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Z. Jagdwiss. 36 (1990), 186-194 © 1990 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0044-2887 Zum Begriff und Inhalt einer Jagdphilosophie Von R. HENNIG, Norderstedt l]ber die l~ingste Zeit hinweg war den Menschen aller V6tker die Jagd etwas so Natiirliches und Selbstverst~ndliches, da~ sie im Zusammenhang damit wohl vielerlei praktische l]berlegungen, nicht aber philosophische Betrachtungen angestellt haben. Letztere sind erst in den vergangenen rund einhundert Jahren sehr langsam und z6gernd aufgekommen und haben etwa seit der Mitte unseres Jahrhunderts einen nennenswerten Umfang ange- nommen. Insbesondere einige Ver6ffentlichungen von LmI),XER, MOLLER-UsmG, NOSS- LEm, ORTEGA YGASSET, SCHULZE und Mitautoren, abet auch yon SCHERPIraG und anderen lassen ein intensives Nachdenken iiber Grundlagen und geistige Leitlinien unseres Jagdwe- sens insgesamt oder bestimmter seiner Teilgebiete oder Aspekte erkennen. Im Zuge einer weitgehenden Verwissenschaftlichung unseres gesamten Lebens und einer fortschreitenden Hinterfragung immer weiterer menschlicher T~itigkeiten und Verhattensweisen werden auch philosophische Er6rterungen des Jagdwesens zunehmen. Dafiir wird es niitzlich sein, fiber Begriff und Inhalt einer Jagdphilosophie - etwa in Parallele zu einer forstlichen Philosophie (HE,NIt 1987) - nachzudenken. Nachstehend seien einige diesbeziigliche Gedankeng~inge umrissen. 1 Jagdgeschichte- Jagdkultur Die Jagd ist nach dem Sammeln von Naturprodukten die /ilteste Erwerbst~itigkeit des Menschen. Sie reicht damit bis in die Anf~inge der Menschwerdung zuriick. S. SCHXVENX (1988) hat den Satz formuliert: ,,Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Jagd." Diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Versorgungs- und Abwehrfunktionen. Nach deren Aufziihlung f~ihrt sie fort: ,Jagdliches Tun und Handeln stand jedoch nicht nur an der Wiege yon Wirtschaft und Technik. Es bestimmte auch die Sozialordnung, das Recht und die Anf~inge von Sprache, Kunst, Musik, Schmuck und kultischen Vorstellungen." Nach einem Sprung iiber Jahrtausende meint sie: ,,Die Jagd bestimmte mancherorts geradezu die kulturelle Atmosph~ire. ~ Unter Jagd wird bei solchen Betrachtungen nicht nur die .... zweckbewui~te, in der RegeI auf T6tung gerichtete Verfolgung...~ des Witdes gem~if~ der Definition von LmDNER (1937 und 1978) verstanden, sondern atles, was mit Jagd und Jiiger zusammen- h/ingt, also im Sinne von Jagdwesen oder von Weidwerk in seiner umfassendsten Bedeu- tung. W~ihrend die Definition von LmD/qER eine Allgemeingiittigkeit beanspruchen daft, ist letzteres hinsichtlich des Jagdwesens, und zwar sowohl in seiner Gesamtheit als auch in seinen meisten Bestandteilen, nicht der Fall. Vielmehr bestehen betr~chtliche Unterschiede nationaler und regionaler Art wie auch im Laufe der Geschichte. Das Jagdwesen und seine Bestandteile k6nnen also stets nur fiir einen bestimmten Kulturkreis zu einer bestimmten Epoche beschrieben und beurteilt werden. In den folgenden Ausfiihrungen ist das Jagdwe- sen Deutschlands und ()sterreichs gemeint, das atlerdings von dort aus zum Tell betriicht- lich auf andere L~inder ausgestrahlt hat. Wenn nachfotgend yon ,Deutscher Jagdkuttur" gesprochen wird, so ist damit das Jagdwesen bzw. die Jagdkulrur gemeint, wie sie in dem deutsch-6sterreichischen Raum gewachsen ist. Hier hat im Laufe langer Zeiten eine Trennung von Jagdkultur und allgemeiner Kultur U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0044-2887/90/3603-0186 $ 02.50/0

Zum Begriff und Inhalt einer Jagdphilosophie

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Z. Jagdwiss. 36 (1990), 186-194 © 1990 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0044-2887

Zum Begriff und Inhalt einer Jagdphilosophie Von R. HENNIG, Norderstedt

l]ber die l~ingste Zeit hinweg war den Menschen aller V6tker die Jagd etwas so Natiirliches und Selbstverst~ndliches, da~ sie im Zusammenhang damit wohl vielerlei praktische l]berlegungen, nicht aber philosophische Betrachtungen angestellt haben. Letztere sind erst in den vergangenen rund einhundert Jahren sehr langsam und z6gernd aufgekommen und haben etwa seit der Mitte unseres Jahrhunderts einen nennenswerten Umfang ange- nommen. Insbesondere einige Ver6ffentlichungen von LmI),XER, MOLLER-UsmG, NOSS- LEm, ORTEGA Y GASSET, SCHULZE und Mitautoren, abet auch yon SCHERPIraG und anderen lassen ein intensives Nachdenken iiber Grundlagen und geistige Leitlinien unseres Jagdwe- sens insgesamt oder bestimmter seiner Teilgebiete oder Aspekte erkennen. Im Zuge einer weitgehenden Verwissenschaftlichung unseres gesamten Lebens und einer fortschreitenden Hinterfragung immer weiterer menschlicher T~itigkeiten und Verhattensweisen werden auch philosophische Er6rterungen des Jagdwesens zunehmen. Dafiir wird es niitzlich sein, fiber Begriff und Inhalt einer Jagdphilosophie - etwa in Parallele zu einer forstlichen Philosophie (HE,NIt 1987) - nachzudenken. Nachstehend seien einige diesbeziigliche Gedankeng~inge umrissen.

