingen. ... Von den potenziellen Erstwäh-lern beteiligten sich 41 Prozent.

Auch im Wahlverhalten von Frauen und Männern haben die Statistiker Unterschiede herausgefunden. So waren Männer weitaus häufi ger an den Wahlurnen zu fi nden als Frauen. Dieses Auseinanderklaffen wird vor allem bei den unter 30-Jährigen und den über 60-Jährigen deutlich. ...

Stuttgarter Nachrichten vom 19. April 2006 (Hilmar Pfi ster).

◗ Sammle die Informationen im Text B 9 und stelle sie gra-fi sch dar: Wie sieht die Wahlbeteiligung der unter 30-Jähri-gen und die der über 60-Jährigen bei der Landtagswahl 2006 im Vergleich zum Gesamtdurchschnitt der Wahlbeteiligung aus?◗ Überlegt Gründe für die schwache Wahlbeteiligung der jungen Generation bei der Landtagswahl 2006. Sammelt diese und diskutiert in der Klasse, was dagegen getan werden könnte.◗ Analysiert und interpretiert die Karikatur. Worauf möchte der Zeichner hinweisen?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 9

◗ Warum ist es wichtig, dass in der Demokratie möglichst viele Bürgerinnen und Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen?◗ In manchen Ländern gibt es eine Wahlpfl icht. Wer wahl-berechtigt ist, muss zur Wahl gehen und kann nur aus ganz besonderen Gründen fernbleiben. Diskutiert die Idee einer Wahlpfl icht in Deutschland. Was spräche dafür, was dage-gen?

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

B 10 Kinder an die Wahlurnen: Sollen Kinder und Jugendliche wählen dürfen?

Drei unterschiedliche Auffassungen zum Wahlrecht für Kinder und Jugendliche: Das folgende Gespräch ist eine erfundene Diskussion zu der Frage, ob Kindern und Ju-gendlichen altersunabhängig das Wahlrecht zugestanden werden sollte.

Christina Ostelli, 16 Jahre, ist die neu gewählte Schulspre-cherin der Albert-Einstein-Realschule. Sie ist politisch sehr engagiert. In ihrer Freizeit arbeitet sie bereits seit Jahren bei einer Tierschützergruppe mit, neuerdings auch beim Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW). Sie ist der Ansicht, dass Kindern das Wahlrecht ohne Altersgrenze gegeben werden müsse.

Peter Höffer, 44 Jahre, ist Rechtspfl eger am Vormundschafts-gericht. Der Witwer ist Vater dreier schulpfl ichtiger Kinder und Vorsteher der Freiwilligen Feuerwehr seines Heimatdorfes. Er ist ein strikter Gegner der Wahlrechtsausweitung.

Carla Siebert-Krehn, 33 Jahre, verheiratet, ist Mutter von 12-jährigen Zwillingssöhnen. Sie ist als Innenarchitektin teil-zeitbeschäftigt und ist die Elternsprecherin der 7. Klasse der Albert-Einstein-Realschule. Zusammen mit ihrem Mann hat sie außerdem eine bundesweite, internetgestützte Bewegung ge-gründet, die sich dafür einsetzt, dass Kinder und Jugendliche ein größeres politisches Gewicht erhalten.

Warum sollen Ihrer Meinung nach Kinder und Jugendliche das Wahlrecht erhalten?

Christina Ostelli: Kinder und Jugendliche machen etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus. Im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen werden sie aber unzureichend berück-sichtigt. Ihre Interessen zählen nicht. Sie haben ja keine Wahlstimme. Warum sollten sich die vom Volk gewählten Politiker für eine Gruppe einsetzen, die keine Wahlstimme hat? In einer Demokratie muss grundsätzlich gelten, dass alle, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, sich auch am Zustandekommen dieser Entscheidungen beteiligen können. Und das geschieht nun mal durch Wählen. Deshalb ist das Wahlrecht für Kinder und Jugendliche so wichtig.

Peter Höffer: Willst Du damit sagen, Christina, dass alle Kinder uneingeschränkt wählen gehen sollen? Willst Du Kinder, die am liebsten draußen herumtollen und mit ihren Freunden zusammensein wollen, in politische Diskussionen hineindrängen? Dass sie von Dingen reden müssen, die sie überhaupt nicht verstehen? Politik ist ein wichtiger Bereich der Erwachsenenwelt. Die Welt der Kinder ist eine ganz andere. Wir Erwachsenen müssen die Kinder vor Überforde-rungen schützen. Also: Schluss mit dem Unfug, dass Kinder und Jugendliche zu kleinen Politikern verbogen werden.

Carla Siebert-Krehn: Der Anspruch einer parlamentarischen Demokratie ist doch, dass das Parlament die unterschiedli-chen Bevölkerungsgruppen widerspiegelt. Wählen können bei uns aber nur diejenigen, die über 18 Jahre alt sind. Wer jünger oder gar noch sehr jung ist, hat Pech gehabt. Nein,

sage ich. Unsere Kinder und Jugendlichen sind alles andere als die Pechvögel der Politik. Denn sie haben ja Eltern. Ich setze mich von daher vehement dafür ein, dass die Eltern das Wahlrecht für ihre Kinder einnehmen, bis diese alt genug sind, ihre Interessen eigenständig zu vertreten.

Peter Höffer: Heranwachsende und Kinder können sich bei uns nun wirklich nicht beklagen, dass es ihnen schlecht gehe. Vergleichen Sie doch mal die Leistungen unseres Staa-tes für Kinder und Jugendliche mit denen anderer Staaten. Wo denn auf der Welt wird so viel für unsere jungen Mitbür-ger getan wie bei uns.

Ein Kinderwahlrecht zu fordern mag ja theoretisch noch einleuchtend sein. Aber wie sieht die Praxis aus?

Peter Höffer: In letzter Konsequenz hieße das ja: Säuglinge an die Wahlurnen! Soll denn ein Wahlhelfer entscheiden müssen, ob das Geschrei, das der Säugling anstimmt, ein hohes C ausdrückt. Das wäre dann das Votum für die CDU/CSU. Was nach einem S klingt, aha, eine Stimme für die SPD. Greift das Baby nach dem grünen Ball, Grünen-Partei. Nimmt es stattdessen etwas Gelbes in die Hand, dann hat die FDP einen Jungwähler für sich gewonnen. Ich halte die ganze Debatte für blanken Unsinn.

Christina Ostelli: Also, um das mal klarzustellen: Kinder-rechtsverfechter sind keine Idioten! Wenn ein Kind wählen will, meldet es sich beim Wahlleiter des Wahlbezirks und lässt sich in die Wählerliste eintragen.

Carla Siebert-Krehn: Mit Polemik, Herr Höffer, kommen wir nicht weiter. Niemand will, dass Säuglinge oder Kleinkinder wählen gehen sollen. Ich betone noch einmal: Die Eltern er-halten die Wahlstimmen ihrer Kinder und vertreten mit deren Stimmen in bester Absicht das Kindeswohl. Nur so gelangen wir zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft.

Soll es denn gar keine Altersgrenze geben?

Christina Ostelli: Nein. Wer wählen gehen will, der geht wählen.

Peter Höffer: Ein fünf- oder sechsjähriger Knirps als Wähler? Bei so viel Realitätsverlust geht mir der Gaul durch.

Christina Ostelli: Einige Wahlrechtsverfechter schlagen ein Wahlrecht ab sieben Jahren vor. Aber was ist, wenn ein Sechsjähriger kommt, der auch mitwählen will. Warum soll man den dann ausschließen?

Peter Höffer: Mein jüngster Sohn ist sechs. Der interessiert sich dafür, wie die Feuerwehr einen Brand löscht. Ob die Mehrwertsteuer heraufgesetzt wird oder nicht, das lässt den völlig kalt. Dafür fehlt ihm halt auch noch jedes Verständ-nis.

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B • Misch Dich ein! Mitmachen in der Demokratie

Carla Siebert-Krehn: Oh je, wenn nur noch diejenigen wählen dürften, die was von der Welt verstehen, dann könnte bei uns vielleicht nur noch jeder Zehnte wählen.

Sollen Kinder und Jugendliche mit dem Wahlrecht eine völlige Gleichstellung mit den Erwachsenen erlangen?

Carla Siebert-Krehn: Nein. Wenn Jugendliche straffällig werden, sollen sie auf keinen Fall nach dem weit strenge-ren Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt werden, sondern wie bisher auch nach dem Jugendstrafrecht.

Christina Ostelli: Und bis zum Alter von 14 Jahren sollen Kinder wie bisher natürlich straffrei sein.

Peter Höffer: Also, das geht nicht. Wer mitentscheidet, der ist auch voll verantwortlich. Dann müssten Kinder halt auch in den Knast, wenn sie was verbrochen haben, genauso wie Erwachsene. Gleiche Rechte, gleiche Pfl ichten.

Christina Ostelli: Widerspruch. Das eine hat mit dem an-deren nichts zu tun. Frau Siebert-Krehn, ich sehe ein Prob-lem darin, wenn Kinder und Jugendliche nicht persönlich abstimmen können. Wenn das die Eltern für sie machen, ist das für mich ein Übergriff. Die Eltern stimmen dann so ab, wie sie es für richtig halten. Das Kind hätte viel-leicht anders abgestimmt. Das nenne ich eine Familien-diktatur. ...

Kindsein heißt ja auch, noch nicht so festgelegt zu sein wie ein Erwachsener. Offen sein, sich beeinfl ussen lassen. Heute möchte das Kind vielleicht Weltraumfahrer werden, morgen Fußballer, übermorgen Fassadenkletterer, je nach-dem, was es gerade besonders beeindruckt. Ist diese leichte

Beeinfl ussbarkeit von Kindern und jungen Menschen nicht eine Riesengefahr?

Carla Siebert-Krehn: Die Gefahr einer starken Beeinfl us-sung von Kindern sehe ich auch. Deshalb sollen ja die Eltern, die den Durchblick haben, nach bestem Wissen und Gewissen für ihr Kind entscheiden.

Christina Ostelli: Es gibt auch erwachsene Kind-Menschen, die ganz von ihren Gefühlen gesteuert sind. Doch sobald man 18 ist, interessiert das nicht mehr. Ich behaupte jetzt mal, dass der Durchschnittswähler bei so komplizierten Sachen wie Wirtschaft und Globalisierung kaum was checkt, und dass die meisten Leute rein nach Gefühl abstimmen.

Carla Siebert-Krehn: Vielleicht hast Du damit Recht, Chris-tina. Darüber muss ich noch mal nachdenken. Ob wir Erwach-senen immer so vernunftbetont handeln, wer weiß ...?

... Wer von Ihnen möchte noch das Schlusswort sprechen?

Peter Höffer: Darf ich? Kinder wissen, wie man Geld aus-gibt, aber sie wissen nicht, wie der berufl iche Alltag aus-sieht und wie man Geld verdient. Sie haben keine Ahnung vom Arbeitsleben und von Wirtschaft. Ihr Lebensbereich ist die Familie, die Schule, Freunde. Bei Wahlen geht es aber auch um das Einschätzen von internationaler Politik, von Maßnahmenkatalogen gegen Terror und Krieg, es geht um sehr komplexe und schwierige Themen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Kinderbeiräte auf kommunaler Ebene schon eine Rolle spielen könnten. Vor allem, wenn es um den Ausbau von Kinderspielplätzen geht oder um die Sicherheit der Schulwege. Und ich denke, bei diesem letzten Punkt sind wir alle einer Meinung.

◗ Bildet drei Gruppen und arbeitet folgende Positionen in dem Text B 10 aus: 1. das Kinderwahlrecht; 2. das Eltern-wahlrecht; 3. das derzeit geltende Wahlrecht. Wählt in Eurer

ARBEITSAUFTRÄGE ZU B 10

Gruppe einen Sprecher für Eure Position. Bestimmt nun in Eurer Klasse einen Moderator und führt selbst eine Podiums-diskussion zum Thema Wahlrecht durch.

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

C 1 Pluralismus in der Gesellschaft

C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffenMaterialien C 1 – C 6

◗ Was ist auf den sechs Fotos in C 1 jeweils dargestellt? Was haben diese Fotos mit einer demokratischen und pluralisti-

schen Gesellschaft zu tun? Welche Assoziationen rufen die Bilder bei Euch hervor?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU C 1

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

»Ich« ist die Einzahl (Singular) und »wir« ist die Mehr-zahl (Plural). Das ist aus dem Deutschunterricht be-kannt. Pluralismus hat also mit vielen Menschen, mit Gruppen und mit der Gemeinschaft zu tun. Und dort, wo es viele Menschen gibt, gibt es auch viele Meinungen und unterschiedliche Interessen.

In der Demokratie spielen viele unterschiedliche (plurale) Meinungen eine wichtige Rolle. Pluralismus bedeutet, dass man die Meinungen, Interessen, Hoffnungen und Ziele an-derer achtet und respektiert. Das ist im Zusammenleben der Menschen wichtig, aber auch im Verhältnis zwischen den Bürgern und dem Staat. Unsere politische Ordnung ermutigt dazu, dass sich Menschen in unterschiedlichen Einrichtun-gen zusammenschließen oder als Interessengruppe gemein-sam für ihre Interessen eintreten. Das können Parteien, Ver-bände, Vereine, Kirchen, Gewerkschaften oder auch Bürger-initiativen sein. Weil niemand anderen seine Meinung oder Überzeugung aufzwingen darf, haben diese Einrichtungen – so wie der Einzelne auch – das Recht auf Meinungsfrei-heit. Eine pluralistische Demokratie ist offen für viele Ideen und Vorstellungen, auch wenn sie nur von einer kleinen Minderheit vertreten werden. Allerdings dürfen diese Ideen und Vorstellungen das Toleranzgebot des demokratischen Staates nicht gefährden.

C 2 Interessengruppen in der demokratischen Gesellschaftsordnung

In einer modernen Gesellschaft konkurrieren eine Vielzahl verschiedener Gruppen und Organisationen um Einfl uss. Man nennt diese Gruppen auch intermediäre Gruppen, weil sie zwischen den Bürgerinnen und Bürgern einerseits und den Staatsorganen andererseits agieren und eine vermit-telnde Funktion haben. So wie die Staatsgewalt zwischen den Organen des Staates aufgeteilt ist, so sollen auch diese Gruppen und Organisationen ihre Macht gegensei-tig begrenzen. Im Idealfall steht einer bestimmten Orga-nisation eine gleich mächtige Gegenorganisation gegen-über. Wenn auf der einen Seite zum Beispiel die Verbände der Arbeitgeber stehen, so stehen auf der anderen Seite die Vertretungen der Arbeitnehmer, die Gewerkschaften.

Da diese Gruppen fast notwendigerweise miteinander in Konfl ikt geraten, stellt der freiheitliche Rechtsstaat den Ordnungsrahmen und die Regeln für die friedliche Lösung solcher Konfl ikte zur Verfügung. Voraussetzung dafür ist, dass alle Betroffenen die Grundregeln und die Institutio-nen des Rechtsstaates akzeptieren. Weil es ja darum geht, gesellschaftliche Konfl ikte politisch zu lösen und zu einer Einigung zu gelangen, ist der Kompromiss ein Wesensmerk-mal der pluralistischen Demokratie.

◗ Bildet in Eurer Klasse Gruppen: 1. Taubenliebhaber gegen Taubenfütterungsgegner; 2. Abtreibungsgegner gegen Be-fürworter einer Legalisierung von Abtreibungen; 3. Auto-bahnbefürworter gegen Umweltschützer. Um Eure jeweili-gen Interessen möglichst wirkungsvoll vertreten zu können, solltet Ihr Euch vorab gut über den jeweiligen Sachverhalt und die Rechtslage informieren. Entwerft nun auf Geset-zesblättern Gesetze, um einen friedlichen Konfl iktaustrag Eurer Interessengruppen zu gewährleisten. Welche Strafen

sollen bei Verstößen gegen das von Euch entwickelte Recht gelten?◗ Als Interessenvertreter wählt Ihr aus Eurer Mitte jeweils einen Politiker. Er oder sie entscheidet am Ende Eures inte-ressengeleiteten Vortrags, wie verfahren werden soll. Wessen Interessen sollen ganz oder teilweise oder überhaupt nicht berücksichtigt werden? Kann die von Eurem »Politiker« ver-tretene Lösung als »gute Politik« (»good governance«) be-zeichnet werden?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU C 2

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

C 3 Parteien und Verbände

◗ Beschreibe in eigenen Worten, was eine Partei und was einen Verband ausmacht. Was unterscheidet eine Partei von einem Verband?

