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76 8/2015 com! professional D ie Zentralisierung wie die Dezentralisierung der IT-In- frastruktur und der dahinterstehenden Organisation ha- ben ihre Vor- und Nachteile. Vielfach liegen sie auf der Hand. Wo alles zentral gebündelt wird, lassen sich die Prozesse und Standards besser vereinheitlichen und zudem Skaleneffekte erzielen. Dezentrale IT-Umgebungen wiederum sind oft fle- xibler und agiler, erklärt Rainer Hoppe, geschäftsführender Gesellschafter des Logistikberatungsunternehmes A’Pari Consulting. Daran knüpfen sich Fragen, etwa die, welche Rolle der CIO im Unternehmen einnimmt – und ob er und die zentrale IT überhaupt noch gebraucht werden. Die Stellung der IT Zu zentralisieren oder zu dezentralisieren ist Peter Dümig zu- folge, Senior Server Product Manager bei Dell, auch „eine philosophische Frage, wie die Firmenleitung tickt und wie die Stellung der zentralen IT im Unternehmen ist“. Das Thema wird also oft zu einer Machtfrage und ist nicht selten von har- ten Kontroversen oder gar Grabenkämpfen zwischen der IT- Zentrale und den Fachabteilungen oder Nebenstellen beglei- tet. Dabei sind die Zeiten längst vorbei, in denen die IT-Leu- te ihren Platz bei den Servern im Untergeschoss hatten. In großen Unternehmen ist der Leiter der Abteilung, der CIO, vielfach im Vorstand zu finden. Oft sind es aber die Anforderungen der Abteilungen und die erforderlichen Anwendungen, die die Richtung vorge- ben. Und das kann zu Spannungen mit der zentralen IT und der vom CIO vorgegebenen Linie führen. Das Marktforschungsunternehmen Ovum findet die Dis- kussion Zentralisierung versus Dezentralisierung müßig und ist der Ansicht, dass in Organisationen ab einer gewissen Größe nur der Mittelweg zum Erfolg führt. Allerdings sei die- ser in der Regel „besonders steinig“. Zentral? Dezentral? Oft ist eine Mischform die beste Lösung für die IT-Organisation. Zentrale versus dezentrale IT-Infrastruktur IT-Infrastuktur Quelle: Cisco Zentrale vs. dezentrale IT Infrastruktur

Zentrale versus dezentrale IT-Infrastruktur · ten Kontroversen oder gar Grabenkämpfen zwischen der IT-Zentrale und den Fachabteilungen oder Nebenstellen beglei-tet. Dabei sind die

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Page 1: Zentrale versus dezentrale IT-Infrastruktur · ten Kontroversen oder gar Grabenkämpfen zwischen der IT-Zentrale und den Fachabteilungen oder Nebenstellen beglei-tet. Dabei sind die

76 8/2015 com! professional

D ie Zentralisierung wie die Dezentralisierung der IT-In-

fra struktur und der dahinterstehenden Organisation ha-

ben ihre Vor- und Nachteile. Vielfach liegen sie auf der Hand.

Wo alles zentral gebündelt wird, lassen sich die Prozesse und

Standards besser vereinheitlichen und zudem Skaleneffekte

erzielen. Dezentrale IT-Umgebungen wiede rum sind oft fle-

xibler und agiler, erklärt Rainer Hoppe, geschäftsführender

Gesellschafter des Logistikberatungsunternehmes A’Pari

Consulting.

Daran knüpfen sich Fragen, etwa die, welche Rolle der CIO

im Unternehmen einnimmt – und ob er und die zentrale IT

überhaupt noch gebraucht werden.

Die Stellung der ITZu zentralisieren oder zu dezentralisieren ist Peter Dümig zu-

folge, Senior Server Product Manager bei Dell, auch „eine

philosophische Frage, wie die Firmenleitung tickt und wie die

Stellung der zentralen IT im Unternehmen ist“. Das Thema

wird also oft zu einer Machtfrage und ist nicht selten von har-

ten Kontroversen oder gar Grabenkämpfen zwischen der IT-

Zentrale und den Fachabteilungen oder Nebenstellen beglei-

tet. Dabei sind die Zeiten längst vorbei, in denen die IT-Leu-

te ihren Platz bei den Servern im Untergeschoss hatten. In

großen Unternehmen ist der Leiter der Abteilung, der CIO,

vielfach im Vorstand zu finden.