1 J agdgesch i ch t e - Jagdku l tu r

Die Jagd ist nach dem Sammeln von Naturprodukten die /ilteste Erwerbst~itigkeit des Menschen. Sie reicht damit bis in die Anf~inge der Menschwerdung zuriick.

S. SCHXVENX (1988) hat den Satz formuliert: ,,Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Jagd." Diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Versorgungs- und Abwehrfunktionen. Nach deren Aufziihlung f~ihrt sie fort: ,Jagdliches Tun und Handeln stand jedoch nicht nur an der Wiege yon Wirtschaft und Technik. Es bestimmte auch die Sozialordnung, das Recht und die Anf~inge von Sprache, Kunst, Musik, Schmuck und kultischen Vorstellungen." Nach einem Sprung iiber Jahrtausende meint sie: ,,Die Jagd bestimmte mancherorts geradezu die kulturelle Atmosph~ire. ~

Unter Jagd wird bei solchen Betrachtungen nicht nur die . . . . zweckbewui~te, in der RegeI auf T6tung gerichtete Verfolgung...~ des Witdes gem~if~ der Definition von LmDNER (1937 und 1978) verstanden, sondern atles, was mit Jagd und Jiiger zusammen- h/ingt, also im Sinne von Jagdwesen oder von Weidwerk in seiner umfassendsten Bedeu- tung.

W~ihrend die Definition von LmD/qER eine Allgemeingiittigkeit beanspruchen daft, ist letzteres hinsichtlich des Jagdwesens, und zwar sowohl in seiner Gesamtheit als auch in seinen meisten Bestandteilen, nicht der Fall. Vielmehr bestehen betr~chtliche Unterschiede nationaler und regionaler Art wie auch im Laufe der Geschichte. Das Jagdwesen und seine Bestandteile k6nnen also stets nur fiir einen bestimmten Kulturkreis zu einer bestimmten Epoche beschrieben und beurteilt werden. In den folgenden Ausfiihrungen ist das Jagdwe- sen Deutschlands und ()sterreichs gemeint, das atlerdings von dort aus zum Tell betriicht- lich auf andere L~inder ausgestrahlt hat. Wenn nachfotgend yon ,Deutscher Jagdkuttur" gesprochen wird, so ist damit das Jagdwesen bzw. die Jagdkulrur gemeint, wie sie in dem deutsch-6sterreichischen Raum gewachsen ist.

Hier hat im Laufe langer Zeiten eine Trennung von Jagdkultur und allgemeiner Kultur

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0044-2887/90/3603-0186 $ 02.50/0

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stattgefunden, wobei an dieser Stelle offenbleiben mag, wie diese Trennung und gegensei- tige Entfernung im einzelnen erfolgt ist. Die Deutsche Jagdkultur im weitesten, nachste- hend noch zu umreiflenden Sinne wird hier vonder relativ scharf abzugrenzenden Ji~erschaft gepflegt.

Das yon Brl~RENS und anderen (1983) verfaf~te Jagdlexikon definiert Jagdkultur als die ,Gesamtheit der geistigen, ethischen und k/instlerischen Bezfige der Jagd, wodurch die Jagdkultur Bestandteil der allgemeinen Kultur eines Volkes bzw. einer Epoche ist." Im einzelnen wird dazugerechnet das jagdliche Brauchtum einschliefflich der Weidmannsspra- che, die Jagdwissenschaft, die Jagdkunst, das jagdliche Schrifttum, die jagdtiche Baukultur und die Jagdmusik.

Hier sei unterschieden zwischen der Jagdkultur im engeren Sinne, wie sie in dem Jagdlexikon umrissen wird, und einer Jagdkultur im weiteren Sinne, welche letztlich das gesamte Jagdwesen umfaflt. Auch die heutige Revierpraxis mit planm~it~iger Wildstandsbe- wirtschaftung, Wildhege, Biotoppflege, Jagdhundewesen, jagdtichem warren- und Schief~- wesen und manchem anderen mehr sowie die umfangreichen rechtlichen Regelungen aller dieser Dinge sind zweifellos betr~ichtliche, in langen Zeitr~iumen gewachsene Leistungen, die das Deutsche Jagdwesen als solches zu einer kulturellen Institution machen.

Insgesamt stellt es sich heute so dar, daft die J~igerschaft unseres Bezugsraumes in einer hochentwicketten jagdlichen Ku|tur mit eigener Sondersprache, eigenem Brauchtum, eigener Ethik usw. lebt, diese Kultur pflegt und sie lebendig weiterentwickelt.