◗ Wäre der örtliche Sportverein in Deiner Gemeinde ein Verband im Sinne der oben stehenden Defi nition?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU C 3

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokra-tische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu ge-fährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfas-sungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 21, Abs. 1 und 2).

Ein Verband ist eine auf Dauer angelegte Vereinigung von Personen, Gruppen, Unternehmen oder Institutionen zur or-ganisierten Interessenvertretung gegenüber Dritten, d. h. gegenüber konkurrierenden Vereinigungen, staatlichen Ein-richtungen, Parteien und der Öffentlichkeit.

Gruppen, die sich spontan zusammenschließen, um für einen bestimmten Zweck zu demonstrieren, sich danach jedoch wieder aufl ösen, werden von dieser Defi nition nicht er-fasst.

D e f i n i t i o n

H a n d l u n g s f e l d e r

PARTEIEN VERBÄNDE

• betätigen sich in allen politischen Bereichen

• bündeln unterschiedliche Interessen zu einer gesell-schaftlichen Gesamtkonzeption

• nehmen an Wahlen teil

• beteiligen sich an der Regierung oder arbeiten in der Opposition

• sind umfassend am politischen Prozess beteiligt

• sind zur innerparteilichen Demokratie verpfl ichtet

• betätigen sich in einzelnen politischen Bereichen (z. B. Wirtschaft, Verkehr, Umwelt)

• artikulieren besondere Einzelinteressen und versuchen, diese durchzusetzen

• sprechen eventuell Wahlempfehlungen aus

• versuchen, Einfl uss auf die Regierung und auf die Verwaltung zu nehmen

• sind nur begrenzt am politischen Prozess beteiligt

• sind nicht zur innerverbandlichen Demokratie verpfl ichtet

• wahren und fördern die Arbeits-, Lebens- und Wirtschaftsbedingungen

K u r z f o r m e l

Parteien handeln unmittelbar politisch in allen Politikbereichen.

Verbände handeln mittelbar politisch in einzelnen Politikbereichen.

Handlungsfelder nach: d@dalos (internationaler UNESCO-Bildungsserver).

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

Die Deutsche Gesellschaft für Verbandsmanagement e. V. (DGVM) gibt für Deutschland rund 14.000 Verbände an. Diese sind nicht mit den rund 540.000 eingetragenen Vereinen in Deutschland zu verwechseln. Die DGVM teilt die deutschen Verbände in fünf Handlungsfelder auf:

Arbeit und Wirtschaft: ca. 7.600 VerbändeGesellschaft und Politik: ca. 1.800 VerbändeFreizeit und Kultur: ca. 1.000 VerbändeBildung und Wissenschaft: ca. 1.300 VerbändeGesundheit und Soziales: ca. 2.300 Verbände

◗ Welchem der fünf oben genannten Bereiche sind die vorge-stellten Verbände zuzuordnen? Recherchiert in Gruppen über die Verbände, über ihre Arbeitsweise und ihre Ziele. Stellt »Euren« Verband in der Klasse vor.◗ Sucht nach Beispielen, wie die genannten Verbände und Interessengruppen versuchen, Einfl uss auf die Öffentlichkeit und auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen. Wie unterscheiden sich die Vorgehensweisen der Verbände?

◗ Sucht nach weiteren großen Verbänden aus Bereichen, die hier nicht ausgewählt wurden. Gibt es einen Verband, den Ihr besonders interessant oder wichtig fi ndet?◗ Welche Gründe könnten Bürgerinnen oder Bürger, ein Un-ternehmer oder ein Naturschützer haben, einem Verband beizutreten?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU C 4

C 4 Verbände und Interessengruppen

Im Deutschen Mieterbund (DMB) sind rund 330 örtliche Mietervereine zusammengeschlossen. Während der Deutsche Mieterbund vor allem Öffentlichkeitsarbeit und die politi-sche Arbeit übernimmt, führen die örtlichen Mietervereine konkrete Rechtsberatung für Mitglieder durch, z. B. wenn diese Probleme mit ihrem Vermieter haben. Der Deutsche Mieterbund setzt sich aber z. B. auch für den Wohnungsbau ein.(www.mieterbund.de)

Der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.)ist der Spitzenverband der deutschen Wirtschaft. Er vertritt die Interessen der deutschen Industrie gegenüber den poli-tisch Verantwortlichen in Deutschland, Europa und weltweit. Er umfasst 35 Mitgliedsverbände mit mehr als 100.000 Un-ternehmen, die über 8 Millionen Menschen beschäftigen. (www.bdi-online.de)

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezieht Position im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-genüber den politischen Entscheidungsträgern, Parteien und Verbänden in Deutschland, aber auch international. Dem DGB gehören acht Einzelgewerkschaften und damit insge-samt über sieben Millionen Beschäftigte an.(www.dgb.de)

Greenpeace ist eine internationale Organisation, die kreativ und gewaltfrei auf weltweite Umweltprobleme hinweist und versucht, Lösungen für diese Probleme durchzusetzen. Seit 1971 setzt sich Greenpeace für den Schutz der Lebensgrund-lagen ein. Weltweit hat die von Regierungen, Parteien und wirtschaftlichen Interessengruppen unabhängige Organisa-tion etwa 2,8 Millionen Mitglieder, davon über 500.000 in Deutschland. (www.greenpeace.de)

amnesty international (ai) ist eine weltweite Mitglieder-organisation, die sich für die internationale Durchsetzung der Menschenrechte einsetzt. Auf der Grundlage der Allge-meinen Erklärung der Menschenrechte wendet sich ai gegen schwerwiegende Verletzungen der Rechte eines jeden Men-schen auf Meinungsfreiheit, auf Freiheit von Diskriminierung sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Weltweit hat ai etwa 1,8 Millionen Mitglieder. In Deutschland sind es rund 75.000. (www.amnesty.de)

Im Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) haben sich rund 50.000 Menschen in Deutschland zusammengetan, um die Rechte der Kinder zu stärken und um Kinder stark zu machen. Der Kinderschutzbund wendet sich aktiv gegen jede Form von Benachteiligung, Diskriminierung und Ausgrenzung nicht nur von Kindern, sondern von allen Menschen. Der Kinderschutzbund spürt Missstände auf, will die politisch Verantwortlichen und die Verwaltung zum Handeln bewegen und packt selber aktiv an.(www.dksb.de)

Sechs Beispiele:

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

◗ Beschreibt in eigenen Worten, was Lobbyismus ist. Welche Funktionen hat der Lobbyismus? ◗ Warum ist Lobbyismus in der pluralistischen Gesellschaft und in der parlamentarischen Demokratie wichtig? Warum kann der Lobbyismus aber auch negative Auswirkungen haben?

◗ Analysiert und diskutiert die Karikatur. Auf welches Prob-lem will der Karikaturist mit seiner Zeichnung aufmerksam machen?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU C 5

C 5 Lobbyismus

Das englische Wort »Lobby« bezeichnete ursprünglich die Vorhalle des englischen Parlaments. Dort konnten Abgeord-nete mit Personen sprechen, die keine Parlamentarier waren und deshalb nicht in den Sitzungssaal durften.

»Lobby« heißt aber auch Interessenvertretung in der Politik. Der Zusammenschluss von Personen oder Organisationen zur Vertretung gemeinsamer Interessen gegenüber Dritten ist also eine Lobby. So können ein Wirtschaftszweig, ein Sportverband oder auch die Autofahrer eine Lobby haben. Eine Person, die für eine solche Interessengruppe arbeitet, ist demzufolge ein Lobbyist.

Lobbyismus hat im Wesentlichen drei Merkmale: die Infor-mationsbeschaffung, den Informationsaustausch sowie die Einfl ussnahme auf Entscheidungsträger. Zu den wirkungs-vollsten Instrumenten der Lobbyisten gehört die Einfl uss-nahme auf die öffentliche Meinung über die Medien.

Ohne die Mitwirkung organisierter Gruppen kann kein Kom-promiss zwischen den verschiedenen Interessen des Volkes gefunden werden. Bürger brauchen die Möglichkeit, sich in Gruppen zu organisieren, um ihre Beteiligung am politi-schen Geschehen wirksam zu machen. Lobbys sind deshalb

der verlängerte politische Arm der einzelnen Bürger. Oft sind die Vertreter der Interessengruppen auch ausgewiesene Experten, auf deren Ratschlag die Politiker Wert legen.

Die Notwendigkeit von Interessenverbänden und ihrer po-litischen Aktivität ist in der parlamentarischen Demokra-tie unabdingbar. Doch der Lobbyismus ist auch umstritten, denn in der Macht der Verbände liegen auch Gefahren. So kann es bedenklich sein, wenn einzelne große Verbände einen übermäßigen Einfl uss erringen. Auch arbeiten nicht alle Verbände im Lichte der Öffentlichkeit – ihre Kontrolle ist deshalb nicht immer gewährleistet und eventuell kann sich eine Gegenlobby nicht rechtzeitig äußern. Oft wird deshalb von der »Herrschaft der Verbände« gesprochen, die die Aus-richtung der Politik am Gemeinwohl hindere. So kann es zu Ungleichgewichten kommen, wenn sich manche Interessen verstärkt gegenüber anderen durchsetzen können. Wer also eine »gute Lobby« hat, hat vielleicht bessere Chancen, in der Politik »gehört« zu werden.

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

C 6 Fallbeispiel: Neue Messe Stuttgart

Im Jahr 1993 beginnt in Baden-Württemberg die Suche nach einem optimalen Standort für eine neue Landesmesse. In der Folge werden 94 Standorte nach wirtschaftlichen, verkehrs-technischen und ökologischen Gesichtspunkten untersucht. Als klarer Favorit geht das Gebiet auf den Fildern bei Lein-felden-Echterdingen, in der Nähe von Stuttgart, hervor. Der Gemeinderat von Leinfelden-Echterdingen lehnt den Messe-bau jedoch im Januar 1997 ab. Wenig später gründen Bürger der anliegenden Gemeinden sowie Ortsvereine von Parteien, Vereine und Verbände das Aktionsbündnis »Die Filder leben lassen« gegen den Messebau.

Im Mai 1998 gründen die Stadt Stuttgart, das Land Baden-Württemberg und der Verband Region Stuttgart die »Projekt-gesellschaft Neue Messe«. Ihr Auftrag ist die Planung und der Bau der Neuen Messe. Der Gemeinderat Leinfelden-Ech-

terdingen stimmt kurz darauf erneut gegen das Vorhaben. Im Dezember 1998 verabschiedet der Landtag von Baden-Württemberg mit 81:57 Stimmen das sogenannte Landes-messegesetz. In Einklang mit dem Grundgesetzartikel 14 sieht das Landesmessegesetz vor, dass eine Enteignung der Grundstückseigentümer im öffentlichen Interesse und für die Zwecke des Baus und Betriebs der Messe zulässig ist.

Ende Oktober 2001 beginnt das sogenannte Planfeststel-lungsverfahren. Eine solche Baugenehmigung ist für Groß-projekte gesetzlich vorgeschrieben. Federführend ist dafür das Regierungspräsidium Stuttgart verantwortlich. In den Rathäusern der umliegenden Gemeinden liegen die Pläne für den Bau der Neuen Messe aus. Die Bürgerinnen und Bürger können nun die Pläne sowie die rund 2.100 Textseiten ein-sehen und ihre Einwände gegen das Projekt äußern.

... der Befürworter der Neuen Messe:

◗ Das alte Messegelände auf dem Stuttgarter Killesberg ist zu klein. Die alte Messe liegt für Besucher und Anlieferer verkehrsungünstig mitten in Stuttgart. Stuttgart braucht, um als Messe- und Wirtschaftsstandort attraktiv zu sein, eine neue, moderne und größere Messe mit guter Verkehrs-anbindung.◗ Die Neue Messe schafft und sichert Arbeitsplätze (Messe-betrieb, Handwerker, Gastronomen, Hoteliers usw.).◗ Die Neue Messe ist ein Imagegewinn für Stuttgart und für ganz Baden-Württemberg.

... der Gegner der Neuen Messe:

◗ Baden-Württemberg ist ein gut versorgtes Messeland. Eine neue Landesmesse in Stuttgart ist deshalb nicht nötig.◗ Der hochwertige Filderboden fällt der Neuen Messe zum Opfer. Zahlreiche Landwirte sind betroffen. Es geht um die Zukunft der Landwirtschaft auf den Fildern insgesamt.◗ Die Verkehrs- und Lärmbelastung der unmittelbaren An-wohner auf den Fildern nimmt weiter zu.◗ Umweltschützer kritisieren den Flächenverbrauch der Neuen Messe in einer Gegend, die mit Autobahn und Flug-hafen den Tieren und Pfl anzen immer weniger Raum lässt.

Die Ausgangslage

Die wichtigsten Argumente …

Mai 2006: Der Blick auf die Baustelle der Neuen Messe in Leinfelden-Echter-dingen bei Stuttgart, die zurzeit größte Baustelle in Deutschland.

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

Projektgesellschaft Neue Messe

Handwerker und Dienstleister in der Umgebung

Gemeinden in der näheren und weiteren Umgebung

Betreiber Flughafen Stuttgart

Gemeinde Leinfelden-Echterdingen

Landwirte, Grundstücksbesitzer und Anwohner auf den Fildern

Schutzgemeinschaft Filder e. V.

Naturschutzverbände

◗ Sammelt die Argumente der unterschiedlichen Interessen-gruppen und tragt sie in die Tabelle ein. Bildet nun zwei Gruppen: eine mit Befürwortern der Neuen Messe und eine mit Gegnern des Projektes. Sammelt weitere Argumente und vertieft Eure Position. Weitergehende Informationen fi ndet Ihr z. B. unter www.landesmesse.de, www.fi ldermesse.de,

www.leinfelden-echterdingen.de, www.schutzgemeinschaft-fi lder.de oder www.nabu-bw.de.◗ Versucht nun, in einer Pro- und Contra-Debatte zu einer Lösung zu kommen. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

◗ Die Projektgesellschaft Neue Messe ist für den Neubau der Messe in Leinfelden-Echterdingen. Die alte Messe sei zu klein und nicht ausbaufähig. Die Neue Messe soll mehr Umsatz, mehr Internationalität, einen Imagegewinn und höhere Steuereinnahmen für die Stadt und die Region Stutt-gart, aber auch positive Auswirkungen auf die Wirtschaft des ganzen Landes bringen.◗ Zahlreiche Handwerker und Dienstleister (z. B. Gastro-nomen) in der Umgebung sind für die Neue Messe. Sie erhoffen sich einen wirtschaftlichen Aufschwung, also neue Aufträge und Gäste. ◗ Auch die Betreiber des Stuttgarter Flughafens sind für den Bau der Messe. Sie hoffen, dass die Neue Messe weitere internationale Gäste ins Land lockt, die dann vielleicht mit dem Flugzeug nach Stuttgart kommen.◗ Mehrere Gemeinden in näherer und auch weiterer Um-gebung befürworten den Bau der Messe. Sie erhoffen sich Gäste und eine bessere Erreichbarkeit für Investoren. Die Ge-meinden sehen sich als den »Vorgarten der Metropolregion Stuttgart« und rechnen mit wirtschaftlichen Vorteilen.

◗ Die Gemeinde Leinfelden-Echterdingen, auf deren Ge-markung das neue Messegelände liegt, ist gegen die Neue Messe, weil sie zusätzlich zum Flughafen weitere Lärm- und Verkehrsbelästigungen für die Anwohner befürchtet. Außer-dem sollen die Gemeinde selbst und Landwirte aus der Ge-meinde Grundstücke abtreten, im Zweifel per Enteignung.◗ Zahlreiche Landwirte, Grundstücksbesitzer und Anwoh-ner auf den Fildern sind gegen die Neue Messe, weil sie teilweise Land verkaufen oder ihren ganzen Hof aufgeben müssen. Die Existenz der Landwirte auf den Fildern ist da-durch gefährdet.◗ Das Aktionsbündnis zur Rettung der Filder ist gegen die Neue Messe, weil in der schon stark bebauten Gegend weitere Natur verbraucht wird. Es setzt sich auch für die Bürger und Landwirte ein, denen eine Enteignung droht.◗ Umweltschutzverbände wie der BUND und der Natur-schutzbund (NABU) kritisieren vor allem, das Land könne den für den Bau der Messe nötigen Eingriff in Natur und Landwirtschaft nicht ausgleichen, weil die Gegend auf den Fildern bereits so stark verbaut sei.