Oft sind es aber die Anforderungen der Abteilungen und

die erforderlichen Anwendungen, die die Richtung vorge-

ben. Und das kann zu Spannungen mit der zentralen IT und

der vom CIO vorgegebenen Linie führen.

Das Marktforschungsunternehmen Ovum findet die Dis-

kussion Zentralisierung versus Dezentralisierung müßig und

ist der Ansicht, dass in Organisationen ab einer gewissen

Größe nur der Mittelweg zum Erfolg führt. Allerdings sei die-

ser in der Regel „besonders steinig“.

Zentral? Dezentral? Oft ist eine Mischform die beste Lösung für die IT-Organisation.

Zentrale versus dezentrale IT-Infrastruktur

IT-Infrastuktur

Que

lle: C

isco

Zentrale vs. dezentrale ITInfrastruktur

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InfrastrukturZentrale vs. dezentrale IT

com! professional 8/2015

Problem: InsellösungenViele Unternehmen haben mit einem in Jah-

ren, wenn nicht Jahrzehnten zustande ge-

kommenen Wildwuchs an unterschiedlichen

Insel- und Speziallösungen zu kämpfen.

Dieser Wildwuchs ist „häufig nur ein Symp-

tom für fehlende gemeinsame Ziele“, sagt

A’Pari-Geschäftsführer Hoppe und nennt als

Beispiel einen Vertriebsleiter, der für sein

Team bei der zentralen IT vor Jahren schon

Tablets beantragt hatte, aber immer wieder vertröstet wurde.

Schließlich bezahlte er diese aus dem Abteilungsbudget und

beauftragte einen externen Dienstleister mit der Erstellung

einer Vertriebs-App, woraufhin die zentrale IT nachgab und

sich selbst um das Thema kümmerte – „natürlich mit deutlich

mehr Aufwand als bei einem ‚sauberen‘ Aufsetzen erforder-

lich gewesen wäre“, so Hoppe. „Nicht von ungefähr existie-

ren in vielen Unternehmen zahlreiche Insel- und Excel-Lö-

sungen, weil sich die Mitarbeiter sonst nicht zu helfen wis-

sen.“ Richtig wäre seiner Meinung nach, als IT Anforderun-

gen und Trends ernst zu nehmen und entsprechende Lösun-

gen aktiv anzubieten.

Pros und ContrasDer studentische wi² Blog – Wirtschaftsinformatik & Informa-

tionsmanagement der Technischen Universität Braunschweig

stellt in einer Erörterung zum Thema dezentrale versus zen-

trale IT-Strukturen fest: „Die Zentralität ermöglicht einen ho-

listischen Blick auf alle unternehmerischen Systeme und Pro-

zesse, sodass auch der Umgang mit Schnittstellenproblemen

erleichtert wird.“ Es könne gewährleistet werden, dass die

einzelnen Systeme miteinander kompatibel und vernetzbar

seien. Eine so gegebene einheitliche Datenhaltung gewinne

bei Trends zur Wissensorganisation und Big Data immer mehr

an Bedeutung, was für zentrale IT-Strukturen spreche.

Die wi²-Blog-Autoren weisen aber auch auf die Vorteile

hin, wenn die IT-Aufgaben in die jeweiligen Fachabteilungen

integriert sind. Der Abstimmungsbedarf mit der IT-Abteilung

entfalle. Betrieb und Lösungen würden dadurch flexibler. In-

formationsverlusten, beispielsweise bei der Auftragsvergabe

an einen Dienstleister, ließe sich leichter vorbeugen. Ferner

könne eine von der eigenen Ab-

teilung erarbeitete Lösung auch

motivationsfördernd sein und zu

größerer Akzeptanz durch die

Mitarbeiter beitragen. Die Be-

schaffung, Einrichtung und Un-

terstützung von zum Teil selbst

mitgebrachten Endgeräten, von

Cloud-Diensten und Apps erfolge

dezentral oft auch schneller und

direkter „auf dem kurzen Dienst-

weg“.

Die wachsende Vernetzung im

Zuge von Industrie 4.0 und Bring

Your Own Device (BYOD) wird

andererseits auch als Argument

für eine stärkere Zentralisierung

gesehen.