2 Subkultur Jagdwesen

Nach BROCKHAUS (1973) ist eine Subkultur ,,eine relativ eigensdindige Kultureinheit innerhalb eines gr6f~eren Kulturganzen". Diese - wenn auch etwas vage - Definition trifft zweifetlos auf Jagdwesen und J~igerschaft unseres Bezugsraumes zu. Einige wesentliche Bestandteile seien hier herausgegriffen.

In jagdkultureller Hinsicht besonders he~orstechend ist das jagdliche Brauchtum. LINDNER (1985) schreibt dariiber u.a.: ,Die Gegner der Jagd bedienen sich in diesem Zusammenhang gern des abwertenden Wortes Brimborium, ohne darOber nachzudenken, daft dieser von Mephisto im Faust benutzte Ausdruck sie selbst disqualifiziert. Zu jeder sozialen Gruppe geh6rt ein for diese charakteristisches Brauchtum. Das gilt fiir Punks und Rocker ebenso wie for Schiitzen- und Trachtenvereine."

Im Gegensatz zu den kurzfristig modernen Gebr~iuchen von Punks, Rockern und anderen vergleichbaren Gruppen, die selber wieder nach wenigen Jahren oder Jahrzehnten verschwunden sind, ist das jagdliche Brauchtum als solches Jahrtausende alt. Es ist also eher zu vergleichen mit dem Brauchtum von V61kern oder Volkssdimmen, von Religions- gemeinschaften, von Zfinften und ~ihnlichen, viele Menschheitsgenerationen, vielleicht gar Jahrtausende existierenden menschlichen Gemeinschaften. Das jagdliche Brauchtum ist dabei keine starre, unver/inderliche, tote Form, sondern es ist als febendiges Brauchtum fortw~ihrenden Wandlungen unterworfen, einer unabl~issigen Evolution, die wir auch in der Gegenwart in vielen Einzelheiten beobachten k6nnen.

Ein Tell dieser Gebr~iuche hat auch heute einen durchaus praktischen Wert, so etwa manche Jagdsignale for die Leitung von Gesellschaftsjagden, manche Bruchzeichen for die Kennzeichnung von Anschut~, Einwechsel und Wundf~ihrte, for die Markierung von Schfitzenst~den oder anderen wichtigen Gel~ndepunkten sowie for die Warnung vor besonderen Gefahren, welter diverse Signale und Zeichen for die sonstige Kommunikation der J~iger im Geliinde, Regeln for den sicheren Umgang mit Jagdwaffen, for die HundefOh- rung, for die Versorgung und Bringung erlegten Wildes, for die Kennmis von F~ihrten, Spuren, Get~iufen, Losung, Rissen, Rupfungen usw. als Hilfsmittel fiir Witdbestandsauf- nahme, Bejagung, Revierbetreuung usw. und vieles andere mehr.

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Andere Jagdbfiiuche sind ritualisierte Handlungen, die zum Teil Ausdruck der Ehr- furcht des J~igers vor der Kreatur sind, die den ,Sch6pfer im Gesch6pfe ehren": Strecke- legen, Verbrechen, Verblasen usw. Bis zu einem gewissen Grad geh6ren hierher auch die Troph~ienbr~iuche. In diesen Dingen hat das Brauchtum einen engen Bezug zur jagdlichen Ethik.

Schliet]lich geh6ren Br~iuche dazu, die ffir sich wie insgesamt den Zusammenhalt der J~iger als Gruppe und ihre kulturelle Eigenst~indigkeit f6rdern. Sie haben insofern einen besonderen Wert, ats sie wesentlich dazu beitragen, Jagdwesen und J~igerei als Subkukur zu erhalten. Zu diesen Br~nchen ist u.a. die Kleidung zu rechnen, die zwar heute nichts uniformhaftes mehr an sich hat, die aber doch sogleich den J~iger erkennen l~ift. Auch der Jagdschmuck ist hier zu nennen.

Wenn das jagdliche Brauchtum auch in Urzeiten zurfickreicht, so war es doch das Verdienst yon FREVERT (1981, zuerst erschienen 1936), dieses grot]e und umfangreiche Kulturgut gesammelt, geordnet und zusammenfassend dargestellt zu haben. In wiederhol- ter lDberarbeitung wird sein Werk heute von TORCK~ gepflegt.

Der gr6fte und wichtigste Bestandteil des jagdlichen Brauchtums ist die J~igersprache. LINDNER (1985) schreibt dazu: ,Jede soziale Gruppe verffigt fiber eine durch Stand oder Beruf bestimmte Fach- oder Standessprache . . . . Ebenso wie Schiller, Studenten, Soldaten oder Seeleute, Gauner oder Repr~isentanten der ,Szene' fiber einen eigenen Wortschatz verffigen, der dem Auf~enstehenden mehr oder minder unzug~inglich bleibt, bedienen sich die J~iger, besonders in L~indern mit einer bis in die Gegenwart reichenden, jahrhunderteal- ten Tradition, einer Ausdrucksweise, die fiir sie charakteristisch ist . . . . An dieser Sprache Kritik zu ilben, ist vielleicht Gradmesser des Bildungsstandes desjenigen, der dagegen Einspruch erhebt, kann abet kein Gegenstand einer ernsthaften Diskussion sein - ganz und gar nicht, wenn man bedenkt, daft diese Sprache ohne Standesunterschiede yon allen gehandhabt wird, die sich der Jagd verbunden ffihlen, daft sie lebt, sich st~indig erg~inzt und erneuert, aber auch all das verlorengehen l~if~t, was im jagdlichen Betrieb ilberholt ist. ~