Die wichtigsten Argumente der Beteiligten und Betroffenen

PRO CONTRA

FRAGEN

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C • Entscheidungen in der pluralistischen Gesellschaft treffen

Die Entscheidung für den Bau der Neuen Messe ist eine lang-wierige politische und auch juristische Auseinandersetzung. Letztendlich aber wird die Messe gebaut. Sie soll im Frühjahr 2007 teilweise und endgültig im September 2007 eröffnet werden. Die Entscheidungen im Einzelnen:

Das Regierungspräsidium Stuttgart genehmigt im März 2003 mit dem Planfeststellungsbeschluss den Bau der Messe. Die betroffenen Bauern und Anwohner auf den Fildern schöpfen ihre Rechtsmittel aus. Zwischen Dezember 2000 und August 2004 entscheiden mehrere Gerichte, dass sowohl die Plan-feststellung als auch das Landesmessegesetz rechtmäßig sind. Im Sommer 2006 sind jedoch noch zwei Verfassungs-beschwerden am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an-hängig, bei denen noch nicht entschieden war, ob sie das höchste deutsche Gericht überhaupt annimmt.

Im Januar 2004 lehnt der Gemeinderat von Leinfelden-Ech-terdingen das Angebot des Landes und der Stadt Stuttgart ab, für Lärmschutz und ökologische Ausgleichsmaßnahmen

35 Millionen Euro zu bekommen. Im August 2004 kommt dann die Wende: Der Gemeinderat beschließt mit großer Mehrheit den Verkauf der städtischen Grundstücke. Auch die meisten Bauern – rund achtzig Betroffene – schließen sich an und verkaufen ihr Land.

Im Januar 2004 leitet das Regierungspräsidium Stuttgart die Enteignungsverfahren gegen diejenigen Grundeigentü-mer ein, die einen freiwilligen Verkauf ablehnen. Im Sommer des Jahres nimmt jedoch einer der klagenden Bauern ein Angebot an und verkauft seine Flächen. 12 Hektar davon liegen im Messegelände, der Rest steht als Ersatzfl äche für die anderen betroffenen Landwirte zur Verfügung. Die klagenden Landwirte, die Projektgesellschaft Neue Messe und das Land Baden-Württemberg besiegeln schließlich den Verkauf und somit die endgültige Einigung im Messestreit. Am 1. September 2004 beginnen Bagger mit dem Abtragen des Oberbodens. Erneut demonstrieren etwa 100 Personen friedlich gegen den Messebau. Wenig später erfolgt der erste Spatenstich für das Bauprojekt.

◗ Vergleicht das Ergebnis Eurer Pro- und Contra-Debatte mit dem tatsächlichen Ergebnis. Wo unterscheiden sich Eure Lösungsansätze von den tatsächlich gefundenen Kompro-missen?◗ Wurden bei dem Bau der Neuen Messe alle Stimmen gehört und alle Interessen der Beteiligten berücksichtigt?

◗ Kennt Ihr ein anderes Beispiel aus Eurer näheren Umge-bung, wo sich ein ähnlicher Nutzungskonfl ikt ergeben hat? Wie wurde dort verfahren?

ARBEITSAUFTRÄGE ZU C 6

Bei einem solchen Großprojekt sind gesetzliche Maßnahmen vorgeschrieben, um die Eingriffe in die Natur auszugleichen, sogenannte naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen. Das können Ausgleichsfl ächen oder ökologische Maßnahmen sein. Aus der Sicht der betroffenen Landwirte besteht dabei immer das Problem der Doppelbelastung. Denn zum einen wird landwirtschaftliche Fläche für den Messebau selbst be-nötigt, zum anderen aber auch für die vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen. Den Interessen der Grundstücks-besitzer soll deshalb so nachgekommen werden, dass mög-lichst intensive Ausgleichsmaßnahmen mit beschränkter Flächenausdehnung getroffen werden.

Dieser Interessenausgleich wurde bei der Stuttgarter Messe gefunden. Durch das »Trittstein-Konzept« wurden Grund-stücksfl ächen so angeordnet, dass die Tierwelt möglichst geschont bleibt. So reichen 12 Hektar Ausgleichsfl äche, die in ihrer ökologischen Wirkung aber einer weit größeren Fläche entsprechen. Dies wiederum kommt den Landwirten entgegen. Das wichtigste Ziel wurde also erreicht: Den Er-fordernissen der Umwelt Rechnung tragen und zugleich die betroffenen Landwirte so weit als möglich schonen.

Die betroffenen Landwirte und Grundstücksbesitzer wurden fi nanziell und mit Tauschfl ächen entschädigt. Als fi nanzielle Entschädigung bekamen die Landwirte ihren Boden weit über dem Verkehrswert bezahlt. Für den Erhalt des landwirt-schaftlichen Anbaus erhielten sie Ersatzfl ächen. Zusätzlich bringt die Installation einer neuen Beregnungsanlage auf 100 Hektar Fläche eine Verbesserung für die Landwirte, weil damit der Ertrag pro Hektar gesteigert werden kann.

Außerdem wurde im August 2004 eine Strukturkommission zur Sicherung der Landwirtschaft auf den Fildern eingerich-tet. Ihr gehören Vertreter der Gemeinden auf den Fildern, des Verbandes der Region Stuttgart, der Landesmesse, des Flughafens, der landwirtschaftlichen Berufsvertretungen und der Landesregierung an. Die Betreibergesellschaft der Messe wird zu einer Ausgleichsabgabe verpfl ichtet. Vorran-gig sollen die Gelder dort eingesetzt werden, wo der Eingriff in die Natur erfolgt ist. Insgesamt geht es aber darum, Pro-jekte mit dem größten ökologischen Effekt zu fördern. So erhält die Gemeinde Leinfelden-Echterdingen einen Anteil der Ausgleichsabgabe für ein neues Naturschutzgebiet auf ihrer Gemarkung.

Die Entscheidung

Folgende Kompromisse wurden eingegangen

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erlebenMaterialien D 1 – D 15

D 1 Das Insel-Spiel: Wie soll Euer Staat gestaltet sein?

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

BerufHobbysKleidung

ROLLENBIOGRAFIE

◗ Welche Person möchtest Du gerne sein? Schreibe diese Informationen auf und gestalte Deinen Inselausweis.

Name

m/w Alter Nation

GeschwisterEhestandKinder

◗ Diskutiert und entscheidet! Überlegt genau und bedenkt die Folgen. Schreibt dann die Gesetze sorgfältig auf die angeschwemmten Kartonbögen.

Vier Flaschenpostbeispiele

1. EMPFÄNGER: INSEL DER GESETZLOSEN

Bei Eurer Ankunft seid Ihr auf der Insel ohne Gesetze und Regeln.

Wie werden bei Euch Gesetze gemacht?Wer bestimmt, welche Gesetze gelten sollen?Wie regelt Ihr die Arbeitsaufteilung und die Freizeit? Welche Regeln gelten für Männer, Frauen und Kinder?Wem gehört was? Was ist Privatbesitz, was gehört allen?Welche Grundrechte haben die Menschen auf Eurem Insel-abschnitt?Welche Gesetze gelten für die Umwelt (Wasser, Luft, Pfl an-zen, Tiere)?

2. EMPFÄNGER: INSEL DER GELDLOSEN

Auf Eurer Insel gibt es kein Geld. Perlen könnten als Wäh-rung zum Bezahlen von Waren und Arbeit dienen.

Perlen als Geld? Ist das möglich?Wer verwaltet das neue Geld?Wie viel Arbeitsentgelt bzw. Lohn wird bezahlt?Was kostet ein Stück Holz, was kostet ein Fisch?

◗ Diskutiert und entscheidet! Schreibt die Regeln für die Bezahlung von Löhnen und für die Preise (Holz, Fisch usw.) sorgfältig auf die angeschwemmten Kartonbögen.

◗ Diskutiert und entscheidet! Schreibt Eure Ergebnisse (Vorteil der Arbeitsteilung) auf die angeschwemmten Kartonbögen.

◗ Diskutiert und entscheidet! Ergänzt Eure Regelungen und Gesetze um die Aufnahmebedingungen auf Eurem Regelplakat.

3. EMPFÄNGER: INSEL DER ARBEITSLOSEN

Eure Insel eignet sich zum Anbauen und Nutzen bestimm-ter Pfl anzen und Früchte.

Verteilt die Aufgaben: sähen (Umriss malen), bewässern (ausmalen), ernten (ausschneiden), optimieren (einer aus Eurer Gruppe überprüft und optimiert die Arbeitsvor-gänge).

4. EMPFÄNGER: INSEL DER EINSIEDLER

Die Insel ist dünn besiedelt und es stellt sich die Frage, ob Ihr anderen Inselbewohnern die dauerhafte Mitgliedschaft in Eurer Inselgruppe ermöglichen wollt.

Wer darf herein? Welche Voraussetzungen muss sie oder er erfüllen? Beachtet bei der Beantwortung dieser Fragen auch Eure bisherigen Gesetze und Vereinbarungen.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 2 Gedanken über den besten Staat

Platon(427–347 v. Chr.)

»Ich bin Platon. Ich wurde im Jahre 427 v. Chr. in Athen geboren. Mein Lehrer, Sokrates, war einer der berühmtesten Philosophen überhaupt. Er selbst hat nichts geschrieben, aber dafür erzählen fast alle meine Bücher von Gesprächen, die Sokrates mit anderen Menschen geführt hat.

Als ich ein junger Mann war, musste ich erleben, wie nach einem Krieg die Demokratie in Athen abgeschafft wurde. Ich habe viel über den besten Staat nachgedacht, und hier sind meine Vorschläge und Ideen:

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In meinem Staat herrscht Gerechtigkeit. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Sie haben gleiche Rechte und Pfl ich-ten.

Ihr könnt Euch meinen Stadtstaat, die Polis, am besten als großen Menschen vorstellen. Der Kopf steht für Klugheit. In meinem Staat sind das die Philosophenkönige. Der Oberkör-per steht für Kraft und Mut. Damit meine ich die Wächter. Und der untere Teil des Körpers? Der steht für die arbeitenden Menschen: die Bauern, Handwerker und Händler. Sie küm-mern sich um das leibliche Wohl der Gemeinschaft.

Die Philosophenkönige und Wächter sollen zum Leben er-halten, was sie benötigen. Sie dürfen keinen Privatbesitz haben. Sie sollen alles miteinander teilen, sogar ihre Kinder. Dadurch wird die Familie überfl üssig.

Aber vielleicht ist ja das, was wir Leben nennen, ein Traum und das, was wir Traum nennen, das Leben.«

»Mein Name ist Thomas Hobbes. Ich komme aus England, wo es zu meiner Zeit sehr unruhig war. Es gab viele Spannun-gen zwischen dem König und denen, die eine Demokratie wollten. Auch zwischen den unterschiedlichen Kirchen gab es Konfl ikte. 1640 musste ich nach Frankreich fl iehen. Zwei Jahre später gab es in England einen Bürgerkrieg, der 1649 mit einer Revolution endete. Ich konnte dann zwar wieder zurück in meine Heimat, aber meine Bücher blieben weiter-hin umstritten und wurden ein paar Jahre nach meinem Tod sogar öffentlich verbrannt.

Ich glaube, dass alle Menschen von Natur aus gleich sind. Körperliche Unterschiede können dadurch ausgeglichen werden, dass auch der Schwächste den Stärksten töten kann – entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen. Geistige Unterschiede sind ausbildungs- und erziehungsbedingt.

Die Gleichheit der Menschen beruht auch darauf, dass alle nach denselben Dingen streben: Erstens nach Sicherheit, zweitens nach Existenzsicherung und Wohlstand, drittens nach Respekt und Ansehen. Daraus entstehen unvermeidli-che Konfl ikte bis hin zu einem Krieg aller gegen alle. Dies

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führt im Naturzustand dazu, dass jeder Mensch vor dem anderen Angst haben muss. Homo homini lupos est – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.

Aber eigentlich wollen die Menschen ja in Frieden leben. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sie den Krieg aller gegen alle beenden und einen Vertrag schließen. Dieser Vertrag kommt dadurch zustande, dass einer zum anderen sagt: Ich übertrage einer bestimmten Person das Recht, mich zu regieren. Aber nur unter der Bedingung, dass auch du dieser Person das Recht gibst, dich ebenso regieren zu lassen.

Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer riesenhaf-ten Person vereinte Menge Staat. Der gemeinsame Wille aller Menschen nach einem starken Staat schafft eine riesenhafte, furchterregende Kunstfi gur, den Leviathan. Die Herrscher-gewalt stellt darin eine künstliche Seele dar, die dem ganzen Körper Leben und Bewegung gibt. Die Beamten und Richter sind künstliche Gelenke. Belohnungen und Strafen, die von der Herrschergewalt ausgehen und durch die jeder Körperteil und jedes Gelenk bewegt wird, sind die Nerven. Wohlstand und Reichtum der einzelnen Mitglieder des Staates machen den Leviathan stark. Die Ratgeber des Herrschers, die ihm alles vortragen, was er unbedingt wissen muss, sind das Gedächtnis des Leviathans. Eintracht bedeutet Gesundheit, Aufruhr, Krankheit und Bürgerkrieg sind der Tod des Levia-thans.«

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

»Ich bin Thomas Morus. Ich habe erst als Anwalt gearbeitet, bevor ich 1504 in das Londoner Parlament gewählt worden bin und dort eine Karriere als Politiker gemacht habe. Al-lerdings bin ich später beim König in Ungnade gefallen und wurde deshalb gefangen gehalten und schließlich enthaup-tet. Es hatte damit zu tun, dass ich nicht nur Politiker, son-dern vor allem auch gläubiger Katholik gewesen bin. Dafür bin ich 1935 auch heiliggesprochen worden.

Ich glaube, dass der Mensch weder gut noch böse ist. Ent-scheidend ist vielmehr, dass die Menschen in einem Umfeld leben, das dafür sorgt, dass sie sich nicht böse, sondern tugendhaft verhalten.

Ich träumte einst von einer wunderbaren Insel, meiner Insel Utopia. Alle Insulaner müssen entweder in der Landwirt-schaft arbeiten oder ein Handwerk ausüben, um so die Versorgung aller sicherzustellen. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung soll von der körperlichen Arbeit freigestellt werden, um sich dem Studium der Wissenschaft und der Künste widmen zu können.

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Ein einzelner machtgieriger Prasser, eine Pest für sein Vater-land, zieht in seiner Unersättlichkeit einen großen Zaun um Felder, Wiesen und Wälder. Mit Lug, Trug und Gewalt nimmt er den Bauern das Land weg und macht es zu Schafweiden. Die Menschen werden vertrieben und haben nichts mehr. Deshalb muss auf Utopia das Privateigentum abgeschafft und zu Gemeinschaftseigentum werden. Das Aushängeschild für Reichtum und Wohlstand, der Besitz von Gold- und Sil-berschmuck, muss abgeschafft werden. Auf meiner Insel Utopia sind Schmuck und sonstige vermeintliche Reichtümer nicht nur wertlos – sie werden verachtet und sind das Erken-nungsmerkmal für zwangsweise goldbehängte Sklaven und aus der Gemeinschaft ausgestoßene Kriminelle.

Damit es keinen Neid oder Streit geben kann, müssen die Bewohner per Losentscheid alle zehn Jahre ihre Häuser tau-schen. Es gibt auch keine individuelle Kleidung. Alle tragen reinweiße Gewänder. Für den Umgang mit alten und kranken Menschen haben wir Utopier klare Regeln. Wir kümmern uns rührend um sie und unterlassen nichts, was zu ihrer Gene-sung beiträgt. Ist aber die Krankheit unheilbar und quält und martert sie den Menschen, so soll sich der Kranke aus seinem Leben wie aus einem Kerker befreien oder befreien lassen.