Dell-Manager Dümig sieht bei

der zentralen IT Vorteile in Bezug

auf Skaleneffekte, Standardisie-

rung, leichtere Beschaffung sowie

Wartung und Pflege der Systeme,

weist jedoch darauf hin, dass die

dezentrale Beschaffung mehr Fle-

xibilität und eine „gefühlte höhe-

re Zufriedenheit“ in den Fachab-

teilungen mit sich bringe.

A’Pari Consulting hat die Pros

und Contras beider Möglichkeiten

zusammengefasst (siehe Über- ▶

„Vorteile der zentralen IT sind ganz klar Skalen-effekte, die der dezentralen Beschaffung sind mehr Flexibilität und damit auch eine höhere

Zufriedenheit in den Fachabteilungen.“

Peter Dümig Senior Server Product Manager,

Dell Deutschlandwww.dell.de

Aus dieser Übersicht von A’Pari Consulting geht hervor, wo die Zentralisierung und wo die Dezentralisierung der IT-Organisation von Vorteil ist. Die meisten Punkte sprechen für zentrale Strukturen, Kundennähe und Agilität aber eher für die dezentrale IT.

Zentrale versus dezentrale IT-Organisation

Kriterium Zentral Dezentral

Betrieb und Sicherheit

Ausfallsicherheit + –

Sicherstellung 7x24 Stunden Service + –

Harmonisierte IT-Prozesse + –

Einheitlicher Sicherheitsstandard (Datensicherheit) + –

Einmalige und laufende Kosten

Aufwand für Betrieb und Sicherheit großer Firmennetzwerke - +

Geringere Beschaffungskosten durch Volumen + –

Lastabhängige Verteilung der Hardware-Kapazitäten + –

Vermeidung von Wildwuchs und Insellösungen / einheitlicher Standard

bei Hard- und Software

+ –

Einheitliche Datenverwaltung / Konsistenz der Stammdaten / Transparenz + –

Personalbedarf / Administrations-Know-how + –

Kundennähe

An lokale Bedürfnisse oder Kunden angepasste IT (Hardware/Software) – +

Koordinationsaufwand zwischen Zentrale und Niederlassungen bei neuen

Anforderungen

– +

Aufwand für Abgrenzung von Daten unterschiedlicher Kunden o o

Support der Nutzer vor Ort (1st-Level Support) – +

Anpassungsgeschwindigkeit und Agilität

Schnelle Anpassungsfähigkeit der IT – +

Kurze Beschaffungszeiten / Entscheidungswege für Hard- und Software – +

Treiben von Innovationen o o

Abdeckung der Anforderungen von Industrie 4.0 o / + o / –

Integration neuer Standorte und übergreifender Geschäftsprozesse + –

+ = Vorteile, – = Nachteile, o = neutral

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Zentrale vs. dezentrale ITInfrastruktur

8/2015 com! professional

sicht auf Seite 77). Danach überwiegen die Vorteile der Zent-

ralisierung, vor allem in puncto Betrieb, Sicherheit und Aus-

fallsicherheit sowie bei den einmaligen und laufenden Kosten

– auch wenn der Aufwand für den Betrieb und die Sicherheit

über dezentrale Systeme zunächst geringer erscheinen.

Die Vorteile dezentraler Systeme sind A’Pari-Geschäftsfüh-

rer Hoppe zufolge kürzere Entscheidungswege, ein engerer

Kontakt zu Lieferanten und Kunden – und dass das IT-Know-

how vor Ort ist.

Um die Vorteile zentraler, weitgehend integrierter Lösun-

gen umzusetzen, müssten gewisse Mindestvoraussetzungen

erfüllt sein. Dazu zählt Hoppe eine Drei-Schichten-Architek-

tur mit Trennung von Präsentations-

schicht, Business-Logik und Daten-

haltung, außerdem auf gängigen

Standards basierende Datenban-

ken, terminalservertaugliche oder

vollständig virtualisierbare Applikationen

und die Integrationsfähigkeit und zumindest in Tei-

len auch Webfähigkeit der Anwendungen.

Ob zentral oder dezentral, das entscheiden allerdings

oft die jeweiligen Einsatzbereiche, Applikationen und abtei-

lungsspezifischen Anforderungen.