Seit dem 8. Jahrhundert sind nahezu 13 000 Begriffe als Wortschatz der J~igersprache registriert worden. FR~VERT (1954) hat rund 3000 von ihnen als heute noch gebr~iuchlich zusammengetragen. Die J~igersprache ist damit die umfangreichste Sondersprache des deutschen Sprachraums.

Viele Ausdriicke der J~igersprache geben die Sachverhalte treffender wieder als die entsprechenden Ausdriicke der Allgemeinsprache, so daf~ die J~igersprache insbesondere in bezug auf wildbiologisehe Tatbest/inde eine grofle Aussagekraft besitzt (s. z. B. HE*CHL~R 1952). Eine Reihe von W6rtern (z.B. abklappern, trollen, etwas vernehmen u.a.) und Redewendungen (z. B. durch die Lappen gehen, von etwas Wind bekommen, eine Gefahr wittern u.a.), die eindeutig aus der J~igersprache stammen, sind heute in der Allgemein- sprache gebr~iuchlich.

Insgesamt kann festgestellt werden, daf das umfangreiche und vielseitige jagdliche Brauchtum einschlief~lich der J~igersprache bei allgemeiner Benutzung durch die gesamte J~igerschaft st~irkster Ausdruck der Subkultur Jagdwesen ist.

Einen starken kultureUen Niederschlag hat die Jagd auch in der Kunst gefunden. Beginnend mit vorgeschichtlichen H6hlenmalereien fiber die frilhen Hochkulturen bis zu unserer europ~iischen Jagdkunst spannt sich ein weiter Bogen, der von BERRENS (1984) in groben Zfigen eindrucksvoll nachgezeichnet worden ist. Gem~ilde, Plastiken unterschied- lichster Gr6i~e, Teppiche, Keramiken und andere Kunst- sowie Kunstgewerbegegenst~inde mit jagdtichem Bezug sind im Laufe der Zeiten in fiberaus reicher Fillle entstanden. Unter den Kfinstlern finden sich allererste Namen der europ~ischen Kunstgeschichte. Die ,Jagdmaler ~ der Gegenwart stellen zwar in aller Regel keine jagdlichen Szenen mehr dar sondern widmen sich in erster Linie dem Wild in der Landschaft, sie bezeichnen sich aber fiberwiegend traditionsbewuflt als Jagdmaler und tragen so auch schon mit ihrem Namen wesentlich zur kulturellen Eigenst~indigkeit von Jagdwesen und J~igerei bei.

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Eng mit dieser Jagdkunst verbunden ist die Jagdmusik. Sic reicht von den Jagdsignalen ~ber J~igerm/irsche, J~igerlieder usw. bis zu Spitzenwerken der europ~iischen Musik. Sic stellt damit einen wesentlichen Beitrag sowohi zu einer eigenstiindigen Jagdkuhur als auch zur allgemeinen Kultur dar.

Im Zuge der immer weitergehenden Verwissenschaftlichung unseres gesamten Lebens gewinnt auch die Jagdwissenschaft zunehmend an Bedeutung. Nach LmDNER (1979) ist das Wort ,,Jagdwissenschaft" zuerst im Jahre 1719 von FLEi~IMING benutzt worden, und zwar ,,in seinem urspriinglichen Sinn: es wird als Inbegriff dessen verstanden, was sowohl durch praktische Lehre als auch durch das Schrifttum der ~iberlieferte Bestand des fachlichen Wissens ist ". Als wissenschaftliche Disziplin heutigen Sinnes ist sic erst um die letzte Jahrhundertwende emstanden. Gegenw~irtig gibt es in zahlreichen L~indern mehr oder minder grot~e einschl~igige Universit~its- und Staatsinstitute, Forschungsstellen, For- schungsreviere usw.

Die Jagdwissenschaft des deutschen Jagdkulturkreises und einiger L~inder Ost- und Siidosteuropas unterscheidet sich dabei in der Grundauffassung erheblich yon der Auffas- sung insbesondere der englisch-amerikanisch orientierten L~inder. In letzteren kennt man als eigentliche wissenschaftliche Disziplin nur die Wildbiologie und auf ihr aufbauend ein ,wildlife management", was etwa unserer Wildstandsbewirtschaftung einschliefflich der daf/ir notwendigen Biotoppflegemat~nahmen usw. entspricht. Es handelt sich dort also um eine rein biologische Fachrichtung.

Die Jagdwissenschaft in unserem Sinne geht dagegen welt iiber den naturwissenschaftli- chen Bereich hinaus und umfai~t diverse geiteswissenschaftliche Richtungen (LINDN~R 1979 und 1982, NOSSLEIN 1955). Einige sind vorstehend bereits genannt worden, andere werden noch genannt werden; alle einzelnen Fachrichtungen sowie ihre Entwicklungen und gegenseitigen Beeinflussungen werden von der Jagdgeschichte gew/~rdigt.