Mein Idealstaat heißt Utopia. Das heißt so viel wie ›Nicht-Ort‹ oder ›nirgends‹ und meint, dass es vielleicht niemals möglich sein wird, einen solchen Idealstaat zu schaffen. Aber auch wenn es vielleicht unmöglich ist, den idealen Staat zu verwirklichen, darf man sich zumindest Gedanken darüber machen, wie er aussehen könnte, oder?!«

Niccolò Machiavelli(1469–1527)

»Mein Name ist Niccolò Machiavelli. Ich bin nicht nur Philo-soph und Schriftsteller, sondern war auch Außen- und Ver-teidigungsminister des Stadtstaates Florenz. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wie ein Staat funktionie-ren muss: Die ständigen Kriege zwischen den verfeindeten Kleinstaaten Oberitaliens sowie Aufstände und Unruhen sind für mich das Allerschlimmste. Nur mit einem starken Fürsten kann es dauerhaften Frieden geben. Was muss also ein Fürst oder ein Herrscher tun, damit er seine Macht nicht wieder verliert? Dieser Frage bin ich nachgegangen.

Ich glaube, dass alle Menschen von Natur aus abgrund-tief schlecht sind. Stets folgen sie ihren bösen Neigungen, sobald sie Gelegenheit dazu haben. Gutes tun sie nur, wenn

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sie dazu gezwungen werden. Wenn ihnen freie Wahl bleibt und sie tun können, was sie wollen, gerät alles sofort in Verwirrung und Unordnung.

Der Fürst ist das Gesetz! Der Fürst darf auch grausam sein, um an die Macht zu kommen oder um an der Macht zu blei-ben. Er soll gefürchtet, aber nicht gehasst werden. Furcht erzeugt Gehorsam, Hass führt zu Aufständen. Der Fürst muss Fuchs und Löwe sein. Denn der Fuchs wittert die Fallen seiner Gegner und vor der Stärke des Löwen haben alle anderen Respekt.

Zur Errichtung der Herrschaft ist jedes Mittel recht, sei es auch noch so grausam, gewalttätig oder hinterlistig. Allein der Erfolg ist der Maßstab, der über die Nützlichkeit der Mittel entscheidet. Ein Fürst, der Großes vollbringen will, muss lernen, wie man Menschen betrügt.

Noch heute nennen böse Zungen Menschen, die, darauf aus sind, möglichst viel Macht an sich zu reißen, ›Machiavel-listen‹. Eine Frechheit, wo ich doch immer nur den Frieden wollte!«

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

»Mein Name ist Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu. Aber man nennt mich heute nur noch Charles de Montesquieu. Wie man an meinem Namen schon hören kann, entstamme ich einem französischen Adels-geschlecht; ich bin ein echter Baron. Obwohl ich also ein einfl ussreicher Mann bin, musste ich einen Teil der Bücher, die ich geschrieben habe, unter fremdem Namen veröffent-lichen. Manche meiner Schriften wurden auch verboten, weil ich mich zu kritisch gegenüber den Herrschern und der Kirche in Frankreich geäußert habe.

Im Naturzustand leben die Menschen friedlich miteinander. Sie haben viel Platz und sind so vernünftig, dem anderen das zu gönnen, was er fi ndet oder erntet.

Das geht so lange gut, bis die Freiheit des einen die Freiheit des anderen beschränkt. Durch das Abgrenzen und das Zäu-neziehen sowie durch das Aufkommen des Geldes entstehen

Montesquieu(1689–1755)pi

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Konfl ikte. Der eine besitzt nun viel, der andere fast gar nichts. Die Menschen brauchen deshalb positive Gesetze, um diesen friedvollen Zustand wieder herzustellen.

Die vollkommenste Regierungsform ist die, die ihr Ziel mit dem geringsten Aufwand erreicht. Ist das Volk unter einer milden Regierung genauso gehorsam wie unter einer stren-gen, so ist die erstere vorzuziehen, weil sie vernünftiger ist, während eine strenge unvernünftig wäre.

Ich plädiere dafür, dass die Macht im Staate aufgeteilt wird. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass sie nicht von einzelnen Personen oder Gruppen missbraucht und so die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt wird. Deswegen soll es eine Gewalt geben, welche die Gesetze macht, eine Gewalt, welche die Gesetze ausführt und eine Gewalt, die darüber richtet, ob die Gesetze befolgt werden oder nicht. Dies nennt man Gewaltenteilung.

Damit die Demokratie, in der das ganze Volk regiert, funkti-oniert, bedarf es der Tugend. Das heißt, die Bürger müssen die Demokratie wollen und wertschätzen. Und sie müssen aufpassen, dass sie nicht abgeschafft wird.

Die Freiheit ist nicht allen Völkern erreichbar, da sie nicht unter jedem Himmel gedeiht.«

»Mein Name ist Jean-Jacques Rousseau. Ich wurde 1712 in Genf geboren. Aber dort hielt es mich nicht lange, denn ich habe immer einen unbändigen Drang nach Freiheit verspürt und bin deswegen viel auf Reisen gewesen. Ich habe Bücher über Erziehung und über Demokratie geschrieben. Diese wurden jedoch unmittelbar, nachdem ich sie veröffentlicht hatte, verboten und verbrannt. Ich musste fl iehen, um einer Verhaftung zu entgehen.

Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.

Die Naturmenschen (homme naturel) leben weiträumig und isoliert voneinander. Sie sind geprägt vom Willen nach Selbsterhaltung und Existenzsicherung. Selbstliebe (amour de soi-même) und das Mitleid-Gefühl für die Mitmenschen (commisération) sind in gleicher Weise vorhanden. Im Na-turzustand sind die Menschen frei und unabhängig. Sie sind

von daher weder gut noch böse. Erst das Leben mit vielen Menschen in der Gemeinschaft macht sie unfrei und gebun-den.

Es gibt aber kein Zurück zum ursprünglichen Naturzustand mehr. Also stellt sich die Frage, wie sich dieses Zusam-menleben der Menschen am besten gestalten lässt und wie sie wieder frei werden können. Meine Lösung für dieses Problem ist der Gesellschaftsvertrag. Dieser besteht darin, dass jeder alle seine Rechte und Ansprüche an die Gemein-schaft abgibt. Denn wenn keiner mehr besondere Rechte hat oder Ansprüche an die anderen stellen kann, dann sind alle wieder gleich und damit frei.

Damit die Freiheit aller gewährleistet bleibt, ist es wichtig, dass in der Politik der Gemeinwille verwirklicht wird. Denn nur wenn der Wille aller durchgesetzt wird, sind alle frei. Deswegen darf es auch keine Könige oder Parlamente geben – denn diese würden nicht dem Willen der Gemeinschaft entsprechen, sondern nur ihre eigenen Interessen vertreten. Daraus folgt, dass alle an den politischen Entscheidungen beteiligt sein müssen, denn nur so kann der Wille der ganzen Gemeinschaft durchgesetzt werden.«

Jean-Jacques Rousseau (1712–1778)pi

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

»Mein Name ist Joseph Alois Schumpeter. Geboren wurde ich in Triesch (heute Tschechien, früher Österreich), wo ich nicht nur Professor, sondern auch einmal Präsident einer Bank und sogar Finanzminister war. Ich habe mich also nicht nur mit Politik, sondern auch viel mit Ökonomie beschäftigt. Ab 1925 habe ich in Deutschland gearbeitet. Wegen meiner jüdischen Abstammung bin ich 1932 dann in die USA aus-gewandert, wo ich an der berühmten Harvard-Universität wieder als Professor gearbeitet habe. Gesagt habe ich:

Alles Neue setzt die Zerstörung des Alten voraus.

Die Demokratie funktioniert eigentlich wie die Wirtschaft: So wie verschiedene Unternehmen (Anbieter) versuchen, in einem bestimmten Markt führend zu sein und so viele

Joseph Alois Schumpeter (1883–1950)pi

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Kunden (Konsumenten) wie möglich an sich zu binden, so konkurrieren Politiker (Anbieter) in der Demokratie um die Stimmen der Wähler (Konsumenten) und damit um die Füh-rung im Staat.

Viele Menschen können sich für Sport oder ihren Beruf mehr begeistern als für Politik. Diese ist ihnen nämlich zu kompliziert. Sie interessieren sich nicht dafür, und deswe-gen verstehen sie auch nichts davon. Deswegen fi nde ich es auch richtig, wenn es gewählte Politiker gibt, die sich um alles kümmern. Die Aufgabe der Wähler besteht dann darin, zu entscheiden, wer sie regieren soll. Und wenn sie ihre Stimme abgegeben haben, dann sollen sie die Politik denjenigen überlassen, die sie gewählt haben und die auch etwas davon verstehen.

Demokratie bedeutet ja eigentlich, dass alle an politischen Entscheidungen beteiligt werden und dann der Wille des Volkes umgesetzt wird. Aber ich glaube, dass es so etwas wie den Willen des Volkes gar nicht gibt. Denn die verschie-denen gesellschaftlichen Gruppen haben ganz unterschied-liche Vorstellungen davon, wie die Gesellschaft auszusehen hat. Es gibt also höchstens einen Willen der Mehrheit, aber keinen des ganzen Volkes.«

»Ich bin Karl Marx. 1818 wurde ich in Trier geboren. Ich war schon immer ein scharfer Kritiker der gesellschaftlichen Zustände, besonders der in Preußen. Deswegen musste ich auch nach Frankreich auswandern. Als ich aber in Paris immer noch nicht in Ruhe gelassen wurde und nach Belgien gehen musste, habe ich mich dazu entschlossen, meine Staatsbürgerschaft abzugeben und den Rest meines Lebens ein Staatenloser zu bleiben. Mein Grab könnt Ihr in London, im Stadtteil Highgate, besuchen. Wichtige Aussagen von mir sind:

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpre-tiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Ge-schichte von Klassenkämpfen. Eines Tages werden sich die Arbeiter zu einer Revolution erheben und eine Gesellschaft errichten, in der es keine Herrschaft von Menschen über Menschen mehr geben wird. Diese Gesellschaftsform heißt Kommunismus.

Karl Marx (1818–1883)pi

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Im Kommunismus wird das Privateigentum an Produktions-mitteln abgeschafft. Das heißt, alle Maschinen und Fabriken, die Gebäude und alle Geräte, mit denen etwas hergestellt werden kann, gehören nicht mehr einzelnen Unternehmern (Kapitalisten), sondern allen arbeitenden Menschen ge-meinsam. Das ist das Ende der Ausbeutung.

Für mich bedeutet Kapitalismus auch: In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt der Lohn ab.

In meiner klassenlosen kommunistischen Gesellschaft ist es mir möglich, heute dies, morgen jenes zu tun. Ich kann mor-gens fi schen, nachmittags einen Bauernhof bewirtschaften und abends Schriftsteller sein. Ich bin dann kein Arbeits- und Berufssklave mehr. Ich bin ein freier Mensch. In einer Gesellschaft, in der alle gleich sind, also keiner mehr über den anderen herrscht, wird auch kein Staat mehr gebraucht. Er wird, wenn die Revolution vollendet ist, abgeschafft.

Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die arbeitenden Massen haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!«

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 2

◗ Welche der Philosophen sagen Dir am meisten zu? Wessen Ideen gefallen Dir am wenigsten?◗ Versuche, zum Beispiel über das Internet (Wikipedia), mehr über die einzelnen Philosophen herauszufi nden.◗ Bildet Gruppen und stellt in der Klasse einen Philosophen vor, den Ihr Euch herausgesucht habt. Das kann sowohl ein

Philosoph sein, der Euch besonders anspricht, oder einer, den Ihr nicht gut fi ndet. ◗ Welche der Philosophen hätten sich untereinander wohl gut verstanden, wenn sie zur gleichen Zeit gelebt hätten? Und welche hätten sich bestimmt heftig miteinander ge-stritten?

»Mein Name ist Hannah Arendt. Ich wurde 1906 in Hannover geboren, und ich bin Jüdin. Als Jugendliche habe ich mich nicht sonderlich für Politik interessiert. Als 1933 die Natio-nalsozialisten an die Macht kamen, wurde ich erst verhaftet und musste dann über Prag nach Paris und später in die USA fl iehen. Nun wurde mir bewusst, dass Politik wichtig ist und uns alle angeht!

Nur wenn man über eine Sache gut nachgedacht hat, kann man zu einem begründeten Urteil kommen und die richtige Entscheidung fällen. Dies gilt besonders für die Politik.

Macht und Gewalt sind Gegensätze. Ein einzelner Mensch kann sich nicht einfach Macht nehmen. Er kann höchstens

Hannah Arendt(1906–1975)pi

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die Macht von anderen Menschen übertragen bekommen. Und natürlich können die Regierten dem Herrscher die Macht auch wieder entziehen. Wenn der Herrscher Gewalt anwendet, um weiterregieren zu können, dann hat er streng genommen keine Macht mehr über die anderen. Denn er herrscht nur noch mit Gewalt.

Ich fi nde es wichtig, dass jeder die Freiheit hat, sich an der Politik zu beteiligen. Denn wenn Dinge entschieden werden, die alle betreffen, sollen auch alle die Möglichkeit haben, etwas dazu zu sagen und an den Entscheidungen, die für alle gelten sollen, mitzuwirken.

Die technische Entwicklung der Gewaltmittel hat den Punkt erreicht, an dem sich kein politisches Ziel mehr vorstel-len lässt, das ihren Einsatz in einem bewaffneten Konfl ikt rechtfertigen könnte. Das Kriegshandwerk hat seinen Glanz eingebüßt.

Politik handelt von dem Zusammen- und Miteinandersein der Verschiedenen.

Der Sinn von Politik ist Freiheit.«

»Mein Name ist Karl Raimund Popper. Ich wurde 1902 in Wien geboren. 1937 bin ich wegen meiner jüdischen Herkunft nach Neuseeland emigriert, um dort als Lehrer zu unterrich-ten. 1946 bin ich dann nach London übergesiedelt und habe dort als Professor gearbeitet. Ich habe viele Bücher über Politik, aber auch über Naturwissenschaften geschrieben.

Es gibt nur zwei Staatsformen: Solche, in denen es möglich ist, die Regierung ohne Blutvergießen durch eine Abstimmung loszuwerden, und solche, in denen das nicht möglich ist.

Karl R. Popper(1902–1994)pi

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Es kommt nicht darauf an, für eine bestimmte Gruppe, Klasse, Rasse oder Nation in ferner Zukunft das größte Glück herbeizuführen, sondern darauf, das Leid der heute lebenden Menschen so gering wie möglich zu halten.

Mein Ideal von einem guten Staat ist die ›offene Gesell-schaft‹. Der Staat, die Gesetze und die gesellschaftlichen Regeln sind dazu da, die Freiheit des Einzelnen zu garantie-ren und zu schützen. Aber natürlich hat der Einzelne keine schrankenlose Freiheit. Die Freiheit des einen endet da, wo die Freiheit des anderen berührt wird.

Niemand ist gegen Irrtümer gefeit; das Große ist, aus ihnen zu lernen. Aber von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefähr-lichste. Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, produziert stets die Hölle.

Alles Lebendige strebt nach einer besseren Welt.«

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 3 Staatsformen: ein Überblick

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 3

◗ Bildet sechs Gruppen und ordnet jeder Gruppe eines der aufgeführten Länder zu: USA, Bundesrepublik Deutschland, Schweiz, Somalia, Nordkorea und Indien vor 1947. Recher-chiert nun, z. B. im Internet, die wichtigsten Merkmale be-züglich der Staatsform des jeweiligen Landes. Gestaltet dazu ein Plakat und präsentiert das Ergebnis vor der Klasse.

◗ Begründet mit Hilfe der erarbeiteten Materialien die Zu-ordnung der sechs Länder zu den sechs Staatsformen.

Hat die Bevölkerung Einfl uss auf die Politik des Staates?

Stimmen die Bürgerbei allen wichtigen Fragen ab?

Gibt es eine Regierung, die das gesamte Staatsgebiet kontrolliert?

Wählen die Bürger den Regierungs-chef in einer direkten Wahl?

• Der Präsident ist mächtig, da er gleichzeitig Staatsoberhauptund Regierungs-chef ist.• Regierungsmit-glieder dürfen nicht gleichzeitig dem Parlament angehören.• Der Präsident kann nur wegen einer Straftat von einer Parlaments-mehrheit abge-setzt werden.