Kein PatentrezeptEs gibt auch andere Gründe, die für eine dezentrale Organi-

sation beziehungsweise den goldenen Mittelweg sprechen.

Peter Dümig von Dell

kennt einen Fall, bei dem

ein großes Unternehmen

den im Prinzip richtigen

Schritt unternommen hat-

te, die Hauptapplikation

für alle Niederlassungen

zu zentralisieren. Dabei

wurde jedoch versäumt,

vorher einen Test zu fah-

ren. Letztlich hätten sich

durch die vielen Daten-

bankabfragen im zentra-

len Server die Latenzen

so hochgeschaukelt, dass

die Geschwindigkeit der

Anwendungen immer ge-

ringer und das System un-

brauchbar wurde. Ergebnis: Das Unternehmen startete ein

neues Projekt, um die Hauptapplikation wieder zu dezentra-

lisieren.

In der Fertigung oder an Universitäten würden von Fachab-

teilungen oder einzelnen Instituten mitunter Anschaffungen

wie HPC-Cluster für aufwendige Berechnungen getätigt, die

von der zentralen IT gar nicht beurteilt und mit eigenem

Know-how auch gar nicht betrieben werden können, führt

der Dell-Manager weiter aus. Es gebe durchaus Abteilungen,

die aufgrund spezieller Anforderungen 40-Gigabit-Ethernet-

Switches einsetzen, während normal im Unternehmen mit

10 Gigabit gearbeitet werde.

In dezentralen Strukturen und in Fällen, die ein spezielles

Know-how erfordern, haben die Abteilungen oder Niederlas-

sungen eigene IT-Teams. Laut Rainer Hoppe von A’Pari Con-

sulting muss dabei dafür gesorgt sein, dass das Wissen immer

bei mehr als einem Mitarbeiter liegt.

Trends fördern die zentrale IT Abgesehen von unternehmenskritischen Anwendungen kann

vieles ebenso gut dezentral gemanagt werden. Es gibt aber

auch eine Reihe von neuen starken Argumenten, die mehr für

eine Zentralisierung sprechen. Dazu gehören Trendthemen

wie die fortschreitende Digitalisierung, Big Data, Industrie

4.0, das Internet der Dinge sowie Bring beziehungsweise

Choose Your Own Device (BYOD/CYOD), die wachsende An-

forderungen an die Vernetzung und Sicherheit der IT-Syste-

me stellen. Dezentrale Systeme könnten im Kontext von In-

dustrie 4.0 laut Hoppe nur fortbestehen, wenn ein durchgän-

giger Echtzeit-Datenaustausch über entsprechende Bus-Sys-

teme und andere Middleware sichergestellt sei. Bei den ge-

nannten Themen einschließlich Big Data können ihm zufolge

die Fachabteilungen nicht „im Lead“ sein. Vielmehr sei hier

Für verteilte Standorte: Ciscos Meraki MX Security Appliances sollen sich ideal für Unternehmen mit vielen Standorten eignen, weil sie zentral über die Cloud gemanagt werden.

Dell PowerEdge VRTX: Die speziell für Außen-stellen entwickelte VRTX-Reihe nennt Dell „eine Art Data Center in a Box“.

„Viele Firmen kehren von der Dezentra li sierung

ab und gehen wieder verstärkt Richtung

Zentralisierung. Ein wichtiger Grund ist die

allgemeine Stärkung des CIOs in den Unternehmen.“

Mario Meir-Huber IDC-Analyst, Big Data und

Cloud-Computingwww.idc.de

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InfrastrukturZentrale vs. dezentrale IT

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eine zentrale Business-IT gefordert, die abteilungsübergrei-

fend unterstützend tätig ist.

Als „starken Fall“ für die zentrale IT sieht Dell-Manager

Dümig die Private Cloud, weil man so wichtige Skaleneffekte

erzielen könne. Bei der Nutzung einer externen oder Pu blic

Cloud sei es hingegen „gar nicht mal schlecht“, mit Außen-

stellen dezentral zu arbeiten, weil diese dann auch direkt da-

rauf zugreifen könnten. In den Fachabteilungen gebe es viele

innovativ denkende Menschen, aber Skepsis gegenüber Ver-

änderungen sei dort ebenfalls weit verbreitet und mitunter

auch angebracht – zum Beispiel, wenn der Vorstand die Cloud

anstrebt, die IT-Mitarbeiter aber entsetzt zu überlegen anfan-

gen, wie das überhaupt realisiert werden könnte, von sicher-

heitstechnischen und juristischen Fragen ganz abgesehen.