Jagdwissenschaft und Wildbiologie unterscheiden sich aber nicht nur quantitativ dadurch, daf~ die Jagdwissenschaft thematisch sehr viel umfassender ist, sondern vor allem in der Grundauffassung. Die Wildbiologie behandeh nur das Wild in der Landschaft sowie die Einfliisse des Menschen darauf in allen m6gtichen Auswirkungen. Die Jagdaus(ibung (in manchen Liindern als Sport betrachtet) sowie alle geisteswissenschaftlichen Bez/ige der Jagd werden - wenn/iberhaupt -von den einzelnen allgemeinen Geistes- und Kuhurwis- senschaften behandeh.

Die Jagdwissenschaft sieht dagegen das Jagdwesen insgesamt mit allen seinen einzelnen Zweigen als eine eigenst~indige kulturelle Erscheinungsform, als eigenst~indigen Kuhurbe- reich. Wildbiologie, Wildstandsbewirtschaftung, Wildhege, Biotoppflege usw. k6nnen dann jeweils nur dienende Glieder des ganzen Jagdwesens, der ganzen Jagdkultur sein. W~ihrend also die wildbiologische Auffassung eine rein naturwissenschaftlich-technologi- sche ist, stellt die jagdwissenschaftliche die Sicht eines Kuhurganzen dar, das aus dem Zusammenwirken zahlreicher funktioneller Glieder lebendig erhahen wird und wovon die naturwissenschaftlichen Fachrichtungen lediglich Teilbeitr~ige sind.

So, wie die Jagdwissenschaft des deutschsprachigen Raumes das gesamte Jagdwesen und die in diesen Liindern recht geschlossene J~igerei als eine relativ eigenst/indige Kultureinheit begreift, so bildet das Jagdwesen auch einen eigenst~indigen Rechtskreis. Zwar gibt es auf rechtlichem wie auf kuhurellem Gebiet zahlreiche Beriihrungspunkte mit anderen Sachge- bieten, etwa mit Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, mit Natur- und Tierschutz, mit dem Sektor der inneren Sicherheit, mit biologischen Wissenschaften, bildender Kunst, Musik, Geschichte, Kulturgeschichte und Sozialwissenschaft, mit diversen Sparten von Handel, Handwerk und Industrie, mit Tourismus und Freizeitgestaltung und vielen andern menschlichen Lebensbereichen.

Diese vielen Beriihrungspunkte bedeuten jedoch nicht, sondern schliefen im Gegenteil eher aus; dai~ die Jagd ein Teilgebiet oder eine Funktion eines dieser anderen Gebiete ist. Das Jagdwesen des deutschsprachigen Raums ist vielmehr ein eigenstiindiger Rechtskreis,

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was oft genug herausgestellt worden ist, u.a. von LINDNER (1982). Die Erhaltung dieses eigenst:indigen Rechtskreises sowie die notwendigen Abstimmungen mit anderen Rechts- kreisen ist Aufgabe der Jagdpolitik. Deren Tr:iger sind vor allem die J~igerorganisationen, die im deutschen Jagdkulturkreis ebenfalls eigenstiindig und nicht etwa Sparten des Naturschutzes, des Sports, der Freizeitgestaltung, der Volkstumspflege o. L sind.

Entsprechend dem alten, grof~en und vielseitigen Gebiet des Jagdwesens gibt es seit Jahrhunderten eine umfangreiche Jagdliteratur. Sie reicht yon rein wissenschaftlichen Abhandlungen und anderen fachlichen Darstellungen fiber eine breite BeUetristik unter- schiedlichsten Stils bis zur jagdlichen Dichtung. Im einzelnen behandelt sie die vielseitigen, vorstehend angefiihrten Teilbereiche. W:ihrend der Jagdwissenschafi in erster Linie wis- senschaftliche Zeitschriften, Jahrbiicher und Schriftenreihen dienen, wenden sich die auf hohem Niveau befindlichen Jagdzeitschriften an die breite/vIasse der J:iger, informieren sie fiber alles Wissenswerte und tragen durch vieterlei Diskussionen zur st~indigen Weiterent- wicklung des Jagdwesens bei. Eine Reihe von Buchverlagen ver6ffentlicht aIlj:ihrlich neue Biicher fachlichen oder unterhaltenden Inhalts. F/Jr den J:iger wie f/Jr den Auflenstehenden repr:isentiert sich das grof~e geschlossene Gebiet des Jagdwesens wohl in nichts so gut, wie in dieser umfangreichen Jagdliteratur, mit deren Hilfe sich auch alle Entwicklungen und Str6mungen des Jagdwesens fiber die Zeitl~ufe nachtr~iglich verfolgen lassen.

F/.ir die C)ffentlichkeit sichtbar dokumentiert wird die Jagdkultur in diversen Jagdmu- seen, die teilweise in Bauwerken ursprfinglich jagdlicher Zielsetzung, vor allem in Jagd- schl6ssern, untergebracht sind.