Beispiel:USA

PräsidentielleDemokratie

• Die in das Par-lament gewählten Volksvertreter wählen einen Regierungschef und können diesen auch wieder absetzen. • Regierungs-chef und Staats-oberhaupt sind zwei getrennte Ämter, was man eine geteilte Exekutive nennt.

Beispiel:Deutschland

Parlamentarische Demokratie

• Die wahlbe-rechtigten Bürger treffen sich auf Versammlungen, bei denen über alle wichtigen Fragen abge-stimmt wird.• Das Parlament ist an diese Vor-gaben gebunden.• Funktionierte bisher nur bei sehr kleinen Staaten.

Beispiel:Schweiz

Direkte Demokratie

• Mehrere Grup-pen (»Warlords«/ Kriegsherren) kämpfen um die Herrschaft. • Es gibt keine Regierung, die den gesamten Staat kontrolliert. • Oftmals bürger-kriegsartige Zustände.

Beispiel:Somalia

Staatszerfall»Chaosstaaten«

• Die Gewalt-herrschaft einer Person oder einer Gruppe ohne Rücksicht auf die Interessen der Bevölkerung. • Menschenrechte werden willkürlich verletzt, bis hin zu Folter und Tötung.

Beispiel:Nord-Korea

Diktatur

• Die Regierung wird von einem anderen Staat kontrolliert und kann keine selbstständigen Entscheidungen treffen (z. B. eine Kolonie oder ein erobertes Gebiet).

Beispiel:Indien vor 1947

Marionetten-Regierung

Kann die Regierung selbstständig Entscheidungen treffen?

ja nein

ja

ja

nein

nein

ja

ja nein

nein

Bevölkerung hat Teilhabe an der Regierung(Demokratie = Herrschaft des Volkes)

Keine Teilhabe der Bevölkerung an der Regierung(stattdessen Unterdrückung und Gewalt)

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 4 Gewaltenteilung oder: Alle Macht in einer Hand?

Die im Grundgesetz verankerte Aufteilung der politischen Macht, das Prinzip der Gewaltenteilung, ist ein Haupt-merkmal der Demokratie. Nicht eine einzelne Gruppe (z. B. eine Partei) oder eine einzelne Person (z. B. ein Diktator) können allein bestimmen. Vielmehr verteilt sich die Macht des Staates auf verschiedene politische Organe. So soll der Missbrauch staatlicher Gewalt verhindert werden.

Die im Grundgesetz verankerte Aufteilung der politischen Macht, das Prinzip der Gewaltenteilung, ist ein Hauptmerk-mal der Demokratie. Nicht eine einzelne Gruppe (z. B. eine Partei) oder eine einzelne Person (z. B. ein Diktator) können allein bestimmen. Vielmehr verteilt sich die Macht des Staa-tes auf verschiedene politische Organe.

In der Demokratie gibt es drei Gewalten:

Die Legislative (Parlament) ist die gesetzgebende Gewalt.Der Bundestag und der Bundesrat beschließen die Gesetze.

Die Exekutive (Regierung) ist die ausführende Gewalt. Re-gierung und Verwaltung führen die Gesetze aus.

Die Judikative (Gerichte) ist die rechtsprechende Gewalt.Das höchste Gericht, das Bundesverfassungsgericht, über-prüft Gesetze und Entscheidungen auf ihre Übereinstimmung mit dem Grundgesetz.

Zu Zeiten Ludwigs XIV. (König von Frankreich, 1643–1715) gab es die Gewaltenteilung nicht. Der König verfügte in der absoluten Monarchie über alle drei Gewalten und bean-spruchte die absolute Macht im Staat. Diese rechtfertigte er mit der Behauptung: »L‘état c´est moi« (»Der Staat bin ich«).

Der Herrscher auf Lebenszeit handelte oft willkürlich. Indem er über alle drei Gewalten verfügte, konnte er schnellstmög-lich Veränderungen herbeiführen. Aber: Was der König tat oder sagte, war Gesetz und durfte nicht kritisiert werden. Wer dem König widersprach, riskierte sein Leben.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 4

◗ Erklärt den Begriff der Gewaltenteilung auf einem Plakat mittels einer Skizzze.◗ Bildet zwei Gruppen. Gruppe 1: Stellt Euch vor, Ihr seid Ludwig XIV. und haltet Eure Thronrede. Verfasst ein Plädoyer, in dem Ihr Eure Un-

tertanen davon unterrichtet, dass die drei Gewalten auf alle Zeiten beim König liegen müssen. Gruppe 2: Ihr seid die Bundeskanzlerin! Verfasst ein Plädo-yer, in dem Ihr die Bürgerinnen und Bürger von der Gewal-tenteilung überzeugt.

»Es gibt eigentlich nur zwei Staatsformen:

Solche, in denen es möglich ist, die Re-gierung ohne Blutvergießen durch eine Abstimmung loszuwerden, und solche, in denen das nicht möglich ist.

Gewöhnlich nennt man die erste Form Demokratie und die zweite Form Diktatur oder Tyrannei.«(Karl Popper)

Moderne DemokratieAbsolute Monarchie

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 5 Die Bundesrepublik Deutschland – eine parlamentarische Demokratie

ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen«. Die Abgeordneten haben demgemäß ein freies und kein imperatives Mandat.

Der Ort, wo also Entscheidungen getroffen werden, ist das Parlament. Hier wird diskutiert, debattiert und nach den demokratischen »Spielregeln« von Mehrheit und Minder-heit, von Überzeugen und Kompromissfi ndung entschieden. Deshalb wird die repräsentative Demokratie auch eine par-lamentarische Demokratie genannt. Dabei hat das Parlament neben der Gesetzgebung und der Vertretung der Meinungs- und Interessenvielfalt der Bevölkerung noch weitere wich-tige Funktionen: Es kontrolliert die Regierung und es wählt andere Verfassungsorgane, also z. B. den Regierungschef. Weil die Parlamentsdebatten öffentlich sind, ist das Par-lament auch ein Forum der politischen und öffentlichen Debatte.

Deutschland ist eine repräsentative Demokratie. Diese Re-gelung, im Grundgesetz verankert, gilt für den Bund und für die Länder. Der Gedanke ist einfach: In einer modernen Gesellschaft stellt der Staat den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl an Leistungen zur Verfügung. Darüber muss im Sinne und zum Wohle der Allgemeinheit entschieden werden. Auch wenn in der Gesellschaft Probleme gelöst oder Konfl ikte geregelt werden müssen, muss es ein von allen Bürgern anerkanntes Verfahren geben.

Weil nicht alle Bürger gleichzeitig über Probleme beraten und entscheiden können, wählen sie eine Gruppe von Volks-vertretern, die für begrenzte Zeit ermächtigt sind, Regeln (Gesetze) zu beschließen. Die Abgeordneten vertreten (re-präsentieren) den Willen des Volkes, das ja in der Wahl seine Meinung zum Ausdruck gebracht hat. Die Gesetze werden so von allen anerkannt, weil sie von demokratisch gewählten Volksvertretern verabschiedet werden. Dabei sind die Ab-geordneten, so das Grundgesetz in Art. 38, »Vertreter des

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 5

◗ Fasse in eigenen Worten zusammen: Was bedeutet der Begriff der repräsentativen parlamentarischen Demokratie?◗ Welche zentralen Funktionen haben die Parlamente in Deutschland? Erläutere und begründe diese Funktionen anhand von Beispielen.◗ Warum ist es wichtig, dass die Abgeordneten in der Bun-desrepublik Deutschland »nur ihrem Gewissen unterworfen« und nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind?

◗ Welche Möglichkeiten der Einfl ussnahme auf den poli-tischen Prozess haben die Bürgerinnen und Bürger in der parlamentarischen Demokratie?

Die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland im Überblick.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 6 Vier deutsche Bundeskanzler – vier politische Karrieren in der Demokratie

Aufgewachsen in der DDRAngela Merkel wird am 17. Juli 1954 in Hamburg geboren, wächst aber in der DDR auf. Ihr Vater, ein evangelischer Pfarrer, und ihre Mutter, eine Fremdsprachenlehrerin, ziehen kurz nach der Geburt von Angela Merkel in die DDR. Der Vater glaubt, als Geistlicher der religionsfeindlichen Haltung in der DDR entgegenwirken zu können. Der Neuanfang ist für die Familie nicht leicht. Von Anfang an gilt der Vater als Gegner des Systems und wird von der Stasi beobachtet. Als Ehefrau eines Pfarrers darf die Mutter nicht ihrem Beruf nachgehen. Auch Angela Merkel erfährt in der Schule Be-nachteiligungen. Um diesen zu entgehen, tritt sie in die Jugendverbände der DDR ein. Politisch bleibt sie aber un-auffällig, auch um die Aussichten auf einen Studienplatz nicht zu gefährden.

Studium und BerufAls Angela Merkel 1973 nach dem Abitur eine Zusage für einen Studienplatz hat, fühlt sie sich sicher. Bei der Abschlussfeier der Klasse wagt sie mit Mitschülern eine Abweichung vom Programm. Sie tragen ein satirisches Gedicht vor und singen die Internationale auf Englisch. Die Klasse wird von der Stasi verhört; es droht der Verlust der zugesagten Studienplätze. Nur das beherzte Eintreten der Eltern bei den DDR-Behörden kann dies verhindern. Noch im selben Jahr beginnt Angela Merkel in Leipzig ihr Studium der Physik. Während eines Studienaustausches mit der Sowjetunion lernt sie ihren späteren Mann Ulrich Merkel kennen. Nach dem Studien-abschluss zieht das Paar nach Ost-Berlin, wo Angela Merkel als Physikerin arbeitet. 1982 lassen sich Angela und Ulrich Merkel scheiden. Drei Jahre später schließt die Physikerin ihre Doktorarbeit ab.

Als 1989 das DDR-Regime zusammenbricht, engagiert sich Angela Merkel in der Partei Demokratischer Aufbruch (DA). Sie legt ihren Beruf nieder und wird bald Pressesprecherin der Partei. Nach der letzten Wahl in der DDR wird sie stellver-

tretende Regierungssprecherin der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière.

Politische Karriere im wiedervereinigten DeutschlandNach der Wiedervereinigung Deutschlands gelingt dem po-litischen Talent Angela Merkel eine rasche Karriere. 1990 zieht sie für die CDU, in der die Partei des Demokratischen Aufbruchs inzwischen aufgegangen ist, als Direktkandidatin in den Bundestag ein. Unter Bundeskanzler Helmut Kohl wird sie Ministerin für Frauen und Jugend. 1991 wird sie zur stellvertretenden Vorsitzenden der Bundes-CDU und zwei Jahre später auch zur Vorsitzenden des CDU-Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Nach dem Wahlerfolg von CDU und FDP bei der Bundestagswahl 1994 ist sie bis 1998 Umweltministerin im Kabinett Kohl.

1998 wird die CDU nach 16 Jahren Regierungsarbeit auf die Oppositionsbank verwiesen. Die Partei ist im Umbruch. Angela Merkel wird Generalsekretärin der CDU. Im selben Jahr heiratet sie ihren langjährigen Lebensgefährten, den Chemieprofessor Joachim Sauer. Als 1999 bekannt wird, dass führende Mitglieder der CDU an Verstößen gegen das Parteienfi nanzierungsgesetz beteiligt waren, kommt die Stunde von Angela Merkel. Ihr glaubwürdiger Einsatz zur Aufklärung der Vorfälle fi ndet Anerkennen in der CDU und in der Bevölkerung. 2000 wird sie zur Bundesvorsitzenden der CDU gewählt. Die erste Frau an der Spitze der Partei steht für einen politischen Neuanfang. Nach der Bundestagswahl 2002 führt sie zusätzlich noch ihre Fraktion im Bundestag an.

Als im Herbst 2005 vorgezogene Bundestagswahlen stattfi n-den, kann sich Angela Merkel als Kanzlerkandidatin durch-setzen. Nach dem Wahlsieg der CDU wird sie im Bundestag zur Kanzlerin gewählt und bildet eine große Koalition aus CDU und SPD. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wird das Land von einer Frau regiert.

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Angela Merkel (CDU) amtiert seit Herbst 2005 als Bundeskanzlerin.

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1990: Angela Merkel als stellvertretende Sprecherin der letzten DDR-Regierung.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

In der Nachkriegsnot aufgewachsenGerhard Schröder wird am 7. April 1944 in Mossenberg in Niedersachsen als zweites Kind von Fritz und Erika Schrö-der geboren. Der Vater ist Arbeiter und fällt im Zweiten Weltkrieg. Die Zeit nach dem Ende des Krieges ist für die Familie hart. Zuerst kommt sie bei Bauern unter, wo sie für eine bescheidene Unterkunft bei der Ernte und im Stall hilft. 1947 heiratet die Mutter den Arbeiter Paul Vossler und bringt drei weitere Kinder zur Welt. Schon bald aber erkrankt der Stiefvater schwer. Gerhard Schröder muss als ältester Sohn die Rolle des Familienoberhaupts übernehmen und Geld verdienen. 1958 schließt er die Hauptschule mit guten Noten ab. Das Schulgeld verhindert den Wunsch, das Gym-nasium zu besuchen. Gerhard Schröder macht eine Lehre als Einzelhandelskaufmann und arbeitet anschließend in Göt-tingen in einer Eisenwarenhandlung. Abends macht er den Realschulabschluss nach. Schon 1963 tritt der 19-Jährige in

eröffnet er eine eigene Anwaltskanzlei. Bei seiner Tätigkeit als Anwalt zeigt er eine Nähe zur Friedensbewegung und zu Atomkraftgegnern. 1980 wird Gerhard Schröder als Direkt-kandidat in den Bundestag gewählt. 1983 gelingt ihm dies nur über einen Listenplatz. Inzwischen ist er das dritte Mal verheiratet.

1986 setzt sich Gerhard Schröder als Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen durch. Nach einer knap-pen Niederlage wird er Fraktionsvorsitzender im Landtag von Hannover. Sein Bundestagsmandat legt er nieder. Im selben Jahr noch wird er Mitglied im Bundesvorstand und im Präsidium der SPD. Vier Jahre später tritt er erneut in Niedersachsen an und wird nun Ministerpräsident einer rot-grünen Landesregierung. 1994 gelingt ihm die Wiederwahl und die Wahl zum Landesvorsitzenden seiner Partei. 1997 heiratet er ein viertes Mal, nun die Journalistin Doris Köpf.

die SPD ein und opfert seine Wochenenden der Parteiarbeit. Ab 1964 erhält er eine Halbwaisenrente und kann nun das Abitur nachholen. Mit der Arbeit auf Baustellen verdient er sich Geld dazu.

Studium und politisches EngagementDem Abitur folgt 1966 ein Jurastudium und der Eintritt in die Studentenorganisation der SPD. 1968 heiratet er die Bib-liothekarin Eva Schuhbach. Der 68er-Studentenbewegung steht Gerhard Schröder kritisch gegenüber. Zu theoretisch sei ihm das alles, meint er später. Er engagiert sich bei den Jusos und wird bald deren Vorsitzender in Göttingen. 1971 schließt er sein Studium ab und beginnt bei einem Anwalt in Hannover. Auch hier wird er wenig später Vorsitzender der Jusos. 1976 bekommt Gerhard Schröder seine Zulassung als Anwalt; inzwischen ist er zum zweiten Mal verheiratet.

Politische Karriere1977 wird Gerhard Schröder zum Bundesvorsitzenden der Jusos gewählt. Er vertritt eine gemäßigte Linie und nähert die Jugendorganisation der SPD ihrer Mutterpartei an. 1978

Sie hat bereits eine Tochter; später adoptiert das Paar eine weitere Tochter.

Kanzler einer rot-grünen Regierung1998 tritt Gerhard Schröder erstmals als Kanzlerkandidat der SPD an. Er wird siebter Kanzler der Bundesrepublik Deutsch-land und Chef einer rot-grünen Regierung. 1999 wird er SPD-Bundesvorsitzender. 2002 wird er als Kanzler wiedergewählt. Seine größte Aufgabe ist es, den Sozialstaat zu reformieren (»Agenda 2010«). Mit dieser Herausforderung gerät er in seiner Partei in Bedrängnis und gibt 2004 den Parteivor-sitz ab. Nach einer Reihe von verlorenen Landtagswahlen sieht er 2005 den Rückhalt seiner Regierung schwinden und stellt im Bundestag die Vertrauensfrage. Es kommt zu vorgezogenen Bundestagswahlen, die die SPD im September 2005 verliert. Gerhard Schröder tritt von seinen politischen Ämtern zurück. Er lebt heute mit seiner Familie in Hannover und arbeitet für eine Schweizer Verlagsgruppe sowie für eine deutsch-russische Pipeline-Gesellschaft.