„Denn wenn nicht sichergestellt werden kann, dass die Da-

ten in Deutschland bleiben, dann dürfen manche Dinge gar

nicht in die Cloud gegeben werden“, so Dümig. Das wiede-

rum kann ein starkes Argument für den CIO im Vorstand sein,

setzt aber voraus, dass sich bei ihm strategisches Denken mit

Sachverstand paart und er nicht schon zu weit weg von der

operativen IT-Basis ist.

Braucht man noch einen CIO?Der erwähnte wi² Blog der TU Braunschweig stellt seinem Bei-

trag „Dezentrale vs. zentrale IT-Strukturen“ ein Zitat von Pe-

ter Hinssen, Assistenzprofessor an der London Business School,

voran: „IT departments have become completely use less.“

Der Sinn oder die Nutzlosigkeit der IT-Abteilung hängt al-

lerdings von einer Reihe von Faktoren ab:

• Herrschen eher zentrale oder dezentrale IT-Strukturen?

• Welche Stellung hat die zentrale IT im Unternehmen?

• Wie viel Macht und Ansehen hat der CIO?

• Versteht der CIO auch das „große Ganze“ und die Belange

anderer Ressorts?

Derartige Fragen haben auch Ovum und dessen Research Di-

rector Steve Hodgkinson beschäftigt – mit der Kernaussage,

dass die Komplexität von IT-Entscheidungen keine trivialen

oder pauschalen Rezepte zulasse. Vielmehr müsse für alle

denkbaren Fälle einzeln entschieden werden, welche IT-Lö-

sungen zentral verwaltet werden sollten, welche von den IT-

Spezialisten in den einzelnen Segmenten oder Abteilungen

und „was so richtig nur die Business-Seite beurteilen“ könne.

Den Überblick darüber könne allerdings nur der CIO ha-

ben, der als Voraussetzung dafür die nötige Reife mitbringen

müsse, so die Analysten von Ovum. Gemeint ist ein CIO, der

als „Manager von Rang“ mit den nötigen Aufgaben und Be-

fugnissen ausstattet ist. Daraus hat Ovum ein strategisches

Reifemodell der CIO-Funktion entwickelt und am Beispiel

der Einrichtung eines Shared-Service-Centers für die Konso-

lidierung und Zentralisierung von Dienstleistungsprozessen

veranschaulicht. ▶

Ob man Funktionen dezentrali-siert oder zentralisiert halten soll, ist ein häufig diskutiertes Thema. Beide Ansätze bieten ge-wisse Vor-, aber auch Nachteile. In den letzten fünf Jahren ging der Trend in Richtung einer star-ken Dezentralisierung, da hier ei-ne höhere Agilität erwartet wur-de. Wenn einzelne Abteilungen einen IT-Verantwortlichen haben, lassen sich leichter schnelle Entscheidungen treffen. Die Wege sind kurz und das operative Geschäft wird sofort mit entsprechenden Lösungen bedient.

In den vergangenen ein bis zwei Jahren dreht sich diese Entwicklung jedoch wieder in eine andere Richtung: Viele Firmen kehren von der Dezentralisierung ab und gehen wieder verstärkt Richtung Zentralisierung. Die Gründe hier-für sind vielfältig. Ein wichtiger Grund ist die allgemeine Stärkung des CIOs in den Unternehmen. Dessen Position hat sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Und oftmals ist der CIO bereits fester Bestandteil des Vorstands.

Dieser treibt – nicht ganz uneigennützig – die Zentralisie-rung vo ran. Ein wesentlicher Faktor bei dieser Entwicklung ist auch die Standardisierung von IKT-Lösungen, während Insellösungen in Unternehmen oftmals ein Problem sind und die allgemeine IKT-Strategie untergraben. Daher wird durch die Zentralisierung auch versucht, den Wildwuchs an unterschiedlichen Lösungen im Unternehmen, in den ein-zelnen Abteilungen und den Zweigstellen zu verhindern.