Zusammengefafgt ergeben alle vorstehend behandelten oder nur erw:ihnten Aspekte das Bild ,,einer relativ eigenst~indigen Kultureinheit innerhalb eines gr6fleren Kulturganzen", also eine echte Subkultur, die aber nicht, wie manche andere, nur eine kurzlebige Erscheinung ist, sondern sich vom Beginn der Menschwerdung bis in die Gegenwart kontinuierlich entwickelt hat.

3 Grundlinien einer Jagdphilosophie

Verstehen wir Jagdwesen und J:igerei des deutschsprachigen Raums, also das, was wir als Deutsche Jagdkultur bezeichnet hatten, als Subkultur, so erhebt sich die Frage nach ihrer geistigen Leitlinie, nach ihrer Philosophie. Bereits einleitend wurde festgestellt, dai~ ein bewut~tes Fragen nach solchen Leitlinien erst wenige Jahrzehnte ak ist. Das schlief~t aber setbstverst:indlich nicht aus, dai~ schon die J:igerei f~herer Zeiten bewuf~t oder unbewul~t gewissen Leitlinien gefolgt ist. Das Aufspfiren solcher Leitlinien d/~rfte ein sinnvoller Ausgangspunkt f/~r eine Jagdphilosophie sein.

Aus heutiger Sicht stellt sich das Jagdwesen des deutschsprachigen Raums und vieler anderer L~inder als eine nachhaltige Nutzung der Wildbest:inde dar (HENN:C 1988, 1989, 1990). Die Jagd hat immer wesentliche wirtschaftliche Aspekte gehabt, was von verschie- denen Autoren (z. B. L:NDNER 1982 und 1985) deutlich herausgestetlt worden ist und was sich in der jiingeren Jagdgeschichte auch in entsprechenden Statistiken (s. z.B. BIrGER 1928, MOLLER-USINO 1949, SCHXVENK 1987) niederschl:igt.

Der Begriff der Nachhaltigkeit ist zwar in der Forstwirtschaft entstanden und yon dort aus erst in jiingster Zeit in das Jagdwesen fibernommen worden. Das Wirtschaftsprinzip der Nachhaltigkeit ist jedoch im Jagdwesen sehr viel :liter. Gezielt befolgt wird es, seit es eine planm:iflige Nutzung der Wildbest:inde gibt. Unbewut~t befolgt wurde es lange vorher, im Ansatz bereits in vorgeschichtlichen Zeiten.

Urspr/inglich hatte das jagdliche Nachhaltigkeitsstreben nur quantitative Zielsetzun- gen. Qualitative Aspekte kamen erst am Ende des vorigen Jahrhunderts hinzu, insbeson- dere durch die bahnbrechenden Gedanken und Werke von RAESFELD (1898 und diverse weitere Ver6ffentlichungen, s.a. MOLL~R-US:NG 1964). Zusammen fiihrten sie schliefllich

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zu einer planm~iffigen Wildstandsbewirtschaftung (UEclIERMA~ 1957 und zahlreiche spiitere Ver6ffentlichungen), die zugleich fiber den Wildbestand hinaus 6kologische Aspekte (s.z.B. Gossoxv 1976) einbezog und deren weitere Entwicklung zum Begriff einer 6kosystemgerechten Jagd (MOLLE~ 1988) ffihrte.

Das Nachhaltigkeitsprinzip in seiner heutigen weiten Auslegung (HENNIG 1989) kann als wesentlichste Leitlinie des Jagdwesens und seiner Einordnung in die Landschaft betrachtet werden. Zugleich gibt die konsequente Nachhaltswirtschaft im Forst- und Jagdwesen ein hervorragendes Beispiel, wie der Mensch die Natur potentiell ewig nutzen kann, ohne sie zu zerst6ren. Das im mitteleurop~iischen Forst- und Jagdwesen weitgehend verwirklichte Nachhaltigkeitsprinzip hat also durchaus Vorbildcharakter ffir das gesamte Verhiiltnis des Menschen zu seiner Umwelt. Es hebt den scheinbaren Gegensatz zwischen Naturnutzung und Naturschutz bzw. Naturnutzern und Naturschfitzern auf, da die nat~rlichen Gfiter gerade durch eine streng nachhaltige Nutzung erhalten werden. Eine umfangreiche Standortbestimmung des gesamten Jagdwesens am roten Faden des Nachhal- tigkeitsprinzips ist kfirzlich erschienen (HENNIG 1990).

Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Wirtschaftsprinzip, sondern sie hat gleichzeitig einen sehr wesendichen ethischen Gehalt. Sie bedeutet ja, daf~ nur der jeweilige Zuwachs genutzt, der Grundbestand aber als Produktionsmittel erhalten und in voller Produktions- f~ihigkeit und qualitativ bestm6glichem Zustand den kommenden Generationen hinterlas- sen wird. Ober den eigenen Nutzen wird die Rficksicht auf die kfinftige, potentiell unendliche Generationenfolge gesetzt. Der J~iger ist dabei Treuh~inder des Wildbestandes fiber die Menschheitsgenerationen hinweg. In heutiger Sicht bedeutet das zugleich die Verpflichtung zur Erhaltung und Gesunderhaltung des ganzen Okosystems unserer Land- schaft als Lebensgrundlage des Wildes und des Menschen.