Gerhard Schröder (SPD) war von 1998 bis 2005 der siebte deutsche Bundeskanzler.

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1978: Gerhard Schröder als Bundesvorsitzender der Jung-sozialisten (Jusos).

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Politik & Unterricht • 2/3-2006

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

Eine früh beendete KindheitHelmut Kohl wird am 3. April 1930 in Ludwigshafen als das dritte und letzte Kind von Hans und Cäcilie Kohl geboren. Der Vater kommt aus einfachen Verhältnissen und arbeitet als Finanzbeamter, die Mutter ist streng katholisch. Ab 1940 besucht Helmut Kohl das Gymnasium. Schon nach einem der ersten Luftangriffe der Alliierten hilft er als Mitglied der Schülerfeuerwehr dabei, Tote zu bergen. Nach seinen eigenen Worten beenden diese schlimmen Erfahrungen seine Kindheit. 1943 werden die Schulen geschlossen und ab Ende 1944 wird er bei Salzburg als Flakhelfer ausgebildet. Hier erlebt er den Zusammenbruch des NS-Regimes und macht sich zu Fuß auf den Nachhauseweg.

1946 setzt der über 1,90 Meter große 16-Jährige gegenüber seinen Eltern durch, dass er wieder das Gymnasium besuchen kann. Seine Schulleistungen sind eher durchschnittlich, aber

neter im Landtag von Rheinland-Pfalz. Hier wird er schon 1961 zum stellvertretenden Vorsitzenden seiner Fraktion gewählt, ein Jahr später zum Vorsitzenden. Helmut und Hannelore Kohl heiraten 1960. 1963 und 1965 kommen die Söhne Wolfgang und Peter zur Welt. 1966 wird Helmut Kohl Vorsitzender des Landesverbandes und Mitglied im Bundes-vorstand der CDU. Als er 1969 dann Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wird, gibt er seine bisherige Tätigkeit in der Chemischen Industrie auf. Er ist nun außerdem stell-vertretender Bundesvorsitzender der CDU, bis er 1973 zum Vorsitzenden seiner Partei gewählt wird.

Kanzlerkandidat der CDU/CSUDie CDU/CSU wird 1976 mit Helmut Kohl als Kanzlerkandidat zur stärksten Partei. Die Regierung bildet jedoch Helmut Schmidt (SPD) mit der FDP. Helmut Kohl tritt von seinem Amt als Ministerpräsident zurück und wird Vorsitzender der

er ist ein Organisationstalent. So organisiert er, dass seine Klasse den durch den Krieg beschädigten Raum selbst reno-viert, was ihm wohl das durch die französische Besatzungs-macht eingeführte Amt des Klassensprechers einbringt. Helmut Kohl zeigt sich sehr interessiert an der entstehenden Demokratie. 1947 ist er Mitbegründer der Jungen Union in Ludwigshafen. Ein Jahr später tritt er in die CDU ein. 1948 lernt er seine spätere Ehefrau Hannelore Renner kennen.

Aufstieg in der Landespolitik1950 besteht Helmut Kohl sein Abitur und studiert in Frank-furt, dann in Heidelberg. Sein Studium fi nanziert er durch Arbeiten. 1953 wird er zum Schriftführer des Kreisverbandes CDU-Pfalz gewählt, ein Jahr später wird er stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union in Rheinland-Pfalz. Auch dem Landesvorstand der CDU gehört er an. 1958 schließt er seine mit sehr gut benotete Doktorarbeit über die Parteien in der Region nach dem Zweiten Weltkrieg ab.Ab 1959 arbeitet Helmut Kohl als Referent des Verbandes der Chemischen Industrie in Ludwigshafen. Im selben Jahr wird er Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes und Abgeord-

Oppositionsfraktion im Bundestag. 1982 gelingt es ihm dann, mit Stimmen der FDP-Fraktion Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum abzulösen.

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl 1983 wird Helmut Kohl in seinem Amt bestätigt, erneut bei der Wahl 1987. Als Kanzler ist er am Aufbau Europas und am guten Verhält-nis zu Frankreich entscheidend beteiligt. Das wichtigste Ereignis seiner Amtszeit ist die deutsche Wiedervereinigung 1989/90. Seine Verdienste dabei bescheren ihm bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 eine deutliche Mehrheit. Auch 1994 wird er erneut in seinem Amt bestätigt. 1998 verlieren CDU und CSU jedoch die Bundestagswahlen.

Helmut Kohls Amtszeit dauerte insgesamt 16 Jahre. Bis heute ist er damit der Bundeskanzler mit der längsten Amts-zeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sein Amt als Ehrenvorsitzender der CDU musste er jedoch 1999 wegen Verstößen gegen das Parteienfi nanzierungsgesetz niederlegen. Helmut Kohl lebt heute in Oggersheim bei Ludwigshafen.

Helmut Kohl (CDU) war von 1982 bis 1998 deutscher Bundeskanzler.

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3. Oktober 1990: Helmut Kohl bei der Feier der deutschen Wiedervereinigung in Berlin.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 6

◗ Bildet vier Gruppen und informiert Euch über jeweils einen Bundeskanzler. Vergleicht die Werdegänge der vier porträ-tierten Kanzler. Worin unterscheiden sich sich? Welche Ins-titutionen und Ämter haben sie durchlaufen, bis sie Chefi n bzw. Chef der deutschen Regierung wurden? ◗ Vergleicht die Karrieren der vier Regierungschefs mit dem »Wer wird Bundeskanzler(in)-Spiel« in der Mitte des Heftes. Was erkennt Ihr wieder, was ist anders?

Jugend und Kriegsdienst im NS-DeutschlandHelmut Schmidt wird am 23. Dezember 1918 in Hamburg ge-boren. Der Vater hat sich vom Helfer in einer Anwaltskanzlei zum Handelslehrer hochgearbeitet. Der sportliche und mu-sisch begabte Helmut Schmidt malt, ist begeisterter Ruderer und ein begabter Klavierspieler. Im Alter von elf Jahren lernt er Hannelore Glaser kennen, die sich selbst »Loki« nennt. Sie wird später seine Ehefrau. 1933 will Helmut Schmidt in die Hitlerjugend (HJ) eintreten. Der Vater verbietet ihm dies jedoch, weil der Großvater des Jungen ein Jude war. Helmut Schmidt tritt 1934 trotzdem ein, wird aber 1936 suspendiert, weil er immer wieder »meckert«. 1937 macht er sein Abitur und muss dann die zweijährige Wehrpfl icht antreten. 1940 wird er Offi zier und muss für zwei Jahre an die Front nach Russland. 1942 heiraten Helmut Schmidt und »Loki« Glaser. 1944 kommt der Sohn Moritz zur Welt. Seit der Heirat arbeitet Helmut Schmidt im Reichsluftfahrtministe-

senator. Nach der Sturmfl ut, die Hamburg 1962 verwüstet, erlangt er durch sein umsichtiges Krisenmanagement bun-desweit Bekanntheit und geht 1965 wieder in den Bundes-tag. Nach dem Wahlsieg der SPD-FDP-Koalition unter Bun-deskanzler Willy Brandt wird er 1969 Verteidigungsminister und später Minister für Wirtschaft und Finanzen.

Bundeskanzler in schwierigen Zeiten1974 wird Helmut Schmidt zum Bundeskanzler gewählt. Er steht vor großen Herausforderungen im Kampf gegen die Wirtschaftskrise und gegen den linksextremen Terrorismus der RAF. Er bewährt sich jedoch als Krisenmanager und wird 1980 erneut zum Kanzler einer SPD-FDP-Regierung ge-wählt. Dieses Bündnis hält bis 1982, als CDU/CSU und FDP erfolgreich ein konstruktives Misstrauensvotum gegen ihn durchführen.

rium in Berlin. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wird die Gestapo auf frühere unbedachte Äußerungen Schmidts aufmerksam. Ein befreundeter General rettet ihn durch die Versetzung an die Front. Dort erreicht ihn die Nachricht, dass Moritz an einer Hirnhautentzündung gestorben ist.

Politisches Engagement in der SPDDas Kriegsende erlebt Helmut Schmidt in britischer Gefan-genschaft. Hier wird er zum überzeugten Sozialdemokraten, weil, so Schmidt, die Kameradschaft im Krieg der Solidarität im Frieden gleiche. Nach dem Krieg beginnt er ein Studium der Volkswirtschaftslehre und tritt 1946 der SPD bei. Von 1947 bis 1948 ist er Vorsitzender des Sozialistischen Deut-schen Studentenbundes (SDS). Inzwischen ist die Tochter Susanne zur Welt gekommen.

Hamburger Innensenator und Minister in Bonn1953 wird Helmut Schmidt das erste Mal in den Bundestag gewählt; 1957 erneut, dieses Mal mit einem Direktmandat. 1961 kehrt er nach Hamburg zurück und wird dort Innen-

Seit 1983 ist Helmut Schmidt Mitherausgeber der Wochen-zeitung Die Zeit. 1999 hat er sich weitgehend ins Privatle-ben zurückgezogen und lebt heute mit seiner Frau Loki in Hamburg.

Helmut Schmidt (SPD) war von 1974 bis 1982 Bundes-kanzler.

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16. Mai 1974: Helmut Schmidt wird im Bundestag als Bundeskanzler vereidigt.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

Sicherheit und Freiheit stehen in einem Spannungsverhält-nis zueinander. Ein zu hohes Maß an Sicherheit beeinträch-tigt die Freiheit des Einzelnen wie umgekehrt eine gren-zenlose Freiheit einen rechtsfreien Raum entstehen ließe. Ohne Regeln und Gesetze entstünde ein »Kriegszustand aller gegen alle«. Einerseits muss die Demokratie die Grund- und

D 7 Wie viel Staatsgewalt verträgt die wehrhafte Demokratie?

Menschenrechte sichern. Andererseits gibt es Situationen, wo sie diese Grundrechte einschränken muss, wenn Sicher-heit und öffentliche Ordnung gefährdet sind. Es gilt also immer aufs Neue, das Spannungsverhältnis zwischen Si-cherheit und Freiheit richtig auszuloten und entsprechend politisch zu handeln.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 7

◗ Bearbeitet in Gruppen jeweils eines der vier Beispiele. Bevor Ihr beginnt, stimmt kurz geheim ab und haltet das Ergebnis fest, ohne es vorerst zu bewerten. Beantwortet nun die Frage, welche Grundrechte einander gegenüberstehen.◗ Recherchiert nun, wie die Rechtslage oder der aktuelle Stand der Diskussion ist. Sammelt Pro- und Contra-Argu-mente, wie mit dem Problem umgegangen werden könnte.◗ Wägt die Argumente ab und stimmt nochmals geheim ab. Hat sich das Ergebnis verändert? Welche Argumente waren die wichtigsten?

◗ Präsentiert Euer Beispiel nun in der Klasse. Stellt dabei Eure Ergebnisse und Begründungen vor. Ihr könnt danach auch in der Klasse zu Eurem Fall abstimmen lassen.◗ Überlegt weitere Beispiele, in denen sich Freiheit und Sicherheit in der Demokratie in einem Dilemma befi nden.◗ Gestaltet zwei Plakate. Eines, auf dem Ihr Eure Vorstellun-gen von Freiheit und eines, auf dem Ihr Eure Vorstellungen von Sicherheit darstellt. Hängt die Plakate im Klassenzim-mer auf und diskutiert Eure Argumente.

Sogenannte »Hassprediger« fundamental-islamistischer religiöser Gemeinschaften sollen aus Deutschland aus-gewiesen werden, auch wenn ihnen in ihrem Heimatland die Folter oder gar die Todesstrafe droht.

In Deiner Stadt will eine rechtsextreme Partei eine Demonstration veranstalten. Sie beruft sich auf das Grundrecht der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Engagierte Bürger verlangen ein Verbot der Demonstration.

Bei Verdacht auf terroristische Umtriebe soll es den Ermittlungsbehörden erlaubt sein, schnell und unbüro kratisch Abhörmaßnahmen ergreifen zu können, z. B. das Abhören von Telefongesprächen oder von Gesprächen in Wohnun-gen.

Zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und zur besseren Aufklärung von Straftaten sollen zentrale öffentliche Plätze in Innenstadtbereichen, z. B. Bahnhöfe, mit Videokameras ausgestattet und überwacht werden.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 8 Wie sozial soll die deutsche Demokratie sein?

Deutschland ist »ein demokratischer und sozialer Rechts-staat.« So steht es im Grundgesetz in Artikel 20, 1 (Sozial-staatsklausel). Die sozialen Rechte des Einzelnen werden damit besonders betont. Sie können allerdings in einem Spannungsverhältnis zu anderen Grundrechten stehen. An-

dererseits regt die aktuelle Problematik der Finanzierbarkeit des Sozialstaates die Diskussion neu an, wie unser Sozial-staat gestaltet sein soll. Welche grundsätzliche soziale Versorgung soll der Staat garantieren? Zwei Jugendliche diskutieren:

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 8

◗ Bildet Gruppen und schreibt in eigenen Worten auf, welche Argumente Kathrin und Oliver verwenden, um ihre Auffassung zu begründen. Wie steht Ihr zu den Argumenten?

Begründet Eure Meinung und tragt sie in der Klasse vor.◗ Analysiert die Grafi k in D 8 und erklärt mit eigenen Worten den Begriff des »sozialen Rechtsstaates«.

Kathrins Meinung

Das höchste politische Ziel einer demokratischen Gesell-schaft muss sein, möglichst viel Gleichheit zu erreichen. Gleichheit bedeutet für mich soviel wie Gerechtigkeit.

Olivers Meinung

Es ist ungerecht, dass ein Arbeitsloser zum Spargelstechen gezwungen wird. Und dass er, wenn er das nicht tun will, Probleme mit dem Arbeitslosengeld bekommt.

In einer demokratischen Gesellschaft darf es keine Kluft zwischen Arm und Reich geben. Der Staat muss durch Umver-teilung dafür sorgen, dass es allen Bürgerinnen und Bürgern gleich gut geht, damit sozialer Frieden herrscht.

Das höchste politische Ziel muss sein, dass sich der Einzelne in Freiheit selbst entfalten kann und dass er oder sie dadurch ein möglichst hohes Maß an Glücklichsein erreicht.

Ungerecht ist, dass einer Arbeitslosengeld bezieht und sich zu fein ist für die Arbeit auf dem Feld. Wer ist denn der Staat,der das bezahlt? Das sind doch wir alle!

Warum sollte jemand Unternehmer werden, Arbeitsplätze schaffen und das Risiko auf sich nehmen, alles zu verlieren, wenn er am Ende nicht mehr verdienen kann als jemand, der dieses Risiko nicht auf sich nimmt?

Die Bundesrepublik Deutschland, ein sozialer Rechtsstaat.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 9 Als Deutschland noch geteilt war: Wie sozial war die sozialistische DDR?

Eine Studentin aus Freiburg berichtet über die Erfahrungen ihrer Eltern in der ehemaligen DDR:

Ich wurde 1985 in der DDR geboren. An die Wende, wie man das Ende der DDR 1989 auch nennt, kann ich mich nicht erinnern, aber ich habe mit meinen Eltern oft darüber ge-sprochen. Sie erinnern sich an das Leben in der DDR als eine Zeit, in der es viel weniger Freiheiten und Möglichkeiten gab. Dies war ihnen oft gar nicht wirklich bewusst, da sie ja nichts anderes kannten. Die Welt war für sie viel kleiner, aber auch überschaubarer, so dass sie sich gut zurechtfanden und sich rasch Freiräume schufen. Sie erlebten die Einschränkun-gen teilweise gar als Erleichterung, da man sich um weniger kümmern musste, weniger Verantwortung trug und weil man dem Staat bei allem die Schuld geben konnte.