Ein weiterer, nicht unwesentlicher Treiber für die Zentra-lisierung sind neue IKT-Trends. An zentraler Stelle steht hier Big Data, wo es darauf ankommt, die Unternehmensdaten ganzheitlich zu betrachten. In zahlreichen Gesprächen von IDC mit den Herstellern und den IT-Verantwortlichen in den Unternehmen zu diesem Thema hat sich gezeigt, dass Big Data einen gewissen Grad der Zentralisierung benötigt.

Kommentar

Der Trend geht wieder mehr zur Zentralisierung

Mario Meir-Huber IDC-Analyst, Big Data

und Cloud-Computingwww.idc.de

„Ein Treiber für die Zentralisierung sind neue IKT-Trends.“

„Der Wildwuchs ist häufig nur ein Symptom für fehlende gemeinsame Ziele. Richtig wäre es,

als IT Anfor derungen und Trends ernst zu nehmen und entsprechende Lösungen aktiv anzubieten.“

Rainer Hoppe geschäftsführender Gesellschafter, A’Pari Consulting

www.apari.de

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Zentrale vs. dezentrale ITInfrastruktur

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com! professional hat mit Rainer Hoppe über die Parameter für effiziente IT-Syste-me gesprochen. Hoppe ist geschäftsführen-der Gesellschafter von A’Pari Consulting.

com! professional: Bitte umreißen Sie kurz die Vor- und Nachteile der zentralen und der dezentralen IT.

Rainer Hoppe: Wichtige Vorteile zentraler IT-Systeme sind die Einheitlichkeit von Standards – das gilt für Hard- und Soft-ware ebenso wie für Betrieb, Ausfall- und Informations sicherheit sowie die Konsis-tenz der unternehmensweit eingesetzten Systeme. Damit werden teure Insellösungen vermieden und die Betriebskosten gesenkt. Neue Standorte können leicht in die bestehende Landschaft inte-griert werden. Anpassungen für Spezialaufgaben sind dabei aber erheblich schwieriger und aufwendiger zu koordinieren.

Mit dezentralen Systemen kann man schneller auf Kunden-wünsche reagieren und sie an die individuellen Bedürfnisse an-passen. Zudem sind die Entscheidungswege häufig kürzer. Aller-dings sind die Konsistenz und das Sicherheitsniveau der unter-nehmensweit eingesetzten Systeme hierbei in der Regel gerin-ger. Durch ein Nebeneinander verschiedener Insellösungen mit fehlenden Standards steigen außerdem die Prozesskosten.

Mit dem Trend zu Industrie 4.0 wachsen die Anforderungen an die Vernetzung von IT-Systemen weiter. In diesem Kontext können dezentrale IT-Systeme nur dann fortbestehen, wenn ein durchgängiger Datenaustausch in Echtzeit über eine entspre-chende Middleware sichergestellt ist.

com! professional: Gibt es eine Empfehlung, ab wann es sich lohnt, die IT zentral zu bündeln?

Hoppe: Stärker als von der reinen Unternehmensgröße hängt das von der jeweiligen Organisationsstruktur und der Anzahl der Standorte ab: Je mehr Standorte mit womöglich gleichen funk-tionalen Aufgaben ein Unternehmen hat, umso mehr spricht das für eine Zentralisierung bestimmter Prozesse. Die kritische Größe liegt nach unseren Erfahrungen bei fünf bis zehn dezen-tralen Organisations einheiten.

com! professional: Dezentrale Systeme bergen Risiken bezüg-lich der Sicherheit und Verfügbarkeit. Wie bekommt man beides unter einen Hut?

Hoppe: Grundsätzlich gilt, dass die Sicherheit der Systeme aktiv gemanagt werden muss. Dafür empfiehlt sich eine ganzheitliche Be-trachtung. In einem Information Security Ma-nagement System (ISMS) können sowohl für dezentrale als auch für zentrale Systeme eine exakte Dokumentation und Maßnahmen für den Störungsfall festgehalten werden. Dabei sollte man keine eierlegende Wollmilchsau schaffen wollen, sondern den Fokus auf be-sonders geschäftskritische Anwendungen le-gen. Sicherheit und Verfügbarkeit sind immer die Summe aus Mensch/Know-how, Prozessen und IT-Systemen.