Konsequenzen der Nachhaltigkeit sind alle diejenigen Matlnahmen, die der Erhaltung und F6rderung des Wildes und seiner Lebensgrundlagen, aber auch seiner nachhaltigen Nutzung dienen, also all das, was wir als Hege im weitesten Sinne bezeichnen, einschlief~- lich der ,,Hege mit der Bfichse" und einer planm~it~igen Wildstandsbewirtschaftung. In Folge davon lassen sich alle jagdlichen Mallnahmen sowie alte Hilfsmittel in das gedankli- che Leitsystem einordnen: Jagdhundewesen, jagdliches Waffen- und Schief~wesen usw., letztlich als Ableitungen daraus aber auch die geistigen Str6mungen, die vorstehend bereits als Bestandteile der Subkultur Jagdwesen bezeichnet worden waren.

Die Nachhaltigkeit ist also der tragende Leitgedanke sowohl unseres praktischen Jagdwesens als auch der jagdlichen Ethik. Andere Ideen und ethische Grunds~itze kommen hinzu, insbesondere solche des Tier- und Naturschutzes. Individualistische und ganzheitli- che Aspekte der jagdlichen Ethik waren bereits fr/iher in dieser Zeitschrift umrissen worden (HENNIG 1989, s.a. LINI3NZR 1979, Mf3LLER-USlNG 1956 und SCHLILZE u.a. 1970).

In das Jagdrecht haben solche ethischen Grunds~itze erst sehr spiit Einzug gehalten. Die liingste Zeit hindurch waren die Jagdgesetze mehr Jagdpolizeigesetze, welche die Jagd mit Riicksicht auf Menschen und Landwirtschaft regelten. Erst in den zwanziger und dreitliger Jahren unseres Jahrhunderts sind wesentliche ethische Gehalte bezfiglich der freilebenden Tierwelt eingeflossen. SC~tERVINO (1950), selbst einer der grof~en Reformer jener Zeit, hat die damaligen Wandlungen und ihre Hintergriinde beschrieben.

Jagdliches Brauchtum, J~igersprache, Jagdkunst, Jagdwissenschaft, Jagdliteratur usw. sind Bestandteile und Ausdruck der Jahrtausende alten deutschen Subkultur Jagdwesen, die auf der Basis einer eigenen Philosophie und eigenen Ethik in einem eigenen Rechtskreis gesetzlich fixiert ist und von einer eigenstiindigen J~igerei getragen wird.

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4 Weltbild und Ethik des Weidwerks

Eine nach vorstehenden Leitlinien orientierte Jagdphilosophie umfaflt gleichermaften Weltbild und Ethik des Weidwerks.

Das Weltbild leitet sich direkt aus dem Nachhakigkeitsprinzip ab. Landschaftsbiolo- gisch-6kologische Betrachtungen (H~NNIG 1988 und 1989) haben zu der Einsicht gefiihrt, d ~ eine nachhaltige Nutzung nut dadurch m6glich wird, daft der Mensch sich selber als Funktionstr/iger in natiirliche Abliiufe innerhalb des Biosystems (Okosystems) der jeweili- gen Landschaft einschaltet. Der Mensch wird dabei zum funktionellen Glied (Organ) dieses Biosystems. Eine vorher vom Menschen unberiihrte Landschaft wird zur Kultur- landschaft, wenn der Mensch dutch seine Nachhaltswirtschaft und die lDbernahme der dafiir notwendigen Funktionen st~indiges funktionelles Glied dieses Landschaftssystems wird.

Wie der Forstmann in dem yon ihm nachhaltig bewirtschafteten Wald, so wird der J/iger durch seine nachhaltige Wildstandsbewirtschaftung ein Bestandteil, ein funktionelles Gtied der jeweiligen Kulturlandschaft. Er dr/ingt dabei andere biotische und abiotische Faktoren bzw. Funktionstr~iger zuriick und kann so das vorher yon ihnen Genommene oder Vernichtete als Ertrag seiner Nachhakswirtschaft nehmen. Der J~iger muft also alle seine T~itigkeiten in diesem funktionellen Rahmen des iibergeordneten Systems der Kulturland- schaft sehen.

Aus dieser Stellung und Funktion des J/igers in dem iibergeordneten Funktionsgefiige der Landschaft ergeben sich auch die wichtigsten Grundziige der jagdlichen Ethik. Das iibergeordnete System kann auf die Dauer nut erhalten und gesund erhalten werden, wenn der Mensch - in diesem Fall der J~iger- atle Funktionen der yon ihm zwecks Durchfiihrung der Nachhaltswirtschaft zuriickgedr/ingten biotischen und abiotischen Faktoren iiber- nimmt. Was das im einzelnen zu bedeuten hat, war bereits friiher in dieser Zeitschrift erbrtert worden (HENNIG 1989). Hier sei nur festgestellt, daft Weltbild und Ethik des Weidwerks ihre gemeinsamen Wurzeln im Nachhaltigkeitsprinzip haben.