Zum Zeitpunkt meiner Geburt waren meine Eltern gerade 23 Jahre alt. Mein Vater studierte und arbeitete dann bei einem Verlag, während meine Mutter bei einer Bank angestellt war. Wir wohnten zunächst in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Ost-Berlin, doch bald nach meiner Geburt konnten wir in ein Hochhaus ziehen, wo wir dann Zentralheizung und warmes Wasser hatten. Wir hatten schon früh einen »Trabi«, was nicht selbstverständlich war. Es gab in der DDR keine Kredite von der Bank, so dass man bei solchen Anschaffungen auf die Hilfe der Familie angewiesen war. Es gab wenig Luxus in der DDR, doch da fast alle wenig hatten, gab es auch wenig Neid. Zukunftsangst kannten meine Eltern nicht, sodass sie stets all ihr Geld ausgaben und keine Altersvorsorge trafen. Warum sollte man auch Angst vor der Zukunft haben, wenn der Staat den Arbeitsplatz garantiert?

Einfach verreisen, wohin man wollte, durfte man in der DDR nicht. Meine Eltern erzählen noch heute lachend, wie sie von Abenteuern in fernen Ländern träumten, während sie die Ferien in Russland verbrachten. Die wenigen Glücklichen, die ins westliche Ausland verreisen durften, mussten nächtelang von ihren Erlebnissen in dieser anderen Welt erzählen. Be-sucher aus dem Westen waren Stars; die Geschenke, die sie mitbrachten, waren einmalig. Die einzige Möglichkeit, um die DDR dauerhaft zu verlassen, war ein bewilligter Ausrei-seantrag, bei dem man seinen Besitz zurücklassen musste und keine Möglichkeit hatte, wieder zurückzukehren. Auch die besten Freunde meiner Eltern stellten einen solchen Aus-reiseantrag, um in den Westen überzusiedeln. Nach über zwei Jahren, in denen sie sich mit der Bürokratie herum-

geschlagen hatten, wurde der Antrag endlich genehmigt. Obwohl dies ein Erfolg war, war es auch ein trauriger Anlass, da man nicht wusste, ob und wann man sich wiedersieht.

Immer mehr Freunde meiner Eltern verließen die DDR. Es hieß: »Der Letzte macht das Licht aus.« Doch dann kam 1989 die Wende. Meine Mutter besuchte gerade eine Tante im Westen, während mein Vater und ich als Pfand in der DDR bleiben mussten, wie es damals üblich war, damit sie auch wieder zurückkommt. Meine Mutter erinnert sich, dass ihr die Menschen hier so modern vorkamen, während sie sich eindeutig als Ostlerin erkennbar glaubte. Angespannt verfolgte sie die Berichterstattung über die DDR und wäre am liebsten sofort zurückgefahren, als sich die Ereignisse dort überschlugen. Am 4. November gab mein Vater mich in die Obhut meiner Großmutter, um mit hunderttausenden anderer Menschen auf den Straßen Berlins für mehr Rechte zu demonstrieren. Alle waren aufgeregt und hatten Angst, da niemand wusste, wie die Staatsführung der DDR reagieren würde. Doch es waren so viele Menschen unterwegs, dass die Demonstranten auch ein ungewohntes Gefühl von Macht verspürten, das ihnen Mut machte. Dann kam die Nachricht, dass die Grenzen offen sind, und am nächsten Tag war alles anders. Wir gingen im Westteil Berlins spazieren und hatten das Gefühl, dass alle Menschen in Berlin an diesem Tag unter-wegs waren: Es war wie ein riesiges Fest. Jeden Tag folgten neue Überraschungen. In den Läden gab es plötzlich eine so große Auswahl, dass wir gar nicht wussten, was wir kau-fen sollten, und alles war so bunt verpackt, dass wir darüber lachten. Endlich konnten wir verreisen, wohin wir wollten.

Wir erlebten, wie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine neue Gesellschaft entstand. Damit gingen jedoch auch Prob-leme einher, da die nun geforderte Eigenverantwortung zu-nächst ungewohnt war. Doch die Möglichkeit der Selbstver-wirklichung wog dies wieder auf. Heute sagen meine Eltern, dass sie froh waren, als sie in der DDR gelebt haben, aber sie erleben ihre heutige Freiheit als so wertvoll, dass sie diese um keinen Preis wieder aufgeben würden. Das Recht zu wählen und die Meinungsfreiheit sind ihnen besonders wichtig. Dennoch sagen sie, dass sie mich und andere junge Leute nicht beneiden, da wir heute eine viel größere Ver-antwortung tragen, als es bei ihnen damals der Fall war. Wir haben viel mehr Möglichkeiten, aber für unsere Zukunft sind wir selbst verantwortlich. Wir können nicht einfach dem Staat für alles die Schuld geben.

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 9

◗ Vieles von dem, was in der Bundesrepublik Deutschland schon lange selbstverständlich ist, gab es bis 1989/90 in der DDR nicht. Was zum Beispiel? Sammelt Beispiele aus dem Text. Wie demokratisch und wie sozial war die Deutsche Demokratische Republik (DDR)?

◗ Habt Ihr vielleicht Mitschüler, deren Eltern in der DDR aufgewachsen sind? Was können diese Mitschüler von ihren Eltern über die ehemalige DDR berichten? Vielleicht können ja die Eltern selber im Unterricht berichten und Eure Fragen beantworten.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

Immer wieder wird von den Medien als »vierter Gewalt« im Staat gesprochen. Gemeint ist, dass die Medien Einfl uss auf den politischen Prozess ausüben. Anders als die staatliche Gewalt ist dieser Einfl uss im Grundgesetz nicht geregelt. Eine staatliche Kontrolle widerspräche auch den demokrati-schen Grundsätzen der Meinungs- und Informationsfreiheit. Es liegt deshalb am einzelnen Bürger, die Medien kritisch zu nutzen und sich selbst umfassend zu informieren. Gerade die Massenmedien bergen hier aber Gefahren.

Politiker wenden sich an die Medien, um ihre Standpunkte in der Öffentlichkeit zu vertreten. Oft geschieht dies, noch

D 10 Medien: die »vierte Gewalt« im Staat?

Gerhard Schröder ... hat es erst so richtig deutlich gemacht. Der Ausspruch des Ex-Kanzlers, er brauche zum Regieren Bild, BamS und die Glotze, hat es wohl dann völlig auf die Spitze getrieben: Die Frage nach der Macht der Medien. Allem voran jedoch, inwieweit die Politik im 21. Jahrhundert von Medien bestimmt wird bzw. wie stark sich Fernsehen, Radio und Zeitung vor den Karren spannen lassen. Bei allem beklagen sich die Amtsträger noch, sie seien Opfer der Bran-che. Dabei muss auch die Frage zugelassen sein, wie stark sie selbst ins Rampenlicht drängen.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm ... sieht das Ganze ziemlich nüchtern. Er geht sogar so weit, dass die Politik spezielles Personal aussuche. Schließlich müssten Themen gut rübergebracht ... werden. Und dabei

ziehen beide ihre Vorteile daraus. Die Medien messen im besten Fall ihren Erfolg durch hohe Einschaltquoten. Die Partei sieht spätestens bei der Wahl, wie erfolgreich oder miserabel sie war. Denn was sie nicht gut verkauft, eventuell weil es schlecht bebilderbar ist, fi ndet einfach nicht oder nur sehr kurz in den Medien, hauptsächlich im Fernsehen, statt. Dieses Phänomen »lässt die Wichtigkeit der PR-Abteilungen stark anwachsen«. ... »Medien können politische Karrieren befl ügeln oder zerstören, das Vertrauen in politische Orga-nisationen bestärken oder erschüttern«, sagt Grimm. ... Er meint, dass Medienfreiheit nur praktiziert werden kann, wenn der Journalist Distanz zu anderen Systemen hält. Nur so könne er unabhängig betrachten und schreiben.

Heilbronner Stimme vom 5. April 2006 (Marcel Auermann).

bevor die in der Verfassung vorgesehenen Organe genutzt werden. Wird Politik also über die Medien gemacht? Sind Politik und Medien voneinander abhängig?

In der Demokratie haben die Medien eine wichtige Funktion. Sie informieren, kontrollieren und kritisieren. Sie wirken auch an der Meinungsbildung der Bevölkerung mit. Sie machen politische Prozesse und Entscheidungen verständlich. Vor allem durch ihre Kontroll- und Kritikfunktion ergänzen die Medien die staatliche Gewaltenteilung, denn ein kritischer Journalismus kann Missstände enthüllen.

D 11 Die Frage nach der Macht der Medien

◗ Versucht in eigenen Worten zu erklären, was die Bezeich-nung der Medien als »vierte Gewalt« im Staat meint. Welche Aufgaben und Ziele haben die Medien? Welche Gefahren bestehen im Zusammenhang mit der »Macht der Medien«? Was meint der Begriff der »Mediendemokratie«?◗ Welche Argumente werden in dem Zeitungsartikel in D 11

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 10–D 11

für oder gegen die »Macht der Medien« angeführt?◗ Diskutiert das Zitat: »Demokratie braucht gut informierte Bürgerinnen und Bürger.«◗ Interpretiert die Karikatur in D 11 und diskutiert das Zitat der beiden Politiker Schmidt und Barzel.

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»Wir Bürger haben die Politiker in den Bundestag gewählt, nicht aber in die Talkshows. Ihre Aufgabenliegen im Parlament, diese heißen Gesetzgebung und Kontrolle der Bundesregierung. ... Unser Staat ist als parlamentarische Demokratie verfasst. Es sind vor allen anderen leider die Politiker selbst, die entgegen dem Geist des Grundgesetzes unseren Staat zu einer Fernseh-Demokratie umfunktionieren.«

Helmut Schmidt und Rainer Barzel (Politiker), 11. Mai 2005 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 12

◗ Wo liegt Weißrussland geografi sch? Sucht den Staat auf einer Landkarte.◗ Was erfahrt Ihr aus dem Zeitungsartikel über die Präsi-dentenwahl in Weißrussland im März 2006? Wie behandelt Lukaschenko politische Gegner?◗ Können Zeitungen in Weißrussland – wie in Deutschland – frei entscheiden, worüber sie berichten wollen? Können die Medien Kritik an Präsident Lukaschenko und an seiner Amtsführung üben?◗ Was sind die im Text genannten »Vertrauenshotlines«? Wie sind sie zu beurteilen?

◗ Wenn Menschen ihr Land verlassen und auswandern, so nennt man das Emigration. Wie viele Jugendliche in Weiß-russland wären grundsätzlich bereit, ihr Land zu verlassen? Welche Gründe könnten sie haben?◗ Warum ist eine freie Wahl ohne Zwang und Einschränkun-gen für eine Demokratie so wichtig?◗ Sucht nach Informationen, wie die Wahl in Weißrussland ausgegangen ist. Wie hat die internationale Staatengemein-schaft auf die Vorgänge in Weißrussland reagiert? Welche Maßnahmen hat zum Beispiel die Europäische Union vor und nach der Wahl ergriffen?

D 12 Weißrussland: Lukaschenko greift nach dritter Amtszeit

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko setzt alles daran, sich die Macht im Land für weitere fünf Jahre zu sichern. Die Präsidentenwahl wurde auf den 19. März vorgezogen und fi ndet nun eine Woche vor der Parlaments-wahl in der Ukraine statt. Damit will Lukaschenko, der zum dritten Mal kandidiert, die Aufmerksamkeit der Staaten-gemeinschaft von undemokratischen Vorgängen in seinem Land ablenken. Denn dass er die Wahl fälschen und sich zum haushohen Sieger ausrufen wird, gilt unter Beobachtern als sicher. Zugleich soll ein Maulkorb-Gesetz die Weißrussen davon abhalten, ausländischen Pressevertretern Interviews zu geben.

Zum ersten Mal stellen die sonst zerstrittenen weißrus-sischen Oppositionsparteien einen gemeinsamen Kandida-ten. Der 58-jährige Alexander Milinkiewitsch … will der Propaganda in den staatlich gelenkten Medien durch eine »Von-Tür-zu-Tür-Kampagne« begegnen: »Wir müssen den kritischen Bürgern klarmachen, dass sie nicht allein sind und die Opposition eine echte Alternative darstellt«, sagte

Milinkiewitsch. Nur mit diesem Bewusstsein würden die Menschen gegen ein gefälschtes Ergebnis auf die Straße gehen. …

Nach seinem Amtsantritt 1994 hat Lukaschenko die junge Demokratie in der ehemaligen Sowjetrepublik zielstrebig demontiert. Dutzende Zeitungen wurden in den letzten Jah-ren verboten, politische Gegner verschwanden spurlos. Bei der Wahl 2001 gelang es dem Präsidenten, durch Manipu-lation die Opposition ganz aus dem Parlament zu drängen. Nach dem nun beschlossenen Maulkorb-Gesetz wird mit Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren bestraft, wer »den weiß-russischen Staat und seinen Präsidenten diffamiert«. Schon die leiseste Kritik könnten Gerichte als Diffamierung werten, sagte der frühere Vorsitzende des weißrussischen Parlaments Stanislaw Schuschkiewitsch. »Das bedeutet die vollständige Abschaffung der Redefreiheit in unserem Land.« Kürzlich hat der weißrussische Staat auch die aus Stalinzeiten bekannten »Vertrauenshotlines« eingeführt. Darüber kann jeder anonym seine Nachbarn, Kollegen und Bekannten anschwärzen.

Für die Weißrussen wird es immer schwerer, an kritische Nachrichten zu kommen. Vor wenigen Tagen kündigte die unabhängige Zeitung »Salidarnasc« an, ihr Erscheinen ein-zustellen. Sie wird den Abonnenten nicht mehr über den staatlichen Vertrieb zugestellt und kann sich daher nicht mehr fi nanzieren. Die zwei verbliebenen kritischen Blätter bauen nun ein eigenes Vertriebssystem auf. …

Die Unzufriedenheit und Ungewissheit erzeugt bei vielen Weißrussen Orientierungslosigkeit. … Nach der letzten un-abhängigen Untersuchung vom September 2005 wären 40 Prozent der Weißrussen zur Emigration bereit. Unter Jugend-lichen beträgt diese Zahl über 65 Prozent. … Ein Regime-wechsel in Weißrussland kann ohne Druck von außen nicht gelingen, darin sind sich Beobachter einig. …

Financial Times Deutschland vom 9. Januar 2006 (Tatjana Montik/Florian Kellermann)

Am 8. April 2006 legt der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko seinen Amtseid ab. Europa, die USA und die weißrussische Opposition beziehen Stellung gegen das Lukaschenko-Regime.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 13 Wenn Kindersoldaten sterben, sind sie schnell ersetzt

Die Visitenkarte von China Keitetsi sticht sofort ins Auge: In Cartoonform ist darauf ein kleines Mädchen zu sehen, das von bunten Bleistiften träumt, die sie vielleicht in der Schule benützen könnte – stattdessen aber in Uniform und mit einem Gewehr auf der Schulter in den Krieg geschickt wird. Es ist eine ungewöhnliche Art, sich vorzustellen. Die 1976 in einem kleinen Dorf in Uganda geborene Keitetsi hat aber auch eine mehr als ungewöhnliche Lebensgeschichte hinter sich, die für schätzungsweise 300.000 Kinder welt-weit dennoch eine traurige Realität ist: Ein Leben als Kin-dersoldatin.

Im Alter von acht Jahren wurde Keitetsi von der NRA (Na-tional Resistance Army) des Rebellenführers und heutigen Präsidenten Yowere Museveni zwangsrekrutiert, doch ihr Martyrium begann schon kurz nach ihrer Geburt: In ihrem Buch »Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr« schildert sie in qualvoller Ausführlichkeit, wie sie von ihrem Vater und der Stiefmutter fortlaufend körperlich misshandelt wurde. Eine Erfahrung, die erklärt, warum sie die Armee bei allem Schrecken zunächst als eine Art Ersatzfamilie emp-funden hat.

Dabei setzt sich der Missbrauch dort noch verstärkt fort: Mit 14 Jahren bringt Keitetsi ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt, der Vater ist ein hochrangiger Militär. Mit 15 Jahren kann sie schon nicht mehr zählen, »wie viele Commander meinen Körper benutzt haben«. Mit 18 Jahren macht sie sich, erneut schwanger, schließlich auf die Flucht, die sie durch Kenia, Tansania, Sambia und Simbabwe schließlich nach Südafrika führt.