Bei unseren Risikoanalysen stellen sich deshalb Fragen wie: Verfügen wir über das erforderliche Know-how, um unsere IT-Systeme effizient nutzen zu können? Sind wir weitestgehend unabhängig von sogenannten Kopfmonopolen? Ist Schlüssel-wissen immer bei mehr als einem Mitarbeiter vorhanden? Wie stabil und sicher sind die IT-Service-Management-Prozesse? Sind diese ausreichend dokumentiert?

Unabhängig von der Frage zentral oder dezentral müssen be-stimmte Mindestanforderungen sichergestellt sein. Das bedeu-tet nicht gleich die Notwendigkeit der Zertifizierung zum Bei-spiel nach ISIS12 oder ISO 27001, aber eine Sensibilisierung al-ler Beteiligten und regelmäßige Audits sind schon erforderlich.

com! professional: In Unternehmen mit zentraler IT wird oft be-mängelt, dass die Fachbelange zu wenig berücksichtigt werden. Was tun?

Hoppe: Das ist in der Tat oft immer noch ein Problem. In vielen Großunternehmen mit klassischen IT-Organisationen hat es sich eingebürgert, bei den Fachbereichen Anforderungsprofile abzu-fragen und entsprechende Roadmaps und Business-Cases zu er-stellen. Es gilt als modern, zumindest die Infrastruktur und ihren Betrieb outzusourcen. Dabei geht aber oft der Blick für neue Themen wie Cloud und Mobile verloren. Bei anderen wie Big Da-ta oder dem Internet of Things können auch nicht die einzelnen Fachabteilungen im Lead sein, sondern hier ist eine IT gefordert, die abteilungsübergreifend unterstützend tätig ist und gegebe-nenfalls auch IT-nahe Aufgaben vom Business übernimmt. Wie immer liegt der goldene Mittelweg irgendwo dazwischen. Eine Lösung könnte darin bestehen, beides zu vereinen. Eine Organi-sation für die bestehenden IT-Services und die Steuerung der Dienstleister (IT zu IT) sowie eine businessnahe IT mit Sinn für Innovationsthemen und angereichert mit Start-up-Charakter, sprich eine Art Business-IT. Das führt zur gegenseitigen Akzep-tanz, setzt aber auch eine tiefe Veränderungsbereitschaft in den heutigen IT-Organisationen voraus. Wichtig vonseiten der IT wä-re auch, Anforderungen und Trends ernst zu nehmen und aktiv entsprechende Lösungen anzubieten.

Interview

„Mit zentraler IT werden Insellösungen vermieden“

„Unabhängig von der Frage zentral oder dezentral müssen bestimmte Mindest-

anforderungen sichergestellt sein.“

Rainer Hoppe

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InfrastrukturZentrale vs. dezentrale IT

com! professional 8/2015

Weil der Erfolg von Shared Services von den Kunden ab-

hängt, muss der CIO – vereinfacht gesagt – ein Gleichgewicht

zwischen „den Ansprüchen aus den Fachbereichen und den

Kapazitäten des Shared-Service-Providers“ herstellen, um

durch „reife Anleitung“ erst ein „intelligentes“ Kundenver-

halten zu ermöglichen. Der anhaltende Erfolg einer Shared-

Service-Strategie sei abhängig von der Aufgabenstellung,

der Reichweite der Aktivitäten und dem unternehmenswei-

ten Einfluss der CIO-Funktion. Ovum betrachtet dies als die

drei Eckpfeiler des CIO-Reifemodells. Und da sowohl voll

zentralisierte wie auch voll dezentralisierte IT-Ansätze mehr

Kosten und Risiken als Vorteile brächten, bleibe die Optimie-

rung der IT-Performance im gesamten Unternehmen stets ei-

ne Herausforderung.

In großen Unternehmen, wo ein Mittelweg beschritten

wird, muss der CIO in der Lage sein, die Entscheidungen und

Aktivitäten der verschiedenen halbautonomen IT-Leiter zu

koordinieren, die „disparaten IT-Funktionen zusammenzufü-

gen und in einem chaotischen und fragmentierten Umfeld

strategisches IT-Management zu entwickeln“, heißt es in der

Beschreibung zu Ovums CIO-Reifemodell.