F/ir weitere jagdphilosophische Erbrterungen erhebt sich die Frage, in welchem Ver- h~iltnis die vorstehend niedergelegten Gedanken zu existierenden philosophischen Rich- tungen stehen. Fiir entsprechende Vergleiche bieten sich in erster Linie Naturphilosophien ganzheitlich-biologischer Richtung an. Sie aUe im Hinblick auf das Jagdwesen zu bespre- chen, wiirde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem iiberschreiten. So sei hier nur auf die von HEssE (1950 und andere Ver6ffentlichungen, s.a. LEMHbFER und ROZSNYAY 1985, HENNIG 1986, 1987 und 1990) geschaffene naturphilosophische Richtung der ,Organik ~ hingewiesen.

HEsK~ hat sich als Forsteinrichter intensiv mit den Nachhaltigkeitsgedanken befa2t. Seine weltweiten T~tigkeiten erlaubten ihm Vergleiche zwischen den unterschiedlich~ en wirtschaftlichen und politischen Systemen. Aus den so gesammelten Kennmissen und praktischen Erfahrungen heraus hat er die Organik entwickelt. Sie sieht das gesamte Sein in organischen Strukturen und Abl{iufen (organisches Weltbild), den Menschen demzufolge als funktionelles Glied (Organ) iibergeordneter organischer Strukturen. Dieses organische Weltbild deckt sich mit dem, was vorstehend als Weltbild einer jagdlichen Philosophie beschrieben women war.

Aufbauend auf diesem Weltbild und Jahrtausende alten, der Natur abgelauschten, in zeitgemiifte wissenschaftliche Formen umgesetzten Verhattensregeln, die wir auf dem forstlichen und jagdlichen Sektor als Nachhaltigkeitsprinzip kennen, wurde die organische Ethik entwickelt. Ihr Ziel ist es, die menschliche Wirtschaft (im weitesten Sinne) harmo- nisch in die natiirliche Ordnung einzuf/igen und dadurch die natiirlichen Lebensgrundla- gender Menschheit auf Dauer ungeschm~ilert zu erhalten. Die natiMichen G/iter der Erde werden als Fideikommifl der Menschheit angesehen. Diese organische Ethik entspricht den vorstehend abgeleiteten Grundlinien der jagdlichen Ethik.

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Zum Begriff und Inhale einer Jagdphilosophie 193

Die Philosophie der Organik hat bereits bei ihrem Ausbau wesentliche Anregungen aus jagdwissenschaftlichen Erkennmissen gezogen. Sic kann umgekehrt dem Ausbau einer Jagdphilosophie betr~ichtliche Impulse geben.

Zusammenfassung Jagdwesen und J~igerschaft des deutschen Sprachraums werden insgesamt mit allen ihren T~itigkeiten und Erscheinungsformen als ~eine relativ eigenst~indige Kultureinheit innerhalb eines gr6f~eren Kulturganzen ~ und damit als eine echte Subkultur mit eigener Sondersprache, eigenem Brauchtum, eigener Wissenschaft, Kunst und Literatur gesehen. Die geistigen Leitlinien dleser Subkultur Jagdwe- sen werden als Jagdphilosophie bezeichnet. Sie beruhen im wesentlichen auf dem Nachhaltigkeitsprin- zip. Aus ibm leiten sich Stellung und Funktion des J~igers in der Natur (jagdliches We|tbild) und die daraus resultierenden moralischen Verpflichtungen des J~igers (jagdliche Ethik) ab. Diese Jagdphiloso- phie geh6rt in den Bereich der Naturphilosophien ganzheitlich-biologischer Richtung. Sie wird insbesondere in Beziehung gesetzt zu der aus dem Forstwesen erwachsenen Philosophie der Organik.

S u m m a r y

On the concept and contents of a hunting philosophy

Hunting and hunters with all their traditions and dress within the German speaking countries are considered to be "a relatively independent cultural entity within a larger cultural whole." They can be regarded as a true subculture with its own forms of speech, traditions, science, art, and literature. The intellectual premises of this subculture are provided by the hunting philosophy and are mainly based on the principle of sustained yield. The position and function of the hunter in nature (hunting image) and the resulting moral obligations (hunting ethic) are derived from this hunting philosophy, which is part of the biologlcal-holistically oriented natural philosophies. It is comparable to the organic philosophy arising from the concept of forestry. Transl.: PHYLLIS KASVER

R~sum~ Apropos du concept et du contenu d'une philosophie cyndg&ique

Chasse et chasseurs des pays germanophones sont c0nsid&~s dans l'ensemble de leurs activit& et mani~re d'&re comme constituant une unit~ culturelle relativement autonome au sein d'un ensemble culturel plus caste et donc comme une sous-culture avec un vocabulaire, des us et coutumes, une discipline scientifique, un art et une litt&ature propres. Les lignes spirituelles maitresses de cette sous- culture sont connues sous le nom de philosophie cyndg&ique. Elles reposentpour t'essentiel sur le principe de dur&. De celui-ci d&oulent la position et la fonction du chasseur dans la Nature (vision cyndg&ique de l'univers) ainsi que les obligations morales qui en r~sultent pour le chasseur (&hique cyn~g&ique). Cette philosophie cyn(~g&ique relive des philosophies naturettes orient&s vers te concept d'ensemble de la biologie. Elle est raise plus particuli~rement en relation avec la philosophie organique issue de la foresterie. Trad.: S. A. De CROMBRUGGHE

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