Von dort wird Keitetsi schließlich nach vier Jahren auf der Straße und in einer Klinik vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen nach Dänemark gebracht, wo ihr zweites Leben beginnt. Die junge Frau erhält psychologische Betreuung, arbeitet als Kindergärtnerin, schreibt ihr Buch und macht es sich zur Lebensaufgabe, die Welt auf das Schicksal der Kin-dersoldaten aufmerksam zu machen. Mit großer Resonanz: Keitetsi hat bereits eine Rede vor den Vereinten Nationen gehalten und Bill Clinton getroffen. … Neben der politi-schen Einfl ussnahme liegt der Afrikanerin der Kontakt mit Schulklassen besonders am Herzen. »Ich will den Schülern vermitteln, was für ein Geschenk es ist, zur Schule gehen zu dürfen.« ...

Keitetsis traurige Lebensgeschichte hat bei vielen Schulklas-sen bleibenden Eindruck hinterlassen, auch wenn sich der Blick auf den Schulalltag durch ihre Berichte nicht nach-haltig ändern mag. Das belegen die zahlreichen Einträge im Gästebuch auf ihrer Website www.xchild.uk. Dort bittet sie auch um Unterstützung für ihren Verein »Hilfe für ehemalige Kindersoldaten und afrikanische Kriegsopfer«, der diesen eine Schul- und Berufsausbildung ermöglichen soll. Denn dass deren Zahl in absehbarer Zeit abnehmen könnte, darüber macht sich Keitetsi keine Illusionen: »Als Museveni Kinder rekrutierte, wurde das als modern angesehen, weil sie viele Vorteile haben: Sie sind leicht manipulierbar, können viele Aufgaben übernehmen und wenn sie sterben, kann man sie schnell ersetzen.« … Und ihren Kampfnamen »China«, den sie aufgrund ihrer asiatischen Augenform erhielt, beschloss sie zu behalten: »Sonst wird mich eines Tages jemand er-kennen, unerwartet ›China‹ nennen, und dann kommen alle grausamen Erinnerungen auf einmal zurück.«

Badische Zeitung vom 1. Oktober 2005 (Stefan Rother).

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 13

◗ Informiert Euch genauer über die Situation von Kinder-soldaten in Uganda und über das Leben von China Keitetsi. Entwerft dann eine Präsentation zu ihrem Leben und zu ihrem heutigen Engagement.◗ Vergleicht die Situation der Kindersoldaten mit den Grund-rechten im deutschen Grundgesetz: Art. 1, Abs. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpfl ichtung aller staatlichen Gewalt.

Art. 2, Abs. 1: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Art. 2, Abs. 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körper-liche Unversehrtheit. ◗ Vergleicht die frühere Situation von China Keitetsi mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Welche Menschenrechte wurden verletzt? Eine Version der Menschen-rechtserklärung für Jugendliche fi ndet Ihr z. B. unter www.lpb.bwue.de/aktuell/puu/2_05/baustein_a.pdf.

Im Februar 2006 empfängt Bundespräsident Horst Köhler die ehemalige Kindersoldatin China Keitetsi. Sie über-reicht ihm ein Kreuz, das aus dem Metall von Waffen gefertigt wurde.

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

ARBEITSAUFTRÄGE ZU D 14

◗ Wählt aus den Aussagen der berühmten Persönlichkeiten zwei Zitate aus, die für Euch die Demokratie am besten beschreiben. Begründet Eure Auffassung.

◗ Präsentiert Eure Ergebnisse in der Klasse und vergleicht diese mit den Ergebnissen der anderen Mitschülerinnen und Mitschüler.

D 14 Was ist Demokratie?

meine Notizen zugeordnete Begriffe

»Diktaturen sind Einbahnstraßen. In Demokratien herrscht Gegenverkehr.«Alberto Moravia, Schriftsteller (1907–1990)

»Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.«Voltaire, Schriftsteller und Philosoph (1694–1778)

»Wenn einer steuert, und ein anderer bremst, und trotzdem kein Unfall passiert.«Wolfram Weidner, Journalist (geb. 1925)

»Unter Demokratie verstehe ich, dass sie dem Schwächsten die gleichen Chancen einräumt wie dem Starken.«Mahatma Gandhi, Politiker und Philosoph (1869–1948)

»Democracy is the government of the people, by the people, for the people.«Abraham Lincoln, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (1809–1865)

»Es ist eine ewige Erfahrung, dass jeder Mensch, der Macht in Händen hat, geneigt ist, sie zu missbrauchen. Er geht so weit, bis er Schranken fi ndet.«Montesquieu, Staatsphilosoph (1689–1755)

»Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.«Rosa Luxemburg, Politikern (1871–1919)

»Mir ist die gefährliche Freiheit lieber als eine ruhige Knechtschaft.«Jean-Jacques Rousseau, Staatsphilosoph (1712–1778)

Ihr fi ndet hier Zitate von berühmten Persönlichkeiten rund um das Thema Demokratie. Bildet Vierergruppen in der Klasse und diskutiert die Zitate. Notiert kurz Eure wich-tigsten Meinungen zu jedem Zitat. Ordnet dann jedem Zitat einen oder mehrere der folgenden Begriffe zu. Begründet eure Zuordnung.

Gewaltenteilung – Meinungsfreiheit – Widerstandsrecht – Volkssouveränität – Kompromiss – Toleranz – Menschen-rechte – freie Wahl – Sozialstaat – Minderheitenschutz – Bürgerbeteiligung – Verfassung – Gesetzmäßigkeit der Regierung – Unabhängigkeit der Gerichte – geregelter Konfl iktaustrag – Interessenausgleich – Pluralismus

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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D • Demokratie als Staats- und Herrschaftsform erleben

D 15 Demokratie und Diktatur – ein Quiz

Kreuzt bei den folgenden Aussagen die richtigen Antwortmöglichkeiten an.

In Diktaturen gibt es …

Diktaturen benötigen …

Diktaturen achten …

Demokratie bedeutet …

In der Demokratie gibt es …

Demokratien benötigen …

Demokratien achten

a) freie und geheime Wahlenb) zahlreiche Verletzungen der Menschenrechtec) Meinungs- und Pressefreiheit d) eine Vielzahl von staatlich nicht kontrollierten Interessengruppen

a) Spitzel und Denunziantenb) einen Personenkult um den Herrscherc) Feindbilder (der »böse Andere«)d) Gewaltenteilung

a) die Würde jedes einzelnen Menschenb) die Freiheit der Bürgerinnen und Bürgerc) politische Gegnerd) alles, was der Diktator sagt, befi ehlt und tut

a) viele unterschiedliche Meinungen und Lebensweisenb) keine Verfassungc) die Gleichberechtigung von Männern und Frauend) freie und geheime Wahlen

a) aktive, engagierte und informierte Staatsbürgerb) durch die Verfassung garantierte Rechtec) unabhängige Gerichtec) Mehrheitsentscheide

a) die Herrschaft einer Eliteb) die Herrschaft eines Einzelnenc) die Herrschaft des Volkesd) die Dauerherrschaft einer Gruppe

a) die freie Presse und kritische Medienb) Unterdrücker und Gewalttäterc) alle Religionen und Glaubensauffassungend) die Rechte und Meinungen von Minderheiten

Politik & Unterricht • 2/3-2006

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Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung

Politik & UnterrichtHeft 2/3-20062./3. Quartal32. Jahrgang

Fachliteratur

Abromeit, Heidrun: Wozu braucht man Demokratie? Die post-nationale Herausforderung der Demokratietheorie, Opla-den 2002.

Arendt, Hannah: Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk, 3. Aufl . München 1998.

Beyme, Klaus von: Die Parlamentarische Demokratie, Wies-baden 1999.

Dahl, Robert A.: Polyarchy. Participation and Opposition, New Haven 1971.

Dahl, Robert A.: On Democracy, New Haven 1998.Grugel, Jean: Democratization. A Critical Introduction,

London 2002.Huntington, Samuel: Der Kampf der Kulturen, München

1996.Kaldor, Mary: Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im

Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt/M. 2000.Maier, Hans/Denzer, Horst (Hrsg.): Klassiker des politischen

Denkens, 2 Bde., 5. Aufl . München 2001.Massing, Peter/Breit, Gotthard (Hrsg.): Demokratie-Theo-

rien. Von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Aufl . Schwal-bach/Ts. 2003.

Merkel, Wolfgang/Puhle, Hans-Joachim: Defekte Demokra-tie, 2 Bde., Opladen 2003.

Müller, Harald: Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegen-entwurf zu Huntington, Frankfurt/M., 4. Aufl . 2001.

Oberndörfer, Dieter/Rosenzweig, Beate (Hrsg.): Klassische Staatsphilosophie. Texte und Einführungen von Platon bis Rousseau, München 2000.

Offe, Claus (Hrsg.): Demokratisierung der Demokratie. Diag-nosen und Reformvorschläge, Frankfurt/M. 2003.

Platon: Der Staat, 2. Aufl . München 1998. Popper, Karl R.: Auf der Suche nach einer besseren Welt.

Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, 11. Aufl . Mün-chen 2002.

Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien, 3. Aufl . Opladen 2000.

Strange, Susan: States and Markets. An Introduction to International Economy, London 1989.

Vorländer, Hans: Demokratie, München 2003.

Fachdidaktikische Literatur

Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried: Demokratie braucht poli-tische Bildung, Schwalbach/Ts. 2004.

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Was heißt hier Demokratie? Thema im Unterricht, 2004.

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Politische Streitkultur. Themenblätter im Unterricht Nr. 48, 2005.

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Entscheiden in der Demokratie. Themenblätter im Unterricht Nr. 54, 2006.

DeBono, Edward: Teach Your Child How to Think, New York 1992.

DeBono, Edward: Six Thinking Hats, New York 2000.Csikszentmihalyi, Mihalyi: Flow. The Psychologie of Optimal

Experience, New York 1990.Csikszentmihalyi, Mihalyi: Kreativität. Wie Sie das Unmög-

liche schaffen und Ihre Grenzen überwinden, 5. Aufl . Stuttgart 2001.

Frey, Karl: Die Projektmethode, Weinheim 1993.Giesecke, Hermann: Politische Bildung, 2. Aufl . Weinheim

2000.Himmelmann, Gerhard: Demokratie Lernen als Lebens-, Ge-

sellschafts- und Herrschaftsform, Schwalbach/Ts. 2001.Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württem-

berg (Hrsg.): Demokratie lernen und leben. Magazin Schule, Heft 16, 2005.

Lehren und Lernen. Zeitschrift für Schule und Innovation in Baden-Württemberg: Demokratie lernen, Heft 1/2006.

Massing, Peter/Roy, Klaus-Bernhard (Hrsg.): Politik – Politi-sche Bildung – Demokratie, Schwalbach/Ts. 2005.

Metzler, Gabriele: Kreativer Politikunterricht, in: Sozial-wissenschaftliche Informationen Jg. 27, Heft 1, 1998, S. 18–30.

Metzler, Gabriele/Metzger, Daniel/Kneile-Klenk, Karin: Pro-jektseminar »Globaler Krieg nach dem Kalten Krieg: (west-liche) Demokratie contra Fundamentalismus?« in: Volker Reinhardt (Hrsg.): Projekte machen Schule. Projektunter-richt in der politischen Bildung, Schwalbach/Ts. 2005.

Schiele, Siegfried (Hrsg.): Politische Mündigkeit. Zehn Ge-spräche zur Didaktik politischer Bildung, Schwalbach/Ts. 2004.

LITERATURHINWEISE

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Politik & UnterrichtZeitschrift für die Praxis der politischen Bildung

POLITIK & UNTERRICHT IM INTERNETAktuelle, ältere und vergriffene Hefte zum Downloaden:www.politikundunterricht.de

EINZELHEFTE UND ABONNEMENTS FÜR INTERESSENTEN AUSSERHALB BADEN-WÜRTTEMBERGSNeckar-Verlag GmbH, Klosterring 1, 78050 Villingen-Schwenningenwww.neckar-verlag.de

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Internationale BeziehungenUSA – UNO – EU – China

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DIE ZEITSCHRIFTEN AUF CD-ROMDie Texte vergriffener Hefte auf den Jahrgangs-CD-ROMs »Zeit-schriften und Dokumentationen«, Ausgabe 1999/2000 und Ausga-be 2002, zu je 2,50 EUR zzgl. Versandkosten.

FORDERN SIE UNSERE VERZEICHNISSE AN oder orientieren Sie sich im Internet.Wenn Sie nur kostenlose Titel mit einem Gewicht unter 1 kg be-stellen, fallen für Sie keine Versandkosten an. Für Sendungen über 1 kg sowie grundsätzlich bei Lieferung kosten pfl ichtiger Produkte werden Versandkosten be rechnet.

1 ZENTRALER SERVICE – QUERSCHNITTSABTEILUNG

11 Grundsatzfragen: Günter Georgi (Abteilungsleiter) -10 12 Haushalt und Organisation: Gudrun Gebauer -12 13 Personal: Ulrike Hess -13 14 Information und Kommunikation: Wolfgang Herterich -14

2 MARKETING – QUERSCHNITTSABTEILUNG

21 Marketing: Werner Fichter (Abteilungsleiter) -63 22 Öffentlichkeitsarbeit: Joachim Lauk -64

3 DEMOKRATISCHES ENGAGEMENT – ABTEILUNG

31* Geschichte und Verantwortung: Konrad Pfl ug (Abteilungsleiter) -31 32 Frauen und Politik: Beate Dörr -75 33* Freiwilliges Ökologisches Jahr: Steffen Vogel -35 34 Jugend und Politik: Wolfgang Berger -22 35* Schülerwettbewerb des Landtags: Monika Greiner -26

4 MEDIEN – ABTEILUNG

41 Neue Medien: Karl-Ulrich Templ (stellvertretender Direktor, Abteilungsleiter) -20 42 Redaktionen Der Bürger im Staat / Didaktische Reihe: Siegfried Frech -44 43 Redaktion Deutschland und Europa: Jürgen Kalb -43 44 Redaktionen Politik & Unterricht / Landes- kundliche Schriftenreihe: Dr. Reinhold Weber -42

Staffl enbergstraße 38, 70184 StuttgartTelefon: 0711/164099-0 – Fax: [email protected] – www.lpb-bw.de

Direktor: Lothar Frick -60Referat des Direktors: Dr. Jeannette Behringer -62Controlling: Christiane Windeck -11

* Bürositz in 70178 Stuttgart, Paulinenstraße 44–46Fax: 0711/164099-55

5 REGIONALE ARBEIT – ABTEILUNG

51 Außenstelle Freiburg: Dr. Michael Wehner 0761/20773-77 Bertoldstraße 55, 79098 Freiburg, Fax: -99 52 Außenstelle Heidelberg: Dr. Ernst Lüdemann (Abteilungsleiter) 06221/6078-14 Plöck 22, 69117 Heidelberg, Fax: -22 53* Außenstelle Stuttgart: Dr. Iris Häuser 0711/164099-52 Peter I. Trummer -50 54 Außenstelle Tübingen: Rolf Müller 07125/152-135

Haus auf der Alb, Hanner Steige 1, 72574 Bad Urach, Fax: -145

6 HAUS AUF DER ALB – ABTEILUNG

Tagungsstätte Haus auf der Alb Hanner Steige 1, 72574 Bad Urach Telefon: 07125/152-0 – Fax: -100 61 Natur und Kultur: Dr. Markus Hug (Abteilungsleiter) -146 62 Zukunft und Bildung: Robert Feil -139 63 Europa – Einheit und Vielfalt: Dr. Karlheinz Dürr -147 64 Frieden und Entwicklung: Wolfgang Hesse -140 66 Modernisierung in Staat und Wirtschaft: Eugen Baacke -136 67 Bibliothek/Mediothek: Gordana Schumann -121 68 Hausmanagement: Erika Höhne -109

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Bad Urach Hanner Steige 1, Telefon: 07125/152-0 Montag bis Freitag, 8.00–16.30 Uhr

Freiburg Bertoldstraße 55, Telefon: 0761/20773-10 Dienstag und Donnerstag, 9.00–17.00 Uhr

Heidelberg Plöck 22, Telefon: 06221/6078-11 Dienstag, 9.00–15.00 Uhr Montag und Donnerstag, 13.00–17.00 Uhr

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