Der EntscheidungswürfelDer IDC-Analyst Mario Meir-Huber weist im CIO-Blog (www.

cioblog.at) dagegen darauf hin, dass es wenig sinnvoll sei, in

Richtung Zentralisierung oder Dezentralisierung zu gehen,

wenn es sich mit den anderen IT-Funktionen andersherum ver-

halte. Er zieht dabei das „Modell von Rockart“ heran (siehe

Kasten oben). Sind Anwendungs- und Hardware-Betrieb zen-

tralisiert, erfordere das auch einen gewissen Standardisie-

rungsgrad, während eine Dezentralisierung dieses Bereichs

die Vorteile des Domänwissens der jeweiligen Fachabteilung

ausnutze. „Ein dezentrales Management kann wiederum zu

höherer lokaler Autonomie und schnelleren Prozessen führen,

wobei der CIO in diesem Fall sehr viel Fingerspitzengefühl im

Umgang mit der jeweiligen Fachabteilung haben muss.“

Wie der Wirtschaftsinformatiker Peter Mertens in dem Buch

„Aufbauorganisation der Datenverarbeitung“ erklärt, ist

Grundlage der Überlegung, dass man keine globale Entschei-

dung für die eine oder andere Richtung fällen könne. Viel-

mehr müsse man die Aufgabenfelder (Systementwicklung,

Systembetrieb und Systemmanagement), die Teilbereiche

(mögliche EDV-Einheiten) und die Funktionen (zum Beispiel

Finanzen) jeweils getrennt betrachten. Um diese Abgrenzung

zu verdeutlichen, hat Mertens einen Entscheidungswürfel

entwickelt. Über die getrennte Betrachtung gelangt man für

jeden Unternehmens- oder Aufgabenbe-

reich zu einer Entscheidungseinheit (Basic

Decision Unit), für die jeweils eine Tabelle

mit Einflussfaktoren ausgefüllt werden

muss. So kommt man am Ende vielleicht zu

dem Schluss, dass für diese Fachabteilung

trotz konzernweiter starker Zentralisierung

eine dezentrale IT-Lösung besser wäre.

Fazit Auch wenn die Unternehmen heute wegen

der wachsenden Vernetzung und Themen

wie Industrie 4.0 oder Big Data dazu nei-

gen, die IT zu konsolidieren und zentral zu

bündeln, wird es immer Abteilungen oder

Aufgabenbereiche geben, bei denen es bes-

ser ist, die jeweilige Lösung dezentral ein-

zurichten, zu betreiben und zu verwalten.

Unternehmen tun daher gut daran, zwei-

gleisig zu fahren. Ein erster Schritt könnte

ein Asset Management oder eine Bestands-

analyse sein. Dem CIO kommt in zentralen wie in dezen -

tralen Mischstrukturen eine wichtige koordinierende Rolle

zu. Daher sollte er – ob im Vorstand oder nicht – auch immer

an den wichtigsten strategischen Meetings teilnehmen, um

Einblick in sämtliche Geschäftsbereiche nehmen zu können

und im günstigsten Fall

neben Fachkompetenz

einen unternehmeri-

schen Weitblick zu ge-

winnen beziehungswei-

se zu wahren. ◾

Klaus Hauptfleisch/oe [email protected]

Das von IDC-Manager Meir-Huber im CIO-Blog (www.cio blog.at) zitierte „Modell von Rockart“ zeigt drei Achsen: Die vertikale Achse steht für Entwicklung und Anpassung der Anwendungen, die horizontale für den Be-trieb der Anwendungen und der Hardware. Die schräg verlaufende Ach-se zeigt den Grad der Zentralisierung oder Dezentralisierung an.

Modell von Rockart

Decentralized

Deve

lopm

ent

Management

Centralized Operations

Der sogenannte Entscheidungs-würfel des Wirtschaftsinforma-tikers Peter Mertens verdeutlicht, wie die Aufgabenfelder (Entwick-lung, Betrieb und Management des Systems) die IT-relevanten Teilbereiche und die Funktionen im Unternehmen jeweils getrennt betrachtet werden müssen.

Jedes Projekt erhält so ein eigenes Profil. In ein „Ta bleau der Einflussfaktoren“ eingetragen, führt es zu der Bewertung, ob das Projekt zentralisiert oder eher dezen tralisiert werden sollte.

Der Entscheidungswürfel von Mertens

Aufg

aben

feld

er

Syst

em-

betr

ieb

Sys

tem

ent-

wic

klun

g

Funktionen Teilbereiche

Systemmanagement